Das Blut des Königs von CAMIR (Gibt es überhaupt Helden in Zeiten des Krieges?) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Als es an der schweren Holztür klopfte zuckte Jorin unwillkürlich zusammen. Es war ihm egal, dass er als letzter Sohn des Königs Würde zeigen sollte oder musste. Er hatte Angst. Er war schmächtig und klein gebaut, das strohblonde Haar hing ihm strähnig in das Gesicht. Seine Gesichtszüge strahlten zwar etwas von der königlichen Würde aus, wirkten aber im Großen und Ganzen sehr vergeistigt. Nicht nur, dass man vor ihm verheimlichte, wie es um Anarea stand, nein, nun musste er auch noch gehen. Man hatte ihm zwar gesagt, warum und wohin, aber Jorin hatte das unbestimmte Gefühl, dass er, wenn er erst einmal fort war, niemals wieder zurückkehren würde. Sein Vater hatte lange mit ihm gesprochen. Lange und beruhigend, aber was sollte das schon heißen? Jorin wollte nicht fortgehen. „Pass gut auf dich auf. Möglicherweise bist du unsere letzte Hoffnung.“ „Wie könnte ich die letzte Hoffnung des Landes sein, Vater? Sieh mich an, ich kann nicht regieren und das weißt du so gut wie ich. Ich war immer eine Enttäuschung für dich. Das sagst du nur, weil meine Brüder nicht mehr leben.“ „Jorin, ich liebe dich genauso, wie ich deine Brüder geliebt habe und es würde mir das Herz brechen, dich zu verlieren. Ich kann dir leider momentan noch nicht mehr sagen, aber ob du regieren kannst oder nicht hat überhaupt nichts damit zu tun, ob du das Land rettest oder nicht...“ „Findest du nicht, ich habe ein Anrecht darauf, zu erfahren, was passiert?“ Sein Vater hatte geseufzt und sich dann neben ihn gesetzt um es ihm zu erklären... Ja, Jorin hatte verstanden. Das, was er in sich trug war kostbarer als alles andere und musste unter allen Umständen beschützt werden, aber wohl war ihm bei der ganzen Sache nicht. Noch immer in Gedanken sah er, wie Athrin Hohenfels die Kammer betrat und sich verbeugte. „Es ist an der Zeit zu gehen, Herr.“ Der Soldat sah müde und abgekämpft aus, seine Rüstung, obwohl er sich größte Mühe mit ihrer Erhaltung gab, alt und verbeult. Jorin wusste wohl, dass Athrin einer der besten Kämpfer in den Diensten des Reiches war, aber insgeheim fürchtete er sich vor dem Mann. „Ich weiß,“ sagte er tonlos. „Wie lange wird die Reise dauern?“ „Wenn alles gut geht, vier oder fünf Tagesreisen und das ist auch gut so. Ich werde hier gebraucht. Aber auf der anderen Seite geht eure Sicherheit über alles.“ „Ja... Ja, natürlich...“ Unwillig griff Jorin sein Bündel und folgte Athrin auf den Flur hinaus. Im Gehen wandte er sich noch einmal zu seiner Kammer um. Er hatte zwar das nötigste eingepackt um sich auch im selbstauferlegten Exil über die Runden zu helfen, aber was er zurückließ waren Erinnerungen. Erinnerungen an eine weitestgehend unbeschwerte Kindheit, an seine Brüder und an seine Mutter – alles Menschen die nun nur noch in Gedanken bei ihm weilten. Schweigend liefen der Thronfolger und sein Beschützer den Korridor entlang in Richtung der Ställe, wo wohl schon alles reisefertig war. Um nicht aufzufallen, hatte er seine prunkvolleren Gewänder ablegen und sie mit einer einfachen Bauernkluft tauschen müssen. Es handelte sich um ein schlichtes Leinenhemd und eine dunkle Hose, durchweg bequeme und robuste Kleidung in der er sich dennoch unwohl fühlte. Vermutlich eine Frage der Gewöhnung. Er setzte gerade an, Athrin etwas zu fragen, als ihm eine Frau begegnete, die er noch nie zuvor im Palast gesehen hatte. Sie war zwar mit den Emblemen der Magiergilde behangen, hatte aber ihre Robe gegen eine Lederrüstung getauscht, die eindeutig auf einen weiblichen Körper zugeschnitten war. Er war sich nicht sicher, ob er sie schön finden sollte, aber zumindest besaß sie eine nicht zu leugnende Ausstrahlung von Würde. Er grüßte sie instinktiv, was sie ihm sofort dankte. Dann sah sie ihn für einen kurzen Moment mit ihren braunen Augen und Jorin hatte automatisch das Gefühl, sie blickte ihm in die Seele. Als der unheimliche Augenblick vorüber war, drehte er sich zu Athrin um. „Wer ist sie?“ „Ihr Name ist Amaryll Gunnarsdottir. Sie vertritt die nördlichen Provinzen in dem von Eurem Vater einberufenen Magierrat.“ „Sie wirkte nicht wie jemand, der Widerspruch duldet.“ „Sagen wir, sie wirkte auf mich, als hätte sie klare Ziele, die sie gerne verwirklicht sieht. Dafür schont sie sich aber auch selbst nicht. Ich denke, sie wäre eine gute Soldatin, wenn sie keine Frau wäre.“ „Ihr habt sie getroffen?“ „Ich bin ihr vor ein paar Minuten zum ersten Mal begegnet, aber sie wirkte auf mich, als würde ich sie schon mein ganzes Leben kennen.“ „Das Gefühl hatte ich auch. Wie macht sie das bloß?“ „Ich denke, sie kennt die Menschen.“ „Wird sie meinen Vater unterstützen?“ „Davon bin ich überzeugt.“ Jorin nickte und nachdem er die Fragen alle gestellt hatte, vergaß er die Begegnung mit Amaryll genauso schnell wieder, wie sie ihm in den Sinn gekommen war. Wie hätte er auch ahnen können, unter welchen Umständen er ihr wieder begegnen würde. Die Kammer, die man ihr zugewiesen hatte, war auch nach Amarylls Rückkehr eiskalt. Sie hatte sich erlaubt, ein Feuer anzuzünden und die Zeit mit einem kleinen Spaziergang totzuschlagen. Zum einen wartete sie noch auf Iains Ankunft, zum anderen darauf, dass sich die Steinmauern zumindest ein wenig erwärmten. Es war nicht so, dass sie als Nordländerin keine Kälte ertragen konnte, aber wenn es sich vermeiden ließ, so legte sie es nicht darauf an. Kalt genug wurde es meist von alleine. Auf ihren Wanderungen war ihr noch einmal der Befehlshaber der königlichen Truppen begegnet, der ihr jene Kammer zugewiesen hatte. In seiner Begleitung befand sich ein Knabe, der wirkte, als hätte er bisher noch nicht so viel vom Krieg bemerkt. Sie schlussfolgerte daher, dass es sich um den letzten überlebenden Königssohn handeln musste und trotz seiner Herkunft erinnerte er sie an ihre eigenen Söhne. Als er sie gegrüßt hatte, hatte sie automatisch den Gruß erwidert. Er wirkte so unschuldig und sie hoffte inständig, dass er diese Unschuld noch eine Weile behalten durfte. Als er an ihr vorbeiging und ihr in die Augen sah, verspürte sie einen Hauch des Schicksals. Sie würde ihn also wiedersehen. Das Gefühl war schneller verflogen, als sie darüber nachdenken konnte und so war sie in ihre Kammer zurückgekehrt. Es war schon seltsam, wie sich die Ereignisse überschlagen hatten in den letzten Monaten. Zunächst hatte niemand die Angriffe der Tamuraner ernst genommen, bis klar wurde, dass sie ein System hatten und ehe man sich versah wurde man von den heranstürmenden Truppen überrumpelt. Und nun standen sie kurz vor den Toren der Hauptstadt. Auch wenn klar war, dass die Anareaner einiges versäumt hatten, so wollte Amaryll die Hoffnung noch nicht aufgeben. Sie konnte sich keinen anderen Grund vorstellen, warum König Aran den Magierrat einberufen ließ, als den, dass er einen Plan verfolgte. Für sie war es das erste Mal, dass sie den königlichen Palast überhaupt betrat, denn normalerweise fanden die Treffen der Magier im Hauptquartier der Gilde statt. Anareana war daher keine unbekannte Stadt für sie, auch wenn diese Treffen nicht allzu häufig vorkamen. Den Großteil ihrer Arbeit versah sie an der Magierakademie von Ternheim, der Hauptstadt der nördlichen Provinzen. Wenn Amaryll ehrlich war, so fand sie den großen Verwaltungsaufwand, den die Gilde ihr bescherte lästig. Ihre wahre Bestimmung war das Lehren der Novizen und darin war sie eine der Besten. Dennoch hielt sie sich an ihre Pflichten und erfüllte die ihr aufgetragenen Aufgaben. Sonst wäre sie jetzt nicht hier. Als sie die Kammer betrat schüttelte sie den Kopf. Das Feuer war ausgegangen, kein Wunder, dass es nicht warm wurde. Es gab eben nicht mehr genügend Holz. Sie seufzte und kauerte vor dem Kamin nieder, um Wärme in die Steine zu leiten. Sie schloss die Augen und spürte wie die Energie aus ihren Handflächen in die Steine floss. Magie war allgegenwärtig aber nur wenige besaßen die Fähigkeit diese große Quelle der Macht adäquat anzuzapfen und große Dinge zu vollbringen. Für gewöhnlich reichten den meisten Menschen ein paar simple Heil- und vielleicht noch Feuerzauber. Die Handhabung mächtigerer Magie erforderte größere Willenskraft, Konzentration und Übung und einen guten Lehrmeister und war daher nicht jedem zugänglich, obwohl sie es durchaus hätte sein können. Vorausgesetzt man brachte die nötige Selbstdisziplin und Geduld mit. Amaryll wusste jedoch, dass dies den Meisten fehlte und da schloss sie auch sich selbst mit ein. Sie erinnerte sich zu gut an die Schwierigkeiten, die sie als Novizin gehabt hatte, gehörte aber im Endeffekt doch zu denjenigen die durchgehalten hatten. „Sie kann es nicht lassen!“ hörte sie eine Stimme hinter sich und drehte sich erschrocken um. „Iain!“ „Sei gegrüßt, Amaryll!“ „Ich habe dich gar nicht kommen sehen... Wann bist du hier eingetroffen?“ Er zuckte mit den Schultern. „Kurz nach dir, vermute ich. Aber du hast mich offensichtlich nicht gesehen…“ „Nein…“ Sie eilte auf ihn zu und umarmte ihren Gefährten, der es sich auf dem Bett gemütlich gemacht hatte. Seine Waffen hatte er abgelegt, aber er wirkte dennoch wie auf dem Sprung. Er war kräftig gebaut und überragte Amaryll um wenige Zentimeter. Auf seiner Haut waren schon erste Falten zu erkennen und in seinem langen blonden Haar erste graue Strähnen. Obwohl er noch immer kräftig wirkte, hatte das Alter erste Spuren hinterlassen. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“ „Die Reise war weniger gefährlich, als befürchtet. Ich denke, es wird dich beruhigen, dass die Kinder in Sicherheit sind.“ Sie setzte sich neben ihn und nickte. „Ja, das beruhigt mich. Trotzdem wäre mir wohler, wenn du bei ihnen wärst.“ „Du vergisst wohl etwas: Ich bin dein Beschützer, das allein ist meine Aufgabe. Und wenn ich ehrlich bin, ist mir unwohl bei der ganzen Sache mit dem Magierrat. Anarea hin oder her, du solltest nicht hier sein.“ „Nur hier sollte ich sein. Nur wenn alle zusammenarbeiten, ist noch etwas zu retten.“ Iain seufzte und küsste seine Gefährtin vorsichtig. „Amaryll, ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt noch etwas zu retten ist und ich will nicht, dass du dein Leben für eine sinnlose Sache opferst. Ich liebe dich und die Kinder und ich würde es nicht ertragen, wenn dir etwas passierte.“ „Was soll mir passieren?“ „Der Angriff auf die Stadt steht jederzeit bevor. Ich weiß nicht, was der König von euch allen will, aber ich bin mir nicht sicher, ob es noch möglich ist, Anareana zu verlassen, bevor es wirklich losgeht.“ „Wer sagt denn, dass ich das will?“ „Deine Vernunft. Amaryll, du willst doch nicht etwa bleiben?“ „Wenn es notwendig sein sollte, doch. Du kannst mir nicht raten zu fliehen, wenn meine Fähigkeiten gebraucht werden. Ich bin Heilerin und es ist meine Pflicht zu helfen.“ „Deine Pflicht besteht einzig und alleine gegenüber deiner Familie. Ich kann es nicht verantworten, dass du dich für eine abstrakte Idee in Gefahr begibst. Die Schlacht ist bereits verloren. Du musst nicht noch ein Opfer davon werden.“ „Dann… sieh… nicht… zu…“ „Wie bitte?“ „Wenn du es nicht ertragen kannst, dann sieh nicht zu. Ich entbinde dich von deiner Pflicht, mein Beschützer zu sein. Geh! Kümmere dich um die Kinder!“ Entgeistert starrte Iain sie an. „Das ist nicht dein Ernst, Amaryll. Wie kannst du so etwas sagen?“ Ihre Stimme zitterte. „Ich habe ebenfalls lange über all das nachgedacht und meine Entscheidung getroffen. Ich bleibe. Ich kann nicht vor den Pflichten weglaufen, die ich angenommen habe, auch wenn es schmerzt. Und wer weiß, vielleicht haben wir Glück. Ich kann nicht einfach aufgeben und von dir als erfahrenem Kämpfer hätte ich etwas mehr Mut erwartet.“ „Mut hat nichts damit zu tun. Du weißt genau, worum es geht. Aber offensichtlich rede ich gegen eine Wand. Ich habe dir vorerst nichts mehr zu sagen.“ Iains Stimme klang tonlos. Er stand auf und ging zur Tür. Einen Moment lang überlegte Amaryll, ihm hinterherzurufen, er solle warten, aber sie blieb stumm. Als er gegangen war, sank sie weinend auf dem Bett zusammen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)