Novemberwind von abgemeldet (...auf der Suche nach der wahren Liebe) ================================================================================ Kapitel 4: Sing mir von deinem Leben ------------------------------------ Wie Simon es versprochen hatte, half er dem kleinen Fly sich gegen Julian zu wehren. Doch die Angriffe wurden auch dadurch nicht weniger. Man kannte Simon bereits nach den ersten zwei Tagen als den Robin Hood der Schule. Denn er half auch anderen armen Opfern. Aber Simon tat es nicht des Ruhmes wegen, Simon war ein Idealist. Einer dem es nicht passte, dass ‚anders sein’ ein Grund dafür war ausgestoßen zu sein. Was machte es schon für einen Unterschied? Er selbst hatte eine Vorliebe für schwarze Kleidung. Doch ihn hatte man bisher noch nicht deshalb belangt. Lag sicher an seiner Größe. Aber trug einer die Haare bunt oder hatte von Natur aus rote Augen, war derjenige sofort Sündenbock für alles. Das zu ändern, trieb Simon an Leika rannte zwischen den Bäumen und Beeten herum. Sie freute sich endlich mal wieder mit Simon raus zu gehen. Übermütig tollte sie herum. Simon sah ihr träumerisch nach und schlenderte gemächlich durch den Park hinterher. So ein Spaziergang konnte manchmal echt Wunder wirken. Er genoss den kühlen Wind, welcher nur fast täglich um die Häuser wehte. Alle belastenden Gedanken fühlte er wie weggeblasen. Träumerisch blickte er der Hündin hinterher. Von irgendwoher vernahm Simon leise Musik. Helles Klimpern einer Gitarre mischte sich mit einer unbeschreiblich warmen Stimme. Die Melodie klang wehmütig. Neugierig geworden lief er auf die Musik zu. Leika folgte ihm. Auf einer Bank zwischen zwei alten Weiden saß eine kleine Gestalt und spielte Gitarre. Die langen Äste der Bäume verdeckten das Gesicht der Person. Doch die Stimme allein reichte, um Simon zu verzaubern. Eine Zeit lang stand er einfach nur da und hörte verzückt zu. Selbst Leika war ruhig geworden und schien dem Bann der Musik zu erliegen. Es war das schönste, was Simon seit langem gehört hatte. Kaum war das Lied zu ende rannte Leika los, auf dem Musiker zu. „Leika…!“ Simon konnte sie nicht mehr zurückhalten. Sie bestürmte die Person, welche ein wenig erschrocken aufsah. Die kurze Bewegung reicht aus, um Simon ersichtlich zu machen, wen er da vor sich hatte. Die kinnlangen weißen Haare flogen und gaben kurz das Gesicht des Jungen frei. Fly war vollkommen überrascht, als der Hund auf ihn zusprang. Doch er mochte Hunde und wies die freundlich gemeinte Begrüßung nicht ab. Lächelnd kraulte er dem Hund die Ohren und lies sich die Finger lecken. „Was bist du denn für einer?“ fragte er den Hund. „Streunst du allein hier herum?“ „Nein,“ kam es von rechts. „Sie streunt mit mir.“ Fly schrak ein wenig auf, als er so unerwartet angesprochen wurde. Doch die Stimme war ihm keineswegs fremd. Gemächlich schlenderte Simon herbei und mühte sich Leika von Fly wegzuziehen – erfolglos. „Tja, sie scheint wohl einen Narren an dir gefressen zu haben,“ schmunzelte er. Fly lächelte scheu zurück und streichelte Leika weiter. „Scheint so…“ „Hoffentlich stört dich das nicht.“ Fly schüttelte den Kopf, wieder flogen seine weißen Strähnen und Simon konnte kurz seine Augen sehen. „Nee, das ist ok. Ich mag Hunde,“ grinste er nun Leika an. „Dann ist gut. Darf ich?“ fragte Simon, bevor er sich setzten wollte. „Hm…“ bekam er zur Antwort. Fly wurde durch Simons Anwesenheit nervös. Er versuchte es aber möglichst nicht zu zeigen. „Das war echt gut,“ begann Simon. „Was?“ „Dein Lied, das hatte wirklich Charakter,“ setzte er fort. „Oh das, … danke,“ Fly bekam einige zarte rote Flecken auf die blassen Wangen. „Selbst geschrieben?“ der Kleinere nickte wieder eine Spur schüchterner. Er mochte es nicht zu sehr gelobt zu werden, das war ihm peinlich. Simon spürte die Unruhe, die Florian bewegte und beließ es einen Moment dabei. Das Schweigen, machte Fly nur noch unsicherer, sodass er bald kleinlaut die Initiative ergriff. „D-du bist noch nicht lange in der Stadt, oder?“ Simon schüttelte den Kopf. „Seit genau einer Woche.“ „Woher kommst du?“ versuchte Fly es weiter. Mit jedem neuen Wort verlor er etwas von der Anspannung. „Aus einer Stadt weit im Landesinneren. Da haben meine Eltern und ich ein Jahr gelebt,“ erzählte Simon ruhig. „Ein Jahr?“ Fly stutzte. „Genau. Meine Eltern sind bei einer Handelsgesellschaft beschäftigt und ständig auf Reisen. Kurzfristige Umzüge sind bei uns normal. Um die Firma bekannter zu machen fahren wir durch das Land in verschiedene Städte.“ „Du sagst das so, als ob dir das Spaß macht…“ Simon lachte kurz. „Spaß… nein, das hat damit wenig zutun. Es ist notwendig. Freude habe ich daran ehrlich gesagt wenig. Ich würde gern mal wieder irgendwo länger ansässig werden. Aber das wird wohl dauern, bis es wieder mal dazu kommt,“ sagte er. „Wieder mal? Heißt das es war nicht immer so?“ Simon nickte. „Jap, früher war das anders…“ Fly legte sich die Gitarre über die Knie und Simon erzählte von seiner Vergangenheit. Er war damals noch ein Kind, doch musste er schon immer sehr viel für seine Mutter tun. Sie war allein erziehend und hatte keinen guten Job. Simon arbeitet als Kurier einer kleinen Poststelle, um ein wenig Geld dazuzuverdienen. Es war nicht einfach. Oft hatte er sich damals ein besseres Leben gewünscht und viele schlaflose, tränenreiche Nächte in seinem kleinen Zimmer verbracht. „Oh man, wie fand ich unser Leben ungerecht,“ sagte er mit einem Seitenblick auf Fly. Der hatte zugehört; den Kopf auf die Hände gestützt und still vor sich hinstarrend. Dabei waren ihm die Ärmel heruntergerutscht. Simon wollte schon weiterreden, da fielen ihm Florians Blick und seine Unterarme auf. Mal wieder hatte Florian sich selbst verletzt. Simon wollte ihn schon darauf ansprechen, bremste sich aber selbst, als ihm der veränderte Geschichtsausdruck des Kleineren auffiel Die vorher fast strahlende Freude war aus seinen Augen verschwunden. Rot und leer blickten sie ins Nichts; so rot wie die frischen Striemen auf seinen Armen. „Hey, Florian? Was ist los?“ Der kleine Emo fühlte sich wie als hätte man ihm gerade einen Spiegel vorgehalten und ihm sein Leben gezeigt. Plötzlich kam auch ihm alles so hoffnungslos vor… „Oh man,“ sagte Simon, dem jetzt ein Licht aufging. „Sorry, ich wollte damit nichts Böses…“ Fly hörte ihn kaum. Er drohte in seinem Selbstmitleid zu ertrinken. Simon sah Lukas vor sich – solche ähnlichen Situationen gab es bei ihm auch oft. Er wollte etwas sagen, doch Florian kam ihm leise zuvor. „… kein Thema …“ Irgendwas musste Simon jetzt tun. „Hey, tut mir leid. Ich hatte es kurz vergessen. Deine Ma hat mir zwar alles erzählt, aber ich hatte im Moment nicht daran gedacht… wenn du was loswerden willst, dann sag es. Ich hör gern zu.“ Simon hoffte die richtigen Worte gefunden zu haben. Fly hatte es gehört und spürte den Drang alles aus sich herauszuschreien, doch seine Angst hemmte ihn. Stattdessen nahm er seine Gitarre und fing an zu singen. Alle Bilder und Worte, die ihn ständig begleiteten, fast erdrückten, sang er in das Lied. Er sang es mit allen Emotionen die er aufbringen konnte; er sang Simon sein gescheitertes Leben vor. Und Simon hörte gebannt zu. Tief bewegt von dem intensiven Gefühl, was Florian damit ausdrücken wollte, es gelang ihm. Aber irgendwann hatte er keine Kraft mehr. Die Melodie wurde leiser und langsamer, Tränen verließen seine Augen und seine Stimme brach… Wie ein Spielzeug dem die Batterie ausgegangen war saß Fly in seiner Haltung erstarrt da. Stumm lies der die Tränen rinnen. Schmerz überflutete ihn. Er wollte ihn von außen übertönen, doch hatte er nichts bei sich… Simon beugte sich vor und nahm Fly die Gitarre ab. Sorgfältig stellte er sie an die Rückenlehne der Bank. Der Kleine nahm das überhaupt nicht wahr. Tröstend legte Simon ihm die Hand auf die Schulter. Das bemerkte Fly und hob langsam den Kopf. „Das wollte ich nicht…“ sagte Simon ehrlich. „…“ „Tut mir leid, Kleiner.“ „… es… tut so weh…“ flüsterte Fly. Tränen liefen sein blasses Gesicht herunter. Simon konnte es nicht mehr ansehen. Ohne zu überlegen zog er Fly an sich und umarmte ihn. Was hatte er nur wieder angerichtet…! Wie ein Ertrinkender klammerte sich Fly an Simon. Er fühlte sich so verlassen… sogar seine anfängliche Schüchternheit war vergessen. Simon lies den Kleinen spüren, dass er nicht allein war; zumindest hoffe er, dass Fly das spürte. Beruhigend streichelte er ihm über den Kopf – ‚Wow, hat der weiche Haare…’ Eine ganze Weile saßen sie so eng umschlungen. Irgendwann begann Simon leise zu sprechen: „… gibt nicht so schnell auf,“ sagte er. „Manchmal muss man eben um alles kämpfen.“ Fly hörte es, reagierte aber nicht. „Außerdem hast du mich ja noch gar nicht zu Ende erzählen lassen…“ ‚Was er wohl damit meint?’ dachte Fly. „…So verfahren unser Leben damals auch war, irgendwann besserte es sich. Meine Mum bekam eine bessere Stelle und wir hatten wieder mehr zum Leben. Sie hat sich sogar neu verleibt…“ Fly hob den Kopf und sah Simon an. ‚Süß…’ dachte Simon und lächelte. „Du darfst nur nicht aufgeben. Mit der Zeit verändert sich vieles, und nicht nur zum Schlechten…“ er konnte nicht umhin Florian eine Träne von der Wange zu wischen. „Wieso erzählst du mir das alles?“ fragte Fly leise. „Weißt du, ich hatte damals noch einen Freund in meiner Heimatstadt. Er hieß Lukas und war dir gar nicht so unähnlich.“ Fly stutzte. „Er war auch ein Emo, aber noch eine Stufe krasser als du. Was glaubst du wie oft ich ihn von einer Brücke oder einem Fenster zerren musste. Lukas hatte das Leben gründlich satt. Am Ende kam ich doch zu spät… da hatte er sich eines Tages beide Pulsadern aufgeschnitten… Niemand hatte es bemerkt… er hatte sich in seiner Wohnung eingeschlossen. Als ich mit dem Schlüsseldienst kam, … da war es schon zu spät…“ Simon blickte in der Erinnerung versunken vor sich hin. Fly verstand. Er legte den Kopf wieder auf Simons Brust und umarmte ihn sogar. „Ich weiß, dass Julian sich als ziemlich grober Typ gibt und dir manchmal sehr zusetzt. Aber lass dich davon nicht kaputt machen… Niemand soll so enden wie Lukas, am allerwenigsten du. Wo du doch so eine Wahnsinnsstimme hast!“ lenkte Simon ein. Fly lächelte darauf. „Florian?“ „…hm?“ „Geht’s besser?“ fragte Simon sanft. Fly nickte. „Danke,“ flüsterte er. „Kein Thema, und…“ Fly setzte sich auf. „… egal wann und wo. Wenn du irgendwas loswerden willst, rede mit mir, ok? Es bringt nichts das alles verdrängen zu wollen.“ Der Kleiner nickte und richtete sich verlegen die Haare. Simon lächelte über Flys naive Art. Nach der kleinen Verständigung liefen sie gemeinsam durch den Park. Simon hatte es sich nicht nehmen lassen Fly nach Hause zu begleiten. Leika sprang fröhlich um sie herum. Im Laufen sprachen sie über belanglose Dinge und Fly wurde zunehmend lockerer. Er trat einen Ast beiseite. Leika hüpfte hinterher und schnappte sich den Stock. Folgsam wedelnd trug sie ihn zurück zu den beiden Jungs. Fordernd sah sie beide an. „Oh man! Jetzt hast du was angezettelt,“ meinte Simon belustigt zu Fly. „Wieso denn? Hab doch gar nix gemacht.“ „Schon ok, aber Leika liebt apportieren! Die kriegen wir jetzt nicht mehr los. Nicht bevor wir sie ausgepowert haben.“ „Kein Problem, das mach ich schon,“ sagte Fly kurzer Hand und drückte Simon die Gitarre in die Hand. Er entrang Leika den Ast und warf ihn so weit er konnte auf eine große Wiese. Wie verrückt sprintete Leika hinterher und überschlug sich beinah vor Begeisterung. Kopfschüttelnd sah Simon den Spielenden zu. Langsam schlenderte er ebenfalls auf die Wiese. ‚Warum eigentlich nicht, vielleicht komme ich so noch ein bisschen an Florian ran,’ dachte er und legte die Gitarre an einer Hecke ab. Er entdeckte den Stock, hob ihn auf und warf. Leika bemerkte es und hörte auf mit Fly zu balgen. Wie ein Blitz schoss sie dem Holz hinterher. Fly lachte und lief ebenfalls los. Er schaffte es tatsächlich vor Leika am Objekt der Begierde zu sein und warf ihn zielsicher zurück zu Simon. Das ging eine ganze Zeit so hin und her. Bis schließlich alle außer Atem und lachend (zumindest Simon und Fly) im Gras lagen. Das Laufen hatte eine erstaunliche Wirkung. Fly hatte plötzlich eine heitere Laune, die kaum noch zu übertreffen war. Das verwunderte Simon nicht, war er solche Schwankungen doch von Lukas gewöhnt. Freudestrahlend blickte Fly nach oben. Zwischen den nebelgrauen Wolken war ab und zu ein Fetzen blauer Himmel zu sehen. Fly seufzte. Simon hatte es gehört. „Was ist?“ „Ach nichts weiter… Ich habe mich nur mal wieder was gefragt,“ antwortete Fly. „So, was denn?“ Simon setzte sich hin und sah Florian von oben an. Der streckte den Arm aus und deutete in den Himmel. „Ich frage mit immer wie es wohl über den Wolken aussieht?“ Simon wurde etwas unruhig. „Keine Angst, ist nur eine normale Frage. Ich würde das gern mal wissen, würde gern mal über den Wolken sein,“ schwärmte er weiter. „Fliegen?“ harkte Simon nach. „Genau! Einmal da oben fliegen, das wäre für mich das Größte,“ gestand Fly und bemerkte sofort was er gesagt hatte. Soeben hatte er Simon seinen geheimsten und größten Wunsch offenbart. Simon lächelte. „Wenn es weiter nichts ist… das lässt sich sicher einrichten.“ „Echt?!“ Fly setzte sich flink auf. „Wann? Wo?“ „Hey, nicht so stürmisch. Alles zu seiner Zeit.“ Fly nickte und sah noch einmal hoch zu den Wolken. „Mir ist egal wann, Hauptsache irgendwann…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)