Out of Place von Nordwind (Eine Frage des Vertrauens) ================================================================================ DREIZEHN -------- DREIZEHN| Kai stand auf dem kleinen Balkon, der zu seinem Zimmer gehörte und lehnte mit den Armen auf dem Geländer aus silbergrauen Gitterstäben. Es war Abend und schon beinahe dunkel. Die Sonne war längst hinter den Dächern der Häuser verschwunden und es roch bereits wieder nach Regen. Kai war beinahe sofort nachdem er das Stadion verlassen hatte hierher zurückgekehrt, hatte geduscht und seine Alltagskleidung gegen Bequemere getauscht. Nun trug er einfach schwarze Jogginghosen und ein dunkelblaues T-Shirt. Seine Haare waren noch nass und färbten den Stoff zum Teil in ein tiefes Schwarz. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und seufzte tonlos. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich explodieren. Es war ein dumpfer pochender Schmerz, der direkt hinter der Stirn saß wie eine permanente Mahnung und Erinnerung. Man gewöhnte sich niemals daran und viele wussten wahrscheinlich nicht einmal woher diese grässlichen Kopfschmerzen kamen, die einen manchmal einige Stunden oder einen Tag nach einem Match plagten. Dabei war es eigentlich sehr simpel. Im Grund bestand ein Beybladematch aus zwei Schichten. Es wurde im Prinzip auf zwei Ebenen ausgetragen. Die eine Ebene, die Obere und für den Zuschauer Sichtbare, war die auf der physisch gekämpft wurde. Dort gab es die Beyblades und dort erschienen die Bitbeasts in ihren tierähnlichen Körpern. Dort zählten alleine Technik und Kraft. Die zweite Schicht war die mentale Ebene wo das eigentliche Match stattfand und das obwohl sich die meisten Beyblader dieser Schicht nicht einmal bewusst waren. Dort entschieden Willenskraft, Selbstbewusstsein, Gedanken und Gefühle. Bitbeasts kämpften eigentlich nur in dieser zweiten Schicht. Das, was die Zuschauer sahen waren nur die Auswirkungen eines solchen Kampfes. Bitbeasts besaßen im eigentlichen Sinn keinen Körper. Bitbeasts waren Geister oder besser Energien. Ein Bitbeast konnte auch ohne die Unterstützung des Beybladers kämpfen und natürlich konnte auch ein Beyblader ohne Bitbeast einen Kampf austragen, aber beide waren eben nur Teil eines Ganzen. Natürlich war ein Beyblader derjenige, der dem Bitbeast Befehle gab, der die Taktik bestimmte und die Stärken und Schwächen des Gegner ausmaß, aber im Grunde war er vor allem eines, ein Energiespeicher aus dem das Bitbeast seine Kraft zog. In Wirklichkeit konnten Bitbeasts nicht fliegen, sich vergraben, Feuer spucken oder Eiszapfen vom Himmel regnen lassen. Bitbeasts kämpften nur auf der mentalen Ebene mit Energien. Was die Zuschauer in der Arena sahen war nur eine übertragene Spiegelung dessen was eigentlich geschah. In der Abtei hatte man den Schülern beigebracht wie man seine Gefühle unterdrückte oder besser, wie man sie kontrollieren konnte und die Unnützen ausschaltete, und das aus einem sehr guten Grund. Ein Beyblader, der an sich selbst und seiner Aussicht auf einen Sieg zweifelte, der konnte seinem Bitbeast dadurch nicht nur keine Kraft zur Verfügung stellen, sondern es damit auch noch schwächen. Große Energie gewann man nur aus starken Gefühlen. Hass, Wut, absolute Selbstsicherheit, absoluter Siegeswille. Ablenkende und schwächende Gedanken und Gefühle wie Zweifel und Unsicherheit, Mitleid und Zögern brachten niemanden weiter und waren deshalb absolut verboten. Was in der Abtei nicht gelehrt wurde, war jedoch, dass es auch noch andere Arten von Gefühlen gab, aus denen man Energien ziehen konnte. Sowohl Negative als auch Positive. Große Verzweiflung, Freude, große Angst und jenes warme Gefühl, das man verspürte, wenn man das eigene Team hinter sich jubeln hörte, Glück, absolutes Glück. Das war auch der Grund dafür, warum ein Amateur wie Tyson, der von Taktik und Training praktisch nichts hielt eine Weltmeisterschaft gewinnen konnte. Er zweifelte niemals daran, dass er gewinnen würde und das war eine enorme Energiequelle. Natürlich befand sich auch der Beyblader auf dieser mentalen Ebene und natürlich trafen die Angriffe eines Bitbeasts nicht nur das gegnerische Bitbeast, sondern auch die Beyblader. Ein Beyblader wie Tyson und die meisten anderen, die sich dieser Ebene nicht bewusst waren, fühlten sich nach einem Kampf wie ausgelaugt und es hatte natürlich auch schon Fälle gegeben in denen Beyblader das Bewusstsein verloren hatten. Nach außen sah es immer so aus, als würden die Beyblader von den Angriffen der Beyblades erfasst und zum Teil entsprach das natürlich auch der Wahrheit, doch hauptsächlich wurden sie von den Angriffen der Bitbeasts auf der mentalen Ebene getroffen. Ein Beyblader, der sich dessen bewusst war und gelernt hatte wie es funktionierte konnte einen mentalen Schild erstellen, der gegen das Gröbste und leichte Angriffe schützte, manche Beyblader taten dies auch unbewusst, jene Beyblader, die man in der Weltspitze fand. Was ein Beyblader, der nur unbewusst in der mentalen Ebene kämpfte, jedoch nicht konnte, war genau das, was die größten Kopfschmerzen verursachte und eben das, was Tala in jedem Match tat. Wenn ein Beyblader wie Tyson sein Bitbeast angreifen ließ, dann war es, als würde ein Riese mit einem riesigen Felsbrocken werfen. Natürlich handelte es sich in Wirklichkeit nicht nur um einen einzigen Felsbrocken, sondern um ein ganzes Meer solcher, aber für ein Beispiel war es einfacher von einem einzigen auszugehen. Es gab also diesen Felsbrocken, mit dem das Bitbeast angriff und natürlich griff es das gegnerische Bitbeast an. Das war an sich kein Problem, weil ein Beyblader wie Tyson sich auf Grund seiner mentalen Stärke auf seine bloße Kraft verlassen konnte ohne dabei ein großes Risiko einzugehen. Es war also im Prinzip so, dass er seine ganze Energie, alles, das er in jenem Augenblick verspürte, an sein Bitbeast weitergab und ihm befahl anzugreifen. Ein Beyblader wie Tala jedoch, der sich der mentalen Ebene absolut bewusst war und die dadurch entstehenden Vorteile zu nutzen gelernt hatte und sie zu nutzen wusste, der griff niemals mit einem Felsbrocken an. Er konnte seine Gefühle kontrollieren und er konnte kontrollieren wie viel Energie er an Wolborg weitergab. Ein Beyblader wie Tala ließ sein Bitbeast mit kurzen, schnellen und vor allem gut gezielten und geplanten Attacken angreifen, wie mit kleinen spitzen Nadeln, und zwar nicht das gegnerische Bitbeast, sondern den gegnerischen Beyblader. Lange Rede, kurzer Sinn: Tala war Schuld an diesen Kopfschmerzen und Kais einziger Trost war die Genugtuung zu wissen, dass Tala im Augenblick mindestens unter denselben litt. Ein schwacher Trost, aber immerhin. Um genau zu sein war Tala immer an allem Schuld gewesen. Seit jenem Tag an dem Tala zum ersten Mal die Abtei betreten hatte, war Kai seinetwegen in alle nur erdenklichen Situationen geraten. Es war Talas Schuld, dass sich während den Essenszeiten niemand zu ihnen an den Tisch gesetzt hatte. Es war Talas Schuld, dass ihn alle für verrückt oder besten Falls exzentrisch gehalten hatten. Es war Talas Schuld, Talas und die seiner idiotischen Geschichten, dass er als kleiner Junge immer Angst in den dunklen Gängen gehabt hatte. Es war Talas Schuld, dass die Wachen ihn besser gekannt und ihn öfter zu Boris hatten schliefen dürfen als irgendeinen anderen Jungen in der Abtei. Es war Talas Schuld, dass Bryan ihn einmal einen Monat lang angesehen hatte, als wolle er ihn gleich umbringen. Es war Talas Schuld, dass Ian sich vor ihm gefürchtet hatte als wäre er der Teufel höchstpersönlich. Es war Talas Schuld, dass er sich im Winter mehr als einmal eine Erkältung eingefangen hatte, weil es draußen ja so viel schöner gewesen war. Es war Talas Schuld, dass er nach jedem Training schreckliche Kopfschmerzen gehabt hatte. Es war Talas Schuld, dass er jeden Morgen todmüde gewesen war, weil Tala ihn die halbe Nacht wach gehalten hatte. Tala mit seinen bescheuerten Ideen, Gedanken und seiner idiotischen Wette. Tala hatte Schuld daran, dass er überhaupt auf die Idee gekommen war auch nur zu versuchen Black Dranzer ein einziges Mal in den Händen zu halten. Tala hatte Schuld daran, dass die Abtei für ihn wieder zu jener Hölle geworden war, die sie immer gewesen war und noch schlimmer. Es war Talas Schuld, dass sein Großvater ihn nach Japan geholt hatte. Es war Talas Schuld, dass er vergessen hatte. Es war Talas Schuld, dass er sich erinnert hatte. Es war Talas Schuld, dass er in die Abtei zurückgekehrt war und Talas Schuld, dass er sie wie ein Verräter wieder hatte verlassen müssen. Es war Talas Schuld, dass er nun hier war, Talas Schuld, dass er sich in dieser Lage fand, Talas Schuld, dass ihn alle beschuldigten, Talas Schuld, dass er Kopfschmerzen hatte, Talas Schuld, dass seine Laune nun gegen Minus wanderte und wenn er gerade dabei war, würde es auch Talas Schuld sein, wenn es morgen wieder regnete. Dieser verdammte blinde Idiot, der niemals auf sich selbst aufpassen konnte, sondern immer nur auf andere. ~~~ Es regnete tatsächlich als Kai am nächsten Morgen durch lautes klopfen an der Türe geweckt wurde. Es war nur ein leichter Nieselregen und auch die Wolken ließen dann und wann einen Strahl hellen Sonnenlichts auf die Erde fallen, aber dennoch, es regnete. Um ehrlich zu sein war es schon beinahe Mittag oder zumindest sagte das der Wecker, der auf dem Nachtisch im Hotelzimmer stand. Kais Gefühl nach musste es noch mitten in der Nacht sein, aber das interessierte weder der Wecker noch den penetranten Besucher. Dieses verfluchte Match hatte ihn doch mehr Kraft gekostet als erwartet und auch mehr als nur bloße Kopfschmerzen. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt aufzustehen und die Türe zu öffnen, denn wer auch immer dort draußen stand, konnte nicht wichtig genug sein um für ihn eine weitere Stunde Schlaf zu opfern. Das einzige Problem bei der Sache war jedoch, dass derjenige, der dort stand, ganz anderer Meinung zu sein schien und seit guten zehn Minuten ununterbrochen mit den Fäusten gegen die Tür hämmerte. Kai tauschte die Boxershorts in denen er schlief gegen Jogginghose und T-Shirt und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Blieb ihm nur zu hoffen, dass dort draußen keine Horde von Reportern mit Fotoapparaten und Kameras auf ihn lauerte. Aber die würden nicht wagen seine Türe derart zu ramponieren. Nein, dort draußen musste jemand stehen, der sich den Folgen seines Tuns vollkommen bewusst war und sie trotz allem in Kauf nahm. Kai drehte den Schlüssel im Schloss herum und riss die Tür mit einem Ruck auf. Draußen stand Spencer. Spencer war, in Kais Augen, eigentlich nicht die Art von Mensch, die sich unnötig und absichtlich Feinde machte, allerdings hatte er bei Kai auch nicht mehr allzu viel zu verlieren. „Schto?“ fuhr Kai ihn unerwartet rau an (Was?). Spencer hatte, trotz allem, mit Sicherheit nicht erwartete so begrüßt zu werden, höchstens wahrscheinlich gar nicht, doch Kai hatte schlechte Laune und wenn Spencer glaubte er müsse ihn trotzdem wecken, dann sollte er die auch deutlich zu spüren bekommen. „Wo ist Tala?“ Spencer ließ sich nicht einschüchtern. Kein Wunder, er lebte mit Tala unter einem Dach, er musste praktisch an derartige Situationen gewöhnt sein. „Bin ich sein Kindermädchen?“ erwiderte Kai kalt während seine amethystfarbenen Augen Spencer praktisch aufspießten. „Woher soll ich das wissen?“ „Du hast ihn gestern ziemlich hart getroffen.“ erklärte Spencer ungerührt und Kai fragte sich unwillkürlich woher Spencer plötzlich diese Ruhe hatte oder hatte er die schon immer gehabt? Spencer war im Prinzip relativ leicht zu provozieren, wenn man wusste wie man es anstellen musste. „Er hatte Kopfschmerzen.“ Für einen Außenstehenden musste dieses Gespräche ziemlich lächerlich wirken. ‚Hart getroffen’ und dann ‚er hatte Kopfschmerzen’, aber natürliche steckte hinter dem was Spencer sagte viel mehr als die bloße allgemeine Bedeutung dieser Worte. Kai wusste das und er wusste was Spencer im Vorwarf, aber er war nicht in der richtigen Stimmung sich darauf einzulassen. „Hast du den Kampf gesehen?“ wollte Kai unbeeindruckt wissen. „Er war es, der mich geschlagen hat und ich hatte danach mit Sicherheit besseres zu tun als ihn zu verfolgen zu entführen.“ Er hatte keine Lust auf Spencers Anspielungen einzugehen. Wenn der Blonde ihm etwas vorzuwerfen hatte, sollte er das gefälligst tun ohne großartig um den heißen Brei zu reden. „Du weißt genau, dass ich nicht davon rede wer wen geschlagen hat.“ „Wovon dann?“ Spencer schüttelte nur den Kopf irgendwo zwischen Unglaube und Verachtung. „Tala hast es niemals vertragen und das weißt ganz genau“, erklärte er und nun zeigte sich endliche eine Spur Zorn in seinem Gesicht. „Wie damals, als-…“ „Danke“, wurde er von Kais kalter, schneidender Stimme unterbrochen. Er wurde langsam wütend und wenn Spencer es darauf anlegte, dann sollte er es zu spüren bekommen. „Du wirst es nicht glauben, aber ich besitze ein eigenes Gedächtnis.“ „Ach ja“, erwiderte Spencer beinahe fauchend. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis er Kai mit einem Schwall übler Flüche überhäufte. „Letztes Jahr konntest du dich trotzdem nicht erinnern.“ Kais Augen verengten sich unweigerlich und sein Gesicht versteifte sich zu einer regungslosen Maske. „Vielleicht solltest du lieber weitersuchen als hier deine Zeit zu verschwenden.“ Mit diesen Worten schloss er die Tür direkt vor Spencers Nase. ~~~ Soweit hierzu. Ich ziehe nächsten Montag um, dass heißt, dass sich der Termin für das nächste Kapitel etwas nach hinten verschwieben könnte, aber ich werde versuchen mich zu beeilen. ^__^ Ich wünsche euch noch einen schönen Tag, Nordwind Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)