Bomb Run von KateFromHighburyPark (Eine US-Bomberbesatzung im 2. Weltkrieg) ================================================================================ Kapitel 11: Und das Heck blieb in Bremen ---------------------------------------- Davis stand neben seinem Flugzeug, Liberty Lilly, und sah nachdenklich zu den verglasten Scheiben des Cockpits hinauf. Er blickte auf die fünfzehn Striche, die ihre bisher geflogenen Einsätze markierten. Und auf die vier Balkenkreuze, die für die abgeschossenen Jäger standen. Beim letzten Einsatz, der sie nach Saint-Malo wie bei ihrem ersten Einsatz führte, war es wieder einer mehr geworden. Eine Focke-Wulf, die sich zu nahe an die Maschine herangewagt hatte. Der letzte Einsatz, Bremen, hatte Lilly übel mitgenommen, und nicht nur Lilly, auch ihre Besatzung, die sich im Moment in alle Himmelsrichtungen verstreut hatte um ja nicht auf dem Flugplatz irgendjemandem zu begegnen. Davis legte eine Hand auf den kühlen Rumpf, an dem sich überall silberne Flecken, die hingenietet wurden um die Flaklöcher zu verdecken, befanden. Sie sieht mitgenommen aus, dachte Davis. Wie ein altes treues Schlachtross. Sein Blick wanderte nach hinten zu der wieder reparierten Hecksektion. Reparieren war vielleicht das falsche Wort dafür, komplett erneuern würde besser passen. Denn immerhin war ihnen über Bremen der gesamte Heckstand weggeschossen worden. Danny hatte dabei verdammtes Glück gehabt… Die Flak über Bremen war legendär. Nun konnten sie es selbst bezeugen und mussten nicht immer nur ahnungslos lächeln, wenn ein anderer Pilot es ihnen in lebhaften Farben ausmalte. Jetzt konnten sie sagen, ja, es stimmt, Bremen war furchtbar. Es war ihr fünfzehnter Einsatz über Deutschland und es wäre beinahe auch ihr letzter gewesen. Wenn Davis daran dachte, überkam es ihn immer noch eiskalt, obwohl es schon drei Tage her war. Doch die Einsätze, die schlimmen, die Bilder die sich da in sein Hirn brannten, würde er wohl nie mehr vergessen. Er würde sie mit nach Hause nehmen, wie ein makabres Souvenir. Sofern er denn nach Hause kam. Bremen. Er sah den Himmel über dem Ziel noch immer vor sich. Die weite blaue Fläche, die sanft wiegenden weißen Quellwolken. Doch zwischen den weißen Wolken hingen schwarze Flecken. Es war, als wäre um sie herum plötzlich der Himmel explodiert. Von einer Minute auf die andere waren sie umgeben gewesen von den schwarzen Wölkchen der berstenden Flakgranaten, von hunderten Jägern, die aus dem Nichts auftauchen zu schienen. Es war während der bangen Minuten des Bombenzielanflugs geschehen, während sie mit offenen Bombenschächten und so verdammt langsam über dem Ziel hingen, dass es Davis schien, sie würden nie mehr lebend daraus hervorkommen. Und als die Flakhölle endlich hinter ihnen lag, als das schlimmste Martyrium endlich vorbei zu sein schien, stürzten sich ein paar Meilen nördlich von Bremen, schon nahe der Nordsee, eine weitere Staffel deutsche Jäger auf den Verband. Kaum hatten die anderen abgedreht ging es pausenlos weiter. Davis sah plötzlich wieder die Focke-Wulf vor sich, die frontal auf das Cockpit zukam. Ihre weiß-schwarze Propellernabe und den silbernen Kreis der Luftschraube. Und dann die kleinen Blitze vor ihren Bordkanonen, als sie feuerte. Es krachte ohrenbetäubend und das Instrumentenbrett splitterte. Es regnete Glas und Metallsplitter, er und Gunny bekamen einige davon ab, sie duckten sich. Und als sie wieder auftauchten war die Cockpitscheibe nicht mehr da und der Wind rauschte ihnen erbarmungslos ins Gesicht, riss an ihrer Kleidung, an ihren Mützen und an den Sauerstoffmasken. Und plötzlich war da überall Blut. In seinem Gesicht und auf dem Boden. Er konnte plötzlich nichts mehr sehen, wischte sich über die Augen und sah dann Gunny bewusstlos über der Steuersäule hängen. Lilly neigte sich nach vorne in den Sturzflug. Hinter ihm brüllte Thomps gegen das Pfeifen des Luftstroms an. „Skipper. Alles OK?“ Und in seinen Ohrhörern hörte er das Geschrei seiner anderen Besatzungsmitglieder. „Skip? Die Maschine liegt schief. Vor uns ist eine andere B-17!“ „Alles in Ordnung da vorne? Jungs, meldet euch!“ Davis konnte Thomps und auch den anderen nichts antworten. Er war wie erstarrt. Lilly hatte sich um ungefähr 30 Grad nach unten geneigt und lag außerdem sehr schräg, die Linke Fläche hing nach unten. Sie begannen langsam zu trudeln. Und eine schwere B-17 Fortress aus dem Trudeln wieder herauszumanövrieren, war ein Ding der Unmöglichkeit. Und dann war da plötzlich das Heck einer anderen Fortress in seinem Blickfeld. Davis riss sich zusammen, bekam irgendwie das Blut aus seinen Augen und griff nach der Steuersäule. Neben ihm hatte Thomps Gunny vom Sitz gezerrt und ebenfalls nach der Steuersäule gegriffen. Zusammen schafften sie es, Lilly an der anderen B-17 vorbeizulenken und dann wieder in eine horizontale Fluglage zu bringen. Die Männer brüllten immer noch wild durcheinander. Thomps hatte sich dem am Boden liegenden Gunny zugewandt und versuchte das Loch in dessen Schulter zu verbinden, das das ganze Blut verursacht hatte. Gunny war bei Bewusstsein und fluchte, wie er es noch nie in seinem Leben getan hatte. „Verdammte Kerle!“ Er versuchte Thomps von sich zu schieben, doch der drückte ihn zurück auf den Rumpfboden. „Ganz ruhig, Gun. Du hast einen Schock.“ „Ich hab’ keinen Schock, du spinnst doch!“ Thomps ignorierte den zeternden und fluchenden Co-Piloten und suchte in dem Durcheinander seines Erste-Hilfe-Kastens nach einer Mullbinde. Er legte die Schulter frei und sah sich das Loch an. Die Kugel hatte ihn gestreift und einen Riss hinterlassen, aus dem das Blut nur so strömte, aber sehr tief schien sie glücklicherweise nicht zu sein, nur musste sie schnell verbunden werden. Thomps zog seine Handschuhe von den Händen, legte eine Kompresse auf und wickelte den Verband darum. Dann verpasste er Gunny eine Morphiumspritze. „Was machst du da?“ fragte Gunny kritisch. „Ich gebe dir Morphium.“ „Kein Morphium!“ stöhnte er. „Ich muss Eugene beim Fliegen helfen!“ Davis wandte sich von seinem Platz zu ihm. „Ich schaff’ das schon. Lass’ Evan seine Pflicht tun und bleib dann ruhig liegen.“ Das Morphium begann zu wirken und Gunny sank mit einem Ächzen zurück. „Skip, Motor drei brennt.“ Davis blickte erschrocken nach rechts und sah wie dicke graue Qualmwolken aus dem inneren Steuerbordmotor quollen und die ersten Flämmchen über die Tragfläche züngelten. Vor ihm war gerade wieder die Focke-Wulf vorbeigeschwebt, wie ein Traumbild. Er war nervös, suchte auf seinem zerschossenen Instrumentenbrett nach dem Feuerlöschknopf für Motor drei. Fand ihn und drückte ihn. Doch es tat sich nichts. Davis schlug mit der Hand wütend gegen die Instrumente und fluchte wild. Für einen Sturzflug, um das Feuer zu löschen, war die Maschine viel zu tief. Dann plötzlich färbte sich der schwarze Rauch weiß und die Flämmchen verschwanden. Davis betrachtete die Tragfläche, ein schwarzes rauchgeschwärztes Band zierte sie jetzt. Zog sich vom Motor bis nach hinten zu den Landeklappen. „Elektrik war anscheinend ausgefallen“, erklang plötzlich Matts Stimme. „Da hast du noch mal Glück gehabt, Skip.“ „Navigator! “ brüllte Thomps in den Äther. „Schau mal einer nach Gunny. Nicht das der mir völlig wegkippt.“ Zwei Minuten später tauchte Chase auf, übernahm den halb weggetretenen Gunny. Thomps begab sich wieder in seinen Geschützturm. „Aufpassen, Heck. Jäger von sechs Uhr hoch.“ „Ich seh’ sie. Diese verfluchten Knalltüten. Denen werden wir einen schönen Empfang bereiten, dafür dass sie uns den Skip da vorne erschreckt haben und den Co-Piloten außer Gefecht gesetzt haben.“ Dann erbebte das Lillys Flugwerk von den Rückstößen der Maschinengewehre des Heck- und oberen Turmschützen. Der Jäger scherte zur Seite und zog knapp an der linken Tragfläche vorbei in die Tiefe. Er zog einen schwarzen Rauchstreifen hinter sich her. Matt sah, wie der Pilot die Haube abwarf und sich dann aus dem Cockpit der Maschine herausrollte. Kurz darauf erblühte der weiße Pilz des Fallschirms. „Ich fass’ es nicht“, erklang Dannys Stimme. „Hab ich den Kerl erwischt?“ „Hast du“, gab Matt zurück. „Und wie.“ Danny schwieg. Sein MG zeigte ein Stück nach oben. Die nächsten schwarzen Pünktchen tauchten plötzlich in seinem Visier auf. Direkt vor ihm befand sich die Schnauze einer B-17, die viel zu nah aufflog. „Sagt jemand diesen Kerlen hinter uns mal, dass sie meinen Heckstand in Ruhe lassen sollen?“ moserte Danny. „Tut mir leid, absolute Funkstille.“ „Scheiß auf die Funkstille. Hier sind eh schon überall Jäger, “ rief Danny wütend. „Ich krieg’ diese Hunnen so nicht in mein Visier.“ Er blickte nach oben. Eine Focke-Wulf rollte sich über ihre Tragfläche ab und schoss wie eine Raubvogel auf ihn zu. „Scheiße“, schrie Danny erschrocken. Der Pilot der Focke-Wulf drehte plötzlich ab, offenbar hatte er gemerkt, dass er nicht unbeschadet zwischen den Flugzeugen hindurchtauchen konnte, doch es war zu spät. In dem Moment als er seine Richtung änderte, erwischte der deutsche Jäger frontal die B-17 hinter Liberty Lilly. Danny sah, wie die Luftschraube der Focke-Wulf sich mitten durch das Cockpit fräste. Dann wandte er das Gesicht ab. Er wollte es nicht sehen. Er konnte es nicht. Nicht wie seine Kameraden in Stücke gerissen wurden. Als er die Augen wieder öffnete war die B-17 verschwunden. Ebenso der deutsche Jäger. Danny blickte nach unten. Da trudelte die todgeweihte B-17 wie ein welkes Blatt, ihre Tragfläche, glatt an der Wurzel abgerissen, schien neben ihr zu schweben. Es kam ihm vor als ob jemand die Zeit angehalten hätte. Dann krachte es plötzlich ohrenbetäubend. Er schrie auf und duckte sich. Um ihn herum schlugen Geschosse ins Heck. Trümmer und Splitter flogen wie messerscharfe Pfeile durch die Gegend. Dann sah er plötzlich durch ein Loch, groß wie ein Blatt Papier, den Himmel über sich. „Heck? Alles OK?“ Nichts wahr mehr OK. Nicht jetzt. Und es würde auch nie mehr gut sein. Seine Gedanken rasten. Er kroch rückwärts in Richtung Rumpf, nur weg von diesen Verrückten, nur weg von herumfliegenden Teilen, die nur darauf warteten sich tief in seinen Körper zu bohren. Er packte seine tragbare Sauerstoffflasche und presste sie an seine Brust, während er rückwärts kroch. Sein MG baumelte lose über dem Abgrund. Zerschossen und kaputt, wie der Rest des Hecks. Da gab es einen neuerlichen Schlag und Lilly bäumte sich auf. Danny sah entsetzt zu, wie ein halber Meter der Hecksektion einfach so im Nichts verschwand, mitsamt seinem MG. Er sah den blauen Himmel, helle Wolken, Flugzeuge und darunter in der ferne die gefleckten Wiesen der Niederlande, die sie gerade überflogen hatten. Und er sah die Nordsee. Er kämpfte sich endlich aus dem schmalen Endstück der B-17 heraus und fiel erschöpft nach hinten um, als er endlich die zwei Rumpfschützen erreichte. Matt und Curtis standen knöchelhoch in ausgeworfenen Patronenhülsen, Korditgestank schwängerte die Luft. Beide hingen gebeugt über ihren MGs und starrten angestrengt durch die Luken nach draußen. Matt drehte sich plötzlich um und erblickte Danny. „Was machst’n du hier?“ Danny keuchte. „Das Heck… ist kaputt… alles. Die Fortress hinter uns… ist weg. Einfach weg.“ „Wie weg?“ „Weg eben. Mitten durchgesägt von so einem verflixten Hunnen.“ Danny riss sich wieder zusammen und fuchtelte wild mit den Händen. „Er hat sie mitten im Cockpit erwischt. Die armen Schweine hatten keine Chance.“ „Hinter uns war Chirpy Mary“, sagte Curtis leise. „Die Jungs aus unserer Hütte.“ Danny sah ihn mit einem entsetzten Gesichtsaudruck an. Er versuchte vergeblich nicht daran zu denken, wie knapp er selbst gerade dem Tod entronnen war. Was, wenn er nicht reflexartig rückwärts gekrochen wäre? „Wenn ich übernehmen soll, sag’s einfach.“ Er schob die Gedanken an das, was gerade eben geschehen war, weit von sich. Curtis nickte ihm zu, machte aber keine Anstalten ihn an sein Bordgeschütz zu lassen. Trotz dem seine Hände beinahe taub waren und er nur noch verschwommen sah, von den beißenden Korditdämpfen der Maschinengewehre. Kurz darauf war der Himmel wie leergefegt. Sie befanden sich endgültig über der Nordsee. Auf dem Heimweg. Nicht mehr über den besetzten Niederlanden, wo noch einzelne deutsche Flakschützen versuchte hatten erbarmungslose Ernte zu halten. Aber keine deutschen Maschinen schwirrten mehr herum. Und der Verband B-17, oder das was davon noch übrig war, zog zerschossen und seine Wunden leckend der Heimat entgegen. Davis schreckte auf, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. „Alles in Ordnung?“ fragte Danny. „Das Gleiche könnte ich dich fragen. Du hättest es wohl nötiger,“ erwiderte Davis. „Mir geht’s gut.“ Danny war zwar ein wenig bleich um die Nase, sah aber um einiges besser aus, als direkt nach dem aussteigen. Er griff in seine Hosentasche, fand eine Zigarette und zündete sie sich an. Sein Blick wanderte von Liberty Lilly über das Flugfeld, bis hin zu ihrer Baracke, wo sein gedankenverlorener Blick hängen blieb. „Es ist jetzt ganz schön leer da drinnen…“ „Es wird nicht lange so bleiben“, sagte Davis leise. „Dafür sorgen die Kommandeure schon. Spätestens morgen ist es wieder voll.“ Danny gab ein verächtliches Grunzen von sich und sah Davis mit vor Wut blitzenden Augen an. „Wie können sie nur ewig so tun, als wären wir unverwundbar? Als hätten wir tausende Flugzeuge zur Verfügung? Als wären wir einfach ersetzbar?“ „Einfach, weil wir ersetzbar sind“, sagte Davis leise und blickte in den grauen Himmel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)