Martel's Life von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Der Beginn einer Legende ----------------------------------- Eigentlich wuchs ich auf wie jedes andere Mädchen. Ich spielte gerne mit Puppen, späterhin mit meinem kleinen Bruder, liebte es, in den klaren Flüssen des Waldes zu baden, und genoss die Heimdall umgebende Natur einfach sehr. Schon in jungen Jahren interessierte ich mich für antike Sprachen, allerlei Wissenschaften und Geschichte, und wusste, dass ich später einmal in einem wissenschaftlichen Beruf arbeiten und eine Familie haben wollte. Der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, war ein von der Außenwelt abgeschottetes Dorf, in dem nur Elfen lebten. Denn Heimdall war Wesen anderen Blutes nicht als Aufenthaltsort gewährt. Eigentlich… hatten mein Bruder und ich nur die Erlaubnis, dort zu leben, weil der Dorfälteste unser Großvater war, doch wirklich akzeptiert wurden wir von den anderen Bewohnern im Geheimen leider nie. Obwohl es nach außen manches Mal so aussah. Heimdall wurde von zwei Wäldern begrenzt; dem Ymir-Wald im Süden, der auf Wasser gebaut und somit nur auf Brücken begehbar war, sowie dem nördlich liegenden Torent-Wald, der schon viele Lebewesen in seinen wirren Lichtungen und Schatten verschluckt hatte. Als kleines Kind habe ich gerne die tief herabhängenden Äste der urwüchsigen Bäume des Ymir-Waldes genutzt, um mich ins Wasser zu schmeißen und im Teich mit den Fischen, Schildkröten und Nutrias zu schwimmen. Später aber, als wegen der Eskalation des Krieges die Kontrollen verschärft worden waren, durfte ich es nicht mehr... Der von mir so geliebte Torent-Wald galt als schon immer als heilig, immerhin erzählte man sich von einem Elementargeist, der dort im großen Kharlanbaum Yggdrasill leben sollte. Dieser Baum war das Zentrum des Waldes und somit wie das Herz der hiesigen Natur. Dies war auch der Grund, warum man ihn nur mit Erlaubnis meines Großvaters betreten durfte. Er war der überlebenswichtige Manabaum, der alles Leben spendete. Alles Mana, welches jemals auf der Welt gebraucht wurde, hatte seinen Ursprung in der Weltenesche. In den siebzehn Jahren, die ich in Heimdall lebte, habe ich eine ganz besondere Beziehung zu diesem Baum aufgebaut, und das lag sicher nicht nur daran, dass der Baum meinen Familiennamen trug. Denn schon früh habe ich bemerkt, dass ich die Gabe habe, das Mana eines Lebewesens zu spüren, und so bekam ich auch mit, dass mit seinem Managleichgewicht etwas nicht stimmte. Zwar hatte ich mit meinen Heilkräften ebenfalls die Fähigkeit, das innerste Gleichgewicht wieder zu korrigieren, aber es war klar, dass das nicht ewig so weitergehen konnte. Der Manaverbrauch zur Zeit des Kharlankrieges war einfach zu enormen Ausmaßes für diesen heiligen Baum, mochte er auch noch so gigantisch sein… stellte man diese beiden Extreme nebeneinander, war er winziger als ein Sandkorn. Und da die Menschen ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der Magitechnologie immer weiter ausbauen und verbessern mussten, stieg von Tag zu Tag der Manaverbrauch, während meine Hoffnung… nein, die Hoffnung einer ganzen Nation, sank, und langsam zu sterben drohte... Trotz alldem… hätte man davon absehen können, hätte ich mein Leben damals wohl tatsächlich als nahezu perfekt beschrieben, denn ich war glücklich, es zu haben. Schließlich war ich in der Schule alles andere als schlecht. Auch mein Vater hätte mir sicher mehr Stolz entgegengebracht, hätte er nicht seine eigenen Probleme gehabt. Schließlich war er der zukünftige "Bürgermeister", oder auch Dorfälteste, Heimdalls, und das zollte nun einmal seinen Tribut, indem er seinen geliebten Kindern, Mithos und mir, nicht so viel Zeit entgegenbringen konnte, wie er vielleicht gerne wollte. Naiv, wie ich nun mal war, dachte ich, dass sich die Bewohner Heimdalls mittlerweile endlich damit abgefunden hätten, dass in meinem Bruder Mithos und mir neben dem elfischen nun einmal auch noch menschliches Blut floss… doch dieses Wunschdenken sollte zerstört werden… an jenem Tag. Dem Tag, an dem alles endete und an dem alles anfing. Dem Tag, an dem mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt und ich augenblicklich mit der Verantwortung einer Erwachsenen konfrontiert werden sollte... Zwar waren aufgrund der vielen Umkosten und des ganzen Theaters für die Einreise die Importkosten von Nahrungsmitteln und anderen Gütern um Einiges höher, doch Heimdalls Absonderung hatte auch ein Gutes. Stille lag über dem friedlichen Dorf. Langsam kam ein bedrohlich wirkender Sturm auf und ließ eisige nordische Winde über das Land hinwegfegen. In einem Haus, dass mittig im Dorf lag und um das sich alle anderen zu scharen schieben, dem des Dorfältesten, saßen zwei Männer an einem alten Eichentisch und unterhielten sich in ziemlich barschem Ton. »Und du sagst, Sylvarant habe seine Truppen erneut aufgerüstet…?« fragte der in ein Leinengewand gekleidete, ältere der Beiden. Sein weißer Vollbart hing ihm um den Mund, weshalb er nuschelte. Abwesend trank er leicht beunruhigt und mit zitternder Hand einen Schluck heißen Tee aus seiner Tasse. Der Jüngere, der auf einem antiken Sessel saß und seinem Vater die Situation erklärte, nickte gelassen, während er mit seinen Fingern auf die Sessellehne tippte. »Ja, Vater, so ist es.« Er war von heroischer Statur, ein Krieger mit mittellangen, dunkelgrünen Haaren, der sowohl zukünftiger Erbe über die Leitung des Dorfes, als auch Heerführer Heimdalls war. Sein Körper kleidete ein langer Ledermantel, der mit vielen metallenen Auszeichnungen und militärischen Medaillen geschmückt war. Mit Sicherheit hatte er schon einige Schlachten miterleben müssen... Gespielt ruhig schloss sein Besitzer die Augen. »Leider. Bisher waren die Bewohner Heimdalls aufgrund seiner Isolation nicht involviert, außer unserer Familie, aber langsam wird die Lage selbst für Heimdall prekär.« Nach einem tiefen Luftholen beugte er sich nach vorne und sah seinen Vater durch seine türkisblauen Augen eindringlich an. »Weißt du… der König Tethe’allas hat mir einen langen Brief gesandt, in dem er darum bittet, ihm meine Soldaten zur Verfügung zu stellen.« Einen Augenblick lang herrschte Ruhe. »Ich habe seine Anfrage abgelehnt.« Plötzlich schlug der Ältere der Beiden erbost die Faust auf den Tisch. »Was?« fragte dieser erfreut und erschrocken zugleich. »Der König Tethe’allas?!?« Er hielt kurz inne, ehe er weitersprach. »Tue es, Vidar! Schon mein Vater hat dafür gekämpft, dass dieser grausame Krieg endlich ein Ende findet… Nutze diese Chance! Wir müssen etwas tun, wir müssen den Manaverbrauch stoppen, ehe es vorbei ist und Yggdrasill verdorrt!« Vidar spürte eindeutig den Ernst im Ton seines Vaters. Mit bedrohlich ruhiger Stimme sprach er weiter. »Vater, hör mir zu. Egal, wie aussichtslos die Situation ist, trotz alldem haben wir nicht das Recht, Heimdalls Bürger da hineinzuziehen. Erinnerst du dich daran, wie der Valhalla-Krieg ausging? An den Schwur, dass Heimdall niemals wieder in die Belange der restlichen Welt hineingezogen würde? Ich kann es nicht tun. Würde ich es dennoch wagen, so würde ich sowohl meine Ehre verletzten, als auch Heimdalls Stolz. Weder kann, noch will oder werde ich es tun! Verzeih mir, Vater.« Sein Gegenüber schloss die Augen und seufzte. »Seit nunmehr tausend Jahren wartet meine Familie auf den Tag, an dem sich die beiden Länder wieder versöhnen. In meiner gesamten Amtszeit habe ich mein Ziel nicht erreicht. Ich würde sein Ende gerne noch erleben. Ich bin krank. Würde ich sterben, da dieser Krieg noch immer am Wüten ist, könnte ich keine Ruhe finden.« Der Todesernst in seiner Stimme war unüberhörbar. »Du hast Recht, es stimmt. Doch hat niemand gesagt, dass dies die einzige Möglichkeit wäre. In alten Zeiten, zur Zeit des Valhalla-Krieges vor zweitausend Jahren, war es die Magie, die die Welt retten sollte.«, sprach er unterdessen weiter. Sein Blick wurde ernster. »In heutiger Zeit scheint es, als würde sie ihr Ende bedeuten, da das Maß überschritten worden ist, von den Menschen. Die viel zu schnell vorankommende Entwicklung der Magitechnologie führt zu Machtgier und Ignoranz, sodass die Menschen alles andere vergessen und immer mehr wollen. Es liegt in ihrer Natur, unzufrieden zu sein. Das wird der Welt zum Verhängnis. Und dieser Dummheit, der Dummheit derer, die es verachten und meiden, soll ich mein Volk opfern?« Er seufzte, stand auf und verschränkte die Arme. »Das wäre die letzte Möglichkeit, aber meiner Meinung nach auch keine Lösung. Und trotzdem muss es einen Weg geben, den Krieg aufzuhalten, ehe es zu spät ist, das sehe ich ein. Es muss einen Weg geben, diese Welt, das gesamte Aselia vor seiner Zerstörung zu bewahren, ohne Heimdall da reinzuziehen. Und den werde ich finden. Alles werde ich dafür geben, und sollte es mein eigenes Leben sein!« Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ angespannt das Haus. »Wenn du nicht auch scheitern wirst, mein Sohn…« Martel saß auf einer der managetränkten, blumenübersähten Wiesen nahe den Heiligen Ebenen von Kharlan und dachte, wie so oft, nach. Sie dachte über die Bedeutung ihres Lebens nach. Die Beine an den Körper herangezogen, hatte sie ihren Heilstab neben sich gelegt und philosophierte nun über die Herkunft ihres Blutes. Gedankenverloren rupfte sie ein paar Grashalme aus der von den gestrigen Regenschauern noch immer feuchten Erde und schaute über die Weiten der Heimdall umgebenden Felder und Wälder, der heiligen Ebenen von Kharlan. 'Warum versuchen sie nicht, mich so zu akzeptieren, wie ich bin? Warum habe ich... warum haben wir kein Recht auf ein normales Leben und darauf, so behandelt zu werden wie alle anderen?’ Ihre tannengrünen Augen füllten sich allmählich mit Tränen, und in ihren Mundwinkeln sammelte sich das herunterlaufende Wasser. Doch plötzlich vernahm sie eine vertraute Stimme. »Martel!« Ihr kleiner Bruder kam lachend auf sie zugerannt und hielt ihr ein paar soeben gepflückte Blümchen entgegen. Ihr zum Weinen verzerrter Mund formte sich zu einem liebenswerten Lächeln. »Mithos... sind die etwa für mich?« Dieser nickte eifrig, gab ihr die Blumen und ließ sich prompt in die Arme seiner Schwester fallen. Vor Freude leicht weinend drückte sie ihren achtjährigen Halbelfenbruder ganz fest an sich und begutachtete hinter seinem Rücken das kleine Geschenk. Ihr Bruder war das Einzige, was ihr noch geblieben war, die Geschwister hatten nur sich. Ihr Vater hatte zuviel mit den Geschäften Heimdalls zu tun, um sich um seine beiden Kinder zu kümmern, und ihre Mutter, ein Mensch, war vor zwei Jahren von einem Elfen umgebracht worden, der sich nicht damit abfinden konnte, dass sie es gewagt hatte, einen reinblütigen Elfen zu heiraten, der zudem noch der Sohn des Dorfältesten war. »Das sind ja wunderschöne Blumen…«, flüsterte sie und ließ ihren Bruder vorsichtig wieder los. Ihr Blick wanderte von den Blumen in ihrer Hand zu ihrem Bruder und sie musste schmunzeln. Vorsichtig fischte sie ihm eine blonde Haarsträne aus dem Gesicht und schaute dann an ihm runter, auf seine Kleidung. »Du bist ja ganz dreckig…!«, lachte sie und zog ihn wieder zu sich. Noch immer lachend begann sie, sanft seine Kleidung sauberzuklopfen. »Was ist denn passiert?« »Hingefallen… da drüben…!«, sagte er und zeigte in die Richtung, aus der er gekommen war. »Okay, Mithos… das kriegen wir wieder hin.«, lächelte Martel und begutachtete den getrockneten Matsch auf seinem weißen Oberteil. »Lass uns erstmal nach Hause gehen« sagte sie und warf den sich über ihnen anstauenden Regenwolken einen skeptischen Blick zu, »Ich glaube, es wird gleich einen Sturm geben, der Monsun hat vor wenigen Tagen begonnen.« Mit diesen Worten nahm sie ihren Bruder an die Hand und beeilte sich, mit ihm in ihr Haus ins nicht weit entfernte Heimdall zu erreichen. Seitdem ihre Mutter tot war, hatte sie für ihre Familie sorgen müssen, da ihr Vater neben allen Geschäften, dann noch als Mann, dazu nicht in der Lage war. So hatte sie mit ihren gerademal siebzehn Jahren schon einige Verantwortung übernehmen müssen und war somit Einiges gewohnt. Außerdem war sie neben allem immerhin auch noch die Bezugsperson ihres kleinen Bruders, den sie beschützen und auf den sie aufpassen musste, und all das noch neben der Schule, in der sie auch, vor allem für diese Verhältnisse, erstaunlich gute Noten hatte. Als sie den Ymir-Wald betreten hatten und an dem elfischen Wächter vorbeischritten, der sie sofort erkannte, bekamen sie die ersten Tropfen des Regens mit. Allmählich war auch das heftige Grölen eines Gewitters zu vernehmen, das den Sturm ankündigte, der sich direkt über Heimdall zusammenbraute. Als Martel das Aufkommen eines so heftigen Sturmes realisierte, wurde sie nervös. Der Wind tobte immer heftiger und vereinzelt ließen Blitze den Himmel erhellen. Sie wusste, dass besonders in Heimdall die Gefahr groß war, dass einer der riesigen, urwüchsigen Bäume umknickte und die Brücken im auf Wasser gebauten Ymir-Wald zerstören konnte, oder sogar die Gefahr bestand, dass einer von ihnen erschlagen würde. Außerdem konnte ein Waldbrand entstehen, da in den letzten Wochen eine extreme Dürreperiode geherrscht hatte. Im aufkommenden Nebel konnte sie gerade noch ihre Hand vor Augen erkennen, so dass sie ihren Bruder auf die Schulter nahm, bevor er ihr noch in das eiskalte Wasser fiel. Sie waren nur wenige Schritte von Heimdalls Stadttor entfernt, als plötzlich direkt vor ihnen ein tonnenschwerer Ast runterkam, dem sie gerade noch ausweichen konnten. Martel fing an immer schneller zu laufen, bis sie schließlich fast rannte, hielt jedoch nicht nur ihren Bruder, sondern auch den kleinen Blumenstrauß ganz fest. Völlig außer Atem betrat sie das Dorf durch die beiden den Eingang umgebenden Holzpfosten und ging auf ihr Haus zu. Sie trat an dem kleinen Bach vorbei, der sich wie eine Kordel durch Heimdall schlängelte und im den Ymir-Wald umgebenden Auðhumbla-See mündete. Sein tiefgrünes Wasser, das in alten Zeiten so manchem Elf den Tod beschert hatte, war, neben dem Mana Yggdrasills, die Lebensquelle der Mangroven des Waldes, um deren jahrhundertealte Stämme sich knorrige Efeustränge rankten. Der um das Dorf noch zusätzlich errichtet Limes gab Heimdall Schutz und verdeutlichte die gezielte Abgeschottenheit der Elfen. Doch Martel fürchtete sich nicht vor der Außenwelt, ihr war sie vertraut. Früher war sie oft mit ihrem Großvater in die verschiedensten Städte und Dörfer gereist, daher kannte sie sich auf Aselias Landkarte gut aus. Der mittlerweile stärker gewordene und scheinbar alles verschlingende Nebel breitete sich weiter aus und legte sich wie ein Leichentuch über das totenstille Dorf, während der Sturm immer heftiger zu werden schien. Die anfänglich vereinzelten Tropen versammelten sich nun zu einem Wolkenbruch und ließen die trockene Erde allmählich wieder fruchtbar werden. Martel öffnete langsam die Türe und schlich am Wohnzimmer vorbei, in dem sich ihr Vater wieder mit ihrem Großvater über Heimdalls Zukunft stritt. Leisen Schrittes ging sie in Mithos', dass direkt neben ihrem lag, um niemanden zu stören oder auf sich aufmerksam zu machen, erst drinnen setzte sie ihren Bruder ab. Ein letztes Mal blickte sie sich noch um, ehe sie behutsam die Türe schloss und sich zu ihrem Bruder runterbückte. »So, mein kleiner Schatz«, flüsterte sie ihm zu, während sie ihm vorsichtig sein schmutziges und auch teilweise durchnässtes Oberteil auszog, »Jetzt ziehen wir dich erstmal sauber und vor allem trocken an, bevor du mir noch krank wirst.« Damit strich sie ihm über sein Köpfchen und holte ihrem Bruder einen Schlafanzug aus dem Schrank, ihr Bruder setzte sich derweil auf sein Bettchen, aus dunklem Holz gefertigtes Bettchen, das in seinem dunklen Ton trostlos wirkte. Nachdem sie ihm die trockenen Sachen angezogen hatte, stellte sie den kleinen Strauß der selbstgepflückten Blumen in eine mit Wasser gefüllte Porzellan-Vase und stellte diese auf die hölzerne Fensterbank. »Die haben schließlich einen ganz besonderen Platz verdient.« murmelte sie, während ihr Blick nachdenklich hinauswanderte. Er verfinsterte sich. Vom Fenster aus konnte man den Eingang zum heiligen Elementargeist-Wald sehen, der durch den Nebel dicker werdenden Dunkelheit an jenem Abend nur schwer zu erkennen war. Der Wald, der den Weg zur Weltenesche freigab. Mental wieder zu sich gekommen, wandte sie sich schließlich an ihren Bruder. Bedächtig kuschelte sie ihn in die Wolldecke ein, die zusammengefalten auf der unteren Bettkante gelegen hatte. »Mithos... und bleibst schön hier und passt auf das Haus auf, okay? Ich bin gleich wieder da, Brüderchen.« Mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedete sie sich und verließ das Zimmer. Eilig riss sie ihre grüne Filzjacke vom Garderobehaken, zog sie sich über und brach auf. Der draußen wütende Sturm veranlasste sie beinahe dazu, wieder reinzugehen, doch sie konnte es einfach nicht, denn der Kharlanbaum war in Gefahr, das spürte sie. Sie konnte ihn nicht im Stich lassen. Zu viel hing von ihm ab, die ganze Welt war von dem Mana, das er spendete, abhängig. Also hielt sie ihre Jacke fest zu und schritt durch den Wind, der sie immer wieder zurückstieß, festen Schrittes und mit klarem Blick auf den Torent-Wald zu. Als sie dem Wachposten den Heilstab ihres Großvaters zeigte, nickte dieser. »Pass aber auf dich auf, Mädchen! Es ist gefährlich, in den Wald zu gehen, wenn Volt böse ist!“ warnte sie der Elf mit panischem Blick und versperrte ihr mit dem Speer den Weg. »Ich will nicht wissen, was dein Vater mit mir macht, wenn dir was zustößt, Martel.« »Ich weiß, aber es ist in Ordnung. Ich bin nicht alleine im Wald, und außerdem bin ich auch gleich wieder zurück.« antwortete diese mit ernstem Gesichtsausdruck. Mit „nicht alleine im Wald“ meinte sie, dass der Göttliche Baum sie beschütze. Ohne wirklich Notiz von seinen Worten genommen zu haben, drückte sie kraftvoll den Speer weg und rannte in den Wald hinein. Der Weg zum Manabaum war nicht sonderlich weit. Die ganze Zeit versuchte sie, die Hoffnung nicht aufzugeben, und hielt den Anhänger ihrer Kette, ein Jadekreuz, fest in Händen. Doch als sie angekommen war, und den Kharlanbaum genau musterte, verschlug ihr dessen Zustand den Atem. »Sie haben Druck gemacht. Würde ich es nicht freiwillig tun, müssten sie andere Methoden anwenden, droht der König.« Martels Vater stand dem Fenster zugewandt am Sims und starrte geistesabwesend hinaus. »Dabei ist auch ohne meine Truppen noch nichts verloren.« Durch seine Aufregung biss er sich auf die Zunge. »Dann schildere ihm alles so, wie du es mir erklärt hast. Ich bin sicher, dass du es ihm auf diese Weise beibringen kannst.« »Das habe ich ja versucht. Er lässt sich auf keine Kompromisse ein, weil er der Überzeugung ist, dies sei ein Ausnahmezustand. Dabei bezieht sich der Valhalla-Vertrag gerade auf Zustände wie den Kharlan-Krieg… und außerdem frage ich mich, was er unter diesen… „Methoden“ versteht… Ich habe da meine Befürchtungen, schließlich weiß er, womit man mich manipulieren kann.« Wut klang in seiner leiser werdenden Stimme mit. »Wenn er es wagt, das zu tun, was ich befürchte, dann...« zischte er verbissen und ballte seine Hand zur Faust, wobei er aufgebracht nach draußen blickte. »Vielleicht meinte er ja, dass dieser archaische Vertrag schon längst seine Gültigkeit verloren habe.« Blitzartig wandten sich die beiden Dorfvorsteher zur Türe. In ihr stand ein Botschafter des Königs. Seine silberne Rüstung glänzte durch die an ihr haftenden Regentropfen. »Was gibt dir das Recht, dir Zutritt zu verschaffen?« »Ein dringendes Anliegen des Königs von Tethe’alla«, sprach er, während er an Vidar herantrat und ihm eine Pergamentrolle übergab. »Er hat mich gebeten, es Euch persönlich zu übergeben.« Ohne ein Wort zu sagen, warf Vidar ihm einen letzten skeptischen Blick zu, ehe er die Pergamentrolle ausbreitete und sein Gesicht darin vergrub. Sorgfältig las er sich alle Details des mittlerweile schon dritten Briefes des tethe’allanischen Königs durch. Als er mit dem Lesen fertig war, wurden seine Augen von Ausdruckslosigkeit erfüllt. Apathisch senkte er seinen Arm mit dem Schreiben. »Wie lange noch?« fragte er ernst. »Morgen Mittag um Zwölf, bis dahin habt Ihr noch Zeit.« »Vidar! Was steht da drin??« fragte der Dorfälteste beunruhigt, wobei er hastig aufstand. »... Wenn bis morgen nichts gelaufen ist, will er meine beiden Kinder haben.« Einen Moment lang dachte er nach, bis er mental wieder zu sich gekommen war. »Interessant. Das war es also.« Ein verächtliches Lächeln bildete sich auf seinem Mund. »Er will sie für seine von uns so verhasste Magitechnologie-Forschungen haben, weil sie Halbelfen sind, und somit Menschen- und Elfenblut in sich vereinen, was unerlässlich ist, um die Forschungen um das legendäre Aionis durchführen zu können, liege ich da richtig?« zischte er erbost. »Das solltet Ihr dem König überlassen.« Wütend schlug Vidar die Faust samt dem Papier auf den Tisch. »Natürlich ist es das! Aus welchem anderen Grund würde er euch Untertanen verbieten, darüber auch nur ein Wort zu verlieren?! Nein. Niemals würde ich dem zustimmen!« Sein Gegenüber schluckte hart. »Vidar... « Die Hände vor der Brust verschränkt, umrundete er schweigend den Tisch, was eine unheimliche Atmosphäre schuf. Seine kleine Tour endete vor dem Königsgehilfen, den er mit dem stechenden Blick seiner eisblauen Augen musterte. »Er wird weder meine Kinder, noch meine Soldaten bekommen, richte ihm das aus. Du wirst es überleben«, sagte er mit beunruhigend weicher Stimme, wobei sein Blick nicht von dem Mann abließ. »Ich werde nicht zulassen, dass Leute, über deren Leben ich verfügen kann, sterben, weil ihr, die ihr euch selbst Menschen nennt, unfähig seid, einem Krieg aus dem Weg zu gehen.« Seine Hand zur Faust geballt, verschärfte er seinen Ton. »Wenn ihr Menschen das ewige Leben nicht habt, dann ist es euch nicht vergönnt, allein die Götter können das entscheiden. Wie könnt ihr es auch nur wagen, zu versuchen, es künstlich aus der Truhe der Schöpfung zu nehmen, ohne, dass es euch gebührt?! Nein. Das lasse ich nicht zu.« Ein erneuter Gang um den Tisch begann, wobei er seinen Blick stur auf den Boden gerichtet hielt und das Pergament in seiner Hand wütend zerknitterte. Anscheinend dachte er nach. »Aber Ihr wisst, dass der König nicht mitspielen wird. Er wird Männer senden, die dafür sorgen, dass Ihr Euch doch anders entscheidet. Die Situation eskaliert, der Höhepunkt des Krieges ist gekommen, worauf wir alle gewartet haben! Jetzt kommt es auf uns alle an, auch auf Eure Soldaten!« versuchte der Gesandte mit passender Mimik und Gestik, Martels Vater zu überzeugen. »Wenn wir jetzt alles einsetzen, was wir haben, gewinnt Tethe’alla samt Heimdall, und der sinnlose Manaverbrauch wird endlich ein Ende finden…Yggdrasill wird sich erholen und die Welt besseren Zeiten entgegensehen! Ich bitte Euch auch in Eurem Interesse, überlegt es Euch noch einmal.« Abwartend stemmte er die Hände in die Seiten. Der Dorfälteste behielt das Schweigen bei und hielt sich stiekum. Vidar blieb augenblicklich stehen und schloss die Augen. Nach diesem Moment der unendlichen Stille gab er seine endgültige Antwort. »Nein. Ich bleibe bei dieser Entscheidung. Du kannst nun gehen und deinem Herrn von meinem Entschluss berichten.« Ein letztes Mal verbeugte sich der Untertan. Nickend wandte sich der Königsgesandte zum Gehen. »Wie Ihr wünscht…« Als er das Haus verlassen hatte, wandte sich Vidar an seinen Vater. »Ich werde Heimdalls Armee darauf vorbereiten. Meine beiden Kinder werde ich in Sicherheit bringen.« sprach er und verließ ebenfalls das Haus, um Heimdalls Wächter über den momentanen Stand zu unterrichten. »Recover!« Vor dem Kharlanbaum stehend, versuchte Martel mit all ihren Heilzaubern, diesem zu helfen. Regen prasselte gnadenlos auf sie herunter, als wollte er sie von ihrem Vorhaben abbringen. »First Aid!« Keuchend stützte sie die Hände auf den Knien ab. 'Es scheint nichts zu bringen... er ist einfach zu ausgelaugt... Die Entwicklung der Magitechnologie zehrt an ihm und entzieht ihm eine zu große Menge Mana, die er nicht aufbringen kann.’ »Charge!« »Nurse!« Die Blätter des Kharlan-Baumes hingen noch immer herbstbraun und schlaff herab. 'Und wieder nichts...' Seufzend ließ sie sich auf den Boden fallen, stützte sich geschafft mit einem Arm ab und legte ihren Stab neben sich. Plötzlich vernahm sie hinter sich ein Knacken. Erschrocken drehte sie sich um. Ihr Blick wanderte über die Büsche, Sträucher und Bäume, die sie umgaben, doch in der immer dunkler werdenden Schwärze der Nacht konnte sie so gut wie nichts erkennen. »Ist da jemand...?« 'Wahrscheinlich nur ein Eichhörnchen oder Vogel, Martel, beruhige dich...' Noch immer misstrauisch auf jedes Geräusch achtend, raffte sie sich wieder auf und nahm ihren Stab erneut in die Hand. 'Ein letztes Mal werde ich es versuchen...' Regen fiel auf sie herab und durchnässte ihre eh schon nasse Kleidung noch mehr, Strähnen ihrer klatschnassen Haare fielen ihr ins Gesicht. Der Wind blies ihr beißend in die Augen und trieb ihr die Tränen hinein, doch sie gab nicht auf. Ein weiteres Mal versuchte sie es, obwohl sie spürte, dass auch ihr langsam die Kraft ausging, und ihr derweil schon alle Glieder schmerzten. So begann sie, ihr gesamtes Mana zu sammeln, um ihren neuen Heilzauber einzusetzen, den sie erst ein einziges Mal ausgeführt hatte, und richtete ihren Heilstab wieder auf den Baum. »Revita-« »Martel!?! Bist du hier??« Erschrocken drehte sich die Halbelfe um, ihr stand der Mund offen. Ein junger Mann brach aus den Sträuchern heraus, der sein langes blaues Haar zu einem Zopf gebunden über die Schulter hängen ließ. Martel blieb beinahe das Herz stehen. »Yuan?!?« Ihr erschrockener Blick verwandelte sich schlagartig in ein liebenswertes Lächeln. Der Junge, Yuan Proditoria, war ein guter Freund, den ich schon seit Kindertagen kannte. Früher hatte er in Heimdall gelebt, doch späterhin, als Sylvarant anfing, den Druck auf die Auslieferung der Halbelfen zu verschärfen, wurde seine Familie aus Heimdall verbannt und lebte fortan in Altmörnir, einer großen, auf einer Insel liegenden Stadt im Zentrum Tethe'allas. Auch Mithos kannte ihn schon seit seiner Geburt, was aber nicht hieß, dass er ihm gut gesonnen war. Obwohl Mithos ihn schon so lange kannte, und er quasi mit ihm aufgewachsen war, spürte man doch immer wieder deutlich, dass er mit ihm um meine Zeit konkurrierte und ihm gegenüber nur selten freundlich war, was nach einiger Zeit noch schlimmer werden sollte, schließlich war er damals erst acht Jahre alt gewesen… »Was... wie kommst du hierher? Wer hat dich überhaupt in den Wald gelassen?« Ihr anfänglich lächelndes Gesicht wandelte sich plötzlich in ein todernstes, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Ist etwas passiert...??« »Martel, ich muss mit dir sprechen, es ist wichtig. Dein Vater weiß es bereits.« »Mein... Vater...?« Ihr besorgter Blick wanderte von seinen unglaublich ernst blickenden Augen, die durch die Tränen, die sie allmählich füllten, noch schöner glänzten, hin zu dem, was er in seiner rechten Hand festhielt. »Eine Flügeltasche... Du hast die Rhetechs genommen...?« Vorsichtig griff sie nach seiner Hand und hielt sie fest. »Martel... ihr müsst weg hier, Mithos und du. Die Soldaten der tethe'allanischen Armee suchen nach Halbelfen, die sie für ihre Forschungen einsetzen können. Ihr müsst schnellstmöglich von hier verschwinden. Als sie meine Familie nicht gekriegt haben, haben sie ganz Altmörnir dem Erdboden gleich gemacht... Und dabei sind meine Eltern und meine beiden Brüder...« »Das ist furchtbar!« Martel drückte ihr Entsetzen aus. »Wann... ist es geschehen...?« fragte sie vorsichtig, wobei sie seine Hand drückte. »Heute morgen, vor wenigen Stunden. Ich konnte auf einem Rhetech flüchten, aber viele andere sind…«, Er seufzte, »Aber das ist jetzt unwichtig, wir müssen weg von hier, schnellstmöglich, Martel. Der Baum hat schon ganz andere Kriege überlebt, doch wenn dir etwas passiert, ist es zu spät, ihm noch zu helfen!«, sagte er im barschen Ton und zog sie sanft mit sich in den Wald hinein. Wehmütig drehte sie sich noch einmal um, und setzte an, um noch etwas zu sagen, doch dazu sollte sie nicht mehr kommen. Gerade hatten sie den Boden des Waldes betreten, als Yuan Martel sanft zu sich herunterzog. »Leise!“ zischte er und versuchte, die Herkunft der Geräusche zu identifizieren. »Da ist jemand… Ich glaube, sie suchen dich…« Plötzlich erkannten sie zwei schemenhafte Gestalten, die lange Schatten im abendlichen Sonnenlicht in ihre Richtung warfen. »Soldaten des Königs… von Tethe’alla…?« flüsterte Martel ungläubig. »So sieht es aus…« »Was ist mit Mithos?!« Ein angsterfülltes Zittern durchzog ihre Stimme, und ihre Augen weiteten sich erschrocken. »Ssscht!“ wisperte er und legte ihr den Finger auf den Mund. Das angeregte Gespräch der zwei Königsuntertanen war immer deutlicher zu vernehmen. Laut lachend unterhielten sie sich über ihre Kriegsvergütungen. »Und mir hat er versprochen, dass ich ein Landgut direkt bei Meltokio bekomme, wenn wir das hier erfolgreich hinter uns bringen!« »Erst einmal müssen wir die beiden finden. Ich habe keine Ahnung, wo wir diesen Wald noch absuchen sollen.« »Vielleicht sollten wir zuerst zum Kharlanbaum? Der Elf am Eingang hat doch noch gesagt, dass sie versuchten, den Manabaum zu retten.« »Den Baum retten…« schmunzelte sein Gegenüber, »sind diese Elfen etwa so naiv, dass sie denken, das sei noch möglich? « Plötzlich begann der Soldat, schallend zu lachen. »Aber sie beherrschen Magie, und darunter fällt immerhin auch die Heilmagie. Vielleicht ist das damit ja möglich…?« »Ich bitte dich. Wen interessiert es, ob der Baum stirbt? Selbst, wenn das der Fall ist, zu dem Zeitpunkt, an dem das Mana knapp wird, wird weder von denen, noch von uns noch einer leben!« Nun stimmte auch der Zweite in das grausame Lachen mit ein. Langsam zogen die Beiden an dem Busch vorbei, in dem sich Yuan und Martel versteckten. Für den Moment war die Gefahr vorüber… hofften sie. »Diese Menschen sind einfach dumm und selbstsüchtig«, schnaufte Yuan verächtlich, »Aber zumindest scheinen sie Mithos noch nicht zu haben«, murmelte er, »Also ist noch nichts verloren. Mach dir keine Sorgen. Lass uns nur noch einen Moment warten, bis sie weg sind.« Mit diesen Worten legte er einen Arm um Martel. Diese ließ sich seufzend gehen und kuschelte sich traurig und verwirrt in seine Arme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)