Piratenblut / Familienbande von Henry_Morgan (Dein Schicksal ist die See) ================================================================================ Kapitel 9: Meer --------------- Was bedeutet das Meer für die Menschen? Für die einen ist es das Leben, Wasser und Nahrung, für andere nur ein unüberbrückbares Hindernisses. Andere sehen in ihm einen Gott, einen launischen unberechenbaren Gott und wieder andere die sehen in ihm ihre Heimat und ihre Freiheit, das Paradies auf Erden. Ich zähle mich zu den letzteren, wie wohl jeder Pirat es tut. Doch so sehr wir das Meer auch lieben, so sehr fürchten wir es auch. Kann es in dem einen Moment so still und friedlich sein, ist es im anderen doch unberechenbar und wild. Dennoch liebt es niemand so sehr wie uns, sind wir doch seine Kinder. Denn niemand liebt es so, wie wir. Wir ziehen für es in den Krieg, wir sind bereit für es zu sterben. Denn das Meer gehört uns allein, es ist unsere Heimat! Und niemand, wirklich niemand wird es uns jemals wegnehmen können. Ihm ist es egal ob wir Uniformen tragen oder Kleider. Ihm ist es egal ob wir zum Tode verurteilt sind oder Commodore der Royal Navy, denn wir sind eins mit ihm und niemand kann uns entzweien. Das Meer, dass sind wir! Wir sind schon mehrere Wochen unterwegs, doch haben immer noch kein Ziel. Zwar habe ich einiges gelesen aus Every’s Buch, jedoch nichts weiter herausgefunden. Das einzige was es mir brachte, waren schmerzhafte Erinnerungen und mehrere Erinnerungslücken an den vorausgegangenen Tag. Ich bin dabei wieder in dieses schreckliche schwarze Loch zu fallen, in das ich fiel, als ich die Nachricht über meinen Bruder hörte. Tot! Er und tot? Wie kann er tot sein? >Bruder…< Und schon wieder holt mich eine Erinnerung ein. Eine Erinnerung, die ich schon fast wieder vergessen hatte. Die Erinnerung daran, was er mir immer sagte, was er versuchte mir zu vermitteln, doch was mir so schwer fiel. Es war mir nicht möglich seinen Wünschen und Anforderungen gerecht zu werden, hatte ich doch alles daran gesetzt. Ich wollte perfekt sein, niemals Fehler machen, damit er mich liebt. Wie töricht dieser Gedanke doch war! Als hätte er mich nicht geliebt hätte ich Fehler gemacht! Dabei hat er mich so sehr geliebt. Mein geliebter Bruder… Tief in Gedanken versunken betrete ich zum ersten Mal seit Tagen wieder das Deck und werde von der hellen, brennenden Sonne geblendet. Bin ich doch nicht mehr an ihren hellen Schein gewöhnt. Auf Deck herrscht wieder wildes Treiben. Eine solche Hektik bin ich gar nicht mehr gewohnt. Wie schnell man sich doch an einen Zustand gewöhnen kann. „Hey Johnny“, erklingt Jacks fröhliche Stimme hinter mir und ich stöhne leicht, habe ich doch gerade keine Lust mit ihm zu reden. „Aye Captain?“, entgegne ich lächelnd und versuche meine wahren Gefühle zu verbergen. Schließlich bin ich ja gut darin, bin ich doch Kind eines Offiziers der Royal Navy. „Hab dich schon lange nicht mehr gesehen. Hast du dich vor mir versteckt?“, fragt er lächelnd und legt seinen Arm um meine Schulter. Warum muss er mich denn ständig antatschen?! „Nein, ich habe nur ein wenig Ruhe gebraucht“, antworte ich und löse mich aus seiner „Umarmung“. „Hast du denn was neues raus gefunden?“, erkundigt er sich. Ich zögere kurz bei dem Gedanken an Becketts Brief, entgegne jedoch dann:„Ne“ „Hm…du bist vier Tage in der Vorratskammer und liest und findest nichts raus?“, fragt Jack ungläubig und seine Augen blitzen auf, „Weißt du Johnny…du magst vieles sein. Ein guter Pirat, ein guter Kämpfer, aber kein guter Lügner. Savvy?“ „Aye“, stöhne ich deprimiert und muss mich doch geschlagen geben, „Norringtons Schwester war Becketts Verlobte. Die Ehe wurde arrangiert und sie sollten am 25. Mai vor zehn Jahren heiraten“ „Aha!“, ruft Jack aus und streckt belehrend den rechten Zeigefinger in die Luft, „Nur kam es wohl nicht zu dieser Hochzeit. Ist Beckett ja an diesem Tag ein wenig leicht gestorben“ „Aye“, bestärke ich seine Vermutung. „Interessant, interessant“, murmelt Jack und wandert nachdenklich über das Deck. >Oh Jack, du hast keine Ahnung wie gut ich lügen kann…< Mit einem Seufzen klettere ich ins Krähennest und schaue in den himmelblauen Himmel. Endlich wieder Ruhe, fernab von der Crew und vorallem fernab von Jack. In letzter Zeit war er aber auch unglaublich nervig. Lag es an mir? Oder lag es an ihm? Ist ja auch egal! Die Tatsache änderte ja trotzdem nichts daran, dass ich sein First Mate war und immer noch nicht das gefunden hatte, nachdem ich suchte. Stöhnend atmete ich die salzige und kühle Luft ein. „Was mach ich hier nur?“, frage ich mich selbst in Gedanken an meine ersten Tage auf der Pearl. Dieses Leben war mir so fremd und so neu, doch Jack hatte großes Vertrauen in mich. Er sagte, ich wäre der geborene Pirat. Woher er das wohl wusste? Wieso hatte er mich unter all den Leuten auf Tortuga angesprochen? Wieso gerade mich? Schließlich bin ich nicht gerade der stärkste und ziemlich auffallend bin ich nicht. Aber er bahnte sich zu mir seinen Weg und fragte mich, ob ich bei ihm anheuern möchte. >Was hast du vor Jack Sparrow?< Ich hole ein altes abgenutztes Buch aus meiner inneren Manteltasche und öffne es. Lächelnd und in Erinnerungen schwelgend lese ich: „Es ist der dritte Tag an Bord der Pearl. Jack ist mir irgendwie unheimlich. Ständig wankt er herum und erzählt irgendwelche Ammenmärchen und Abenteuer mit Untoten oder Fischmenschen. Ich frage mich immer noch ob es die richtige Entscheidung war hier hin zu kommen. Ob es mir wohl auf meiner Suche hilft? Okay, wen nicht Jack Sparrow, wer kann mir dann helfen? Aber warum fühle ich mich dann so schlecht? Ach Bruder, ich vermisse dich so! Ich kann immer noch nicht glauben dass du fort bist! Wieso? Ich hoffe du kannst mir verzeihen, dass ich mich von der Royal Navy abgewandt habe.“ Ich spüre wie mir eine Träne über die Wange läuft, sind doch die alten Wunden wieder aufgerissen. Sind doch alle alten Gefühle wieder weg. Ohne zu zögern wische ich die Träne weg, die Erinnerung daran und verbanne sie aus meinem Herzen. Stoße sie von mir weg, damit sie mich nicht erreicht, mich nicht verletzen kann. Denn wer verletzlich ist, der ist schwach und wer schwach ist, der ist verletzlich und ich darf nicht verletzlich sein. Ich darf keinerlei Schwächen haben. Nicht in dieser Welt. In dieser Welt zählt nur Stärke und Erfolg, Macht und Geld. Haltung und Disziplin. Wie naiv ich doch war anzunehmen, dass diese Welt ein schöner Ort ist. Ein Ort voller Freude und Glück. Wie naiv dieser Gedanke doch war! Diese Welt ist nicht schön. Sie ist nicht einmal annähernd schön. Sie ist die Hölle! Und wir können ihr nicht entkommen. Vielleicht sind wir deshalb Piraten geworden, weil wir feige sind und vor ihr fliehen wollen. Vielleicht ist das Meer gar nicht das Paradies, sondern einfach nur ein Ort, der besser ist als die Hölle, die uns an Land erwartet. Vielleicht liebe ich das Meer deshalb…weil es mir die Möglichkeit gibt fortzulaufen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)