Out of Place von Nordwind (Eine Frage des Vertrauens) ================================================================================ NEUNZEHN -------- Es tut mir Leid, dass ich diesmal erst mit so großer Verspätung hochlade, aber es ging wirklich nicht anders. Ich hoffe ihr nehmt es mir nicht allzu übel und lest trotzdem weiter. ^__^ NEUNZEHN| Kai musterte den rothaarigen Russen vorsichtig. Sein linkes Auge war lilablau umrahmt, seine Lippen aufgeplatzt, sein Shirt zerrissen und der weiße Stoff teilweiße rot durchtränkt. Tala fuhr sich mit der Faust über die Lippen und zog eine blutige Spur über seine Wange. Sein Blick waren auf den Boden gerichtet, dann, plötzlich, zuckte sein Kopf zur Seite und seine blitzenden, eisblauen Augen fixierten Kai. „Was?“ zischte Tala und seine Stimme klang dabei mehr wie das Fauchen eines verletzten Tieres, das jeden Anderen unwillkürlich hätte zurückweichen lassen. Kai jedoch erwiderte den Blick gelassen. Er kannte Tala zu gut. Tala konnte gefährlich sein, aber er war es selten. So selten, wie er die Kontrolle verlor. Kai brauchte nicht zu fragen, er wusste, was geschehen war. Er konnte sich vorstellen, dass Boris Tala nicht gerade wie einen Gast behandelt hatte. Er kannte Boris Methoden und wusste, wie er bestrafte. Tala hatte ihn nicht direkt verraten, doch er hatte sich von ihm abgewandt. Was für eine Enttäuschung es für Boris gewesen sein musste. Tala war immer sein Lieblingsschüler gewesen. Der rothaarige Russe hatte inzwischen sein Shirt ausgezogen und inspizierte mit einem zur Maske erstarrten Blick die Schnitte und Prellungen an seinem linken Arm, als das Licht plötzlich wieder erlosch. Tala zischte leise einen russischen Fluch. Kai wusste, dass Boris sieh absichtlich in der Dunkelheit sitzen ließ. Boris hatte immer gewusst, dass das einzige, das Kai jemals ernsthaft gefürchtet hatte die Finsternis gewesen war. Die Sache war nur die, dass Kai inzwischen zwischen Finsternis und Dunkelheit zu unterscheiden wusste und Boris Versuch ihn einzuschüchtern daher eher lächerlich wirkte. Die Dunkelheit legte sich wie ein schwarzes Tuch über sie und verschlang erneut Konturen und Formen. Kai blinzelte. Talas Gestalt verschwand. Er hörte das Rascheln von Stoff und vermutete, dass der Rothaarige sich wieder angezogen hatte. Schweigen legte sich über den Raum. Unnatürliche, vollkommene Stille. Kai lehnte sich erneut zurück gegen die kalte Wand. Er hörte nur seinen eigenen Atem in der Stille und den Talas. Beide gingen nicht im selben Rhythmus, hatten es niemals getan, und doch war es irgendwie, auf eine bizarre Art harmonisch. Absurd. Kai schüttelte unwillkürlich den Kopf. Es gab andere Dinge um die er sich kümmern musste. Zum Beispiel wie er hier wieder herauskam. Möglichst in einem Stück. Er sah zu der Stelle hinüber, an der Tala saß oder an der er den rothaarigen Russen zumindest vermutete. Wer wusste schon, was Boris mit ihnen vorhatte. Wer wusste schon, ob er vorhatte sie überhaupt am Leben zu lassen. Er brauchte einen Plan. Einen guten Plan und zwar schnell. Boris würde bestimmt nicht allzu lange warten, bevor er sich mit ihm selbst befasste und dass Tala mit einem blauen Auge und einigen Kratzern davongekommen war sagte überhaupt nichts. Das Problem war nur, dass ihm beim besten Willen nichts einfallen wollte. Abgesehen von der Türe gab es keinen Weg aus diesem Raum herauszukommen und für die Türe benötigte man einen Schlüssel oder zumindest etwas Derartiges. Kai besaß weder das eine noch das andere und er bezweifelte, dass es bei Tala anders aussah. Dranzer wäre nützlich gewesen, doch man hatte ihm das blaue Beyblade sowie den Starter abgenommen. Kai richtete sich langsam auf und tastete sich an der Wand empor und dann in die Richtung, in der die Türe lag. Es waren nur wenige Schritte bis zu einer der Ecken des Raumes und zwei mehr, die er benötigte um von dort aus die Türe zu erreichen. Kais Hände glitten über das kühle, glatte Metall auf der Suche nach einem Henkel oder einem Schloss oder etwas Ähnlichem. „Vergiss es.“ meldete sich Talas Stimme dumpf und kalt von der anderen Seite des Raumes. „Man kann sie nur von Außen öffnen.“ Trotz dass er Tala glaubte, ließ Kai seine Finger noch einmal über Metall gleiten. nur um ganz sicher zu gehen. Doch da war nichts. Kein Klinke und kein Schloss. Kai ging zu seinem ursprünglichen Platz zurück und ließ sich wieder zu Boden sinken. Zurück in die Dunkelheit und das stille Schweigen, das nur von ruhigen, regelmäßigen Atemzügen durchbrochen wurde. „Weißt du“, begann Tala plötzlich völlig aus dem Zusammenhang. „Manchmal versteh ich, warum Bryan und Spencer dich hassen.“ Kai zog unwillkürlich die Brauen zusammen und sah nahezu überrascht zu der Stelle hinüber, an der tala saß. „Hm?“ „Ach, wusstest du das nicht?“ meinte Tala spöttisch. „Bryan und Spencer hassen dich noch immer wegen der Sache vor drei Jahren.“ Kai wollte zunächst nichts weiter sagen. Er hatte keine Lust sich von Tala grundlos verspotten und beleidigen zu lassen, zumal diese Bemerkung praktisch aus dem Nichts gekommen war und möglicherweise nur dazu hatte dienen sollen um Kai zu provozieren. Es war eine Macke von Tala immer dann einen Streit vom Zaun brechen zu wollen, wenn er nicht weiter wusste oder frustriert war. Das hatte er immer schon getan. „Ach ja?“ erwiderte Kai schließlich doch entgegen besseren Wissens. „Und was ist mit dir?“ Er lehnte sich mit dem Kopf zurück an die Wand und schloss die Augen. „Mh.“ machte Tala nur und der Unterton in seiner Stimme war noch immer provokativ. „Ich weiß nicht. Jemanden zu hassen kann ziemlich anstrengend sein und im Augenblick bin ich mir nicht ganz sicher, ob du es wert bist.“ Er hielt inne und stieß dann ein spöttisches Schnauben aus. „Abgesehen davon kann ich dein Verhalten nachvollziehen.“ Diese Worte überraschten Kai. Er war sich dessen bewusst, dass es den meisten Menschen sehr schwer fiel, sein Verhalten nachzuvollziehen, aber das ausgerechnet Tala es verstehen sollte, wäre ihm nun wirklich nicht eingefallen. Er sagte nichts, wartete ab, dass Tala fort fuhr. „Die Seiten zu wechseln war die einzige Möglichkeit Boris zu schlagen.“ erklärte Tala schließlich in nahezu gleichgültigem Ton. „Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich vielleicht dasselbe getan.“ Kai öffnete überrascht die Augen und sah wieder zu Tala hinüber. Tala der ihn verstand? Tala der ihm… vergab? „Nur eines.“ fuhr Tala fort. „Hast du das alles von Anfang an geplant oder ist es durch Zufall so gekommen?“ Tala konnte von den Ereignissen am Baikalsee nichts wissen, das war Kai klar, sonst würde er diese Frag vielleicht nicht stellen. „Was glaubst du?“ fragte er anstatt eine Antwort zu geben. „Woher soll ich das wissen?“ antwortete dieser gleichgültig. „Ich habe gefragt was du denkst, nicht was du weißt.“ konterte Kai im nahezu selben Tonfall. Er konnte das schale Grinsen auf Talas Lippen beinahe sehen, als dieser schließlich zu einer Antwort ansetzte. „Ich denke“, erwiderte der Rothaarige. „Ich denke, dass du versucht hast zu planen, dann ist irgendetwas geschehen, mit dem du nicht gerechnet hast und du hast den Plan verworfen und spontan gehandelt. Das hast du immer so gemacht. Du hast immer versucht zu planen ohne dabei alle Aspekte zu berücksichtigen und letzten Endes hast du doch nur das getan, was du im jeweiligen Augenblick für das Richtige hieltst ohne genauer darüber nachzudenken.“ „Richtig“, antwortete Kai darauf und in seiner Stimme lag eine Spur von Gereiztheit. Tala hatte diesen Effekt des Öfteren auf ihn. „Du warst schließlich der sture Taktiker, der mit aller Gewalt an seine Strategie festgehalten hat. ~~~ Manchmal hasste Tala Kai wie er Boris hasste, auf dieselbe frustrierende und ohnmächtige Art und Weise. In Augenblicken wie diesen hatte er das Bedürfnis einfach nur zuzuschlagen. Einmal, kurz und kräftig. Es waren Augenblicke wie diese in denen er sich fragte, warum er sich eigentlich die Mühe machte den Mund aufzumachen. Er konnte es ebenso bleiben lassen. Es war beinahe wie damals, an jenem Tag, an dem sie sich zum ersten mal seit, nun, einigen Jahren, wieder getroffen hatten. Es war kalt, aber das war es in Moskau ohnehin während drei Vierteln des Jahres. Tala war daran gewöhnt, hatte nie etwas anderes gekannt, und so machte es ihm relativ wenig aus, ganz im Gegenteil zu den vielen Touristen, die wegen der Weltmeisterschaften nach Russland gekommen waren und sich dick in Mänteln und Jacken einpackten, die Hände tief in die Taschen schoben und die Köpfe unter Mützen und Schals vergruben. Es war noch früh am Abend, sehr früh um genau zu sein, doch die Sonne hatte bereits den letzten Widerstand aufgegeben und den Himmel der Dunkelheit der Nacht überlassen. Talas Weg führte durch eine schmale Gasse zwischen zwei Gebäuden, die in einem der Wohngebiete lagen. Die Gasse und auch die Straße, aus der er gekommen war, wirkten wie ausgestorben, wenn man einmal von den Lichtern absah, die in den Fenstern der Wohnhäuser brannten. Das Geräusch von Talas Schritten ging im Schmatzen des grau-braunen Schneematschs beinahe unter seinen Schuhen unter. Er ging langsam. Es war allzu selten, dass er die Erlaubnis bekam in die Stadt zu gehen, eine Ausnahme, dieses Mal jedoch war es ein Befehl gewesen. Ein ausdrücklicher Befehl von Boris Balkov persönlich, der Tala dazu angewiesen hatte zum Stadion zu gehen und die Teilnahme seines Teams an den Weltmeisterschaften zu bestätigen. Balkov hätte es mit Sicherheit selbst getan, wäre nicht ausdrücklich gefordert, dass dies der Teamcaptain selbst zu erledigen hatte. Als Tala aus der Gasse trat, die in eine breitere Straße mündete, waren seine Schritte nicht mehr die einzigen. Tala blieb stehen. Er blieb stehen und starrte den Jungen an, der ihm auf dem Gehweg entgegenkam. Es gab eine wichtige Regel in der Abtei: Glaube niemals das was du hörst. Die Hälfte aller Wahrheit, die in der Abtei kursierte, war gelogen und alles andere war nur dadurch wahr geworden, weil andere daran glaubten. Als man in der Abtei damit angefangen hatte sich zu erzählen, dass Kai Hiwatari in Moskau war, hatte Tala es als Unsinn abgetan. Er hatte niemals erfahren was mit Kai geschehen war nach jenem Tag. Das letzte, das er jemals von ihm gehört hatte, abgesehen von einem ganzen Sack voll absurdester Gerüchte, waren Boris Balkovs Worte gewesen: „Tot“, hatte er gesagt. „Für dich ist er tot.“ Und so war es gewesen. Tala war sich nicht sicher, ob er jemals wirklich daran geglaubt hatte oder ob er einfach jeden Tag unbewusst darauf gewartet hatte, dass Kai einfach wieder durch die Türe in ihr beider Zimmer kam. Er hatte sich diesem Thema niemals angenommen, hatte niemals darüber gesprochen, – mit wem auch? – und hatte einfach so getan, als wäre überhaupt nichts geschehen. Es hatte funktioniert. Irgendwie. Als er nun auf der Straße stand und seinen ehemaligen Freund und Zimmergenossen auf sich zukommen sah, wusste er nicht was er denken sollte. Einen Augenblick lang dachte er gar nichts, er war überrascht, dann kam die Wut. Für den Bruchteil eines Moments war er furchtbar wütend, wütend darauf, dass er niemals wieder etwas von Kai gehört hatte, wütend darauf, dass niemand ihm gesagt hatte, dass sein Freund noch am Leben war, wütend darauf, dass er jemals daran gezweifelt hatte. Dann war er froh. Einfach nur froh, aber das war etwas, dass er nicht zeigen konnte, dass er niemals zu zeigen gelernt hatte. Kai war langsamer geworden, als er Tala entdeckt hatte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war neutral und vielleicht eine Spur irritiert. Als Tala den Mund aufmachte, beschleunigte Kai seine Schritte und wollte einfach an ihm vorbei gehen. Dieses Verhalten irritierte Tala so sehr, dass er trotzdem aussprach, was er eben noch hatte sagen wollen. „Es ist also wahr“, sagte er auf Russisch ehe Kai ganz an ihm vorbei war. „Du bist wieder da.“ Kai blieb stehen, wandte sich jedoch nicht um. Tala wusste nicht, was er sagen sollte, was er denken sollte. Hatte Kai ihn einfach ignorieren wollen? Hatte er ihn nicht erkannt? Kai wandte sich langsam zu ihm um. „Wer bist du?“ fragte er in gelangweilten, desinteressierten Ton, der Tala beinahe einen Stich in der Brust versetzte unter der das falsche Herz schlug. Er fühlte sich für einen Augenblick wie gelähmt. Wer er war? Sollte das ein Witz sein? Tala verzog die Lippen zu einem schmalen, leicht gequälten Grinsen. Er wusste, dass Kai einen seltsamen Sinn für Humor hatte. „Findest du das witzig?“ Kai musterte ihn einen Moment lang mit ausdruckslosem Blick, dann wandte er sich schlichtweg um und wollte davon gehen, doch er konnte kaum einen Schritt machen, da hatte Tala ihn bereits am Arm gepackt und ihn zurückgerissen. Noch ehe er etwas sagen konnte, hatte sich Kai bereits aus seinem Griff befreit. „Ich habe keine Ahnung, wer du bist“, erklärte Kai mit gleichgültigem Ton. „Aber wenn du mich noch mal anfasst, dann wirst du bereuen, dass wir uns überhaupt begegnet sind.“ Mit einem letzten Blick wandte er sich erneut um und dieses Mal ließ Tala ihn gehen. Nicht, weil er sich von dieser Drohung besonders eingeschüchtert fühlte, sondern eher weil eine Mischung aus Enttäuschung und Unglauben sich in ihm breit macht, die bald in Frustration umschlug. Es war ein Alptraum. Ein Alptraum, der unmöglich wahr sein konnte. ~~~ Im nächsten Kapitel folgt einmal wieder Neues von der Außenwelt und (natürlich) ein (oder vielleicht auch mehr) Flashback. Oja, was mit Tala passiert ist, wird natürlich auch geklärt. Keine Sorge also, ihr verpasst nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)