Im Reich des Obsidian von MissLunatic ================================================================================ Prolog: Chayantou - Das Spiel der Häuser ---------------------------------------- „Die schwierigsten Schlachten sind die, in denen man dem Gegner Auge in Auge gegenübersteht.“ 30 Jahre zuvor: Halbherzig brachte sie einen Windstein ins Spiel, um dann ihre Aufmerksamkeit sofort wieder ihrem Gegenüber zuzuwenden. „Sie sind unvorsichtig, Shojen. Wenn der Fürst zu Beginn im eigenen Hause steht, heißt das noch lange nicht, dass er bis Ende des Spiels auch dort verbleibt.“ – Nur zu wahr. Es war die gefährlichste Ausgangsposition und wenn es nicht gelang die anderen Spieler hinreichend zu beschäftigen, hatte man nicht die leiseste Chance die Partie zu überstehen. Ob diese nun auf einem Brett oder auf anderem Gelände ausgetragen wurde. – Doch der Junge vor ihr schien noch weit entfernt davon diese Wahrheit zu sehen. „Hhmm...,“ er nickte nachdenklich und ließ seine hellen grauen Augen über das Spielbrett wandern. Das kindliche Zerrbild eines großen Strategen. In einer Imitation ihres eigenen Zuges setzte er schließlich ebenfalls einen Windstein und lächelte ob dieses „genialen“ Einfalls. Er war noch so jung, noch lange kein ernstzunehmender Gegner. Aber würde er das jemals sein? „Sie verfügen natürlich über die größere Erfahrung, große Schwester.“ Mit seinen Kinderaugen blickte er alles andere als scheu zu ihr auf. Aus irgendeinem Grund war ihr dieser Blick äußerst unangenehm. Schnell schob sie eine Prinzessin des Himmels ins angrenzende große Haus und schaltete so geschickt Kyanroku, den Ratgeber, aus. Es war an der Zeit, dieses Spiel zu beenden. „Was ist?“ Ihre Stimme klang ein wenig schärfer als beabsichtigt. Trotz der Tatsache, dass er sie immer noch unverhohlen anstarrte. Seine Antwort erfolgte ungewohnt zögerlich: „Werden Sie morgen wieder mit mir spielen? Es ist schade, dass wir uns nicht schon vorher begegnet sind. Dann hätten wir jeden Tag spielen können.“ „Und,“ fügte er mit einem kläglichen Blick auf die Spielfläche hinzu, „ dann wäre ich bereits viel besser und es würde Sie nicht so langweilen.“ Ertappt betrachtete sie die wenigen Steine, die noch vor ihr aufgereiht lagen: Ein Wind- und ein Holzstein. Es stimmte sie hasste das Spiel zu zweit. Es bot bei weitem nicht die Herausforderungen und strategischen Möglichkeiten, die eine Partie in einem größeren Kreis versprach. Außerdem hatte sie bereits genug gesehen. „Ich denke nicht, dass ich die nächsten Tage die Zeit dazu haben werde. Aber was nutzt es auf den Schnee zu warten, wenn noch die Vögel ziehen? Lassen Sie uns weiterspielen.“ Sie hoffte ihr erzwungenes Lächeln würde über ihre Ungeduld hinwegtäuschen. Nach quälend langem Nachdenken spielte er schließlich einen weiteren Windstein. Dabei sollte doch selbst er mittlerweile begriffen haben, dass nur ein ausgewogenes Verhältnis der Elemente zum Sieg führen konnte. Sie selbst wählte den Holzstein, um ihre Position zu sichern. Nun waren Prinzessin und Berater in ihrem Haus fixiert. Sie konnte nicht verhindern, dass ein siegessicheres Lächeln über ihre Lippen glitt, als sie sah, wie eindringlich er die neue Situation auf dem Feld musterte. Ob er wenigstens jetzt die Falle bemerkte, die sie ihm gestellt hatte? Es war egal, wohin er seinen letzten Wasserstein setzte. Ihm blieb nur noch dieser eine Zug, bevor er den Fürsten ziehen lassen musste. „Schade.“ Sie war sich nicht ganz sicher, ob er die nächsten Tage oder den Ausgang der Partie meinte. Doch es kümmerte sie nicht. Gelassen ergriff sie ihren letzten Stein. Aber was war das? Ihre Augen weiteten sich. Sie selbst hatte auch nur noch eine Möglichkeit. Mit sich ringend vervollständigte sie schließlich den Windkreis, der den Fürsten im Hause ihres Bruders einschloss. Er hatte gewonnen. Kapitel 1: Der Übergang ----------------------- „Sind Kälte und Dunkelheit deine Gäste, so gesellt sich die Verzweiflung bald von selbst dazu.“ Er fror. Das war alles, woran er noch denken konnte. Der einzige Gedanke, der sicher war. – Nein! – Gehetzt schlug er die Augen auf. Doch sie hatten bereits ein Eigenleben entwickelt. Wie zwei wilde Tiere jagten sie durch den kleinen Raum, in dem es jedoch zu dunkel war, als dass sich mehr als seine Umrisse erahnen ließen. Nur das fahle Licht des Neumonds sandte einen schwachen Schimmer genau vor ihm auf den Boden. Aber es war kein Hoffnungsschimmer, sondern machte diesen Ort nur noch gespenstischer. Ob es wohl so sein würde wie in diesem Zimmer? Auf ewig? Er schauderte. – Nein! – Hatte er das etwa laut geschrieen? Wenn sie recht hatte, war es sowieso egal. Niemand würde sich daran stören. Man würde diese peinliche Schwäche übersehen, genauso wie man ihn übersah. - Nein, er wollte noch nicht sterben! - Und schämte sich zugleich dafür. Begonnen hatte alles vor zwei Tagen, als die Soldaten der Xiao die einfache Unterkunft der Familie betraten. Mutter war gerade dabei den morgendlichen Guanan mit einigen wenigen geschickten Bewegungen einzuschenken. (Echten Tee konnte die Familie sich nur selten leisten.) Vater stopfte sein Hausgewand. Minai versuchte krampfhaft dem Koto mehr abzugewinnen als ein paar schiefe Töne, was Suyu nicht im geringsten vom Schlafen abhielt. Großvater putzte seine Schuhe und er selbst wartete nur einfach mit noch verschlafenem Blick auf das Frühstück. In genau diesem Moment pochte es plötzlich an der Tür und sie wurde mit einem kräftigen Ruck aufgerissen. Die schwarz-silbernen Farben der Xiaosoldaten verdunkelte sofort den Raum unterstrichen von einem lauten Disakkord Minais. Sein Vater saß nur noch erstarrt bei Tisch. Seine liebe, so schreckhafte Mutter hatte sich sofort zu Boden geworfen und verschüttete dabei vor Aufregung das ganze Guanan. Großvater hielt gemächlich mitten in seiner letzten Bewegung inne und erhob sich respektvoll von seinem Platz. „Ich lebe, um zu dienen.“ Tiefe Gedankenfalten zeichneten seine Stirn. Aber er wirkte in keinster Weise beunruhigt. „Was führt dich in dieses Haus?,“ wandte er sich an den einzigen Rothaarigen unter den Fremden, einen Mann mittleren Alters mit trauerwildem Blick. „Mir ist nicht bewusst, dass wir an deinem Herrn, Xiao Shojen, ewig möge er leben, jemals gefehlt hätten.“ Anstatt einer Antwort verweilten die Augen des Fremden unbehaglich lange nur auf ihm. „Ganz im Gegenteil. Euch könnte eine besondere Ehre zu teil werden. Ich bin wegen des Übergangs hier,“ erwiderte dieser mit einer Stimme, der jegliche Emotion abhanden gekommen war. Bei diesen Worten weiteten sich Großvaters Augen unwillkürlich vor Überraschung. „Der Übergang... Also ist er... der Herr... gegangen?“ „So wie er zurückkehren wird.“ Der Fremde unterstrich das Gesagte mit einem entschlossenen Nicken, beachtete dann aber Großvater nicht weiter und winkte stattdessen drei Gestalten aus dem Hintergrund heran, die sich zu seinem Erstaunen sofort um ihn herum zu drängen begannen. Bei den unförmigen, grauen Gewändern war es fast unmöglich zu sagen, ob es Männer oder Frauen waren, die in ihnen steckten. Auch ihre Gesichter waren verhüllt. Sie bewegten sich ohne jedes überflüssige Geräusch fast wie Geister. Er schauderte unwillkürlich bei dieser Vorstellung. Sie waren so nahe, dass sie ihm fast die Luft abdrückten. Was wollten sie gerade von ihm? „Wann ist der Junge geboren?,“ durchbrach eine raue Stimme plötzlich die Stille, die sich unmerklich über den Raum gesenkt hatte. „Im Jahr des Drachen, zur Zeit der Ernte, 27 Tage vor dem Fest der tanzenden Blätter,“ antwortete seine Mutter ehrfürchtig. Die Gestalten ließen nicht erkennen, ob sie diese Antwort befriedigte oder abstieß. Doch weitere Fragen folgten auf die erste und prasselten auf die Anwesenden nieder, so wie der Regen auf den ersten Tropfen folgt. Welche körperliche Ausbildung er genossen habe. Womit er sich beschäftige, wenn er einmal nichts zu tun habe. Nein, man würde ihm diese Antwort nicht übel nehmen. Was er über das Herrscherhaus denke. Ja, sogar nach seinem Leibgericht fragten sie ihn. Schließlich steuerte alles auf die alles entscheidende Frage zu, als die Priester zurücktraten und den Rothaarigen in ihren Kreis einließen. Wenige Blicke nur entschieden über sein Schicksal. „Wärest du bereit, dem Hause Xiao einen besonderen Dienst zu erweisen?“, wandte sich der Fremde nun zum ersten mal direkt an ihn, nicht ohne ihn dabei prüfend zu betrachten. Einen Moment lang war er so verwirrt von dessen ernstem Ton und eindringlichem Blick, dass er um ein Haar die richtigen Worte vergessen hätte. „Ich lebe um zu dienen,“ sagte er hastig. Doch der Fremde schüttelte nur den Kopf. „Ist es dein Wunsch dem Hause Xiao zu dienen, indem du zur neuen Verkörperung Xiao Shojens wirst?“ „Oh, welche Ehre,“ vernahm er die Worte seiner vollkommen überwältigten Mutter gefolgt von einem dumpfen Schlag. Die Ohnmacht seiner Mutter hatte ihn am Vortag einer Antwort enthoben. Aber was hätte er auch sagen sollen? Nein? Wie sie gesagt hatte, es war eine ungeheure Ehre, eine einmalige Chance. Den höchsten Dienst eines Ikari hatte es sein Großvater voller Stolz genannt und wurde es nun nicht müde, den vielen Gästen, die sich selbsteingeladen in der kleinen Behausung drängten, von jenem besonderen Moment zu erzählen. Alle waren sie gekommen, um ihn und seine Familie zu beglückwünschen. Einige Gesichter hatte er vielleicht ein oder zweimal in seinem Leben gesehen. Schon wieder wollte ihm eine Traube Neuankömmlinge die Hand reichen oder ihn auch nur berühren. – Es reichte! Sahen sie nicht, dass er genug davon hatte? – Wütend und beunruhigt von einem vagen Gefühl, das sich noch nicht in Worte fassen ließ, wandte er sich ab, in dem vergeblichen Versuch irgendwo in diesem überfüllten Raum Ruhe zu finden. Warum konnten sie ihn denn nicht in Ruhe lassen? Alles war auf einmal so anders. „Jetzt komm schon da runter. Du kannst deine „Gäste“ doch nicht einfach so stehen lassen. Oder hat der „hohe Lord“ etwa jetzt schon das Bedürfnis, andere warten zu sehen?“ Die Stimme seines Bruders troff vor Sarkasmus aber noch schlimmer war der Neid, den er in seinen Augen zu erkennen glaubte. „Sollen wir ihm sein Essen vielleicht zu Bett servieren?“ Im gleichen Moment schob sich ein weiterer Kopf daneben und seine kleine Schwester schaute ebenfalls zu ihm hinauf. Wenigstens lag in ihrem Blick noch nicht der gleiche Wahnsinn, dachte er erleichtert. Doch ihre unschuldige Frage, entsetzte ihn noch mehr: „Bekomme ich sein Bett, wenn er ein Lord wird?“ Erschüttert stieg er zu den anderen hinab. - Merkten sie denn nicht, dass sie ihn bereits ausschlossen? Dass sie ihn behandelten, als wäre er gar nicht im Raum, als wäre er bereits bei den Xiao? Wenigstens würde die Familie jetzt jeden Tag Tee haben. – Er merkte, wie seine Augen bei diesen Gedanken ungewollt feucht wurden und er bemerkte noch etwas anderes: Er wollte eigentlich gar nicht weg! Lieber wollte er bei seiner Familie bleiben, egal wie diese sich darüber freute, dass er fortging. Abrupt wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als erneut die Tür aufflog. Sein Puls flatterte und er glaubte jeder müsse das hektische Pochen seines Herzens hören. Denn dem lauten Geräusch war eine endgültige Stille gefolgt. Dann betrat der Fremde den Raum und er fühlte, wie seine Zeit weiterlief, während nun er selbst es war, der vollkommen stillstand. Wie bei allen anderen, ruhten natürlich auch die Augen des Fremden nur auf ihm. „Die Zeit ist gekommen. Willst du mich nun begleiten?“ Seine Worte klangen starr und er war sich nicht sicher, ob es eine echte Frage, ein Ritual oder eher eine Feststellung war. Noch einmal ließ er die Augen durch den Raum schweifen. Dann nickte er. Gongschläge begleiteten sie, als die kleine Prozession in ihren zeremoniellen Gewändern, die „Tore des Himmels“ durchschritt. Von einem Schritt auf den anderen wich die Angst der Neugier. Nie zuvor hatte er diesen Ort betreten oder auch nur Erzählungen davon gehört. Wie oft hatte er ihn sich in den fantastischsten Tönen ausgemalt? Entdeckungsfreudig huschten seine Augen hin und her, um alle Wunder in sich aufzunehmen. Ihr Weg führte sie durch wunderschöne akkurate Gärten und er bewunderte die vollkommenen Formen, in die alle Elemente eingeschlossen waren. Er hörte das beruhigende Plätschern der geschwungenen Bäche, die sie durchzogen, um an einigen Stellen jäh zu kleinen Wasserfällen ab zu fallen. Er fühlte den harten Steinboden der geraden Wege unter den Sohlen seiner Sandalen. Er sah das sanfte Grün und die Blüten der Magnolien, die das Land belebten. Nach einer Weile hörte er auch die Melodie der Vögel heraus begleitet vom Klang eines einzelnen metallenen Windspiels. Schließlich umrundeten sie eine riesige Statue. Es musste eine Himmelsschwester sein, die anmutig als würde sie tanzen, zwei Sterne in der Hand hielt. Auf dem einen glänzte das Licht der Morgensonne. Der andere war dunkel wie die Nacht. Wenn er die Wahl gehabt hätte, wäre er sicher länger bei diesen Wundern geblieben. Vielleicht für immer. Vielleicht konnte er dies ja sogar. Wer sollte ihn nach der Zeremonie noch davon abhalten? Sein Schritt wurde leichter und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, bis ihn die Augen des Priesters, der neben ihm ging, ermahnten, was für ein Anlass dies war. Nur wenig später erreichten sie einen großen kreisrunden Platz, in dessen Mitte ein Pavillon stand. Die Priester und Gefolgsleute verteilten sich rundum zu beiden Seiten und er wollte ihnen schon folgen, als eine Hand ihn bestimmt zurückhielt. Als er sich umwandte, blickte er für einen kurzen Moment in das ernste Gesicht des Fremden. Dann schob ihn die Hand unbarmherzig vorwärts auf die Mitte des Pavillons zu. Dort erwartete ihn bereits einer der Priester. Er schien wichtig zu sein und er war sehr alt. So alt, dass sein Kopf nicht vollkommen kahl geschoren sein musste, sondern wie die Blätter eines Baumes im Winter bereits alle Haare abgeworfen haben mochte. Der Alte bedeutete ihm näher zu kommen, während seine vier Begleiter an den Säulen des Pavillons Aufstellung nahmen: Der Fremde, ein altgedienter Wachmann in seiner beeindruckenden Rüstung, ein mürrisch dreinblickender Mann in der Tracht eines Gelehrten, der ihn weit mehr einschüchterte, als der Soldat es vermochte und eine junge Frau, bei deren Anblick er reflexartig sofort die Augen senkte, denn ihrem prächtigen Kimono nach zu urteilen war sie gewiss eine Herrin. Er kam sich so unwichtig in ihrer Mitte vor. Selbst die Stimme des alten Mannes mochte dies nicht zu ändern, sondern ihre Intimität erschreckte ihn nur: „Nun, Junge, lass dich erst einmal ansehen.“ Erst jetzt bemerkte er, dass die Iris seines Gegenübers vollkommen weiß und der Alte blind war. Gehorsam ließ er sich von ihm Betasten. Kaum hatten seine furchigen Hände, sein Gesicht nachgefahren, zog er sie zurück und nickte wissend. „Ich verstehe nun, warum sie dich ausgewählt haben. Deine Lebenskraft ist stark und wird ein ebenso starkes Band knüpfen. Doch sie bricht sich ungezügelt Bahn, ebenso wie dein Geist. Sie sind blinder als ich, wenn sie das übersehen haben. Es könnte verhängnisvoll sein.“ „Verhängnisvoll für dich, das Reich und alle, die dir nahe stehen,“ fügte der Alte nach einer Pause hinzu, als habe er seine Gedanken gelesen. „Wenn ich nicht bin, was sie suchen, kann ich dann wieder gehen?“, fragte er hoffnungsvoll. Doch der alte Priester schüttelte seinen Kopf. „Wir können vor dem, was wir sind nicht davonlaufen, Junge. Wir gehen unseren Weg, egal ob wir es wollen oder nicht. Wir können nur entscheiden, ob wir ihn annehmen und auf welche Weise wir ihn beschreiten.“ Kleinlaut und ein wenig erschrocken nickte er nur, auch wenn er von den Worten des Priesters fast nichts verstanden hatte. Plötzlich wurde die Stimme des Alten kräftiger und schallte über den ganzen Platz, womit er niemals gerechnet hätte: „Wir sind hier versammelt, weil uns eine verdiente Persönlichkeit verlassen hat. Eine Person, die im Leben vieler eine Rolle spielte. Xiao Shojen, der Sohn Xiao Zeitos, der wiederum der ehrenwerte Enkel unseres erhabenen Herrschers ist, hat sich in die Geisterwelt begeben. Dieser Junge wird sein Ikari (Anker) in der Welt sein und ihn zu uns zurückführen.“ Mehr Worte bedurfte es offenbar nicht. Der Rest verlief wie ein einstudiertes Theaterspiel, nur dass er selbst Teil der Szene war. Erst als der alte Mann, in Begleitung zweier Frauen auf ihn zuschritt und ihm plötzlich seine beste Dienstkleidung vom Leib und in Fetzen riss, wurde er schlagartig wieder aus seinem Halbschlaf gerissen. „Dein Dienst ist beendet! Dein Weg soll nun ein anderer sein!“, intonierte der Priester. „Du brauchst sie nicht mehr,“ fügte er nur für ihn leise hinzu. Sein entsetzter Blick musste mehr enthüllt haben als seine fehlende Kleidung. Dennoch kam er sich nun erst recht klein vor: Nackt inmitten all der Menschen in ihren feinen Gewändern. Außerdem waren unter all den dunklen Schöpfen nur drei oder vier rote zu sehen. Nach einer Ewigkeit, so schien es, zogen sie ihm schließlich ein einfaches weißes Gewand über den Kopf. Gefolgt von einer Kette mit einem dunklen Stück Glas. Als er es näher betrachtete, zog er unwillkürlich die Luft ein. Denn dieses Zeichen hatte er schon mehrfach gesehen. An Hals, Kleidung oder an anderen Körperstellen der Herren und Herrinnen. Es war nichts geringeres als ein noch ungeschliffener Obsidian. Gerade war er seiner Überraschung Herr geworden, als ihn der Priester erneut verblüffte, indem er ihm eine recht einfache rot-weiße Schreibfeder in die Hand drückte. Verlangte man von ihm etwa, dass er etwas besonderes in diesem Moment aufschrieb? Oder war dies ein weiterer Test? Er blickte den Alten fragend an. „Bewahre sie auf bis zum morgigen Tag. Hüte sie gut,“ war seine rätselhafte Antwort. Er zitterte. Der nackte Steinboden war eiskalt unter seinen bloßen Füßen. Er fragte sich, was man wohl von ihm erwarte. Sollte er die ganze Nacht in einer endlosen respektvollen Verbeugung zubringen, wie sie ihn angewiesen hatten, als er diesen kahlen Raum betrat? Er solle seinen Geist leeren und sein Sein erforschen. Aber das konnte er doch genauso gut im Sitzen, oder? Und was meinten sie überhaupt damit? Das Knurren seines hungrigen Magens traf die Entscheidung für ihn. Vor lauter Aufregung war ihm gar nicht aufgefallen, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Ob das wirklich alle großen Lords einmal hatten durchmachen müssen? Es passte irgendwie gar nicht zu dem Bild, das er sich immer von ihnen gemacht hatte. Ein wenig trotzig und sich seiner neuen Macht zum ersten mal bewusst hatte er schon die Hand zur Tür hin ausgestreckt, als er sie wieder sinken ließ. Hilflos hielt er inne. Er hatte es tausende Male gesehen, aber er selbst konnte es nicht. Da durchbrach plötzlich ein Geräusch, das Knirschen zweier Steine, die Nacht. Erschrocken wie ein ertappter Dieb warf er sich sofort zu Boden, obwohl er genau wusste, dass es bereits zu spät dafür war. Denn das ungleich leisere Geräusch gleichmäßiger Schritte, näherte sich ihm bereits erbarmungslos. Es dauerte nicht lang und zwei Sandalen tauchten in seinem Blickfeld auf, in welchen wunderschön bestickte rote Tabi steckten. „Bitte, lass sie weitergehen,“ formte er die Worte in seinem Geist wie ein Mantra. Als er schon glaubte, sein Wunsch sei erhört worden, wurde er jedoch von einem der zierlichen Füße ungeduldig angestubst. Vorsichtig schaute er auf und konnte nicht verhindern, dass ihm der Mund offen stehen blieb. Die Trägerin übertraf ihre Tabi noch bei weitem. Sie sah aus wie die Prinzessin aus einer Geschichte. Bei diesem Gedanken klingelte irgendetwas in ihm, er schob es jedoch beiseite. Sie war nicht sehr groß, selbst die kleine Handbewegung, mit der sie ihn hochwinkte war anmutiger als die jeder Herrin und dabei wirkte sie trotzdem so unwirklich und zart wie ein Nebelhauch, eine Illusion, die der Wind jederzeit zerstreuen konnte. Doch das beeindruckendste an ihr war ihr Lächeln. Außerdem war ihr kupferrotes Haar so fein wie... Kupferrot? Sie war Ikari. „Du brauchst dich vor mir nicht zu verbeugen.“ Sein Nebelhauch zerstob unwillkürlich zusammen mit einem undeutbaren Funkeln, das in ihre Augen trat. Er wollte aufstehen, als ihn sein Magen erneut verriet und ein ziemlich lautes Knurren hören ließ. Beschämt blickte er zu Boden. „Hier, iss erst einmal etwas.“ Sie breitete ein Tuch vor ihm auf den Boden aus, ohne dass ihre Knie ein einziges mal den kalten Stein berührten und förderte Reisbällchen und getrocknete Krabben, eine Delikatesse, zu Tage. „Nimm nur, du brauchst keine Angst zu haben. Wenn du es nicht erzählst, braucht niemand davon zu erfahren.“ Sie lächelte verschwörerisch. „Es wäre eine Vergeudung der Gaben der Erde und des Wassers und dumm. Außerdem würdest du den Tiger verärgern, der in deinem Bauch schläft,“ neckte sie ihn. Nach dem Essen faltete sie das Tuch wieder betont beiläufig zusammen und wandte sich zum Gehen. „Warte!“ Sie machte noch einen weiteren zierlichen Schritt, bevor sie sich wie auf ein verabredetes Zeichen umdrehte und ihn fragend musterte. Dieser eine Blick verwirrte ihn noch mehr als ihr Erscheinen. Sie konnte doch nicht nur wegen des Essens zu ihm gekommen sein? Außerdem fühlte er sich in ihrer Nähe zum ersten Mal an diesem merkwürdigen Tag nicht mehr so außergewöhnlich und ... allein. Sie durfte nicht gehen! „Bist du aufgeregt wegen des morgigen Tages?“ Er blickte auf und nickte nur. Ihre goldenen Bernsteinaugen hielten ihn gefangen, bis sie den Kopf schüttelte. „Du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen. Weißt du, danach wird es ganz leicht.“ Sie beugte sich zu ihm herunter. „Du wirst nicht mehr viel um dich herum mitbekommen.“ „Wieso das?“, fragte er neugierig und erstaunt. Ihr Blick begann sich zu verfinstern, war plötzlich wie von Wolken verhüllt. „Bist du dir sicher, dass du es wirklich wissen willst?“ Natürlich wollte er. Es war alles so ungreifbar und großartig, begriff er nun. Wenn sich nur ein paar seiner Fragen beantworten ließen, war es vielleicht weniger schwer. „Hast du dich nie gefragt, woher das Wort Ikari stammt? Und aus welchem Grund Ikari niemals Priester werden?“ Nein. Er verstand die Einleitung nicht so recht, wartete jedoch gespannt auf die Worte die da kommen würden. Nur, dass er dieses mal selbst Teil der Erzählung war. „Dann lass mich dir folgende Geschichte erzählen: Vor vielen Jahren kam es aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen zu einem großen Krieg. Das Reich war damals noch nicht, was es heute war und stand kurz vor einer entscheidenden Niederlage, als sein größter Stratege einem feigen Attentat zum Opfer fiel. Die Lage war hoffnungslos und verzweifelt. Bis zu dem Moment, als sich ein Mann erbot, den General zurückzuholen. Er war nur ein Mann unter vielen und sein Leben entbehrlich. Daher beschloss er für den Anführer Platz zu machen.“ Für einen Moment hingen ihre Worte schwer wie Nebel zwischen ihnen in der Luft. „Er überließ ihm seinen Körper und gab somit eigentlich alles, was er besaß.“ Er zuckte zusammen, als ihre zu Eis erstarrte Stimme fortfuhr: „Und so gewannen sie den Krieg. Durch das Opfer eines einzelnen. Doch schon bald geriet die Schlacht in Vergessenheit. Was blieb, war eine Möglichkeit. Die Möglichkeit nahezu ewigen Lebens. Ein Privileg, auf das die Herren und Herrinnen heute nur ungern verzichten. Und das ist es: Der „wahre Dienst eines Ikari.“ Ihre Worte schnitten tief. „Die größte Gabe, die ein Mensch erbringen kann: Seinen Körper, sein Leben einem anderen darzubringen.“ Es dauerte eine Ewigkeit, bis es ihm gelang, sie nicht mehr anzustarren, eine weitere, bis er seinen Blick von dem dunklen Steinboden losreißen konnte. Er hoffte, dass seine Stimme sicherer klingen würde, doch sie schien seine Gedanken erahnen zu können. „Ja, das ist es, was sie von dir erwarten.“ „Aber... wenn er in mir ist... wo werde ich dann sein?“ In seinen eigenen Ohren war es kaum mehr als ein Flüstern. Sie schüttelte abrupt den Kopf. „Das weiß niemand so genau, der nicht selbst Teil einer solchen Zeremonie war. Aber sehr wahrscheinlich wirst du nicht vollkommen ungebunden sein. Du wirst warten müssen, bis dein Leben irgendwann zuende geht. Und dann...“ Ihre Worte wurden von einer wagen Geste unterstrichen, die ihn schaudern ließ. – Nein!- Verzweifelt sprang er auf, bis er wieder an ihre Gegenwart dachte und seine Knie auf den Boden zwang. – Das alles konnte nicht wahr sein! Sie hätten doch niemals... – Da wurde ihm plötzlich bewusst, dass sie wahrscheinlich alle bescheid gewusst hatten. Doch, was viel schlimmer war: Es schien ihnen vollkommen gleichgültig zu sein. Mit einem einfachen Nicken antwortete sie erneut auf seine noch unvollständigen Gedanken. Als lägen sie bereits offen vor ihr ausgebreitet. „Aber... warum gerade ich?“, versuchte er noch einmal verzweifelt der Wahrheit, die sie ihm brachte, zu entkommen. Sie lächelte unbestimmt, doch dieser eine Sonnenstrahl war noch schneidender als ihr eisiger Ton wenige Augenblicke zuvor. „Vielleicht sind es deine Augen: Obsidianschwarz. Das ist sehr selten Wenn man ein neues Gewandt benötigt und die Wahl hat, so sucht man sich doch das hübscheste aus.“ Er fühlte, wie seine Wangen heiß wurden, hätte jedoch gleichzeitig am liebsten eben jene verfluchten Augen durchstoßen. Wenn er sie nicht mehr hatte, vielleicht wollten sie ihn dann ja nicht mehr. Wer wollte schon ein Kleid, das einen Makel aufwies? Er spürte einen Funken Hoffnung, als er zu dem Obsidiansplitter griff, der immer noch friedlich und kalt um seinen Hals hing. Obwohl er zugleich eine schreckliche Angst verspürte: Angst vor der Dunkelheit, Angst vor den Schmerzen, Angst vor ihrer Reaktion... Es war gleichgültig entschied er und wollte gerade zustoßen, als ihre Hand dazwischen fuhr. Er beging den Fehler, dass er die Augen hob. Denn in diesem Moment hielt ihr harter Blick ihn erbarmungslos fest. „Nein!“, durchbrach ihre Stimme den Bann. „Ich habe dir das alles erzählt, damit du eine Wahl hast. Wie der erste Ikari. Doch ich meinte nicht diese Wahl.“ Als er nichts erwiderte, entwand sie ihm blitzschnell den kleinen Splitter und nahm ihn an sich. „Überlege dir gut, welchen Weg du gehen willst. Entweder du beugst dich dem Ritual oder ich zeige dir einen Ausweg, der erfolgversprechender und weniger schmerzhaft sein wird. Ich lasse dich nun allein, damit du deine Entscheidung in Ruhe fällen kannst. Doch noch bevor der Morgenstern die Nacht erhellt, werde ich zurückkehren und du wirst auch den hier zurückerhalten, wenn es dein Wunsch ist.“ Er fror. Das war alles, woran er noch denken konnte. Der einzige Gedanke, der sicher war. – Nein! – Gehetzt schlug er die Augen auf. Doch sie hatten bereits ein Eigenleben entwickelt. Wie zwei wilde Tiere jagten sie durch den kleinen Raum, in dem es jedoch zu dunkel war, als dass sich mehr als seine Umrisse erahnen ließen. Nur das fahle Licht des Neumonds sandte einen schwachen Schimmer genau vor ihm auf den Boden. Aber es war kein Hoffnungsschimmer, sondern machte diesen Ort nur noch gespenstischer. Ob es wohl so sein würde wie in diesem Zimmer? Auf ewig? Er schauderte. – Nein! – Hatte er das etwa laut geschrieen? Wenn sie recht hatte, war es sowieso egal. Niemand würde sich daran stören. Man würde diese peinliche Schwäche übersehen, genauso wie man ihn übersah. - Nein, er wollte noch nicht sterben! - Und schämte sich zugleich dafür. Lange kämpfte er mit sich, bis er wieder einen einigermaßen klaren Gedanken fassen konnte, der nicht darin bestand, sich die Zukunft auszumalen. Jene Zukunft, die ihn erwarten würde, wenn er das tat, was alle von ihm erwarteten. Warum war sie nur zu ihm gekommen? War sie etwa ein Fuchsgeist aus den Märchen, der die Menschen in Versuchung führte? Oder hatte sie wirklich die Wahrheit gesagt? Wenn ja, sollte er alle enttäuschen? Aber sie kümmerten sich schließlich auch nicht um sein Schicksal, sahen nur ihren eigenen Vorteil. Plötzlich stiegen die Worte des alten Priesters wieder aus dem Chaos, das sein Geist war, an die Oberfläche empor: „. Wir gehen unseren Weg, egal ob wir es wollen oder nicht. ... Wir können nur entscheiden, ...auf welche Weise wir ihn beschreiten.“ Und in diesem Moment traf er seine Wahl. Als sie zu ihm kam, war er ganz ruhig. Nun sah er auch die Geheimtür in der Wand, die ihr ihren Besuch ermöglicht hatte. Er sagte kein Wort, wartete, bis sie ihn ansprach. Ihr Ton klang fast so hart wie der Stein, aus dem sein Gefängnis bestand: „Also: Willst du mich nun begleiten? Oder ziehst du die andere Möglichkeit vor?“ Angespannt, wie um seine Wahl zu verdeutlichen, hielt sie den schwarzen Stein fest umklammert vor ihn hin. Anstatt einer Antwort schob er nur ihre Hand mit dem Stein von sich weg und blickte zu Boden. „Gut.“ Sie lächelte zufrieden, als er zu ihr aufsah. „Ich will leben.“ „Ja, das sollst du. Aber zuvor: Der Priester hat dir doch bestimmt irgendetwas gegeben. Irgendetwas Kleines: Einen Spielstein vielleicht? Eine kleine Flöte? Ein Schmuckstück außer dem Obsidian?“ Doch er schüttelte nur ratlos den Kopf. „Bist du dir ganz sicher?“, fragte sie ungläubig. Da spürte er auf einmal wieder die Feder, die sich an seine Hand schmiegte, sobald er in seine Tasche fasste. Ihre Berührung war irgendwie vertraut und beruhigend. Er konnte fast erahnen, wie sie bei tausenden Worten, in Briefen wie Gedichten, ihre treuen Dienste geleistet hatte. Warum sollte er sie hergeben? Doch ihr Blick war unerbittlich. Sie seufzte. „Es ist wirklich sehr wichtig. Was auch immer es ist, es hatte einen Vorbesitzer, der bald auch deinen Körper sein Eigen nennen wird, wenn du dich nicht davon trennst. Es ist ein Teil des Rituals.“ Seine Hand zuckte bei ihren Worten zurück, als habe er sich gerade die Finger verbrannt. Sie sagte nichts weiter, wartete nur ab, während ihr Blick nun deutlich ihre Ungeduld verriet. Aber jetzt, wo er die Wahrheit kannte, weigerte sich alles in ihm, die Feder auch nur noch ein einziges mal anzufassen. Schließlich, nach einem langen peinlichen Moment, überwand er sich und streckte ihr das Schreibwerkzeug entgegen. Sie war gerade im Begriff es zu ergreifen, als sich die Zeit plötzlich aufs Unendlichste auszudehnen schien. Während sich ihre Hand seiner so langsam näherte, wie er es sonst nur von dahinziehenden Wolken am Nachmittagshimmel kannte, fluteten plötzlich zahllose Bilder durch seinen Kopf. So schnell, dass er nur wenige klar unterscheiden konnte. Zwei Geschwister vertieft ins Spiel des Chayantou. Ein kleines Mädchen, tot, ermordet. Die Tränen in den Augen seiner Mutter. Eine hübsche Frau, die ihrem Tod entgegenging. Das Lächeln des Fremden, als er ihm fürsorglich ein Kissen in den Rücken schob, obwohl er genau wusste, dass er dies nicht wollte. Der Herrscher, seine Erhabenheit, höchst selbst. Ein Junge mit dunklen Haaren, nur wenig jünger als er selbst, den er die Kunst des Bogenschießens und gleichzeitig etwas noch viel Bedeutenderes lehrte, obwohl er natürlich niemals einen solchen auch nur in der Hand gehalten hatte. Verzweifelt kämpfte er dagegen an, versuchte aus dem Strudel aufzutauchen und schrak zusammen, als er plötzlich wieder in die Gegenwart und das triumphierende Lächeln blickte, dessen Vorboten sich auf ihrem Gesicht ankündigten. Und da fiel sie ihm aus der Hand, die kostbare Feder, an der so viele Erinnerungen hingen. Doch katzengleich fing sie sie auf, obwohl die Zeit wieder ihrer natürlichen Geschwindigkeit zu folgen schien. „Hier.“ Gehetzt schob sie ihm ein Schälchen voll Öl und zwei Steine zu, die sie zuvor vor ihm abgestellt haben musste. Immer noch verschreckt machte er Feuer, wobei nur die Übung seine zitternden Hände diese Aufgabe meistern ließ. Im nächsten Moment ging die Feder in Flammen auf. Brannte herunter zu einem schwarzen Skelett, bevor sie endgültig in dem Feuermeer versank. Als sie das Inferno mit ihrem Atem löschte, stand es endgültig fest: Er war frei. Hastig folgte er ihr durch die schmalen dunklen Gänge. Er rechnete jederzeit damit, dass eine Stimme sie aufhalten und ihrer Strafe zuführen würde. Lieber wollte er erst gar nicht darüber nachdenken, wie diese in einem solchen Fall aussehen mochte. Fast lief er geradewegs in sie hinein, als sie abrupt stehen blieb und erntete einen finsteren Blick. Ihre Geduld schien nun vollkommen aufgebraucht zu sein. „Warte hier,“ sagte sie nur und kam einen Augenblick später aus einem Seitenraum mit ein paar Kleidungsstücken auf dem Arm zurück. „Du willst doch nicht allen Ernstes so herumlaufen.“ Sie musterte ihn von oben bis unten. Er schüttelte nur verneinend den Kopf und senkte seine Augen angesichts ihres gestrengen Blicks. Sie nickte nur, schob ihm ihre Last zu und erteilte die nächste Anweisung: „Schau einmal, was dir passt. Ich sehe in der Zwischenzeit nach, ob der Weg frei ist.“ Obwohl sie sich seltsam ungewohnt anfühlten, hatte er sehr schnell ein paar passende Stücke gefunden. Er legte die restlichen beiseite und wartete. Doch er war zu aufgeregt, um es lange auszuhalten und machte sich schließlich in die Richtung auf, in die sie verschwunden war. Bald schon vernahm sein feines Gehör Stimmen, die sich lebhaft unterhielten. Eine stach besonders hervor: „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt. Sorg einfach dafür, dass die Wachablösung nun bald erfolgt. Alles soll planmäßig ablaufen, damit die Überraschung morgen umso größer ist.“ „Aber soll ich euch nicht doch wenigstens zwei Männer mitgeben?“, ihr Gegenüber klang fast flehend. „Ihr könnt doch nicht allein mit dem Jungen hinaus in die Nacht...“ „Du vergisst deinen Platz, Soldat,“ wies sie ihn scharf zurecht. „Ja, Herrin.“ Vernahm er die kleinlaute Antwort. „Außerdem habe ich nicht vor das Haus zu verlassen. Wir werden hier abwarten, bis die Gefahr vorüber ist und dann lasse ich ihn laufen.“ „Er wird schnell gefunden werden,“ fuhr sie mehr zu sich selbst gewandt fort. Den Rest des Gespräches hörte er nicht mehr. Denn seine Beine trugen ihn bereits fort. Kopflos rannte er durch das Labyrinth verwinkelter Gänge. Als er endlich einen Ausweg fand, graute bereits im Osten ein neuer Morgen. Happy-End? Das wird das nächste Kapitel zeigen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)