Bomb Run von KateFromHighburyPark (Eine US-Bomberbesatzung im 2. Weltkrieg) ================================================================================ Kapitel 20: Er oder ich ----------------------- Sachte wiegte er den Apfel in seiner Hand hin und her, betrachtete die rot-gelbe Frucht langsam von allen Seiten, so als könne er nicht glauben, so etwas in der Hand zu halten. So etwas Einfaches. Wenn doch nur alles so einfach wäre… Langsam lehnte Verge den Kopf an den Baumstamm, an dessen raue Rinde er schon geraume Zeit gelehnt saß und starrte ins dichte Laubgeflecht über ihm. Die Sonne zeichnete Kringel und Muster auf den weichen Grasboden und er ließ langsam den Handrücken hindurch streichen. Dann nahm er einen Bissen von der knackigen Frucht und kaute genüsslich und langsam. Irgendwo muhte eine Kuh, eine Stimme rief etwas und dann hörte er lautes Lachen. Als er seinen Kopf etwas reckte, erkannte er Chase und Erica, die an ein Weidegatter gelehnt standen und ihm den Rücken zukehrten. Sie hatten ihn nicht bemerkt. Und Verge war froh darüber, denn er kämpfte mit der Erinnerung an den letzten Einsatz. Frankfurt. Der Name einer Stadt, und gleichzeitig für ihn etwas, das er nie vergessen würde. Er hatte dem Mann in dem deutschen Jäger in die Augen sehen können, als er ihn abschoss. Es waren dunkelgraue Augen gewesen, die Haare braun und schauten etwas lockig unter der Fliegerhaube hervor. Verge fragte sich unwillkürlich, wieso der deutsche Flieger keine Sonnebrille getragen hatte. Langsam ließ er den Blick von Chase und Erica über das dichte grüne Laub gleiten und dann fielen ihm die Augen zu. Er konnte das tiefe Dröhnen der Motoren bis tief in ihn hinein spüren. Bis tief ins Mark. Durch Mark und Knochen und Eingeweide. Und es schien ihn wieder einmal in seinen Grundfesten zu erschüttern. Doch nie zuvor hatte er darüber nachgedacht, was in der nächsten Minute passieren konnte. Doch dieses Mal tat er es und danach schien ihn das Schicksal so grausam deshalb zu bestrafen. „Aufpassen, vorn im Cockpit! Die kommen auf euch zu wie ein wütender Bienenschwarm!“ „Wir sehen sie, Thomps, keine Sorge.“ Davis klang verdächtig ruhig. Und dann schüttelte eine Salve aus Gorskys MG das Flugzeug durch, wie eine Hausfrau, die ihre Teppiche ausklopfte. Nur, dass der Staub, der aus dem Teppich fallen sollte, hier die MG-Hülsen waren, die jetzt den Boden rund um Gorskys Füße bedeckten. Knöchelhoch stand er darin, schlug mit einem Fuß eine Schneise hinein, um wieder einigermaßen fest zu stehen. Der Propellerstrahl des vorausfliegenden Flugzeugs erwischte Lilly II und ließ sie ein Stück aus ihrer Flugbahn weichen und zur Seite scheren. Liberty Lilly II, ihre neue Maschine. Ein Prachtstück von einer B-17. Allerdings nicht die Alte, was Eugene Davis, dem Skipper, mächtig zu stinken schien. Er behandelte die Maschine nicht schlecht, nein. Aber er schien sich selbst gram zu sein, dass er seine Tour nicht auf der ersten Maschine zu Ende fliegen konnte. Aber Lilly II schien ihrem Skipper ebenfalls nicht böse zu sein und trug ihre Besatzung durch den Himmel, so ruhig wie ein gutmütiger Ackergaul. Ein schneller Ackergaul, dachte Verge und grinste in seine Sauerstoffmaske. Dann fuhr er mit der Zunge über seine Frontzähne und versuchte, den gummiartigen Geschmack von seiner Zunge zu verbannen. Er schluckte mühsam und ließ seinen Blick dann wieder durch den Himmel wandern. Wolkenfetzen schossen vorbei, es war ein schöner Sommertag und der Himmel nur von wenigen kleinen Quellwolken bedeckt. Nur wenn die Maschine sich hob, der Rumpf sich über den Horizont schob, konnte Verge sehen, dass sich weit im Süden hohe Wolkenambosse auftürmten. Gewitterwolken. Aber sie befanden sich bereits fast im Zielanflug, es würde sie also nicht betreffen. Lilly II ruckelte leicht, als einer der oberen Schützen wieder eine Salve abgab und dann flogen plötzlich dunkle Fetzen von Metall an Verge vorbei. „Was ist passiert?“ fragte er durch das Intercom. „Irgendwer hat gedacht, er muss unser Heck anschießen“, gab Danny zur Antwort. „Heckschütze, alles okay?“ fragte Davis, er klang besorgt. Seit der Episode mit Bremen, war er immer darauf bedacht, zumindest jede Viertelstunde seine Besatzungsmitglieder anzufunken, ob noch alle vorhanden waren. „Klar, er hat mich gesehen und dann hat er daneben gezielt und nur unsere gute alte Heckflosse durchlöchert.“ Danny klang etwas verzerrt und Verge dachte, er bilde sich ein, dass seine Stimme ein wenig zitterte. „Dann rächen wir uns eben an den Kerlen“, meinte Gorsky einfach. Es sollte schneller dazu kommen, als Verge gedacht hatte. Sie flogen Frankfurt an, warfen die Bomben mittenhinein, und der ganze Verband wendete. Es waren wenige Jäger am Himmel, aber das konnte täuschen. Verge drehte seinen Kugelturm hin und her und hielt weiter wachsam Ausschau. Wie lange konnte das noch so still sein? So verdächtig still. Er hörte mit halbem Ohr zu, wie Thomps, Danny und Curtis sich gegenseitig Positionsangaben von feindlichen Jägern zuwarfen. Anscheinend waren sie nun doch gekommen. Verge sah unter sich wieder Felder, Straßen und diverse andere Flecken vorbeiziehen. Ein kleiner hell glänzender Punkt kreuzte sein Sichtfeld und wurde größer. Der Punkt zog langsame Schlaufen, schraubte sich in die Höhe wie ein Falke. Schnell wurde ein kleines Kreuzchen daraus und Verge griff nach dem Hebel, um das MG auszulösen. Er schwenkte sein Geschütz nach links und dann war der Punkt plötzlich weg. Er atmete langsam aus. Sein Blick schweifte weiter, doch er konnte ihn nicht mehr ausmachen. „Hey, da sind welche von uns. Mustangs!“ Verge hörte es nur halb, denn plötzlich erscholl ein Alarmschrei von Danny. „Der Hund kommt von schräg unten. Verge, hol ihn dir!“ Verge schwenkte den Turm um 180 Grad und fand sich Auge in Auge mit dem fremden Jagdflieger. Eine Focke-Wulf 190, sie hatte eine dicke bullige Schnauze durch ihren Sternmotor, und er konnte die messerscharfen Propellerblätter silbern glänzen sehen, als die Maschine auf ihn zupflügte. Alles geschah im Bruchteil von Sekunden. Er schaute dem Piloten direkt ins Gesicht, ein junges Gesicht, wahrscheinlich in seinem Alter. Er hatte Abdrücke von seiner Fliegerbrille rund um die Augen, und diese waren etwas zugekniffen, als er ihn anvisierte. Verge hatte den MG-Hebel in der Hand, stieß den Atem aus, dann feuerte er. Der Kugelturm erzitterte, Verge sah die Leuchtspuren eine feurige Bahn zeichnen, genau auf die Focke-Wulf zu. Er hatte gut gezielt. Verge sah, wie die Augen sich weiteten, als die MG-Geschosse in den Motor fetzten. Liberty Lilly II wurde rüde hochgeworfen, als der Jäger explodierte. Verge hatte die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, sah, wie brennende Teile nach unten regneten. Es war nichts übrig außer Fetzen von Metall und einem zerrissenen jungen Körper. Er schloss die Augen, um nicht vor Grauen zu schreien und versuchte sich einzureden: Er oder ich. Und dieses Mal hatte er gewonnen. „Du hast ihn erwischt, Verge? Dicke Explosion, “ Matt klang wahrlich beeindruckt. „Ja.“ Er krächzte als gehöre seine Stimme nicht zu ihm. „Glückwünsch, Junge! Und jetzt schauen wir zu, dass wir heimkommen, “ sagte der Skipper. Lillys Motoren röhrten gleichmäßig, und als er nach oben schaute, erkannte Verge ein paar silberne kleine Metallsplitter, die in ihrem Bauch steckten. Er schreckte auf, als irgendetwas ihn am Arm kitzelte und riss erstaunt die Augen auf, als er sich Auge in Auge mit einer Ziege wiederfand. Er lag flach auf dem Boden, musste, als er eingeschlafen war, nach unten gerutscht sein. Die Ziege schleckte an seinem Arm und knabberte dann am Ärmel seiner Uniformjacke herum. Er zog ihn ihr aus dem Maul und streckte ihr stattdessen seine Hand entgegen, die sie begeistert abschleckte. Es war eine grau-weiß gescheckte Geiß mit einem dicken Euter. Verge vermutete, dass irgendwo wohl ein Zicklein sein musste. Er richtete sich langsam auf und sah, dass Chase und Erica mittlerweile vor dem großen Bauernhaus der Winterbotham-Farm saßen, eng umschlungen. Verge widmete sich wieder der Ziege und dabei verblassten die letzten Bilder, die ihn noch aus seinen Träumen verfolgten. Er schaute über die sommerlich grüne englische Landschaft und atmete tief ein und aus. Von irgendwoher drang Motorensurren an sein Ohr, doch vor morgen früh würden zumindest von Donthorpe keine Flugzeuge mehr starten. Als sie nach Hause gekommen waren, hatten die Mechaniker gleich verkündet, dass vielleicht sogar die nächsten Tage keine Einsätze geflogen würden, weil sich schwere Gewitter über Deutschland befanden. Verge stand auf und machte sich mit seiner neuen Freundin auf den Weg zum Bauernhaus. Chase und Erica bemerkten nicht, wie er durch die Tür in die Küche trat. Sie waren miteinander beschäftigt. Verge grinste in sich hinein, als er auf Meggie traf, die ihn prüfend ansah. „Alles in Ordnung?“ Verge nickte und murmelte leise, immer noch von den Traumbildern gefangen: „Er oder ich.“ „Was?“ fragte Meggie verdutzt, doch Verge winkte ab. „Ist schon gut, ich rede nur so vor mich hin.“ Meggie war nicht überzeugt. „Du bist blass, Junge. Setz dich doch ein bisschen hin.“ Sie ging mit ihm nach draußen und sie setzten sich in den kleinen Garten, wo Meggie ihr Gemüse hütete, wie andere Leute ihr Geld hüten würden. Die Ziege folgte ihnen munter. „Wo hast du denn die Geiß aufgelesen?“ fragte Meggie. „Normalerweise ist sie mit den Kühen auf der Weide. Und mit ihrem Zicklein.“ Er zuckte die Schultern. „Sie war auf einmal da.“ Meggie lachte. „So wie du damals, du warst auch auf einmal da.“ Verge lächelte sie an und fühlte sich an seine Mutter erinnert und plötzlich wallte das Heimweh auf, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. „Sag einfach, was dich bedrückt.“ Meggie lehnte sich zurück. „Wir haben Zeit, Sam kommt erst spät zurück.“ Und Verge erzählte ihr von dem Einsatz, schaute zu wie Meggies Gesicht solch unterschiedliche Emotionen widerspiegelte, sodass sein Gewissen ihn plagte ihr überhaupt davon erzählt zu haben. Dann nahm sie seine Hand und strich darüber. „Es ist alles in Ordnung, Junge. Du bist hier. Diese Schlacht hast du gewonnen.“ Und Verge hoffte, er würde sie alle gewinnen, solange bis er endlich wieder zuhause war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)