Schall und Rauch von Ryu-Stoepsel (Which path will you choose?) ================================================================================ Kapitel 24: ------------ Glinda befand sich irgendwo. Irgendwo, wo es nebelig war und es war niemand da. Aber gleichzeitig war es auch laut. Viele bunte Lichter. Viele Stimmen. „DONG… DONG… DONG… DONG…“ Glindas Kopf dröhnte. „DONG… DONG… DONG…“ Sie öffnete die Augen und sofort fielen sie wieder zu. „DONG… DONG… DONG…“ Leiste stöhnte sie auf. „DONG.. DONG…“ Um sie herum wurde es wieder dunkel. Aber diesmal lag es nicht an ihr. Erneut öffnete sie die Augen. Sehen oder erkennen konnte sie kaum etwas, außer ein Paar verschwommenen hellen Punkten. Die zierliche Frau versuchte sich, zu erinnern… ‚Angst… der Wein… Ramón.’ Die Panik stieg wieder in ihr hoch. Sie versuchte, Arme und Beine zu bewegen. Ihre Beine rührten sich, dafür aber ihre Arme. Mit ihrem rechten Arm langte sie nach oben und wischte sich mit der Hand einen dünnen Speichelfaden aus dem Mundwinkel. „Sssshhh…“, machte es ganz nah an ihrem Ohr. Verwirrt versuchte sie den Kopf zu drehen. Ihre Kraft reichte nicht aus. Sie spürte, dass ihr Körper kämpfte und ließ ihn gewähren. Sie lauschte den Geräuschen um sich und wartete darauf, dass ihr glasiger Blick klarer wurde. Noch nie in ihrem leben war ihr so übel gewesen. Nicht einmal bei der quadlingischen Grippe, die sie sich mit 14 Jahren aus Versehen eingefangen hatte. „Meine lieben Gäste!“, ertönte eine Stimme und Glinda konnte sie schon wieder identifizieren. Es war die Stimme des Veranstalters. Sie war also noch auf dem Ball. ‚Ich bin nicht alleine!’, dachte sie etwas erleichtert. „Nun ist es Zeit, die letzte Überraschung für diesen Abend zu enthüllen, auch, wenn ich Ihre wundervollen Tänze ungern unterbreche. Da es anscheinend eine kurze Regenpause gibt, bitte ich alle Gäste, sobald ich zu Ende gesprochen habe, nach draußen zu gehen. Der oder die Spenderin dieser wundervollen Überraschung möchte nicht genannt werden. Dennoch bitte ich um einen Applaus!“ Die Menge klatschte und strömte sogleich nach draußen. Glinda fühlte, wie sie hochgezogen wurde. Ihr Arm lag um den Hals eines anderen Menschen, der sie nun mitschleifte. Dann konnte sie noch einen anderen Menschen fühlen, der sie nun von der anderen Seite aus stützte. Sie war sich sicher, dass es zwei Männer waren und irgendeiner von ihnen war bestimmt Ramón. Glinda überkam eine Welle der Übelkeit, doch sie bekämpfte sie erfolgreich. „Sie muss aufwachen!“, flüsterte der Mann an ihrer linken Seite. „Gleich…“, kam es von ihrer rechten Seite. Sie versuchte, einen Fuß vor den anderen zu setzen und bis auf ein paar Aussetzer klappte es auch ganz gut. Das Gehen brachte ihren Kreislauf wieder in Schwung, ihr Blick wurde klarer und sie konnte die Dinge wieder erkennen. Sie blickte nach rechts und sah Ramóns Profil. Dann wanderte ihr Kopf nach links und… „Orez?“, nuschelte sie verwirrt. „He, Ramón!“, zischte der Angesprochene und deutet mit dem Kopf auf die schlaff in den Armen der Männer hängende Blondine. Ramón nickte und sie gingen als letzte durch das Tor der Eingangshalle ins Freie. Glinda inhalierte die frische Luft und merkte, wie sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete. Als sie wieder einigermaßen gescheit gehen konnte, ließ Orez sie los und beugte sich runter zu Ramóns Ohr: „Ich warte an der Kutsche!“ Der blonde Mann nickte nur. Glinda wollte sich befreien und versuchte, ihren rechten Arm zu bewegen. Ramón hatte seine linke Hand auf Glindas Hüfte gelegt und mit der rechten hielt er Glindas Hand im festen Griff. „Lass mich los!“, zischte die junge Frau wütend. Ramóns Griff wurde fester. Glindas Handgelenk fing an zu schmerzen. „Lass mich los!“, fauchte Glinda nun, etwas lauter mit schmerzverzogenem Gesicht. Blitzartig stellte sich eine Frau vor Glinda, sodass die Menschen, die sich nun aus Neugierde umgedreht hatten, nichts erkennen konnten. Die Stimme des Veranstalters lenkte ihre Aufmerksamkeit jedoch wieder nach vorne auf das Geschehen. Glinda blickte ungläubig in das Gesicht der Frau: „DU!“, zischte sie. „Noch ein Sterbenswörtchen, und deine Elaine hat nicht mehr lange!“, flüsterte diese ganz gelassen und hielt zum Beweis Elaines Perlenkette in die Höhe. „Nein…“, wimmerte Glinda. Ramón drückte sie brutal mit einem kurzen Ruck an sich und zischte: „Halt den Rand und sieh dir das an!“ Wieder überfiel Glinda eine Welle von Übelkeit, doch sie gab nicht nach. Stattdessen blickte sie nun hoch. Auf einem Podest, um welches sich die Menschenmenge im Halbkreis gestellt hatte, stand ein riesengroßes Etwas, bedeckt mit einem dunkelgrauen Leinentuch. „Et voilà!“, schrie die Stimme des Veranstalters und das Leinentuch wurde heruntergerissen. Im gleichen Augenblick hatte jemand Lichter um dieses riesige Etwas gezaubert. Glinda konnte nichts erkennen. Sie hörte, wie die Menge raunte und staunte, Luft einsog und pfiff, wie Applaus startete und in ein lautes Getöse von Rufen und Schreien überging. Die Euphorie war spürbar für jeden, der nah genug an der Menschenmasse stand. „Was für ein fabelhaftes Mitternachtsgeschenk!“, schrie ein Mann in den hinteren Reihen und erntete damit erneuten Applaus. Nachdem so gut wie jeder seine Bewunderung preisgegeben hatte, schlenderten die Menschen schwatzend erneutem plötzlichen Einsetzen des Regens wieder in das schützende Gebäude. Glinda kam es wie 15 Minuten vor, doch in Wahrheit hatten sie eine gute Dreiviertelstunde draußen gestanden. Ein heller Blitz mit anschließendem lautem Donnerknall ließ sie aufschrecken und kurz darauf war keine Menschenseele mehr auf dem Forderplatz, außer Ramón, Elfi und Glinda. Von dem Blitz geblendet, kniff Glinda die Augen zu. Die Lichter waren durch den Regen erloschen und dieses riesige Ding stand monströs in Schatten gehüllt vor ihnen. „Sieh hin, du kleine Schlampe!“, hörte Glinda die Stimme der Frau. Die blonde Schönheit hob ihren Kopf und wollte etwas erwidern, als sie einen lauten Klatsch vernahm, auf den ein stechender Schmerz an ihrer linken Wange folgte. „Aylin!“, rief Ramón geschockt aus. „Was?“, blaffte die Angesprochene zurück. „Das Miststück hat’s nicht anders verdient! Wegen ihr bin ich von der Shiz-Akademie geflogen!“ Glindas Atem stockte: „Ay… AYLIN?“ „Was, Miststück? Erkennst du mich nun wieder? Hat es dir damals Spaß gemacht, mich mit deinen Schicki-Micki-Freunden zu triezen und zu quälen? ‚Ooooh, Ayliiiiiiiiiiiiiiiiin’“, äffte die Frau Glindas Stimme nach: „’Was hast du denn da wieder…. Für exotische Sachen an? Oh Aylin, wieso hast du denn ein Loch in deiner Hose? OH AYLIN; WARUM WAR DENN DA PINKE FARBE IN DEINER SHAMPOO-FLASCHE?!’“ Glinda wollte erschrocken zurückweichen, doch Ramón hielt sie eisern fest. „Oh Gott, Aylin…“, war das einzige, was Glinda raus brachte. Ja, sie erkannte das Mädchen von damals nun wieder. SchenSchen, Milla und sie hatten sich manchmal einen Spaß daraus gemacht, Boq zu irgendwelchem Unsinn anzustiften und weil SchenSchen Aylin damals aus irgendwelchen ‚Die-hat-mir-meinen-voraussichtlich-Verlobten-Dingern’ gehasst hatte, war die Wahl der ‚Späße’ immer auf das arme Ding gefallen. Was die drei Freundinnen damals aber nicht gewusst hatten, war, dass Aylin eine furchtbar schlechte Frustrationstoleranz hatte. Eines Nachts war sie in Glindas Zimmer geschlichen und hatte versucht, das Bett des Mädchens in Brand zu stecken. Elphaba war, aufgrund ihres leichten Schlafes, wach geworden und hatte sie auf frischer Tat ertappt. Danach hatte man nie mehr was von Aylin Heidenbrunn gehört. „DARUM kam dein Gesicht mir bekannt vor… und der Name…!“, stammelte Glinda. „Halt endlich den Mund und sieh dir das an!“, schnauzte Aylin und wich aus Glindas Blickfeld. Die Blondine versuchte, etwas in der Dunkelheit zu erkennen, doch erstens erschwerte ihr der Regen und zweitens die Dunkelheit die Sicht. „Ich kann nichts sehen!“, hauchte Glinda weinerlich und spürte, wie Ramón ihr einen erneuten, diesmal nicht ganz so schmerzvollen Ruck gab: „Sei – leise!“ Dann, plötzlich, hagelte es Blitze vom Himmel, aber kein Donnergrollen folgte. Die Statue wurde mehrere Sekunden hell erleuchtet. „Nein….!“, wimmerte Glinda, „Elphie…“ Die Statue war ein Zweiteiler: Auf der linken Seite befand sich Dorothy. Sie war aus reinem Silber gemacht worden und der Eimer in ihren Händen trug eine goldene Verzierung. Das Mädchen war so in Szene gesetzt worden, dass der Eimer Wasser hoch über ihrem Kopf angebracht war und die kleinen Ärmchen das Wasser aus ihm schütteten. Für das Wasser wurden anscheinend Saphire benutzt, die in dem Blitzgewitterte das Licht tausendfach brachen. Geblendet blickte Glinda weg. Da packte Aylin ihr Kinn mit einer solchen Heftigkeit, sodass ihr Kiefer knackste und sie aufschrie. Aylin drehte Glindas Kopf mit einer starken Bewegung in Richtung der Statue. Glinda wimmerte leise vor Schmerzen. Dann folgte das zweite Blitzszenario und Glinda überkam beim Anblick der rechten Figur eine erneute Welle der Übelkeit. Sie ließ sie zu. Vor Schreck und Ekel ließen Aylin, als auch Ramón die blonde Person fallen. Glinda stürzte auf die Knie, ihr Körper knickte vor Schmerz ein und die zierliche Frau hielt sich mit ihrer schmerzenden rechten Hand die Magengegend. Aylin machte Anstalten, sie wieder aufzuheben, doch Ramón hielt seine Schwester zurück. Als die Welle der Übelkeit abebbte, fühlte Glinda sich besser. Alles, was sie so benommen gemacht hatte, war nun jedenfalls nicht mehr in ihrem Körper. Schlaff stützte sie sich auf ihre beiden Hände und ließ den Kopf hängen. Dann blitzte es erneut und ‚Glinda die Gute’ blickte auf. „Nein…“, wimmerte sie wieder, stellte sich vorsichtig, aber torkelnd auf ihre Füße und ging Schritt für Schritt auf die rechte Seite der Doppelteiligen Statue zu. Sanft fuhren ihre Finger über das chemisch gealterte Kupfer, welches auch ohne Blitze grün aufleuchtete. Die rechte Statue sollte Elphaba darstellen. Doch diese Hexe hatte ein grauenvolles Gesicht mit einer langen Nase und einem hässlichen, zum Schrei verzogenen Gesicht. Glindas Hände fuhren über die angebrachte Steintafel und sie las: „Zu Ehren der tapferen Dorothy, ausgesandt von Glinda der Guten, um das Volk von Oz von der Bösen Hexe des Westens zu befreien.“ Die blonde Schönheit war nun völlig durchnässt. Ihr Make-up war verlaufen, teils von Regen und teils von den Tränen, die sie nun salzig auf ihren Lippen schmeckte. Ihre blonden Locken klebten wie nasse Leinentücher an ihren Schultern und der Tüll an ihrem Kleid hatte einige Risse. „Das darf so nicht sein!“, keuchte Glinda und ließ sich auf die Knie fallen. Die linke Hand hatte sie flach auf den Steintafel gelegt und mit der rechten Hand, die zu einer Faust verkrümmt war, schlug sie heftig gegen das Wort ‚Böse’. Dann fing sie an zu schreien. Weder Aylin noch Ramón hatten mit diesem grellen und lauten Geschrei gerechnet, doch Ramón war so oder so schon auf etwas vorbereitet gewesen. Er hielt ein Tuch in der Hand, welches vorher im Saft der Gillikinrose eingeweicht worden war. Normalerweise diente es zu Muskelentspannung, doch bei Überdosierung konnte es zur Ohnmacht führen. Mit einem Satz kniete er hinter Glinda und drückte ihr das Tuch auf Mund und Nase. Erschrocken kämpfte Glinda um Frischluft, doch der Duft durchströmte ihren ganzen Körper und sie merkte, wie sie sich ungewollt entspannte. Ramón traute seinen Augen nicht: Die Kette um Glindas Hals hatte tiefblau aufgeleuchtet, doch die Leuchtkraft schien zeitgleich mit Glindas Bewusstsein zu sinken. Aylin kam angerannt und packte Glindas Füße und zischte: „Sie hat zu laut geschrieen!“ Dann griff Ramón Glinda unter die Arme und antwortete: „Los, hinter die Statue!“ Sie hatten die bewusstlose Frau gerade hinter das Silber-Kupfer-Monstrum geschleppt, als drei Wachmänner in zivil aus dem Gebäude gesprintet kamen. Verwirrt blickten sie sich an, zuckten mit den Schultern und gingen wieder ins Gebäude. Dann ging alles sehr schnell: Wie eben transportierte das Geschwisterpaar die noch immer bewusstlose Frau zur Kutsche. Dort angekommen übernahm der schon wartende Orez die Stellung Aylin und die beiden Männer hievten die blonde Frau auf den Rücksitz. „Los! Ihr beiden geht nach hinten. Ich fahre das Ding. Um die Uhrzeit ist nichts los auf den Straßen der Smaragdtstadt. Falls sie aufwacht, haut ihr eine runter. Das blonde Püppchen hat’s nicht anders verdient!“, forderte Aylin forsch. Die beiden Männer stiegen in die Kutsche ein und Orez schloss die Tür hinter sich. Bevor er die Gardine vom Kutschenfenster zuzog, fiel sein Blick auf die Uhr: 1:12 Uhr. Die Kutsche machte einen heftigen Ruck und nur noch das Hufgeklappere war in der stillen Nacht zu hören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)