Ghostdust von littleangelheart (Auf den Spuren der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Wenn man mal zurück denkt in die eigene Vergangenheit, dann gibt es irgendwann in der Familiengeschichte ein dunkles Geheimnis, und ich habe es gefunden. Manchmal kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, das in dieser angeblich so schönen Familienidylle, etwas so grauenhaftes passiert ist, aber es ist wirklich passiert und hätte meine Mutter mir nicht aufgetragen den alten Dachboden meines „kranken“ Großvaters aufzuräumen hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir mit dem Verbrechen von vor so vielen Jahren, über das die älteren in unserem Dorf immer noch zu munkeln pflegten irgendetwas zu tun haben. Ich hörte das erste mal von der Familie Ghostdust, als ich mit meiner Chaosqueen und zugleich Supermama in das alte und verlassene Landgut in Moorweiher am Ufer des Weihers zog. Ich fühlte gleich, das hier etwas schreckliches passiert war, es lag in der Luft. Die Luft war feucht und der Nebel machte eine Sicht weiter als zwei Meter unmöglich. Es roch nach Moder und irgendwo hörte man es rascheln. Kurz gesagt, es war eine Gegend in die ich nicht freiwillig ziehen würde. Ich war es ja auch nicht, meine Mutter kam einfach eines Tages nach Hause und dann sind wir ohne groß Brimborium einfach von Berlin weg. Damals lies ich alles zurück und sollte hier in einem kleinen Kaff standhaft werden, von heute auf morgen, zack und weg. Komisch war an dieser ohnehin schon sehr gruseligen Umgebung rund um Moorweiher auch, dass sich der Nebel zu lichten schien je näher ich dem Ufer in dieser Nacht kam, denn ich konnte plötzlich sehen wie die Wellen in der Mitte des Sees um ein Boot schlugen. Man konnte seinen Blick einfach nicht von dem Schiff wenden, es hatte etwas merkwürdig Gerippehaftes an sich, es war als wären die Bullaugen, Augen die einen durch die Nacht anstarrten, wie die Augen eines Toten. Die Wellen brachen an dem mächtigen Bug und schwappten auf das Deck, doch es war als würden sie es nicht berühren, als wäre es nicht da. Es bewegten sich Schatten auf Deck, sie wuselten herum und schrien irgendwelche Laute. Ich musste wohl ziemlich seltsam ausgesehen haben, wie ich mit weit aufgerissenen Augen und bleich wie der Tod auf den See starrte. „Nora, was starrst du so auf den See? Da ist doch nichts außer den Wellen!“ Sagte meine Mutter. Ich erschrak, „ da ist nichts“ konnte meine Mutter das Schiff etwa nicht sehen, aber wieso sehe ich es dann. Ich begann zu zittern, weil mir ein kalter Windhauch um die Schultern wehte und flüsterte: „Mami, kannst du das Schiff da draußen etwa nicht sehen?“ Meine Mutter starrte mich entsetzt an, blickte noch einmal auf den See und ging dann kopfschüttelnd in unser Haus. Drehe ich jetzt völlig durch, oder wollte meine Mutter mir nur Angst machen, aber das Schiff sieht doch so echt aus. Als wäre es wirklich aus Holz und Nägeln. Ich schaute noch einmal auf den See und sah noch wie das Schiff mit seinen Bullaugen blinkte und dann ganz plötzlich verschwand, noch kurz schwappten die Wellen am Bug in die Höhe und dann nur noch ins Wasser und nichts war daraus zu schließen, dass vor wenigen Sekunden noch ein großes Schiff auf den Wellen hin und her schaukelte, wie ein kleines Windspiel im Wind. Aber dies war ja nur eine der komischen Erscheinungen und wahrscheinlich auch die harmloseste, denn die anderen stellten sich als weitaus gruseliger und auch weitaus todbringender heraus und ich blieb nicht lange die einzige die komische Erscheinungen sah, wenn auch die anderen Menschen mir damit nicht viel Freude machten, da sie selbst irgendwie ein bisschen verrückt gegenüber mir wirkten. Es machte mir Angst weil, diese seltsamen Erscheinungen jedes mal länger, schrecklicher und wirklicher wurden. Natürlich könntet ihr mich jetzt für verrückt erklären, nein ehrlich, ich nehme es euch nicht übel. Ich würde mich selbst für verrückt halten, wenn ich an eurer Stelle wäre. Aber diejenigen unter euch die wissen wollen was so schreckliches passiert ist, die können gerne weiterlesen. Ich schaute immer noch aufs Wasser, unfähig mich zu bewegen, ich zitterte, mir war kalt. Es war als wäre ich im ewigen Eis gefangen. Ich spürte die Wassertropfen im Nebel auf meinem Gesicht, aber anstatt wie Tränen meine Wangen runter zu fließen, kühlten sie sich ab und blieben als Eiskristalle an meiner Haut hängen. Meine Finger wurden taub und ich fürchtete ich würde als ewige Eisskulptur enden. Lebendig eingefroren, geschockt aufs Wasser starrend. Doch dann schien mich das Leben zurück zu rufen, ich merkte wie die Kälte in meinen Adern schwand. Ich taute auf, zuerst die Füße, dann ging es immer weiter nach oben, die Eiskristalle schmolzen und liefen mir übers Gesicht, meine Körpertemperatur schien mit rasender Geschwindigkeit von –10 auf 37,5 Grad zu steigen. Aber durch das weichen der Kälte, war ein anderes Gefühl zurück gekehrt, Angst. Ich stürmte so schnell ich konnte ins Haus meiner Mutter hinterher. Als ich am Abend im Bett lag und der Mond in mein Zimmer schien, dachte ich noch mal über unsere Ankunft nach. Dieses Schiff wo immer es hergekommen und auch wieder verschwunden war, was bedeutete es? Warum habe ich es gesehen? Bin ich die einzige die es je gesehen hat? Und wenn es so ist, warum bloß? Wie ich so dalag, tief in den Kissen und Gedanken versunken, hörte ich leise das Rauschen des Sees und noch ein weiteres Geräusch, welsches ich aber sofort wieder vergaß und in den Hinterkopf abschob. Fast lautlos, das Nebelhorn eines Schiffes. Der Nebel stieg immer höher und verschlang alles, genauso wie ein endloses Nichts, nur dieses Nichts birgt ein Geheimnis. Langsam kam der Schlaf und trug alle Sorgen davon, wie der Wind die Blätter. Ich erwachte jäh als ich mich plötzlich auf dem Boden wiederfand. Die Sonne strahlte ins Zimmer und kitzelte meine Nase, es war wohl schon Mittag. MITTAG!! Mist, auch noch verschlafen. Schnell rannte ich im Nachthemd Richtung Bad. Problem, mein Zimmer liegt im Gartenhaus und das Bad im Haupthaus. Ich huschte also, flink wie ich bin, über den Hof. Von Baum zu Baum, über Huhn und Hahn und immer weiter bis... „Hey, du!“ „Waahh!“ Ich hasse Hühner, das steht fest. Besonders jetzt, wo ich der Länge lang auf dem Boden des Hofes lag und schneller denn je ins Bad wollte, von oben bis unten voll Stroh. Ein Schatten viel über mich, der ganz sicher keinem Huhn gehörte. Selbst wenn ich heute noch daran denke werde ich rot, schließlich trug ich nur ein Nachthemd und sah auch sonst nicht sehr vorteilhaft aus. „Wer bist du, Mädchen? Was tust du hier?“ Schallte die Stimme des Besitzers des Schattens zu mir runter. Dumme Frage ich wohne hier. Doch trotzdem versteifte sich in mir alles. Ein Junge, Hilfe! Vorsichtig drehte ich mich, ohne den Jungen anzusehen, um und versuchte dafür zu sorgen, dass mein Nachthemd bloß gut saß. Was allerdings vom Boden aus sehr schwierig war. Mein Blick fiel auf ein Paar Gummistiefel vor mir und meine Augen folgten ihnen nach oben, über eine schmutzige Jeans und einem Kapuzenpullover. Bis zum Gesicht ihres Besitzers und hätte am liebsten auf Pause, Löschen und Rückspulen gedrückt. Man war das peinlich. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden, sein Gesicht, es kam mir so bekannt vor und doch, ich wusste es nicht zu zuordnen. Seine Augen starrten stechend zum mir hinunter. Meine Güte, lange würde ich das nicht mehr aushalten. Ein stummer Kampf zwischen uns entbrannte, keiner bereit seinen Blick abzuwenden und aufzugeben. Wären wir in einem Comic, würden Blitze zwischen mir und ihm hin und her rasen. Schnell erbarmte ich mich und schenkte ihm den Sieg. Okay, ich gebe ja zu, ich habe lange mit mir gerungen. Doch fühlte ich mich jetzt, wo das Bad im Sprint immer näher rückte, deutlich besser. Schnell stürmte ich ins Haus und ins Badezimmer, schlug die Tür zu und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Langsam glitt ich an der Badezimmertür hinunter, mein Herz schlug bis zum Halse. Ich kann mich unmöglich wieder vor die Tür wagen. Dieses Bad würde mein neues Zuhause sein, nie wieder würde ich es verlassen, nicht einmal wenn ich grau und klapprig bin. Das war das Peinlichste, das Peinlichste, was mir je passiert war. Dieses Erlebnis hat die Peinlichkeitsertragungsrate bis zum Ende meines Lebens auf Gold gefüllt. Ich saß noch länger auf dem Boden und schimpfte vor mich hin, bis mir keine Beleidigungen, Beschimpfungen und Drohungen mehr einfielen. Ächzend stand ich auf und putzte mir die Zähne, gerade als ich meine tadellosen weißen Beißerchen im Spiegel kontrollieren wollte, halte ein Schrei übers Gut. Einige Sekunden suchte ich nach seinem Ursprung, bis mir plötzlich schlagartig und vollkommen unvorbereitet bewusst wurde, als meine Mutter an die Tür klopfte und fragte ob alles in Ordnung war, dass der Schrei aus meinem Mund gekommen war. Nachdem ich dann wieder in den Spiegel sah, musste ich auch noch feststellen, dass Frankensteins Monster mit mir verglichen im Moment wohl einen Schönheitswettbewerb gewinnen würde. Mein Gesicht, falls man dieses erschreckende Bild im Spiegel Gesicht nennen kann oder darf, war von Stirn bis Kinn mit Schlamm bespritzt. Meine Haare hatten eine fürchterliche Ähnlichkeit mit einem Vogelnest durch das ein Tornado geweht war und mein Nachthemd mit einem hellblau-braunem Dalmatiner. Ich stöhnte, der Tag fing ja toll an und wusch mein Gesicht. Ich war mir sicher gewesen, dass es einfach nicht mehr schlimmer kommen konnte. Doch diese Einstellung würde ich bald nicht mehr bewahrheiten können, denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Zwar war ich Stroh und Schlamm größten Teils losgeworden, außer natürlich der langsam bröckelnden, braunen Masse auf meinem Nachthemd, aber zu meinem normalen Aussehen hatte ich doch noch nicht ganz zurück gefunden. Schließlich sah ich nicht jeden Tag wie ein wandelnder Bauernhof aus. Ich dachte an meine Klamotten, diese lagen, wie sollte es anders sein, ungefähr fünfundsiebzig Meter entfernt, fein, säuberlich gefaltet, über einem Stuhl, im meinem Zimmer und dort lagen sie gut. Mist. Unentdeckt gelangte ich einige Minuten später in mein Zimmer, zu 75% gereinigt. Den Jungen hatte ich in die hinterste, kleinste und Spinnenweben verhangenste Ecke meines Kopfes verbannt, wo er auch, hoffte ich jedenfalls, lang bleiben würde. Eine Hoffnung die allerdings nicht erfüllt wurde, da ich bereits in der Küche, wo ich mir ein Butterbrot, als neuen Start in den Tag, schmierte, wieder auf ihn traf. Aber diesmal war er nicht allein, nein, mein Großvater saß mit ihm am Tisch, der noch nicht von den Überresten des Frühstücks befreit worden war. Ich versuchte möglichst nur mit dem Rücken zu ihm zu stehen, um bloß nicht erkannt zu werden, aber zu spät. „ Ah, die Heu-Hexe von vorhin, du stellst dich also nicht überall so tollpatschig an. Oh, doch nicht!“ Mir tropfte die Butter auf den Boden, dann reagierte ich schnell. Es war ja sonst nicht meine Art, ich war eigentlich immer ruhig. Doch manchmal überkommt es auch das sanfteste Gemüt und ich warf dem Jungen mein Butterbrot, mit der beschmierten Seite voran, ins Gesicht. Volltreffer, mitten ins Schwarze. Ein Moment des Triumphs, einer und dann fühlte ich mich richtig mies. Ich begab mich auf das Niveau dieses Vollidioten, auch wenn er ganz süß war. Was dachte ich da bloß. „ Nora! Was ist denn in dich gefahren. Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ rief Großvater. Ich starrte entsetzt auf das Gesicht des Jungen, an dem die Butter klebte. Doch dieser brach nur in schallendes Gelächter aus. „Jetzt hast du es mir gegeben, was?“ meinte er nur, stand auf, klopfte mir auf die Schulter und wollte den Raum verlassen. „ Entschuldige bitte, Erik! Meine Enkelin ist sonst nicht so aufbrausend!“ Und Großvaters strenger Blick traf mich wie ein Peitschenhieb ins Gesicht. Woher wollte er das wissen, Moment mal... Doch der Junge war stehen geblieben. „ Enkelin?“ fragte er. „ Erik?“ fragte ich. Ne, oder? Erik? Das darf doch nicht wahr sein, der süße Typ ist doch nicht etwa „ der Erik.“ Der Erik, klein, Glubschaugen, pummelig, braune Zottelmähne und der süße Typ groß, hübsch, schlank, aber ebenfalls braune Zottelmähne. Oh nein, er ist es. Schreckliche Erinnerung na die Kindheit. Wir hatten immer zusammen gespielt, aber ich hatte ihn ja jetzt jahrelang nicht gesehen, um genau zu sein fast 10 Jahre. Gott, natürlich ändert man sich, aber, Hilfe! Das da ist Erik. „Nicht wahr! Du bist Nora?“ fragte er und drehte sich überrascht zu mir um. „ Ja!“ antwortete ich leise. „Echt cool, dich zu sehen!“ „ Ja!“ Scheiße ist mein Gehirn tot? Ich starrte ihn einfach fassungslos an. Erik verabschiedete sich und ich hörte nur wie er Großvater versprach nachher beim aufräumen des Dachbodens zur Hand zu gehen. Ich stand nur weiter unter Schock. Meine Mutter kam in die Küche nachdem sie Erik gegrüßt hatte und setzte sich auf einen Stuhl. „ Ich werde wahnsinnig, ich brauche eine Pause. Nora, bitte räume du weiter auf. Ich kann nicht mehr. Kiste auf, Kiste zu. Einsortieren, aussortieren. Ich brauche einen Kaffee, der mich wieder aufweckt.“ Ich warf mich nun auch auf einen Stuhl und schaute meine Mutter an, die ihre roten Locken hoch gebunden hatte und mit Staub bedeckt war. Mir kamen wieder die Erinnerungen von gestern Abend hoch. Hatte sie wirklich nichts gesehen, oder wollte sie sich selbst nicht beunruhigen? Wenn sie das Schiff auch gesehen hatte, so ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Sie zitterte nicht, erschrak nicht leicht und machte auch sonst keine Anzeichen irgendeiner Verstörung. Sie war genauso chaotisch und seltsam wie e und je. Ich könnte auch einen Kaffee vertragen, einen starken, einen richtig starken. Am besten eklig schwarz, bitter, ohne Zucker und ohne Milch. Vielleicht weckt so ein scheußliches Gesöff meine müden Geister. Obwohl ich befürchte, dass sie danach unter einem Koffein-Schock leiden werden. Ich brauche nämlich nicht nur eine Tasse. Am Ende habe ich doch keinen bekommen und Großvater führte mich hoch zum Dachboden. Die Stufen der alten Treppe knarrten und bei jedem Schritt rieselte der Staub von Jahrzehnten auf unsere Köpfe. Das Treppenhaus war eng, sehr eng, ich zog wahrhaftig meinen nicht vorhandenen Bauch ein, aber Großvater mit seiner Wampe schlängelte sich mühelos nach oben. Ich leide wirklich nicht an Klaustrophobie, aber in diesem Moment dachte ich wirklich daran sie mir anzueignen. Die Treppe war steil und besaß kein Geländer, ich war zwar schon öfters bei Großvater gewesen, doch diese Treppe bin ich noch nie hochgestiegen. Er meinte, die Dielen des Bodens seien morsch, es gäbe Eulen, Mäuse, Spinnen und ich weiß nicht was noch für Eckelgetier. Damals hatte mich das ziemlich sicher von hier fortgehalten, aber heute sollte ich sogar hier hoch. Hatte er eine Grundsanierung vorgenommen, oder was? Als Großvater und ich auf dem Sims standen atmete ich tief durch und schaute runter. Wenn ich stürzen würde wäre die Chance mir nicht das Genick zu brechen relativ gering. Das Klicken des Schlosses, das Quietschen des rostigen Riegels, der zurückgeschoben wurde und das Knarren der Tür, in ihren Angeln, ließ mich meinen Blick von der Treppe lösen und wie gespannt auf die Silhouette des immer größer werdenden Türspaltes starren. Mir offenbarte sich das Bild eines großen Raumes, die Decke oder besser Dachschräge gestützt durch mehrere dicke Balken. Verhangen mit Spinnenweben und die Luft dick wie Erbsensuppe, voll Staub. Nur durch ein einzelnes, winziges Dachfenster schien etwas Licht. Die gesamte Kulisse; die wie ich fand etwas von einem mittelalterlichen Kloster hatte, wurde vollendet durch Hunderte Kisten und Kartons. „ Ach du Scheiße!“ Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht. Aber versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen. Na ja und außerdem war die Aussicht darauf sich maximal den Rücken zu verrenken, besser, als sich das Genick zu brechen, wenn ich am Fuß der Treppe zerschellte. „ Ich hoffe es ist nicht zu viel Arbeit.“ Krächzte mein Großvater. Nein, bloß nicht! Er schob mich auf den Dachboden, auf dem sich anscheinend der Staub und Krempel von Jahrhunderten angesammelt hatte. Vielleicht würde sogar, wenn ich den monströsen Schrank in der hinteren Ecke öffne, ein Skelett zum Vorschein kommen. Welches dann wahrscheinlich ein früher Geliebte irgendeiner meiner Urgroßmütter war. „ Das bloß alles heil bleibt, hörst du.“ Ich nickte geistesabwesend und wusste bereits, dass ich kein Skelett oder eine andere tote Leiche, höchstenfalls eine tote Maus, finden würde. Als die Tür, hinter Großvater mit den Worten: „ Sehr alte ehrwürdige Erinnerungen, ihnen gebührt Respekt!“, zu gefallen war, sich das Schlurfen seiner Pantoffel entfernte und das Knarren der Treppe verstummte, ließ ich mich seufzend auf einem alten Stuhl nieder und fiel prompt auf den Boden. Mein Hintern steckte im Stuhl fest, es war mir nämlich entgangen, dass der Stuhl, wie das meiste hier, nicht mehr ganz, sondern ziemlich lädiert war. Hatte sich alle Welt gegen mich verschworen, mich, das Unschuldslamm in Person, mich, die mit einem Heiligenschein geboren worden war. Ja, ich übertreibe. Höre ich ständig, muss man mir nicht sagen. Ich schloss die Augen und flehte, mit meinen eingekeilten Armen, zum Himmel, man solle mich in Ruhe lassen und das Pech auch einmal an wen anderes verteilen. Es konnte doch nicht sein, dass ich für den Rest meiner Tage so leben sollte. Als jemand der Unheil und Ungeschicklichkeit, wie magisch, anzieht. Dann begriff ich langsam das pikante an meiner Situation, jeden Moment könnte Erik kommen um mir zu helfen und ich mach mich mal wieder zum Deppen. Mein Oberkörper, mein Hintern, meine Arme und meine Oberschenkel steckten im Stuhl fest, meine Füße jedoch, meine einzige verbliebene Hoffnung, das eine Werkzeug, was mir nützlich sein konnte, baumelten gut 15 cm über den Dielen. Ich konnte gerade mal meinen Kopf bewegen, mit den Füßen wackeln und mir fiel nicht ein, wie ich mich aus dieser misslichen Lage, in der ich mich ja wohl oder übel befand, befreien sollte. In Gedanken ging ich alle meine unsinnigen Ideen durch, bis ich plötzlich Schritte hörte. Ach du Schreck. Wie wild begann ich, mit dem freien Teil meiner Beine, zu strampeln, mit dem Oberkörper, so weit es ging, nach vorne und hinter zu kippen. Der Stuhl knackte und die Schritte kamen näher. Ich wurde immer nervöser und der Stuhl wackelte immer mehr. Ich ruckelte und zuckelte, drückte, schob und strampelte, aber nichts half. In dem Moment als die Schritte innehielten und sich die Klinke senkte, kreischte ich auf. Erik öffnete die Tür, sah sich um und schaute mich verdutzt an. „Was ist denn hier los?“ Ich lag platt auf dem Boden, über mir die Reste des Stuhles. Zum zweiten Mal befand ich mich ihm zu Füßen, aber diesmal war ich gefangen. Ich wurde nicht rot und nahm auch sonst keine unnatürliche Farbe an, sondern setzte nur ein süffisantes Grinsen auf. Währenddessen krabbelte ich aus den Suhlüberresten und zog mir einen Splitter aus dem rechten Zeigefinger. „Akrobatik!“ antwortete ich, ohne ihn anzusehen und griff nach dem vordersten Karton, um mit dem aufräumen zu beginnen. „Ich glaube nicht, dass du den schaffst.“ Kam es von hinter mir. „Quatsch. Ich bin doch nicht schwach.“ konterte ich, hob den Karton hoch und ließ ihn sofort wieder fallen. Ein Schnauben hinter mir und ich drehte mich um. Der Idiot brauch gar nicht die Augen zu verdrehen, soll er es doch besser machen. „ Ist mir aus der Hand gerutscht.“ Erik grinste, ging an mir vorbei und klemmte sich die Kiste unter den Arm, als wäre sie ein Federkissen und kein 30 Kilo Karton. Angeber! „ Nimm lieber etwas kleineres und weniger zerbrechliches, wie das!“ und er deutete auf einen Korb, der mit Wollknäueln gefüllt war. „Ich bin nicht schwach!“ wiederholte ich schreiend, hängte mir den Korb lässig über den Arm und stolzierte mit hochmütigem und ernstem Gesichtsausdruck an ihm vorbei. Ein unterdrücktes Lachen und auch über mein Gesicht zog sich ein Lächeln. „ Hey, der Schmollmund kann ja lächeln.“ Meinte Erik und schaute mich fröhlich an. „ Ein lachendes Gesicht ist doch viel schöner als ein trauriges oder wütendes, nicht?“ und er lachte. Mit einer plötzlich aufflammenden Erkenntnis wurde mir klar, dass dieser Junge mir gegenüber, wirklich der kleine Kerl von früher war. Dieses Lachen war so ansteckend, mir blieb gar nichts anderes übrig. Ich musste einfach mitlachen. Vielleicht würde die Zeit hier ja doch nicht so schlecht werden. Denn Erik war eigentlich ganz nett. Ein bisschen komisch vielleicht, aber kann schon von sich behaupten „normal“ zu sein. 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