Catrek-Chronik von Ace_Kaiser (Abenteuer in einer Fantasy-Welt) ================================================================================ Kapitel 2: Conrad 2 ------------------- Das Fürstentum Roem war schon seit jeher eine der friedlichsten Ecken in dieser rauen, von Menschen, Göttern und Dämonen beherrschten Welt gewesen. Manche sagten, diese Ruhe und diesen Frieden, ja seinen Wohlstand, verdankte das kleine Reich Schloss Catrek. Weil die besten Lehrmeister Roems, teilweise der gesamten bekannten Welt, hier versammelt waren um die zukünftigen Herrscher und Minister der Zukunft auszubilden, hielten die umliegenden Reiche still und überrannten das kleine Land nicht, so lautete die allgemeine Meinung. Aber das war nur einer der Gründe. Ein wesentlich Wichtigerer war der kleine, schlagkräftige und sehr gut ausgebildete Elitekader, der die Armee des kleinen Landes bildete. Doch hierin lag auch der größte Nachteil der Armee. In einer offenen Feldschlacht waren die Ritter und Krieger Roems in der Lage, jeden Feind zu bezwingen. Aber sobald sie aufgesplittert wurden waren sie verwundbar. Leider kam dies immer wieder einmal vor, weil sich oft genug Situationen ergaben, in denen nicht das gesamte Heer mobilisiert werden musste oder sogar konnte. In solchen Fällen wurde zumeist eine gemischte Truppe ausgehoben, bestehend aus Rittern, Phalanx-Soldaten, Plänklern, Magiern und Bogenschützen, um für jede Eventualität gewappnet zu sein. Und manchmal wurde einer solchen Armeegruppe eine Abteilung Kadetten der Burg Catrek zur Seite gestellt. Offiziell, damit die jungen Menschen ihre auf der Burg erworbenen Fähigkeiten testen konnten, weshalb jeweils nur Kadetten des fünften Jahrgangs ausgesandt wurden. Inoffiziell aber, um mit ihrer Kampfkraft ein wenig unbesoldete Entlastung für die Armee zu ermöglichen. Dennoch sah es jeder Kadett der Burg als große Ehre an, für solch einen Einsatz ausgesucht zu werden, immerhin ermöglichte er es jedem einzelnen, in der Realität zu testen, was er in der Theorie erworben hatte. Als Conrad Waldek, Jahrgangssprecher des fünften und damit letzten Jahres auf Catrek zum Direktor gerufen wurde, hatten in den Mauern der Burg schon genügend Gerüchte über erhöhte Piratenaktivitäten an der Küste kursiert, um ihn ahnen zu lassen, worum es Baron Hygar Davon gehen würde. Als er anklopfte, wurde er sofort hinein gebeten. Dort saß er also, der vierhundert Jahre alte Kommandeur der Schule. Er war ein Dämon, der schon vor ewig langer Zeit nach Roem gegangen war, und hier in der neutralen Schule sein Wissen und sein Können zur Verfügung stellte. Wie alle Dämonen war er langlebig und ewig jugendlich, wenngleich er mit vierhundert nicht wirklich mehr der Jüngste war. Aber das sah man dem langen weißen, auf die Schultern fallenden Haar, den strahlenden tiefroten Augen und der schneeweißen, faltenlosen Haut nicht an. Wer ihn sah, musste ihn bestenfalls für dreißig halten, und das wäre bereits eine Beleidigung gewesen. Der Direktor war nicht allein. An der rechten Wand lehnte ein Ritter in der für Roem so typischen Plattenrüstung aus flexiblen Segmenten, welche sie so unüberwindbar machte. Er trug lediglich ein Kurzschwert am Gürtel, den Helm hatte er abgelegt und die Augen geschlossen. Allerdings erkannte Conrad schnell, dass dieser Mann ein Gott sein musste. Götter waren nicht ganz so langlebig wie Dämonen, aber wurden immer noch weit älter als Menschen und blieben dabei ebenfalls lange Zeit jung. Abzeichen und dergleichen fehlten auf der Rüstung, sodass Conrad das Alter des anderen nur schätzen konnte. Vielleicht war er vierzig, eventuell älter. Ein Blick in die Augen hätte ihm vielleicht mehr verraten. „Genug Neugierde gezeigt, Kadett Waldek“, mahnte der Direktor. Durch Conrad ging ein Ruck. „Verzeihung. Ich melde mich wie befohlen, Direktor Davon.“ Der Dämon lächelte freundlich, beinahe schon fröhlich, und genau das verursachte Conrad eine Gänsehaut. „Mein lieber guter Conrad. Es ist mir eine ganz besondere Freude, dir Major Azet vorzustellen. Ihm untersteht das Schnelle Gemischte Neunte Bataillon.“ „Azet?“, echote Conrad und versuchte im Gesicht des Majors Ähnlichkeit zu seinem stellvertretendem Sprecher Torandil Azet zu erkennen. Tatsächlich erinnerte ihn einiges an den Gott, mit dem er so gut befreundet war. „Livon Azet“, half der Major aus und öffnete die Augen. Ja, die wirkten schon eher wie die von Torandil, wenngleich sie Bernsteinrot waren, und nicht das intensive grün von Torandil hatten. „Es freut mich, dich kennen zu lernen, Jahrgangssprecher Waldek.“ Conrad verneigte sich leicht in Richtung des Majors. „Die Freude ist auf meiner Seite. Immerhin lerne ich einen Verwandten meines Freundes Torandil kennen.“ „Ach ja, stimmt, du lernst mit meinem Neffen Dritten Grades zusammen. Wie erfreulich.“ „Der Major“, sagte der Direktor und zog damit die Aufmerksamkeit wieder auf sich, „ist aus einem bestimmten Grund hier. Es...“ „Es geht um die Piratenaktivitäten. Burg Catrek stellt eine Unterstützungskompanie aus Kadetten des letzten Jahrs zusammen und begleitet das Neunte Bataillon bei der Mission, welche die Vernichtung der Piraten zum Auftrag hat. Bei dieser Gelegenheit sollen die besten Absolventen ihre tausendfach geschliffenen Fähigkeiten trainieren und zur Vollendung bringen. Falls es zu Kämpfen kommt“, sagte Conrad mit sachlicher Stimme. „Falls es zu Kämpfen kommt“, bestätigte der Direktor. „Er ist vorlaut“, stellte Azit fest. „Das gefällt mir irgendwie.“ Der Gott stieß sich von der Wand ab. Er war einen halben Kopf größer als Conrad, und diesen Vorteil nutzte er aus, um von oben auf ihn herab zu sehen. Sein Blick wurde böse, geradezu düster. „Ich hoffe, das beschränkt sich auf dieses Büro, Junge!“ „Na, Na“, mahnte der Direktor. „Conrad ist nicht nur Jahrgangssprecher, er ist auch einer der besten Schüler und Anführer hier. Hätte er auch noch Talent für Magie müsste ich ihn öffentlich verbrennen lassen, denn ein so gutes Individuum darf es eigentlich nicht auf dieser Welt geben. Ich bin sicher, er wird auf Sie hören, Azet. Und er wird seine Sache als Anführer der Kadettenkompanie gut machen.“ „Anführer?“, argwöhnte Conrad und sah zum Direktor herüber. „Ich? Übernimmt nicht normalerweise ein Offizier Roems das Kommando über die Kadetten?“ Leider sah Conrad nicht Azets Reaktion, der sich ignoriert fühlte und beinahe in Tränen ausbrach. So eine raue Behandlung teilte er normalerweise selbst aus, sie zu erhalten war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn. Zudem war sich Conrad nicht einmal dessen bewusst, dass er sie gerade erteilte. „Ja, Conrad Waldek. Du wirst die Kompanie anführen.“ Der Direktor zog die Stirn kraus. „Du wärst sowieso der einzige, auf den sie hören würden. Mirk wird dein Stellvertreter, und Torandil die Nummer drei. Ihr werdet drei Züge mit je zehn Kadetten bilden. Jeder von euch dreien steht einem Zug vor. Zudem bekommt ihr fünf Magier mit. Das sind beinahe zwei Fünftel der Kadetten des Abschlussjahrgangs. Ich hoffe, du behandelst sie pfleglich.“ Conrad runzelte die Stirn. „Es kommt nicht darauf an, wie ich sie behandle. Es kommt darauf an, wie der Kampf sie behandelt. Wobei ich sicherlich mein Bestes geben werde, um sie alle sicher zurück nach Catrek zu bringen.“ Er sah zurück zu Major Azet, der sich sofort straffte und ernst drein blickte. „Und ich bin sicher, Sie ebenso, Major.“ „Ich neige eher dazu, Dinge die mir ein Klotz am Bein sind, zurück zu lassen“, erwiderte der Offizier so kühl wie er konnte. „Oh. Heißt das, ich habe Entscheidungsfreiheit?“ „Nun ist aber genug, Conrad. Stell dir deine Kompanie zusammen und such dir deine Magier aus. Ich erwarte die Liste bis zum Mittag, ausgerückt wird morgen früh. Ausführung!“ Conrad nahm Haltung an, dann verbeugte er sich vor dem Direktor. Danach wiederholte er die Geste vor dem Gott, allerdings nicht annähernd so lange. „Er ist schlau, verdammt schlau. Bissig, gewitzt und schnell da oben“, “, raunte Azet unzufrieden und tickte sich an die Schläfe. „Alles Eigenschaften, die er eines Tages brauchen wird, oder?“, erwiderte Davon schmunzelnd. Dies ließ auch ein Schmunzeln über Azets Gesicht huschen. „Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass es dieses „Eines Tages“ geben wird, Hygar. Im Gegenteil. Ich glaube, er wird an dieser Aufgabe scheitern und in Schimpf und Schande heim kehren.“ „Möchtest du vielleicht drauf wetten, alter Freund?“, fragte der Dämon lauernd. „Ich würde ohne weiteres zwanzig Goldstücke auf ihn setzen.“ „Es wäre wert, dieses Gold zu verlieren, wenn er mehr ist als er jetzt für mich scheint“, erwiderte Azet nachdenklich. „Heißt das du nimmst die Wette an?“ „Ich wette nicht mehr mit dir!“, rief der Major ärgerlich. „Das letzte Mal musste ich danach einen Offiziersposten in Roem annehmen!“ „Und du hast es nie bereut“, erwiderte der Direktor mit der Stimme einer satten, fetten Katze. „Zugegeben“, brummte Azet leise. Die beiden musterten sich und begannen zu lachen. *** Die Szene, die sich ein paar Minuten später im Gebäude der Wirtschaftswissenschaften abspielte, hatte etwas dramatisches. Das fanden zumindest Torandil und Mirk, die unfreiwillig Zeugen wurden. Conrad marschierte mit störrischer Miene durch die Gänge, in der Hand eine Liste, auf der er schon siebzehn von achtunddreißig Namen abgehakt hatte. Ihm folgte dicht auf Selestin Northim, Göttin, erklärte Magierin und seit einem guten Monat offiziell besiegelte Freundin des Jahrgangssprechers. „Ich komme mit!“, rief sie eifrig. „Ich habe keine Ahnung, wie du so schnell erfahren konntest was hier passiert, aber du kannst nicht mitkommen!“, erwiderte Conrad ohne sich um zu drehen. „Du sollst fünf Magier mitnehmen, oder? Ich bin Feuermagier, und das prädestiniert mich für eine Angriffsstreitmacht. Ich kann außerdem sehr gut führen und habe in all meinen Magiekursen die besten Noten. Conrad, du brauchst mich.“ „Nein, Selestin, du bleibst hier.“ „Wenn du glaubst, ich lasse mich ausgrenzen, nur weil ich deine Freundin bin, dann...“ Conrad wandte sich um, blieb abrupt stehen und fing Selestin auf. Er sah ihr tief in die Augen. „Ja, du bist meine Freundin. Und darin liegt das Problem. Ich habe die Verantwortung für siebenunddreißig Mitkadetten, aber wenn du uns begleitest, dann sind all meine Gedanken, meine Gefühle, ja, alle meine Blicke nur auf dich gerichtet. Ich könnte sie alle verlieren, nur weil ich an dich denke.“ „Oh, Conrad“, hauchte die Göttin. Man konnte beinahe zusehen, wie sie dahin schmolz, während sie in den strengen, und dennoch von Liebe erfüllten Augen des Menschen versank. „Das war es dann wohl. Ausgeknockt in der ersten Runde“, murmelte Torandil belustigt. Mirk hielt ihm ein Silberstück hin. „Wetten, das sie es doch noch schafft?“ Der Gott grinste über das ganze Gesicht und griff nach der Münze. „Dein Geld bist du los, Dämon. Das weißt du hoffentlich. Von dem Schlag erholt sich Selestin nicht mehr.“ „Conrad, das ist ja so lieb von dir. Ich fühle mich... Ich fühle mich so leicht, so geborgen, so wundervoll. Es ist so schön zu hören, zu spüren, wie sehr du mich liebst.“ Sie hob die Rechte und legte sie sanft auf sein Gesicht. Dabei stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihren Freund zu küssen. „Heißt das, du akzeptierst ausnahmsweise mal meine Meinung und bleibst hier?“ Eine düstere Wolke des Ärgers zog durch ihre klaren Augen, und die eigentlich liebevoll auf sein Gesicht gelegte Hand erdreistete sich, seine Wange schmerzhaft zu kneifen. „Das heißt, ich komme trotzdem mit. Einer muss ja auf dich aufpassen. Das kann ich ja nicht diesen beiden Traumtänzern da drüben überlassen.“ „Wie fies“, ächzte Mirk bei diesem Kommentar. „Traumtänzer? Das haben wir nicht verdient“, fügte Torandil hinzu. „Wie dem auch sei. Du brauchst einen Anführer für die Magier, und ich bin die beste. Außerdem wirst du als zukünftiger... Minister lernen müssen, oft genug persönliche Gefühle zurück zu stellen und das Richtige zu tun. Dies ist in diesem Fall, mir die Magier zu geben.“ Langsam ließ sie seine Wange los, was Conrad mit einem Aufatmen registrierte. „Außerdem werde ich dich mit einem Feuerball über das Meer schicken, wenn du es wagst, die anderen in der Kompanie nur für mich zu vernachlässigen. Ich meine, das wäre wirklich süß von dir, aber nicht sehr professionell. Und es würde alles verraten, was wir hier auf Catrek gelernt haben.“ Sie stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und küsste die von ihr lädierte Wange. Dabei zog sie die Hitze aus dem Fleisch und bannte damit den Schmerz. „Ich gehe dann mal meine Magier zusammen zu stellen.“ Mit diesen Worten wandte sich Selestin um und ging. Allerdings blieb sie an der nächsten Ecke stehen, wandte sich noch einmal um, lächelte so, wie es ein normales, verliebtes und liebenswertes, weniger brutales Mädchen getan hätte, und warf Conrad einen Handkuss zu bevor sie verschwand. „Sie liebt dich“, stellte Torandil fest. „Ich habe noch nie erlebt, dass sie bei einem anderen so Butterweich war und ihre eigenen Wünsche derart zurückgestellt hat.“ „Das nennst du weich?“, raunte Mirk. „Und das nennst du Wünsche zurückstellen? Von welcher Insel kommst du eigentlich?“ „Von Turen, das solltest du eigentlich langsam wissen, Mirk“, scherzte der Gott. „Und das war für Selestins Begriffe wirklich weich und zart. Und sie macht sich Sorgen um Conrad, sonst hätte sie sich nicht darum gedrängt, die Magier zu übernehmen. Normalerweise hätte sie sich zehn mal bitten lassen oder wenigstens eine ansprechende Aufgabe verlangt, um überhaupt Interesse zu entwickeln.“ Torandil knuffte Conrad gegen die Schulter. „Du tust ihr wirklich gut, finde ich.“ „Und sie tut mir gut.“ Gedankenverloren rieb er sich die Wange, die sie geküsst hatte. „Und deshalb will ich sie nicht in Gefahr bringen.“ „Aber sie hat Recht. Wir alle werden lernen müssen, dass persönliche Gefühle zum Wohle aller manchmal zurück zu stehen haben“, sagte Mirk. Er griff mit beiden Armen zu und legte einen um Conrads Hals und einen um Torandils Schultern. „Allerdings betrifft das nicht unsere Freundschaft. Oder, Jungs?“ „Oh, ich würde dich jederzeit sterbend an einem schmutzigen Strand zurücklassen, wenn ich mein Leben retten muss“, scherzte Torandil. „Wie fies“, murmelte der Dämon deprimiert. „Und meine Rasse soll gemein und hinterhältig sein?“ „Aber ich würde mit einer Armee zurück kommen, dich rächen und dir ein wirklich schönes Grabmal bauen.“ „Das tröstet mich jetzt auch nicht mehr. Conrad, Torandil ist gemein zu mir!“ „Kindsköpfe!“, tadelte Conrad rau. „Wo ihr doch beide genau wisst, dass ihr eher sterben würdet, als den anderen irgendwo zurück zu lassen.“ Mirk sah Torandil ernst an. „Er kapiert es nicht, oder? Er kann nicht mal bei einem harmlosen Scherz mitmachen.“ „Gemach, Gemach. Er hat gerade erst gelernt was Liebe ist. Scherze zu verstehen und zu machen bringen wir ihm nächsten Monat bei.“ „Ihr macht mich fertig“, stöhnte Conrad. Die beiden Freunde grinsten sich an. „Das war der Plan, furchtloser Anführer.“ Conrad schüttelte fassungslos den Kopf. Und das waren die beiden besten Freunde in seinem Leben. *** Sie brachen am nächsten Morgen in voller Reiterei-Rüstung unter dem Jubel der Schüler der anderen Jahrgänge und unter den neidischen Blicken jener Absolventen des letzten Jahrgangs, die nicht ausgewählt worden waren, aus dem Burghof auf. Sie hatten die am besten ausgebildeten Pferde der Burg erhalten, und ein großer Planwagen mit Vorräten, Zelten und was man sonst noch brauchte, wenn man mitten in der Wildnis campierte, begleitete sie. Der Fahrer war ein grobschlächtiger, grimmiger Bursche, der Fragen mit einem Knurren beantwortete und Anweisungen mit eindeutigen Gesten erteilte, die deutlich machten, dass er es nicht gewohnt war, dass ihnen nicht Folge geleistet wurde. Conrad ritt voran, neben ihm Mirk als sein Stellvertreter, dahinter folgten Torandil und Selestin. Der Trubel war beachtlich, aber verständlich. Es ging ja nicht um die Invasion eines anderen Staates, nicht um einen Angriff zur See, sondern nur um Piraten. Und die waren als Feinde Allgemeingut. Keiner der Kadetten der Burg musste also dabei zu sehen, wie Kommilitonen ausrückten, um die Soldaten seines eigenen Landes zu bekämpfen. Von Burg Catrek zogen sie weiter zur nahen Hafenstadt Kuvris. Dort empfing sie bereits das Neunte Bataillon mit Major Azet an der Spitze. Sie setzten sich zusammen aus Berittenen, Phalanx-Soldaten, Plänklern, Bogenschützen, Zimmerleuten, Schmieden und Magiern. Viele von ihnen waren Reservisten, die dann und wann dem Ruf des Fürsten folgten, um sich unter der Fahne einzufinden. Wesentlich öfter war es, dass sie zusammen trainierten und ihre Künste verfeinerten. Erst das machte aus Roems Armee eine derart unschlagbare Truppe. Übermächte brauchte sie nicht zu fürchten. Kein offener Schwertstreich konnte diese Armee ernsthaft treffen. Es waren bestenfalls die Dolchstöße von hinten, in den Rücken, im Geheimen, die ihnen Sorgen machen mussten. Conrad ließ seine Gruppe anhalten und ritt nur mit Mirk vor zum Anführer der Truppe. „Major Azet, ich melde die Kadetten-Kompanie von Burg Catrek vollständig angetreten.“ Der Gott indes musterte Mirk interessiert. „Ein Dämon? Hoffst du auf eine Extraportion Menschenblut?“ Conrads Hand lag Gedankenschnell auf Mirks Schulter. Diese Geste genügte, um den jungen Burschen, der kurz vor einer Explosion stand, in Zaum zu halten. „Entschuldigen Sie, Major Azet, aber Mirk trinkt nur das Blut von hübschen Jungfrauen. Ich bin sicher, dass wir bei den Piraten auf niemanden treffen, der dieser Definition entspricht. Verzeihen Sie also, wenn sich mein Stellvertreter über die entgangene Mahlzeit ärgert.“ „Keine Jungfrauen unter den Piraten, eh?“, rief der Major und begann zu lachen. Er musterte Mirk eine Zeit lang und nickte schließlich. „Gut, gut, Dämon, probieren wir es mit dir und deinesgleichen. Die Kadetten-Kompanie gliedert sich hinter meiner Reiterei ein, Conrad Waldek. Du wirst für die Zeit des Einsatzes der Hauptmann sein, deine drei Unterführer werden deine Leutnants. Dieser hier, der Dämon, wird Oberleutnant und wird dich ersetzen, falls du fällst. Falls er nicht lieber dein jungfräuliches Blut säuft“, bemerkte der Gott anzüglich. „Außerdem ernenne noch jeweils einen Unterführer für fünf Mann im Rang eines Korporals.“ „Ich habe verstanden“, sagte Conrad und führte sein Pferd zurück, um die entsprechenden Befehle zu geben. „Du bist nicht explodiert, als er gemeint hat, du würdest eher mein Blut trinken als den Befehl zu übernehmen. Warum nicht, Mirk?“ „Was? Oh, ich war nur maßlos erstaunt, weil er wusste, dass du Jungfrau bist.“ Conrad Waldek errötete bis unter die Ohren. „Ist das vielleicht ein Fehler?“ „Keine Sorge, mir ist es egal, und Blut trinke ich sowieso nicht“, beschwichtigte der Dämon. „Aber wie hat er es nur raus gefunden?“ Der junge Mensch errötete erneut. „W-was weiß ich! Geraten hat er es, und ich Idiot gebe dir auch noch einen Tipp!“ „Oh, du siehst ja richtig süß aus, wenn du jungfräulich errötest, Conrad“, säuselte der Dämon. Er hob den rechten Arm und winkte zu den Kadetten herüber. „Hey! Wir sollen uns hinter der Reiterei einordnen!“ Conrad beugte sich zu ihm herüber und sah ihn so düster an, als wäre er für diesen Blick bei Selestin Northim in die Schule gegangen. „Kein Wort, Mirk, hörst du? Zu niemandem, klar? Vor allem nicht zu Torandil und Selestin!“ „Ich werde doch keine Jungfrau verraten!“, erwiderte der Gott entrüstet. Niedergeschlagen ließ Conrad den Kopf sinken. „Ich gebe es auf.“ *** Für den weiteren Ritt innerhalb der Kolonne wechselte Mirk an den Abschluss der Kadettenabteilung und nahm Torandil nach hinten. Offiziell, damit Conrad etwas Zeit mit seiner Freundin verbringen konnte, die nun neben ihm reiten durfte. Die mächtige Magierin nahm diese Chance auch sehr gerne an und strahlte wie die aufgehende Sonne, während sie neben Conrads Rappen ritt. „Das ist fast wie ein Ausflug.“ „Ein Ausflug in Tod und Gewalt“, erwiderte Conrad mit düsterer Stimme. „Aber wenn wir ihn nicht unternehmen, fallen die Piraten über wehrlose Dörfer her, plündern, morden und vergewaltigen und... Entschuldige, Selestin, hast du etwas gesagt?“ Die Göttin beeilte sich ein Lächeln aufzusetzen. „Nicht wirklich. Ich habe nur gesagt, dass dir die Rüstung von Roem wirklich gut steht. Wir Magier tragen ja keine Rüstungen, normalerweise.“ Sie streckte die Zunge einen Fingerbreit zum linken Mundwinkel heraus und lupfte kurz ihre Robe. „Aber ich habe mir erlaubt, zumindest einen Lederharnisch anzuziehen. Ist zwar ein wenig eng oben rum, aber besser so als überhaupt nicht geschützt.“ Conrad bemerkte wie seine rechte Augenbraue nervös zuckte. Für eine Sekunde hatte er wirklich geglaubt, wirklich und wahrhaftig geglaubt, er... Nun, in ihrer Schuluniform hatte Selestin jedenfalls ein wirklich hübsches Dekolletée, und die Roben der Magier waren dafür bekannt, derart warm zu sein, dass die meisten von ihnen nur wenig oder gar nichts unter ihnen trugen. „Hast du gedacht, ich zeige dir meine nackte Haut, Conrad?“, neckte sie. „Nun“, sagte der Jahrgangssprecher leise und hüstelte verlegen. Selestin lenkte ihr Pferd etwas näher an seines heran und lehnte sich leicht an ihn. „Natürlich würde ich so was nicht in aller Öffentlichkeit machen, Conrad. Aber... Du bekommst doch ein eigenes Zelt, oder?“ „Worauf willst du hinaus, Selestin?“ „Nun, wir kennen uns schon über vier Jahre, sind aber erst seit einem Monat zusammen. Wir müssen so viel nachholen, was wir in der ganzen Zeit versäumt haben. Da können wir ruhig ein wenig die Reitgerte nehmen und Tempo machen. Und da ich nicht vorhabe, dich jemals wieder aufzugeben, Conrad...“, hauchte sie und streckte sich ein wenig, um seine Lippen erreichen zu können. „Jetzt, wo du es ansprichst, Selestin, was sagen eigentlich deine Eltern dazu, dass du mit einem Menschen zusammen bist? Wird das für dich als Göttin nicht problematisch?“ Einen Augenblick sah sie ihren Freund irritiert an, dann sackte sie deprimiert auf ihrem Sattel zusammen. „Du bist wirklich ein Meister darin, eine gute Atmosphäre zu zerstören, Conrad. Ich habe meinen Eltern noch nichts gesagt. Sie werden schon von selbst drauf kommen, was ich hier tue.“ Ihr Blick ging wieder zu Conrad, und ihre Züge wurden weich und sanft. „Außerdem dachte ich eigentlich... Ich dachte, wir würden vielleicht... Eher nach Pars als nach Turen gehen.“ Der Kadettenhauptmann zog die Augenbrauen hoch. „Du würdest mit mir nach Pars gehen?“ „Du wirst doch eines Tages Minister deines Königs, oder? Das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Und ich bin sicher, am Königshof von Pars wird auch ein guter Magier gebraucht.“ Ein wenig unsicher sah sie Conrad an. „Entschuldige, wenn ich Pläne mache, ohne dich zu fragen.“ „Schön, dass sich wenigstens einer von uns beiden um so etwas Gedanken macht.“ Conrad beugte sich herüber und gab der jungen Göttin einen Kuss auf die linke Wange. „Ich habe nämlich auch nicht vor, dich jemals wieder aufzugeben. Aber wo wir eines Tages leben werden, sollten wir in Ruhe entscheiden.“ „Conrad“, hauchte sie mit einem Lächeln. „Könnt ihr zwei dieses Geflirte vielleicht mal sein lassen?“, rief eine laute Stimme direkt neben ihnen. „Erstens untergrabt ihr damit die Moral meiner Soldaten und zweitens seid ihr Kadetten!“ Erschrocken fuhr das Paar herum und erkannte Major Azet, der nun direkt neben ihnen ritt. „Entschuldigung! Wir hatten nicht vor...“, begann Conrad, aber der Gott winkte ab. „Hauptsache, ihr zwei könnt euch mal voneinander lösen. Hauptmann Waldek, ich brauche dich und Oberleutnant Farem vorne an der Spitze. Leutnant Northim, hole ihn bitte und schick ihn nach vorne.“ „Natürlich, Major Azet.“ Sie zog am Zügel, brach aus der Reihe hervor und ritt langsam an den Zweierreihen der Kadetten nach hinten. „Und du kommst gleich mit. Wir haben etwas zu bereden.“ Wortlos brach auch Conrad aus der Kolonne aus und trabte neben dem Gott an die Spitze. Am vorderen Ende der Kolonne hatten sich bereits die Unterführer versammelt. Der Hauptmann der Phalanxkämpfer, der Großmagier, der Hauptmann der Bogenschützen und der Hauptmann der Plänkler erwarteten die beiden bereits. Indes kam Mirk im schnellen Galopp nach vorne geprescht. Der Major registrierte das mit Zufriedenheit. „Da wir nun vollständig sind, möchte ich etwas über unseren Auftrag erzählen. Wie ihr alle es sicherlich den Gerüchten entnommen habt, hat sich die Piratenaktivität stark erhöht. Es kommt zunehmend zu Übergriffen auf unsere Handelsschiffe, die ohne Begleitschutz reisen, und auch die Schiffe anderer Nationen werden ausnahmslos attackiert. Der Aktionsraum der Piraten erstreckt sich von Turen bis ins östliche Grenzland von Torangar, und von dort über unsere gesamte Küste bis hinüber an die Westgrenze von Pars. Das Ganze lässt den Schluss zu, dass sich die Basis dieser Piraten irgendwo in diesem Bereich befindet. Genauer gesagt, wir haben Hinweise darauf erhalten, dass das Piratennest in Roem ist.“ Die Unterführer murmelten dazu entrüstet. Piraten, ausgerechnet in ihrem ruhigen, friedlichen Land. „Unsere Mission ist es, dieses Piratennest zu finden und auszuräuchern. Wir müssen sie nicht einmal alle erwischen. Aber ihre Basis muss dem Erdboden gleich gemacht werden.“ Der Gott sah ernst in die Runde. „Wir vermuten, dass sie an der Wilden Küste ein Versteck gefunden haben, innerhalb des Sumpfgebietes der Murtan-Mündung. Das schränkt jede Form des konventionellen Angriffs stark ein, außer die einer schnellen und leichten Einheit wie der unseren. In diesem Moment sind meine Waldläufer im Sumpfland und erkunden für uns sichere Pfade sowie Ort, Stärke und Ausmaße der Piratensiedlung. Sobald all dies feststeht, schlagen wir zu. Wir rechnen damit, dass die Zahl der Piraten zweihundert Mann beträgt, vielleicht vierhundert. Wir wissen noch nicht wie gut sie sich verschanzt haben, und das macht unseren Angriff einzig etwas unsicher. Sobald die Späher aber zurück sind, werden wir einen Schlachtplan entwerfen. Fragen?“ Der Anführer der Plänkler meldete sich. „Der Murtan kommt aus Torangar, oder? Könnten die Dämonen ihn als Wasserweg nutzen, um heimlich diese Piratenbastion aufzubauen oder zumindest zu versorgen?“ Mirk knurrte unwillig, und der Hauptmann winkte beschwichtigend. „Wir müssen alle Eventualitäten in Betracht ziehen. Wären wir hier an der Grenze von Pars, würde ich die gleiche Frage stellen, damit wir wissen, auf wen wir uns als Gegner einlassen. Außerdem besteht immer noch die Möglichkeit, das hier Dinge geschehen, von denen der König keine Kenntnis hat.“ Seltsamerweise beschwichtigten diese Worte den Dämonenprinz. „Der Fluss ist zu seicht für große Schiffe. Inlands wird er als Wasserweg nach Torangar und zurück benutzt, doch fünfzig Meilen vor der Küste zerfasert seine Wasserlinie und bildet das Sumpfland. Schiffe mit Tiefgang können hier nicht passieren, die Sümpfe sind landwirtschaftlich nicht nutzbar. Eine sehr uninteressante Region voll mit schlechtem, schlammigen Wasser. Das erinnert mich daran, dass wir dafür Sorge tragen müssen genügend gutes Wasser mitzunehmen. Ich will nicht, dass das halbe Bataillon an Durchfall oder Fieber erkrankt.“ „Um das Wasser können wir Magier uns kümmern“, sagte der Großmagier würdevoll. „Allerdings brauchen wir dafür Zeit und Mana, was uns dann im Kampf fehlt.“ „Also brauchen wir einen gesunden Vorrat an Wasser, damit wir so wenig wie möglich magisch aufbereiten müssen“, sagte Azet. Er nickte zufrieden. „Wir rasten in den Abendstunden. Mit etwas Glück treffen unsere Späher noch in der Nacht ein und wir können am Morgen unsere Strategie planen. Die Besprechung ist beendet. Waldek und Farem bleiben noch.“ Die Unterführer kehrten zu ihren Truppen zurück, nur der Dämon und der Mensch ritten nun noch neben dem Gott. „Was haltet ihr von der Mission?“ „Sie erscheint durchführbar zu sein. Die Frage ist nur, wie gut die Piraten organisiert sind“, sagte Conrad ernst. „Sind es wirklich nur Piraten? Oder ist dies der Versuch, entweder Roem zu diskreditieren oder in die Verlegenheit zu bringen, ausländische Hilfe zu suchen?“ Mirk sah den Freund aus großen Augen an. „Denkst du nicht etwas zu weit voraus?“, mahnte er. „Nein, das tut er nicht. Es gab solche Fälle bereits in der Vergangenheit und es wird sie auch in Zukunft geben“, wandte der Major ein. „Wenn wir es hier mit regulären Truppen zu tun haben, die in gut befestigten Stellungen stecken, dann bedeutet das für uns, das wir eine diffizile Strategie brauchen, um möglichst wenig Verluste zu erleiden, oder gar Verstärkung holen müssen. Der Ruhm der Armee von Roem basiert vor allem darauf, das wir so viele Veteranen in unseren Reihen haben. Veteranen sind Soldaten, die bereits viele Schlachten überstanden haben und immer noch leben. Was aber, wenn wir es mit normalen Piraten zu tun haben?“ „Es könnten Deserteure sein“, erwiderte Conrad ernst. Er nahm seine Brille ab und rieb sich sanft die Nasenwurzel. „Wie haben sie denn so gekämpft, wenn sie ein Schiff geentert haben? Das zu wissen könnte uns weiter helfen. Wenn sie nämlich geschlossen vorgegangen sind bedeutet das, das sie trainiert sind, und alleine das sollte uns Sorgen machen.“ „Ein wahres Wort“, pflichtete der Major bei. „Scheinst ja doch ein heller Kopf zu sein, Conrad Waldek. Ich werde heute Abend die Berichte aus dem Tross raus suchen, und dann gehen wir sie mit allen Führern durch. Wenn dann auch noch die Berichte der Späher eintreffen, ist die ganze Angelegenheit in vier Tagen erledigt. Besprechung beendet.“ Die beiden Kadetten nickten dem Major zu und führten ihre Pferde wieder zurück. „Eigentlich ist er ja ganz nett, für einen Gott“, brummte Mirk. „Vielleicht denkt er das gleiche gerade über dich“, scherzte Conrad. Der Dämon strich sich nachdenklich über seine Wangen. „Hm, könnte möglich sein. Vielleicht ist dies der Beginn einer wundervollen Freundschaft.“ Er grinste Conrad an. „War nur Spaß.“ *** Es dämmerte spät, denn der Tag war klar und warm gewesen. Dennoch hatten sie einen ersten Vorgeschmack von den Sümpfen bekommen, deren ganz eigener Duft bereits bis zu ihnen herüber trug. In einem kleinen Wäldchen befahl der Major die Rast. Er ließ Zelte errichten, Wachen aufstellen und lud die Unterführer in sein Besprechungszelt ein. „Wir befinden uns hier, Herrschaften, einen scharfen Nachmittagsritt vom Piratennest entfernt. Aber da unser Weg durch die Sümpfe führt bedeutet dies für uns, dass wir auf den festen Wegen acht Stunden und wenn wir uns eine eigene Route suchen einen vollen Tag unterwegs sind. Wir können sicher sein, dass die Piraten die befestigten Wege überwachen, wenn sie nicht vollkommen verblödet sind.“ „Was ist mit den Spähern?“, fragte der Erzmagus. „Fünf von acht sind zurück. Sie haben umfassende Berichte abgegeben. Drei von ihnen haben sich bis ans Lager heran geschlichen. Ihre Berichte möchte ich besonders hervor heben.“ Sein Blick ging zu Conrad. „Kadettenführer, ich muss dir für deine Idee vom Morgen danken. In den Berichten der Schiffskapitäne, die es aus der Hand der Piraten geschafft haben, sei es aus eigener Kraft oder weil Lösegeld geflossen ist, heißt es immer, die Piraten wären wilde Gesellen mit kaum einem Fetzen Kleidung am Leib, aber sie würden sehr diszipliniert vorgehen.“ Azet sah ernst in die Runde. „Herrschaften, die drei Späher berichteten mir, dass das Piratenlager straff organisiert ist. In Verbindung mit der Komödie, die sie bei der Enterung von Schiffen veranstalteten glaube ich, dass wir hierher gelockt werden sollten. Entweder um in einem Hinterhalt vernichtet zu werden oder aber damit unsere Kampfkraft an anderer Stelle fehlt. Ich habe bereits Wachen weitläufig ausgesandt, um die nähere Umgebung auf Späher und Truppenbewegungen zu untersuchen. Ich wäre nicht der Eiserne Azet, wenn ich mich überrennen lassen würde.“ Der Major sah zu Conrad herüber und nickte anerkennend. Der Jahrgangssprecher begriff, dass diese Anerkennung wirklich existierte, und das machte ihn merkwürdig zufrieden. Er fühlte sich, als hätte er eine wichtige Sprosse einer sehr, sehr langen Leiter erklommen. „Was den anderen Fall angeht, so habe ich Boten zu den nächsten Polizeiposten geschickt. Falls irgendwo im Land etwas vor sich geht, werden wir es bald erfahren.“ Zustimmendes Gemurmel der Unterführer erklang. Azet breitete eine fein gezeichnete, detaillierte Karte aus. „Aber lassen wir uns dadurch nicht beeinträchtigen. Dies ist eine Karte der Umgebung. Sie wurde letzten Sommer gemacht und ist sehr genau. Hier befindet sich das Piratennest. Es liegt auf einer Flussinsel und ist mit einer kleinen Furt mit dem westlichen Sumpfland verbunden. Die hiesige Seite der Furt wurde mit einem Palisadenzaun verstärkt. Auf der Insel selbst gibt es ein paar Wachtürme, die ein ungesehenes Annähern bei Tage unmöglich machen. Nachts lassen die Piraten Hunde laufen, die jede Bewegung und jedes Geräusch melden. Außerdem wurde mir berichtet, dass die Furt im Kreuzfeuer zweier Anhire liegt. Über sie eindringen zu wollen erfordert also Mut, Todesverachtung und Idiotie.“ Anhire, wusste Conrad, waren eine Art Armbrust auf Rädern. Nur maß der abgeschossene Pfeil vier Meter, die Spitze wog fünfzig Kilo und die Armbrust selbst konnte nur mit Pferden bewegt werden. Wenn das Geschoss eines solchen Ungetüms auf eine Gruppe Phalanx-Soldaten traf, dann war eindeutig, wer wem weichen musste, ob er wollte oder nicht. „Also ein eindringen über den Fluss“, murmelte der Phalanx-Unterführer. „Für meine Männer nicht zu schaffen. Die Ausrüstung ist zu schwer, und in so einem Gewässer gibt es sicher Raubechsen, oder?“ „Ein paar vielleicht. Es sind auf jeden Fall genügend, dass ich von meinen Männern nicht verlangen kann, ihre Leben vor dem Kampf gegen die Piraten zuerst bei den Echsen aufs Spiel zu setzen.“ Azet klopfte auf die Karte. „Hier ist die Palisade, hier sind die Anhire. Wenn wir beiden ausschalten und die Phalanx voran schicken, gehört die Insel uns.“ „Bitte in dieser Reihenfolge“, brummte der Phalanx-Führer. „Wie viele Piraten erwarten uns?“ „Es liegen drei schnelle Segler an der Insel an. Ein vierter Steg ist frei. Auf jedem Schiff tummeln sich um die vierzig Piraten. Dazu kommen noch einmal dreißig an Land. Das sollte alles sein.“ Azet sah erneut in die Runde. „Ist das zu schaffen?“ „Also einhundertfünfzig Gegner mit einem guten Ausbildungsstand“, murmelte der Anführer der Bogenschützen. „Sind Magier unter ihnen?“ „Das ist egal. Wenn sie welche haben, werden meine Magier sie zurückwerfen. Verlasst euch drauf.“ Der Erzmagus bestätigte seine Worte mit einem festen Nicken. „Gut, dann ist es beschlossen. Wir warten die Rückkehr der anderen Späher ab und planen dann unseren Weg durch den Sumpf. Ich denke nicht, dass wir bis dahin unentdeckt bleiben werden, also können wir uns einen beschwerlichen Weg durch den Dschungel sparen. Wenn wir die Festung erreichen, werden die Bogenschützen die Verteidiger in der Feste halten, während die Magier die Anhire vernichten. Danach dringt die Phalanx über die Furt vor und bildet einen Brückenkopf. Die anderen Einheiten rücken nach. Meine Reiterei wird dann aus dem Brückenkopf vor preschen und sie nieder machen bis sie aufgeben oder der letzte von ihnen getötet ist. Die Kadettenkompanie und Hauptmann Waldek werden dabei die Magier und die Bogenschützen decken. Die Plänkler gehen vor wie immer. Noch Fragen?“ „Eine noch“, sagte Mirk. „Nur zu, Oberleutnant Farem.“ „Was tun wir, wenn es sich um reguläre, aber getarnte Soldaten einer anderen Nation handelt? Es spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür. Gut, es könnten auch Deserteure sein, aber...“ „Dämon“, sagte der Gott ernst, „bete, dass sie keine regulären Soldaten sind. Die Strafe für Piraterie ist zwanzig Jahre Kerker, aber die Strafe für Spionage ist der Tod!“ Mirk erschauerte unter den ernsten Worten Azets. „Ich... Verstehe, Herr.“ „Gut. Da dies abgeschlossen ist, sollten wir uns alle ein wenig Ruhe gönnen. Vor allem die Kadettenkompanie wird morgen ein vollkommen anderes Leben sehen. Schenke ihnen deshalb genügend Schlaf, Hauptmann Waldek.“ „Natürlich, Major Azet.“ „Wenn es das gewesen ist, entlasse ich die Versammlung.“ Azet rieb sich die Stirn. „Ich werde auch versuchen ein wenig zu schlafen.“ Vor dem Zelt verstreuten sich die Unterführer, und Mirk ging neben Conrad zu den Zelten der Kadetten. „Das schmeckt mir alles irgendwie nicht. Die Piraten sind zu plötzlich aufgetaucht und ihr Unterschlupf wurde zu schnell entdeckt. Ich wittere Böses, wirklich Böses.“ „Damit hast du als Dämon natürlich Erfahrung“, rief Torandil zu ihnen herüber. Er saß im Kreis der anderen um ein Feuer, über dem ein großer Kanten Fleisch langsam aber sicher gar gebraten wurde. „Erzählt schon, wie war es denn?“ „Wir haben den Einsatz besprochen. Wir sind für den Schutz der Magier und Bogenschützen eingeteilt.“ Die Kadetten raunten ärgerlich auf. Kaum einer von ihnen hatte wohl nicht auf einen Kampfeinsatz gehofft. „Das ist eine extrem wichtige Aufgabe“, warnte Conrad ernst. „Die Piraten sind gut trainiert und sie werden uns kommen sehen. Ein Angriff aus dem Hinterhalt auf unsere Magier ist mehr als wahrscheinlich. Dafür müssen wir bereit sein.“ Selestin griff nach Conrads Hand und zog ihn neben sich zu Boden. „Was hat er denn noch so gesagt, der liebe Major? Wie viele Gegner erwarten uns denn?“ „So um die Hundertfünfzig. Das sollten wir problemlos schaffen können. Aber wie unser Taktik-Lehrer Aturo Otran immer zu sagen pflegt...“ „Im Kampf ist die Planung Geschichte!“, intonierten die Kadetten gemeinsam. „Genau.“ Conrad lächelte eines seiner seltenen Lächeln. „Esst euch satt und geht anschließend schlafen. Keiner weiß wie lange der morgige Tag sein wird. Und keiner weiß, wann wir wieder etwas zu essen kriegen. Also nutzt die Zeit. Und nutzt die Tatsache, dass wir nicht für die Wache eingeteilt sind. Wir edlen zukünftigen Minister, Fürsten und Könige.“ Die Kadetten lachten dazu. Aber es entbehrte nicht einer gewissen Wahrheit. Nicht nur Mirk war in dieser Runde ein zukünftiger König. Wenn diese Kompanie ausgelöscht wurde, waren neun Königsfamilien um drei direkte und elf nachfolgende Thronerben ärmer. „Darauf würde ich trinken!“, rief einer. „Wenn unser strenger Anführer nicht das Bier und den Wein verboten hätte.“ Gespielt schmähten die anderen ihren Kadettenhauptmann. „Gemach, Gemach. Hier dürft ihr nicht trinken, aber ich verspreche, wenn wir alle heil zurück in Burg Catrek sind, dann gibt es ein Fass Bier auf meine Rechnung.“ „Ein Hoch auf unseren Hauptmann!“ „Hurra!“ Conrad sah sich verdutzt um. „Gut, dass ich kein Fass Wein versprochen habe.“ Wieder lachten die Kadetten. *** Es war wie verhext, die Mittnacht war schon lange vorbei, aber Conrad Waldek fand keinen Schlaf. Hatte er zu fett gegessen? Nein, nicht wirklich. Lag er unbequem? Das war es auch nicht. Sorgte ihn irgendwas? Das kam der Sache schon näher... Wenn er ehrlich war, machte er sich Sorgen um jeden einzelnen Kadetten, aber besonders um Torandil, Mirk... Und natürlich Selestin. Besonders um Selestin, vor allem weil sie nun die Robe der Magier trug. Wie hatte Direktor Davon diese stets genannt? Ach ja, Hilfszielscheibe für feindliche Bogenschützen. Damit sie auch stets wussten, wen sie zuerst treffen mussten. Und dann war da auch noch ihr gemeinsamer, kurzer Waldspaziergang gewesen, der nur deswegen nicht romantisch gewesen war, weil die Göttin hinter jedem Geräusch seine beiden Freunde Mirk und Torandil vermutet hatte. Andererseits wollte sich Conrad nicht ausmalen, was die quirlige Göttin mit ihm angestellt hätte, wenn sie sich unbeobachtet gewähnt hätte. Auf Schloss Catrek jederzeit gerne, aber während eines Feldzuges schien es ihm eine zweifelhafte Sache zu sein, seine, nun, Hm, seine Erfahrung auf bestimmten Gebieten der Interaktion von Mann und Frau zu vertiefen. Nun, das war gut formuliert, traf auf den Punkt, und bewies wieder einmal, wie unerfahren er war. Verdammt. „Hauptmann Waldek!“, rief eine alte Männerstimme. Conrad griff als Erstes zu seinem Schwert, bevor die Zeltplane zurückgeschlagen werden konnte, ließ die Klinge aber sinken, als er den Hauptmann der Bogenschützen erkannte. „Hauptmann Hyros.“ „Ziehen Sie sich sofort an und wecken Sie Ihre Kompanie. Danach kommen Sie zum Major. Der schlimmste Fall ist eingetreten.“ „Der schlimmste Fall?“ „Roem steht vor einer Invasion, und unser Bataillon wurde von dort fort gelockt.“ „Ich beeile mich.“ Hastig begann er in die Rüstung zu steigen. Nachdem er Ordnung in das Chaos seiner Kadetten gebracht hatte, nahm er Mirk und ging ins Kommandozelt. Zufrieden stellte er fest, nicht der Letzte zu sein. „Ah, Waldek. Ich mache es kurz. Unser Einsatz gegen die Piraten ist abgesagt. Leverdin ist über die Grenze getreten, und zwar auf Höhe des Zehnten Bataillons, welches unseren Platz an der Küste eingenommen hat. Wir marschieren sofort nach Süden und versuchen die Angreifer in der Flanke zu packen.“ „Ich verstehe. Meine Kadetten sind in einer halben Stunde bereit.“ „Du verstehst mich nicht, Conrad Waldek. Wir kämpfen nun gegen einen echten Gegner. Gegen eine echte Armee. Zudem sind fünf deiner Reiter aus Leverdin, oder?“ „Zugegeben“, murmelte Conrad. „Ihr verbringt den Rest der Nacht hier und zieht morgen nach Catrek zurück. Kriegt das der Kadettenhauptmann alleine hin, oder muss ich ein paar meiner Soldaten hier lassen?“ „Ich bringe sie alle sicher nach Hause“, versprach Conrad. „Sie können beruhigt marschieren, Major Azet.“ „Das höre ich gerne, mein Junge. Vergiss nicht Wachen aufzustellen. Immerhin seid ihr nicht allzu weit von den Piraten entfernt. Sie könnten die Gelegenheit nutzen. Ach, und lösche die anderen Feuer nicht. Je mehr brennen, desto größer wirkt der Platz und desto mehr Gegner wird man hier vermuten.“ Der Gott zwinkerte Conrad zu. „Ein alter Trick aus meiner eigenen Zeit auf Catrek.“ Azet trat auf ihn zu und klopfte ihm mit der behandschuhten Hand kräftig auf die Schulter. „Pass auf deine Leute auf, und vor allem auf meinen Großneffen Torandil, ja?“ Conrad lächelte leicht. „So etwas habe ich schon geahnt. Ich verspreche es.“ „Dann bin ich beruhigt. Du bist ein fähiger Bursche, Conrad. Kehre jetzt zu deiner Kompanie zurück.“ Der Kadettenhauptmann nickte, salutierte und verließ das Zelt. „Azet hat mich gar nicht beachtet“, murrte Mirk neben ihm. Aber sofort stand ein gefährliches Funkeln in seinen Augen. „Torandil ist Livon Azets Großneffe, und er hat das nicht mal erwähnt, wie? Ich glaube, wir müssen ihn ein wenig bestrafen.“ „Wir müssen etwas ganz anderes tun“, brummte Conrad. *** Das Problem mit Kadetten war, das sie sich selbst unheimlich toll fanden. Natürlich bekamen sie, vor allem jene aus Burg Catrek, eine Ausbildung angediehen, die sie eigentlich dazu befähigen sollte zumindest ein Offizier zu sein, oder wenigstens ein guter Unterführer, doch nicht jeder Kadett eignete sich wirklich fürs Militär. Conrad hatte zwar für seine Truppe ausschließlich solche Kadetten mitgenommen, die etwas von Disziplin und Kampfkunst verstanden, und von denen nur die Besten, aber dennoch war es ein offenes Geheimnis, dass sich die jungen Menschen viel zu leicht überschätzten. Man sagte, wer von sich selbst zu sehr überzeugt war, der wurde hochmütig. Und wer hochmütig war, der fiel umso tiefer, wenn er seinen Irrtum erkannte. Dies mussten auch die Gestalten denken, die sich im Schutze des frühen, nebligen Morgens an das Lager heran pirschten, in dem noch immer die Feuer des gesamten Bataillons brannten. Die wenigen Wachen, die von den Kadetten aufgestellt worden waren, lehnten an den Zelten oder lagen herum und schliefen. Sie wurden die ersten Opfer von Armbrustbolzen. Sie fielen dort wo sie waren. Als sich eine erkleckliche Anzahl Angreifer am Waldrand gesammelt hatte, hob ihr Anführer seine zweischneidige Kriegsaxt und ließ einen wilden Angriffsschrei hören, der von der Meute mit Jubel beantwortet wurde. Wie ein Mann liefen sie los, um die Kadetten, und damit die Söhne und Töchter von Ministern und Königen, einen um den anderen nieder zu machen. Fackeln flogen auf die Zelte und steckten sie in Brand, Spieße wurden in die Eingänge getrieben und sicherheitshalber wurde den gefallenen Wachen noch ein Speer in die Rippen getrieben. Doch dann hielten die Angreifer inne, als hätten sie ein geheimes Kommando erhalten. Conrad Waldek gab seinem Hengst die Sporen. Das treue Tier richtete sich unter der grauen Decke mit ihm auf und kam auf die Beine. Der junge Ministersohn zog sein Schwert und hob den kurzen Schild, während neben und hinter ihm die anderen Reiter seiner Kadetten aus ähnlichen Verstecken mit ihren Rössern in die Höhe schnellten. Auf ihrer rechten Flanke kamen die Magier unter den Decken hervor, und eine wütende Selestin jagte den ersten Feuerball in die dicht gedrängte Menge der Angreifer, bevor diese überhaupt begriffen, wie ihnen geschah. „Im Namen Roems!“, rief Conrad und ließ seinen Hengst effektvoll auf die Hinterbeine steigen. „ANGRIFF!“ Er gab dem Tier erneut die Sporen, und das trainierte Kriegsross schoss willig vorwärts. Es fiel kurz in den Galopp, und ritt dann schon die ersten Angreifer um. Conrads Schwert sauste wie ein böser Traum mitten unter die Gegner, und da waren auch schon die anderen zweiunddreißig Kadetten heran. Mit Schwert und Schild vom hohen Ross zu kämpfen war ein riesiger Vorteil, zudem hatten sie ihre Gegner, zweifellos die Piraten die sie ursprünglich hatten jagen wollen, nun ihrerseits völlig überrascht. Bevor auch nur ein Funken wirkliche Gegenwehr auf kam, hatten die Magier bereits unter Selestins Anleitung ihre magischen Sprüche, Flüche und taumatischen Beschwörungen auf den Gegner los gelassen. Als die erste Verwirrung des Gegners ab zu flauen begann, rief Conrad den scharfen Befehl, der in der Reiterei Roems eine Linie forderte. Die Kadetten lösten sich aus der Schlacht, kamen ein paar Meter zurück und bildeten eine lange Linie, Seite an Seite, die Schilde erhoben und die Schwerter kampfbereit. Conrad als Hauptmann stand vor dieser Reihe, würde aber von ihr aufgenommen werden, sobald sie seine Position erreichte. Auf jeden Fall würde der versprengte, unorganisierte Haufen, der nun noch von den Angreifern existierte, vollkommen überrannt werden. Falls dies nicht die Magier schon vorher besorgten. Als der Kadettenhauptmann das Signal zum langsamen Vorrücken gab, flohen die ersten in Panik zurück in den Wald. Dies löste eine wahre Massenflucht aus, denen sich schließlich sogar der Anführer mit der doppelschneidigen Axt anschloss. Conrad ließ antraben, und das Geräusch von einhundertzweiunddreißig wütend stapfenden Hufen ließ die Piraten noch mehr rennen. Dann befahl Conrad den Galopp, die Linie sprengte sich, und die Reiter folgten den Angreifern einzeln in den Wald. Während des scharfen Ritt sausten die Klingen ein ums andere Mal nieder und beendeten die Leben dieser Schurken. Als Conrad Waldek drohte die Sicht auf die Flanken zu verlieren, befahl er das sammeln. Diszipliniert beendeten die Kadetten ihre Jagd und kamen zu Conrad zurück. Der Hauptmann führte sie durch den Wald zurück auf den Rastplatz der Kompanie, wo die Zelte brannten, wo die von ihnen hergestellten ausgestopften Rüstungen noch immer von Speeren und Armbrustbolzen durchsiebt waren und... Entsetzt fuhr Conrad herum. Er hatte tatsächlich etwas übersehen! „SCHILDE!“, rief er und riss sein Pferd herum. Neben ihm taten es Mirk und Torandil gleich, gerade rechtzeitig, um heran fliegende Bolzen abzufangen. „Mirk! Beschütze die Magier! Torandil! Zum Wagen!“ „Verstanden!“ Die beiden Freunde nahmen ihre jeweils zehn Reiter und stieben auseinander. Conrad hielt indes mit seinen eigenen zehn Reitern eine Linie und ritt mit den Pferden langsam rückwärts. Ein Pferd wurde getroffen, ein zweites kurz darauf. Die Kadetten sprangen diszipliniert, wie sie es gelernt hatten, zur rechten Zeit ab und liefen in die Deckung der Kameraden. Dann hatten sie die Reichweite der Bolzen verlassen. „Kann jemand die Armbrustschützen sehen?“, rief Conrad. Einer seiner Reiter, der Dämon Legard Marjano, ein zukünftiger Minister aus Tautom steckte das Schwert weg und befestigte den Schild am Sattel, nur um seine bevorzugte Waffe, den Langbogen, zu ziehen und zu spannen. „Ich kann sie sehen, Hauptmann! Und mein Bogen reicht weiter als ihre Bolzen.“ Fragend sah er Conrad an. „Schieß.“ Dies war das größte Dilemma der Armbrustschützen. Zwar brauchten sie so gut wie keine Kraft für einen Schuss und mussten weder Konzentration noch Spannung halten, aber ein guter Langbogen übertraf sie locker um die gleiche Strecke, die ein Bolzen geschleudert werden konnte. Und Marjano war ein meisterlicher Schütze, der auf vierhundert Schritt noch alles traf. Zwei Pfeile schoss er ab, bevor es im Wald knackte und raschelte. „Sie steigen von den Bäumen!“, rief Marjano. „Aber sie fliehen nicht!“ „Passt auf die Flanken auf!“, brüllte Conrad. In diesem Moment brachen fünf Schützen auf der rechten Seite aus dem Unterholz hervor. Drei von ihnen feuerten ihre Bolzen auf Mirk und seine Reiter; die brauchten jedoch nur die Schilde anheben, um sicher zu sein. Doch diesen winzigen Augenblick nutzten die anderen zwei und jagten ihre Bolzen zwischen den Pferden hindurch auf die Magier zu. Selestin erwies sich als fähig wie immer und verbrannte einen Bolzen noch im Fluge zu Asche der einen ihrer Magier hatte treffen sollen, eine junge Menschenfrau aus Roem mit Namen Tiresa Gorent, übersah jedoch den Bolzen der für sie bestimmt war. Er traf sie seitlich an der Brust und schleuderte sie zu Boden. „Nein!“, brüllte Mirk auf. „Nein!“ Er gab seinem Pferd die Sporen, und fünf seiner Reiter folgten ihm, den fliehenden Armbrustschützen hinterher. Bevor sie neu gespannt hatten, wurden sie bereits von den Kadetten für diese frevelhafte Tat niedergemacht. Conrad indes hatte sein Pferd herum gerissen. Außer sich vor Sorge ritt er zu Selestin herüber, sprang von seinem Hengst und stürzte neben der jungen Göttin zu Boden. Der Kutscher musterte sie bereits aufmerksam, mochte der Henker wissen wie er so schnell her gekommen war, spuckte auf den Boden und murrte mürrisch, dass nichts zu tun sei. „Selestin!“, rief Conrad entsetzt und fiel neben ihr auf die Knie. Auch die Versorgung von Verwundungen wurde an der Akademie gelehrt, und nun musste Conrad dieses Wissen anwenden. Ein Bolzen in der Seite, er steckte wahrscheinlich in der Lunge, die nun langsam voll Blut lief, das war das Problem. Daran konnte sie sehr schnell sterben, wenn sie nicht schnell handelten. „Wir... Wir müssen ihr die Robe ausziehen! Holt Verbände! Kennt jemand einen Heilzauber?“ Eine Hand legte sich weich auf sein Gesicht. Selestin öffnete die Augen und lächelte ihn spitzbübisch an. „Du kannst es wohl gar nicht erwarten, mich aus zu ziehen, Conrad?“ Entsetzt, froh, aber eigentlich eher entsetzt starrte der Mensch die Göttin an. „Selestin! Aber... Aber...“ Sie klopfte sich selbst gegen die Brust, was einen hohlen Klang erzeugte. „Hast du vergessen, dass ich aus genau so einem Grund eine Lederrüstung trage? Ich bin ja nicht Mirk, und ich habe auch nicht vor, Schlachtfeldnarben zu sammeln wie ihr Männer.“ „Selestin!“, rief Conrad überglücklich. Seine Stirn sank auf ihre. „Dir geht es gut. Himmel, dir geht es gut.“ „So ist das nun nicht. Das wird bestimmt ein riesiger blauer Fleck. Außerdem ist mein Ego angekratzt, weil ich den zweiten Bolzen nicht gesehen habe. Den Mirk übrigens hätte abwehren müssen!“ „Wie jetzt?“, rief der Dämonenprinz und sprang neben den beiden vom Pferd. „Gerade bist du dem Tod von der Schippe gesprungen, und schon beschwerst du dich?“ „Auf der Schippe wäre ich nie gelandet, wenn die Armbrustschützen nicht das Yentra-Manöver angewendet hätten“, murrte sie. „Yentra-Manöver“, wiederholte Conrad in Gedanken. „Richtig. Ich... Ich verstehe.“ „Du bist mit deinen Gedanken schon wieder bei der Kompanie, Hm?“, tadelte Selestin mit einem Lächeln. „Das will ich dir auch geraten haben, Conrad. Immerhin ist das deine Hauptaufgabe.“ Sanft küsste sie ihn. „Aber ich danke dir, dass ich deine erste Sorge war. Und jetzt mach deine Arbeit, Hauptmann.“ Conrad erhob sich langsam. Er sah zurück und bemerkte, dass Torandil noch immer die Reihe hielt. Er hatte rechtzeitig übernommen, und dafür war der Mensch sehr dankbar. Auch Mirk hatte keine Disziplinlosigkeit zugelassen, auch wenn er sie sich selbst gegönnt hatte. Dann aber dämmerte es ihm. „Es ist vorbei.“ „Vorerst“, wandte Mirk ein. „Vorerst, Conrad.“ Er sollte Recht behalten. *** „Die Unterführer zu mir!“, rief Conrad. Nach einiger Zeit trafen Mirk, Torandil und Selestin bei ihm ein. „Bericht.“ Mirk nickte ihm zu. „Meine Gruppe ist nahezu unversehrt. Lediglich Likam hat einen Beindurchschuss und Teoven hat sich ein paar Rippen gebrochen, als sein Pferd erschossen wurde.“ „Bei mir ist alles soweit in Ordnung, aber Legharts Stute ist im Wald über eine Wurzel gestolpert. Dabei fiel er ab und hat sich am Kopf verletzt. Aber das ist nicht weiter tragisch. Erstens steht sie schon wieder, zweitens trug sie einen Helm und drittens kann man da eh nicht viel verletzen.“ „Das habe ich gehört, Torandil Azet!“, klang eine Frauenstimme zu ihnen herüber. „Meine Magier sind unversehrt. Wir hatten eine gute Stellung und einen ziemlich guten Schutz durch Mirks Gruppe“, sagte Selestin ernst. „Ich wurde durch einen glücklichen Schuss etwas angeschlagen, aber das ist nicht der Rede wert.“ „Gut. Dann berichte ich jetzt. In meiner Gruppe gab es keine Verluste, aber Torinson hat sein Pferd durch eine Armbrust verloren. Beim Sturz hat er sich das linke Schlüsselbein gebrochen. Ich habe mittlerweile die toten Feinde gezählt. Es sind über vierzig. Dazu kommen weitere fünf mehr oder weniger schwer Verwundete, die wir einsammeln und versorgen werden. Insgesamt bestand die Angriffsstreitmacht aus siebzig Mann, die Armbrustschützen eingerechnet. Ihre Ausrüstung ist typisch für das, was wir von den Piraten erwartet haben, deshalb nehme ich an, sie kommen aus dem Piratenschlupfloch.“ „Also ein klarer Sieg für Catrek!“, rief Torandil begeistert. Er runzelte die Stirn. „Warte mal, das fällt mir jetzt erst auf. Du hast uns befohlen, die Puppen zu basteln und uns mit den Pferden unter den Decken zu verstecken, kaum das Major Azet mit seinem Bataillon abgerückt war. Hast du gewusst, dass die Piraten schon auf der Lauer lagen?“ „Etwas in der Art“, gab Conrad zu. „Ich finde, das der Bote der den Major vor dem Angriff aus Leverdin gewarnt hat, etwas zu passend aufgetaucht ist. Außerdem wollte mir nicht ganz klar werden, warum ausgerechnet ein kleines Königreich wie Leverdin, das schon genug mit den großen Nachbarn zu kämpfen hat, nun auch noch Streit mit Roem und seiner elitären Armee sucht. Und ich bin mir auch sicher, dass unser Gegner gewusst haben muss, dass uns Major Azet zwar für eine Piratenhatz einsetzen würde, nicht aber für einen Kampf gegen ausgebildete Truppen.“ „Du meinst, sie haben damit gerechnet, dass die Catrek-Kadetten hier zurückbleiben? Sie wollten uns unter unseren Decken ermorden?“, warf Mirk ein. „Nicht, dass es nach diesem Morgen nicht vollkommen offensichtlich wäre, aber bitte sprich es aus.“ „Ja, sie wollten uns im Morgengrauen abschlachten. Einen nach dem anderen. Königskinder, Ministerkinder, alle wie wir da eigentlich hätten liegen müssen.“ „Aber den Gefallen haben wir ihnen nicht getan!“, rief Torandil und klopfte Conrad kräftig auf die Schulter. „Du hättest dieses Manöver jedenfalls nicht durchschaut“, stichelte Selestin mit einem berechnenden Lächeln. „Wie fies“, murmelte Torandil und ließ den Kopf hängen. „Jedenfalls brechen wir auf, sobald wir die verletzten Piraten eingesammelt haben. Für achtunddreißig Kadetten mochten sie mit siebzig Angreifern großzügig gerechnet haben, aber wenn die Führer der Piraten von dieser Niederlage hören, greifen sie mit hundert nochmal an, sobald sie es können und solange uns niemand zu Hilfe eilen kann. In so einem Kampf hätten wir Verluste, würden vielleicht sogar überrannt werden. Also ziehen wir ab, sobald wir alle Verwundeten geborgen haben. Wir übergeben sie in Antiz der Polizeistation und überlassen den Rest ihnen.“ „Und was machen wir dann?“, fragte Mirk aufgeregt. „Was denn? Wir haben von Azet klare Befehle bekommen. Es ist Morgen und wir reiten zurück nach Catrek.“ Conrads Schmunzeln verschwand. „Heute werde ich bestimmt keinen meiner Kameraden verlieren.“ Neben ihnen knarrten plötzlich hölzerne Bremsen. Der Kutscher stand mit seinem Wagen neben ihnen, spuckte auf den Boden und murmelte etwas Unverständliches, was wie Beeilung klang. „Der Mann hat Recht“, sagte Conrad entschlossen. „Torandil, ihr bergt die Piraten, aber beeilt euch. Ihr habt nur zwanzig Minuten, dann brechen wir auf. Wer dann noch übrig ist, den lasst liegen. Immerhin haben wir es hier mit hinterlistigen Piraten zu tun. Und wie hinterlistig sie sind haben wir am eigenen Leib erfahren.“ „Zum Thema Hinterlist hätte ich schon was zu sagen und einen besseren Kandidaten anzubieten, Conrad der Listige“, sagte Mirk und ließ seine behandschuhte Rechte krachend auf der Schulter der Rüstung des Freundes schlagen. „Nimmst du es ihm etwa übel, dass er uns alle gerettet hat?“, fragte Selestin mit bedrohlich funkelnden Augen. „Natürlich nicht“, ächzte der Dämonenprinz. „Wenn ihr zwei fertig seid, dann machst du, Selestin, deine Magier zum Abritt bereit. Ihr bewacht den Wagen. Und du Mirk, nimmst dir deine Männer und reitest voraus. Ich beschütze mit den meinen das Lager. Unser Ziel ist Antiz, die nächste befestigte Stadt.“ „Eine Frage, Conrad“, meldete sich Torandil. „Sollen wir nicht einen Boten zu Major Azet schicken?“ „Keine Sorge“, erwiderte der Mensch mit einem dünnen Lächeln. „Mittlerweile sollte er gemerkt haben, ob es eine Invasion gibt oder nicht.“ Er klatschte in die Hände. „Tempo, Herrschaften, dann gibt es bald das Bier, das ich versprochen habe!“ „Verstanden!“, riefen der Gott und der Dämon, rissen ihre Pferde herum und eilten ihren Aufgaben zu. „Männer“, brummte Selestin missmutig. „Bier motiviert sie wohl zu allem, was?“ Conrad beugte sich zu ihr herüber. „Was würde dich denn motivieren, liebste Selestin?“ Die junge Göttin sah Conrad aus nächster Nähe an und kräftige Röte schoss ihr ins Gesicht. Sie riss ihr Pferd herum. „D-darüber reden wir mal in Ruhe. Jetzt muss ich mich um meine Magier und die Gefangenen kümmern, oder?“ „Frauen“, murmelte Conrad amüsiert, während er der Liebe seines Lebens hinterher sah. „Aufstellung! Wir beschützen das Lager!“, rief er seinen Reitern zu. *** Wohlmeinende Stimmen sprachen von einem Sieg für Burg Catrek, nicht ganz so wohlmeinende zumindest davon, dass Conrad Waldek seine Aufgabe als Hauptmann erfüllt und seine Befehle ausgeführt hatte. Neidische Stimmen hingegen wussten zu berichten, dass es vier Verletzte gegeben hatte und dass die Zahl der Angreifer hoffnungslos übertrieben war. Wie allerdings vier Piraten es wagen sollten achtunddreißig Kadetten anzugreifen, konnten sie nicht gut genug erklären. Dennoch gab es ein geselliges Beisammensein am Abend der Heimkehr der Kadetten. Daraus wurde schnell eine fröhliche Party, auf der die jungen Kadetten, Mann wie Frau, Torandil und Mirk sowie den anderen Auserwählten Conrads an den Lippen hingen, während sie über die kurze, heftige Schlacht berichteten. Vor allem Conrad Waldeks Vorahnung wurde hoch gepriesen. Lediglich Conrad war nicht umlagert. Das lag aber eher daran, dass Selestin nicht zu teilen bereit war – und mit der hitzköpfigen Göttin legte sich niemand an. Wirklich niemand. Von seinem Bürozimmer aus beobachtete Baron Hygar Davon das muntere Treiben, während Major Livon Azet mit gesenktem Kopf in einem bequemen Sessel saß und Wein wie Wasser trank. „Natürlich war es eine Finte! Oh, ich ärgere mich immer noch, dass ich darauf herein gefallen bin! Aber man hatte ja nicht nur mich herein gelegt, sondern auch den Boten! Mir einen echten Boten zu schicken war eine geniale Idee, denn natürlich konnte ich an ihm keine Falschheit erkennen.“ Wütend leerte er seinen Pokal. Wie von Zauberhand begann die Amphore auf dem Schreibtisch des Direktors zu schweben und dem Gott erneut einzuschenken. „Und wie war es bei dir, nachdem ich Conrad Waldek allein gelassen habe?“ Der Direktor schmunzelte. „Oh, es war einfach. Es gab ein paar Schrecksekunden, aber der junge Waldek hat den Angriff schon voraus geahnt, bevor ich die Angreifer überhaupt gespürt hatte. Auch dachte ich, dass ich meine Tarnung als Kutscher aufgeben muss, weil wir zwar Angriffsmagier in unseren Reihen hatten, aber nicht einen Heiler. Und das war fatal, als Selestin Northim getroffen wurde. Aber für sein Alter hatte Conrad die Lage sehr gut im Griff.“ Der Dämon wandte sich mit einem breiten Lächeln um. „Natürlich hat er sehr fähige Leute gehabt. Die er zudem persönlich ausgesucht hat.“ „Mag ja sein, mag ja sein“, murmelte Livon und nahm erneut einen tiefen Schluck Wein. „Er hat sich also gut geschlagen, wo ich mich blamiert habe, oder?“ „Sagen wir, er hat gut reagiert, alter Freund.“ Das Lächeln wurde beinahe zärtlich, als der Dämon zu Conrad Waldek und Selestin Northim herunter sah. „Und er hat auch richtig reagiert, als die Prinzessin getroffen wurde.“ „Wenn du damit sagen willst...“, begann Azet wütend. „Wenn ich was sagen will? Bei dieser Faktenlage brauche ich das wohl kaum, mein guter Livon.“ Abwehrend hob der Gott die linke Hand. „Ich habe verstanden. Ja, in Ordnung. Irgendwo hast du ja Recht. Ich werde also weiterhin prüfen, ob Conrad ein würdiger Ehemann für Selestin ist. Aber ab hier werden die Prüfungen schwerer.“ „Oh, das macht mir keine Sorgen. Er hat hervorragende Hilfe, oder?“, erwiderte der Dämon schmunzelnd, nach einem Blick auf Mirk und Torandil. „Schwache Herrscher umgeben sich mit schwachen Beratern. Starke Herrscher umgeben sich mit starken Beratern“, brummte Azet. „Nanu? Hast du Conrad gerade gelobt, Livon?“ „Ich kann mich an nichts erinnern.“ Der Gott und der Dämon sahen sich an und begannen zu lachen. *** „Conrad, es gibt da etwas, was ich dir sagen muss“, gestand Selestin. Sie sah ihn an, und ihre Augen funkelten wie Sterne, wenngleich ein wenig Angst in ihren Zügen steckte. „Ich höre dir aufmerksam zu“, versprach der Jahrgangssprecher. „Conrad, ich bin nicht das, wofür...“, begann sie, wurde aber von Mirk und Torandil unterbrochen. „Entschuldigt bitte wenn wir stören“, rief ein sichtlich angeheiterter Mirk. „Aber die Leute verlangen nach den beiden Helden unserer erfolgreichen Expedition.“ Torandil ergriff die Hände von Conrad und Selestin und zog sie von der Bank. „Also lasst euch nicht lange bitten und kommt endlich feiern!“ Die beiden Freunde leisteten Gemeinschaftsarbeit. Torandil zog und Mirk schob. Somit schafften sie es, das Paar mitten in die Feiernden zu bugsieren, wo die Kadetten sie mit einem dreifachen Hurra hoch leben ließen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)