Staring At The Sun von Blackwolf (Zufall) ================================================================================ Kapitel 1: As I Saw Him ----------------------- Ihr rauschendes Blut dröhnte in ihren Ohren und ihre Muskeln zitterten förmlich von der Anstrengung. Ihr Brustkorb hob und senkte sich rhythmisch, während ihr Körper langsam, aber stetig, zur Ruhe kam. Sie kramte mit schwitzigen Händen in ihrer Bauchtasche nach dem Wohnungsschlüssel und schloß das Appartement auf. Die Zeitung, die sie auf dem kleinen Tischchen im Flur abgelegt hatte, fand einen neuen Parkplatz neben dem Toaster in der nicht mehr ganz modernen, aber funktionellen Küche. Sakura redete sich ein, dass sie durch aggressive Konfrontation zu mindest einmal dazu kommen würde wenigstens den Politikteil zu lesen. Sie durchquerte ihr Wohnzimmer, ein heller, freundlicher und geschmackvoll eingerichteter Raum, und schälte sich dabei mühsam aus ihrer verschwitzen Sportkleidung, als das Läuten des Telefons kurz ertönte und sich der Anrufbeantworter einschaltete, den sie beim Betreten der Wohnung vergessen hatte auszuschalten. „Sakura? Bist du etwa schon auf der Arbeit?“ Ino Yamanaka, die Werbeslogans für eine Werbeagentur kreierte, machte eine kurze Pause, als erwartete sie von dem Anrufbeantworter eine intelligente Antwort auf ihre Frage. „Egal. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich mir mal die Internetseite dieses Kerls angeschaut habe. Also, ich meine diesen Künstler. Sai heißt er. Sieht doch ziemlich gut aus, oder? Naja, ich wollte nur verkünden, dass du mich unbedingt zur Vernissage einladen musst, verstanden? Ich rufe dich noch mal an, vielleicht in meiner Mittagspause.“ Sakura, die sich gerade die Kleidung für die Arbeit zurecht legte, seufzte innerlich erleichtert auf. Ino, eine ihrer ältesten Freundinnen, war vor drei Monaten in ein tiefes Loch gefallen, als ihre Beziehung zu Shikamaru Nara in die Brüche gegangen und der mit seiner neuen Flamme nach Vancouver gezogen war. Alle Aufmunterungsversuche waren an Ino abgeperlt wie die Wassertropfen von dem Duschvorhang, den sie gerade zuzog, um sich den Schweiß vom Körper zu waschen. Doch anscheinend hatte Ino sich dazu entschlossen aus ihrem Stimmungsloch hervor zu klettern und ihre Wohnung auch zu anderen Unternehmungen neben der Arbeit zu verlassen. Dennoch machte sich Sakura Sorgen, da sie Inos Art zur Genüge kannte – die große Blondine war launisch, schnell beleidigt und konnte sehr zickig sein, wenn man sie einmal zu oft reizte. Diese Eigenschaften beschrieben Personen, denen man oftmals auch nachsagen konnte, sie seien stur, und bei Ino war das leider eindeutig der Fall. Sie hatte sich entschloßen wieder ins echte Leben einzutauchen, aber ob sie dafür wirklich bereit war, stand auf einem ganz anderen Papier geschrieben. Es war genau neun Uhr an einem kühlen, aber wolkenlosen New Yorker Frühlingstag, als Sakura Haruno, gekleidet in einem cremefarbenen Etuikleid, die chinesische Delegation einer bekannten Elektrofirma, bestehend aus Betriebsräten und Personalführern, zusammen mit deren amerikanischer Geschäftsleitung, einigen anderen wichtigen Angestellten und einem Finanzier, durch die weißen Räume des Museum of Modern Art in New York führte. Sie hielt vor Monets Seerosen und verwies auf die pastose Farbauftragung und die ungewöhnliche Größe des Gemäldes. Die Chinesen schienen ihre Ausführungen nur bruchstückhaft zu erfassen, da ihr Englisch offensichtlich mehr schlecht als recht war, und betrachteten die Bilder der berühmten Künstler nach zehn Minuten eigenständig, ohne ihr groß Gehör zu schenken. Es störte sie nicht besonders, da sie wusste, dass nicht jeder ihre Passion für Kunst, die schon seit ihrer jüngsten Kindheit bestand, teilte. Viele mochten es zwar, und hielten es vielleicht für eine Pflicht, Kunstwerke anzusehen, die Intentionen der Maler oder auch die Finesse, die in jedem Pinselstrich lag, war jedoch nicht jedem klar. Man hatte sie früher sogar ausgelacht, war skeptisch gewesen und besonders ihre Eltern hatten ihren Entschluss Kunstgeschichte zu studieren mit Phrasen wie „Und was willst du nach deinem Studium machen?“ oder „Studiere doch Medizin.“, versucht zu untergraben. Erfolglos. „Bitte folgen sie mir zu den Surrealisten.“ Sie hob die Hand, damit die Besucher ihr folgten und schritt auf ihren hohen Stöckelschuhen einen Raum weiter und lauschte den Geräuschen ihrer Absätze, die von den hohen, weißen Wänden widerhallten. Dabei spürte sie den Blick, den einer der Amerikaner ihr zuwarf, auf sich ruhen. Dieses Gefühl der intensiven Beobachtung war ihr nicht neu. Sie wusste, dass sie hübsch war. Nicht, weil sie eingebildet war, sondern weil sie - seit sie aus den Zeiten der Pubertät, in der sie jeden Pickel notdürftig abdecken musste und ihr Lächeln so gut sie konnte unterdrückte, da sie die Zahnspange, die sie drei Jahre lang tragen sollte, hasste - einige Verehrer hatte, die ihr Aussehen vor allem Anderen als ihren größten Vorzug betonten. Sie schenkte dem dunkelhaarigen Mann ein flüchtiges Lächeln, bevor sie mit der Führung fortfuhr. Die Führung endete im Erdgeschoss in einem großen Ausstellungsraum, entlang der Wände und verteilt im Raum blitzsaubere Glasvitrinen. Darin lagen sie... „Die Masken. Französisch masque. Spanisch máscara.“ Sie führte die Besucher zu einer länglichen Vitrine am Ende des Raumes, dessen Licht leicht gedämmt war, was die Bewohner der gläsernen Quader seltsam lebendig wirken ließ. „Woher das Wort Maske stammt, ist nicht genau bekannt. Möglichkeiten wären latainisch mascus, der Geist, oder auch das arabische Wort maskharat, der Narr, die Hänselei, der Scherz.“ Sie machte eine Pause und ließ ihre Hand auf der Oberfläche der Vitrine nieder. „Dies ist eine Sammlung japanischer Noh-Masken, die Männer während dem Noh-Theater tragen. Es ist nur ein Beispiel für den Gebrauch von Masken. In Afrika werden sie während kulturellen Riten, im Alpenraum und im benachbarten schwäbisch-alemannischen Raum zur Fastnacht oder Silvesterbräuchen getragen.“ Die Besucher schienen die Masken als willkommene Abwechslung zu den Bildern anzusehen und untersuchten jede Vitrine. Nachdem sie einige Fragen beantwortet hatte, insbesondere Fragen, die der junge Amerikaner ihr mit aufrichtigem Interesse stellte, beendete sie die Führung mit einer leichten Verbeugung, bedankte sich für den Applaus und wünschte einen angenehmen Tag und erklärte, wer wolle, könne ja noch einmal durch die anderen Ausstellungsräume gehen und die Gemälde auf sich wirken lassen. Während sie im Ausstellungsabschnitt Henri Matisse & Pablo Picasso, vor Henri Matisses Frau mit Schleier stand, wurde sie angesprochen. Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, denn sie erkannte die Stimme. Es war der junge Amerikaner. „Ich wollte mich noch einmal bedanken, für die Führung.“ Er hatte ein fröhliches Lächeln das seine etwas zu groß geratenen Schneidezähne offenbarte. „Sie sind wirklich gut, wissen sie.“ „Vielen Dank.“ Sie neigte leicht den Kopf und hielt ihm dann die Hand hin. „Ich bin Sakura Haruno. Eigentlich bin ich Galeristin, aber ich arbeite für das MoMA.“ Er erfasste hastig ihre Hand und sie sah, wie er leicht errötete. Anscheinend war er es nicht gewohnt, dass Frauen so offensiv sein konnten. Seine großen Handflächen waren feucht und warm. „Rock Lee. Ich bin der Junior Chef von People Electronics.“ „Junior Chef?“ Smalltalk konnte nicht schaden, überlegte sie. Rock Lee war nicht ihr Typ, aber dennoch würde sie ihn sich genauer anschauen. Sie war bald 34 Jahre alt, ihre längste Beziehung hatte zwei Jahre gehalten und sie war seit über einem Jahr Dauergast bei den Singlepartys der New Yorker Szeneclubs - für sie ein eindeutiges Zeichen dafür, dass etwas schief lief. Sakura gab es nicht gerne zu, aber wenn ein Mann etwas hatte, dass musste nicht unbedingt optische Attraktivität sein, dann war sie für einen One-Night-Stand zu haben. Nur für einen One-Night-Stand. Mit mehr als einem Viertel Jahrhundert auf dem Rücken hatte man seine Prinzipien, und zu ihren gehörte: Echte Liebe, und wenn du die nicht bekommst, dann nimm wenigstens echten Sex. Sie wusste, dass ihre Eltern Sex aus purem menschlichen Verlangen weder nachvollziehen konnten, noch gut hießen. Das lag daran, dass sie japanische Auswanderer waren, die kurz vor der Geburt ihrer Tochter Fuß in Brooklyn gefasst hatten, und ihre japanische Erziehung und Werte nicht mit der westlichen Lebensart übereinbringen konnten. „Mein Vater ist einer der Gründer von People Electronics. Ich werde das Unternehmen übernehmen, wenn er sich zur Ruhe setzt.“ Ein gewisser Stolz schwang in Rock Lees Stimme mit. Stolz, der sicherlich gerechtfertigt war, denn wer bekam schon einen so hindernislosen Karriereweg in die Wiege gelegt? Und all das Geld... Sie beobachtete seine Mimik, während er ihr noch mehr über das Unternehmen verriet. Er hatte ausdrucksstarke Augenbrauen, wenn man es denn so ausdrücken wollte. Sie waren rabenschwarz, wie sein Haupthaar, und sie waren buschig. Sehr buschig und breit. Während er ihr erzählte, was er alles zu tun hatte, sie ihm mit kurzem Nicken und Jas ihre Aufmerksamkeit zusicherte, betrachtete sie weiter sein Erscheinungsbild. Welcher Stilberater ihm auch erzählt hatte, laubfroschgrün sei die Farbe der Saison, sollte gefeuert werden. Der aus edel aussehendem Stoff geschneiderte Dress konnte von Yve-Saint Laurent oder Roberto Cavalli sein, er würde trotzdem niemals nach ihrem Geschmack sein. An der gegenüberliegenden Wand, die genau in Rock Lees Rücken, hing Knabe, ein Pferd führend von Pablo Picasso. Ein weiterer Anzugträger stand davor. Er beugte sich nach vorne und berührte das Bild. Strich darüber. Über ein Gemälde von Pablo Picasso. Selbst Kunstbanausen besäßen nicht solch eine Dreistigkeit – davon abgesehen, dass sich solche auch schwerlich im Museum of Modern Art finden lassen. „Entschuldigung.“, sagte sie hastig zu Lee, der über Aktienkurse philosophierte. Sakura drückte sich an ihm vorbei, schritt herrisch, fast stürmisch auf den Mann zu, der sich anschickte den Picasso zu ruinieren. „Entschuldigung. Sie!“ Sie war fast bei ihm angekommen, und trotz des Lärmes den sie verursachte, befingerte der Mann, breitschultrig und groß, weiterhin das kostbare Gemälde, als wäre es sein Eigen. „Bitte berühren sie das Gemälde nicht! Die Säuren, die ihre Haut absondert beschädigen die Ölfarben!“ Endlich schien der Kerl zu bemerken, dass sie ihn meinte. Er drehte sich just in dem Moment um, da sie ihn erreicht hatte. Und verdammt, er sah gut aus und sein Anzug, ein klassisch schwarzer Armani, passte ihm wie angegoßen. Er sah sie unbeeindruckt an. „Sie dürfen die Bilder des MoMAs nicht berühren.“, wiederholte Sakura, während sie den gut aussehenden Mann mit dem rabenschwarzen Haar unaufhörlich musterte. Sie kannte diese Art Männer, es war diese Art, die von sich selbst überzeugt waren, dass sie reihenweise Frauen in ihre Betten schleppten. Er war ganz offensichtlich einer dieser reichen, sexgeilen Machos, die sich in den Clubs beim Tanzen immer zwischen zwei Models eingeklemmt finden ließen. Auch er musterte sie. Und seine Augen waren einfach unglaublich durchdringend und lebendig, was man von dem Rest seines Gesichtes, dass durch und durch ohne Makel war, nicht sagen konnte, denn er sah immer noch ausdruckslos auf sie hinab. „Haben sie verstanden?“, fragte sie mit Nachdruck, auch wenn sie sich sicher war, dass sie einem Mann seines Kalibers keinen Respekt einflößen konnte. Wahrscheinlich konnte das nicht einmal der Anblick einer Meute wild gewordener Kampfhunde. Er sah sie für einen weiteren Augenblick an, diesmal eher abschätzend. Dann sagte er, in einer angenehmen, durch und durch gelassenen Stimme: „Machen sie sich keine Sorgen. Das MoMA muss sich was etwaige Restaurierungskosten angeht, nicht kümmern.“ „Keine Sorgen? Dieses Bild gehört zu einer Privatsammlung, die wir auf unbegrenzte Zeit ausstellen dürfen. Wir müssen für etwaige Schäden gerade stehen.“ Himmel, der Mann war eine Augenweide. Und er schien nicht zu begreifen, um was es sich handelte. Eine seiner aristokratisch geschwungenen Augenbrauen hob sich leicht, fast unmerklich. Dann senkte sie sich wieder. War das etwa ein Anflug eines Lächelns, das sich in seine Mundwinkel stahl? „Darf der Besitzer seine Bilder nicht begutachten?“ Sakura sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, sich insgeheim fragend, wie er es schaffte nur eine Braue zu heben. Die Art Männer, die solche Kunststücke kannte, war sicherlich mit Bedacht zu genießen. „Was meinen sie damit?“ „Sasuke Uchiha.“ Jetzt zupfte ein spöttisches Grinsen an seinen Mundwinkeln. „Mir gehört diese Sammlung, von der sie sprachen.“ Sie hasste diese Art von Männern. Männer, denen der ironische Unterton in den Stimmen gut stand, denn die waren meist die gefährlichsten. Sie versprühten Charme, ohne es zu wissen. Frauen wurden von dieser Art in Scharen angezogen... und vertilgt. „Wirklich?“, brachte sie in ihrer Überraschung heraus, während die Information, die sie von ihm erhalten hatte, immer noch irgendwo in einem Neutronenstau in ihrem Hirn feststeckte. „Wirklich.“ Sakura versuchte sich innerlich zusammen zu reißen und hoffte inständig, dass man die Schamesröte, die sich langsam anschickte auf ihr Gesicht zu legen, nicht sehen würde. „Ich muss Sie dennoch darauf aufmerksam machen, dass Sie die Bilder nicht berühren dürfen. Als Besitzer sollten Sie das doch wissen.“ Ihr Unterton war schärfer, als sie es beabsichtigt hatte. Dennoch lächelte Sasuke Uchiha, denn das sollten wohl die minimal angehobenen Mundwinkel darstellen. Rock Lee, der etwas unsicher am anderen Ende des Raumes gestanden hatte, trat nun hinter Sakura und sah Sasuke Uchiha mit leicht zusammen gezogenen Augenbrauen an. „Harvard, Erstsemester 1998? Und 2000 Eishocky Championship?“ Dies war der Moment, in dem Sasuke Uchiha erstmals einen richtigen Gesichtsausdruck zustande brachte. Überrascht sah er Rock Lee an. „Du hast auf John Harvards Schoß geschlafen, weil du so dicht warst.“ Die John Harvard Statue im Harvard Yard war das Opfer regelmäßiger Streiche und Dekorationen, so hingen an ihr im Sommer immer wieder Hawaiiketten, während sie im Winter oft Nikolausmützen trug. „Veritas!“, sagte Rock Lee fast schon feierlich und schüttelte Sasukes Hand. „Ihr ward 2000 wirklich genial. Endlich mal wieder ein Harvardsieg in der Ivy.“ Die Ivy League war eine Sportliga der acht der ältesten Universitäten Amerikas angehörten. Im übertragenen Sinne benutze man die Bezeichnung aber auch allgemein für die Gruppe der acht Elite-Universitäten Amerikas. „Veritas.“ Erwiderte Sasuke Uchiha das Universitätsmotto. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich jemals wieder sehe, Lee.“ „Die Welt ist klein!“ Rock Lee grinste. „Was machst du? Bist du auch ins Familienimperium eingestiegen?“ Uchiha schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe mich an einem Fonds beteiligt.“ Sakura seufzte innerlich, während sie die doch so unterschiedlichen Männer beobachtet. Uchiha schien sie und ihre Maßregelung schon längst vergessen haben, und sie bezweifelte, dass es ihn überhaupt kümmerte. „Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.“, sagte sie schließlich resignierend und nickte den beiden Männern zum Abschied. Lee, der sich anscheinend gerne reden hörte, erzählte Uchiha von einem Ehemaligen-Fest, dass dieser nicht besucht hatte. Angesichts Sakuras Verabschiedung, hielt er in seinem Monolog inne und sagte etwas zu hastig: „Wie schon gesagt, die Führung war wirklich sehr gut. Auf Wiedersehen.“ Uchiha nickte ihr nur lässig zu und das kleine Grinsen, das sich auf seine Lippen schlich, galt eindeutig Rock Lees Unsicherheit und dem leichten rosa Schimmer auf dessen Wangen. Nach einem kurzen Lauf durch die Flure des MoMAs betrat sie ihr Zimmer in der Büroabteilung, die absolut unansehnlich und langweilig gestaltet war, abgesehen von den Kakteen, die einige Mitarbeiter sich auf die Fensterbänke stellten. Sakura nahm ihre Tasche von dem Kleiderhaken und suchte darin ihr Handy. Niemand hatte ihr eine Nachricht geschickt oder angerufen. Sie erinnerte sich an Inos Anruf am Morgen. Wahrscheinlich würde die Blonde später anrufen. Da sie bald keine Führungen mehr durch das MoMA machen würde, waren die meisten Ordner und Bücher längst aus dem kleinen Büro verschwunden. Als einziger bunter Fleck im Raum diente ein kleines Foto von Ino und ihr, dass sie an den Rand des Computerbildschirms geklebt hatte. Sakura warf einen Blick auf ihre Uhr und überlegte sich, was sie angesichts der Uhrzeit machen sollte. Es war gerade erst kurz vor zwölf und sie hatte noch keinen Hunger. Mit einem kurzen Blick in den Mülleimer, der gefüllt war mit bekritzelten Post-its, anderen Zetteln, Fehldrucken und einem Becher von Starbucks, erhielt sie die Antwort. Ihre Zeit bis zu dem mittäglichen Treffen im Hilton mit dem Künstler Sai, dessen Werke sie in ihrer Gallerie ausstellen und verkaufen wollte, bei kubanischem Kaffee, angenehmer Musik und einem kalorienreichen Blueberry-Muffin tot zu schlagen, schienen ihr eine gute Entscheidung zu sein, und so machte sie sich auf den Weg zu einem der unzähligen Starbucks in New York, dem auf der 6th Avenue. Auf dem Weg zu dem Coffee Shop drehten sich ihre Gedanken hauptsächlich um die beiden Männer, denen sie begegnet war. Ihre Erwägung einen One-Night-Stand mit Rock Lee, der ihr eindeutig die Signale des Romantikers, und nicht die des Verführers gesendet hatte, zu erleben, begrub sie zusammen mit den vermutlich überspitzen Vorstellungen, die sie sich ersonnen hatte. Rock Lee nahm in ihnen die Rolle des liebeskranken Stalkers an. Zu erst lud er sie zum romantischen Dinner in ein nobles Restaurant ein, dann trafen sie sich im Kino um die schnulzigsten Hollywood-Filme zu schauen und jeden Abend, wenn sie nach Hause kam, würden sie unzählige Anrufe des Types „Hallo! Wollt mich nur mal melden. Wie geht’s dir? Ich mache gerade...“ auf ihrem Anrufbeantworter und rote Rosen erwarten. Sasuke Uchiha indes, da war sie sich sicher, war der Typ Mann, der sich die Frauen aussuchen konnte und deswegen wählerisch war, ergo ein eingebildeter Schönling, der die wahnwitzige Vorstellung hatte, dass man alles mit Geld kaufen konnte, er dies aber nicht nötig hatte. Sie wich einem Fahrradfahrer aus und versuchte ihre Gedanken von Männern zum Thema Galerie zu lenken. Sai hatte sie erst am gestrigen Tag kontaktiert, um das Treffen zu organisieren. Abgesehen von den Verträgen, die sie mitbringen würde, hatte Sai der Formalitäten wegen einen Anwalt angekündigt, der angeblich gewillt war ihrer beiden Interessen zu vertreten um nicht nur den Ausstellungsvertrag sondern auch noch andere Regelungen wie Mietkosten oder Verkäufe zu übernehmen. Das war natürlich eine gute Neuigkeit, denn so hatte ihr Vorhaben schon einen professionellen Rahmen, auf den sie bauen konnte. Die Starbucks-Filiale war wie jede andere auch mit einer großen Theke, wo man sich Kaffees, Tees, Sandwiches oder Kaffeestückchen kaufen konnte, ausgestattet. Sakura bestellte sich also einen Caffè Latte grande und einen Muffin, bezahlte und suchte sich dann einen Platz, was sich als äußerst schwierig herausstellte, da anscheinend gerade viel Betrieb war und so fast alle Plätze besetzt waren. Sie hatte Glück, denn ein Pärchen stand gerade von einem der Doppeltische am Fenster auf und sie konnte sich in einem der großen, gemütlichen Sessel niederlassen. Der Muffin war luftig locker und schmeckte göttlich nach den süßen Blaubeeeren. Sie nahm einen erneuten Bissen, als sie sich halb verschluckte; Sasuke Uchiha stand direkt vor dem Fenster und sah sie direkt an. Erst als seine Hand die vom Wind etwas zerzausten Haare ordnete, kam sie auf den Gedanken, dass er sie vielleicht nicht sah, sondern nur sein Äußeres in der Spiegelung bewunderte. Doch sie wurde Sasuke Uchiha nicht so schnell los, denn er betrat kurz darauf die Filiale, wie Sakura aus dem Augenwinkel bemerkte. Wahrscheinlich würde er sie ignorieren, wenn er sie sah, falls er sie überhaupt entdeckte. Es könnte ja sein, dass er auch im Besitz des berühmten männlichen Tunnelblicks war – man sah nur das, was man sehen wollte. War er nicht, denn als er nach einer Wartedauer von drei Minuten seinen Kaffee und den Double Chocolate Cookie in den Händen hielt und den Blick durch den Coffee Shop schweifen ließ, auf der Suche nach einem freien Sitzplatz, konnte er wohl nicht umhin ihre auffälligen Haare zu bemerken. Nach kurzem Zögern stand er neben ihr und überraschte sie mit seiner Frage. „Kann ich mich zu Ihnen setzen? Es ist ansonsten kein Platz mehr frei.“ Der zweite Satz klang in ihren Ohren so, als würde er damit darauf hinweisen, dass er sich sonst auf keinen Fall neben jemanden wie sie setzen würde. Trotzdem nickte sie, während sie unsicher einen Schluck von ihrem Kaffee nahm. Sicherlich erwartete er jetzt Smalltalk. Männer wie er waren immer Smalltalkfetischisten und man musste aufpassen, welche Happen man ihnen hin warf, denn die Männer dieser Art wussten, wie sie einem die schönsten Dinge entlocken konnten. „Ein kleiner Vormittagssnack?“, fragte Sakura schließlich Uchiha, der sich gemütlich in den Sessel gelehnt hatte und die Passanten beobachtete. Er blickte sie kurz an, heftete sein Augenmerk wieder auf die Fensterscheibe. „Ja.“ Sakura versuchte diese kurz angebundene Antwort irgendwo in das bekannte Klischee zu stecken. Doch eigentlich müsste Sasuke Uchiha jetzt erzählen, was er zu Mittag essen würde, was er danach machen würde, und was er danach, danach und danach machen würde. Tat er nicht. Er schien seine Ruhe haben zu wollen. Vielleicht konnte sie ihn ja aus der Reserve locken, denn es war einfach undenkbar, dass er nicht einer der Machos mit dickem Konto war. „Ich treffe mich später zum Mittagessen im Hilton. Das Restaurant soll sehr gut sein.“ Sie warf Uchiha über den Tassenrand einen kurzen, neugierigen Blick zu. Der Schwarzhaarige nahm in aller Seelenruhe einen Schluck von seinem Kaffee, krümelte dann etwas an dem Cookie und sah sie schließlich kurz an. Eine seiner Augenbrauen hatte den Weg nach oben gefunden. „Ja. Das ist ganz gut.“ Er machte eine kurze Pause. „Mit wem treffen sie sich?“ Sakura grinste innerlich. Der Fisch hatte angebissen. Ja, sie hatte recht gehabt, Sasuke Uchiha war ein Macho. Einer, der wollte, dass Frauen ihn interessant fanden, ihn fragten, nicht anders herum. Sicherlich war er einer der Art, die jede feministische Emanzipation in seiner Umgebung verachtete. „Es ist ein Geschäftsessen.“ Er würde sich schon anstrengen müssen, wenn er von ihr mehr erfahren wollte. „Seit wann macht das MoMA Geschäftsessen im Hilton?“ Uchihas Augenbraue wanderte nach oben. „Ich wurde nicht geladen, als ich den Verleihvertrag unterschrieben habe.“ Sakura brauchte einen Moment um zu erkennen, dass letzterer Satz eine leichte Priese Ironie enthielt. Sie lächelte, um ihm zu zeigen, dass sie das gemerkt hatte. „Ich bin eigentlich Galeristin. Es war nur ein Übergangsjob, das, was ich im MoMA gemacht habe.“ Er nickte leicht und sein Blick wurde intensiver, als würde er sie versuchen zu durchleuchten. So gründlich, dass sie unruhig mit den Fingernägeln auf ihre Tasse klopfte. Sie fragte sich angesichts seiner leicht gerunzelten Stirn, ob er ihr Verhalten nicht einordnen konnte. Eigentlich müsste ihn ihre Nervosität freuen, schließlich war es doch das Zeichen dafür, dass ihre primitivsten weiblichen Instinkte auf ihn ansprachen. Uchiha schien gerade im Begriff etwas zu erwidern, als ein angenehmes Summen ertönte. Er griff in die Innentasche seiner Anzugjacke und zauberte ein elegantes Handy hervor. Auf dem Display wurde anscheinend der Name eines Bekannten angezeigt, denn er schnaubte kurz und hob dann ab. „Hey.“ Es entstand eine kurze Pause. Uchiha hatte sich leicht weggedreht und den Kopf gesenkt. „Nein, heute Mittag habe ich keine Zeit.“, sagte der Schwarzhaarige. Der Anrufer schien heftig zu protestieren, was darauf schließen ließ, dass Uchiha ihn versetze, oder, dass der Anrufer eine Frau war, oder beides. „Naruto.“, zischte Uchiha in sein Designertelefon und warf Sakura, die sich bemühte nicht all zu neugierig auszusehen, einen undefinierbaren Blick zu. Er wandte sich wieder ab. „Ich habe keine Zeit. Vielleicht heute Abend.“ Wieder entstand eine Pause. „Okay. Bis dann.“, beendete Uchiha das Gespräch. Er schob das Handy zurück in seine Tasche, während er sich wieder gerade hinsetzte und Sakuras Blick streifte. Diesmal entstand zwischen den beiden eine peinliche Stille. Unisono griffen sie zu den Tassen – mehr um irgendetwas zu tun, als sich den vorzüglichen Kaffee schmecken zu lassen. „Ein Bekannter?“, fragte Sakura schließlich, und kam zu dem Schluss, dass Naruto eindeutig ein Männername war. Vielleicht erklärte das Sasukes seltsames Verhalten ihr gegenüber – er war schwul, hatte sogar einen Freund, wollte aber nicht, dass jemand etwas davon erfährt. Uchiha schien ihre Gedanken zu erraten, wahrscheinlich war der Ton in ihrer Stimme zu unbedarft gewesen. Er verdrehte die Augen. „Das ist lächerlich.“ „Was ist lächerlich?“ Sakura sah ihn voller Unschuld an. Dennoch, sie war überrascht, dass er solche Feinfühligkeit beweisen konnte. Wahrscheinlich verstand er mehr von Frauen, als er zugeben wollte. „Sie denken, ich sei schwul, nur weil ein Mann mich angerufen hat?“ Uchihas Stimmung schwankte zwischen leichtem Entsetzten und Amüsement. „Wenn Sie die sexuellen Vorlieben der Leute um Sie herum an dem Geschlecht ihrer Anrufer festlegen würden, was denken Sie, wie viele Frauen wären lesbisch? Richtig. Alle.“ Das ihr schon bekannte Grinsen schlüpfte in seine Mundwinkel. Sakura schaffte ein richtiges Grinsen zu Stande zu bringen. „Es war also nur ein Bekannter.“ Uchiha nickte, als erneut das Summen seines Handy ertönte. Der Name, der jetzt auf dem Display erschien, schien ihn noch weniger zu erfreuen, wenn man es untertrieben ausdrücken wollte. „Karin.“, knurrte Uchiha und wandte sich erneut von Sakura, die die Ohren gespitzt hatte, ab. „Ich habe gesagt, ruf mich nicht an. Wenn ich mich mit dir treffen will, dann rufe ich dich an. Verstanden?“ War Sakura sich nicht sicher gewesen, dass Sasuke Uchiha einer der Männer war, der Frauen reihenweise den Kopf verdrehen könnte, dann wäre sie es zu mindest zu diesem Zeitpunkt. Wer immer auch Karin war, die Wortwahl, mit der Uchiha die Frau abwimmeln wollte, ließ keinen anderen Schluss zu, als dass die beiden eine sexuelle Beziehung hatten. Und es schien auch so, dass Uchiha die Fäden in den Händen hielt. Er entschied wann, wo und wie. „Nein. Ich fahre heute Abend zurück. Wenn ich wieder in der Stadt bin und das Bedürfnis habe, werde ich mich schon bei dir melden.“ Er legte ohne ein weiteres Wort auf. „Sie sind nicht aus New York?“, fragte Sakura und versuchte anhand seines Akzentes einzuordnen, woher er kam. Allerdings hatte er keinen. Er sprach Standard-Englisch, das was man in der Schule lernte - er war also in Japan aufgewachsen. „Nicht direkt. Ich habe ein Haus in den Hamptons.“ Uchiha schien in seinen Gedanken etwas abgedriftet zu sein, denn er starrte erneut aus dem Fenster. Am Himmel waren nun graue Wolken aufgezogen und der Wind schien auch stärker geworden zu sein. Dennoch schien die Sonne durch manche Wolkenlücken, erhellte ein paar wenige Stellen, und wenn sie Glück hatte, vielleicht würde der Wind die Wolken davon tragen und New York City würde das erste Mal in diesem Frühling die ersten Boten der neuen Jahreszeit spüren können. „Sicherlich haben Sie das.“ Sakura lächelte. Es war nur natürlich, dass es so war. Jeder betuchtere New Yorker besaß ein Haus in den Hamptons. Und da Uchiha im Besitz mehrerer berühmter Kunstwerke war, konnte Sakura auch ohne Probleme sagen, dass Uchihas Haus sicherlich mehr als nur aus Flur, Küche, Wohnzimmer und Bad bestand. Der letzte Tropfen Kaffee verschwand, ebenso die letzten Krümel des Blueberry-Muffins. Uchiha, der später gekommen war, und wesentlich langsamer aß und trank, nickte ihr zu, als sie aufstand. „Ich will nicht zu spät kommen.“, erklärte sie, während sie sich ihren cremefarbenen Trenchcoat, passend zu ihrem Kleid, anzog. Er hatte sie nicht nach der Handy Nummer gefragt, sie hatte ihn nicht gefragt. New York City war riesig, wahrscheinlich würden sie sich nie wieder über den Weg laufen. Gut so. „Einen schönen Tag noch.“, sagte Sakura, nahm Uchihas kurze Handbewegung zum Abschied zur Kenntnis, und verließ dann die Starbucks-Filiale. Den Kopf gegen den kalten Wind eingezogen, machte sich Sakura auf den Weg zum nächsten Taxistand, der nur fünf Minuten die 6th Avenue hinunter war. Dort angekommen, ließ sie sich auf dem Rücksitz eines der gelben Cabs nieder und orderte den Fahrer, einen Mann, dessen graue Haare sein linkes Auge fast gänzlich verdeckten und der hastig irgendein Schmuddelheft unter seinem Sitz verschwinden ließ, an, sie am Hilton heraus zu lassen. „Schreckliches Wetter, was?“, sagte er, als sie zum vierten Mal an einer roten Ampel anhalten mussten. Sakura nickte. „Das kann man wohl sagen. Und heute Morgen hatte ich sogar noch das Gefühl, dass es endlich etwas freundlicher werden könnte.“ Am Rückspiegel hing ein knallroter, kitschiger japanischer Glücksbringer – solche, wie sie auch ihre Eltern überall in ihrem Haus in Brooklyn hatten. Außerdem saß auf der Hutablage des Cabs einer dieser gräßlichen Wackeldackel, wobei dieses Modell einem kleinen Mops viel eher ähnelte. Der Fahrer, der sie während der wegen roter Ampeln etwas länger dauernden Fahrt mit kleinen Geschichten aus seinem Alltagsleben unterhalten hatte, hielt vor dem Hilton. Sie bezahlte, gab ihm reichlich Trinkgeld und verabschiedete sich mit einem Lächeln auf den Lippen. Das Hotelrestaurant, das Etrusca, war nahe zu leer, abgesehen von einem alten Ehepaar, das anscheinend in einen kleinen, liebevollen Streit versunken, vergessen hatte, dass sie sich nicht in ihrem eigenes Haus befanden. Sai war noch nirgends zu sehen. Einer der in weiß-schwarz gekleideten Kellner kam auf sie zu, verneigte sich leicht und fragte: „Haben sie reserviert?“ Angesichts der gähnenden Leere, erschien ihr diese Frage zu nächst lächerlich, aber wer wusste schon, wie viele Leute in einer Stunde das Etrusca bevölkern würden? Sie überlegte. Wahrscheinlich hatte Sai reserviert, also nickte sie und nannte den Namen. „Ein Platz für drei Personen? Bitte folgen sie mir.“ Er führte sie zu einem eingedeckten Tisch, schob ihr den edlen Lederstuhl zurecht und fragte sie, ob sie etwas trinken wolle. Sakura bestellte ein Wasser. Eine Viertelstunde später erschien Sai. Er hatte glattes, festes Haar um das ihn jede Frau beneidet hätte. Sein Kleidungsstil war so, wie sie ihn kennen gelernt hatte. Locker, dennoch elegant. Nur die schwarzgeränderte Brille war neu, doch sie stand ihm auch sehr gut, auch wenn die Augen hinter den Gläsern noch etwas müde wirkten, wahrscheinlich durch den Jet-Lag, denn er war direkt aus Mailand angereist. „Sakura!“, begrüßte er sie und gab ihr sehr europäisch zwei Wangenküsse. „Und, wie geht’s? Wir sollten noch etwas warten, unser Anwalt hat angerufen, er verspätet sich nur um ein paar Minuten. Steckt im Stau auf der 6th Avenue fest.“ Er setzte sich ihr gegenüber hin und grinste. „Ist mir vorhin auch so ergangen.“, sagte Sakura, während Sai einen Rotwein bestellte. Als er gerade den ersten, vorsichtigen und bedächtigen Schluck nehmen wollte, stand er auf einmal auf, stellte sein Glas ab und ruderte mit den Armen. „Hey!“, rief er und grinste. Sakura musste lächeln. Das war Sai: Verrückt. Es schien so, als wäre der Anwalt etwas wie ein alter Bekannter, sonst würde Sai nicht so eine kleine Begrüßungsshow abziehen. Neugierig drehte sie sich um. Und wenn ihr Leben ein Comic gewesen wäre, ihre Kinnlade wäre schmerzhaft auf den Boden geknallt. Ja, die Welt war tatsächlich klein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)