Novemberwind von abgemeldet (...auf der Suche nach der wahren Liebe) ================================================================================ Kapitel 1: Immer auf die Kleinen -------------------------------- Simon schlurfte in den Klassenraum, die Hände in den Hosentaschen vergraben und noch etwas müde umherblickend. Er hatte keine Lust auf die neue Schule zu gehen. Warum musste er solche reiselustigen Eltern haben? Nie konnte er länger als ein halbes Jahr an einer Schule bleiben. Die anwesenden Schüler sahen auf. Die Mädchen begannen zu kichern und zu tuscheln. ‚Na das kann ja heiter werden,’ dachte Simon, drehte die Musik seines MP3-Players lauter und wollte sich einen Platz suchen, da wurde es im Gang laut. „Hey, Fliege! Heute schon so früh? Hat dein Lover ´nen Neuen?“ Gelächter ringsumher. Simon streckte den Kopf aus der Tür, durch die er gerade hereingekommen war, und sah in den Korridor. Einige Jungs ärgerten eine kleine Person. Sie trug eine dunkle Tasche quer über dem Körper, eine karierte Hose, ein schwarzes Shirt und eine Sweat-Jacke. Die Mütze, die er/sie ehemals aufgehabt haben musste flog von Einem zum Nächsten. Hilflos hüpfte die Person zwischen den großen herum und versuche an ihre Mütze zu kommen. Simon schnaubte. Sein Gerechtigkeitssinn fühlte sich attackiert. Mit schnellen Schritten war er hinter den Peinigern und nahm ihnen die Mütze ab. Was Dank seiner Größe kein Problem war. „Könnt ihr euch keinen in eurem Format suchen?“ fragte Simon angenervt. „Hey! Was glaubst du wer du bist?!“ keifte einer der Jungs. Simon riss ihn am Kragen einfach von den Füßen. „Der Traum deiner schlaflosen Nächte. Ich kann aber auch schnell zum Albtraum werden, Sunnyboy!“ Ringsrum gab es kurzes Gelächter. „L..lass mich ...los!“ „Kein Thema, Süßer. Dafür lässt du in Zukunft andere in Ruhe. Vor allem hörst du auf die Kleinen zu schikanieren, klar?“ grollte Simon ernsthaft grimmig. „Is... is ja gut!...... Bitte ... ich ... krieg ...keine Luft...!“ Simon schüttelte nur den Kopf. „Erst versprechen,“ sagte er und hielt ihm den linken kleinen Finger entgegen. Der Junge stutze kurz, ging aber dann doch darauf ein, denn sein Kopf nahm schon eine ungesunde blaue Farbe an. Simon grinste zufrieden und lies den Typen auf den Hosenboden plumpsen. Mit einem Satz was er bei der kleinen Person. Er bemerkte, dass sie auffallen helles Haar hatte. „Hey Kleine, nächstes Mal passt du besser auf mit wem du dich anlegst,“ meinte er aufmunternd und erhaschte kurz einen Blick auf das schmale blasse Gesicht. Fly schnappte sich die Mütze und rannte mit hochrotem Kopf davon. „Hopsala... hab ich was Falsches gesagt?“ Simon blinzelte irritiert. „So ist der immer drauf,“ meinte Julian vom Boden aus. „’Der’???“ Simon glaubte sich verhört zu haben. „Sicher,“ Julian stand auf. „Das war Fly.“ „’N Kerl???“ „Jap, solltest lieber aufpassen. Der ist anders.“ Verständnislos blickte Simon in die Richtung, in die der angebliche Junge Fly verschwunden war. Fly rannte als ginge es um sein Leben. Er achtete nicht auf sich oder die anderen Schüler im Gang. Einige rannte er blindlings um, ohne sich zu entschuldigen. Zu allem Übel war unter diesen armen Opfern auch seine Klassenlehrerin. Die konnte sich noch rechtzeitig aus der Bahn werfen. Sie erkannte ihren kleinen Schüler und hielt ihn fest. „Moooment, mein Bester!“ sagte sie und zerrte den Kleinen an den Rand. „Warum hast du es denn so eilig?“ Fly schwieg und sah zu Boden. „Du weißt, dass es verboten ist in der Schule zu rennen. Was ist also hinter dir her?“ Fly schwieg weiter hartnäckig. Die Lehrerin seufzte. „Ach Florian, was soll das nur immer? Das ist schon das dritte Mal in dieser Woche, dass ich dich dabei erwische. Haben sie dich wieder aufgezogen?“ wollte sie wissen. Fly drehte das Gesicht zur Seite. „Also ja,“ schloss die Pädagogin. Florian kochte innerlich. Er ballte die Hände zu Fäusten und sah die Lehrerin grimmig an. „Und wenn schon! Wen interessiert es denn?!“ schnauzte er. „Das geht euch doch eh am Arsch vorbei! Lasst mich doch einfach alle in Ruhe!!“ Die Lehrerin packte ihn am Arm. „Pass mal auf! Du vergreifst dich mächtig im Ton!“ Fly verzog das Gesicht und versuchte sich loszureißen. Das wurde als neuerlicher Widerstand aufgefasst und die junge Frau verstärkte ihren Druck. Fly fuhr zusammen. „Au!... L-lassen sie... los!“ „Erst wenn du mir dein unmögliches Verhalten erklärst und dich entschuldigt hast.“ Die Lehrerin blieb hart. „Is ja gut! ... Tut mir ...leid. Bitte... lassen sie mich los. Das tut weh...“ Fly traten Tränen in die Augen. Die Frau stutzte. Sie lockerte ihren Griff drehte aber gleichzeitig seinen Arm herum. Mit ernstem Blick schob sie den Ärmel seines schwarzen Shirts hoch. Darunter befand sich ein äußerst unprofessionell gewickelter Verband – zu Teil rot verfärbt. Der Junge bekam einige rote Flecken auf den Wangen. Die Lehrerin erschrak. Fly nutzte das um sich gänzlich loszureißen. Er rannte zurück und stand plötzlich vor seinem Klassenraum. Resigniert ging er hinein, huschte auf seinen Platz und zog die Knie an. Hecktisch setzte er sich die Mütze auf den hellen Schopf und starrte mit versteinertem Gesicht nach draußen auf den angrenzenden Park. Die Lehrerin traf kurz nach ihm ein. Forschend sah sie sich um und entdeckte, zu ihrer Erleichterung, Florian auf einem Platz. Wenn auch nicht in einer sehr schultypischen Haltung. Erleichtert lächelte sie. Der Kleine hatte anscheinend mehr Probleme, als er zugeben wollte. Simon stand neben der Tür und wartete darauf vorgestellt zu werden. „Hört zu,“ begann die Lehrerin. „Von heute an haben wir einen neuen Schüler in unserer Klasse: Simon.“ Sie deutete nach rechts. „Ich bitte euch nur um eines: versucht zur Abwechslung mal nett zu sein und nehmt ihn gut auf.“ Die Klasse murmelte amüsiert. Nur Julian setzte eine feindselige Miene auf. „So weit so gut. Würdest du dich bitte dort hinten hinsetzten?“ wurde Simon gefragt. Ihm wurde der Platz hinter Fly zugewiesen. Simon nickte und begab sich zu seinem neuen Platz. Im Vorbeigehen lächelte er Fly freundschaftlich zu. Der drehte sich erschrocken weg und bekam zusätzliche rote Flecken im Gesicht. ‚Komischer Typ’ dachte Simon und setzte sich. Den ganzen Tag fühlte Fly sich beobachtet. Er spürte die Blicke der anderen auf sich; besonders Simon schien ihn ständig anzustarren. Das machte Fly nervös, unheimlich nervös! Ach, er hasste es anders zu sein! Um sich abzulenken begann er an dem Bild auf seinem Hefter herumzumalen. Es war fast fertig. Aber zufrieden war Fly noch lange nicht damit. Die Blüten des Mohnfeldes sahen ihm noch zu unlebendig aus. Außerdem hatte er die Perspektive einer der schwarzen Rosen schlecht getroffen. Missmutig kritzelte er auf der Pappe herum. Simon hatte sich in der Kantine einen Apfel besorgt, und aß ihn im gehen. Sein Blick fiel auf Fly und seinen Hefter. ‚Wow’ staunte er innerlich. Der Junge hatte es echt drauf! Er blieb neben dem Kleinen stehen und beobachtete ihn beim Zeichnen. Fly bemerkte es natürlich und wurde wieder nervös. Was hatte der Typ denn nur? Konnte er nicht einfach vorbeigehen und sich hinsetzten? Nein, er stand stumm neben ihm und machte keine Anstallten auch nur einen Schritt zu tun. Fly schnaufte. „Was ist denn?“ fragte er den Neuen etwas gereizt. „Hm?“ kaute Simon, „nichts, ich bin nur hin und weg. Das sieht echt klasse aus,“ sagte er ehrlich. Fly glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. Scheu hob er den Blick etwas, um den Neuen kurz ansehen zu können. Simon lächelte über die Schüchternheit des Kleinen. „F-findest du?“ Simon nickte und kniete sich neben den Tisch. Er besah sich das Bild von Nahem. Fly zuckte erschrocken ein Stück zusammen. „Keine Angst, ich tu dir nichts,“ versuchte er den Kleinen zu beruhigen. „Machst du so was öfter?“ Er deutete auf das Bild. „W-was? Ähm... ja...“ antwortete Fly und schlug den Hefter auf. Im Inneren befanden sich noch mehr Zeichnungen. Simon konnte nicht aufhören zu staunen. Der Kleine war richtig gut! Eine Zeichnung gefiel ihm besonders. Ein rostiges von Rosen umranktes Schwert, welches in einer Felsspalte steckte. Es sah aus, als könne man es ohne weiters in die Hand nehmen. „Das ist einsame Spitze,“ gestand Simon und tippte mit dem Finger auf die kleine Zeichnung. Fly bekam wieder rote Flecken auf den Wangen. „D-danke...“ Die ersten Worte waren gewechselt, eine leichte Sympathie preisgegeben. Fly fühlte sich seltsam, doch angenehm. Allein durch die freundlichen Worte des Neuen. „Entschuldigung...“ Simon kam förmlich zurückgesprungen. Fly erschrak erneut. „Wie heißt du denn eigentlich? Hab keine Lust dich ständig mit ‚Kleiner’ anzusprechen.“ „... ich ... Flo- Florian heiße ich...“ Simon lächelte. „Schön, Florian. Ich bin Simon und falls Julian wieder Ärger macht,“ er grinste, „sag bescheid!“ Jetzt war Fly erst recht und vollkommen verwirrt. Der Tag verging im Trüben - so wie jeder Novembertag. Es regnete schon seit zwei Tagen. Was Flys innerem Zustand durchaus entsprach. Emo... ja, so bezeichneten nicht nur die anderen den kleingewachsenen Jungen. Fly fühlte sich auch so. Ständig schwebend zwischen den Gefühlen, zerrissen in seiner Seele. Die Schulglocke riss Fly aus seinen trüben Gedanken. Letzte Stunde: Sport. Betont langsam packte Fly seine Hefter ein und holte seine Sachen. Ahnte er doch wieder was passieren würde. Im Umkleideraum herrschte allgemeines Durcheinander – Chaos alla Jungs. Simon war das nicht fremd. Er saß da und wartete darauf, dass der Rest fertig wurde. Hatte er doch keine Wechselsachen dabei. Als Fly den Raum betrat war das Umschlagen der Stimmung deutlich zu spüren. Mit gesenktem Kopf trottete der Kleine zu einem freien Platz. Sein Herz klopfte und er versuchte möglichst nirgends hinzusehen. Gerade wollt er seine Tasche abstellen, da wurde sie ihm aus der Hand gerissen. Johlend warfen die Jungs sie hin und her. Julian war der ungekrönte Anführer dieser Bewegung. Simon wollte eingreifen, wurde aber prompt von drei anderen flankiert. Am liebsten hätte er Julian in seinen arroganten Hintern getreten. Doch so war er zum Zusehen verdammt. Fly stand in der Mitte und tat nichts. Mehr als einmal, und keineswegs zufällig, traf ihn seine eigene Tasche am Körper. Er versuchte es im Stillen zu ertragen, doch irgendwann war die Grenze überschritten. Fly begann zu weinen. Julian und die anderen lachten und klatschten. „Oh, der kleine Emo weint! Haben wir ihm wehgetan?“ Julian konnte sich nicht halten. Fly flüchtete in den Duschraum. Aber noch hatte Julian nicht genug. Er wollte diesen Abschaum erniedrigen! Die Verfolger drängten Fly in die Ecke und betätigten die Duschen. Sie weichten Fly komplett ein, so wie er war, in all seinen Sachen. Dann ließen sie ab und schlossen die Tür zu Duschraum. Ohnmächtig musste Simon das alles ansehen – untätig. Der Kleine tat ihm so leid! „So, Neuer! Jetzt hast du es gesehen! So wird hier mit Abschaum umgegangen. Merk dir das!“ grollte Julian nach getanem Werk. Simon wollte auffahren, doch sie schleiften ihn in die Halle. Auch da bekam er keine Chance das Wort zu ergreifen, denn die recht herrische Lehrerin übernahm das Regiment. „Aufstellen! Sport...!“ „FREI!“ antwortete die Klasse. „Lasst mich sehen, sind alle da? Gut dann fangen wir an. Die Sprecher, wählt zwei Teams!“ Die Wahl begann. Florian war sonst immer der Letzte, den man wählte. Doch heute ging es ausnahmsweise mal nicht auf. Das verwundete die Lehrerin im ersten Moment noch nicht. Sie pfiff das Basketballmatch an. Fly sank durchnässt auf die Fließen. Was hatte er verbrochen? Warum taten sie ihm das immer wieder an? Er weinte bitter. Der innere Schmerz, der ihm zugefügt wurde begann Überhand zu nehmen. Er wurde unerträglich. Er lehnte sich an die Wand. Matt hob er die Hand und begann seinen notdürftig angelegten Verband zu lösen. Die zum Vorschein kommenden Striemen ließen ihn lächeln. Das Tuch fiel achtlos zu Boden. Fly kramte in seiner Hosentasche. Er fand wonach er suchte. Beinahe liebevoll drehte er das Metall in den Fingern bevor er es auf seine blasse Haut setzte. Fly schloss die Augen und übte Druck aus. Wie eine Erlösung spürte er den Schmerz, als Metall durch seine Haut schnitt. Noch einige Male wiederholte er es, bis er schließlich zu schwach war. Verdammt! Er hatte es vergessen! Ein Pfiff! „Moment ihr Rabauken! Wo habt ihr Florian versteckt!“ brüllte die Lehrerin durch die Halle. Keiner rührte sich. Simons Verachtung gegen soviel Feigheit wuchs. Er meldete sich. Julian schnaufte, doch das war ihm egal. „Im Duschraum,“ sagte er mit fester Stimme. „Sie haben ihn drangsaliert, erniedrigt...“ „Ah, das übliche,“ meinte die Lehrerin. Julian platzte förmlich. „Was anderes hat diese Emo ja auch nicht verdient!“ spie er. „Soll er doch heulen...“ Mit einem Satz war Simon bei Julian. „Sag das noch mal.“ Der Junge stutze. „...er hat es nicht anders verdient...“ „Falsche Antwort,“ unterbrach ihn Simon. „Du hast ihn einen Emo genannt. Ist da was dran?“ „K-klar, das sieht man doch ...“ Simon konnte sich nicht beherrschen und ohrfeigte den Typen. „Bist du wahnsinnig?! Wer weiß was er sich jetzt antut!“ Simon fuhr herum und rannte zurück. Er hoffte sich zu irren. Simon stürmte in den Umkleideraum. Das Wasser aus der Dusche lief schon durch den Türspalt. Er riss die Tür auf und blieb augenblicklich stehen. Seine Augen weiteten sich und er fluchte innerlich. Fly lag im Wasser. Um ihn herum hatte es einen unnatürlich roten Schimmer. Mit einem Sprung war Simon bei ihm und richtete ihn auf. Der Kleine stöhnte. Simon sah seine Unterarme: tiefe Schnitte, aus denen noch immer Blut lief. Die Lehrerin war ihm gefolgt. „Was...? Wie konnte das...?“ stotterte sie. Simon hielt ihr etwas Rundes vor die Nase. „Ein Kronkorken? Aber ist doch un...“ „Nein,“ lachte Simon bitter. „Sie wissen nicht womit man sich alles ritzen kann. Man muss es nur wollen...“ Er langte nach oben und stellte die Dusche ab. Der kleine Emo war ein Anblick des Jammers: nass, erschöpft, bis an die Grenze getrieben. Simon zitterte vor Wut. Julian würde seine Abreibung bekommen, das schwor er sich! Doch Florian ging jetzt eindeutig vor. Der größere hatte keine Lust noch jemanden auf diese Tour zu verlieren. „Gibt es in der Nähe einen Arzt?“ fragte Simon die Lehrerin laut. „Sicher, hier im Haus haben wir eine Schulärztin…“ „Alles klar, nehmen sie Florians Tasche und dann nichts wie raus hier!“ sagte Simon beinahe befehlend. Die Lehrerin nickte während Simon sich Fly auf die Arme lud. Viel wog der Kleine ja nicht. Seine Tasche war ebenfalls nass. Als die Lehrerin sie anhob fiel einiges vom Inhalt heraus. Darunter ein dunkelblaues Etui. Klappernd landete es auf den Fließen und ging dabei auf. Zum Vorschein kamen drei kleine Spritzen. „Was ist das denn?“ die Lehrerin bekam den Mund nicht mehr zu. Sie hob die Spritzen mit spitzen Fingern auf und betrachtete sie näher. „Spritzen würde ich sagen.“ Simon trat neben sie. „Das sehe ich auch. Wozu braucht er die nur?“ Florian keuchte und öffnete mühsam die Augen. Mit hungrigem Blick musterte er die Spritze in der Hand der Lehrerin. Simon besah sich das Etui und begriff. „Kommen sie! Das macht alles nur noch schlimmer!“ ohne weiter zu warten rannte er los - vorbei an der neugierigen Klasse und die Treppe hinauf. Die Lehrerin sagte etwas wie „keiner rührt sich“ und lief Simon hinterher. „Was macht es denn so schlimm?“ fragte sie im Rennen. „Das sind Insulinspritzen,“ antwortete Simon. „Himmel! Dann ist der Kleine ja…“ „Eben!“ Kapitel 2: Tränen in der Öffentlichkeit --------------------------------------- Die Ärztin staunte nicht schlecht über ihren Notpatienten. Machte sich jedoch sogleich daran Florian zu helfen. „Bevor sie anfangen, geben sie ihm das,“ bat Simon und hielt ihr das Etui hin. „… Oh. Gut jetzt erklärt sich auch sein Zustand. Ich hatte mich schon gewundert. Allein von den Verletzungen konnte er nicht so schwach sein.“ Sagte sie und zog sie Spritze auf, um sie Florian dann zu verabreichen. Keine Minute verging und der Kleine öffnete flatternd die Augenlider. „Na das sieht doch besser aus,“ lächelte die Ärztin. Sie half Florian sich aufzusetzen und zog ihm den triefenden Pullover aus. Fly konnte sich nicht wehren, er war noch zu benebelt. In gleicher Weise verfuhr sie mit seinen Schuhen, Socken und der Hose. Allein an seinen Unterhosen vergriff sie sich nicht. Dann widmete sie sich den tiefen Schnitten in seinen Armen. „Auu…!“ das Desinfektionsmittel brannte höllisch und Fly zog träge den Arm zurück. „Na, hab dich nicht so. Das muss sein!“ kommentierte die Ärztin und lies keinen Widerspruch zu. Mit roten Wangen lies Fly es über sich ergehen. Er vermied es tunlichst Simon anzusehen. Er schämte sich zu sehr. Simon sah seine Wunden und auch die drei weißen Narben auf seinem Bauch, sagte aber nichts. Florian tat ihm einfach nur leid. Hätte er doch dazwischen gehen können! Fly begegnete Simons forschendem Blick. Der erwiderte einfach lächelnd, was ihm noch zusätzliche Röte bescherte. „Fertig!“ sagte die Ärztin und zog die Handschuhe aus. Beide Unterarme hatte sie mit Verbänden umwickelt. „Die lässt du schön dran und kommst jeden Tag zu mir zum Wechseln, verstanden?“ Fly nickte. „So nun müssen wir dir noch frische Sachen suchen,“ sie verschwand durch eine Tür ins Nebenzimmer. Nach einer Weile kehrte sie zurück und hielt Fly einen Pullover und eine Hose hin. Er wollte sie nehmen. Doch die Schnitte in seinen Armen schmerzten unter der geringen Last so sehr, dass er beides fallen lies. Die Ärztin lächelte. Fly blieb nichts anderes übrig als sich, wie ein Kleinkind, von ihr anziehen zu lassen. Peinlicher konnte es wohl kaum werden, dacht er. „Gut, dann kannst du jetzt gehen.“ Fly nickte wieder nur und rutschte von der Liege. Er hätte selbst wissen müssen, dass er dazu viel zu schwach war. Seine Beine wollten das Gewicht nicht tragen. Er wäre gefallen, doch Simon war geistesgegenwärtig und fing den Kleinen auf. „Na…! Überschätz dich nicht.“ Soviel zum Thema Peinlichkeit. Fly fühlte selbst, dass er nun von einer Tomate schwer zu unterscheiden war. „Könntest du ihn vielleicht nach Hause bringen?“ fragte die Lehrerin. „Ich habe so die Vermutung, dass er sonst dort nicht ankommt.“ Simon nickte. Er hing sich Florians Tasche über und ging los. Schon nach wenigen hundert Metern war Fly völlig fertig. „W-warte…“ bat er, als sie das Schulgelände verlassen hatten. Simon blieb stehen und lies ihn zu Atem kommen. „Geht’s?“ fragte er nach einer Weile. Doch Florian schüttelte den Kopf. Er musste sich nichts vormachen. Noch ein paar Schritte und er würde endgültig zusammenbrechen. Aber er scheute sich davor das Simon zu sagen. Der schnaufte kurz und ging von Florian in die Hocke. „Komm,“ sagte er, „ich trag dich.“ Fly zögerte, lies sich dann aber von Simon huckepack nehmen. „Wo soll’s denn eigentlich hingehen?“ fragte Simon im Laufen. „…Erstmal zur Straßenbahn…,“antwortete Fly kleinlaut. „Ah, und von da?“ Simon ließ sich auf ihn ein. „Z-zur 4, nach Wilborie.“ War die Antwort. „Ok, alles klar.“ An der Haltestelle setzte Simon den Kleinen ab. Noch acht Minuten. Die Leute um sie besahen das Duo mit skeptischen Blicken. Simon ignorierte es. Fly hingegen fühlte sich total beobachtet. War sicher wieder seinen weißen Haaren und den roten Augen geschuldet. Er hasste es ein Albino zu sein. Warum ausgerechnet er? Tränen stiegen in ihm auf. „Entschuldigung?“ eine alte Frau hatte Fly angesprochen. Er blickte schüchtern in das runde freundliche Gesicht. „Dürfte ich mich wohl setzten? Meine Bahn fährt erst in 20 Minuten.“ Jetzt sah Fly, dass sie sich auf zwei Gehilfen stützte. Er nickte und versuchte aufzustehen. Simon musste ihm helfen. Die Frau blickte etwas irritiert. „Setzten sie sich ruhig,“ sagte Simon. „Unsere Bahn komm eh gleich.“ „Danke, das ist sehr freundlich von euch.“ Mit einem Seufzer setzte sich die alte Dame. Fly stand nun sehr unsicher neben Simon. Der bemerkte es und zog ihn heran. Fly erschrak etwas. „Keine Angst, du sollst mir nur nicht umfallen,“ grinste Simon. Fly war ihm dankbar dafür, doch diese unmittelbare Nähe machte ihm zu schaffen. Im Stillen hoffte er, dass Simon sein wild schlagendes Herz nicht spürte. Die Bahn kam und war brechend voll. Simon zog den Kleinen mit sich. „Halt dich an mir fest,“ sagte er. Scheu kam Fly seiner Bitte nach. 11 Stationen mussten sie fahren, stellte Simon mit besorgtem Blick auf Florian fest. Wieder starrten die Leute sie an, einige verächtlich. Man hielt nicht viel von zwei Jungen in so augenscheinlicher Umarmung. Fly hielt es nicht mehr aus, er hatte Angst. Zu oft hatte man ihm hier schon übel mitgespielt. Seine Arme schmerzten vom Festhalten. Erst durch ein leises Schniefen wurde Simon aufmerksam. „Hey…“ Fly weinte. Außerdem hielt er sich nicht mehr fest. Die Bahn bremste und Fly wäre fast gefallen. „Junge! Du sollst dich doch festhalten!“ sagte Simon. Doch Fly hörte ihn nicht. Er fühlte nur Schmerz, tiefen brennenden Schmerz – nicht nur äußerlich. „Florian? Hey, was hast du?“ Simon hob den hellen Kopf etwas an. Das nasse Gesicht war gerötet. Schnell prüfte Simon Florians Stirn. Der Kleine hatte Fieber! „Nicht das auch noch!“ stöhnte er. „Hallo?“ Eine junge Frau sprach Simon an. „Hier, nehmen sie meinen Platz.“ Dankend nickte Simon und beförderte Florian zu dem Sitz. Der Emo weinte noch immer. „Was ist denn los?“ Simon wollte ihm helfen, bekam aber keine Antwort. „War wohl n bisschen viel, hm?“ Er schloss Fly in die Arme. Der war so erstaunt, dass er für einen kurzen Moment aufhörte zu weinen. Schon oft hatte er sich danach gesehnt. Nach jemandem der ihn tröstete. Gerührt über soviel Anteilnahme konnte er nun die Tränen erst recht nicht mehr zurückhalten. Die ganze restliche Fahrt über hielt Simon den Kleinen fest. Irgendwann versiegten die Tränen. Aber Simon wusste nur zu gut, dass es damit nicht vorbei war. Bei Lukas war es genauso gewesen. Auch wenn sein bester Freund schon lange aufgehört hatte sich die Seele auszuheulen, war er immer dankbar dafür noch eine Weile Halt zu finden. Florian war nicht wie Lukas. Aber beide waren sich ein Stück ähnlich. Beim Aussteigen nahm Simon Fly wieder auf den Rücken. „Sagst du mir wo ich hin muss?“ fragte er sanft. Er spürte wie Fly nickte. „Geradeaus.“ „Links.“ Fly blieb einsilbig. „Warte,“ Simon blieb stehen. „Hier…“ Neben ihnen stand ein fünfgeschossiges Haus. Simon ging die Treppe hoch. „Ist jemand bei dir zu Hause?“ Fly nickte. „Ok, klingelst du bitte?“ Nicht ohne Anstrengungen betätigte Fly den Knopf. „Wer ist da?“ fragte eine Frauenstimme. „Simon Petters hier, ich bringe ihren Sohn. Würden sie bitte öffnen?“ Der Türöffner summte. Im dritten Stock stand eine kleine Frau in der Tür. Ihre unterlaufenen Augen weiteten sich, als Simon in ihr Sichtfeld trat. Wortlos machte sie Platzt und lies ihn ein. „Gütiger… was ist denn passiert?“ „Erklär ich ihnen gleich. Wo ist sein Zimmer?“ ziemlich überflüssige Frage. An der Tür links vom Eingang hing ein Schild mit „Florian“ darauf. Die Mutter ging voraus. Im Zimmer setzte Simon Fly auf dem Bett ab. Der konnte nur noch schwer die Augen aufhalten. Schnell war er Schuhe, Jacke und Hose los. Simon drückte ihn nach hinten und deckte ihn zu. „Schlaf, ruh dich aus.“ sagte er lieb und verlies mit der Mutter das Zimmer. Im Wohnzimmer erklärte er ihr alles. Sie wirkte schockiert. „Davon hat er nie erzählt…. Ich dachte immer es ginge ihm gut, in der Schule…“ „Wissen sie, dass Florian sich ritzt?“ Betreten sah die Mutter auf ihre Hände. „Nun, … schon…“ „Und da unternehmen sie nichts?!“ Simon war entsetzt. „Was soll ich denn tun? Wenn er es tut schließt er sich in seinem Zimmer ein. Ich sehe es dann erst an seinen Sachen…. Ich arbeite doch den ganzen Tag für ihn...“ ihr kamen die Tränen. Sie erzählte von ihren Sorgen. „Tut mir leid, war nicht so gemeint…“ entschuldigte sich Simon. Er blickte um sich. Es sah aus wie in einer Schneiderei. Er seufzte. „Na gut, ich muss wieder los. In der Schule warten sie auf mich.“ Vor dem Gehen sah er noch einmal nach Florian. Er schlief. „Kümmern sie sich bitte um ihn, ich glaube er hat ein wenig Fieber.“ Die Mutter nickte „Vielen Dank, dass sie ihn hergebracht haben.“ „Keine Ursache. Soll ich meine Nummer hinterlassen? Er soll mich bitte anrufen, wenn er wach ist. Das würde mich ungemein beruhigen.“ „Das werde ich ihm ausrichten,“ sagte die Mutter. Simon ging. Dankbar drückte sie den Zettel an sich. Sie schloss die Tür und ging zu ihrem Sohn. Ja, sie würde sich um ihn kümmern, das war sie Florian schuldig. Kapitel 3: Neue Freundschaft ---------------------------- „Und? Alles glatt gelaufen?“ fragte die Sportlehrerin, als Simon zurückkehrte. Er nickte nur und setzte sich an den Rand des Spielfeldes. Was Florians Mutter ihm erzählt hatte lies ihn keineswegs kalt. Er kannte die Geschichte aus eigener Erfahrung: alleinerziehende Mutter mit schwerem Job hat wenig Zeit sich um ihr Kind zu kümmern. Er hatte das selber eine Weile erleben müssen. Nur dass seine Ma schnell einen guten Job gefunden hatte und sich ihre Verhältnisse rasch besserten. Sogar verliebt hatte sie sich wieder... Simon fasste den Entschluss Florian zu helfen. „Wie geht es Fly jetzt?“ fragte ein Mädchen das ebenfalls auf der Ersatzbank neben Simon saß. „Hm? Ich hoffe besser. Ich habe ihn nach Hause gebracht,“ antwortete Simon mit einem Lächeln. „Was ist denn passiert?“ das Interesse des Mädchens verwunderte Simon. Doch er war gern bereit sie aufzuklären. Vielleicht konnte man ja so neue Attacken verhindern. „Ach, die anderen haben ihn geärgert, aufgezogen, ihm seine Sachen geklaut. Sie haben ihn ausgelacht und zum Schluss unter die laufenden Duschen gejagt.“ „Wirklich? Ich wusste gar nicht, dass Julian so fies sein kann,“ gestand sie ehrlich. Simon nickte. „Das hat den Armen so mitgenommen, dass er sich absichtlich verletzt hat.“ „Was??? Verletzt?“ „Ja, mit einem Kronenkorken hat er sich die Arme zerschnitten.“ „Oh Gott!“ „Wir haben Florian zur Ärztin gebracht und die hat ihn gleich verarztet. Jetzt schläft er hoffentlich und denkt nicht mehr daran...“ „Der Ärmste. Sag mal, warum hilfst du ihm denn? Du bist doch erst neu und kennst Fly gar nicht?“ blinzelte das Mädchen. Simon lachte leise. „Ich kann es nun mal nicht ausstehen, wenn andere Grundlos angegriffen und aus Intoleranz erniedrigt werden,“ sagte Simon. Das Mädchen wirkte beeindruckt. Auch auf dem Nachhauseweg musste Simon an den Kleinen denken. Sein hilfloser Blick war ihm wie eingebrannt. Fly erwachte am Abend mit brummendem Schädel und glühenden Armen. Mühsam stand er auf und ging ins Bad. Durch den Spiegel blickte ihn eine blasse Person an. Ihre Wangen wiesen rote Flecken auf und der schwarze Kajal um die Augen war verwischt und verlaufen. Seufzen drehte Fly den Wasserhahn auf und schöpfte sich das kühle Nass ins Gesicht. Ein wenig erfrischt ging er zurück in sein Zimmer. Die Mutter hatte ihn gehört und holte ihm etwas aus der Küche. „Wie fühlst du dich?“ fragte sie als sie das Zimmer betrat. Fly hob müde den Kopf. Er zog die Schultern hoch. „Mies...“ Die Mutter nickte. „Ich... habe dir etwas zur Stärkung gemacht...,“ meinte sie vorsichtig. Sie wusste wie leicht er überreagieren konnte, vor allem nach diesen Erlebnissen... Fly sah den Teller in ihrer Hand. ‚Wo hat sie die denn her?’ fragte er sich erstaunt, als der die Erdbeere entdeckte. Die Mutter wurde unsicher. „... wenn du nicht willst, dann...“ „Nein,“ sagte Fly schnell. „Ich würde gern etwas essen.“ Leider waren seine Arme noch zu schwach und er konnte nicht allein essen. Aber er ließ sich ohne zu murren von der Mutter füttern. In gewisser Weise genoss er diese Zuwendung auch. War es doch selten, dass sie sich so um ihn kümmerte. Schließlich arbeitete sie hart. Zufrieden leckte er sich über die Lippen, nachdem er die letzte Erdbeere gegessen hatte. „Wie bist du denn an die gekommen?“ fragte er nun doch laut. Die Mutter lächelte. „Ach, eine Kollegin hat mir gesagt wo es welche gibt. Ich dachte mir dass du vielleicht mal wieder welche möchtest. Da habe ich sie schnell geholt während du geschlafen hast,“ antwortete sie. Fly beugte sich vor und gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. Manchmal konnte sie sogar richtig lieb sein… „Danke.“ „Wenn... du noch irgendwas möchtest, sag mir bescheid, ja?“ sie stand auf und schaffte den Teller in die Küche. Dabei fiel ihr der Zettel auf dem Garderobenschrank ins Auge. Simons Nummer... „Florian?“ der Kleine wandte den Blick vom Fenster ab und seiner Mutter zu. Das Telefon stand in seinem Zimmer. „Simon hat mir hier seine Telefonnummer gegeben... und sagte, du sollt ihn anrufen, wenn du wach bist...“ sie legte den Zettel neben den Apparat. Fly nickte langsam. Simon... er hatte ihn hergebracht. Bei dem Gedanken wurde er wieder ein Stück weit rot. ‚Na gut’ dacht er, ‚bedanken sollte ich mich schon dafür.’ Seufzend stand er auf und ging zum Telefon. Er tippte die Nummer, stellte auf „Laut hören“ und wählte die Nummer. Tuuuuut........tuuuut....... „Petters?“ fragte eine äußerst tiefe Männerstimme. „Ähm... hier ist Florian Uhlig, kann ich bitte Simon sprechen?“ Fly war nervös. „Einen Moment...“ es wurde eine Weile still in der Leitung. „Ja? Simon Petters?“ „Hallo, hier ist Florian...“ „Hey! Na wie geht’s dir?“ fragte Simon freudig. „Ähm, besser,“ antwortete Fly. „Das klingt aber nicht überzeugend.“ „Nicht wirklich, is eben wie es is...“ „Tut’s denn noch weh?“ Simon wollte es genau wissen. „Geht schon...“ „Lügner,“ grinste Simon in den Hörer. Fly musste lächeln. „Stimmt, aber das bin ich gewöhnt. Das macht mir nichts aus.“ „Boah Florian! Dir vielleicht nicht, aber anderen schon. Deine Ma ist zum Beispiel nicht begeistert von dem was dir antust,“ Simon konnte nicht anders. „Ach echt? Was kümmerts dich?“ fragte Fly emotionslos. „Hm, ne ganze Menge. Sie hat mir erzählt, dass du das häufig tust. Und sie macht sich Sorgen um dich.“ „Warte, soll das jetzt ne Moralpredigt werden?!“ Fly wurde ungehalten. „Komm mal wieder runter, musst nicht gleich sauer werden.“ „Ja, was mischst du dich auch ein! Du hättest mich einfach in Ruhe lassen sollen!“ „Na klar, aufgeschlitzt und ohne Insulin.“ „...“ Fly fehlten die Worte. Woher wusste er das denn? „Ich hab deine Spritzen gefunden, oder vielmehr die Lehrerin, deren Name ich grade vergessen hab. Als ich die gesehen habe da hab ich vielleicht Panik gekriegt! Ehrlich mal! Nicht mal Julian hätte dich da liegen gelassen, wenn er das wüsste!“ Fly schwieg noch immer. „Mir geht das nun mal gegen den Strich, wenn es anderen mies geht. Vor allem wenn sie nichts dafür können...“ Simon dachte dabei an seinen besten Freund Lukas. Fly saß mit trüber Mine da. ‚Er hat ja Recht’ dacht er. Wie konnte er auch so blöd sein und vergessen sich zu spritzen? Auf Simon war er nicht mehr sauer, mehr auf sich selbst. „Hey, Fly? Bist du noch dran?“ Simons Stimme klang ernsthaft besorgt. „Hm...“ „Gut, ich dachte schon...“ „Tut mir leid, wollte nich so..., so“ „Zickig sein? Das kenn ich schon von Typen wie dir.“ half Simon schmunzelnd aus. Fly musste lächeln. „...genau, wollte nicht so zickig sein. Eigentlich wollte ich mich ja bedanken... dafür dass du mir ... geholfen hast.“ Fly war heilfroh, dass dies kein Bildtelefon war. „Kein Thema. Ich hätte nur gern schon eher was getan, aber Julian hat das verhindert.“ Fly schüttelte den Kopf. „Nich so schlimm, das passiert doch ständig. Vor jeder Sportstunde...“ „Sag jetzt nicht dass du daran gewöhnt bist, das glaub ich dir nämlich absolut nicht.“ „Nein, bin ich auch nicht. Ich versuch es zwar zu ignorieren, aber...“ „Hey, kein Problem. Wenn du willst rede ich mit Julian mal ein ernstes Wort. Aber du solltest dich jetzt noch ausruhen, ok?“ „Hm, is gut.“ „Schön, sehen wir uns morgen in der Schule?“ fragte Simon. „Hm, Frau Doktor stellt sonst was mit mir an, wenn ich nicht komme.“ „Das glaube ich. Also dann bis morgen!“ „Ja, und danke, … auch fürs Zuhören.“ „Gerne! Tschau!“ Kapitel 4: Sing mir von deinem Leben ------------------------------------ Wie Simon es versprochen hatte, half er dem kleinen Fly sich gegen Julian zu wehren. Doch die Angriffe wurden auch dadurch nicht weniger. Man kannte Simon bereits nach den ersten zwei Tagen als den Robin Hood der Schule. Denn er half auch anderen armen Opfern. Aber Simon tat es nicht des Ruhmes wegen, Simon war ein Idealist. Einer dem es nicht passte, dass ‚anders sein’ ein Grund dafür war ausgestoßen zu sein. Was machte es schon für einen Unterschied? Er selbst hatte eine Vorliebe für schwarze Kleidung. Doch ihn hatte man bisher noch nicht deshalb belangt. Lag sicher an seiner Größe. Aber trug einer die Haare bunt oder hatte von Natur aus rote Augen, war derjenige sofort Sündenbock für alles. Das zu ändern, trieb Simon an Leika rannte zwischen den Bäumen und Beeten herum. Sie freute sich endlich mal wieder mit Simon raus zu gehen. Übermütig tollte sie herum. Simon sah ihr träumerisch nach und schlenderte gemächlich durch den Park hinterher. So ein Spaziergang konnte manchmal echt Wunder wirken. Er genoss den kühlen Wind, welcher nur fast täglich um die Häuser wehte. Alle belastenden Gedanken fühlte er wie weggeblasen. Träumerisch blickte er der Hündin hinterher. Von irgendwoher vernahm Simon leise Musik. Helles Klimpern einer Gitarre mischte sich mit einer unbeschreiblich warmen Stimme. Die Melodie klang wehmütig. Neugierig geworden lief er auf die Musik zu. Leika folgte ihm. Auf einer Bank zwischen zwei alten Weiden saß eine kleine Gestalt und spielte Gitarre. Die langen Äste der Bäume verdeckten das Gesicht der Person. Doch die Stimme allein reichte, um Simon zu verzaubern. Eine Zeit lang stand er einfach nur da und hörte verzückt zu. Selbst Leika war ruhig geworden und schien dem Bann der Musik zu erliegen. Es war das schönste, was Simon seit langem gehört hatte. Kaum war das Lied zu ende rannte Leika los, auf dem Musiker zu. „Leika…!“ Simon konnte sie nicht mehr zurückhalten. Sie bestürmte die Person, welche ein wenig erschrocken aufsah. Die kurze Bewegung reicht aus, um Simon ersichtlich zu machen, wen er da vor sich hatte. Die kinnlangen weißen Haare flogen und gaben kurz das Gesicht des Jungen frei. Fly war vollkommen überrascht, als der Hund auf ihn zusprang. Doch er mochte Hunde und wies die freundlich gemeinte Begrüßung nicht ab. Lächelnd kraulte er dem Hund die Ohren und lies sich die Finger lecken. „Was bist du denn für einer?“ fragte er den Hund. „Streunst du allein hier herum?“ „Nein,“ kam es von rechts. „Sie streunt mit mir.“ Fly schrak ein wenig auf, als er so unerwartet angesprochen wurde. Doch die Stimme war ihm keineswegs fremd. Gemächlich schlenderte Simon herbei und mühte sich Leika von Fly wegzuziehen – erfolglos. „Tja, sie scheint wohl einen Narren an dir gefressen zu haben,“ schmunzelte er. Fly lächelte scheu zurück und streichelte Leika weiter. „Scheint so…“ „Hoffentlich stört dich das nicht.“ Fly schüttelte den Kopf, wieder flogen seine weißen Strähnen und Simon konnte kurz seine Augen sehen. „Nee, das ist ok. Ich mag Hunde,“ grinste er nun Leika an. „Dann ist gut. Darf ich?“ fragte Simon, bevor er sich setzten wollte. „Hm…“ bekam er zur Antwort. Fly wurde durch Simons Anwesenheit nervös. Er versuchte es aber möglichst nicht zu zeigen. „Das war echt gut,“ begann Simon. „Was?“ „Dein Lied, das hatte wirklich Charakter,“ setzte er fort. „Oh das, … danke,“ Fly bekam einige zarte rote Flecken auf die blassen Wangen. „Selbst geschrieben?“ der Kleinere nickte wieder eine Spur schüchterner. Er mochte es nicht zu sehr gelobt zu werden, das war ihm peinlich. Simon spürte die Unruhe, die Florian bewegte und beließ es einen Moment dabei. Das Schweigen, machte Fly nur noch unsicherer, sodass er bald kleinlaut die Initiative ergriff. „D-du bist noch nicht lange in der Stadt, oder?“ Simon schüttelte den Kopf. „Seit genau einer Woche.“ „Woher kommst du?“ versuchte Fly es weiter. Mit jedem neuen Wort verlor er etwas von der Anspannung. „Aus einer Stadt weit im Landesinneren. Da haben meine Eltern und ich ein Jahr gelebt,“ erzählte Simon ruhig. „Ein Jahr?“ Fly stutzte. „Genau. Meine Eltern sind bei einer Handelsgesellschaft beschäftigt und ständig auf Reisen. Kurzfristige Umzüge sind bei uns normal. Um die Firma bekannter zu machen fahren wir durch das Land in verschiedene Städte.“ „Du sagst das so, als ob dir das Spaß macht…“ Simon lachte kurz. „Spaß… nein, das hat damit wenig zutun. Es ist notwendig. Freude habe ich daran ehrlich gesagt wenig. Ich würde gern mal wieder irgendwo länger ansässig werden. Aber das wird wohl dauern, bis es wieder mal dazu kommt,“ sagte er. „Wieder mal? Heißt das es war nicht immer so?“ Simon nickte. „Jap, früher war das anders…“ Fly legte sich die Gitarre über die Knie und Simon erzählte von seiner Vergangenheit. Er war damals noch ein Kind, doch musste er schon immer sehr viel für seine Mutter tun. Sie war allein erziehend und hatte keinen guten Job. Simon arbeitet als Kurier einer kleinen Poststelle, um ein wenig Geld dazuzuverdienen. Es war nicht einfach. Oft hatte er sich damals ein besseres Leben gewünscht und viele schlaflose, tränenreiche Nächte in seinem kleinen Zimmer verbracht. „Oh man, wie fand ich unser Leben ungerecht,“ sagte er mit einem Seitenblick auf Fly. Der hatte zugehört; den Kopf auf die Hände gestützt und still vor sich hinstarrend. Dabei waren ihm die Ärmel heruntergerutscht. Simon wollte schon weiterreden, da fielen ihm Florians Blick und seine Unterarme auf. Mal wieder hatte Florian sich selbst verletzt. Simon wollte ihn schon darauf ansprechen, bremste sich aber selbst, als ihm der veränderte Geschichtsausdruck des Kleineren auffiel Die vorher fast strahlende Freude war aus seinen Augen verschwunden. Rot und leer blickten sie ins Nichts; so rot wie die frischen Striemen auf seinen Armen. „Hey, Florian? Was ist los?“ Der kleine Emo fühlte sich wie als hätte man ihm gerade einen Spiegel vorgehalten und ihm sein Leben gezeigt. Plötzlich kam auch ihm alles so hoffnungslos vor… „Oh man,“ sagte Simon, dem jetzt ein Licht aufging. „Sorry, ich wollte damit nichts Böses…“ Fly hörte ihn kaum. Er drohte in seinem Selbstmitleid zu ertrinken. Simon sah Lukas vor sich – solche ähnlichen Situationen gab es bei ihm auch oft. Er wollte etwas sagen, doch Florian kam ihm leise zuvor. „… kein Thema …“ Irgendwas musste Simon jetzt tun. „Hey, tut mir leid. Ich hatte es kurz vergessen. Deine Ma hat mir zwar alles erzählt, aber ich hatte im Moment nicht daran gedacht… wenn du was loswerden willst, dann sag es. Ich hör gern zu.“ Simon hoffte die richtigen Worte gefunden zu haben. Fly hatte es gehört und spürte den Drang alles aus sich herauszuschreien, doch seine Angst hemmte ihn. Stattdessen nahm er seine Gitarre und fing an zu singen. Alle Bilder und Worte, die ihn ständig begleiteten, fast erdrückten, sang er in das Lied. Er sang es mit allen Emotionen die er aufbringen konnte; er sang Simon sein gescheitertes Leben vor. Und Simon hörte gebannt zu. Tief bewegt von dem intensiven Gefühl, was Florian damit ausdrücken wollte, es gelang ihm. Aber irgendwann hatte er keine Kraft mehr. Die Melodie wurde leiser und langsamer, Tränen verließen seine Augen und seine Stimme brach… Wie ein Spielzeug dem die Batterie ausgegangen war saß Fly in seiner Haltung erstarrt da. Stumm lies der die Tränen rinnen. Schmerz überflutete ihn. Er wollte ihn von außen übertönen, doch hatte er nichts bei sich… Simon beugte sich vor und nahm Fly die Gitarre ab. Sorgfältig stellte er sie an die Rückenlehne der Bank. Der Kleine nahm das überhaupt nicht wahr. Tröstend legte Simon ihm die Hand auf die Schulter. Das bemerkte Fly und hob langsam den Kopf. „Das wollte ich nicht…“ sagte Simon ehrlich. „…“ „Tut mir leid, Kleiner.“ „… es… tut so weh…“ flüsterte Fly. Tränen liefen sein blasses Gesicht herunter. Simon konnte es nicht mehr ansehen. Ohne zu überlegen zog er Fly an sich und umarmte ihn. Was hatte er nur wieder angerichtet…! Wie ein Ertrinkender klammerte sich Fly an Simon. Er fühlte sich so verlassen… sogar seine anfängliche Schüchternheit war vergessen. Simon lies den Kleinen spüren, dass er nicht allein war; zumindest hoffe er, dass Fly das spürte. Beruhigend streichelte er ihm über den Kopf – ‚Wow, hat der weiche Haare…’ Eine ganze Weile saßen sie so eng umschlungen. Irgendwann begann Simon leise zu sprechen: „… gibt nicht so schnell auf,“ sagte er. „Manchmal muss man eben um alles kämpfen.“ Fly hörte es, reagierte aber nicht. „Außerdem hast du mich ja noch gar nicht zu Ende erzählen lassen…“ ‚Was er wohl damit meint?’ dachte Fly. „…So verfahren unser Leben damals auch war, irgendwann besserte es sich. Meine Mum bekam eine bessere Stelle und wir hatten wieder mehr zum Leben. Sie hat sich sogar neu verleibt…“ Fly hob den Kopf und sah Simon an. ‚Süß…’ dachte Simon und lächelte. „Du darfst nur nicht aufgeben. Mit der Zeit verändert sich vieles, und nicht nur zum Schlechten…“ er konnte nicht umhin Florian eine Träne von der Wange zu wischen. „Wieso erzählst du mir das alles?“ fragte Fly leise. „Weißt du, ich hatte damals noch einen Freund in meiner Heimatstadt. Er hieß Lukas und war dir gar nicht so unähnlich.“ Fly stutzte. „Er war auch ein Emo, aber noch eine Stufe krasser als du. Was glaubst du wie oft ich ihn von einer Brücke oder einem Fenster zerren musste. Lukas hatte das Leben gründlich satt. Am Ende kam ich doch zu spät… da hatte er sich eines Tages beide Pulsadern aufgeschnitten… Niemand hatte es bemerkt… er hatte sich in seiner Wohnung eingeschlossen. Als ich mit dem Schlüsseldienst kam, … da war es schon zu spät…“ Simon blickte in der Erinnerung versunken vor sich hin. Fly verstand. Er legte den Kopf wieder auf Simons Brust und umarmte ihn sogar. „Ich weiß, dass Julian sich als ziemlich grober Typ gibt und dir manchmal sehr zusetzt. Aber lass dich davon nicht kaputt machen… Niemand soll so enden wie Lukas, am allerwenigsten du. Wo du doch so eine Wahnsinnsstimme hast!“ lenkte Simon ein. Fly lächelte darauf. „Florian?“ „…hm?“ „Geht’s besser?“ fragte Simon sanft. Fly nickte. „Danke,“ flüsterte er. „Kein Thema, und…“ Fly setzte sich auf. „… egal wann und wo. Wenn du irgendwas loswerden willst, rede mit mir, ok? Es bringt nichts das alles verdrängen zu wollen.“ Der Kleiner nickte und richtete sich verlegen die Haare. Simon lächelte über Flys naive Art. Nach der kleinen Verständigung liefen sie gemeinsam durch den Park. Simon hatte es sich nicht nehmen lassen Fly nach Hause zu begleiten. Leika sprang fröhlich um sie herum. Im Laufen sprachen sie über belanglose Dinge und Fly wurde zunehmend lockerer. Er trat einen Ast beiseite. Leika hüpfte hinterher und schnappte sich den Stock. Folgsam wedelnd trug sie ihn zurück zu den beiden Jungs. Fordernd sah sie beide an. „Oh man! Jetzt hast du was angezettelt,“ meinte Simon belustigt zu Fly. „Wieso denn? Hab doch gar nix gemacht.“ „Schon ok, aber Leika liebt apportieren! Die kriegen wir jetzt nicht mehr los. Nicht bevor wir sie ausgepowert haben.“ „Kein Problem, das mach ich schon,“ sagte Fly kurzer Hand und drückte Simon die Gitarre in die Hand. Er entrang Leika den Ast und warf ihn so weit er konnte auf eine große Wiese. Wie verrückt sprintete Leika hinterher und überschlug sich beinah vor Begeisterung. Kopfschüttelnd sah Simon den Spielenden zu. Langsam schlenderte er ebenfalls auf die Wiese. ‚Warum eigentlich nicht, vielleicht komme ich so noch ein bisschen an Florian ran,’ dachte er und legte die Gitarre an einer Hecke ab. Er entdeckte den Stock, hob ihn auf und warf. Leika bemerkte es und hörte auf mit Fly zu balgen. Wie ein Blitz schoss sie dem Holz hinterher. Fly lachte und lief ebenfalls los. Er schaffte es tatsächlich vor Leika am Objekt der Begierde zu sein und warf ihn zielsicher zurück zu Simon. Das ging eine ganze Zeit so hin und her. Bis schließlich alle außer Atem und lachend (zumindest Simon und Fly) im Gras lagen. Das Laufen hatte eine erstaunliche Wirkung. Fly hatte plötzlich eine heitere Laune, die kaum noch zu übertreffen war. Das verwunderte Simon nicht, war er solche Schwankungen doch von Lukas gewöhnt. Freudestrahlend blickte Fly nach oben. Zwischen den nebelgrauen Wolken war ab und zu ein Fetzen blauer Himmel zu sehen. Fly seufzte. Simon hatte es gehört. „Was ist?“ „Ach nichts weiter… Ich habe mich nur mal wieder was gefragt,“ antwortete Fly. „So, was denn?“ Simon setzte sich hin und sah Florian von oben an. Der streckte den Arm aus und deutete in den Himmel. „Ich frage mit immer wie es wohl über den Wolken aussieht?“ Simon wurde etwas unruhig. „Keine Angst, ist nur eine normale Frage. Ich würde das gern mal wissen, würde gern mal über den Wolken sein,“ schwärmte er weiter. „Fliegen?“ harkte Simon nach. „Genau! Einmal da oben fliegen, das wäre für mich das Größte,“ gestand Fly und bemerkte sofort was er gesagt hatte. Soeben hatte er Simon seinen geheimsten und größten Wunsch offenbart. Simon lächelte. „Wenn es weiter nichts ist… das lässt sich sicher einrichten.“ „Echt?!“ Fly setzte sich flink auf. „Wann? Wo?“ „Hey, nicht so stürmisch. Alles zu seiner Zeit.“ Fly nickte und sah noch einmal hoch zu den Wolken. „Mir ist egal wann, Hauptsache irgendwann…“ Kapitel 5: Was kann ich denn dafür? ----------------------------------- Einige Tage sind seitdem vergangen. Simon und Fly verstanden sich besser und unternahmen auch einiges zusammen. Keiner fand daran etwas; nur einer hielt es für ein gefundenes Fressen… „Was ist das denn???“ einer der Schüler deutete nach oben zum Dach des Schulhauses. Aberhunderte kleiner weißer Zettel segelten von da oben herab. Wie Schneeflocken verteilten sie sich auf dem Boden und den umherlaufen den Schüler. Wie vorausberechnet lasen die Schüler was auf den Flugblättern stand. ‚Ja, lest! Lest und dann macht ihn fertig!’ grinste Julian in sich hinein und verschwand vom Dach. Simon kam wie immer im gemütlichen Tempo auf den Schulhof geschlendert. Musik hörend bekam er den Trubel um sich gar nicht mit. Nichts und niemand sollte ihm die entspannte Stimmung am Morgen versauen! Er drehte nur noch lauter. Gereizt drehte er sich um, als man ihm die Kopfhörer herunter riss. „Was fällt dir ein du…?!“ begann er zu toben. Doch der Kleine war flink unter ihm hinweg getaucht. „Fang mich doch!“ rief Fly und stürmte davon. ‚Verdammt! Jetzt auch noch rennen! Und das am frühen Morgen!’ Simon war höchst ungehalten. Aber er musste wohl oder übel mitspielen. Schließlich waren diese Kopfhörer sein ein und alles. Fly war schnell. Ausgelassen flitzte er über den Hof. Er hörte Simon hinter sich. Schnell bog er um die Ecke. Ein kleines Flugblatt flog ihm mitten ins Gesicht und nahm ihm die Sicht. In vollem Tempo und mit den Armen rudernd purzelte der Kleine in einen Strauch. Vor sich hinfluchend kämpfte er sich aus dem Grün und das Papier aus den Augen. Mit Blättern in Haar und Kleidern kniete er am Boden und besah sich das Objekt der Karambolage. Der Zettel hatte die Größe A5 und war mit einem Bild versehen: mit seinem Bild. Er schnappte erst recht nach Luft, als er den darunter befindlichen Text las. Schlagworte waren unterstrichen und hallten in seinem Kopf wieder: Schwul … Missgeburt … Abnormalitäten müssen bekämpft werden … Schwuchteln … nicht akzeptieren… „Ha! Hab ich dich!“ Simon hatte Fly eingeholt und hielt ihn an den Schultern fest. „Wäre nett, wenn du mir jetzt meine Kopfhörer wiedergeben könntest. Andererseits muss ich härtere Methoden anwenden!“ Fly antwortet nicht, starrte auf den Zettel und begann leicht zu zittern. Er spürte plötzlich alle Blick auf sich gezogen. Einige Schüler sahen beide tatsächlich etwas skeptisch an, wurde Simon doch ebenfalls auf dem Blatt erwähnt. Die Schweigsamkeit des Kleinen veranlasste Simon Fly direkt ins Gesicht zu sehen. Er war noch blasser als normalerweise und hatte, als krassen Kontrast, unzählige dunkelrote Flecken auf den Wangen. „Hey, Fly? Alles klar?“ Simon verstand nur Bahnhof. Sein Blick fiel auf den Zettel in Florians zitternden Händen. Er beugte sich vor um zu lesen. Fly registrierte dies und zog das Papier an sich. In einer einzigen fließenden Bewegung sprang er auf und rannte wieder in die Entgegengesetzte Richtung. Simon blinzelte, schnappte die Kopfhörer und sprintete hinterher. „Warte doch mal! Hey Fly, bleib stehen!“ er legte an Tempo zu und überholte den Kleineren. Außer Atem blieb Fly stehen und starrte Simon an. „Sag mal was soll das denn?“ Simon wollte Florian zur Rede stellen. Doch er antwortet nicht. Stattdessen versuchte er sich an Simon vorbei zu mogeln. „Nix da!“ Simon hielt ihn fest. „Erst wenn mir sagst was los ist!“ er wollte ihm den Zettel aus der Hand nehmen. Flink wie ein Wiesel versteckte Fly ihn unter seinem Shirt. „N-nichts…“ Simon durfte davon nichts erfahren! „Ach komm, du rennst doch nicht wegen nichts vor mir davon! Was steht auf dem Zettel?“ „… gar nix…“ „Du kleiner Lügner!“ tadelte Simon. „Und weil das Papier weiß ist bekommst du rote Flecken? Das ich nicht lache…“ „Lass mal Simon. Ich glaube kaum dass er dir das selber sagen wird,“ ein Mitschüler aus der Klasse trat neben beide und hielt Simon ein weiteres Flugblatt hin. „Lies selber.“ Genervt griff er nach dem Blatt und staunte nicht schlecht. Er hatte alles Mögliche erwartet nur das nicht. Fly wich unterdessen einen Schritt zurück. „Was soll das ?“ fragte Simon. Er sah erst Dennis und dann Florian an. Der bekam Angst. „K…k-kann doch nix dafür…“ stotterte er und ergriff die Flucht. „Fly…“ Hinter ihm lachte jemand ausgelassen. Hohn und Schadenfreude waren deutlich aus der Stimme heraus zu hören. Simon fand das aber ganz und gar nicht komisch. „Gibt es davon noch mehr?“ fragte er Dennis und gab ihm das Flugblatt zurück. „So an die dreihundert, denk ich.“ Simon fluchte leise. „Ah ja, und du findest das wohl witzig, Julian?!“ fragte er aggressiv und fuhr zum Urheber herum. „Urkomisch!“ lachte Julian weiter. „Ich hab doch da jetzt keine Beziehungskrise heraufbeschworen, oder?“ gluckste er weiter. „Bastard! Weißt du überhaupt was du damit angestellt hast?!!“ tobte Simon und ging auf Julian zu. Todesmutig blieb er stehen und hielt seinem Blick stand. „Ich habe den Leuten die Augen geöffnet. Weißt du ich konnte solchen Abschaum noch nie leiden. Verderben uns noch die ganze Jugend!“ „Ah, hältst dich wohl jetzt für den großen Held, was?“ Simon rang mit seiner Beherrschung. „Die Jugend schützen… ha, ich komm vor lachen nicht aus dem Schlaf! Das was du abziehst ist noch viel verwerflicher. Du spielst dich auf, versuchst dich ins Rampenlicht zu stellen und nimmst in Kauf, dass Florian sich umbringt! Das ist ja schon beinahe rassistisch!“ Simon packte Julian am Kragen. „Simon!“ die Umstehenden keuchten auf. „Keine Sorge, ich lasse ihn in einem Stück, vorerst. Aber, Freundchen, sollte der Kleine sich auch nur das Geringste antun, verspreche ich dir, dass du dir nachher deine Einzelteile aus allen Himmelsrichtungen zusammensuchen darfst!“ drohte Simon ehrlich. Julian grinste schief. „Heul doch, geh und tröste deinen kleinen Schatz. Du bist doch genau wie der!“ Simon verlor die Kontrolle und ohrfeigte Julian so kräftig, dass dieser sich einen Zahn ausbiss. Blut spuckend kauerte er am Boden. Dennis und einige anderen drängten Simon zurück. Er war rasend und hätte seine Drohung am liebsten sofort wahr gemacht. „Beruhig dich! Das bringt doch nichts. Genau das will er doch, Simon. Damit hilfst du Florian nicht.“ Simon nickte und hob die Hände. „Schon gut! Ihr habt ja Recht,“ etwas verzweifelt raufte er sich die dunklen Haare. „Aber was, wenn Fly wirklich… ,“ das könnte er sich nie verzeihen! „Kommt,“ rief Dennis. „Suchen wir Florian!“ Für Simon unerwartet viele folgten dem Aufruf. Nur ein kleines Häufchen blieb um Julian stehen. Die gesamte Pause suchten sie nach Fly, und auch in den Folgenden. Doch der kleine Emo war nirgends zu finden. Simon war außer sich. „Lass gut sein Simon, vielleicht sitzt er schon längst zu Hause.“ Simon nickte deprimiert. ‚Vielleicht, vielleicht war er auch schon wo ganz anders…’ ~ Unterdessen… ~ Fly lief ohne auf seinen Weg zu achten einfach drauf los. Weg von allen! Wie von selbst fanden seine Füße den Weg nach Hause. Perplex starrte er auf die Haustür. Einige Minuten vergingen bis er es realisierte und lahm darauf zuging. Oben schloss er auf ging an seiner erstaunten Mutter vorbei in sein Zimmer. Auf dem Weg sie er alles fallen: Schlüssel, Mütze, Tasche, Schuhe und Jacke. Blicklos stand er im Zimmer und wollte im Boden versinken. „Florian? Ist etwas passiert?“ die Mutter war irritiert. Statt zu antworten drehte Fly sich um und schloss die Tür, er schob auch den Riegel vor. Er wollte allein sein… Seine Augen suchten nach etwas, fanden es aber nicht. Irgendwas musste er tun. Fly entschied sich erstmal eine Dusche zu nehmen. Auf dem Weg zum Bad lies er seine restlichen Sachen ebenfalls achtlos fallen. Er drehte auf und lies den mehr heißen Strahl auf sich niederprasseln. Erleichtert spürte er den Schmerz, den das heiße Wasser seiner Haut zufügte. Warum konnte das alles nicht aufhören? Fly weinte. Die Mutter begann seine Sachen aufzusammeln. Mehr aus Gewohnheit. Solche Aktionen passierten schließlich ständig. Ein zerknülltes weißes Papier flog ihr vor die Füße. Interessiert hob sie es auf. Sie glaubte ihren Augen nicht. Fly trat aus dem dampfenden Bad direkt vor seine Mutter. Zuerst war sie von seinem Anblick entsetzt, fing sich aber gleich wieder, um ihren Sohn zur Rede zu stellen. „Florian, was hat das zu bedeuten?“ sie hielt das Flugblatt in den Händen. Als Fly das sah, gefror ihn das Blut in den Adern. Wo hatte sie den denn her? Er sah seine Sachen auf ihrem Arm, und verstand. Warum hatte er das vergessen?! „Was soll schon?“ er versuchte es auf ignorant. „Ich möchte eine Erklärung von dir dafür! Was soll ich davon halten?!“ „Mir doch egal!“ „Stimmt das was hier steht?“ steuerte die Mutter gegen. Fly zog die Schultern hoch. „Und was wenn?“ „Florian!!! Da steht, du wärest Schwul! Das kannst du doch nicht so abtun! Ich möchte von dir eine Erklärung! Stimmt es?!“ Fly sah seine Mutter durch die nassen Haare an. „Würde es dich stören?“ „Florian! Was denkst du von mir…?“ Fly atmete schon auf. „… natürlich habe ich etwas dagegen, dass mein Sohn so…. so… unmoralisch ist! Wie sieht das denn aus?!“ In Fly brach alles zusammen. Grade auf seine Mutter hatte er gehofft. Jetzt spürte er wie allein er war… völlig allein. „Es reicht schon, dass du dir ständig die Arme aufschneidest, jetzt auch noch das!“ als sie das sagte blickte sie auf seine Arme, sah die frischen Schnitte und wollte noch etwas sagen. Doch Fly konnte nicht mehr. Alles begann sich um ihn zu drehen, ihm wurde schwarz vor Augen. „Was kann ich denn dafür?“ fragte er mir rauer Stimme und brach zusammen. „Florian!? Was hast du denn?“ verzweifelt kniete sie neben ihm und versuchte ihn zurück zu holen. Vergeblich. Alles in Fly sträubte sich dagegen. Zu allem Übel klingelte jetzt auch noch das Telefon. Simon lies es klingeln. Irgendwann würde Fly schon genervt rangehen, wenn auch nur um endlich Ruhe zu haben. Panisch blickte die Mutter auf Florian. Was sollte sie den machen? Es entsprach nun mal nicht ihrem Moralverständnis. Doch dass ihr Sohn so darauf reagieren würde hatte sie nicht geahnt. Simon lehnte mittlerweile an der Wand des Flurs und lies es weiterhin rufen. Sollte sie einen Arzt rufen? Nein! Auf keinen Fall! Vielleicht sah das dann noch nach Kindesmisshandlung aus. Aber was …? Ach, das verdammte Telefon! Die Mutter stand auf und ging etwas mitgenommen ran. „Oh, man ich dachte schon ihr wäret ausgewandert!“ sagte Simon als endlich abgenommen wurde. „Simon?“ fragte die Mutter. „Ah, Frau Uhlig! Ich wollte eigentlich Florian sprechen…“ Sie überlegte kurz. War immer noch besser als gar niemanden zu informieren. „Tut mir leid das geht im Moment nicht,“ ihre Stimme zitterte. „Ist etwas passiert?!“ deutete Simon die Unruhe der Mutter richtig. „Schon, aber ich weiß nicht was ich tun kann…“ „Kein Problem, warten sie ich komme vorbei!“ sagte Simon und legte auf. Aufs allerhöchste alarmiert rannte er aus der Wohnung. Es waren kaum fünf Minuten vergangen, als es klingelte. Ohne nachzufragen öffnete die Mutter. Simon stürmte die Treppen hinauf. Wortlos lies sie Simon herein. Fly lag noch immer im Bademantel im Flur neben dem Bad. „Oh je, was ist denn passiert?“ fragte er und kniete sich zu Fly. „Ich weiß nicht so richtig. Er kam schon verstört nach Hause und ist gleich unter die Dusche. Den Zettel habe ich gefunden, als ich ihn darauf ansprechen wollte, da ist er einfach zusammengebrochen…“ berichtete die Mutter nicht ganz wahrheitsgemäß. „Verstehe… ich bring ihn erstmal in sein Zimmer.“ Vorsichtig hob Simon den Kleinen an und trug ihn in besagtes Zimmer. Diese Bewegungen holten Fly, wenn auch widerwillig, zurück. Er öffnete die Augen. „Simon…?“ fragte er leise. „Wen hattest du denn erwartet?“ er legte Fly auf das Bett. „Bringen sie mir bitte ein Handtuch,“ wandte er sich an die Mutter. Sie brachte es ihm sogleich. Ohne zu murren lies Fly sich die Haare abtrocknen. „Könnte ich kurz allein mit ihm reden?“ fragte Simon. Die Mutter nickte und schloss die Zimmertür. Simon setzte sich zu Fly auf das Bett und sah ihn ernst an. „So, jetzt erzähl mir mal was passiert ist.“ Fly drehte nur das Gesicht weg. Er fühlte sich schrecklich und wollte mit niemandem darüber reden. Am wenigsten mit Simon… zu viel belasteten ihn seine Gefühle. „Ich hol dir erstmal was zu Trinken, kann ja keiner mit ansehen wie blass du bist.“ Während Simon in der Küche war kramte Fly in seinem Nachtschrank. Lächelnd fand er alles an seinem Platz und griff zielsicher nach den Rasierklingen. Fly genoss die unbarmherzige Kälte des Stahls zwischen deinen Fingern. Unabsichtlich schnitt ihm das blanke Metall in den Finger. Verträumt sah er zu wie dunkles Blut in dicken Topfen die Haut entlang lief… Plötzlich wurde er grob nach hinten gerissen. Seine Hände wurden kraftvoll auf die Bettdecke gedrückt und dort festgehalten. „…Hey! Lass mich los!!“ protestierte er und versuchte sich aus dem Griff zu befreien. „Damit du dir weiter weh tust? Kannst du vergessen!“ schimpfte Simon. Er musste einige Kraft aufbringen, um den kleinen Kampfhahn auf dem Bett halten zu können. Ohne ihn loszulassen entwand er ihm die Klinge und schob sie aus seiner Reichweite. „Aber, das ist einzige Weg…!“ Klatsch! Simon konnte nicht anders bei diesen unsinnigen Worten und gab Fly eine Ohrfeige. Wie versteinert starrte er vor sich hin und begriff erst einmal nichts. „So ein Blödsinn!“ keuchte Simon. „Es gibt genügend andere Wege!“ Fly blinzelte den größeren an. Was war denn los? Warum hielt Simon ihn hier so gewaltsam fest? Ohne zu wissen warum fing Fly an zu weinen. Eigentlich wollte er es nicht, doch es lies sich nicht verhindern. Schnell lies Simon Fly los. Er zog ihn hoch und nahm ihn fest in die Arme. „Tut mir Leid Kleiner. Aber mir blieb keine Wahl,“ entschuldigte er sich und strich Fly sanft über die geschlagene Wange. „Aber als ich diese Klinge in deinen Händen gesehen hatte, bekam ich richtig Angst um dich. Tu so was nie wieder!“ er drückte Fly von sich und sah ihm fest in die Augen. „Bitte, … ich will dich nicht auch noch auf die Art verlieren… Mir ist es völlig egal, was Julian oder die anderen sagen. Sie können so viele Gerüchte wie möglich streuen, das ist kein Grund für mich dich im Stich zu lassen! Hast du verstanden? Ich lass dich nicht allein.“ Erneut zog Simon ihn an sich. Fly war aufs äußerste gerührt und schlang seinerseits die Arme um Simon. Er war so dankbar endlich einen echten Freund gefunden zu haben. „Danke… aber es… es ist kein Gerücht…“ flüsterte Fly nach einer Weile. Er wollte sich Simon anvertrauen; entgegen seiner Gefühlsflut. Simon lächelte und schüttelte leicht den Kopf. „Na und? Deshalb bist du kein schlechterer Mensch.“ „…aber meine Ma…“ flüsterte Fly noch leiser. „Was ist mit ihr?“ nervös drehte Fly eine noch immer feuchte Haarsträhne. „… sie findet… sie findet es unmoralisch…“ „Wie bitte??“ Simon glaubte sich verhört zu haben. Doch Fly nickte scheu in seinen Armen. Schon wieder war er den Tränen nahe. „A-aber… was kann ich denn dafür?“ fragte er mit zitternder Stimme. Beruhigend streichelte Simon dem Kleinen über die Haare. Er verstand nur warum Fly so plötzlich ‚grundlos’ zusammengebrochen ist. „Mach dir keine Gedanken, ich werde mit ihr reden,“ versprach er. Fly löste sich und sah ihn tränenverschleiert an. „Wirklich?“ Simon nickte lächelnd. „Klar. Außerdem, was glaubst du wie meine Eltern geguckt haben, als ich ihnen gesagt habe, dass ich Bi bin? Aber mittlerweile haben sie es akzeptiert.“ Er zog die Schultern hoch. Flys Herz machte einen kleinen Sprung. „Du und Bi? Das hätte ich ehrlich nicht gedacht…“ „Tja,“ grinste Simon, „urteile nie nur nach dem Äußeren. So und jetzt zieh dir mal was Ordentliches an! Sonst denkt man am Ende noch ‚unmoralisch’ über uns.“ Mit einem Schmunzeln erhob er sich. „Oh…“ Fly erschrak etwas. Er hatte nicht bemerkt, dass ihm der Bademantel von den Schultern gerutscht war. Auch wenn sie nicht wirklich damit einverstanden war, konnte Simon Flys Mutter überzeugen. Sie versprach ihn nicht darauf anzusprechen. Hatte sie doch zu gut gesehen, was das bewirkte. Kapitel 6: Aber wie geht man jetzt mit den Gefühlen um? ------------------------------------------------------- Gegen Ende der Woche klingelte es bei Fly. Da seine Mutter grade auf Einkauf war musste er wohl oder Übel aufstehen. Vor der Wohnungstür stand ein Mädchen aus seiner Klasse. Schüchtern sprach sie ihn an. „H-hallo! Ich wollte mal nachsehen wie es dir geht. Weil du doch die ganze Woche nicht in der Schule warst…“ „Das ist nett von dir, Livia. Aber komm doch rein,“ sagte Fly höflich. Sie unterhielten sich einige Zeit sehr angenehm. Doch Fly spürte, das Livia nervös war. „Ach das war schon eine ziemlich bescheuerte Aktion von Julian…“ meinte sie. Fly nickte. „Du… Florian? Darf ich dich was fragen?“ „Hm.“ „Stimmt das denn, was Julian da verbreiten wollte?“ Fly sah sie kurz an. „Ich meine es war natürlich sehr unfair, aber ich würde es gern wissen. Natürlich nur wenn das nicht…“ „Kein Problem,“ unterbrach Fly etwas leiser. Irgendwann musste man schließlich anfangen sich seinem Schicksal und seinem Wesen zu stellen. So gut oder schlecht seine Eigenschaften auch waren. „Darf ich aber fragen warum du das wissen willst?“ „Na ja…“ Livia suchte nach Worten. „Es ist so,… also eigentlich … finde ich bist du nicht der Typ dafür… Und … na ja, das klingt bestimmt kindisch, aber… nun … ich mag dich eben….“ Fly sah sie etwas entgeistert an. Hatte er da eben richtig gehört? Mit einem Rotschimmer im Gesicht versuchte Livia seinem Blick standzuhalten. „Also… was ist? Stimmt es?“ Fly lächelte bitter. „Tut mir leid, leider ja.“ Livia schnappte kurz nach Luft und sah dann traurig zu Boden. „A-ach so…“ „Bitte, das sag ich nicht weil ich dir wehtun will. Du bist wirklich nett. Es ist nur eben so, ich kann es nicht ändern.“ Versuchte Fly sich zu erklären. „Tut mir leid…“ ein angespanntes Schweigen entstand. Beide vertieften sich in ihre Gedanken. Livia fand as erste ihre Fassung wieder. „Tja, da kann man wohl nichts machen… Aber danke, dass du so ehrlich zu mir warst,“ sie lächelte. „Ich hätte dir gern etwas anderes gesagt, aber…“ Fly konnte sich nicht ausdrücken. „Schon in Ordnung. Ist dein Herz denn schon vergeben?“ fragte sie neugierig. Etwas verlegen lächelte Fly und nickte. „Na dann ist schon klar dass ich keine Chance habe. Weiß er es denn schon?“ „Weiß nicht, ich hoffe es…“ * Noch lange nach diesem Besuch musste Fly über seine eigenen Worte nachdenken. War es denn wirklich so? Zugegeben er sehnte sich schon lange nach einer glücklichen Liebe, aber machte er sich auch nichts vor? Vielleicht redete er sich auch nur alles schön… Doch je länger er darüber grübelte, umso stärker wurde das nagende Gefühl in ihm. Nein, unmöglich. Wie er es auch drehte und wendete es lief immer auf das Selbe hinaus. Seufzend vergrub er sein Gesicht im Kissen, welches er schon einige Zeit eng umschlungen festhielt. Aber wie sollte er damit fertig werden? So sehr er es sich auch wünschte, er würde nie den Mut finden Simon zu sagen was er fühlte. Auch wenn er jetzt wusste wie sein Beschützer orientiert war, es gab ihm keine Hoffnung. Irgendwie musste er seine Gefühle loswerden. Er wusste dass sie sonst wieder in Bedrängnis bringen würden; und schließlich hatte er Simon versprochen sich nichts mehr anzutun. Bei diesem Dilemma gar nicht so einfach… Auf eine Idee gekommen stand Fly schließlich auf und schnappte sich seine Gitarre. Er angelte sich Papier und einen Bleistift vom Schreibtisch und begann seine Emotionen in Worte und Töne zu fassen. Vielleicht war das ja eine Möglichkeit Simon zu erreichen… * Auch Simon hing seinen Gedanken nach. Er hasste Julian abgrundtief für das was er Fly antun wollte. Aber so gemein sein Vorhaben auch gewesen sein mochte, viel konnte er nicht mehr anrichten. Simon war selbst erstaunt, wie viele Schüler bereits davon wussten. Und Keinen störte es bisher. Fly hatte er davon noch nichts sagen können. Doch war er ziemlich sicher, dass den Kleinen das wenigstens etwas erleichtern würde. Ach ja, der kleine Fly… Simon musste lächeln. Hatte er doch zuerst geglaubt seinen alten Freund Lukas vor sich zu sehen. Aber mit jedem Tag stellt er fest, dass sich beide doch gehörig unterschieden. Aus Situationen in denen Lukas schon längst an Suizid gedacht hatte, rette sich Fly immer wieder. Außerdem hätte Lukas ihn, Simon, gehörig zur Rechenschaft gezogen, wenn er ihn so grob davon abgehalten hätte sich selbst zu ritzen. Lukas konnte dann richtig fies werden. Nein, Florian war anders. Der Kleine war viel sensibler. Dennoch trug er unheimlich viele unausgesprochene Gefühle in sich, die ihn ständig zu überrollen drohen. Könnte er ihm diese Last doch abnehmen… Und noch etwas war anders: Florian konnte seine Gefühle äußern; in jedem seiner Lieder steckte ein Stück dieser ganzen Gefühlslast. Und es war wunderschön diese Lieder zu hören; Fly singen zu hören. Wieder lächelte Simon. Diesmal weil er an das ausgelassene Spiel mit Leika dachte. Sie lag mit dem Kopf auf seinem Schoß und lies sich kraulen. Da war Florian vollkommen anders, total unbeschwert. Er hatte gelacht… Kapitel 7: Die Chance --------------------- Fly ging wieder zur Schule. Auch wenn er Angst hatte. Angst vor den Blicken der Schüler, vor ihren Gedanken. Aber vor allem hatte Fly Angst vor sich selbst. Würde er mit der neuen Situation fertig werden? „Florian? Hey warte mal!“ Livia kam über den Gang gerannt, was ihr einige missbilligende Blick von Schülern und Lehrern einbrachte. „Hm? Livia?“ Sie verschnaufte kurz und redete dann fröhlich drauf los. „Schön dass du wieder kommst! Die anderen werden sich auch freuen.“ „Echt?“ Sie nickte energisch. „Klar, wir alle haben dich vermisst.“ Wie auf Kommando grinsten ihn einige vorbeigehende Schüler an. So was war Fly gar nicht gewohnt. „Was ich eigentlich wollte…“ holte Livia ihn aus den Gedanken. Frau Sentira will dich heute nach dem Unterricht in ihrem Büro sprechen.“ Fly rutschte das Herz n die Hose. Was wollte seine Klassenlehrerin von ihm? „Keine Panik,“ lächelte Livia. „Es geht um das Schulfest, soviel kann ich schon verraten.“ Mit einem Zwinkern ging sie vor ihm in den Klassenraum. „Hey, alles klar?“ Simon sah Fly skeptisch an. „Hm?!“ „Du siehst aus, als wärest du dem Teufel persönlich begegnet.“ „… nein, bin ich nicht. Ich soll nur nach dem Unterricht zu Frau Sentira,“ antwortete er. Simon grinste. „Du wirst doch wohl nichts aufgefressen haben?“ „Nein, sie will irgendetwas mit dem Schulfest…“ „Na wenn es weiter nichts ist. Keine Aufregung, wird schon nicht so wild!“ ermutigte Simon ihn. ~Nach der Schule im Büro der Klassenlehrerin…~ Frau Sentira sitzt über einem Stapel Dokumente und arbeitet, als Fly das Zimmer betritt. „Ah Florian! Gut dass du kommst, ich lese gerade etwas über das Schulfest. Setzt dich doch,“ sie lächelt. „Möchtest du etwas Tee?“ fragt sie und deutet auf die dampfende Kanne neben sich. Schüchtern nickt Fly. „Danke…“ sagt er und nimmt die warme Tasse entgegen. „Sie wollten mit mir über das Schulfest sprechen?“ „Ja, das wollte ich. Aber zuerst möchte ich dich fragen, wie es dir geht?“ Überrascht sieht Fly die Lehrerin an. Warum wollte sie das denn wissen? „Ähm… eigentlich gar nicht mal so schlecht…“ „Haben sie aufgehört dich zu ärgern?“ fragt sie konkreter nach. Fly schüttelt nur den Kopf und starrt in seine Tasse. „Nein, es ist zwar weniger geworden, aber aufgehört hat Julian nicht.“ Warum er diesen Namen nannte wusste Fly selber nicht. „Julian?“ Wieder nickt Fly. „Na dann werde ich wohl mal ein ernstes Gespräch mit ihm führen müssen.“ Sie schreibt kurz etwas in ihren Kalender. „Und sonst? Wie ich gesehen habe, scheinst du endlich Anschluss gefunden zu haben.“ Fly muss lächeln. „So könnte man es nennen.“ „Ich glaube Simon übt einen guten Einfluss auf dich aus. Deine Unterrichtsleistungen haben sich verbessert und ich habe dich sogar schon einmal richtig lachen gesehen. Das ist schön zu sehen.“ Fly blinzelt und bekommt durch das offene Lob sofort wieder seine roten Flecken. „Außerdem hat sich die Klasse dir gegenüber auch verändert,“ fährt sie fort. „Als du nach dieser Flugblattaktion, die im Übrigen auf das tiefste verurteile, nicht mehr zur Schule kamst, bekam ich viele Anfragen. Fast die Hälfte der Klasse wollte wissen was mit dir ist und warum du so oft fehlst. Diese Loyalität hat mich selbst ein wenig überrascht.“ „Ja, das hat mir Livia schon erzählt… hätte ich nie gedacht,“ gab Fly zu. Die Lehrerin lächelt ihn an. „So, nun aber mal zum Schulfest!“ tatkräftig sucht sie in ihren Aufzeichnungen. „Du weißt vielleicht, dass wir anlässlich des einhundertjährigen Jubiläums der Schule ein Fest veranstalten.“ Fly nickt. War ja auch schon oft genug an den Aushängen zu lesen gewesen. „Gut. Also wir haben ein umfangreiches Programm geplant. Aktionen für Schüler und Eltern, eine Ausstellung über die Geschichte des Hauses, ein kleines Theaterstück der AG dazu, Catering und so weiter. Zur Ausgestaltung des Ganzen haben wir die Schüler gebeten Vorschläge zum Programm einzureichen. Bisher haben wir einige sehr viel versprechende Beiträge bekommen. Tanz, Schauspiel, Akrobatik und sogar eine Lightshow.“ Staunend hört Fly zu und wärmt sich dabei an seiner Tasse. Aber was hatte das alles mit ihm zu tun? Die Frage schien ihm auf der Stirn zu stehen, denn die Lehrerin kam sogleich dazu. „Warum ich dich sprechen wollte, hat mit einem Vorschlag zu tun, der mir eingereicht wurde. Ich glaube kaum, dass du davon weißt, aber die Absenderin bekundete mir, dass es sich lohnen würde.“ Fly verstand nur Bahnhof. „Uns fehlt noch ein Beitrag in der Richtung Musik. Und ich habe gelesen, dass du ein sehr begabter Musiker sein sollst. Deshalb wollte ich fragen ob du uns auf dem Schulfest nicht vielleicht eine Kostprobe deines Könnens geben kannst?“ Fly war wie erschlagen. Woher…? Vor allem wer…? „Du musst mir deine Entscheidung nicht sofort kundtun. Überleg es dir und sag mir bescheid, wenn du dich entschieden hast. Ich würde mich freuen, wenn du dich bis Ende der Woche bei mir melden würdest.“ ~ „Das hat sie gesagt?!“ Simon blinzelte Fly an. Er hatte auf Fly gewartet und war nun mit ihm auf dem Weg zur Bibliothek. „Ja, sie will mich nicht zwingen, fände es aber schön, wenn ich spielen würde.“ Simon überlegte eine Weile. „Na dann mach es doch.“ Fly sah seinen Freund ungläubig an. „W-was?“ „Klar, warum nicht? Ich finde du solltest es machen. Du bist echt gut! Es gibt bestimmt viele an der Schule, die Musik machen. Vielleicht sogar noch mehr die Gitarre spielen und dazu singen. Aber nach meiner Meinung kann dir niemand das Wasser reichen.“ „Meinst… du wirklich?“ Fly war unsicher. „Sicher! Ich habe dich schon oft im Park gehört. Auch wenn du es manchmal nicht mitbekommen hast. Ich kann zwar nur von mir sprechen, aber ich sag ungelogen, dass mich deine Musik verzaubert. Für einige Zeit fühle ich mich wie in einer anderen Welt…“ „E-echt?“ Simon lächelte und nickte. „Das ist meine Meinung dazu. Aber denk noch mal in Ruhe nach bevor du dich entscheidest. Mich würde es freuen, wenn du es machst.“ Wieder herrschte eine Zeit lang schweigen in der Fly einige Dinge überdachte. Was hinderte ihn daran zu spielen? Lieder hatte er genug und er zweifelte auch nicht an seinen Fähigkeiten. Nur hatte er noch nie vor so vielen fremden Leuten gespielt. Aber vielleicht… vielleicht konnte er seiner Angst ja abhelfen… „Sag mal Simon…?“ „Hm?“ „…würdest… würdest du es dir… anhören?“ verlegen sah Fly zu Boden, denn er hatte einen Entschluss gefasst. „Was anhören?“ „Na, kommst du und hörst es dir an, wenn ich auf dem Fest spiele?“ Simon lachte und blieb stehen. „Was glaubst du denn? Ich würde keine Chance auslassen, um deine Lieder zu hören.“ „Sicher?“ „Ganz sicher, versprochen. Ich höre es mir hundertprozentig an.“ Dabei legte er Fly freundschaftlich den Arm um die Schultern. Glücklich lächelnd sah Fly zu ihm auf. „Gut, dann werde ich spielen.“ Kapitel 8: Zerplatzte Träume? ----------------------------- Das Schulfest war schon im vollen Gange. Es herrschte dichtes Gedränge auf dem Hof und in den Fluren des Gebäudes. Die Schüler waren damit beschäftig die Schule gebührend zu präsentieren. Sei es mit Vorträgen oder Ausstellungen oder sonstigen künstlerischen Darbietungen. Dank des gut ausgearbeiteten Planes verlief bisher alles ohne Pannen und die Zuschauer waren begeistert. Gegen Nachmittag war es dann soweit. Nervös stand Fly hinter der Bühne der Aula. Nur noch wenige Augenblicke trennten ihn von seinem Auftritt. Er war unruhig. Noch nie hatte er solches Lampenfieber gehabt! Aber da kam soviel zusammen… der Ort, die vielen Zuschauer, der Song… Simon … All das ließen den Kleinen fast die Nerven verlieren. Frau Sentira und Livia mussten ihn mehrfach hinter der Bühne beruhigen. Einmal war Fly fast den Tränen nah. Doch jetzt war es fast soweit; ein paar Minuten noch und Fly würde auf der Bühne stehen. Da war Lampenfieber total fehl am Platz. Livia hatte immer wieder betont er solle sich nicht fertig machen und lieber auf seine wunderbaren Fähigkeiten bauen. „Du kannst so toll singen! Und du bist ein klasse Gitarrist! Was soll schon schief gehen? Keiner kann den Zuhörer so in seinen Bann schlagen wie du…!“ motivierte sie ständig. So was Ähnliches hatte Fly schon mal gehört… Ob es auch stimmte? Sicher, er konnte sich darauf verlassen. Bisher hatte ihn weder sein Textgedächtnis, noch seine Stimme oder die Gitarre im Stich gelassen. Doch heute? Würde er dem selbst aufgebauten Druck standhalten? Konnte er sein Ziel erreichen? Das Treiben auf der Bühne lenkte ihn ab. Eine Tanzgruppe war gerade fertig mit ihrer Darbietung. Die Leiterin scheuchte ihre Schüler die Treppe hinunter und wirke sehr zufrieden. Im Vorbeigehen wünschte sie Fly ein ehrliches „Viel Glück“ und verschwand in den Räumen hinter der Bühne. Die Moderatoren traten vor und begannen ihre Ansage: „Nach diesen schwungvollen Schritten wollen wir nun dem angespannten Auge ein wenig Entspannung gönnen,“ sagte der Schüler mit geübter Stimme. „Doch nicht dass sie denken dies wäre schon das Ende,“ knüpfte seine Partnerin nahtlos an, „nein jetzt wollen wir ihre anderen Sinne auf eine kleine Reise schicken.“ „Der folgende Künstler unserer Schule ist eher ein unauffälliger Schüler.“ „Keiner von uns hätte geahnt, dass in ihm ein solches Talent steckt,“ wechselten sie sich ab. Fly wurde verlegen bei diesen Worten. „Mit seiner Stimme hat er schon so manchen Zuhörer in eine andere Welt getragen…“ „… seine Texte regen den Geist zum Nachdenken an…“ „… und er ist ein Meister auf seinem Instrument.“ „Dazu sei noch gesagt das alles, was er uns gleich vortragen wird, aus seiner eigenen Feder stammt.“ „Er ist ein kleines noch unbekanntes Genie.“ Von soviel Wertschätzung überwältigt stand Fly wie erstarrt und hörte nicht wie man ihm beim Namen nannte. Livia gab ihm einen kleine Schups und er stolperte die wenigen Stufen zu dunklen Bühne hinauf. Die Finsternis war eine Idee von seinen beiden Gönnerinnen. Frau Sentira meinte es sei besser ihn erst nur zu hören, um dann den Zuschauern zu beweisen, dass selbst der Kleinste zu großem Fähig ist. Soviel zur Theorie, aber würde es funktionieren? Still suchte Fly sich seinen Platz und kletterte auf den hohen Hocker. Er richtete sich ein und begann seinen ersten Song ‚Beyond the shadows’. Seine Finger zitterten noch etwas. Doch bei erklingen der so vertrauten Melodie gewann er seine Sicherheit zurück und sang für das Publikum. Sanftes Schwarzlicht umgab seine Silhouette und trug seine Stimme in die hintersten Winkel der Aula; doch das reichte aus, um bereits einen Großteil in fast ehrfürchtiges Erstaunen zu versetzten. Selbst Julian in der letzten Reihe konnte einen leichten Schauer nicht unterdrücken. Das Wundern wuchs noch mehr, als dann schließlich die gesamte Beleuchtung auf den einsamen Künstler strahlte. Keiner hatte das von ihm erwartet. Der stürmische Applaus der Zuhörer im Saal machte Fly Mut. Er fasste soviel Vertrauen, um seine Lieder sogar selbst anzusagen. „’Wings to fly away’ heißt der nächste Song,“ sagte er mit relativ fester Stimme. Während er spielte kam Simon. Ihre Blicke kreuzten sich kurz und Simon lächelte aufmunternd. Er war froh den Kleinen wieder einmal singen und spielen zu hören. In einer Menge Stehpublikum – das Fassungsvermögen der Aula reichte schon lange nicht mehr für die vielen Zuhörer aus – stand Simon, die Augen geschlossen, und genoss die sanften Klänge, die Fly hervorzauberte. Ein Verlust, hätte sein kleiner Freund sich geweigert hier zu spielen. So begeistert die Leute auch waren, vor der Zugabe hatte Fly Angst. Er hoffte schon, dass man keine verlangte. Denn er war äußerst unsicher, ob es der richtige Weg war. Andererseits wusste er selbst, dass er sein Gefühl nicht mehr lange verneinen konnte. Es würde ihn zu sehr belasten. Spürte er doch auch jetzt diesen leichten Schmerz im Herzen, wenn er an Simon dachte; und daran es auf ewig zu verheimlichen. Doch das Publikum rief ihn mit euphorischem Applaus zurück auf die Bühne. Mit weichen Knien und einem unglaublichen Ziehen in der Brust stolperte er zurück auf die Bretter; er wäre beinah gefallen fing sich aber hastig wieder. Simon gönnte ihm den Jubel von Herzen. Doch der kleine Wink von Schwäche war seinen aufmerksamen Augen keinesfalls entgangen. Sicherheitshalber ging er etwas näher zur Bühne. Fly fing Simons bestärkendes Lächeln auf und es war für ein Zeichen: jetzt oder nie! Fahrig klimperte er auf seiner Gitarre. Er räusperte sich. „Vielen Dank, ich bin wirklich überwältigt,“ sagte er ehrlich. „Ok, mein letzter Song ist etwas besonderes, denn ich habe ihn erst gestern vollendet. Außerdem ist er einer mir sehr wichtigen Person gewidmet…“ Fly warf einen kleinen Seitenblick auf Simon. „Er heißt ‚Everything’“ Insgeheim war Simon stolz auf Fly, das er sich traute einen so neuen Song zu spielen. Er war gespannt. Fly begann zu singen: “There is no picture, I could paint to show you, what you mean to me. And no poem, I could write to tell you, what you mean to me....” Fly brauchte einige Zeit um rein zu kommen, doch es fiel Keinem auf. Auch Simon schien noch nichts von seiner Nervosität zu bemerken, die mit diesem Lied in ihm einherging. Aber er zwang sich mit aller Kraft dazu ruhig weiter zu singen: “...You are more than fire, you are more than rain. You are more than love and you are more than pain. There is no single word that could explain. There is no flower, That is blooming like the smile in your ethereal eyes. And no scholar Ever could explain it – he could be so wise. You are more than heaven, you are more than earth. You are the origin, you are more than birth. You are more than beautiful, you are everything to me. It’s not the way that you move, It’s not the glowing on your face when you smile that makes me trembling and calm. It’s not that look in your eyes when I am going – it’s just everything what you are....” Fly legte all sein Gefühl in seine Stimme. Simon hatte die Augen geöffnet und starrte seinen Freund an. Der Song war klasse, aber er unterschied sich deutlich von den anderen zuvor. “There is no ocean, deep enough to show you what you mean to me. And no mountain, high enough to show you what you mean to me. You are more than meaning, you are more than time. You are redemption, you are the reason why. You are so mysterious, you are everything to me. It’s not the way that you move, It’s not the glowing on your face when you smile That makes me trembling and calm It’s not that look in your eyes when I am going....” Fly viel es immer schwerer konzentriert zu singen. Er kämpfte; gegen Schmerz Schwäche und Tränen. Letztere konnte er nicht mehr zurückhalten. Nur sein Pony verdeckte die Tränen vor dem Publikum. “Don’t you let them live in my soul Whenever they’ll try to barricade the way that I go. You’re so poweful – my soul can fly...” Aber Simon sah sie. Und es wunderte ihn sehr. Als er nun noch den beinahe fehlenden Blick von Fly auffing, wusste er kaum noch was er denken sollte. Was war denn los mit ihm? “It’s not the way that you move, It’s not the glowing on your face when you smile that makes me trembling and calm. It’s not that look in your eyes when I am going – it’s just everything what you are you are everything for me” Kaum hatte Fly den Song beendet verlor er seine Gefühlsschlacht. Vom Stürmischen Applaus bekam er nichts mehr mit. Der kehrte sich schnell in aufgeregtes Gemurmel, zum Teil auch Schreie, als Fly plötzlich von seinem Hocker kippte. Frau Sentira und Livia, die begeistert hinter den Vorhängen gelauscht hatten, konnten gerade noch die Gitarre retten, während Simon seinen Freund vor einem harten Aufprall bewahrte. Ohnmächtig hing Fly in seinen Armen. Simon trug Fly in eines der Zimmer hinter der Bühne; selbst noch im Unklaren über Flys Zustand. Der Kleine war Leichenblass und Simon stellte erhöhte Temperatur fest. Während Simon das prüfte kam Fly zu sich. „Ein Glück,“ seufzte Frau Sentira. „Ich hatte schon Angst…“ „… was? Wo bin ich?“ Fly war völlig orientierungslos. „Hinter der Bühne,“ sagte Simon. „… ?“ Fly blinzelte um sich. „Ist etwas passiert?“ „Du hast gesungen und bist dann einfach ohnmächtig geworden,“ erklärte Frau Sentira. „W-was?...“ zu seiner bleichen Gesichtshaut gesellten sich seine üblichen roten Flecken. Nach und nach erinnerte er sich; und es war ihm schrecklich peinlich! Mit noch immer von Tränen nassem Gesicht wandte er sich zu Simon. Besorgt erwiderte er den Blick. „Könnte ich kurz mit Florian allein reden?“ fragte Simon ohne den Blick von ihm zu lösen. „Wie? Oh, ja natürlich.“ Frau Sentira und Livia verließen den Raum. „Warum machst du so was, obwohl du merkst dass es dir nicht gut geht?“ „…“ „Keiner hat dich dazu gezwungen. Du hättest es doch absagen können,“ belehrte Simon weiter. „Was war denn los?“ „Tut mir leid…“ murmelte Fly und weinte schon wieder. „Hey, nicht weinen. War doch nicht so gemeint… Ach komm schon…“ Simon zog den Kleineren an sich. „Ganz ruhig…“ Als Fly sich etwas beruhigt hatte versuchte Simon es etwas sanfter. „Geht’s wieder? Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt.“ „Wollte ich nicht,“ antwortete Fly. „War eben so… war mir alles zuviel.“ Er zitterte. „Kommt vor,“ meinte Simon. „Aber mal ehrlich, du warst richtig gut!“ Fly sah ihn an. „Ja! Ich glaube sogar Julian fand es toll.“ „Danke…“ „Ich hab schon gedacht die Leute wollen gar nicht mehr aufhören zu klatschen. Ich fand es richtig mutig, dass du das letzte Lied gespielt hast. Wäre mir nie in den Sinn gekommen einen so frischen Song zu spielen.“ Fly nickte kurz. „Wollte erst gar nicht. Aber…“ er spürte wieder das Ziehen in der Brust. „Was?“ „… ich… musste ihn spielen… Es war doch die einzige Chance…“ „Einzige Chance? Wieso? Das verstehe ich nicht. Keiner zwingt dich etwas zu spielen, was du nicht willst.“ Simon sah ihn verständnislos an. „Doch… ich habe mich dazu gezwungen…“ „Was?! Aber warum denn?“ „Weil… ich wollte doch…,“ wieder war er den Tränen nah. Der Schmerz nahm zu und sein Herz klopfte wild. „Na ja, es war für dich…“ nuschelte er. „Wie bitte?“ Simon hatte kaum etwas verstanden. „Das Lied ist für dich,“ wiederholte Fly lauter und bestimmter. Doch er konnte Simon nicht ansehen. „Für mich??? Aber… womit habe ich das denn verdient?“ „… hast du gehört was ich gesungen habe?“ fragte Fly gegen. „Im Text steckt die Antwort…“ „Schon, aber so genau kann ich es dir nicht mehr sagen,“ gestand Simon sein schlechtes Kurzzeitgedächtnis ein. Fly wiederholte die Zeilen, langsam und mit sanfter Betonung. Simon hörte zu. Auch jetzt spürte er den Unterschied zu allen anderen Texten. Er fühlte viele Emotionen und große Zuneigung… Moment! Zuneigung??? „Und? Hast du es verstanden?“ Fly hielt es kaum noch aus. „…“ Simon antwortete nicht. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag. Fly wollte, musste es einfach aussprechen. „Ich habe das für dich geschrieben, weil ich dich liebe.“ Er sah in Simons geweitete Augen. Statt zu antworten stand er auf und ging zum Fenster. Das war doch unmöglich! Warum endete es immer so? Auch Lukas hatte irgendwann mehr als nur Freundschaft empfunden. Aber Simon war auch damals mehr als geschockt vom Geständnis seines Freundes. Heute stand er zu seiner Zuneigung zu beiden Geschlechtern, aber früher war es für ihn ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Warum eigentlich nicht? Nein! Auf keinen Fall! Er konnte es nicht. Erinnerte es ihn doch zu sehr an Lukas’ Ende. „Wirklich, ich fühle mich sehr geehrt dadurch, aber… ich kann dir nicht geben was du dir wünschst.“ Fly erstarrte. „A-aber… ich dachte…“ Simon drehte sich um und ging vor ihm in die Hocke. „Fly, ich mag dich ganz ehrlich… als richtig guten Freund. Aber… ich… kann damit nicht meine Beziehung gefährden.“ Das war eine glatte Lüge. Simon hatte weder eine feste Beziehung noch irgendeine in Aussicht. Und eigentlich wollte er auch im Moment keine. Es tat ihm selber leid Fly so belügen zu müssen. Doch was sollte er sonst sagen? Fly hatte gehofft, es sich immer wieder gewünscht und doch war sein Traum nicht wahr geworden. Richtige Chancen hatte er sich nie ausgemalt. Dafür war Simon einfach zu beliebt. Doch die Ablehnung jetzt so deutlich aus seinem Mund zu hören war bitter; es tat unheimlich weh! Er schloss die Augen und lies stumm die Tränen ihren Weg gehen. Alles in ihm brannte. Ein Schmerz der kaum zu ertragen war erfüllte jeden Winkel seines Körpers. Das Atmen wurde schwer und jeder Herzschlag zu Qual. Zum zweiten Mal verlor er das Bewusstsein und wollte es auch gar nicht zurück haben. Kapitel 9: Gedanken ------------------- * Simon saß im Wohnzimmer Auf der Fensterbank und blickte hinaus. Er sah aber nicht wirklich etwas, seine Augen starrten einfach vor sich hin. Mit seinen Gedanken war er meilenweit weg. Sie kreisten um Florian. Er selbst kam sich unheimlich dumm vor. Warum hatte er nichts bemerkt? War er so blind gewesen Flys Gefühle so zu übersehen? Die heftige Reaktion des Kleinen hatte wohl überdeutlich gezeigt, wie lange er diese Last schon mit sich herumtrug. Und Simon fühlte dass es auch nicht nur eine seiner Launen war. Fly liebte ihn anscheinend wirklich… Nur warum? Was hatte er getan, das es so weit kam? Warum passierte so was immer?! Lukas war der Erste. Er hatte sich seitdem zwar immer eingeredet Bi zu sein, aber… war er das auch wirklich? Man konnte sich ja viel einreden. Er wollt sich nichts vormachen, und vor allem Fly nicht. Er war nicht sicher, ob er seine Gefühle auch wahrhaft erwidern konnte. Simon wollte Fly mit einer unwahren unerwiderten Liebe nicht noch mehr verletzen… „Simon? Hier, eine heiße Schokolade,“ seine Mutter hielt ihm eine dampfende Tasse entgegen. Er nahm sie ihr dankend ab. „Was ist los, Schatz? Den ganzen Nachmittag sitzt du nun schon hier und tust nichts weiter als aus dem Fenster zu starren. Das machst du doch sonst nicht,“ sagte sie Mutter besorgt. „Ich weiß es doch auch nicht so genau... Es ist alles so... kompliziert...“ Die Mutter zog sich einen Hocker heran und setzte sich zu Simon. Der erzählte ihr was ihn beschäftigte. Er wusste, dass sie ihn verstehen würde – ihr konnte er vertrauen. „Ich weiß, eigentlich sollte ich mich darüber freuen, aber ich kann es einfach nicht. Es macht mich wirklich stolz solche Gefühle zu erwecken. Doch ich kann sie nicht erwidern... Es erinnert mich zu sehr an früher...“ „Urteile nicht so voreilig, Simon. Es ist sicher nicht einfach, das glaube ich dir. Du denkst an Lukas, nicht wahr?“ fragte die Mutter. Simon nickte. „Weißt du, es kann auch völlig falsch sein, was ich denke,“ sagte er. „aber ich fühle mich verantwortlich für das was passiert ist. Sicher, Lukas war nie stabil und es hätte auch so jeder Zeit soweit sein können. Aber er hatte damals bereits eine Beziehung. Und als er dann offen seine Gefühle zu mir gestand, da hat ihn sein Freund einfach sitzen lassen... Und zwei Wochen später... na ja, das wissen wir ja...“ Die Mutter schüttelte ein wenig den Kopf. „Simon, jetzt hör mir mal zu. Was damals geschehen ist, war ohne Zweifel eine sehr schlimme Erfahrung für uns alle. Und Keiner hätte geglaubt, dass Lukas das auch wirklich durchzieht. Aber niemand ist allein schuld am Unglück eines Anderen. Warum solltest also ausgerechnet du verantwortlich für sein Handeln gewesen sein?“ „... ich war nur halbherzig... Ich war mir über meine eigenen Gefühle nicht klar. Lukas hat zwar gesagt er könne es verstehen und würde mich nicht bedrängen, aber am Ende hat ihm das den Rest gegeben. Ich habe mir immer eingeredet ihn zu lieben, wusste aber nicht wirklich was es heißt zu lieben. Daher konnte ich seine Gefühle nicht richtig erwidern und habe ihn im Stich gelassen...“ Simon wusste dass er sich jetzt selbst wie Lukas oder Fly anhören musste. „Ach Simon. Es ist schwer sich Fehler einzugestehen, aber ebenso schwer ist es sich zu sagen keinen Fehler gemacht zu haben, so sehr man auch das Gefühl hat. Deine Halbherzigkeit, wie du sagst, war ein Teil, der zu diesem Ende geführt hat. Ein Teil, hörst du? Da gab es sicher noch mehr Gründe für Lukas. Du bist nicht allein daran schuld, glaub mir. Außerdem, es ist nicht gut in vergangenem zu suchen und zu versuchen Dinge zu ändern, die man nicht mehr ungeschehen machen kann. Du musst an jetzt denken. Das macht dich sonst nur kaputt. Denk noch mal nach. Vielleicht war es ja ein Fehler Florian so abzuservieren. Das hast du doch nicht gemacht, weil du ihn nicht magst, oder? Sieh mal, so wie du immer über ihn redest, kannst ich dir nicht glauben, dass du nichts empfindest. Vielleicht musst du nur versuchen ihn ein wenig besser zu verstehen. Versetz dich mal in ihn. Er kann das ja nicht grundlos gesagt haben...“ „Schon klar, aber warum? Was bringt ihn dazu zu sagen, dass er mich liebt? Ich hab doch gar nichts weiter gemacht...“ unterbrach Simon seine Mutter. Er sah sie etwas verzweifelt an. Sei lächelte nur. „Überleg doch mal, Schatz. Es ist nicht alle gleich. Jeder hat seine persönlichen Charakterzüge, die ihn zu etwas besonderem machen. Das können Vor- aber auch Nachteile sein. Für Florian scheinst du ein wirklich ganz besonderer Mensch zu sein. Es gibt Dinge an dir, die ihn dazu bringen dich zu lieben. Du bist freundlich und immer aufgeschlossen, bist höflich und immer hilfsbereit und einfach ein richtig netter Typ. Das hast du aber nicht nur meiner Erziehung zu verdanken,“ lachte sie. „Nein, das sind viele Dinge, die du dir selbst zu Eigen gemacht hast. Eigenschaften, die Florian vielleicht nicht besitzt. Du hast dich für ihn eingesetzt, als er vollkommen hilflos war und niemand auch nur daran gedacht hat etwas zu tun; aus welchem Grund auch immer. Das hat ihm gezeigt, dass er doch nicht so allein ist wie er immer glaubt und das hat ihm sicher Kraft gegeben. Du hilfst schwächeren stark zu werden. Und das mit einer Hingabe und Liebe, dafür kann man glaube ich nicht anders als dich zu lieben. Du hast Florian aus einer aussichtslosen Lage gerettet, könnte man sagen. Er will dir dafür sicher danken und wusste nur noch nicht wie. Ich denke es gibt keinen größeren Dank und keine größere Wertschätzung, als von einem Menschen sein innerstes angeboten zu bekommen. Verstehst du, Florian will dir danken, indem er dir sein Herz gibt. Das ist etwas sehr kostbares. So etwas gibt man nicht einfach so jedem Beliebigen.“ Simon überdachte die Worte seiner Mutter. Irgendwie hatte sie ja Recht, er wollte es sich aber noch nicht so richtig eingestehen... „Was soll ich tun?“ fragte er. „Gib ihm eine Chance. Man kann vielleicht noch nicht von Liebe reden, aber ich weiß, dass auch du Florian magst. Vielleicht sogar mehr als du selbst weißt. Finde heraus wie sehr. Und mach bitte nicht noch einmal den gleichen Fehler wie damals. Sonst fürchte ich könnte es auch mit Florian ein böses Ende nehmen. Und ich denke das ist doch das Letzte was du möchtest, oder?“ sagte die Mutter. Simon nickte langsam. „Danke,“ sagte er und sah seine Mutter an. Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu. Das sie ihm diese Ratschläge gab, dafür war er ihr unendlich dankbar. Sie hatte sich selbst gesagt: egal wie es aussehen wird und wie er es anstellt, aber Simon soll glücklich sein. Und da ist es völlig egal ob sein Glück bei einem Jungen liegt. Wenn es so ist, wird sie die Letzte sein, die sich dagegen stellt. Schließlich wusste sie nur selbst zu gut, was Unglück bedeuten kann. * Wie lange starrte er nun schon an die weiß gestrichene Zimmerdecke? Zehn Minuten, ein paar Stunden, vielleicht auch schon Tage? Fly wusste es nicht mehr. Man hatte ich gleich nach Hause gebracht und sofort ins Bett gesteckt. Seine Mutter hatte zwar noch einige Sätze in gehobener Lautstärke zu ihm gesagt, aber das hatte ihn nicht interessiert, er hatte sie ausgeblendet. Noch mehr Schmerz konnte er nicht ertragen. Jetzt lag er hier und fand einfach keine Ruhe. Warum war das alles passiert? Wie kam es denn überhaupt dazu? Wann hatte er sich in Simon verliebt? Auf all diese Fragen versuchte er Antworten zu finden... ~Julian hatte ihm vor der Schule die Mütze weggenommen und war mit seine Anhängern davongerannt. Fly hatte versucht ihnen hinterher zu rennen, , war aber wie immer zu langsam. Kurz vor dem Klassenzimmer hatte er es dann doch endlich geschafft. Oder hatte Julian das so beabsichtigt? Er versuchte an seine Mütze zu kommen, doch Julian spielte seine überlegene Größe voll gegen ihn aus. Viele Schüler hatten sich um sie versammelt und feuerten ihre jeweilige Partei an. Und dann kam er dazu und setzte sich für ihn ein. Simon holte ihm die Mütze zurück. Eigentlich eine Banalität, doch das Lächeln, mit welchem er ihm die Kopfbedeckung zurückgab, war das schönste gewesen, was er je gesehen hatte. – Da war es passiert, das hatte er sich sofort in ihn verliebt. Deshalb war er auch weggelaufen. Es war keine Angst vor Julian und einem weiteren Angriff; nein, er hatte Angst vor seinen eigenen Gefühlen. Diese wurden mit jedem Tag, den er mit Simon verbrachte, immer größer. Fly war unheimlich dankbar für die Hilfe und Zuwendung. Und schließlich kam es zu dem Lied und seinem Geständnis.~ Wieder musste Fly weinen, als Simons Worte in seinem Kopf wiederhallten. Warum? Was war denn nur schief gelaufen? Empfand Simon den gar nichts für ihn? Warum war er dann immer so ... liebvoll zu ihm? Fly verstand es nicht. Ach, hätte er es doch nie soweit getrieben! Am besten er hätte alles für sich behalten und das Leid nicht gesungen. Dann wären ihm diese quälenden Gedanken erspart geblieben! Noch in der Nacht rief die Mutter den Notarzt. Fly wand sich unter furchtbaren Schmerzen. Er hatte das Gefühl sein Herz würde jeden Moment zerreißen. Dazu hatte er sich, entgegen dem Versprechen an Simon, wieder selbst verletzt. Es zählte doch eh alles nichts mehr! * Jetzt musste ihr Sohn sogar in stationäre Behandlung! Trübsinnig saß die Mutter an Florians Krankenbett und hielt seine Hand. Auch wenn er sich im wachen Zustand vehement dagegen gewehrt hatte. Man hatte ihm ein Beruhigungsmittel gegeben und Verbände angelegt. Leider war die Ursache seiner Brustschmerzen unauffindbar. Blut- und EKG-Werte zeigten keinerlei Abweichungen von den Normwerten und auch im Ultraschall-Bild war nichts krankhaft verändertes zu erkennen. Zu guter Letzt schoben sie Florian noch in die Röhre und hoffte da etwas zu finden; doch Fehlanzeige. Florian war eigentlich rundum gesund. Umso verwunderlicher war sein derzeitiger Zustand und die Tatsache, dass man ihn zur Beobachtung dabehielt. Bleich und am Dauer-EKG hängend schlief er seinen künstlichen Schlaf. ‚An allem war nur dieser Simon schuld!’ dachte seine Mutter grimmig. Seitdem er aufgetaucht war, ging es Florian schlecht, stellte sie fest. Und dann auch noch die Aktion mit dem Flugblatt! Das war doch sicher von ihm initiiert gewesen! Das alles war ihr sehr verdächtig Nein! Nie wieder sollte dieser Simon ihrem Sohn zu nahe kommen! Das schwor sie sich. Kapitel 10: Liebeskrank ----------------------- Egal wie sehr Simon es versuchte, er konnte sich einfach nicht auf den Unterricht konzentrieren. Der leere Platz vor ihm machte ihn fast verrückt. Wo blieb Fly? Zu Hause anrufen brachte auch nichts. Entweder war besetzt oder seine Mutter war dran. Und sie servierte ihn immer wieder eiskalt ab. Florian sei eben nicht zu sprechen, basta! Kopfschüttelnd schloss Simon die Wohnungstür auf. Erstaunt registrierte er die Schuhe seiner Mutter im Eingang. Seltsam, sie war doch sonst nie so früh da … „Simon?“ kam es aus dem Wohnzimmer. „Was machst du denn schon so früh hier?“ Er zog sich die Jacke aus und hängte sie an den Kleiderständer. Seine Mutter saß auf dem Sofa an der Wand. Sie schien schon eine weile auf ihn gewartet zu haben. „Ich bin gleich da“, meinte Simon. Er ließ seinen Rucksack fallen und ging zum Telefon. „Ich will nur kurz telefonieren …“ „Das brauchst du nicht, Schatz.“ Simon blinzelte sie an. „Du willst doch bestimmt bei Florian anrufen, oder?“ „Aber, woher …“ „Simon, das sehe ich dir an. Dazu kenn ich dich viel zu gut. Jetzt komm her und setzt dich. Ich muss mit dir über ihn reden.“ Diese wagen Andeutungen, machten Simon unruhig. „Ist etwas passiert?“ fragte er eine Spur besorgt. „Setzt dich und ich erzähle es dir.“ Simon schnaubte ungeduldig und ließ sich in den nächsten Sessel fallen. „Gut. Also, du weißt ja, dass dein Vater und ich hier überall in der Gegend umherfahren und arbeiten.“ Simon nickte, wusste aber nicht, was das jetzt mit ihrem Gesprächsthema zu tun hatte. „So besuchen wir ungefähr vier bis fünf Kliniken pro Tag.“ Wiederum nickte Simon. „Heute haben wir dabei eine seiner Studienkolleginnen wieder getroffen; hier im städtischen Zentralklinikum.“ „Ja, ja schön, aber was hat das mit Fly zu tun?!“ fragte Simon, denn er hielt dieses Drumherumgerede nicht mehr aus. ’Komm zum Punkt,’ dachte er. „Immer mit der Ruhe. Diese Kollegin ist hier am Klinikum Ärztin. Wir haben uns eine Weile unterhalten. Aber nicht sehr lange, denn man rief sie dann zu einem Notfall …“ „Nein, stopp!“ Simon war aufgesprungen und hielt sich die Ohren zu. Sein Herz überschlug sich fast. Einige Momente versuchte er sich selbst zu beruhigen. Er ließ die Hände sinken. „Bitte … sag es nicht …“ Die Mutter betrachtete ihren Sohn mit einem mitleidigen Blick. „Es tut mir ja auch Leid, aber ich denke du solltest es wissen …“ Simon war ein wenig geschockt. Er hätte nie gedacht, dass es so endet; er hatte nicht gewollt, dass es so endet. „Simon, bitte mach dir keine Vorwürfe. Seine Mutter war da und …“ „Und da soll ich mir keine Vorwürfe machen?! Dieses Mal kannst du es nicht schönreden. Daran bin ich wirklich schuld …“ Mit hängendem Kopf zog er sich in sein Zimmer zurück. Er versuchte es zu begreifen, zu verstehen… Aber der einzige Gedanke der ihm kam war: ‚Ich bin ja so dumm!’ Er hätte es vorher wissen müssen, dass Fly darauf so reagiert… Am Abend hielt Simon es nicht mehr aus. Er schnappte sich seine Sachen und wollte schon aus der Wohnung verschwinden. Doch er ging noch einmal zurück zur Küche. „Ich bin noch mal kurz weg“, sagte er zu seinen Eltern. Die Mutter lächelte. „Ist gut, Schatz. Bitte grüß ihn von uns.“ Bei diesen Worten konnte Simon es nicht anders und wurde eine Winzigkeit Rot. „Ja … mach ich…“ Mit dem Fahrrad machte er sich auf zum Zentralklinikum. Die Schwester am Empfang staunte nicht schlecht über sein Anliegen. „Aber sie wissen schon, dass die Besuchszeit schon seit gut zwei Stunden abgelaufen ist“, sagte sie. Simon spielte nervös an seinem Jackenreißverschluss herum. „Schon, aber… wäre es denn so schlimm? Bitte, es ist wichtig…“ Die Krankenschwester seufzte kurz. „Na gut, ich mache mal eine Ausnahme. Aber trotzdem möchte ich wissen, wer sie sind und wie sie zu dem Patienten stehen. Ist leider Vorschrift.“ Simon nickte. „Simon Petters, und…“ er stockte. „Ja?“ … ich bin … Florians Freund.“ Die junge Frau sah ihn flüchtig an notierte aber dann ohne ein weiteres Wort zu verlieren. „Gut, danke. Sie finden ihn in Zimmer 3.17. Aber bleiben sie bitte nicht zu lange, es ist wichtig, dass die Patienten viel Ruhe und Schlaf bekommen.“ Simon versprach es und ging zum Lift. Im dritten Stock stieg er aus und sah sich um. Links entdeckte er ein Hinweißschild und folgte dem Pfeil zur Station. In den Gängen war es ruhig. Nur ab und zu begegnete Simon einer Krankenschwester oder einem Pfleger. Zimmer 3.17 … Simon stand unsicher davor und konnte sich nicht entschließen. Vielleicht wollte Fly ihn gar nicht sehen? Verständlich wäre es… Aber jetzt war Simon hier und zumindest er wollte Fly sehen. Er atmete noch einmal durch und öffnete dann, nach einem höflichen Klopfen, leise die Tür. Im Zimmer herrschte angenehmes Licht. Und im Gegensatz zu seinen Erwartungen war Fly nicht allein. Eine junge Krankenschwester stand neben dem Bett und verabreichte ihm seine tägliche Injektion. Sie blickte auf, als Simon den Raum betrat. „Verzeihung, wenn es gerade unpassend ist, dann kann ich auch später…“ Lächelnd schüttelte die Frau den Kopf. „Bleiben sie ruhig. Ich bin gleich fertig, “ sagte sie und deckte den Patienten wieder zu. „So bitte, sie dürfen. Aber erschrecken sie nicht. Entsprechend seinem derzeitigen Zustand sieht Florian nicht besonders gut aus, “ meinte sie mit gedämpfter Stimme. „Leider reagiert er auch nur sehr selten auf andere. Nicht dass sie sich wundern, wenn er nicht antworten sollte.“ Simon nickte und die Krankenschwester verließ das Zimmer. ‚Sie hat Recht,’ dachte Simon als er einige Zeit neben Fly gesessen, und ihn betrachtet hatte. Er sah wirklich schrecklich aus. Fly war nur noch ein Schatten seiner selbst. ‚Tja, und wer war daran schuld?’ Simon hätte sich selbst ohrfeigen können. Wie vorhergesagt hatte Fly bisher nicht die kleinste Reaktion gezeigt. Er schien es nicht wahrzunehmen, dass Simon da war. Doch irgendwann bekam Simon ein Zeichen von ihm. Fly durchlief immer wieder die Ereignisse mit Simon. Er sah jede Sequenz noch einmal vor sich und fühlte jede Emotion von neuem. Und immer musste Fly weinen, als Simons Ablehnung in seinem Kopf widerhallte. So auch jetzt. Tränen strömten sein bleiches Gesicht herunter und tropften auf die Decke, die er krampfhaft umklammert hielt. Und wie immer folgte fast sogleich dieser unerträglich brennende Schmerz in seiner Brust. Er schien alles auslöschen zu wollen, doch Fly wehrte sich. Er wollte es nicht einfach vergessen! So sehr Simon sich auch bemühte, Fly war nicht zu beruhigen. Seine Worte drangen gar nicht zu ihm durch. Wenn es doch nur die Tränen gewesen wären! Simon hätte ihn einfach in den Arm genommen und seine Tränen mit sanften Worten weggewischt. Doch der Kleine wand sich unter Schmerzen und hielt die Hände an die Brust gepresst. Etwas panisch war Simon aufgestanden und sah sich um. Irgendwo musste doch… Gerade hatte er den Klingelknopf gefunden, da wurde sehr energisch die Tür geöffnet. „Florian, ich bin es. Ich habe dir …“ Flys Mutter blieb wie erstarrt stehen, als sie Simon entdeckte. Noch mehr erbleichte sie, als sich ihr Blick auf Fly richtete. „Wieso bist du…?W…was hast du…?“ stammelte sie. „Frau Uhlig bitte, … es ist nicht so…“ Simon versuchte etwas zu sagen, doch sie stürzte zum Bett ihres Sohnes. „Florian… Florian?!“ Doch auch ihr gelang es nicht, zu ihm durchzudringen. „Was haben sie mit meinem Sohn angestellt?!!“ tobte die Mutter. Sie wechselte in die förmliche Anrede wechselt. Was ihre große Abneigung gegen Simon nur zu deutlich zeigte. „Ich… ich habe nichts getan. Er hat einfach angefangen zu weinen…“ „Tun sie nicht so scheinheilig!“ unterbrach die Mutter herrisch Simons Rechtfertigungsversuch. „Es macht ihnen doch Spaß Florian zu traktieren, ihn zu quälen!“ „Aber…,“ Simon begann es zu dämmern. Nicht nur, dass Frau Uhlig glaubte, er hätte Fly hier und jetzt etwas angetan, nein. Sie machte ihn auch noch für all die anderen Katastrophen und Angriffe verantwortlich! Dabei war er doch nur aus Sorge hier bei ihm… „Ich sage ihnen eines: Wagen sie es nicht noch einmal meinem Sohn etwas Derartiges anzutun! Ich sehe einfach nicht mehr länger mit an, wie er an ihnen und ihren … perversen Intrigen zugrunde geht! Allein wegen ihnen ist er doch jetzt hier!!!“ Frau Uhlig hatte die letzten Worte so laut geschrien, dass nun gleich drei Krankenschwestern und die Stationsärztin in das Zimmer stürmten. „Frau Uhlig! Vielleicht erklären sie mir mal, was dieser Aufruhr bedeuten soll?“ fragte die Ärztin lautstark. „Dieser… er… er hat … jetzt sehen sie doch selbst!!!“ vor lauter Aufregung bekam Flys Mutter keinen klaren Satz mehr hervor. „Jetzt beruhigen sie sich erst einmal. Schwester Hanna, kümmern sie sich bitte darum.“ Eine junge Krankenschwerster nickte und setzte sich zu Fly. Simon erkannte sie wieder. Zuvor hatte sie ihm die Injektion verabreicht… Von ihr ließ Fly sich in die Arme nehmen und trösten. Simon und Frau Uhlig sahen nur erstaunt zu. „Tja, keiner Anderen gelingt dieses Kunststück. Außer Schwester Hanna lässt er niemanden an sich heran. Was die Behandlung natürlich äußerst kompliziert gestaltet,“ erklärte die Medizinerin. „Aber das…“ Flys Mutter war das vollkommen unverständlich. „… ist durchaus kein Wunder,“ beendete Simon ihren begonnenen Satz mit seinen Gedanken. Finster starrte sie ihn an. „Tut mir ja auch leid, aber im Grunde wissen sie genauso gut wie ich, warum das so ist. Auch ich habe viele Dinge gesagt und vielleicht auch getan, die ihn sich so verschließen ließen,“ sagte er weiter mit sanftem Blick auf den sich allmählich beruhigenden Fly. „Auch sie sind nicht ganz unschuldig daran… und das wissen sie.“ Nur zu genau hatte Frau Uhlig noch vor Augen, wie Florian völlig am Ende vor ihren Augen zusammenbrach. Und das nur wegen ihrer Worte… Resigniert nickte sie. „Als leitende Person dieser Station würde mich äußerst geschmeichelt fühlen, wenn sie beide das vielleicht näher erläutern könnten!“ mischte sich die Ärztin etwas missgelaunt ein. „Möglicherweise könnte uns das Aufschluss über den derzeitigen Zustand des Patienten geben.“ Ein aufklärendes Gespräch später standen Frau Uhlig und Simon noch einmal gemeinsam an Flys Bett. Der Kleine schlief zwar friedlich, doch sah man ihm sein Leiden an. Simon wollte lieber nicht wissen, wie viel Beruhigungsmittel nötig waren, um diesen so trügerischen Zustand auszulösen. Irgendwie traute er dieser „Ärztin“ alles zu. Frau Uhlig seufzte. „Was ist?“ „Ach, ich frage mich nur, warum ich nichts tun konnte; warum ich Florian nicht davor schützen konnte?“ fragte sie leise. Simon sah sie kurz an. „Wahrscheinlich konnte das niemand von uns. Vielleicht war es einfach alles zu viel,“ meinte er und nahm Flys Hand. Gedankenverloren streichelte er sie. „Wenn es irgendetwas gibt, was ich tun kann, womit ich helfen kann,“ sagte er an Frau Uhlig gewandt und sah Fly lange ins Gesicht. „Bitte, sagen sie mir bescheid.“ Selbst etwas erleichtert über sein Angebot nickte Frau Uhlig. Sie ahnte nicht, dass sie so schnell darauf zurückgreifen musste. ~Am Abend, einige wenige Tage danach~ Simon saß zusammen mit seinen Eltern im Wohnzimmer und sah Fern. Sein Vater hatte sich einige Filme von einem Kollegen ausgeliehen. Leika lag zu Simons Füßen und döste vor sich hin. Flimmernde Bilder interessierten sie nicht die Bohne. Sie schlief schon fast, doch eine leise Vorahnung ließ sie aufsehen und die Ohren spitzen. Das Telefon klingelte. „Ich geh schon,“ meinte Simon und erhob sich. Immerhin saß er dem Gerät auch am nächsten, da verstand sich das von selbst. „Petters?“ „Simon? Hier ist Frau Uhlig, Florians Mutter,“ kam es aus dem Hörer. „Oh, hallo. Was gibt es denn? Kann ich etwas für sie tun?“ „Oh, für mich nicht,“ sie klang äußerst aufgebracht, was Simon sofort in Alarmbereitschaft versetzte. „Aber bitte, Florian ist dabei einen großen Fehler zu begehen!“ „Was ist denn passiert?!“ „Simon, bitte komm her! Florian will sich das Leben nehmen und niemand kann ihn aufhalten!“ sie war nun fast den Tränen nah. Simon ließ den Hörer fallen und rannte durch die Wohnung. „Schatz, wo willst du denn noch hin?“ fragte seine Mutter, als sie den Schlüssel hörte. „Ein Leben retten!“ rief Simon zurück und sprintete los. Noch nie war er in seinem Leben so schnell gelaufen. Er hatte Angst, war aber auch unheimlich sauer. Was fiel diesem Kindskopf ein?! Es gab doch keinen Grund so etwas dermaßen Dummes zu tun! Oder doch...? „Halt! Hallo?!“ Die Krankenschwester am Empfang traute ihren Augen nicht. Simon rannte an ihr vorbei ohne sie eines Blickes zu würdigen und nahm die Treppe. Der Lift dauerte ihm viel zu lange! Kaum jemand war, um diese Zeit, noch in den Gängen zu sehen. Doch die wenigen, auf die Simon traf, warfen ihm empört verwunderte Blicke hinterher. Doch das interessierte Simon überhaupt nicht. Das einzig Wichtige war Fly von seiner Dummheit abzubringen. So betrat er ohne zu klopfen das Zimmer. Drinnen war ein regelrechter Auflauf. Es schien als wäre das gesamte Nachtpersonal der Station hier versammelt. „Simon, da sind sie ja,“ sprach ihn sogleich die Ärztin an. „So schnell... es ging,“ keuchte er zurück. Die pausenlose Rennerei von zu Hause bis hier her hatte ihn ganz schön aus der Puste gebracht. „Frau Uhlig meinte, wenn ihn noch irgendjemand zurückhalten könnte, dann sie. Selbst Schwester Hanns Fähigkeiten, auf die eigentlich Verlass ist, haben versagt.“ Die junge Schwester blickte ihn entschuldigend an. „Wo ist er denn überhaupt?“ fragte Simon, als er wieder einigermaßen ruhig atmen konnte. Er sah sich im Zimmer um, entdeckte aber keine Spur von Fly - wenn man mal vom zerwühlten Bett, den Glas- und Keramikscherben um den Tisch und den deutlich roten Blutflecken auf dem Boden absah. „Da draußen,“ sagte Schwester Hanna und deutete schüchtern aus dem Fenster zum Balkon. Simon trat näher und glaubte sein Herz würde für einen Moment aussetzten. Fly stand mit dem Rücken zu ihnen auf dem runden Tisch am Geländer und hielt sich die Ohren zu. Sie sollten endlich aufhören!!! Die erdrückenden Gedanken in seinem Kopf und die aufgeregt rufenden Menschen in seinem Zimmer. Das Glas dämpfte ihre Stimmen zwar, aber Fly hörte sie trotzdem, als würden sie neben ihm stehen und ihm lauthals in die Ohren schreien. Warum ließ man ihn nicht in Ruhe und akzeptierte seine Entscheidungen?! Konnte die Welt nicht einmal fair zu ihm sein? Genau deshalb stand er jetzt hier. Niemand da drinnen oder hier draußen sollte ihm vorschreiben, was er jetzt zu tun hatte und was nicht. Doch die Stimmen aus dem Raum ließen einen regelrechten Kampf in ihm ausbrechen. Ein Kampf zwischen zwei Parteien. Die eine hatte sich schon abgefunden und das Leben als nicht mehr lebenswert abgetan. Sie war bereit für den letzten Schritt. Der andere Teil aber, klammerte sich noch verzweifelt an den letzten Halm, an die letzte Blüte auf einer verwelkten Wiese, griff nach jedem Funken Hoffnung und flehte nach Rettung. Etwas sagte ihm, dass es falsch war, was er tun wollte. Diese Auseinandersetzung hielt ihn noch zurück, ließ ihn den finalen Schritt nicht tun... Simon fluchte. So was würde er doch niemals tun! Das war unmöglich Fly! Schoss es ihm durch den Kopf. Und auf keinen Fall würde er, Simon Petters, das so einfach zulassen!!! „Wieso stehen sie denn noch alle hier herum? Warum hat noch niemand etwas unternommen?“ fragte er aufgebracht. „Wir würden das ja gern, doch Fly hat sich ausgesperrt und uns ebenso. Wir bekommen die Tür nicht auf,“ sagte Frau Uhlig. Tatsächlich hatte er die Tür so zugestellt und verrammelt, dass Simon sie selbst mit größtem Kraftaufwand nicht öffnen konnte. Fieberhaft überlegte er. „Was ist mit dem Glas?“ wandte er sich an das Personal. „Was soll damit sein? Das ist normales Fensterglas. Schließlich sind wir ein Krankenhaus und keine Anstalt!“ antwortete die Ärztin zynisch. Diese Kritik hatte Simon nur überdeutlich verstanden und funkelte die Medizinerin finster an. „Alles klar. Dann müsste man es doch mit einfachsten Methoden kaputt bekommen...“ er sah sich kurz um. So ein Stuhl müsste es tun... „Gehen sie ein Stück beiseite, schließlich will ich ihnen nicht noch mehr Verletzte bescheren,“ sagte Simon. Zum Erstaunen der Belegschaft reichten einige gezielte Schläge aus, und das große Fenster zersprang in tausende kleine und große Scherben. Dass einige dieser Splitter ihn selbst verletzten, war Simon so ziemlich egal. Fly war alles, was zählte! Kaum hatte Fly den letzten Gedanken zu Ende gedacht, erklang ein ungeheures Scheppern hinter ihm. Erschrocken drehte er sich blitzartig um. Das kostete ihn allerdings das letzte bisschen Gleichgewicht. Mit den Armen rudern, versuchte er sich wieder zu fangen. So sollte es doch noch nicht enden!!! Ziemlich grob wurde Fly nach vorn gezerrt und landete etwas unsanft auf dem Boden. Er versuchte sich aus den Händen zu winden, schaffte es aber nicht mal ansatzweise. Stattdessen fing er sich eine saftige Ohrfeige ein, die ihm die Augen tränen ließen. „Jetzt komm endlich wieder zu dir!!!“ fauchte Simon. Seine Angst, weniger der Ärger über diese Blödheit, trieben ihn zu dieser fast schon brutalen Handlung. Flys Wange glühte vor Schmerz und brachten ihn tatsächlich zurück in die Realität. Der kühle Wind fuhr ihm in die dünnen Kleider und ließen ihn erschaudern. Er fühlte den harten Boden des Balkons unter sich und sah durch die Schmerzenstränen ein Gesicht über sich. Für den ersten Moment fragte er sich, was das sollte und erkannte nicht, wer ihn da so energisch festhielt. Doch dann klärten sich seine Sinne und er riss die Augen auf. „Simon?“ fragte er mit leicht zitternder Stimme. „Ja was glaubst du denn?! Du dachtest wohl ich würde dich einfach so im Stich lassen ...“ Simon konnte nur noch schwer weiter sprechen. Seine Sicht trübte sich. Und etwas verstört bemerkte er, wie ihm heiß die Tränen übers Gesicht liefen. „Aber... Simon,“ Fly sah ihn entgeistert an. „... ich dachte schon du hättest mich völlig vergessen!“ Simon umfasste den am Boden Liegenden und zog ihn in eine feste Umarmung. Erst jetzt begriff Fly, was er gerade tun wollte. Hatte er eben wirklich vor sich da runter fallen zu lassen?! Von unglaublicher Angst und Verlegenheit erfasst klammerte er sich an Simon. Er war ihm unendlich dankbar, dass er ihn davon zurückgehalten hatte. Eigentlich hing er viel zu sehr an seinem Leben, doch das wurde ihm erst jetzt klar. Fly empfand Verachtung – gegen sich selbst. „...es... tu mir so Leid... Simon ... es tut mir leid...“ Fly wusste im Moment nichts anderes zu sagen. Zu sehr war er von seiner eigenen Tat geschockt. Simon antwortete nicht, sondern drückte den Kleineren nur noch fester an sich. Minutenlang hielt er Fly so. Er wollte ihn nie wieder loslassen, aus Angst er würde so etwas noch einmal versuchen... „Simon? Wollen sie ihn nicht langsam reinbringen? Er wird da draußen noch erfrieren. Außerdem müssen wir uns um ihn kümmern,“ drang die Stimme der Ärztin an Simons Ohr. Genervt schnaubte Simon. ‚Gab es denn nichts Wichtigeres als ihnen blöden Job?!’ dachte er. Dennoch ließ er Fly los und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. „Ist dir kalt?“ fragt er Fly sanft. Der Kleine nickte. „Okay ...“ So vorsichtig wie möglich trug er Fly nach drinnen. Denn er hatte die neuen Verletzungen an seinen Armen durchaus gesehen. Schließlich wollte er ihm nicht noch mehr weht tun. Außerdem wäre Fly jetzt sowieso nicht dazu fähig allein zu laufen. „Oh Florian...“ seine Mutter wollte Simon helfen. Doch Fly wandte sich sofort schon fast ängstlich von ihr ab. Was Frau Uhlig ein wenig verstörte. „Lass mal sehen,“ forderte die Ärztin ihn sogleich auf, kaum hatte Simon ihn zurück ins Bett gelegt. Doch Fly schüttelte den Kopf und zog die Arme fest an den Körper. „Na, was soll das denn? Schließlich befindest du dich in einem Krankenhaus. Ich will dir doch nur helfen...“ Erneut schüttelte Fly den Kopf; diesmal sogar noch eine Spur energischer und ablehnender. „Vielleicht sollten sie es erst mal akzeptieren, wenn er es nicht möchte,“ sagte Schwester Hanna und Simon war dankbar, dass sie die Partei für Fly ergriff. „So dann möchten sie es wohl übernehmen?“ fragte die Vorgesetzte die Krankenschwester in gebieterischem Tonfall. Hanna schüttelte nur den Kopf. „Nein, ich glaube kaum, dass Florian mich heranlassen würde.“ „Ah, und wen schlagen sie dann vor?!“ „Simon,“ sagte Frau Uhlig ruhig. Gleich drei, Schwester Hanna, die Stationsärztin und Simon blickten Flys Mutter verwirrt an. Diesen plötzlichen Sympathieumschwung konnte Simon einfach nicht nachvollziehen. „Na gut,“ erklärte sich die Medizinerin schließlich einverstanden. „Aber nach Vorschrift, wenn ich bitten darf.“ „Kein Thema,“ meinte Simon und zog sich die Handschuhe an. „Mach ich nicht zum ersten Mal.“ Schließlich hatte er Lukas öfter... Nein. Simon lächelte innerlich. Das war Vergangenheit. ‚Ich sollte in der Gegenwart leben und was geschehen ist geschehen sein lassen,’ dachte er. Vielleicht konnte er so alles wieder in seine Bahnen lenken... Das Zimmer leerte sich. Die Schwestern wollten sich um eine neue Unterbringung für Florian kümmern und auch rau Uhlig gab vor noch etwas besprechen zu müssen. Obwohl Simon ihre Anwesenheit nicht gestört hätte. Doch sie ging von sich aus. Vielleicht war es jetzt an der Zeit Fly loszulassen... „Fly? Darf ich?“ fragte Simon und hielt ihm die behandschuhte Hand entgegen. Fly zögerte. Er hatte Angst. Wovor war ihm selbst nicht richtig klar. Wahrscheinlich davor, dass es nur ein Traum war und Simon ihn gar nicht gerettet hatte. „Komm, ich bin auch ganz vorsichtig, versprochen,“ sagte Simon geduldig und wartete. Fly nickte und reichte ihm schließlich ein wenig zitternd die Hand. Simon lächelte. „Au!!“ Fly zog den Arm etwas zurück. Das Desinfektionsmittel brannte höllisch. „Gleich vorbei...“ meinte Simon und hielt seine Hand mit sanftem Druck fest. Wahrlich eine schmerzhafte Prozedur, doch äußerst notwendig. „So fertig.“ Vorsichtig legte Simon Flys fast gänzlich bandagierte Arme zurück auf die dünne Decke und zog die Handschuhe aus. „Danke,“ flüsterte Fly und hatte Tränen in den Augen. „Hm? Was ist denn? Habe ich dir sehr weh getan?“ Simon setzte eine mitleidig entschuldigende Miene auf. Der Kleine schüttelte den Kopf. „Aber was ist dann?“ Fly schniefte. Es war kein Traum. Simon hatte ihn wirklich gerettet! „Du... bist hier...“ seine Stimme war ein schwach zitterndes Flüstern. Simon verstand nicht, was war denn daran falsch? „Ich konnte... konnte es nur ... kaum glauben!“ „Was? Aber Fly...“ Simon setzte sich zu ihm auf das Bett. Fly tat ihm wahnsinnig leid. Immerhin war es ja nicht seine Schuld, dass es soweit kommen musste. Aber anscheinend war das nötig, um ihm selbst einen klaren Kopf zu schaffen. Simon rückte etwas näher und nahm Fly in die Arme. Beruhigend strich er ihm über die hellen Strähnen. „Es... es... war so ... so hoffnungs...los...“ schluchzte der Kleine. „Ich... hatte...hatte solche Angst... wusste nicht mehr... was ich tun sollte... es... es war... der einzige Weg...“ „Nein, das habe ich dir schon einmal gesagt. Es gibt immer einen anderen Weg... du darfst davor nur keine Angst haben. Leider habe ich dir diesen verbaut. Das tut mir ehrlich leid. Ich war wirklich ein Esel. Vieles was ich gesagt habe, hätte ich besser für mich behalten sollen. Das war so dumm von mir... Damit habe ich nur Schaden angerichtet,“ widersprach Simon. „Als deine Ma bei mir anrief, da dachte ich, ich müsste auf der Stelle tot umfallen. Ich hatte so wahnsinnige Angst um dich Fly,“ er fühlte, dass es genau das war, was Fly jetzt brauchte: wenn er ihm die Wahrheit sagte. Den irgendwie war ihm die Kleine ja doch an Herz gewachsen. „Ich glaube ich hätte nicht gewusst, was ich tun sollte... hättest du das eben wirklich getan...“ Fly lehnte sich an ihn und lauschte Simon. Fast atemlos saß er da und sog jedes Wort auf. Was er da sagte, hätte er sich im Traum nicht vorstellen können jemals von ihm zu hören. „Ich habe lange über alles nachgedacht und mir ist klar geworden, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Einen sehr Großen. Indem ich sagte, ich könnte dir nicht geben, was du möchtest. Das hätte mich fast alles gekostet... alles, was mir so sehr am Herzen liegt...“ Fly war fassungslos. Er wollte Simons Augen sehen. Nicht ohne Mühe gelang es ihm sein Gesicht zu sich zu drehen. Eine Weile sah Fly ihn einfach nur an; seine Hand ruhte auf Simons Wange. „Warum sagst du das alles jetzt?“ fragte er Simon. Der lächelte und nahm seine Brille ab. Vorsichtig strich er mit den Fingern über Flys noch immer leicht gerötete Gesichtsseite. „Das alles tut mir so furchtbar leid,“ antwortet Simon. „Das alles...“ er nahm Flys verbundene Hand in seine und berührte sei leicht mit den Lippen. „... daran bin ich allein schuld“ Fly war sehr überrascht und wurde augenblicklich von seinen roten Flecken regelrecht überfallen. „Ich wollte dir nicht weh tun...“ Ohne weiteres zog Simon den vollkommen irritierten Fly an sich. Der erschrak nun noch mehr, denn plötzlich fühlte er Simons warme Lippen auf seinen. Im ersten Moment überrollten ihn seine Gefühle. Ausgehend von den Lippen breitete sich ein unglaubliches Kribbeln und immense Wärme in seinem gesamten Körper aus. Doch Fly gewöhnte sich langsam an dieses so angenehme Gefühl und verlor sich fast darin. Beinah von allein bewegte er sich dem so zärtlichen Kuss entgegen. Simon lächelte etwas, als er die noch schüchterne Initiative von Fly bemerkte. Er selbst war überwältigt und ihm wurde schlagartig bewusst, dass er Fly doch mehr liebte, als er bisher glaubte. Diese kleine und doch so intensive Berührung hatte sein Innerstes von jeglichem Zweifel befreit. Jetzt wusste er, dass sein Herz allein für Fly schlug, er es nur nie zugelassen hatte. Endlich fühlte such er sich wie von einer langen Krankheit geheilt. Außerdem, wer konnte diesen unbeschreiblich weichen Lippen schon widerstehen? Wie musste Fly sich erst fühlen? Mit dieser Frage in Hinterkopf löste Simon sich sanft und ein wenig widerwillig von ihm. So berauschend es auch war, wollte er ihm nicht zu viel zumuten. Schließlich war Fly noch immer in einer mehr als schlechten Verfassung. „Kannst du mir verzeihen?“ fragte Simon, um sicher zu gehen, und sah in Flys etwas verträumte Augen. Sich vollkommen im Klaren, dass er nicht noch roter werden konnte nickte Fly. „Hab ich doch schon längst...“ Kapitel 11: Neuanfang auf Umwegen --------------------------------- So schnell wie Fly in das große Klinikum gekommen war, wurde er auch wieder entlassen. Simon wirkte auf ihn besser als jede andere Medizin. Zumindest kommentierte es die Stationsärztin bei seiner Entlassung so. Simon und seine Mutter brachten Fly nach Hause, da Frau Uhlig kein Auto besaß und die Entfernung bis zu ihrer Wohnung doch erheblich war. Simon ließ es sich auch nicht nehmen Fly bis vor die Wohnungstür zu begleiten. „Danke fürs Herbringen,“ sagte Fly und klingelte. „Kein Thema. Und wenn was ist, rufst du mich an, ja? Egal wann,“ antwortet Simon. Fly nickte ehrlich. „Okay, wir sehen uns dann in der Schule ...“ bevor er ging, gab er Fly noch einen liebevollen Kuss. Frau Uhlig öffnete bewusst erst, als sie sicher war, dass Simon das Haus verlassen hatte. Auch wenn sie noch lernen musste damit umzugehen, wollte sie Flys neu gewonnenes Glück nicht gefährden. Sie war auch Simon unendlich dankbar dafür, was er für ihren Sohn getan hatte. Zu seiner eigenen Überraschung war Simon es selbst, der nach kaum vierundzwanzig Stunden bei Fly anrief. Doch statt ihm, war es seine Mutter, die abnahm. „Oh, das tut mir leid, aber du hast ihn gerade verpasst. Florian hat sich eben auf die Weg zum Park gemacht,“ sagte sie. Dann wusste Simon, wo er den Kleinen finden würde. Fly fand seine Bank an der Weide besetzt vor. Wenn er nicht so schüchtern gewesen wäre, hätte er die bereits sitzende Person gefragt, ob er sich dazusetzten könnte. Doch so stand er unschlüssig etwas abseits dahinter und drehte den Gurt seiner Gitarrentasche in den Fingern. Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des ‚Bankbesetzers’ aus. „Willst du noch lange da stehen bleiben? Komm schon her, ich werde dich schon nicht beißen.“ „Simon!“ strahlte Fly augenblicklich und traute sich nun doch zu seinem Lieblingsplatz. „Was machst du denn hier?“ Simon grinste. „Was wohl? Ich hab auf dich gewartet.“ „Was, echt? Aber woher wusstest du denn, dass ich hier bin?“ blinzelte Fly. „Tja, ich habe da so meine Quellen,“ sagte Simon und sein Grinsen wurde nur noch breiter. „Jetzt komm schon her,“ er schnappte Fly am Ärmel und zog ihn auf die Bank und gleichzeitig in seine Arme. „Waah!“ „Hab doch gesagt, ich lasse keine Gelegenheit aus, um dich singen zu hören. Außerdem hab ich dich vermisst ...“ „Was?“ staunte Fly und seine Wangen schimmerten ein wenig rot. „Aber wir haben uns doch gestern erst gesehen ...“ „Macht doch nichts,“ meinte Simon und tippte ihm mit dem Finger leicht auf die Nase. „Ich wollte dich eben unbedingt sehen.“ Fly kam gar nicht mehr dazu seine Gitarre auszupacken. Viel lieber saß er einfach nur da und genoss Simons Nähe. Oh man ... seufzte Simon. Wenn er schon jetzt diesen kurzen Entzug von Fly kaum aushielt, musste er wohl wirklich Liebe sein. „Hey Florian!“ schrie Livia durch den gesamten Gang und überfiel ihn regelrecht mit einer Umarmungsattacke. „Man hab ich dich vermisst!“ „Na, nicht so übermütig, wenn ich bitten darf,“ grummelte Simon und zog Fly demonstrativ zu sich. Livia blinzelte von einem zum anderen und wieder zurück. „Wie, Simon?“ sie zeigte mit dem Finger auf ihn und sah dabei Fly fragend an. Sie blickte drein, als stünde gerade ein Außerirdischer in geblümten Unterhosen mit gelben Lockenwicklern als Ohrringen vor ihr. „Tja, der Weihnachtsmann bin ich wohl eher nicht,“ amüsierte Simon sich über den irritieren Blick den Mädchens. Doch nach einer Weile lachte sie wieder. „Mensch, das ist doch mal klasse! Gratuliere Fly!“ zwinkerte Livia. Fly lächelte glücklich zurück und Simon viel jetzt beinah das Gesicht auseinander. „Sag mal woher weißt du denn so gut bescheid???“ Fly kicherte und kuschelte sich an ihn. „Nicht eifersüchtig sein. Ich erklär dir das später, ja?“ versprach er. Fast ausnahmslos wurde Florian von der gesamten Klasse begrüßt. Nur einer schnaubte verächtlich über diesen ‚Zirkus’ und wollte gleich wieder klare Verhältnisse schaffen. In der großen Pause fing Julian Fly ab. Er lauerte ihm zwischen Mensa und Hauptgebäude auf, schnappte sich den wesentlich Kleineren und zerrte ihn um die Hausecke. „...?“ Fly war komplett fassungslos. „Tja, du bist jetzt wohl hier der große Star, was? Mit deinem Simon und der ach-so-traurigen Krankenhausgeschichte!“ fauchte er und hielt Fly gegen die Wand gedrückt. „Ich sag dir gleich, bei mir zieht das nicht! Das ändert rein gar nichts an unserer Beziehung, klar? Das Beste für dich ist, wenn du dich wieder in dein Schneckenhaus verkriechst und da auch bleibst! Glaub mir, das ist viel gesünder für dich!“ „W-was soll das denn? Ich hab doch gar nichts gemacht!“ widersprach Fly wagemutig. Er wollte sich von Julian nicht mehr einfach fertig machen lassen. Doch der sah ihn so giftig an, dass seine Defensive sofort wieder zu blanker Angst zerfiel. Er merkte wie ihm wieder die Tränen in die Augen schossen. Aber er wollte ihm doch keine Angriffsfläche mehr bieten!!! Julian war einfach viel zu gut in seinem Psychoterror. Dagegen hatte Fly kaum eine Chance. „So, und wenn du jetzt noch lange so weiter machst, brauchst du bald ein Schneckenhaus zum verkriechen!“ Simon packte Julian am Kragen und beförderte ihn scheinbar ohne Anstrengung einige Meter von Fly entfernt in die Grünanlagen. Flys Kreislauf war durch seine immense Angst völlig aus der Bahn. Kraftlos sank er auf die Knie und versucht sich selbst zu beruhigen. Simon verfluchte Julian innerlich. „Das hast du ja wieder richtig gut hin bekommen, du Nasenbär!“ beschimpfte er ihn und legte den Arm um Fly. „Selber schuld,“ grollte Julian zur Antwort. „Noch einmal und ich schick dich persönlich auf Nimmerwiedersehen zur Umlaufbahn des nächsten Kometen!“ Simon geriet richtig in Rage. Julian schmollte nur und sah zu wie Simon sich bemühte Fly zu beruhigen. „Man, man, ich versteh dich einfach nicht! Warum kannst du ihn nicht in Ruhe lassen?“ Simon setzte sich neben Fly und legte sich seinen Kopf auf die Oberschenkel. Der Kleine schloss die Augen und versuchte seine Nerven zu beruhigen. Julian beobachtet diesen Vorgang mit unverhohlener Abscheu. Auf Simons Frage hin verschränkte Julian nur die Arme vor der Brust und schmollte. Doch Simon lies nicht locker. „Hast du dir jetzt vor Schreck die Zunge abgebissen oder was?“ „Kanns eben nicht!“ schnappte Julian. „Ach komm! Das nehme ich dir nicht ab! Nur weil Fly, Fly ist kannst du doch nicht so einen fiesen Hass auf ihn haben. Das ist völlig abnormal! Niemand hat eine natürliche Abneigung gegen jemanden, der nicht hundert Prozent seinen Idealen entspricht. Tss, und wenn, dann nenn ich das ziemlich krank.“ Julian blickte ihn finster an. Doch seine Augen waren bei weitem nicht mehr so giftig, wie zu Beginn. „Na und? Ich kann solche Subjekte eben nicht ab!“ „Und warum?“ Julian schmollte wieder. Simon begann die Geduld zu verlieren. „Du setzt dich jetzt her und erklärst es mir, sonst werd ich wirklich ungemütlich! Und du hast das schon einmal erleben dürfen. Allerdings kann ich diesmal dann für nichts garantieren. Gut möglich, dass du dann mehr als nur einen Zahn verlierst,“ drohte Simon und meinte es vollkommen ernst. Der Typ kotze ihn einfach nur an! „Is ja gut,“ Julian hob abwehrend die Hände. „Reg dich ab ...“ Er kam recht eingeschüchtert auf Simon zu und setzte sich seufzend. „So, und jetzt raus damit: Was stört dich an Fly?“ Julian zog die Schultern hoch. „Na ja ... ich... es ist ja nicht, dass ich ihn total verachten würde. Ich mag es eben nicht, wenn Leute glauben ihre Probleme damit lösen zu können, indem sie ihnen aus dem Weg gehen und... sich selbst verletzen. Das ist doch absolut dumm!“ „Ok, du hasst Emos. Alles klar, aber kannst du mir auch verraten warum?“ harkte Simon nach. „... das... ist ne lange Geschichte...“ „Kein Problem, die Pause ist lang genug, um sie zu erzählen.“ Julian blinzelte ihn kurz an. „Na von mir aus...,“ seufzte er erneut. „Ist noch gar nicht so lange her, da ging hier ein Mädchen mit uns in die Klasse. Sie war genauso ein halbes Hemd wie er. Nichts für ungut, Fly,“ setzte er nach, als der Kleine ihn verstört ansah. „Sie hieß Mirijam. Eigentlich war sie eine ziemlich nette normale Schülerin. Bis vor zwei Jahren... Wir bekamen drei Neue, vielleicht erinnerst du dich noch an sie Fly. Finstere Typen... Emos... Mit denen freundete sie sich an und rannte auch ständig mit ihnen rum. Sie veränderte sich. Irgendwann war sie genauso schwarz wie diese Kerle. Hatte auf nichts mehr Lust, schwänzte ständig und so... Hatte damals keinen von uns so richtig interessiert. Bis ich sie schließlich an einem Nachmittag hinter der Sporthalle gefunden habe. Total betrunken...“ Julian machte eine kurze Pause. Die Erinnerung daran schmerzte ihn sehr. „... sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten... Wir hatten das schon länger bei ihr beobachtet. Da war das immer harmlos gewesen. Doch an dem Tag... ich dachte sie wäre tot. Doch der Notarzt konnte sie reanimieren; zum Glück. Seitdem ist sie in einer Spezialklinik... in einer Anstalt,“ Julian schnaubte. Simon nickte. „Und deswegen hast du... ?“ „Ich wollte doch nur, dass Fly nicht auch so endet! Er sollte anfangen sich zu wehren, sollte stärker werden!! Aber ich habe es wohl ziemlich übertrieben... tut mir leid“ Simon überlegte kurz. „Du magst sie,“ sagte er kurzerhand. „Was?“ „Mirijam.“ Julian sah auf seine Hände. „Verdammt Simon! Wie könnte ich nicht?! Sie ist doch meine Schwester!“ Da sah selbst Fly auf. Das hatte auch er nicht erwartet. „Sieh an... Hast du sie denn seitdem schon mal besucht?“ Simon bekam ein leichtes Kopfschütteln zur Antwort. „Warum nicht?“ ohne es zu ahnen hatte Simon da einen empfindlichen Punkt in Julian getroffen. „Na weil… „ setzte Julian an, brachte den Satz aber nicht zu ende. Er konnte es selbst nicht sagen. Noch nie hatte er sich ernsthaft Gedanken darüber gemacht. Seine eigene Ratlosigkeit überbrückte er mit einem einfachen Schulterzucken. „Weiß nicht… ich kann es einfach nicht. Immer habe ich es mir vorgenommen und war auch schon in der Klinik, aber ich habe es einfach nicht geschafft in ihr Zimmer zu gehen. Sie sah so schrecklich aus, als man sie eingeliefert hat.“ „Du hast Angst,“ kommentierte Simon nüchtern. Julian blickte ihn etwas erschrocken an „Ganz ruhig, das sollte keine Beleidigung sein. Aber für mich ist das die einzige plausible Erklärung. Deine Angst Mirijam am Boden zu sehen hindert dich daran ihr als Bruder beizustehen. Stattdessen stempelst du sie als „Subjekt“ ab, das es nicht wert ist, dass man daran denkt. Dafür reagierst du dich hier an Fly ab. Ich muss schon sagen, eine wirklich gelungene Taktik!“ Geschlagen senkte Julian den Kopf. Für Simon eine eindeutiges Zeichen dafür, dass er mehr als Recht hatte. „Klingt hart, was“ Julian nickte. „… und stimmt noch dazu. Aber, was soll ich machen? Fly erinnert mich eben an Miri, mehr als du ahnst.“ „Aber glaubst du damit, dass du hier andere drangsalierst, hilfst du deiner Schwester? Du hilfst nur dir und deinem schlechten Gewissen!“ „Schon möglich…“ „Man, was für eine verfahrene Sache!“ Simon überlegte eine Weile. Irgendwie musste dieses Problem doch gelöst werden! Er hatte es satt ständig wie ein Schießhund hinter Julian herzulaufen! „Pass auf: wir müssen eine Lösung finden, denn das kann so nicht weiter gehen. Das nützt weder Fly und mir, noch dir selbst. Wenn du meine Meinung hören willst, gibt es nur einen Weg,“ sagte Simon. „Du musst einfach deine Angst überwinden und deine Schwester besuchen gehen. Das bist du ihr als Bruder schuldig, egal was passiert ist.“ Julian überdachte den Vorschlag. Ja, das war der einzig richtige Weg. Er war es doch auch leid, immer seine fiese Seite zu zeigen. Um seine Zustimmung zu signalisieren, nickte er nun kurz, aber bestimmt. „Das werde ich wohl müssen…“ „Nein!“ warf Simon herrisch ein und beide, Julian und Fly, fuhren zusammen. „Was denn“ „Nix da mit ‚werde ich müssen’! Du wirst, egal ob du es willst oder nicht! Und wenn ich persönlich dahinter stehen muss!“ Julian wirkte ein wenig eingeschüchtert. „Ja, ist ja gut. Ich werde Mirijam besuchen gehen. Noch diese Woche, versprochen!“ „Ich komme auch mit,“ meldete sich Fly kleinlaut zu Wort. Simon und Julian sahen ihn verwirrt an. „… will doch nur helfen…“ rote Flecken erschienen augenblicklich auf seinen Wangen. Julian lächelte und nahm Flys Hand. „Danke, das bedeutet mir sehr viel,“ meinte er ehrlich. „Hey, Erde an Julian!“ drängte sich Simon energisch dazwischen. „Was?“ „M-E-I-N-S, meins, merk dir das!“ er blickte finster drein und zog den Kleinen sehr bestimmt an sich. „Hm? Oh! Tut mir leid,“ Julian wich etwas zurück und hob abwehrend die Hände. „Ich wollte nicht…“ Fly lachte über Simons kindisch- eingeschnappte Mine „Ich wusste gar nicht, dass du so eifersüchtig sein kannst,“ kicherte er und hatte damit die doch sehr geladene Situation ungemein entspannt - und das auf längere Sicht. Kapitel 12: Die Zeit soll stehen bleiben! ----------------------------------------- „Oh man!“ seufzte Simon und schlurfte träge zur Schule. Eigentlich hätte er sich lieber wieder in sein Bett verkrochen und die nächsten Jahrzehnte verschlafen. Doch leider hatte er da kein Widerspruchsrecht. Es wäre ja alles so schön gewesen, so perfekt. Gerade jetzt, wo er sich seiner Gefühle so bewusst war, musste alles zusammenbrechen! ‚Unfair!’ dachte er und seufzte noch einmal. „Simon!!!“ rief jemand lauthals. Er sah sich um. Fly kam von der Bahnstation winkend auf ihn zu gerannt. Strahlend bremste er, schnappte sich Simons freien Arm und schmiegte sich an ihn. „Einen wunderschönen guten Morgen,“ sagte Fly gut gelaunt; was Simon im Moment gehörig auf die Nerven ging, „Hmmm“, muffelte er und ging weiter. „Simon??“ Fly blinzelte verwirrt. „Hey, bleib stehen! Begrüßt man etwa so seinen Freund?!“ Der Kleine stellte sich ihm in den Weg und sah enttäuscht - trotzig zu Simon auf. ‚Oh mein Gott!’ Simon seufzte innerlich, als er diesen aufmüpfigen und doch so liebenswerten Gesichtsausdruck sah. Unmöglich sich da zurückzuhalten! Simon ging auf Fly zu, zog ihn an sich und verwickelte ihn in einen äußerst intensiven Kuss. Der Kleinere war dermaßen überrumpelt, dass er zu keiner Gegenwehr fähig war. Berauscht seufzte er leise und genoss die sanfte Zuwendung einfach. Diese Lippen… die Zunge… Simon löste sich und blickte Fly verliebt an. „Wow…“ keuchte er von roten Flecken geradezu übersäht. Sein kleines Herz schlug wild gegen seinen Brustkorb und er brauchte etwas bis sich sein Atem normalisiert hatte. „Begrüßung genug?“ fragte Simon etwas schelmisch grinsend. Seine trüben Gedanken waren wie weggefegt. Fly nickte träumerisch. „… daran könnte ich mich glatt gewöhnen.“ „Kein Problem,“ Simon nahm Fly bei der Hand. ‚Der Kleine ist aber auch zu süß!’ dachte er und verwarf seine eigentlichen Pläne. Er genoss es einfach mit Fly zusammen zu sein und zeigt ihm das immer wieder mit liebvollen Umarmungen und dem einen oder anderen Kuss. Ihm war völlig egal, ob man sie dabei anstarrte. So ernst wie es Simon war, wollte er jede Minute mit Fly auskosten. Doch seine hartnäckigen Gedanken konnte er doch nicht ganz aus seinem Kopf verbannen. In der freien Stunde holten sie ihn wieder ein. Er saß mit Fly im Gemeinschaftsraum auf dem Fensterbrett und lies die Zeit einfach vor sich hingehen. Fly hatte sich an ihn gekuschelt und die Augen geschlossen. Innerlich seufzte Simon, als er an den Morgen zurückdachte… ~ Gähnend betrat Simon die Küche. Er hatte schlecht geschlafen, da er am Abend zuvor noch lange mit seine Eltern diskutiert hatte. „Guten Morgen, Schatz“, sagte die Mutter und drückte ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn. „Hm…“, von gut konnte absolut nicht die Rede sein. „Ach Simon, jetzt nimm es doch nicht so schwer.“ „Dann sag mir wie das gehen soll! Gerade jetzt wo alles so gut läuft, da müsst ihr euch versetzen lassen!“ schimpft Simon ohne sich zurückzuhalten. Missmutig stocherte er in seiner Müslischüssel herum. „Simon, die Arbeit ist sehr wichtig“, begann sein Stiefvater, doch Simon hielt es nicht mehr aus. Er knallte den Löffel auf den Tisch und stand auf. „Alles klar! Und was mit mir ist, das ist wohl Nebensache? Ich bin wohl völlig unwichtig?!“ er stapfte aus dem Raum in sein Zimmer und warf sich ins noch zerwühlte Bett. Leika öffnete die Augen. Sie trottete heran, legte den Kopf auf die Matratze und begann Simon die Finger zu lecken. Sie mochte es nicht, wenn ihr Herrchen traurig war. Einige stille Minuten verstrichen. Dann kam die Mutter herein und setzte sich zu ihrem Sohn auf das Bett. „Simon, … ich kann verstehen, was in dir vorgeht, aber es ist leider nicht zu ändern“, begann sie ruhig. „Nicht zu ändern??? Es ist einfach unfair!!!“ rief Simon in sein Kissen. Erschocken schnaubte Leika. „Ja Schatz, aber sieh mal: wir sind doch nicht so weit weg. Du kannst jederzeit herfahren und ihn besuchen…“ „Nein!“ Simon hob gereizt den Kopf. „Genau das ist es! Ich will nicht einfach mal herfahren und Fly besuchen! Ich will ganz hier bleiben!“ Die Mutter sah ihn mitleidig an. „Dann hatte ich also Recht? Du magst Florian doch mehr, als du anfangs zugeben wolltest.“ Simon lies seinen Kopf wieder auf das Kissen fallen. „Ach Simon“, sie wuschelte ihm durchs Haar. „Vielleicht redest du erstmal mit ihm. Florian wird das sicher verstehen. Außerdem sollst du ihn doch nicht für immer aufgeben.“ ~ Pah! Das war doch das Letzte! Wie sollte er Fly bloß klar machen, dass er bereits nächste Woche in eine andere Stadt umziehen musste? Das konnte er nicht, er war sicher, das Fly das nicht ohne weiteres verkraften würde. Simon schlang die Arme um seinen Freund. Fly blinzelte und sah ihn an. Irgendetwas stimmte nicht. „Was ist denn los Simon? Du bist heute irgendwie so anders…“ Simon lächelte. „Tja, ich weiß auch nicht so genau. Mir ist eben heute so danach…. Aber wie könnte ich auch nicht….“ Fly blickte skeptisch. „… wo du doch sooo süß bist.“ Fly wurde schlagartig rot. „Ach Simon…“ ein wenig verlegen kuschelte er sich wieder in seine Arme. Zu Hause herrschte Unordnung. Überall standen Kisten herum und Zeitungspapier folg durch die Räume. Simons Muter war eifrig am Einpacken „Hallo Schatz“, lächelte sie. Simon ging in sein Zimmer und warf den Rucksack auf das Bett. Allein hier war den Umzugstrubel noch nicht angekommen. Simon weigerte sich auch strickt seine Sachen einzupacken. „Simon? Was hat er gesagt?“ seine Mutter stand hinter ihm. Er zog nur sie Schultern hoch. „Hast du überhaupt mit Florian darüber geredet? Simon stand eine Weile regungslos da. Dann schüttelte er den Kopf. „Ach Simon“, die Mutter wollte ihn umarmen, doch er entzog sich. „Ich kann das nicht! Auch wenn Fly es verstehen sollte, weiß ich nicht, ob er damit umgehen kann. Er ist noch immer nicht stabil und will nicht, dass er sich wieder etwas antut… wegen mir….“ „Vielleicht traust du Florian zu wenig zu. Ich denke schon, dass er es verarbeiten kann. Außerdem, je länger du es herauszögerst desto schwerer wird es. Ich kann dir sehr gut nachempfinden, was du durchmachst. Aber meinst du es wird besser, wenn du es verheimlichst? Versuch es doch wenigstens, rede mit Florian. Komm schon Schatz“, redete die Mutter auf ihn ein. Es behagte ihm zwar immer noch nicht, doch am Ende gab Simon nach. Es brachte nichts, die Nachricht noch weiter aufzuschieben. Für Fly würde es ein Rückschlag sein, das wusste Simon. Doch er selbst konnte schließlich dem selbst aufgebauten Druck nicht mehr standhalten. So hoffte er wenigstens die noch verbleibenden Tage mit Fly genießen zu können. „Meinst du nicht auch?“ fragte Simon selbst sehr unsicher. Fly saß zusammengekauert neben ihm auf der Bank. Den Kopf auf die angezogenen Knie gelegt blickte er trübsinnig geradeaus. Die Zweige der alten Weide bewegten sich sachte im Wind. Was er da von Simon erfahren hatte, waren alles andere als gute Nachrichten. Er fühlte sich von der Neuigkeit wie erschlagen. Sein Herz schlug unruhig und hektisch in seiner Brust. Simon würde also in ein paar Tagen wegziehen: das war der Fakt. Fly Verstand und seine Gefühle waren darauf nicht vorbereitet und so konnte er es im Moment auch nicht rational verstehen. Im Augenblick war ihm einfach nur zum Heuen zumute. Simon, seine geliebter Simon würde gehen, einfach so gehen und ihn allein zurück lassen. Ein sehr schmerzlicher Gedanke. „Fly, glaub mir“, Simon nahm ihn in die Arme. „Mich macht das genauso traurig wie dich. Ich wünschte auch ich könnte es irgendwie ändern…“ Fly klammerte sich an ihn und vergrub den Kopf an seiner Brust. Warum war das Leben nur so ungerecht zu ihm? Hatte er nicht wenigstens einmal etwas Glück verdient? Glück, was war das schon? Ein launisches Etwas, das immer nur bei denen zu Hause war, die es sowieso schon in Säcken horteten. Es was einfach unfair! „Du kommst mich doch aber bestimmt ganz oft besuchen?“ fragte Fly leise. Simon nickte und küsste ihn aufs Haar. „Versprochen! Sooft und wann immer du willst. Und ich komme einfach zu dir, wenn ich es nicht mehr aushalte….“ Es war Simons voller Ernst. Egal was seine Eltern dazu sagen mochten, wenn sie ihm schon von hier fortrissen, dann wollte er sich wenigstens dieses kleine Privileg herausnehmen. Koste es was es wolle! Vor Simons Wohnung verabschiedete sich Fly und nahm die Bahn. Am Fenster stehend hatte Simons Mutter die Szene zufällig beobachtet. Auch wenn sie nichts hören konnte, diese Umarmung sagte ihr viel mehr, als es mit Worten überhaupt möglich war. Sie steckte voller tiefer und inniger Zuneigung und Liebe, zeugte aber auch von unendlichem Schmerz. Seufzend wandte sie sich ab und überlegte. ‚Es ist nicht richtig Simon mitzunehmen’, dachte sie. Im Nebenraum hörte sie ihren Mann die Kisten packen. Was konnten sie tun? Die letzen Tage verdingen viel zu schnell. Simon und Fly verbrachten jede freie Minute miteinander. Das Packen überließ Simon seinen Eltern. Beide zählten die Stunden bis zum Abschied. Heute Abend… Fly hatte riesige Angst davor und auch Simon dachte unruhig an den Moment. Er nahte unaufhaltsam. Schweigend standen sie schließlich voreinander und sahen sich einfach nur an. So, als wollten sie sich das Gesicht des Anderen für immer detailgetreu, Millimeter für Millimeter, einprägen und als Erinnerung bewahren. Fly hielt es irgendwann nicht mehr aus und fing an zu weinen. Haltlos strömten die Tränen sein Gesicht herunter. Der Anblick zerriss Simon fasst das Herz. Auch er hasste Abschiede, doch dieser war bei weitem der Schlimmste; er leiß ihn an seine Grenzen gehen. Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt. Selbst noch immer unfähig zu sprechen umarmte er Fly. ‚Simon darf nicht gehen! Ich will dass er hier bleibt!’ dachte Fly verzweifelt und klammerte sich an Simon. „Es tut mir so leid“, sagte dieser. Denn schon wieder war er der Grund für Flys Tränen. Er hatte sich geschworen ihn nie wieder zum Weinen zu bringen, doch heute war das wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Ihm selbst viel es schwer seine eigenen Tränen zurückzuhalten. In diesem so schmerzlichen Augenblick wurde Simon bewusst, wie sehr er Fly eigentlich liebte… „Fly … ich muss los…“ Zitternd ließ der Kleine ihn los. Noch immer liefen die Tränen sein Gesicht herunter. Simon nahm es in seine Hände und sah Fly an. „Auch wenn es schwer ist Fly, aber bitte gib nicht auf! Ich verspreche dir, so schnell ich kann bin ich wieder bei dir!“ Ein letzter Kuss, die letzte Umarmung. Der geräuschvoll heranrollenden Bus zum Bahnhof trennte beide. Er fuhr ab und nahm für Fly alles mit, was er hatte; alle Hoffung, alles was er liebte… „W-was??!“ Simon starrte seine Mutter ungläubig an und konnte es nicht fassen. Doch sie lächelte einfach nur und legte ihm den Wohnungsschlüssel in die Hand. „Aber…!“ „Simon, wir haben es so entschieden, denn auch wenn unserer Arbeit sehr wichtig ist, vor allem hast doch immer du Vorrang. Was nützt uns der Job, wenn du unglücklich bist? Deshalb, bleib du hier und wir fahren der Arbeit nach. Bleib hier am Ort deines Herzens.“ „Kannst du das bitte noch mal sagen?“ Simons Gedanken raßten. „Du darfst hier bleiben“, lachte die Mutter. Stürmisch umarmte Simon seine Eltern. „Danke, danke, danke! Ihr wisst gar nicht, was mir das bedeutet! Ich… wow…!“ er konnte seine Freude kaum in Worte fassen. „Ich weiß Schatz“, sagte die Mutter lächelnd. „Aber jetzt geh, ein weinendes Herz lässt man nicht allein!“ Das lies Simon sich nicht zweimal sagen und rannte los. Am Geländer der Brück lehnend blickte Fly trübsinnig ins graue Wasser des Flusses. Die Fluten suchten sich ihren Weg, fort von ihm und nahmen mit, was am ihnen gab. Seufzend betrachtete er das Bild in seinen Händen. Darauf waren sie beide, Simon und er. Und Leika, die treue Hündin, nicht zu vergessen. Wenn er doch die Zeit zurückdrehen könnte. Noch immer hörte er ihr Lachen und Leikas fröhliches Bellen, als sie über die Parkwiesen rannten. Doch das ist vorbei… „Hm?“ Fly hob etwas den Kopf. Das war doch ein Hund, der da bellte. Als er sich umsehen wollte, wurde er auch schon angesprungen. Freudig mit dem Schwanz wedelnd, wollte der Hund ihm das Gesicht lecken. Er sah aus wie Leika…. Moment! „Leika??? Was machst du denn hier?“ die Hündin bellte einmal zur Bestätigung und wollte Fly erneut bestürmen. Doch der war vollkommen abwesend. Sein Blick hing gefesselt an einer Person, die am anderen Ende der Bücke stand. Die Brille hing ihm etwas schief auf der Nase, das Haar war zerzaust und er versuchte erst einmal wieder zu Atem zu kommen. „Simon??“ Der Angesprochene überwand die letzten trennenden Meter und schloss Fly in die Arme. Der ließ das Bild aus seinen Händen fallen. Der Fluss nahm es auf und trug es mit sich – nahm die Vergangenheit mit, denn Simon war keinen Erinnerung mehr, sondern Realität. „Ich kann doch nicht einfach gehen und dich hier allein lassen“, sagte Simon. „Aber wie…?“ Fly war überwältigt. „Was auch immer bewirkt hat, dass meine Eltern es sich anders überlegt haben…“ vielleicht fand er später noch Gelegenheit alles genauer zu erklären. In Moment zählte nur eins: Fly und seine eigene übergroße Liebe zu ihm. Jetzt sah er sich auch endlich im Stande auszudrücken, was er fühlte. „Du glaubst nicht, wie ich dich vermisst habe. Auch wenn wir nur für so kurze Zeit getrennt waren…. Nie wieder werde ich dich allein lassen! Dafür liebe ich dich viel zu sehr!“ Mit diesen Worten zog er Fly noch enger an sich und küsste ihn, wie er es noch nie getan hatte. Fly war gefallen, doch wieder hatte Simon ihn aufgefangen. Und es war gut so, alles war gut. Epilog: Herzensgeschenk ----------------------- ~Später~ Der November war schon lang vergangen. Die kalten Tage mit Stürmen und Regen waren vorbei und der Sonne gewichen – es war Frühling. Heute war ein besonderer Tag. Simon war schon geraume Zeit auf den Beinen und machte sich in der Wohnung zu schaffen. Alles sollte perfekt sein, denn schließlich hatte Fly heute Geburtstag. Für seinen kleinen Engel war ihm nicht zu aufwändig. Jetzt musste der nur noch aufwachen. Leise schlich sich Simon ins benachbarte Schlafzimmer. Im großen Bett herrschte ein Chaos aus Decken und Kissen – Fly war ein wahres Kuschelmonster und außerdem eine kleine Frostbeule. Schmunzelnd nahm Simon einige der Kissen beiseite und setzte sich auf die Matratze. Zusammengerollt lag Fly und schlief noch tief und fest. Seine zarten Arme hielten eines der Kissen eng umschlungen. In der Nacht war es sein Arm gewesen, den Fly in dieser liebvollen Umarmung gehalten hatte. Simon schüttelte sachte den Kopf. ‚Schlafmütze…’ Er beugte sich über den Kleineren. Sein Atem strich über die helle Haut bevor seine Lippen sie berührten. Sanft küsste Simon seinen kleinen Schatz auf die Stirn und spürte wie er davon langsam erwachte. Er lächelte und fuhr fort Flys Gesicht zu liebkosen. Ein leises grummeln signalisierte Simon, dass dem Traumprinzen partout nicht nach Aufstehen zumute war. Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf Simons Gesicht aus. ‚Na warte…’ dachte er drehte den Kopf etwas zu Seite und nahm Flys Ohr in Angriff. ‚Wenn ihn etwas wach machen kann, dann das!’ Simon schob die hellen Strähnen zurück und küsste Flys Ohr gleich mehrmals. Er wusste wie empfindlich der Kleine dort war. Fly versuchte wieder zurück ins Traumland zu gelangen. Wie konnte man es wagen ihn jetzt schon zu wecken! Wo es doch gerade so schön … „Iiiiiiiiih!“ quiekte Fly, als er die warme Zunge an seinem Ohr bemerkte. Hellwach rollte er sich außer Reichweite und zog sich die Decke schützende über den Kopf. Einen Moment war Simon irritiert, dann musste er lauthals lachen. Missmutig lugte Fly unter der Decke hervor und schmollte. „Du bist gemein! Erst weckst du mich auf so … so… unlautere Art und dann lachst mich auch noch aus! Das ist fies! Und so was will mein Freund sein… also echt!“ empörte sich Fly mit rot gesprenkeltem Gesicht und hatte sich die Hände über die Ohren gelegt. „Ach Fly“, kicherte Simon und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. „Nimm es mir nicht übel. Ich hatte alles erwartet, aber das nicht!“ „… ich übernachte nie wieder bei dir, wenn du so zu mir bist!“ drohte der Kleine. „Komm schon Fly“, Simon ließ sich neben ihn auf das Bett fallen. „War es denn so schlimm, dass du dich unter der Decke verstecken musst?“ fragte er und zog Fly besagte Decke vom Kopf. „Hey!… Na ja … eigentlich nicht, aber du weißt, dass ich da kitzlig bin! Und das auszunutzen ist echt gemein!“ „Ach was ausnutzen. Verrate mir mal wie ich dich sonst wach bekommen hätte?“ Fly überlegte angestrengt, kam aber zu keiner Lösung. Etwas verlegen sah er Simon an. „Siehst du? Komm her du alte Schlafmütze!“ Schneller als Fly reagieren konnte war Simon auch schon wieder über ihm. „Waaah!“ Er wollte sich schon beschweren, doch Simons verliebtes Lächeln kehrten seine Gedanken einfach weg. „Alles Liebe zum Geburtstag, Fly“, sagte Simon feierlich und schenkte seinem Freund einen zarten, innigen Kuss. „Danke“, lächelte Fly verlegen. Als Entschädigung verlegte Simon das Frühstück kurzerhand von der Küche ins Schlafzimmer. Was Fly sehr angenehm war, so konnte er mit Simon noch eine bisschen unter der warmen Decke kuscheln. „So“, sagte Simon, nachdem der letzte Krümel von Flys Teller verschwunden war. „Ich werde das alles jetzt wieder in die Küche schaffen und du ziehst dich an. Wir haben nämlich heute noch was vor.“ Fly blinzelte ihn an. „Wirklich? Ich dachte heute wird ein gemütlicher Tag.“ „Wird er auch noch, warts ab. Aber jetzt zieh dich an, wir müssen in zehn Minuten los“, entgegnete Simon. „Waaaas? In zehn Minuten??? Das schaff ich doch nie!“ Fly sprang augenblicklich aus dem Bett. „Nicht wenn du aufhörst wie ein wilder Affe herumzurennen.“ Entgegen seiner eigenen Prognose standen Fly und Simon bereits nach sieben Minuten an der Bahnhaltestelle. „Wo fahren wir denn eigentlich hin?“ fragte Fly, als sie in der Bahn Richtung Vorstadt saßen. Simon grinste. „Nur nicht so neugierig. Lass dich überraschen!“ Und was für eine Überraschung es war, als beide am großen Eingangsterminal des Flughafens ausstiegen. Flys Mutter wartete schon dort und sie gingen gemeinsam durch die reich bevölkerte Eingangshalle. Simon ging zu einem der freien Schalter. Mit drei Tickets in der Hand kam er zurück. „Na? Was ist das wohl?“ fragte er Fly und wedelte mit den Karten vor seiner Nase herum. „Flugtickets?“ Fly war total aufgeregt. „Und was werden wir dann wohl heute machen?“ „Fliegen!“ jubelte Fly. Sein Begeisterungsausbruch schallte durch die ganze Halle und einige der Vorbeigehenden drehten sich nach ihnen um. Strahlend fiel Fly erst seiner Mutter und dann Simon um den Hals. „Danke danke danke!“ etwas anderes konnte er im Moment nicht sagen. Dafür war er viel zu aufgeregt. An diesem Zustand änderte sich auch später nichts. Während der Wartezeit, dem Einchecken und der Einweisung im Flieger selbst konnte Fly nicht eine Minute still stehen bzw. sitzen bleiben. Hibbelig drehte er sich nach allen Seiten und versuchte so jeden nur erdenklichen Eindruck seines Umfeldes einzufangen. Sein sehnlichster Kindheitswunsch solle heute in Erfüllung gehen: er würde fliegen! Und noch dazu zusammen mit Simon. Seinen Geburtstag hätte Fly sich nicht schöner vorstellen können. „Jetzt bleib doch mal still sitzen!“ beschwerte Simon sich, während er versuchte Flys Sicherheitsgurt nach der Vorschrift anzulegen. Was sich als schier unmöglich erwies, denn der Kleine hüpfte auf dem Sitz ständig hin und her. Einige der Fluggäste um sie herum warfen schon genervte Blicke in ihre Richtung. Haber wir das jetzt den gesamten Flug auszuhalten?“ fragte die Frau neben Flys Mutter. „Das kann ich leider nicht sagen. Aber es könnte schon sein. Es ist sein erster Flug...“ antwortete Frau Uhlig etwas verlegen. „Ach so, na dann. Hoffentlich schlägt diese Vorfreude nicht in Flugangst um.“ „So geschafft!“ seufzte Simon, nachdem er den Gurt um Flys Hüfte geschlossen hatte. Er war dabei ziemlich ins Schwitzen gekommen. „Och menno!“ schmollte Fly. „Was heißt hier ‚och menno’? Schließlich soll nur das Flugzeug fliegen und du nicht auch noch durch das Flugzeug segeln.“ „Aber jetzt kann ich gar nicht mehr alles sehen!“ „Du wirst schon noch genug zu sehen bekommen. Immerhin darfst du am Fenster sitzen. Komm schon Fly, jetzt entspann dich mal. Sonst kriegst du doch von allem nur die Hälfte mit,“ sagte Simon und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Fly nickte und versuchte seine Ungeduld zu zügeln. Nach einer kurzen Einweisung und der Begrüßung des Piloten und der Crew ging es auch schon in Richtung Startbahn. Ein wesentlich größerer Flieger rollte vor ihnen her und nahm Tempo auf. Staunend beobachtete Fly wie der Kollos immer schneller wurde und schließlich reibungslos abhob. Das Fahrgestell wurde eingeklappt und auf richtiger Höhe angelangt drehte die Maschine schließlich ab und verschwand aus seinem Sichtfeld. Beeindruckt sah Fly noch eine Weile auf die Stelle, wo das Flugzeug zuletzt gewesen war. „Und? Nervös?“ fragte Simon, dem die leichte Skepsis in Flys Blick nicht entgangen war. Der Kleinere schluckte und neigte leicht den Kopf. „Keine Sorge,“ Simon nahm Flys Hand, als ihre kleine Maschine auf die breite asphaltierte Bahn einlenkte, einen Moment dort verharrte und dann schließlich anrollte. Fly realisierte das enorme Tempo und verstärkte verunsichert den Druck auf Simons Hand. Dass sie abhoben bemerkte Fly daran, dass es ihn von allen Seiten zusammenzudrücken schien. In seinem Bauch kribbelte es unangenehm und seine Ohren waren mit einem Schlag zu. „Hey, sieh mal nach draußen,“ forderte Simon ihn auf. Fly hatte gar nicht bemerkt, dass er beim Start die Augen geschlossen hatte. Jetzt öffnete er sie wieder und blickte links aus dem kleinen ovalen Fenster. Der Anblick lies ihn die Augen noch weiter aufreißen. Mit leicht geöffnetem Mund sah er gebannt hinaus. Der Flughafen und die angrenzende Stadt waren schon so geschrumpft, dass er sich wie ein Riese vorkam. Alle Autos, Bahnen und Flugzeuge sahen wie Spielzeuge aus; von den winzigen Punkten, welche die Menschen sein sollten, ganz zu schweigen. Er war vollkommen überwältigt. Wolken zogen an dem kleinen Fenster vorbei und wurden von der Tragfläche regelrecht zerschnitten. Es wurden immer mehr, bis der Flieger schließlich in eine wahre Wolkenbank eintauchte. Als sie auch diese hinter sich gelassen hatten bot sich Fly ein Anblick, der alles übertraf, was er bisher gesehen hatte. Die Sonne strahlte von einem fast unnatürlich blauen Himmel und unter ihnen erstreckte sich ein Meer aus weißen Wolken. An einigen Stellen war dieser Teppich unterbrochen oder wurde von einem dunkleren Wolkenturm überragt. Es sah aus als wären sie auf einem anderen Planeten gelandet. „Ich hoffe das beantwortet deine Frage danach wie es über den Wolken aussieht,“ sagte Simon mit einem Lächeln. Flys Gesicht flog ihm gerade so zu. Jetzt musste Simon erstmal nach Luft schnappen. Denn so glücklich hatte er ihn noch nie gesehen. Fly strahlte und seine Augen funkelten. „Danke...“ mehr brachte er nicht heraus. Doch das reichte völlig. An seinen über alles geliebten Simon gekuschelt genoss Fly den Rest des Fluges und sah still und selig aus dem Fenster. Jetzt erlebte er den bisher schönsten Tag in seinem Leben. Nach dem durchaus sehr gelungenen Tag und einem gemütlichen Nachmittag bei Flys Mutter machten sich sie sich gemeinsam auf den Nachhauseweg. „Das war wirklich der schönste Geburtstag, den ich bisher erlebt habe,“ sagte Fly ehrlich. „Freut mich, wenn es deinen Vorstellungen entsprochen hat.“ Simon schloss die Wohnungstür auf. „Vorstellungen?“ Fly ging hinein und zog sich die Schuhe aus. „Nicht mal in meinen schönsten Träumen habe ich mir das so vorgestellt! Es war einfach... überirdisch!“ „Wenn du das schon als so überirdisch empfunden hast, was hältst du dann davon?“ fragte Simon und zog Fly zum Wohnzimmer. Dort war alles völlig anders, als es Fly vom Morgen in Erinnerung hatte. Der Tisch stand in der Mitte des Raumes und war mit einem blütenweißen Tischtuch bedeckt. Darauf standen glänzende Teller, Gläser und Besteck. An einer Seite Sah Fly einen unglaublich großen Strauß roter Rosen, an welchem er nicht umhin konnte zu riechen. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein durchsichtiger Kühler gefüllt mit Eis und einer dunkelgrünen Flasche. Neben dem Tisch standen zwei mannshohe Kerzenständer mit weißen Kerzen, welche Simon gerade entzündetet. Sie rückten das Ensemble in ein warmes, angenehm ruhiges Licht. Gleichzeitig beleuchteten sie den Boden um sie herum. Der war, in einem Kreis um den Tisch herum, dekoriert mit dunkelroten Blütenblättern. Wie in einen Traum versetzt stand Fly da und bekam kein Wort heraus. „Setzt dich einfach, den Rest mache ich,“ rief ihn Simon zurück in die Realität und bot ihm einen der beiden Stühle an. Wortlos folgte Fly dieser Aufforderung. Aus der Küche holte Simon zwei weitere zugedeckte Teller und servierte. Schwungvoll hob er die silbern glänzende Abdeckung und offenbarte das Menü des Abends: Nudeln nach Art des Hauses. „Nicht wie im vier Sterne Restaurant, aber ich hoffe das tut es auch,“ kommentierte er und setzte sich ebenfalls. Fly hatte sein Lächeln wieder gefunden und damit auch seine Sprache. „Ob vier Sterne oder nicht, ist doch egal. Ohne die passende Gesellschaft verlieren sie an Bedeutung. Mit einem Menschen der einem viel bedeutet ein einfaches Essen zu genießen, das ist vier Sterne wert,“ meinte Fly offenherzig. „Das hast du sehr schön gesagt. Aber lass uns nicht länger warten, ich sehe doch dass du am Verhungern bist.“ Fly grinste; das ließ er sich nicht zweimal sagen. „Lecker!“ schmatzte Fly und fragte sich noch immer, wie Simon das geschafft hatte. Wo er doch den ganzen Tag mit ihm zusammen war. „Echt? Zeig mal,“ antwortete Simon und mopste sich provozierend eine der letzten langen Nudel von Flys Teller. „Hey!“ beschwerte Fly sich. Simon lächelte verschlagen und nahm das eine Ende der Nudel in den Mund. „Hm... hol sie dir doch wieder...“ Fly blinzelte und verstand den Wink. Er legte seine Gabel beiseite und beugte sich über den Tisch. Von Simon ließ er sich das noch freie Ende der Nudel geben. „Mal sehen wer schneller ist,“ forderte Simon mit einem Funkeln in den Augen erneut heraus. Doch aufgrund der enormen Länge der Nudel gab Fly irgendwann ermüdetet auf. Auch wenn zum Gewinn nicht mehr viel fehlte. Simon witterte seine Chance und überwand die letzten trennenden Zentimeter spielend. „Gewonnen...“ schmunzelte er, lehnte sich noch eine Winzigkeit vor und berührte sanft Flys zart rosige Lippen. Zuerst war er überrascht; doch nur kurz. Hatte er doch geahnt worauf Simon hinaus wollte. Willig ergab sich Fly in den Kuss. „Hast du noch Hunger?“ fragte Simon nach einer Weile, denn nach seiner List hatte Fly den Rest seines Essens kaum mehr für wichtig erachtet. Auf sein Kopfschütteln hin räumte er das Geschirr wieder in die Küche. Als er zurück kam stand Fly am Blumenstrauß, hatte sich eine Rose herausgenommen und schnuppere daran. Fly war glücklich – unendlich glücklich. Er sah auf, als er von hinten umarmt wurde. Er lehnte sich an Simon und sah verträumt in die Flamme einer der Kerzen. „Was denkst du gerade?“ wollte Simon wissen. Fly ließ sich etwas Zeit mit seiner Antwort. „Ich denke, dass ich der glücklichste Mensch auf der Welt bin. Nicht nur weil es mir im Moment so gut geht, mir warm ist, ich mich satt essen konnte... Am meisten weil ich das unglaubliche Glück habe hier zusammen mit dem allerbesten, lustigsten, freundlichsten und liebenswertesten Menschen sein zu können der mir je begegnet ist ... meinen Geburtstag mit der Person feiern zu können... die ich mehr als alles auf dieser Welt liebe...“ Fly kuschelte sich noch ein bisschen mehr an Simon. „Wow... so viel auf einmal... da werde ich ja glatt verlegen...“ Fly lachte. „Du und verlegen? Das will ich sehen...“ „Glaub es ruhig...“ Fly drehte sich um und sah Simon ins Gesicht. Tatsächlich erkannte er da eine Färbung auf Simons Wage, die eigentlich eher typisch für ihn selbst waren. Ein leises Lachen konnte sich Fly nicht verkneifen. Das war einfach zu untypisch für Simon. „Lach du nur. Wenn du wüsstest was mich das für Arbeit gekostet hat, damit du mir jetzt solche Komplimente machen kannst. Und noch ist ja dein Geburtstag nicht zu ende...“ „Hm? Was soll denn jetzt noch kommen? Simon du machst mich neugierig...“ Die Verlegenheit verschwand und Simons fast schon triumphierendes Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht. Er nahm Fly die Rose ab. „Warts nur ab...!“ Damit klemmte er sich den Stängel der Rose zwischen die Zähne und nahm Fly im wahrsten Sinn auf die Arme. Jeglichen zaghaften Protest ignorierend trug Simon seinen kleinen Schatz in Richtung noch immer leicht chaotischem Schlafzimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)