Schall und Rauch von Ryu-Stoepsel (Which path will you choose?) ================================================================================ Kapitel 25: ------------ Fiyero saß im Kerzenschein mit seinem Buch auf dem strohigen Schoß. Den ganzen Abend hatte er sich nur halb konzentriert und durch die Seiten gequält mit dem Wissen, seiner Liebsten würde diese Nacht wieder etwas im Traum widerfahren. Ein starker Windstoß riss plötzlich das Fenster auf, die Kerze erlosch augenblicklich und Fiyero legte genervt, mit einem lauten Seufzer, das Buch auf den kleinen Tisch neben dem Sessel, in welchem er saß. Dann stand er erst auf und schloss mit aller Kraft das Fenster wieder. Sein Blick sah in die dunkle Nacht hinaus. Doch es war so dunkel, dass er sich selber in der Scheibe spiegelte, auch wenn das Kerzenlicht nicht mehr brannte. Der Sturm tobte laut, der Wind heulte um die Ecken der Festung und Fiyero versuchte möglichst vorsichtig, die Kerze abermals anzuzünden. Ihm gelang es, ohne auch nur einen Funken abzubekommen. Schließlich hatte er lange genug dafür geübt! Er stellte den Kerzenhalter wieder auf den Tisch und wollte sich gerade setzten, als… „Nanu?“, fragte er sich selber ganz verwundert und ging erneut zum Fenster. Es war nicht mal mehr ein leises Zischen zu hören. Er öffnete das Fenster. Nichts. Kein Regen, kein Sturm, kein Donner, kein Blitz. Es nieselte ja nicht mal mehr. So stand er da, seine Stroharme hielten die Fenstergriffe in der Hand und er starrte in die Nacht heraus. „Ding-dong, Ding-dong…“ Erschrocken fuhr er zusammen. „Diese verdammte Uhr!“, maulte Fiyero. Der Strohmann hatte sie noch nie leiden können. Geduldig wartete er das zwölfte ‚Ding-Dong’ ab, obwohl er gerne irgendetwas in Richtung Ziffernblatt geworfen hätte. Dann erst schloss er die Fenster. „Na komm schon, du langweiliges Buch. Wann kommen deine spannenden Kapitel?“, fragte er nun und lachte leise über sich selber, als er sich vorstellte, was das Buch antworten würde. Ganz zu Fiyeros Überraschung waren die letzten Kapitel sehr interessant. Es handelte von dem Thema ‚Wache oder Soldat im Traum’. Leise las der Scheuch: „Soldat: Vor allem bei Frauen kommt darin zuweilen der Wunsch nach einem sexuellen Abenteuer zum Ausdruck. Sieht eine Frau Soldaten, so ist ihr Ruf in Gefahr. … Wa…?“ Erst stutzte er, danach musste er grinsen. „So so…“, murmelte er vor sich hin und entschloss zu seinen eigenen Gunsten, den ersten Teil der Analyse und Deutung als wahrheitsgemäß zu befinden. Über den zweiten machte er sich gar keine Gedanken, denn das war ja eh schon lange der Fall gewesen und damit, seiner Ansicht nach, passé. Denn er wusste ja, wie wundervoll seine Fae in Wirklichkeit war. Doch dass die Deutung vielleicht Elphabas Ruf bei Fiyero meinen könnte, das kam der Vogelscheuche gar nicht erst in den Sinn. Gespannt las Fiyero weiter und ließ jenes aus, wovon er ausgehen konnte, dass Elphaba nicht von solchen Dingen geträumt hatte. Er stieß auf eine andere interessante Stelle: „Sehen Sie einen Zauberer, werden Sie eine einfache Lösung auf eine Frage finden.“, las er laut. ‚Ich bin mir zwar nicht sicher, inwiefern man diesem Humbug hier vertrauen kann, aber ich wünsche es ihr – dir, meine geliebte Fae.’, in Gedanken sah er sie vor sich im Bett, wie sie sich umher warf, schwitzte und weinte. Ein heller Blitz fing seine Aufmerksamkeit ein und der darauf folgende laute Donnergroll ließ ihn aufschrecken. Er sah auf die Wanduhr: 00:45 Uhr. ‚Was ist das für ein verhextes Wetter?’, dachte er sauer, um den Schlaf seiner Geliebten besorgt. ‚45 Minuten hat es nun kein Lüftchen gegeben und nun so was? Wir haben doch keine Wetterhexe mehr!’ Seine Sorge um Elphaba steigerte sich mit jedem Blitz, jedem Grollen, jedem dicken Tropfen, der feste und laut gegen die Fenster klatschte. Fiyero versuchte, sich selber etwas zu beruhigen und die Kontrolle über die aufsteigende Panik zu gewinnen. Doch als er im Buch irgendetwas über Speere las und sie die Gefährdung der eigenen Interessen bedeuten würden, konnte er es nicht mehr aushalten. Er schloss das Buch, knallte es auf dem Tisch, was durch einen Donnerschlag begleitet wurde und er stiefelte die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf. Leise öffnete er die Tür und horchte. Nichts. Nur ein regelmäßiges Atmen. Dann schlüpfte er durch den winzigen Spalt. Sein Körper machte dabei Geräusche, als würde man mit einem Blatt Papier herumwedeln. Als seine Blicke durch das Zimmer schweiften, blieben sie an der Uhr hängen. Das Zifferblatt zeigte 1:00 Uhr an und Fiyero wusste, lange würde es jetzt nicht mehr dauern. Er schlich zum Bett und setzte sich auf die weiche Decke auf seiner Seite. Ein paar Minuten beobachtete er Elphaba im Schlaf, doch da er wusste, wie sehr sie das hasste und wie verzweifelt bemüht sie darum gewesen war, heute Nacht alleine zu sein, drehte er sich um und wollte aufstehen, als Elphaba leise aufstöhnte. Ihre Stirn zog sich langsam in kleine Falten. Er widerstand dem Instinkt, sie in seine Arme zu schließen, denn er wusste, die Träume begannen. „Schneller…“, flüsterte sie gerade fordernd, leicht nuschelnd, aber dennoch verstand die Scheuche es. ‚Nun ist es Zeit zu gehen!’, dachte sich Fiyero, lehnte sich hinüber zu Elphaba, gab ihr vorsichtig einen sanften Kuss auf die Wange und flüsterte: „Ich liebe dich, Elphaba Thropp!“ So leise, wie Fiyero gekommen war, so leise verschwand er auch wieder. Doch im Gegensatz zu eben war er nun ein wenig beruhigt und er beschloss, sich auch noch das Ende des Buches zu Gemüte zu führen. Kaum war Fiyero zur Türe draußen, stöhnte Elphaba erneut auf. Ihre Augenlieder flatterten. Dann bewegte sich der großer Zeiger der Uhr und blieb auf ‚12’ stehen. 1:12 Uhr und … Elphaba und Glinda hetzten Hand in Hand durch den Palast. Die Wachen waren ihnen dicht auf den Fersen. „Im Palast treibt sich eine böse Hexe herum!“, donnerte die Stimme des Zauberers durch die Hallen, „FINDET SIE!“ „Schnell, hier in die Bücherei!“, flüsterte Elphaba und mit einem gekonnten Ruck zog sie die aufstöhnende Glinda in den Raum. „Wow!“ Keuchend und nach Atem ringend standen die beiden an der Tür, doch dann liefen sie weiter, bis zu den hintersten Regalen. Glindas gelbes Kleid war nicht gerade unauffällig. Auch nicht in der Dämmerung. Die grüne Hexe hielt der blonden ihren Besen hin: „Glinda, stell dir vor, was wir alles bewirken könnten, zusammen!“ Die Angesprochene streckte ihre Hand nach dem Besen aus, doch kurz bevor sie ihn berührte, zog sie ihn zurück. „Ich kann nicht!“, sie war den Tränen nahe. Elphaba dachte: ‚So muss es sich anfühlen, wenn einem das Herz bricht…’ Glinda dachte: ‚So fühlt es sich an, wenn einem das Herz bricht!’ Plötzlich schüttelte Elphaba den Kopf: „Das hier ist kein Traum!“, sagte sie. Die zierliche Blonde, die verängstigt nicht weit von ihr stand, schien ihr nicht zuzuhören. Die Frau kam näher und stand nun genau vor Elphie. Glindas Hand suchte Elphaba und zog sie zu sich heran. Das grüne Gesicht verschwand bei einer engen Umarmung in blonden Locken. Die grüne Hexe fühlte Glindas Atem auf ihrer Wange und dann fühlte sie eine wohlige Wärme in ihrem Körper aufsteigen, noch bevor sie richtig realisiert hatte, dass Glinda ihre Wange geküsst hatte. Vorsichtig und sanft. Plötzlich wurde die Türe aufgerissen und die Soldaten strömten herein. Reflexartig wollte Elphaba in die dunkle Ecke springen, doch Glinda hielt sie fest umarmt, noch immer den rosigen Mund an grünen Wangen. Die sonst immer so schreckhafte Frau schien nun alles andere als verängstigt zu sein. Elphaba spürte, wie Glinda ihr noch etwas ins Ohr hauchte. Dann endlich, ließen sie einander los und die grüne Hexe hockte sich schnell auf dem Boden, direkt hinter dem letzten Regal. Hatte sie gerade richtig gehört? Glinda wurde gefasst. Zwei starke Männer umfassten ihre Arme, der eine auch ihre Taille. Elphaba versuchte nicht mehr, unter den dunklen Kapuzen jemanden oder etwas zu erspähen. Einer der beiden Wachen drehte sich um und sie sah sein Gesicht, jedoch konnte er sie nicht erkennen. Auch sie war in einen dunklen Umhang gehüllt, wie der Mann, welcher mit seiner Hand auch Glindas Taille umschlang. Sie sah, wie er fester zudrückte und Glinda aufschrie. In dem Moment hob der Mann den Kopf und Elphaba wusste, jetzt oder nie. Leise und flink wie eine Katze sprang sie aus der Hocke dem Mann genau an den hals, sodass dieser nach hinten umkippte. Elphaba saß auf seiner Brust, als sein Kopf dumpf aufknallte und die Kapuze noch immer sein Gesicht verdeckt. Sie konnte nichts erkennen. Sein Gesicht war ein einziger Schatten. „He!“, maulte sie ihn an und langte in Richtung seiner Kapuze, um sie ihm vom Kopf zu reißen. Doch plötzlich fühlte sie starke Männerhände überall auf ihrem Körper, die sie wegzogen. Sie wehrte sich nicht. Ihr war es viel wichtiger, die Konzentration zu halten. Stöhnend stützte sich der Mann auf seine Ellebogen auf und rieb sich die Haare, wodurch seine Kapuze zu Boden fiel. „Nein…“, hauchte Elphaba fassungslos, „NEEEEEEEIN!“, schrie sie. Ihr wilder Blick suchte Glinda, nun fing sie an zu kämpfen: „Glinda! Glinda?“ Die Männer hatten Elphaba fest im Griff. Sie war erschöpft und Glinda sah zu ihr herüber, als die Männer sie mitnahmen, darunter auch der Kapuzenmann. „NEIN! GLINDA!“, schrie Elphaba erneut, aber nicht Glinda schien sich von ihr zu entfernen, sondern … sie von Glinda! Elphaba sah noch, wie die blonden Locken beim Kopfschütteln der anderen Hexe mitschwangen. Nun bewegten sich Glindas Lippen, aber Elphaba konnte nicht mehr hören. Sie starrte auf die wundervollen Lippen und stellte fest, dass sie nun den Satz formten, den Elphaba eben mit warmen Atem an ihrem Ohr gehört hatte: „Ich liebe dich, Elphaba Thropp!“. „GLINDA! Nein, GLINDAAA!“, schrie Elphaba… Fiyero hatte es sich im Wohnsaal wieder auf dem Sofa bequem gemacht und im schimmernden Kerzenschein las er neugierig im letzten Kapitel seines Buches. Erst hatte er gedacht, seine Fae hätte geschrieen, doch dann hatte es aufs heftigste vom Himmel herab geknallt und so sank er wieder beruhigt in seine Polster. „Dieses Unwetter treibt mich noch in den Wahnsinn!“, murrte er vor sich hin, dann hielt er plötzlich inne. „Wie bitte?“, hauchte er in die Dunkelheit hinein und die kleine, etwas Licht spendende Flamme flackerte. Tatsächlich hatte Fiyero das Buch beinahe durchgelesen, nun war er beim letzten Kapitel angekommen. Den letzten Abschnitt las er noch einmal und noch ein drittes Mal. Da Yero sich nicht sicher war, ob er das alles richtig verstanden hatte, las er es ein viertes Mal, diesmal laut: „Der Besen hat viele verschiedene Bedeutungen im Traum, bzw. kann viele verschiedene Bedeutungen haben. Nebst sexuellem Verlangen nach einem (anderen) Mann, was alle Phallusähnlichen Gegenstände in den Träumen bedeuten können, tendiert die Mehrheit jedoch zu einer anderen Erklärung. Benutzen Sie den Besen zur Flucht vor etwas oder jemandem, bedeutet, dass Sie eine emotionale, aber auch physische Auszeit von Ihrer bisherigen Situation brauchen. Sie fühlen sich unwohl, ja in manchen Fällen sogar bedroht. Am besten wäre Ihnen mit Abstand geholfen, so sollte aber die mit betroffene Person sich um sanfte Aufmerksamkeit bemühen.“ Dann hielt die Scheuche inne und las den zweiten Abschnitt noch einmal. „Sanfte Aufmerksamkeit! Bedroht! Auszeit?!“, maulte er das Buch an, „Was verkaufst du mir hier für einen Mist, du dummes Buch?“ Wütend klappte er es zu und warf es in die Dunkelheit des Zimmers hinein, welche das Blätterquadrat mit einem dumpfen Aufprall verschluckte. Fiyero hasste solche Situationen, in denen er nicht wusste, was er nun zu tun hatte. ‚Ja, ich habe bemerkt, dass Fae diese Woche etwas… etwas… anders war. Isolierter vielleicht.’, gestand er sich selber ein. Ihm kamen die Worte ‚sanfte Aufmerksamkeit’ wieder in den Sinn, doch er hatte keine Ahnung, was er damit anfangen sollte. Sein wütend ging zu aggressiv über und er huschte rüber zu dem Buch, welches in der Ecke lag und trat danach: „Scheiß Buch! Komm du mir noch mal mit irgendwelchen Ratschlägen!“, zischte er, nun etwas lauter. „Komm mit Ratschlägen!“, krächzte es von der Tür her. „CHISTERY!“, rief Fiyero nun halb aggressiv, halb zu Tode erschrocken aus. Auch der kleine Affe war ganz bestürzt gewesen, über die Heftigkeit der Worte, welche ihm entgegenschlugen und da hatte er schnell wieder kehrt gemacht und war verschwunden. „Na wunderbar!“, Fiyero warf seine Hände verzweifelt in die Luft. ‚Luft…’, dachte er. ‚Das brauche ich jetzt!’ Es war eine Angewohntheit, die er sich von Elphaba abgeschaut hatte: Immer, wenn er nicht weiter wusste, ging er spazieren. Vor allem tat er es gerne, weil ihm weder Wind noch Wetter irgendetwas anhaben konnten. ‚Es sei denn, es würde urplötzlich anfangen, Feuerfünkchen zu regnen.’, dachte er, sehr selbst-ironisch. Nachdem er diesen Entschluss gefasst hatte, nahm er ganz vorsichtig den Kerzenhalter in eine Hand oder eher Strohballen und ging in die große Abstellkammer. Dort suchte er sich einen dicken Stift und ein großes Blatt Papier, aus bester Quadlinger-Eiche hergestellt. Wieder zurück in der Wohnhalle stellte er den Kerzenhalter behutsam auf den Schreibtisch, legte das Blatt Papier darauf und versuchte etwas zu schreiben. Fiyero stutzt. ‚Schreiben?’, fragte er sich selber. Brummend und murrend setzte er den Stift an, doch was ein Wort werden sollte, wurde zu einer Zick-Zack-Linie. Also benutzte er dieses Blatt für ein paar Schreibübungen. ‚Das fühlt sich ja an, als wäre ich wieder drei Jahre alt und würde gerade das Schreiben lernen!’, schwirrten mürrisch die Gedanken durch seinen Kopf und er hörte die Stimme seiner Mutter: „Aber nein, Yeroleinchen, nicht über den Rand malen. Neeein, schau mal, so muss man den Stift halten. Neeein… och, Yeroleinchen, nein…“ Fiyero wäre beinahe rot vor Zorn angelaufen, nur dazu fehlte ihm das Blut. Genervt holte er sich ein zweites Blatt und kritzelte einigermaßen leserlich drauf: ‚Bin spazieren. Bald wieder da!’ Etwas zufriedener betrachtete er sein Werk. Seit wann hatte er sich diesen aufbrausenden Charakter zugelegt?, wunderte er sich über sich selber. Als er spürte, das neue Wut in ihm aufstieg, die er nun nicht so ganz zuordnen konnte, warf er die noch brennende Kerze in den Kamin, inklusive dem ‚Kriggel-Kraggel’-Blatt, sah genügsam zu, wie es verbrannte und marschierte dann mit schnellem Schritt in den Regen hinein. Er wollte seine Fae nicht auch noch mit seinem Geschrei und Gebrummel aufwecken. Doch was er nicht ahnte war, dass ‚seine’ Fae schon längst aufgewacht war… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)