Der Wohnblock von Muriku ================================================================================ Kapitel 1: Der Wohnblock ------------------------ Der Wohnblock Der Wohnblock steht mitten in der Stadt. Aus hunderten blinden Fenstern starrt die Einsamkeit, die entsteht, wenn zu viele Menschen zu dicht beieinander leben. Die Einsamkeit, die ein Merkmal aller großen Städte ist. Fast alle Wohnungen sind besetzt und die Wände sind dünn, doch fast nie hört man das Lachen von Kindern oder das fröhliche Summen eines Menschen, der sich seines Lebens freut. Meist ist der Wohnblock von einer unheimlichen Stille durchdrungen, die sich in allen Ritzen und Ecken festsetzt. Schritte oder das Geräusch eines Fernsehers scheinen diese nicht etwa zu beenden sondern sogar noch zu unterstreichen. Er hat das Fenster geöffnet und lässt Geräusche herein, die wie Fremdkörper an der Gardine abgestoßen werden oder sich mit der Stille zu einem dicken Brei verbinden, der das Atmen schwer macht. Beinahe erschöpft schließt er das Fenster wieder. Der Himmel ist grau und es wird wohl bald zu regnen anfangen, doch das ist egal, denn nach draußen kann er nicht. Er kann der Stille nicht entfliehen, er kann ja kaum den Fahrstuhl erreichen mit seinem kaputten Knie. Im Spiegel grinsen ihn die Falten an und erinnern ihn an seinen größten Fehler: er ist alt geworden. Wehmütig erinnert er sich an die Zeit, als er noch lebte. Jetzt lebt er nicht mehr, er vegetiert nur noch. In der Stille. Er holt die alte Schreibmaschine hervor und schreibt einen Brief an seine Frau, die vor zwei Jahren starb. Tack, tack, tack. Es klingt nach Kanonenschüssen in der Nacht. Er erzählt, dass es den Kindern gut geht und dass sie ihn besuchen so oft es geht, obwohl es schwierig ist, wo sie doch jetzt im Ausland leben. Er wird den Brief an ihr Grab legen, wenn der Schmerz im Knie etwas nachlässt, so wie immer. Den Computer hinten in der Ecke kann er auch bedienen, doch er weigert sich, denn es hieße, sich einzugestehen, dass die Zeit vergangen ist. Die Zeit hat schon zu viel Macht über ihn, doch das muss sie nicht wissen. Er holt die alte Platte aus dem Schrank und legt sie in den Plattenspieler und dreht die Lautstärke hoch. Er setzt sich auf das uralte Sofa - es ist beinahe so alt wie er - und schließt die Augen. Die Melodie erinnert ihn an einen Sommertag, als er mit ihr und seinen Kindern am See saß. Niemand sonst war dort gewesen und doch war es so laut gewesen, so viele Geräusche... Die Melodie endlich vertreibt die Stille für einen Moment. Ja, sie hinterlässt sogar ein leises Lächeln auf den hageren Lippen. Die Nachbarn hören sie nicht, nur ein kleiner Mann nebenan runzelt verärgert die Stirn über den Lärm. Er stopft sich Ohropax in die Ohren, denn er hat einen langen Arbeitstag hinter sich. Und so kehrt wieder Stille ein. Im Wohnblock mitten in der Stadt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)