A Dreamless Carroll von Yu_B_Su ================================================================================ Kapitel 5: Meine Insel ---------------------- Meine Insel Meine erste große Liebe soll wie eine Insel sein. Mit vielen Palmen, die uns Schatten spenden. Mit Früchten, die ich essen kann. Und einem Sandstand, auf dem ich den ganzen Tag mit dir liegen kann. Und Sonne, die von morgens bis abends auf uns strahlt. Meine erste große Liebe soll wie eine Insel im Meer sein. Umgeben von nichts als Wasser, das sanft gegen die Klippen wallt. Und in dem sich jeden Tag der Sonnenuntergang spiegelt. Eine kleine Insel. Nur für dich und mich. Und niemanden sonst. Meine erste große Liebe soll wie eine Insel sein. Das ist doch ein schöner Traum, findest du nicht? Und weist du, was das schönste ist? Er ist wahr geworden! Ich sitze hier auf dem harten Boden meiner kleinen Insel und starre auf das blutrote Meer hinaus. Ich liebe den Morgen, wenn ich aufwachen muss, weil die gleißend helle Sonne mir die Lider wegbrennt und mich aus meinen Alpträumen reißt, in die ich irgendwann gefallen bin. Die tausend Sterne am Himmel, die mich an Reklametafeln erinnern, leuchten so hell, dass ich sie sehr lange genießen kann. Ich liebe auch den Mittag. Wenn ich nach stundenlanger Suche etwas Essbares gefunden habe. Es ist nicht genießbar, ich weis, dass ich danach Bauchschmerzen bekommen werde und mich übergeben muss. Aber allein das Kauen der tiefbitteren Früchte bereitet mir Freude. Ich genieße auch die Nachmittage, an denen ich am steinharten Strand liege und hinausstarre. Wie die blutroten Welln alles verschlingen und nichts hervorbringen, der Anblick ist atemberaubend! Und ich liebe den Abend, an dem ich mich in die Mitte meiner kleinen Insel stelle und wieder auf das Meer hinausblicke. Wie das Meer immer stürmischer wird und die Gicht auf meine Haut spritzt und sie verätzt wie Salzsäure. Falls du jetzt denken solltest, dass ich nicht glücklich wäre, dann muss ich dir widersprechen, mir geht es wundervoll! Es gefällt mir wirklich gut auf meiner kleinen Insel. Denn das Meer schützt mich vor dir und das ist schön. Für dich wäre das nichts. Diese Einöde, ewig dauernde Einsamkeit würde dich wahnsinnig machen. Du stehts lieber auf Insel-Hopping. Du fährst von Insel zu Insel, machst die Bewohner glücklich, erfüllst ihnen ihren größten Traum und danach fährst du weiter, weiter zur nächsten Insel. Die Bewohner winken dir meist freundlich hinterher und segnen dich mit göttlichen Sprüchen. Manche verfluchen dich und zertrümmern Häuser und Stühle wegen dir. Und wieder andere hängen sich auf oder essen eine giftige Frucht. Aber ich bin nicht so. Ich habe dir nicht freundlich hinterhergewunken, ich habe auch keine Stühle zertrümmert oder mich aufgehangen. Nachdem du mir die innige Liebe gegeben und dann weitergezogen bist, bin ich dir einfach hinterhergefahren. Durch das ganze Meer, immer wieder, hinter dir her. Ich dachte, dass du dich irgendwann umdrehst und mir noch einen Blick schenkst. Aber du tatest nichts. Vielleicht hast du mich nicht bemerkt, nicht bemerken können, du warst so beschäftigt mit dem Umhersegeln. Und trotzdem bin ich dir immer weiter hinterhergefahren. Bis mein Boot irgendwann an dieser Insel strandete. Ich habe gewartet und gewartet, bis es der Wind wieder auf das Meer hinaustreibt. Aber auf dieser Insel weht kein Lüftchen. Mein Boot zerfiel mit der Zeit und ich blieb hier auf dieser Insel. Auf meiner kleinen, eigenen Insel. Es geht mir wirklich gut hier. Manchmal frage ich mich, ob du an mich denkst. Wenn du zwischen den Inseln über das unendliche Meer segelst und nachdenkst, weil dich die Zeit und die Wolken und du selbst dazu treiben. Komme ich dir in den Sinn? Siehst du, wie glücklich ich war, als du mir begegnet bist? Als du mich geküsst und mir geschworen hast, dass ich der einzige für dich sei? Erinnerst du dich an die Tränen, die ich zum Abschied vergoss? Oder bin ich für dich einer wie jeder andere auf deinem Weg über die Inseln? Weist du, manchmal denke ich an dich. Manchmal frage ich mich, ob es dir gutgeht. Ob es dir gut dabei geht, jedem die große Liebe zu schwören und dich nach ein paar Tagen wieder zu verabschieden. Vielleicht erfüllt die Freude der anderen dein Herz und betäubt die Leere, die sonst darin herrscht. Du bist ein Suchender, der auf allen Meeren etwas zu finden hofft, was er selbst nicht kennt. Vielleicht möchtest du glücklich sein. Vielleicht möchtest du genau das haben, was du anderen gibst. Ich hoffe, dass du es irgendwann findest. Ich habe es schon gefunden. Es ist hier, direkt vor mir. Es ist meine kleine Insel. Mit dem steinharten Boden, den ungenießbaren Früchten, mit den gleißend hellen Sternen und mit dem blutroten Meer, das sie umgibt, und das niemanden zu mir lässt. Es ist eine Insel nur für mich, ohne dich. Du kannst mir glauben, es geht mir wirklich gut hier. Wirklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)