I'm no longer a replica von Bito (Beyond Birthday ist nun am Zug) ================================================================================ Kapitel 2: Orphan ----------------- Der kleine schwarzhaarige Junge hielt die Hand seiner Mutter fest gedrückt, während sie über den verschneiten Bahnhof schritten. Immer wieder blickte er hinauf zu ihrem freundlichen Gesicht, über dem seltsame Zahlen flackerten. Eine vierstellige Zahl, die sich mit jeder verstrichenen Stunde veränderte. Sie bewegten sich, verschwommen, flackerten, bildeten Kreise und wurden somit zu einer völlig neuen Zahl. Beyond war vollkommen fasziniert von diesem Schauspiel und war stehend geblieben, um dem Szenario mit weit geöffneten Augen zu folgen. „Na los, Beyond.“, sagte seine Mutter lächelnd und setzte ihren Weg fort, der zum 6. Bahngleis führte und sie nach einem langen Einkaufsbummel nach Hause bringen sollte. Im kalten Winterwind wehte Beyonds dunkelroter Mantel, während kleine Schneeflocken sich in dem Stoff verfingen und zu Wasser schmolzen. Doch den Jungen störte es nicht, dass er mit jeder Minute etwas nasser wurde, denn er hatte einen kleinen Vogel entdeckt, der sich an einer alten Kekstüte zu schaffen machte, die aus einem der vielen Bahnhofsmülleimer gefallen war. Lachend entwand sich Beyond dem Griff seiner Mutter und trippelte auf den nahe liegenden Abfallbehälter zu. Eine seiner behandschuhten Hände fest um die Einkaufstüte geschlossen, in der eine Wara Ningyo verstaut war, die er von seiner Mutter geschenkt bekommen hatte, da sie an einem asiatischen Laden vorbei gekommen waren. Mit der anderen Hand versuchte er den Spatz zu erwischen, der aber immer wieder in die Luft empor flog, eine Runde drehte, um dann einen halben Meter weiter wieder zu landen. Auf die Durchsage, die in der Zwischenzeit ertönte achtete der Schwarzhaarige nicht, ebenso wenig wie auf die Rufe seiner Mutter. „Bitte vorsichtig an Gleis 6. Der Zug wird in wenigen Minuten einfahren.“ „Beyond. Komm jetzt!“, rief seiner Mutter erneut, über die Lautsprecherdurchsage hinweg. Gerade als Beyond seiner Mutter seine neueste Entdeckung, die aus den weißen Wölkchen bestand, die bei jedem Atemzug seine Lippen verließen, bestand, präsentieren wollte und er sich zu der Frau umgewandt hatte, stieß diese einen markerschütternden Schrei aus. Das Lächeln auf Beyonds Lippen verschwand. Die junge Frau hatte ihren Sohn gerade holen wollen, um den Zug nicht zu verpassen, als ein Passant an ihr vorbei eilte und sie ihren Halt verlieren ließ Mit dem Schrei auf den Lippen stürzte sie. Beyond rannte auf die zu: „Mama!“ In seiner Stimme schwang Verzweiflung mit. Gerade erreichte er den Rand des Gleises, als seine Mutter von dem anfahrenden Zug erwischt wurde. Umstehende Passanten schrieen auf, der Zugfahrer betätigte quietschend die Bremse, doch für Beyond Mutter war es bereits zu spät. Blut spritzte auf die umliegenden Steine und benetzte auch den kleinen Jungen, der auf dem gepflasterten Boden kniete. Mit leerem Blick starrte er auf die Stelle, an der seine Mutter hilflos gelegen hatte, ohne Hoffnung allein wieder aus dieser Situation zu kommen. Das letzte was sie gesehen hatte, die blutroten Augen ihres Sohnes, von denen sie immer gesagt hatte, dass sie ein Zeichen von Gottes Liebe gewesen waren und nicht das Werk eines Dämons. Und doch hatten genau diese Augen den Tod gebracht. Ein Bahnhofsangestellter kam auf den jungen zu gelaufen, versuchte mit ihm zu reden, doch ein einziger Blick genügte, um den Mann zurück schrecken zu lassen. Der Sechsjährige regte keinen Muskel. Minuten vergingen, in denen er sein Augenmerk nicht von den Gleisen reißen konnte. Stumme Tränen rannen seine Wangen hinab. Keine Worte drangen an sein Ohr, konnten den Schleier der Trauer nicht durchbrechen und zu ihm gelangen, um ihm Trost zu spenden. Keine Berührungen spürte er, nicht einmal die stechende Kälte des Schnees und des Windes. Bilder verschwammen vor seinen Augen, hinderten ihn an klarer Sicht. Er hörte nichts, sah nichts, fühlte nichts. Fühlte nichts außer stechendem Schmerz, den nichts in der Welt zu heilen vermochte, weil niemand ihm das zurückgeben konnte, was er gerade verloren hatte. Alles erschien ihm unwirklich. Um ihn herum herrschte Chaos, Polizisten sperrten das Gebiet, befragten Augenzeugen und begannen damit die Leiche zu bergen, oder das, was von dieser noch übrig war. Ein junger Polizist kniete sich neben Beyond, redete auf ihn ein, doch erhielt keine Antwort. Seufzend hob er den Jungen auf seine Arme und setzte ihn in einen der Streifenwagen. Kurze Zeit verschwand er, um darauf mit einem braunen Becher gefüllt mit warmen Kakao zurück zu kehren. „Hey Junge.“, begann der Polizist: „Wie ist dein Name?“ Wieder keine Reaktion von seitens Beyond. „So kann ich dir nicht helfen, Junge. Ist dein Vater auch hier in der Nähe?“, versuchte er es erneut. Beyond schaute auf und schüttelte den Kopf- Der Kakao wurde ihm gereicht, den er allerdings nur ihn der Hand hielt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden ihn zu trinken. Aber die davon ausgehende Wärme gab Beyond ein Lebensfünkchen zurück, ließ ihn merken, dass er noch da, noch am Leben war. „Also…wie ist dein Name und wie alt bist du?“, fragte der blonde Mann. „Beyond.“, hauchte er als Antwort und seine Stimme war kaum mehr als ein Rauschen im Wind: „Beyond Birthday. Ich bin gerade sechs geworden.“ „Und wo ist dein Vater?“ „Papa ist auf der Arbeit.“ „Und weißt du auch wo dein Papa arbeitet?“ „Ja. In einer großen Redaktion, nahe dem alten Fabrikgebäude.“ Ein wehleidiges Lächeln trat auf die Lippen des Polizisten, als er den Jungen im Wagen allein ließ und mit einem seiner Kollegen sprach. Beyond konnte die Worte durch die geschlossene Tür nicht verstehen und beschloss sich dann seinem Kakao zu widmen, der sich schon recht weit abgekühlt hatte. Vorsichtig nippte er an dem süßlichen Getränk, doch ein stechender Schmerz in seiner Magengegend ließ es ihn bei einem Schluck belassen. Bei der Erinnerung an seine Mutter krampfte sich sein Magen zusammen und seine Augen begannen fürchterlich zu brennen, als er versuchte die drohenden Tränen nieder zu kämpfen. Die Zeit floss zäh dahin und es kam dem Jungen vor als verginge eine Ewigkeit, bis eine vertraute Stimme an sein Ohr drang. „Wo ist mein Sohn? Ich will ihn sehen? Ist ihm auch nichts passiert?“ Sofort rüttelte Beyond an dem Griff der Autotür. Abgeschlossen. Erst nachdem ein weiterer Polizeibeamter die Tür entriegelte konnte Beyond in die Arme seines Vaters sinken. Die Tränen, die er zuvor mühvoll zurück gehalten hatte, rannen nun über seine Wangen und benetzten die Schultern seines Vater, der seinen Sohn auf den Arm gehoben hatte und ihn tröstend an sich drückte. An die restlichen Ereignisse konnte Beyond sich nicht mehr erinnern, da er ihn einen unruhigen, traumlosen Schlaf fiel, nachdem er die schützende Wärme seines Vaters verspürt hatte. Stunden verstrichen, aus diesen wurden Tage und schließlich Wochen. Noch immer war der Schmerz, der mit dem Tod seiner Mutter in ihm entbrannt war nicht gemildert, doch wusste Beyond, dass er stark sein musste. Für seinen Vater war es ebenso schwer, wie für ihn selbst und nun war es an der Zeit, dass beide stark blieben und für einander da waren. Am frühen Morgen kroch Beyond aus seinem Bett, das mit einem blauen Laken bedeckt war. Die Decke, die mit Figuren aus dem Manga Akazukin Chacha verziert war, dem ersten Buch, das Beyond gelesen hatte, wurde achtlos zur Seite geschoben. Barfüßig schlich er über den leeren Korridor, bis er die Küche erreichte. Dort angekommen warf er einen kurzen Blick auf das Kalenderblatt. Dezember, 22 prangte die Schrift auf dem Papier, doch in Beyond kam keine weihnachtliche Vorfreude auf. Immer wieder erschienen die Bilder seiner sterbenden Mutter vor seinen Augen. Immer wieder flackerten die Zahlen durch seine Gedanken. Schon immer hatte er diese Zahlen bei den Menschen sehen können, genauso wie ihre Namen. Es war etwas besonderes, doch hatte er nie jemandem davon erzählt. Oft genug war er von den Nachbarn als Dämon oder Ausgeburt der Hölle bezeichnet worden. Also wollte er ihnen nicht noch einen Grund für solche wahnwitzigen Behauptungen geben. Nur weil er eine außergewöhnliche Augenfarbe besaß war er doch nicht gleich ein Monster. Beyond dachte an die Zahlen. Sie hatten sich verändert, hatten immer niedrigere Werte ergeben. Schließlich waren sie bei Null angekommen. Der Junge schreckte auf, als er seinen Blick auf die Küchenuhr richtete. Das war es. Endlich hatte er verstanden, was die Zahlen über den Köpfen der anderen aussagten. Sie funktionierten nach dem gleichen Prinzip wie eine Eieruhr. Eine gewisse Zeit war jedem lebenden Individuum auf Erden gegönnt, doch war diese Zeit begrenzt und er, Beyond Birthday, hatte die Fähigkeit genau diese Zeit zu sehen. Die Zeit, die den Menschen noch blieb um ihr jämmerliches Dasein auf der Erde zu fristen. Nach ungefähr einer Stunde, erhob sich auch sein Vater aus dem Bett und begrüßte seinen Sohn mit einen Kuss auf die Stirn. „Morgen Papa.“, gähnte Beyond und drückte ihn einmal fest. Augenblicklich viel sein Augenmerk auf die Zahlen die über dem Kopf seines Vaters schwebten. Am liebsten hätte der Junge aufgeschrieen, als die Zahlen erneut begannen sich zu formen und zu wandeln, aber die Stimme des Jungen versagte. Langsam schüttelte er den Kopf. Gleich einer Trance, saß er regungslos da und starrte ihn an. In diesem Moment ertönte das Geräusch einer zerberstenden Glasscheibe. „Was war das?“, fragte sein Vater und schaut sich kurz um, bevor er laut rief: „Wer ist da?“ Doch statt einer Antwort ertönte nur ein ohrenbetäubender Knall. Beyond zuckte zusammen. Sein Vater riss seine dunkelbraunen Augen weit auf und riss Beyond von dem Küchenstuhl und drängte ihn weiter zur neuen, vor wenigen Monaten eingebauten Küche, die in Cremefarben gehalten war. Unsanft gruben sich die Finger des Vaters in die Schulter des Schwarzhaarigen, doch dieser gab keinen laut des Schmerzes von sich, da er die panische Angst in den Augen seines Vaters gesehen hatte. „Los du mieses Journalistenschwein! Komm raus. Es wird Zeit abzurechnen! Du hast unsere ganze Firma ruiniert!“, brüllte der Fremde und schoss dabei eine teuere Porzellanvase zu Bruch. Beyond starrte seinen Vater nur angsterfüllt an, während dieser sich zu ihm kniete. „Hör mir jetzt gut zu, Beyond. Bleib in deinem Versteck, egal was passiert. Gib keinen Mucks von dir und komm erst dann raus, wenn du dir ganz sicher bist, dass niemand mehr hier ist, oder ich dich daraus hole. Hast du verstanden?“, flüsterte sein Vater heiser und schnell, dennoch deutlich. Dann drückte er ihn in einen kleinen Schrank unter der Spüle und bedeute ihm still zu sein. Die nächsten Minuten flossen zäh dahin. Stimmen wurden laut, Poltern, Scheppern, dann wurde alles still. Beyond wagte es nicht sich zu bewegen. Wagte es nicht nach seinem Vater zu sehen, da er bereits eine gewisse Vorstellung davon hatte, was ihn erwarte würde. Wie auch bei seiner Mutter hatten die Zahlen sich verändert, sich immer mehr ihrem Ende zu geneigt. Erst nachdem mehrere Stunden vergangen waren, traute der Junge sich den Schrank zu verlassen. Seine Beine zitterten, ob vom langen Hocken, oder vor Angst, dass wusste er nicht. Langsam tapste der Schwarzhaarige in das neben liegende Zimmer, in dem das reinste Chaos herrschte. Das Bücherregal war umgerissen worden und die Bücher lagen überall verstreut. Scherben von Vasen, Lampen und Fernseher vermischten sich mit den Bruchstücken der Stühle, die um einen kleinen Tisch herum gestanden hatten, der ebenfalls von einem heftigen Schlag getroffen worden war. „Papa?“, fragte er heiser und seine Stimme glich mehr einem Krächzen. Als er seinen Vater dann schließlich entdeckte, begann er unweigerlich zu zittern. Der ältere Mann, mit den dunkelbraunen Haaren lag rücklings auf dem Teppich. Um ihn herum breitete sich eine Blutlache aus. Seine Augen waren weit aufgerissen, ebenso sein Mund, ein letzter stummer Schrei auf seinen Lippen, den niemals ein Mensch mehr vernehmen würde. Beyond konnte nicht weinen, zwar spürte er den Schmerz in seinem inneren, doch keine Träne rollte seine Wange hinunter. Stattdessen lenkte er seine wackeligen Schritte dem Telefon entgegen und wählte eine Nummer. „Hallo… spreche ich mit der Polizei?“, fragte Beyond immer noch heiser und wartete auf eine Antwort. Nachdem der Sprecher am anderen Ende der Leitung bejahte sagte Beyond: „Hier spricht Beyond Birthday. Bei uns wurde eingebrochen. Papa ist tot.“ Dann legte er auf und wartete. Wartete, dass die Polizisten wieder alles in Ordnung bringen würden. Bevor er sich still auf einen Stuhl in der Küche setzt, fischte er ein Glas Erdbeermarmelade aus dem Kühlschrank, schraubte dieses auf und tauchte seine Hand in die klebrige Masse. Er leckte sich die süße Konfitüre von den Fingern. Etwas was seine Eltern ihm immer verboten hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)