15 Jahre von SweeneyLestrange (..träumte ich, zu Frau und Kind zurückzukehren) ================================================================================ Kapitel 3: Verzweiflung ----------------------- Es war ein Albtraum für Lucy. Völlig entsetzt musste sie mit ansehen, wie ihr Mann grundlos festgenommen wurde. Sie selbst kam sich so hilflos vor! Sie stand einfach nur da und starrte erschrocken auf die Polizisten und wie diese Benjamin festnahmen, der sich verzweifelt versuchte zu befreien. Was konnte Lucy nur tun? Was konnte sie machen, um Benjamin zu helfen? Tränen stiegen ihr in die Augen, die sie schnell wieder wegblinzelte. Sie musste jetzt stark sein und alles in ihrer Macht stehende versuchen, um das Missverständnis zu klären. Sie durfte jetzt nicht schwach sein! Johanna hatte angefangen zu weinen. Tröstend drückte Lucy ihre Tochter an sich, obwohl ihr selbst nach weinen zumute war. Sie war vollkommen hilflos und das einzige, was sie tun konnte, war sich einzureden, dass alles wieder gut werden würde. Plötzlich trat jemand neben sie. Als Lucy aufblickte, sah sie, dass es Richter Turpin war, der ihrem Mann mit einer unergründlichen Miene hinterher guckte. Erleichtert atmete sie auf. Jetzt würde vielleicht doch noch alles gut werden, wenn sie dem Richter erklärte, dass sich die Festnahme um ein Missverständnis handeln musste! Nachdem Lucy ihrem Mann einen letzten liebevollen Blick voller Verzweiflung zugeworfen hatte und er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, wandte sie sich an Richter Turpin. „Bitte mein Herr, Ihr müsst mir helfen“, platzte es auf einmal aus Lucy, die höflichen Floskeln vergessend, heraus. „Mein Mann wurde festgenommen, Sie haben es selbst gesehen und dabei hat er sich keines Verbrechens schuldig gemacht! Das alles muss ein Missverständnis sein!“ Der Richter richtete seinen Blick auf Lucy, doch etwas irritierte sie daran. War es diese Art, wie er sie ansah oder bildete sie sich das nur ein? So musste es wohl sein. Sie war viel zu aufgelöst, um überhaupt noch klar denken zu können. Das bemerkte auch Turpin, denn er bot ihr seinen Arm an. „Erlauben Sie mir, Sie nach Hause zu begleiten? Auf dem Weg werde ich versuchen, Ihnen alles, was ich selbst bisher nur weiß, zu erzählen.“ Zögernd nahm Lucy das Angebot an, insgeheim froh darüber, nicht allein auf sich gestellt zu sein. Johanna, die sich wieder beruhigt hatte und in einen unruhigen Schlaf gefallen war, im Kinderwagen vor sich herschiebend ging Lucy zusammen mit Richter Turpin in Richtung Fleet Street. „Nun“, fing der Richter an, „ich muss gestehen, dass ich selbst noch nicht die genauen Umstände der Verhaftung ihres Mannes kenne.“ „Aber das ist es ja! Bitte glauben Sie mir, das alles kann gar nichts anderes als ein großes Missverständnis sein!“, fiel Lucy ihm aufgelöst ins Wort. Wieder standen ihr Tränen der Verzweiflung in den Augen. Ärgerlich tupfte sie sich mit einem Taschentuch ab, während Richter Turpin fort fuhr: „Das kann es in der Tat sein. Ein Missverständnis, nichts weiter. Doch bin ich mir dessen nicht gewiss.“ Erschrocken starrte Lucy ihn an. „S-soll das heißen…“, weiter kam sie jedoch nicht, da ihre Stimme den Dienst versagte. Der Richter nickte nur und versuchte eine möglichst bekümmerte Miene aufzusetzen. Das genügte, um die Frau des Barbiers endgültig zu verzweifeln. Sie konnte sich nicht länger halten, ihre zitternden Beine gaben nach und sie fiel auf die Knie, wo sie schluchzend die Hände vors Gesicht schlug. „Das ist unmöglich“, weinte sie mit erstickter Stimme. „Nie hätte Benjamin etwas Unrechtes getan!“ „Aber, aber meine gute Frau, Sie machen sich ja ganz schmutzig“, tadelte der Richter sie sanft und ging in die Hocke, wobei er ihr half aufzustehen. „Warten Sie bis zu dem Tag, an dem das Gerichtsverfahren stattfinden soll, und es wird alles so werden, wie es sein sollte.“ Lucy nickte zur Antwort schwach und nahm die angebotene Hilfe des Richters entgegen. „Und nun kommen Sie, gehen Sie nach Hause und erholen Sie sich erst einmal von dem Schock“, sagte der Richter in einem freundlichen Tonfall und bot ihr wieder seinen Arm an, welchen Lucy dankbar ergriff. Richter Turpin hatte recht, ihr ging es wirklich schlecht und wenn Benjamin wiederkäme, denn sie war fest von seiner Unschuld überzeugt, sollte er sie nicht in solch einem Zustand erleben. Schließlich kamen sie am Haus des Barbiers an. „Ich wünsche Ihnen gute Besserung und falls ich noch irgendetwas für Sie tun kann, können Sie sich jederzeit an mich oder auch den Büttel wenden“, verabschiedete sich Richter Turpin von Lucy. Diese bat ihn erneut aus lauter Verzweiflung: „Ich bitte Sie, tun Sie alles in Ihrer Macht stehende für meinen Mann!“ „Das werde ich tun“, erwiderte der Richter knapp. „Ich versichere Ihnen, Ihr Mann wird bekommen, was er verdient hat.“ Erleichtert sah Lucy ihn an und ein dankbares Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht. „Sie wissen gar nicht, wie mich das beruhigt!“ Dann nahm sie Johanna aus dem Kinderwagen und drückte sie tröstend an sich. Auch wenn die Worte des Richters sie etwas beruhigten, konnten sie doch nicht alle Sorgen und Ängste von ihr nehmen. „Ich bin Ihnen wirklich zu großem Dank verpflichtet und wünsche noch einen guten Tag“, verabschiedete Lucy sich förmlich, um ihr ungebührliches Benehmen zu entschuldigen. Die Situation war einfach zu schrecklich, als dass sie jetzt noch auf solche belanglosen Dinge wie Benehmen achten konnte, doch konnte dies auch etwas Entscheidendes ausmachen. Das war ihr erst im letzten Moment wieder eingefallen, sodass sie versucht hatte, ihr falsches Benehmen gegenüber der Persönlichkeit des Richters zu retten. Ob es ihr gelungen war, wusste Lucy nicht, da sie sich mit Johanna im Arm so würdevoll, wie sie es zustande brachte, umdrehte und ihre Wohnung betrat. Die nächsten zwei Wochen sollten jedoch eine Qual für sie werden, die ihre Nerven auf eine harte Probe stellte. Einzig und allein der Gedanke an Benjamins Unschuld half ihr, sich irgendwie am Riemen zu reißen und keinen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Was Lucy aber nicht wusste war, dass dies erst der Anfang von einem ausweglosen Albtraum werden sollte. ~*~ Hinter Benjamin wurde die schwere Zellentür mit einem dumpfen Knall geschlossen und er hörte das Klicken des Schlosses. Eingesperrt!, hämmerte es durch seinen Kopf. Verhaftet! Noch immer konnte er nicht begreifen, was geschehen war. In einem Moment hatte er sich zusammen mit Lucy und Johanna befunden und im nächsten hatte man ihn urplötzlich festgenommen. Und nun befand er sich in Newgate, an einem Ort, den er nie geglaubt hätte, von Innen zu sehen. Ein beißender Gestank nach Unrat und Exkrementen drang ihm in die Nase und brachte ihn zum Würgen. Angewidert verzog Benjamin das Gesicht, während er seinem Drang nachgab und sich hastig den Ärmel vor die Nase hielt, was die Luft in der Gemeinschaftszelle auch nicht viel angenehmer machte. Erst dann hatten sich seine Augen soweit an das spärliche Licht gewöhnt, dass er sich zögernd umgucken konnte. Mit ihm eingeschlossen befanden sich nun sieben Insassen in der schmalen Zelle und als er sich genauer umsah, erwachte sein Ekel vollends. Die feuchten Wände der Zelle bedeckte Schimmel und was sich da für Lachen auf dem Boden befanden, wollte er gar nicht so genau wissen. Allein der Gedanke, hier mehrere Tage oder vielleicht sogar Wochen verbringen zu müssen, ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Nein, er hatte nicht vor, so lange in diesem stinkenden Loch ausharren zu müssen. Er würde schon einen Weg finden, wie sich das Missverständnis, weswegen man ihn fälschlicherweise verhaftet hatte, klären würde. Ja, zweifellos war es ein Missverständnis, denn um was sollte es sich auch sonst handeln? Zu seinem Glück, so empfand es Benjamin zumindest, nahmen die anderen Insassen nicht weiter Notiz von ihm, sondern waren ganz mit sich selbst beschäftigt. Aber bei einem näheren Blick auf die zerlumpten Gestalten, die teils hager, teils grobschlächtig waren, jedoch nicht den Eindruck einer freundlichen Gesellschaft erweckten, musste der Barbier schlucken. Ein Gefühl von Unbehagen breitete sich in ihm aus und er wurde von der Sorge gepackt, ob er auch so enden würde. Zerlumpt, mit strähnigem Haar und einem leeren Blick. Schnell schüttelte er die aufsteigende Angst ab und ermahnte sich wieder zur Ruhe. Er musste das Bisschen Zeit einfach wohlbehalten überstehen! Schließlich wollte er in seiner jetzigen Verfassung bleiben, wenn er Lucy wieder in die Arme schließen konnte. Mit diesen Gedanken bewegte sich Benjamin endlich von der Stelle auf eine der Pritschen zu, die jedoch schon einer der Mitgefangenen in Beschlag genommen hatte. Als dieser das Vorhaben des Barbiers erkannte, funkelte er ihn finster an. „Komm bloß nich‘ näher, sonst kriegse was aufs Maul! Das ‘s meine Pritsche!“, knurrte er und entblößte ein paar braune Zahnstummel. Erschrocken wich Benjamin zurück. „Verzeihung“, murmelte er und ließ sich nach einiger Zeit – mit sichtlichem Widerwillen – müde auf eine halbwegs saubere Stelle, wie er fand, sinken. Das modrige Stroh, das in einer anderen Ecke vor sich hin faulte, ignorierte er. So schwer es ihm auch fiel zu akzeptieren, so wurde er sich bewusst, dass er sich vorläufig mit seinem Schicksal würde abfinden müssen. Die Tage verstrichen zäh in Newgate. Hatte Benjamin anfangs noch geglaubt, es wäre unmöglich, sich an die Umstände in dem Gefängnis zu gewöhnen, so wurde er nun eines Besseren belehrt. Der Gestank war am schnellsten zu einem unvermeidlichen Teil seines Aufenthalts geworden, trug er zudem – so unangenehm es ihm auch war – selbst dazu bei. Länger dauerte es, bis der Barbier seinen Ekel, auf dem Boden zu schlafen, überwunden hatte und auch das Ungeziefer, das sich in seine Kleider genistet hatte, nicht mehr durch beständiges Krabbeln, Kitzeln und Jucken auf der Haut zu seiner Schlaflosigkeit beitrug. Mit großer Resignation akzeptierte er schließlich auch das ungenießbare Essen und die Tatsache, dass das abgestandene Trinkwasser eine Vielzahl an Würmern beherbergte und er so gezwungen war, seine Zähne als Filter benutzen zu müssen, wenn er seinen Durst stillte. Dennoch gab es etwas, womit er sich nicht einfach abfinden wollte. Jedes Mal wenn der Wärter die schwere Zellentür öffnete, um die klägliche Mahlzeit zu verteilen, sprang Benjamin auf und erklärte vergeblich, dass sich alles um ein schreckliches Missverständnis handeln müsse und ob man dies nicht endlich zur Kenntnis genommen hätte. Jedoch ignorierte ihn der Wärter geflissentlich, was den Barbier nicht davon abhielt, jedes Mal aufs Neue zu fragen. In der ersten Zeit wurde dies noch mit spöttischen Bemerkungen von Seiten der anderen Insassen zur Kenntnis genommen, doch irgendwann gehörte auch das bloß noch zum immer gleichbleibenden Tagesablauf. Manchmal hatte Benjamin das Gefühl, verrückt zu werden, während der schrecklichen Eintönigkeit. Jeder Tag, der verstrich quälte ihn. Mit jedem neuen Licht des Tages, das durch den schmalen vergitterten Spalt in die Zelle fiel, erwachte seine Hoffnung, um mit dem Austeilen des Essens wieder vom Wärter zunichte gemacht zu werden. Nach einigen Wochen war die anfängliche in ihm erwachende Hoffnung erloschen. Stattdessen nutzte er die Zeit, von der er wahrlich zu viel hatte, sich an den Gedanken zu klammern, das Missverständnis würde bald bemerkt werden. Denn was hatte er vergangen, für das er hätte festgenommen werden müssen? Nichts! Er konnte sich nicht entsinnen, je etwas verbrochen zu haben. Er hatte immer ein glückliches, vorbildliches Leben geführt. Allein der Gedanke an sein Leben und seine Lucy tat weh. Das Letzte was er von ihr gesehen hatte, bevor ihn die Polizisten endgültig fortgezerrt hatten, war ihr verzweifelter Blick in dem angsterfüllten Gesicht gewesen. Die Erinnerung daran schmerzte jedes Mal und der Barbier wünschte sich, seine Frau so nie hätte sehen zu müssen. Noch schrecklicher aber war die Gewissheit, in diesem Moment nicht bei ihr sein zu können. Stattdessen befand er sich in dieser dreckigen Zelle und wusste nicht einmal, warum. Vielleicht aber verwechselte man ihn mit einem anderen Barbier, der seiner Arbeit unfähig gewesen war und dadurch seine Kunden in Lebensgefahr gebracht hatte. Solche Leute sollte es ja angeblich geben. Es waren diese teils törichten Gedanken, die den Barbier am Leben hielten und das Grauen um ihn herum ausblendeten. Die Schreie, die hin und wieder durch ganz Newgate hallten, der Mann, der kläglich an seiner Krankheit verreckte, das provokante Verhalten der anderen Insassen, die auf einen Ablenkung versprechenden Streit hofften, all das zog an Benjamin vorüber, als sei er nur ein Außenstehender. Das mussten es auch, denn ansonsten hätten sie zu einer Veränderung beigetragen, zu der er nicht bereit war. Er wollte Lucy wieder unverändert gegenüberstehen und ließ sich deswegen auf nichts ein, was diesen Wunsch gefährden könnte. Und dann kam der Tag, der unverhoffte Abwechslung in Benjamins Dahinvegetieren brachte. Es war vielleicht früher Nachmittag, als auf einmal ein Wärter die schwere Zellentür öffnete. „Mr Barker? Sie haben Besuch“, verkündete er monoton und wartete darauf, dass sich einer der Insassen als Mr Barker zu erkennen gab. Allein die Worte genügten, um Benjamin aus seiner Lethargie zu reißen. Mit einem Schlag war er wieder von belebender Hoffnung erfüllt und zugleich gesellte sich Verwunderung dazu. Wer war es, der ihn besuchte? Lucy? Ja, es musste Lucy sein, wer anderes konnte ihn auch sonst besuchen wollen? Aber der Gedanke dämpfte seine Freude, musste er sich doch eingestehen, dass er seine Frau nicht an solch einem grässlichen Ort wissen wollte. Schweigend folgte Benjamin dem Wärter. Er wurde in eine kleine Zelle geführt, in deren Wand sich ein vergittertes Loch befand, durch das er mit dem Besuch im angrenzenden Raum reden konnte. Zögernd stellte sich Benjamin davor und versuchte hindurch zu spähen. Überrascht zuckte er wieder etwas zurück, als er den Besuch erkannt hatte. Es war nicht Lucy, wie er fälschlicherweise angenommen hatte. Es war Mrs Lovett, seine Vermieterin. „M-Mrs Lovett?“, fragte der Barbier überrascht. „Aber was - … warum?“ Verwirrt hielt er inne, darum bemüht seine Gedanken zu sammeln. „Es hat schon alles seine Richtigkeit, Mr Barker“, hörte er dann die Stimme seiner Vermieterin. „Ich habe nicht viel Zeit, deswegen warten Sie bitte mit ihren Fragen, vielleicht beantworten sie sich ja mit dem, was ich Ihnen erzählen möchte.“ „In Ordnung“, murmelte Benjamin. Seine Stimme war heiser von all dem Schweigen der letzten Wochen. Oder waren gar schon Monate vergangen? Benjamin wusste es nicht. „Sicherlich überrascht Sie mein Besuch“, begann Mrs Lovett bedächtig, „und eigentlich sollte nicht ich sondern Ihre Frau hier an meiner Stelle sitzen. Sie müssen wissen, Mr Barker, dass man Ihrer Frau den Einlass verwehrt. Allem Anschein nach handelt es sich hierbei um eine strikte Anweisung von oben, die es untersagt, Mrs Barker auch nur einen Schritt hinter die Mauern Newgates zu lassen, denn alle Bestechungsversuche von ihr waren vergebens. Schließlich habe ich mich angeboten, Sie zu besuchen, da ich durchgelassen werde… Es tut mir sehr Leid für Sie, Mr Barker, Sie müssen zweifellos darauf gehofft haben, nach all der Zeit Ihre Frau nun endlich wiedersehen zu können.“ Eine kleine Pause trat ein, in der Mrs Lovett überlegte, was sie nun als nächstes sagen sollte und Benjamin das Gesagte zu verstehen versuchte. Warum war es Lucy nicht erlaubt, ihn zu besuchen? Er konnte es sich beim besten Willen nicht erklären. Vielmehr stimmte diese Neuigkeit ihn noch unglücklicher, als er ohnehin schon war. Wann würde er endlich wieder seine Lucy sehen können? Trotzdem wusste er die Tat seiner Vermieterin zu schätzen. Es tat gut, wieder mit jemandem reden zu können und eigentlich war er froh darüber, dass Lucy nicht dieses schreckliche Gefängnis von Innen sah. Deswegen sagte er leise: „Ich danke Ihnen sehr für Ihre Unterstützung. Ich hoffe, dass genügend Geld da ist, um die Miete weiterhin bezahlen zu können…“ „Machen Sie sich darum keine Gedanken, Mr Barker“, beruhigte Mrs Lovett den Barbier. „Selbst wenn Sie nicht Ihre Miete zahlen könnten, so kenne ich doch die Umstände dafür und würde sie keineswegs einfach rausschmeißen.“ Ein schlechtes Gewissen übermannte sie auf einmal bei ihren Worten, denn sie entsprachen nicht der ganzen Wahrheit. Natürlich würde sie die Familie Barker nicht einfach hinauswerfen, wenn es ihnen nicht sofort möglich war, die Miete zu bezahlen. Sie war jedoch auf das Geld angewiesen und die Zeit, die nun schon verstrichen war, in der Lucy sie nicht mehr hätte bezahlen können, war bereits zu lang. Doch gab es jemand anderes, der die Miete für Mrs Barker ohne ihr Wissen bezahlte. Der Richter – Richter Turpin. Dies aber verschwieg Mrs Lovett Mr Barker, da sie nicht wollte, dass er sich während seines Gefängnisaufenthalts zu viele Sorgen machte und es ihn letztendlich zerreißen würde. „Ich stehe wirklich sehr in Ihrer Schuld, Mrs Lovett. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich Ihre Worte beruhigen“, seufzte Benjamin erleichtert, nun, da er wusste, dass es Lucy den Umständen entsprechend gut ging. Dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten: „Aber bitte sagen Sie mir, wie geht es Lucy? Geht es ihr gut? Ich weiß doch, wie schnell sie die Einsamkeit bedrückt und ich mache mir furchtbare Sorgen um sie.“ „Ihrer Frau geht es … den Umständen entsprechend gut. Sie brauchen sich nicht allzu große Sorgen zu machen, Mr Barker. Ich soll Ihnen … auch von ihr ausrichten, dass sie fest von Ihrer Unschuld überzeugt ist. Sie kann den Tag gar nicht mehr erwarten, an dem sie Sie wiedersehen wird. Und Mr Barker, auch ich bin von Ihrer Unschuld fest überzeugt. Ich bin mir sicher, dass es sich hierbei um ein Missverständnis handelt oder vielleicht auch um ein faules Spiel, doch egal was es ist, es wird bestimmt bald aufgeklärt sein.“ Es fiel Mrs Lovett schwer den festen Klang in ihrer Stimme aufrecht zu erhalten. Schnell wechselte sie das Thema: „Ein anderer Grund, weshalb ich hier bin, ist, um Ihnen auszurichten, dass Ihr Aufenthalt in Newgate sich dem Ende zu neigt. Mir ist von einem Kunden zu Ohren gekommen, dass wohl bald Ihr Gerichtsverfahren stattfinden wird. Ich hoffe, dass sich dort die Umstände Ihrer Verhaftung klären werden und Sie wieder zurück in Ihr Leben kehren können.“ Benjamin hätte nie geglaubt, wie belebend solche Worte sein konnten. Sie entflammten seine erloschene Hoffnung, nun, da seine Zeit in Gefangenschaft bald vorüber sein sollte. „Danke!“, sagt er, doch bevor er fortfahren konnte, unterbrach ihn Mrs Lovett: „Einen Augenblick noch, Mr Barker.“ Für einen kurzen Moment schien es, als würde Benjamins Vermieterin in einer Tasche wühlen, dann wandte sie sich wieder an ihren Mieter und schob etwas durch den schmalen Spalt. „Hier bitteschön. Das ist alles, was ich noch für Sie tun kann, aber ich denke, nach all dem schrecklichen Fraß, den Sie hier vorgesetzt bekommen, dürfte es eine Wohltat sein.“ Verwundert griff Benjamin nach dem kleinen Etwas und starrte es neugierig an. Ein verführerischer Duft stieg von dem Päckchen in seiner Hand auf und als er es neugierig genauer betrachtete, sah er, dass es sich um eine in Tuch gewickelte Fleischpastete handelte. Sein Magen zog sich unangenehm zusammen. Er hatte schon so lange nichts Leckeres mehr zum Essen bekommen! Das Wasser lief ihm im Mund zusammen und er musste sich beherrschen, um sie nicht einfach in sich hineinzustopfen. Schnell besann er sich wieder und wandte sich stattdessen an Mrs Lovett. „Vielen Dank“, sprach er aus tiefstem Herzen. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich Ihr Besuch freut und welch große Hilfe Sie in dieser schweren Zeit für Lucy und mich sind!“ Trotz der Erwähnung von Lucy brachten diese Worte Mrs Lovett zum Strahlen. Sie hatte das Gefühl, zum ersten Mal von ihm wahrgenommen zu werden. Der Moment hätte ewig währen können, doch wurde er jäh zunichte gemacht, als der Wärter sie darauf aufmerksam machte, dass ihre Besuchszeit um sei. „Das habe ich doch sehr gerne für Sie getan. Selten hat man das Glück, so nette Mieter zu bekommen und ich hoffe inständig, dass das Gerichtsverfahren zu Ihren Gunsten verläuft“, brachte Mrs Lovett schnell heraus. „Es tut mir Leid, aber die Zeit ist nun um. Ich hoffe, dass ich Sie schon bald in meinem Geschäft wieder sehen werde. Auf Wiedersehen!“ „Auf Wiedersehen“, konnte Benjamin grade noch erwidern, dann war seine Vermieterin auch schon verschwunden. Er selbst blieb völlig verwirrt sitzen und versuchte, das alles zu begreifen. Das Gespräch, so kam es ihm vor, war viel zu schnell gegangen und es hatte so vieles gegeben, was er sie noch hatte fragen wollen. Denn was hatte sie mit faulem Spiel gemeint? Bevor Benjamin sich jedoch weiter in Gedanken verlieren konnte, wurde er vom Wärter grob auf die Füße gestoßen. „Los, vorwärts!“, befahl dieser und schubste den Barbier vor sich her. „Du wirst noch genügend Zeit haben, Löcher in die Luft zu starren, wenn du wieder in deiner Zelle bist!“ Die Pastete fest an sich gedrückt, wurde Benjamin wieder zurückgebracht. Während die Zellentür mit einem lauten Knall hinter ihm ins Schloss fiel, versteckte der Barbier hastig Mrs Lovetts Fleischpastete unter seiner verdreckten Kleidung. Im letzten Moment war ihm bewusst geworden, dass die anderen Insassen womöglich nicht lange zögern und ihn seiner köstlichen Mahlzeit berauben würden. Erst in der Nacht, als durchdringende Schnarchlaute die Stille der Zelle durchbrachen, wagte Benjamin es, sich an der Pastete gütlich zu tun. Ein wohliger Seufzer entfuhr seinen Lippen, als der köstliche Geschmack des Gebäcks auf seiner Zunge lag. Nach all der langen Zeit hatte es nicht nur gut getan, wieder mit einem vertrauten Menschen reden zu können, sondern auch den leeren Magen mit solch einer Köstlichkeit – denn das war die Fleischpastete in Benjamins Augen – zu füllen. Und mit dem gefüllten Magen durchströmte belebende Zuversicht jede Faser seines Körpers und riss ihn wieder aus seiner Lethargie. Dankbarkeit erfüllte Benjamin von neuem für das, was seine Vermieterin für ihn getan hatte. Ja, er stand wahrlich tief in Mrs Lovetts Schuld! Schon am nächsten Tag wurde verkündet, dass Benjamins Gerichtsverfahren in einer Woche stattfinden würde. Mrs Lovett hatte sich also nicht geirrt! Benjamin spürte, wie er unruhig wurde, je näher der Tag des Gerichts rückte. Freude stieg in ihm auf, wenn er sich ausmalte, wie das Missverständnis sich klären würde und er wieder zurück zu seiner Lucy könnte. Er konnte ihr strahlendes Gesicht vor sich sehen, konnte ihre Worte hören und beinahe schon die Umarmung spüren, mit der sie ihn stürmisch begrüßen würde nach all der langen Zeit des Getrenntseins. Doch hatten Mrs Lovetts Worte auch Zweifel und Verwirrung gesät. Noch immer war es Benjamin unverständlich, was seine Vermieterin mit faulem Spiel gemeint haben könnte. Wollte sie damit etwa andeuten, dass man ihn absichtlich, trotz seiner Unschuld, verhaftet hatte? Allein der Gedanke war für Benjamin undenkbar und trotzdem spürte er ein unangenehmes Ziehen der Angst, wenn er daran dachte. Denn wäre dem tatsächlich so, was würde ihm dann widerfahren? _________________________________________________________________________________ Hier ist das 3. Kapitel. So nach der Überarbeitung fällt das Gespräch zwischen Lucy und Turpin nicht mehr so lang aus^^; Ich fand es irgenwie schon wichtig, die Gefangenschaft vor einem Gerichtsverfahren richtig darzustellen und nun dürfte es sich so ähnlich zugetragen haben. Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass die Insassen Benjamin tyrannisiert haben. Nur so sehr wollte ich diesen Teil nicht in die Länge zeihen und vielleicht waren es ja allesamt Ausnahmefälle, mit denen Benjamin in der Zelle eingesperrt war^^ In dieser FF versuche ich das 1. Mal ein Kapitel aus der Sicht von mehreren Personen zu schreiben, deshalb habt bitte Verständnis dafür, wenn der Übergang und so noch nicht ganz so toll wird. Besonders dazu würden mich dann auch eure Meinungen, Tipps etc. interessieren^^ lg -Hakura Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)