Schattenlicht von Gayagrod ================================================================================ Diese Geschichte beginnt an einem ganz normalen Tag mit einem ebenso normalen Mädchen, wie es scheinen mag. Sein Name ist Cassidy und wie schon oft zuvor ist sie im Wald in der Nähe ihres Elternhauses unterwegs, um ihren ausgebüchsten Hund nach Hause zu bringen. Sie denkt nicht daran, dass sich etwas Außergewöhnliches ereignen könnte, doch an diesem Tag wird sie eines Besseren belehrt werden ... *** "Raa-half! Ralf, komm doch her! Wo steckst du nur wieder?" Die Worte des Mädchens erklangen im Wald, doch kein freudiges Kläffen antwortete ihm. Cassidy war nun schon eine ganze Weile auf der Suche nach ihrem Hund Ralf unterwegs und langsam war sie mit ihrer Geduld am Ende. Sie sah auf ihre Uhr und stellte fest, dass es nicht mehr lange bis zum Abendessen war. Da es auch schon angefangen hatte zu dämmern, beschloss sie, nicht mehr allzu lange im Wald zu suchen. So ging sie nach Ralf rufend und Ausschau haltend weiter, bis sie eine kleine Lichtung erreichte. Sie seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. 'Okay, das war's für heute mit der Suchaktion', dachte das rotblonde Mädchen und wollte sich schon umdrehen, um den Rückweg anzutreten, als ihr Blick über etwas auf der Lichtung streifte. 'Moment mal, was ...?' Irgend etwas war auf dieser Lichtung, was dort nicht hingehörte. Cassidy beschloss, es sich anzusehen. Als sie die Lichtung überquerte und erkannte, dass es sich um ein menschliches Wesen handelte, dass in der Mitte der Lichtung saß, zögerte sie kurz, ging dann aber entschlossen weiter. Schließlich stand sie vor dem Wesen und sah auf es herab. Es war ein junger Mann mit silbrigem, schulterlangem Haar, der inmitten eines Kreises aus faustgroßen Steinen hockte, die mit seltsamen Symbolen bemalt waren. Der Mann starrte trübsinnig zu Boden und schien sie nicht zu bemerken. Er trug fremdländische braune und sandfarbene Kleidung, die locker um seinen dünnen Körper fiel und den Farben der Bäume und des Bodens angepasst zu sein schien. Seine Haut war bronzefarben mit einem goldenen Schimmer. Noch nie zuvor hatte Cassidy jemanden wie ihn gesehen. Sie war von dem Fremden fasziniert und ihr Herz klopfte schneller, als sie ihn ansprach. "Hallo?", fragte sie vorsichtig, um den Mann nicht zu erschrecken. Der Fremde reagierte nicht. "Hallo, fehlt Ihnen etwas?", fragte Cassidy mit mehr Nachdruck in der Stimme und hockte sich vor den Fremden, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Der junge Mann zwinkerte ein paar Mal mit den Augen, so als ob er aus einem langen Schlaf erwachte und sah sie dann an. Seine Augen waren tiefschwarz und sein Blick ließ sie kurz frösteln, denn es war ein Blick voll unendlichen Leidens. "Du ... kannst mich sehen?" Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen. Das Sprechen schien ihm schwerzufallen und als es Cassidy gelang, sich von seinen traurigen Augen zu lösen, bemerkte sie, dass sein Gesicht ausgemergelt und blass war. Er schien am Ende seiner Kräfte zu sein. "Ja, natürlich", antwortete Cassidy wahrheitsgemäß. Zwar fand sie seine Frage merkwürdig, aber da seine Aura etwas beruhigendes hatte, schob sie ihre Zweifel beiseite. "Geht es Ihnen nicht gut?" "Nein", antwortete der Andere. "Hast du ... vielleicht ... etwas Wasser für mich?" "Ich habe Saft dabei", bot Cassidy an und begann, in ihrer Umhängetasche herumzukramen. Sie holte eine halbvolle Plastikflasche hervor und reichte sie dem Fremden, der die Flasche hastig leer trank. "Danke", sagte der Fremde und lächelte ihr zu, als er ihr die Flasche wiedergab. "Du hast mich vor dem Verdursten gerettet. Wie ist dein Name?" "Cassidy", antwortete die Angesprochene. "Und deiner?" "Caessius", erwiderte der Andere. "Unsere Namen passen gut zusammen", meinte er und schmunzelte. "Muss Schicksal sein, dass du mir über den Weg gelaufen bist." Cassidy sah ihn nur erstaunt an und wusste nicht, ob sie etwas antworten sollte. "Meine Frage eben wird dich sicher verwundert haben", stellte Caessius fest. "Du bist nämlich das erste Menschenkind, dass mich sehen kann, seit ich in diesem Steinkreis gefangen bin." "Du bist gefangen?" Etwas besseres fiel Cassidy nicht ein. "Und ich bin kein Kind mehr", fügte sie leicht gekränkt hinzu. Caessius lächelte geheimnisvoll. "Jemand von deiner Art wird von meinem Volk immer als Menschenkind bezeichnet – du wirst es wahrscheinlich nicht glauben, aber ich gehöre zu den Waldelfen." "Was du nicht sagst", meinte Cassidy mit ironischem Unterton in der Stimme. "Du musst mir nicht glauben", erwiderte Caessius ruhig. "Aber zu deiner Frage: Dieser Steinkreis hier hält mich gefangen. Es ist eine Woche her, da ruhte ich mich auf dem Baum aus, der an dieser Stelle stand, als ein Zauber mich an ihn band. Am selben Tag wurde dieser Baum gefällt, aber da ich mit ihm verbunden war, konnte ich diesen Platz nicht verlassen. Andere Menschen sahen weder mich noch den Steinkreis, sondern nur den Baumstumpf, deshalb konnte ich niemanden um Hilfe bitten. Ich bin durch den Verbindungszauber wie der Baum in der Erde verwurzelt. An sich wäre das kein großes Problem, da die Bäume und Pflanzen des Waldes uns Elfen mit Nährstoffen versorgen können. Aber dieser Baumstumpf ist tot, dafür hat dieser Zauber ebenfalls gesorgt, deshalb konnte er mir auch keine Nahrung geben. Wenn du nicht gekommen wärst, wäre ich wahrscheinlich verdurstet." Für einige Moment herrschte Stille zwischen den beiden, als Cassidy darüber nachdachte, was Caessius ihr soeben erklärt hatte. Schließlich meinte das Mädchen: "Okay ... Nehmen wir an, ich glaube dir. Du bist also ein Waldgeist –" "Waldelf", verbesserte Caessius. "Was auch immer. Jedenfalls bist du an diesen Baum gebunden und kannst hier nicht weg, was heißt, dass du ohne Hilfe verhungern würdest ... Richtig?" "Richtig", bestätigte Caessius. "Und warum kann ich dich dann sehen?", überlegte Cassidy laut. "Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hast du eine besondere Verbindung zur Welt der Geister – das ist im Moment die einzige Erklärung, die ich habe." "Mh ...", grübelte Cassidy. "Kann man die Steine nicht einfach entfernen?" Sie streckte eine Hand aus, um Selbiges zu tun. "Nicht!", fuhr Caessius sie an und das Mädchen erstarrte mitten in der Bewegung. "Wenn du diese Steine berührst, wird ein Fluch auf dir lasten!" "Oh", meinte Cassidy kleinlaut und zog schnell ihre Hand zurück. "Ich selbst könnte den Bann auflösen, wenn ich wieder stark genug wäre. Aber in meiner jetzigen Verfassung wird mir das kaum möglich sein." Traurig ließ er den Kopf hängen. "Was isst ein Waldelf denn so?", fragte Cassidy neugierig. "Wenn ich die Einzige bin, die dich sehen kann, dann bin ich auch die Einzige, die dir helfen kann." "Du würdest mir helfen?", fragte Caessius überrascht, doch dann seufzte er traurig. "Ich möchte dir keine Umstände bereiten ..." "Und ich lasse niemanden sterben!", sagte Cassidy entschlossen. "Auch wenn ich dich nicht kenne und seit Jahren nicht mehr an Elfen und Feen glaube – irgend etwas ist an dir, was mir gefällt." Caessius lächelte. "Wir haben auf das Volk der Menschen schon immer eine besondere Anziehungskraft ausgeübt." Cassidy zuckte nur mit den Schultern. "Wenn du das sagst." Sie stand auf. "Also, was isst du nun? Irgendwelche Sonderwünsche?" "Mir genügen Waldbeeren, Brot und etwas Wasser", meinte Caessius. "Das ist aber ein magerer Speiseplan." "Nun ja ... ein wenig Honig wäre nicht schlecht, für das Brot", meinte Caessius. "Ich bin ziemlich genügsam." "Gut, das müsste ich alles besorgen können. Immerhin möchte ich schon wissen, ob du nur irgend ein Spinner bist oder ob ich mit meinem Gefühl richtig liege. Ich hoffe, es stimmt, was du erzählst und dass du ein bisschen Magie einsetzt, wenn du dich befreist", meinte Cassidy und grinste Caessius frech an. "Was Magisches wollte ich nämlich schon immer mal sehen." Caessius schmunzelte nur. "Ich denke, ich werde dich nicht enttäuschen." Cassidy sah auf ihre Uhr. "Ich muss jetzt nach Hause. Bis morgen." Sie wollte gehen, besann sich dann aber anders. "Brauchst du vielleicht eine Decke? Nachts wird es immer noch ziemlich kalt, auch wenn fast schon Hochsommer ist". "Nein, danke, mir macht die Kälte nichts aus", meinte der Elf. "Ich werde morgen auf dich warten." "Gut. Rühr dich nicht vom Fleck." Das Mädchen grinste. "Denn ich komme wieder, darauf kannst du dich verlassen." Mit diesen Worten drehte sie sich um und trat den Heimweg an. Aufgeregt und voll ungeduldiger Spannung, was der nächste Tag ihr bringen würde. [Der Rest des Kapitels folgt demnächst.] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)