The Exam Called Life von Aranori ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Die Mitchells waren eine wohlhabende Bänkerfamilie, und das sah man ihrem Haus auch an. Es war riesig und hatte einen überdimensionierten Garten vor und hinter dem verwinkelten Gebäude, aus dem Musik drang. Eleanor schlängelte sich zwischen den parkenden Autos durch, die allesamt Anthonys Kumpels gehörten. Eines sah schicker und teurer aus als das Nächste. Wie gut, dass niemand sie in dem alten Capri ihres Dads gesehen hatte. Der säuberlich gepflasterte Weg zum Haus war von kunstvoll geschnittenen Pflanzen umsäumt, aus denen das matte Licht kleiner bunter Partyleuchten schien. Es sah mehr als einladend aus. Eleanor erklomm die Steinstufen zum Eingang, das schöne schmiedeeiserne Geländer betrachtend, und positionierte sich mittig vor die Tür. Sie richtete ihre Frisur und klingelte. Es dauerte einige Sekunden, bis ihr geöffnet wurde. „Hi, Eleanor! Schön, dass du hier bist!“ Da stand Anthony mit einem warmen Lächeln im Gesicht, das blütenweiße Hemd salopp aus den Jeans gezupft. Bevor sie überhaupt antworten konnte, sprach er weiter: „Komm doch rein!“ Er hielt ihr die Tür weiter auf, damit sie eintreten konnte. Eleanor war geplättet von dem Luxus, der ihr von allen Seiten entgegenglänzte. Alles war auf Hochglanz poliert: sie bewegte sich auf einem weißen Marmorboden, von der Decke hing ein opulenter Kronleuchter und die kleinen Möbel waren aus feinstem Holz. Von der großen Diele, deren Wände mit allerlei Gemälden behangen waren, führte eine ausladende Treppe ins obere Stockwerk. Ein Pärchen, das sich ebenfalls im Eingangsbereich des Hauses tummelte, warf neugierige Blicke nach oben. Als sie ihre Füße gemeinsam auf die unterste Stufe setzten, dröhnte Anthonys gebieterische Stimme durch den Raum: „Na na na, wollt ihr das wohl sein lassen? Da ist Tabuzone!“ Erschrocken wichen die beiden von der Treppe zurück, als ob der Läufer auf den Stufen versucht hätte, sie zu beißen. Mit einem entschuldigenden Grinsen in Anthonys Richtung und einem gezischten „Ich hab's dir doch gesagt!“ von Seiten des Mädchens verschwanden sie im Wohnzimmer. Anthony schüttelte den Kopf. „Die denken, die dürften überall Kinder machen, sogar auf dem Klo“, seufzte er. Eleanor zwang sich zu einem zustimmenden Lächeln. Sie fand seine Ausdrucksweise etwas gewöhnungsbedürftig. Außerdem war sie ein wenig schockiert über die Tatsache, dass anscheinend schon mehrere Gäste versucht hatten, irgendwo hier im Haus intim miteinander zu werden. „Du siehst unglaublich aus“, bemerkte Anthony und riss Eleanor damit aus ihren Gedanken. „Danke“, hauchte sie und errötete. Sie ließ sich von ihm ins Wohnzimmer führen. Von hier kam die Musik, und hier saßen und standen auch die meisten Gäste. Sie quatschten laut, um die Musik zu übertönen, kreischten und lachten. Es war ein dissonantes Durcheinander aus Stimmen. Die Mädchen und Jungs, die nicht sprachen, lagen zusammengekuschelt auf den kleinen Sofas oder ersetzten die gesprochene Konversation durch Küsse. Draußen auf der Terrasse konnte Eleanor noch mehr Leute ausmachen. Dort wurde geraucht und einige Mädchen ließen sich ohne größeren Widerstand von den Jungs in voller Montur in den Pool schmeißen. „Sekt?“, fragte Anthony. Er hielt ihr ein Tablett hin, das voll war mit eleganten Sektkelchen. „Nein, danke“, winkte sie ab, „hast du Cola da?“ „Klar!“, nickte er, etwas enttäuscht. „Warte hier, ich hole dir welche.“ Eleanor hatte Gelegenheit, die Gesamtlage etwas genauer zu analysieren. Seine Frage nach ihrem Getränkewunsch hatte sie darauf aufmerksam gemacht, dass nahezu jeder Gast ein Glas mit der sprudelnden Flüssigkeit bei sich trug oder vor sich auf dem Tisch stehen hatte. Und wo keine Gläser standen, tat sich das Partyvolk an Flaschen gütlich, in denen sie Bier vermutete. Sie war empört und enttäuscht zugleich. Sie hatte zwar kein ruhiges Herumsitzen in kleiner Runde erwartet, aber dass so hemmungs- und sorgenlos mit Alkohol umgegangen wurde, störte sie doch ungemein. Zumindest hielt sich die Ausgelassenheit noch in dem Maße in Grenzen, dass sie sich keine Sorgen darum machen musste, von einer wild tanzenden Meute zertrampelt zu werden. Anthony erschien wieder an ihrer Seite, mit einem großen Glas Cola in der Hand. „Versprichst du mir, wenigstens um Mitternacht mit anzustoßen?“, fragte er und schaute erwartungsvoll drein. Wenn es so etwas wie den berüchtigten Hundeblick gab, dann beherrschte er ihn. Aber Eleanor blieb hart. Sie schüttelte den Kopf. „Ach, komm schon!“, drängelte Anthony. „Ein kleines Schlückchen kann dir nicht schaden.“ „Mal sehen“, sagte sie. Das war eine unverbindliche Antwort, die ihn zufrieden zu stellen schien. Er zog sie mit sich auf ein freies Sofa und lächelte sie dabei übertrieben an. Machte sie ihn etwa unsicher? Es folgten einige schweigsame Minuten, in denen beide überall hinschauten, nur nicht in das Gesicht des anderen. Grund genug, die nervige kleine Stimme in Eleanors Kopf auf den Plan zu rufen. „Was soll das denn bitte?“, herrschte sie das Mädchen an. „Er sitzt neben dir, ihr seid unter euch. Tu was!“ „Ähm ...“, begann nun ihre richtige Stimme, „... schön habt ihr es hier.“ Verlegen nippte sie an ihrer Cola. Das fing ja gut an! „Ja“, stimmt Anthony ihr zu und streckte seine langen Arme aus. Als er sie wieder senkte, legte sich einer davon auf Eleanors Schulter. Die Berührung ließ sie erschauern. „M-magst du mir mal den Garten zeigen?“, stammelte sie. Sie brauchte tatsächlich etwas frische Luft, aber auch Zeit, um seine übermäßige Anhänglichkeit zu verarbeiten. Es war ihr außerdem nicht entgangen, dass die beiden immerzu von den anderen beobachtet wurden. Getuschelt wurde höchstwahrscheinlich auch wieder. Aber etwas Gutes hatte Anthonys ständige Anwesenheit: es würde sich niemand mit einer feindseligen Absicht an Eleanor herantrauen. *~*~* Der Garten hinter dem Haus war noch prachtvoller als der Vorgarten. Die Beete waren überladen mit riesigen Rosensträuchern, die in voller Blüte standen, und anderen bezaubernden Blumen. Dazwischen ragten verschnörkelte Laternen aus der Erde, die Eleanor an die typische Straßenbeleuchtung in Paris erinnerten. Es sah aus wie im Märchen, so unwirklich. Um sich zu vergewissern, dass es kein Traum war, berührte sie eine der zahlreichen Rosenblüten. Sie war weich wie Seide und verströmte einen Duft, den sie an einer so zierlichen Schöpfung der Natur nie vermutet hätte. „Gefällt es dir?“ Anthony stand dicht hinter ihr und schaute ihr über die Schulter. Sie befanden sich abseits der kreischenden Gäste, die sich weiterhin zum Spaß in den Pool warfen. „Ja, sehr“, antwortete sie leise. „Es ist wunderschön hier.“ „Das freut mich.“ Es herrschte eine Stimmung, die Eleanor nicht beschreiben konnte. Es lag Romantik in der Luft, die beiden standen allein, geschützt vor den Blicken der anderen, und doch war es eine beklemmende Situation. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Aber war es nicht am besten, einfach abzuwarten? Anthony schien dasselbe zu denken. Er betrachtete die Flasche in seiner Hand und stellte fest, dass sie leer war. „In deinem Glas ist auch nichts mehr“, sagte er und nahm es dem Rattenmädchen ab. „Ich hol uns noch was. Du kannst dich ja derweil noch weiter umsehen.“ Mit einem herzerweichenden Lächeln drehte er sich um und marschierte stolzen Schrittes aufs Haus zu. Eleanor bemerkte, dass er ganz leicht wankte. Er war auf jeden Fall angeheitert, und sie hoffte, dass er den Beginn seines Geburtstages noch einigermaßen mitbekommen würde. Wie vorgeschlagen schlenderte sie weiter durch den atemberaubenden Garten und ließ die zart beleuchtete Farbenpracht auf sich wirken. Sie hatte sich gerade einem interessanten Arrangement von Chrysanthemen zugewandt, als es vor ihr in den Hecken raschelte. In Erwartung einer streunenden Katze beugte Eleanor sich weiter vor, um die Quelle des Geräusches zu erkunden. Doch statt eines Stubentigers schlugen sich urplötzlich drei ihr wohlbekannte Gestalten durch die Büsche: Preena, Celeste und Hannah. Eleanor stieß einen spitzen Schrei aus und machte sich zur Flucht bereit, doch die Mädchen waren schneller. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte Hannah schon ihre Arme ergriffen, während Celeste sie zeitgleich an den Füßen packte und damit vom Boden riss. „HIL-!“, rief Eleanor, doch Preenas Hand legte sich blitzschnell auf ihren Mund. Die junge Ratte versuchte, ihrer Todfeindin in die Finger zu beißen, aber deren andere Hand klatschte ihr so heftig ins Gesicht, dass ihr der Mut dazu verging. „Du kleines Miststück hast ordentlich Spaß auf der Party, die eigentlich unsere Showbühne sein sollte, hm?“ Preenas Stimme hatte einen bedrohlichen Ton angenommen. Voller Hass blickte sie auf das verängstigte Mädchen hinunter. „Mir wird schlecht, wenn ich dich nur ansehe. Läufst hier herum, als wärst du das Anbetungswürdigste, was dieser Planet je gesehen hat. Sind die überhaupt echt oder hast du da was reingestopft?“ Ohne dass sie Eleanor antworten ließ, hatte Preena schon ihre kurzen Finger ausgestreckt und sie auf den Busen ihrer Gefangenen gelegt. Sie drückte zu, so fest, dass das Rattenmädchen vor Schmerz in Preenas Hand stöhnte. Sie kickte aus, wollte sich mit ihrem Absatz aus Celestes Griff freitreten, aber es gelang ihr nicht. Verzweiflung stieg in ihr hoch. Wo war Anthony? „Wenn wir schon nicht auf dieser Party sein dürfen, dann machen wir einfach unsere eigene. Und rate mal, wer unser Überraschungsgast ist ...“, flötete Preena. Was um alles in der Welt hatten sie vor? „Na los, komm mit! - Ach, ich Dummerchen!“ Sie sah Eleanor bemitleidend an und fügte hinzu: „Unsere Majestät muss ja getragen werden!“ Sie nickte ihren Freundinnen zu und sie hoben die wehrlose Ratte vom Boden an und auf die Hecke zu. Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass doch endlich Hilfe herbeieilen möge. „Was beliebt es eurer Majestät, auf ihrer Party zu tun? Vielleicht ein Sektlein schlürfen, während sie ihrer Gefolgschaft dabei zusieht, wie sie sich vor dem Hofstaat zum Narren macht?“, spie Preena. „Oder möchtet ihr lieber in einer geselligen Runde von Jünglingen begafft werden?“, schlug Hannah vor und kicherte nervös. „Oder wie wäre es -“ Weiter kam Celeste nicht, denn ein beachtlicher Schatten hatte sich über die Mädchen gelegt und ließ eine Stimme ertönen, die allen Anwesenden - einschließlich Eleanor - das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Wo wollt ihr denn hin?“ Sie schaute auf und die Erleichterung legte sich augenblicklich über sie: es war Anthony. Gott sei Dank, dachte sie. Er stellte seine Bierflasche und das Glas mit Cola ab und schritt langsam auf die seltsame Kidnapping-Szene zu. Eleanor wurde unsanft fallen gelassen. Dankbar sah sie ihren Retter an, doch der hatte nur Augen für Preena und ihre Freundinnen. Er schwankte immer noch etwas, und seine Stimme war erheblich lauter als noch zu Beginn des Abends, als er die Mädchen anblaffte: „Was habt ihr auf meinem Grundstück zu suchen?! Hab ich euch nicht verboten, herzukommen?!?“ Die Drei stotterten unzusammenhängende Wortfetzen und zeigten dabei mit den Händen auf die jeweils anderen beiden, so als wollten sie jegliche Schuld von sich schieben. „RUHE!“, schrie Anthony. „Das ist meine letzte Warnung an euch! Wenn ich euch noch ein einziges Mal dabei erwische, wie ihr Eleanor zu nahe kommt, dann könnt ihr eure letzten Gebete sprechen!! Und jetzt schwingt eure verdammten Ärsche aus meinem Garten!!!“ Er griff nach seiner Bierflasche und zielte damit in die Richtung der Mädchen. Sie kreischten unkontrolliert los, waren sich aber nicht einig, ob sie wieder durch die Hecke oder durch den Garten verschwinden sollten. Anscheinend ging Anthony das alles nicht schnell genug, denn er holte aus und schmiss seine Flasche auf die hysterischen Mädchen. „VERPISST EUCH ENDLICH!!!“, brüllte er aus vollem Hals. Diese Aufforderung verstand Preena, denn sie rannte los und zerrte ihre Kumpaninnen mit sich, so schnell sie konnte. Anthony atmete schwer, als er sich mit hochrotem Gesicht zu Eleanor umdrehte. Sie hatte die ganze Szene fassungslos mit angesehen und konnte auch jetzt, als die Gefahr gebannt war, kein Wort von sich geben. Der Schock saß zu tief. „Du brauchst ab Montag einen Bodyguard in der Schule“, sagte Anthony und schaute das sprachlose Mädchen neben sich selbstzufrieden an. Er war ganz offensichtlich erbaut von seiner Rettungsaktion, doch Eleanor war immer noch nicht zu einer Reaktion fähig. Ihre Gefühle spielten vollkommen verrückt. Sie sollte ihm dankbar sein, ihm in die Arme fallen, ihm vielleicht einen leidenschaftlichen Kuss geben, der ihn in seiner Heldenposition bestätigte, aber das erschien ihr nicht richtig. Sie war wie erstarrt angesichts der Aggressivität, die Anthony unter Alkoholeinwirkung an den Tag legte. Reagierte er gar immer so, wenn ihn etwas aufregte? „Alles OK?“, fragte er, als er ihr kreidebleiches Gesicht sah. Eleanor schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf. Sie fühlte sich arg unwohl. Nicht nur wegen des plötzlichen Auftauchens von Preena und ihren Freundinnen, sondern auch wegen Anthonys Ausraster. Er machte ihr Angst. Immerhin war er ein Riese und konnte selbst in nüchternem Zustand austeilen, wie Eleanor ja bereits in der Schule erfahren hatte. Schnell nahm sie einen großen Schluck aus dem Glas, das er ihr wieder aufgefüllt hatte. Selbst das Getränk schmeckte in diesem Moment scheußlich. „Lass uns lieber wieder reingehen“, sagte Anthony und hickste. „Das wird dich ablenken.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)