Traditions von Lunatik (Tendershipping (auch Bronzeshipping)) ================================================================================ Kapitel 3: Wind --------------- Mariku lag auf seinem Bett und starrte an die Decke. Er wollte sich eigentlich hinlegen und den geraubten Morgenschlaf wieder nachholen, doch sein Geist und sein Körper waren wach. Sein Gesicht war ungewöhnlich ausdruckslos. Kein Funken Provokation, Überlegenheit oder Herausforderung waren darin zu sehen. „Taisabaki“, flüsterte er leise. In seinen Gedanken ging er die Lektionen des Vormittags noch einmal durch. Er würde sich alles genau einprägen und alles perfekt umsetzten. Dann würde er gegen diesen Möchtegernmeister ankommen. Ihn mit seinen eigenen Mitteln schlagen! Wäre dann vielleicht auch Malik endlich stolz auf ihn? Ryou war mit ganzem Körper und fast ganzer Seele eingenommen von dem Bild, das sich ihm bot. Das zartgrüne Gras direkt vor ihm. Die dahinter beginnenden braunen, dicken und weißen, dünnen Stämme mit ihren Kronen in allen möglichen Grüntönen. Verschiedenfarbige Blüten hier und da. Ein Eichhörnchen, das den Baum hochjagte. Hochgewachsene Gräser, die sich im leichten Wind zur Erde neigten. Der fröhliche Gesang der Vögel. Und hinter dem scheinbar endlosen Wald ragten die riesigen Berge in die Höhe. Aus der Ferne schienen sie mit einer Moosschicht bedeckt zu sein, doch eigentlich war es immer noch der Wald. Ryou schluckte. Es zog ihn zu der kahlen Spitze des größeren Berges. Es war als würde etwas in ihm danach schreien und wild um sich schlagen, um den Wunsch zu unterstreichen. Doch er hatte nicht den Mut diesem Wunsch nachzugehen. „Woran denkst du?“ Die Stimme Bakuras riss Ryou aus seinem merkwürdigen Zustand der inneren Zerrissenheit und äußeren Ruhe. „Ich…“, er schluckte wieder, den Blick weiterhin auf den Berg vor ihm gerichtet. „Ich würde gerne auf diesen Berg steigen.“ Nachdem er seinen Wunsch geäußert hatte, war es als würde seine Seele erleichtert aufatmen. Der innere Streit beruhigte sich, zumindest vorerst. Einige Minuten lang herrschte Schweigen. Ryou genoss seine innere Stille. In diesem Moment konnte er voll und ganz sich dem Panorama geben und dieses in sein Inneres lassen. Die Klänge der Natur erfüllten ihn. Seine Augen glänzten vor Glück. „Warum tust du es dann nicht einfach?“, sprach Bakura schließlich. Sein Tonfall klang weder herrisch noch belustigt. Ryou konnte die Stimme nicht ganz deuten. Die Frage überrumpelte den Kleinen – das konnte Bakura genau sehen. Das kurze Zusammenzucken, der Blick, der dann zu ihm jagte und nun diese Unschlüssigkeit in den Augen seines Schülers. Es war, als ob Ryou nicht wüsste, ob er antworten sollte. Als würde er Angst vor der Reaktion haben, sollte er es doch tun. Dabei wusste Bakura genau, was dem Kleinen durch den Kopf ging. Angst es nicht zu schaffen, wenn er es probieren würde. Mit aller Macht probieren. Es war eine grausame Erfahrung zu sehen wo die eigenen Grenzen lagen. Vor allem, wenn diese viel niedriger lagen, als man es erwartet oder gehofft hatte. Doch war dies auch eine sehr wertvolle Erfahrung. Man durfte sich nur nicht davon unterkriegen lassen. „Lass dir Zeit, die du brauchst.“ Schon wieder schien der Kleine auf seine Worte hin verwirrt. Er würde es schon verstehen. Wahrscheinlich. „Das Training fängt gleich an, lass uns gehen.“ Pünktlich. Motiviert. Entschlossen. Genau das waren die beiden Schüler, die nun geduldig im Seiza vor ihm saßen. Die großen Schiebetüren des Dojos waren geöffnet, um frische Luft herein zulassen. Wind wehte hinein, am Boden des Dojos entlang, wirbelte Staub hoch zu den drei Anwesenden. Wühlte die zotteligen blonden Haare auf. Die glatten weißen Strähnen. Das Durcheinander der langen weißen Mähne. Die zwei Augenpaare, die den Lehrer anstarrten, schienen diesem Wind zu trotzen und doch blieb alles in alter Tradition unbeweglich. Ein Klatschen in die Hände. Verbeugungen. „Lasst uns beginnen.“ Nach harten zwei Stunden, die ruhig anfingen und sich immer mehr in den Kategorien Kraftaufwand und Intension steigerten, lehnte Ryou erschöpft an die Wand. Er war zwar noch nicht am Ende seiner Kräfte, aber er war solch eine Form von Anstrengung nicht in dem Maße gewohnt. Neben ihm stand eine Wasserflasche. Bakura hatte es ihnen erlaubt zwischendurch etwas zu trinken zu holen. Auf Grund ihres Anfängerstatus konnten Ryou und Mariku noch solche Extras in mitten des Unterrichts genießen, doch wie ihnen erklärt wurde, würde sich das schon bald ändern. Dankbar öffnete Ryou die halbleere Flasche und trank mit großen Schlucken das kühle Wasser. Seine Augen ließen dabei für keinen Augenblick von seinem Lehrmeister und Mariku ab. Der merkwürdige Tanz, den die beiden aufführten, war dafür zu faszinierend. Immer wenn Mariku angriff und Bakura den Angriff mit einem Shiho-Nage parierte, musste Ryou förmlich die Luft anhalten in der Angst er könnte einen Augenblick verpassen. Die flüssigen aber effektiven Bewegungen Bakuras boten einen anmutigen Anblick, den man kaum von einer Kampfsportart erwarten würde. Doch gleichzeitig wirkte die Technik, oder vielleicht auch nur Bakuras Ausführung dieser, listig und überlegen – was Mariku nur noch mehr reizte. Shiho-Nage war die Technik, mit der sie heute angefangen hatten. Eine Wurftechnik, aber ohne einen wirklichen Wurf auf ihrem Niveau sondern dem berühmten Abrollen stattdessen – da waren die gehassten Rollen Marikus wieder aufgetaucht. Anfangs hatte Ryou mit Mariku trainiert, doch immer öfters hatte sich Ryou eine Pause genommen – die fehlende Ausdauer machte sich schnell bemerkbar. Während dieser Zeit hatte Mariku Bakura immer wieder angegriffen, um nur Sekunden später sich auf dem Boden abzurollen. Doch auch Mariku durfte die neue – die erste – Technik an dem Lehrer ausprobieren und Ryous Ansicht nach machte er Fortschritte, während er selbst doch meist kläglich an der Ausführung scheiterte. Nach einer weiteren Viertelstunde verkündete Bakura das Ende des Trainings für diesen Tag. „Der erste Tag ist immer der kürzeste. Doch vergesst nicht, ihr schuldet mir noch siebzig Runden! Ihr habt zwei Minuten, um was zu trinken und dann ab nach draußen.“ Ein sadistisch angehauchtes Grinsen bestätigte, dass Bakura es bitter ernst meinte. Ryou spürte, wie sein Kopf anfing sich leicht zu drehen. Er hatte es total vergessen! Dabei war er jetzt schon erschöpft! Wie sollte er nur… Die schreckgeweiteten Augen sahen zu der Tür, die nach draußen führte. Die Sonne schien munter auf die Erde herab, doch das machte den Weg um das Dojo nicht attraktiver. Eher schlimmer. Was hätte er nur gegeben, um diesen unmöglichen siebzig Runden zu entkommen. Aber vergeblich zitterte sein Körper unter dem mahnenden Blick seines Lehrmeisters. So ergab sich Ryou der bevorstehenden Qual. Seine Lungen schmerzten. Stechend. Brennend. Es war als könnte er keinen weiteren Atemzug mehr machen. Und doch – sein Körper atmete von alleine weiter. Seine Beine fühlten sich wie Blei an. Der Körper zitterte. Immer wieder verschwamm der Blick vor seinen Augen. Er konnte kaum noch die Arme oben halten. Aufhören! Aufhören! Das hatte alles in ihm geschrien, lange. Doch nun hörte er nicht einmal das in seinem Inneren. Es war, als wäre alles egal. Er würde laufen. Laufen. Weiter laufen. Ryou lag in seinem Bett und schlief tief und fest trotz der Tatsache, dass es noch sehr früh war. Zufriedenheit lag dicht neben der Erschöpfung in seinen Zügen. Er hatte lange durchgehalten. Er war zwar langsam, Mariku hatte die Runden mindestens doppelt so schnell hinter sich gehabt, aber er hatte bis zum Ende durchgehalten. Immer wieder waren seine Schritte so schleppend, dass es viel mehr an Gehen als Rennen erinnerte, doch er hatte sich weiter getrieben. Unter dem wachsamen Blick Bakuras, der die Runden mitzählte, wollte er nicht aufgeben. Zwanzig. Dreißig. Vierzig. Fünfzig. Sechzig. Anfangs hatte er die Ansagen mit Aussichtslosigkeit entgegengenommen, doch dann fingen sie überraschenderweise an, ihn anzuspornen. Und schließlich hatte er es geschafft. Siebzig. Das war der erste Schritt zu seinem Berg. Er war tot ins Bett gefallen, keine einzige Sekunde hatte ihn noch vom erholsamen Schlaf trennen können. Erstaunlich. Es war mehr, als er erwartet hatte. Er hatte schon anfangs einen starken Geist vermutet, der irgendwo verborgen in dem Jungen schlummern musste. Jedoch hatte er nicht damit gerechnet diesen so schnell und vor allem auf diese Weise herauszulocken. Ein zufriedenes Lächeln voller Vorfreude legte sich auf die Lippen Bakuras. Das würde sicher ein interessanter Monat werden. Fast ungeduldig nippte er an seinem Sake-Schälchen. Ein inneres Bedürfnis breitete sich mit nagender Sturheit in ihm aus. Er wollte den beiden vielversprechenden Schülern etwas beibringen. Doch gleichzeitig wollte er sie zu den Besten machen. Zu den Besten der Besten. Um sie dann zu zerbrechen. Die Zikaden erfüllten mit ihrem Klang die Nacht. Der Mond schien auf die Terrasse, auf der Bakura trank. Es war sein Lieblingsplatz. Schon seit langer Zeit… Seit er damals verloren hatte. Was er den beiden Jungs alles beibringen können würde in diesem kurzen Monat. Nur ein einziger Monat war viel zu wenig für eine Kunst, die Jahre erforderte. Die langen weißen Strähnen wiegten sich in dem Wind hin und her. Was würde dieser neue Wind mit sich bringen? Erfolg, Niederlage? Wonach strebten denn seine Schüler und war dies letztlich nicht egal? Wusste er, wonach er selbst strebte? Ein Lächeln, das in die Dunkelheit hineinpasste, als ob es aus dieser geboren wurde. Ein Raubtier der Nacht, das seine Beute gesichtet hatte. Das sich in Vorfreude auf seine Beute schon im Gras wälzte. Mariku starrte die Sterne aus dem Fenster an. Er konnte nicht einschlafen, was nicht weiter verwunderlich war. Es lag nicht in seiner Gewohnheit vor Mitternacht ins Bett zu gehen. Nach den siebzig Runden hatte er massig Zeit. Er hatte noch Ryous Bemühungen zugeschaut. Innerlich zollte er diesem etwas Anerkennung. Es war eine beachtliche Strecke für jemand untrainierten. Und es würde sicherlich zu sehr viel Muskelkater führen. Einige Stunden hatte er mit dem illegal eingeführten Nintendo Advance verbracht, doch allzu viel Zeit konnte man damit auch nicht totschlagen. Mariku seufzte. So viel Zeit brachte ihn zum Nachdenken und das endete meist nicht gut. Er hatte heute eine akzeptable Leistung erbracht, doch das viel zu kurze Training hatte ihn genervt. Wenn es nach ihm ginge, so hätten sie ruhig auch das späte Training machen können. Er hatte nur einen Monat Zeit, um Bakura zu schlagen, doch das würde er gewiss schaffen! Und in einem Monat würde er dann stolz sein Ergebnis Malik präsentieren. Er würde erst zufrieden sein, wenn er Bakura besiegt hatte. Ein weiteres Seufzen. Manchmal war es kein leichter Weg sich selbst zu beweisen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)