Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 18: Begegnung im Wald ----------------------------- Ab wann war in ihrem Leben eigentlich alles schief gelaufen? Diese Frage geisterte immer wieder durch Siris Kopf, während sie im Unterholz des Waldes hockte, der die Hafen- und Hauptstadt Astorias Palas vom Land her umschloss. Ihre Gedanken schweiften zu dem Augenblick, als sie Trias ihre Gefolgschaft versprochen hatte, mit der Aussicht, dass er sie aus dieser entlassen würde, sobald Allen tot wäre. Sie dachte an den Schmerz, als sich seine Fangzähne in ihren Nacken gebohrt und das Virus in ihre Adern gepumpt hatte, und an den schönen Abend, den sie zuvor gehabt hatte, an die Kutschfahrt, an den Tanz, an Allens Wärme, die selbst durch seine Handschuhe drang, als er ihr ihre allerersten Tanzschritte gezeigt hatte. Mit Gewalt drängte Siri die aufkeimende Hitze zurück. Ihre Bedürfnisse und die Anziehungskräfte männlicher, gestählter Körper haben sie erst in ihre jüngste Krise gestürzt. Stattdessen besann sie sich auf den Moment, in dem alles Übel inne wohnte. Der Augenblick, als Merle sie verraten und bloß gestellt hatte. Der Augenblick, als Siris Lehrerin Hitomi entführt hatte, um sie vor ihren Verfolgern in Sicherheit zu bringen. Die Ironie, dass sie so ihre Schülerin erst in die Arme des galanten und in der Schwertkunst unübertroffenem Ritters Allen Shezar, und dann in die Klauen ihres jetzigen Meisters Baron Trias getrieben hatte, schlug ihr hoffentlich ordentlich auf den Magen. Sie verdiente nichts Besseres als daran zu ersticken. Das Lager, das in einem Erdloch vor neugierigen Blicken aus der Ferne geschützt war, bot kaum Aussicht. Siri wusste weder, wo sie war, noch konnte sie es aus ihrem Versteck heraus feststellen. Natürlich war das Absicht. Sie konnte unmöglich sagen, wann ihr Meister ihre Wahrnehmungen zu seinen eigenen machte, und sie so aufspürte. Doch nun zehrte die Eintönigkeit der Tage an ihren Nerven. Während ihr eigener Schüler Ryu unterwegs war um Wasser zu holen, Feuerholz zu suchen, Beeren und Wurzeln zu sammeln oder Tiere zu erlegen, konnte sie nichts anderes tun, als still dazusitzen und zu warten. So manches Mal hatte sie sich dabei ertappt, sich zu wünschen die Häscher würden sie finden, nur damit etwas passiert. Doch dann mahnte sie sich zur Geduld und erinnerte sich an die Verantwortung, die sie mit sich herum trug. Es ging hier nicht mehr nur um ihr eigenes Leben. Gedankenverloren stocherte sie in der glühenden Asche und die Decke enger um sich. Die Sonne war kalt und tief. Sie würde sehr bald eine warme Unterkunft brauchen, da der Winter innerhalb der nächsten Wochen mit voller Wucht über das Land hereinbrechen sollte. Eine ihrer limitierten Möglichkeiten war die Versammlung der Allianz diese Woche, an der auch das Königspaar aus Farnelia teilnehmen sollte. Siri hatte bei der Königin sicherlich kein Stein mehr im Brett, seitdem sie ihren kleinen Bruder gebissen hatte. Auch wenn Siri alles versuchte, damit er sich selbst als Schüler und nicht Sklave sehen konnte, war Hitomi mit Sicherheit anderer Meinung. Und doch war Ryu das einzige Druckmittel, um die Königin zum Helfen zu bewegen. Kaum jemand anders dürfte den Einfluss und die Fähigkeiten besitzen, um Trias und seine gezeichneten Diener fernzuhalten. Ihr Spiegelbild auf den Stahl einer Klinge riss Siri aus ihrer Dämmerung. Erschrocken sah sie auf und machte drei Gestalten aus, von denen zwei direkt vor ihr standen und sie mit gezogenen Schwertern bedrohten. „Mitkommen!“, befahl der Anführer, ein stämmiger Mann. Zur Antwort riss sie ihre Decke von den Schulter und knallte sie ihm ins Gesicht. Blitzschnell stand sie auf, wandte sich an dem Schwert des zweiten Angreifers vorbei und schlug zielsicher ihren Ellenbogen gegen seine Schläfe. Ein weiterer Schreck folgte, als sie den gespannten Bogen in der Hand des dritten Mannes erkannte, während sie auf ihn zu rannte. Im nächsten Moment schnellte der Pfeil von der Sehne und sie rutschte auf den nassen, von Blättern bedeckten Boden unter den Schuss durch, bis sie schlitternd vor den Füßen des Bogenschützen zu liegen kam. Mit einer Scheren-Bewegung ihrer Beine brachte sie ihn zu Fall. Als seine Schultern den Boden berührten, rannte sie schon weiter. Doch nach wenigen Schritten raste ein stechender Schmerz von ihrer Schulter aus durch ihren Körper. Schreiend stürzte sie und fing sich unsanft auf ihren Armen ab. Das Wurfmesser in ihrem Schulterblatt beraubte sie fast völlig ihrer Beweglichkeit. Verzweifelt robbte sie vorwärts. Wenn sie nur Ryu erreichen könnte... Brutal riss ein Paar Hände sie hoch und hielten sie an ihren Armen fest. „Genug gespielt, Prinzessin!“, knurrte der Anführer verärgert in ihr Ohr. „Der Meister wartet schon auf euch.“ Der schlechte Atem, der ihr entgegen schlug war als Grund genug für Siri sich zu wehren, doch ihr Peiniger ließ nicht locker. Plötzlich schöpfte sie Hoffnung. Durch das Gewirr an Stämmen schlüpfte rasend schnell eine einzelne Gestalt und kam dabei zielstrebig näher. Es dauerte nur einen Augenblick, dann wusste sie, das es ihr Schüler war, der ihr mal wieder das Leben rettete. Der Anführer bekam die Veränderung mit und erspähte den nahende Gefahr für sich und seine Männer. „Vorsicht!“, brüllte er. „Die kleine Ratte lebt noch. Kain, erledige ihn!“ Der Bogenschütze spannte seine Waffe, zielte sorgfältig und ließ los. Im hohen Bogen flog der Pfeil auf Ryu zu, doch der pflückte ihn sicher mit seinem Schwert aus der Luft. „Warte, bis er näher kommt!“, befahl der Anführer und ließ Siris Arm bei der verletzten Schulter los, um einen Dolch zu ziehen und drohend vor ihrer Halsschlagader zu halten. „Stopp! Oder deine Meisterin ist tot.“, brüllte Ryu zu, der jedoch wurde nicht einmal langsamer. Siri verstand, schickte eine Bestätigung mittels ihrer Gedanken an ihn. Als Ryu nur noch ein dutzend Meter entfernt war, griff sie mit ihrer freien Hand in den Schritt des Anführers und drückte zu. Der heulte auf, worauf hin sich sein Griff verstärkte, sich dann aber löste. Während seine freie Hand nach der ihren in seinem Schritt langte, schlüpfte sie aus ihrer Gefangenschaft und fiel mit ihrem Gesicht voran in den Dreck. Über ihr segelte Ryu durch die Luft und trennte im Sprung den Kopf des Anführers von den Schultern. Anschließend rollte er sich unter der Schussbahn des Bogenschützen ab und erschlug ihn. Der letzte der Angreifer nahm die Beine in die Hand, aber Ryu setzte ihm unerbittlich nach. Währenddessen versuchte Siri ihre gehetzte Lunge zu beruhigen und sich zu entspannen, was mit einem Messer in der Schulter alles andere als leicht war. Als ein Schatten sich über sie erhob, drehte sie ihr Gesicht aus der Erde und lächelte. „Zieh es raus!“, befahl sie Ryu und schrie laut auf, da er ihrer Anweisung genauso unbarmherzig gefolgt war, wie er den Kampf eben bestritten hatte. Siri schluckte ihre Tränen runter und legte sich flach auf den Bauch. Ihr Geist tauchte durch ihr eigenes Gewebe und steuerte die Heilkräfte ihres Körpers. Sie nutzte die Befürchtung, die Knochen könnten falsch zusammen wachsen und ein weiteres Mal gebrochen werden müssen, um sorgfältig und konzentriert zu bleiben. Ryu hielt derweil geduldig Wache, bis Siri sich aufrappelte und ausgiebig stöhnte. Sie brauchte Ryu nicht zu fragen um sicher sein zu können, dass jeder des Überfallkommandos tot war. Der harte, kalte Ausdruck in seinen Augen war Beweis genug. Wieder einmal stach sie das Gewissen und warf ihr vor, was sie ihm alles zumutete, doch sie brauchte ihn, sowohl als Streiter als auch Begleiter. Von nachlassenden Schmerzen in der Schulter begleitet schleppte sie sich zu der Leiche des Anführers. Trias verfolgte mit Sicherheit gerade ihre Wahrnehmung, also betrachtete sie den toten Körper ausgiebig und sagte dann laut: „Das passiert mit allen, die ihr mir hinterher schickt.“ Ein Welle puren Leides schwemmte durch ihren Kopf, doch sie ertrug die Strafe ihres Meisters ohne einen Laut von sich zu geben. Am Anfang ihrer Flucht hatte Trias sie ausgiebig mit extremen Kopfschmerzen geplagt, doch in den letzten Tagen war er dessen müde geworden. Die Pein ging so schnell, wie sie gekommen war und ließ Siri schwer atmend zurück. „Wir gehen in die Stadt zurück.“, entschied sie. „Hilf mir das Lager abzubrechen!“ Wie immer sagte Ryu nichts, sondern blieb schweigsam und folgte ihren Befehl ohne Zögern. Er lief ihr voraus und begann damit, die Habseligkeiten einzusammeln. Siri beobachtete ihn mit schwerem Herzen. Er war immer so, ernst, verschlossen, Pflicht bewusst. Sie hatte ihn nur einmal Schmerzen bereiten müssen um ihren Willen durchzusetzen, ganz am Anfang zu seiner Zeit als Gezeichneter. Damals hatte er seine Schwester töten sollen und natürlich Widerstand geleistet. Danach, egal, wie grausam es auch gewesen war, hatte er alles getan, was sie von ihm verlangt hatte. Wieder einmal regte sich in ihr die Hoffnung, dass er aus Respekt oder gar Zuneigung ihr derart treu zu Diensten war, und wieder einmal zerschmetterte die Befürchtung, dass er lediglich vor der Strafe Angst hatte, jede Zuversicht. Einen Moment überlegte sie, ob sie ihn freilassen sollte. Er musste dazu lediglich ihr Blut trinken, doch der Gedanke alleine zu sein oder gar gegen einen vor Rache geblendeten Ryu kämpfen zu müssen, schnürte ihr die Kehle zu. Stumm rollte sie ihre Decke zusammen. Sie brauchte ihn, so viel sein Dienst ihn auch kostete. Aber sie konnte den ersten Schritt zur Versöhnung versuchen, auch wenn diese unendlich weit weg zu sein schien. „Bitte verzeih mir!“, bat sie leise. Ryu arbeite weiter, als hätte er sie nicht gehört, und Siri entschied es dabei zu belassen. Vergebung, sollte es sie wirklich geben, braucht Zeit. Sie dachte an Merle und ihr wurde klar, woher sie das so genau wusste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)