Point Zero von Nachtwandler (Das Leben geht weiter. Aber einer fehlt.) ================================================================================ Prolog: apart from zero ----------------------- Es hätte nie dazu kommen sollen. Es hätte alles weitergehen können wie zuvor. Aber von einem Augenblick auf den anderen hatte sich alles verändert, so hart und brutal, dass wir nur mit Mühe wieder zu Atem kamen und vielleicht einer von uns sich wünschte, er hätte in diesem Moment auch aufgehört zu atmen. Wir standen einfach nur da und konnten nichts mehr tun. Keiner von uns hatte es kommen sehen. Keiner von uns war schuld daran. Und keiner konnte je wieder gut machen, was geschehen war. In diesem Moment wussten wir alle, dass dies der Untergang war. Und das nichts mehr sein würde wie zuvor. Mit grausamer Gewalt war die Realität hereingebrochen und hatte sich die Träume geholt, die wir bis dahin noch gehabt hatten. Unwiederbringlich. [Toshiya] surviving the breakdown ----------------------- Für Kao. _________________________________________________________________________________ Gedämpft drang der Lärm der breiten, unruhigen Straße durch die bodenlangen Vorhänge an den Fenstern des kleinen Appartements, in dem ein junger Mann auf seinem Bett liegend um den Schlaf kämpfte. Zwar lag das Zimmer hoch über den ewig blinkenden, schrillbunten Leuchtreklamen, die in einer endlosen Reihe an den Wänden der Häuser empor rankten, doch das Reden und Lachen der Menschen und das stete Brausen des Verkehrs schafften es, wenn auch gemildert, dem dunkelblauen Bann der Nacht zu entkommen und alles zu durchdringen. Doch der junge Mann, der mit vollem Namen Niikura Kaoru hieß, hätte ohnehin nicht einschlafen können. Ich wusste nicht, wie lange ich schon gelegen hatte, schlaflos und ohne jeglichen Gedanken, ich hatte mir selbst verboten über irgendetwas nachzudenken, weil damit immer wieder die Erinnerung zurückkehrte. Die Erinnerung an jene Nacht nach dem Konzert. Dem letzten Konzert, das wir je gegeben hatten. Bevor Die ... Ich drehte mich auf die andere Seite und starrte den Wecker an, auf dass dieser mir vielleicht die Frage nach dem Warum, die sich nun wieder lautstark Gehör verschaffte, beantworten würde. Aber da Wecker grundsätzlich nicht sprachen - und darin machte dieser keine Ausnahme - erfuhr ich nur, dass es kurz nach drei Uhr morgens war. Blindlings tastete ich nach der Nachttischschublade, vielleicht waren da noch Schlaftabletten, ich hatte sie mehr als nötig, vielleicht würde mein Kopf dann endlich Ruhe geben, ich wollte doch schlafen, verdammt! Es waren keine Tabletten mehr da. Mein Körper ächzte vor Müdigkeit, als ich mich aus der Bettdecke schälte und aufstand, ohne Licht zu machen. Im Bad mussten noch Tabletten sein. Oder in der Küche. Ich musste schlafen. Wenigstens für ein paar Stunden, wenigstens bis zum Morgengrauen, damit ich nicht wahnsinnig wurde – Ich betrat das Bad und schaltete das Licht ein. Im Spiegel über dem Waschbecken starrte mir ein Mensch entgegen, den ich nur mit Mühe als mein eigens Äußeres identifizieren konnte. Dabei half mir zumindest die Haare, deren violette Zerfranstheit sich jedoch hart gegen das bleiche Gesicht mit den unübersehbaren dunklen Augenringen abhob, das mich ausdruckslos und irgendwie verbissen anblickte. Früher wären diese Augenringe entweder geschminkt oder Überreste von nächtlichen Parties mit den anderen in irgendeinem Club gewesen. Heute verwiesen sie einfach auf die letzten Nächte, die alles andere als erholsam gewesen waren. Ich ließ mich nicht auf irgendwelche tiefsinnigeren Dialoge mit dem eigenen Spiegelbild ein, wie es dazu gekommen war, denn in einem Kästchen unter dem Waschbecken war ich bereits fündig geworden. Zwei kleine weiße Tabletten lagen unschuldig auf meiner Handfläche bevor ich sie mit einem Schluck Wasser hinunterstürzte. Und bis zum Morgen schlief ich tief und fest. Und wahrscheinlich hätte ich auch weitergeschlafen, wenn nicht um zehn Uhr mein Handy geklingelt hätte. Eine Weile lang starrte ich es einfach nur an, ohne zu begreifen, was ich damit anfangen sollte, bis meine Finger schließlich Initiative ergriffen, sich das Handy schnappten und es an mein Ohr drückten. Einen Moment schwieg ich. Der oder die am anderen Ende war, auch. Dann kam es vorsichtig und leise vom anderen Ende der Leitung: „Kaoru-san?“ Ich erkannte die Stimme sofort. Einen Moment lang erwog ich aufzulegen, abzuschließen mit allem, ein für alle Mal, dachte ich bitter, lasst mich in Ruhe, ihr wisst, dass ich da bin, aber ich will mit euch nichts mehr zu tun haben, ich kann mit euch nichts mehr zu tun haben, es tut zu weh, daran zu denken, es ist kaum auszuhalten. Ich hielt das Handy von meinem Ohr weg, den Finger auf der roten Taste. Leg auf, drängte ich mich, lass die Schatten der Vergangenheit in deinen Traumwelten weiterleben, aber lass nicht zu, dass sie wieder zu deinem Leben gehören. „Kaoru-san?“,drang es schwach aus dem Lautsprecher, etwas lauter. Leg schon auf. Leg auf. LEG AUF. Ich konnte es einfach nicht. Neugier und das Gefühl, dass ich irgendetwas verpassen würde, wenn ich jetzt einfach so auflegte, kämpften gegen den Drang, stur zu bleiben und gewannen. Verdammt. Entnervt hielt ich das Handy wieder an mein Ohr. War ich immer schon so inkonsequent gewesen? „Hallo Shinya-san.“ „Leg jetzt auf keinen Fall auf und hör mir erst zu“, kam es atemlos zurück, meine Stimme musste meine Absichten wohl besser ausgedrückt haben, als ich es je gekonnt hätte. Außerdem hatte ich ja die letzten Male wirklich einfach aufgelegt, trotz dieser Aufforderung. Kein Wunder also. Ich verzog leicht das Gesicht und versuchte meiner Stimme einen gelangweilten Klang zu geben – es war ja schließlich erst ein halbes Jahr her, dass ich mit der Person am anderen Ende der Leitung einen vollständigen Satz gewechselt: „Was gibt’s? - Ich mache nicht mit, wenn es wegen diesem Angebot von unserem ehemaligen Manag-“ „Darum geht es nicht!“, Shinya fiel mir fast fauchend ins Wort. „-er, also von wegen Abschiedstou-“ Wieder wurde ich auf heftigste Weise unterbrochen. Offenbar war es Shinya wirklich einmal ernst mit dem, was er zu sagen hatte. Offenbar war ich Zeuge eines historischen Augenblicks geworden. Er jedenfalls klang leicht verärgert – und verletzt. „Hör mir verdammt noch mal zu! Du weißt genau wie Toshi-chan zu diesem Angebot steht und er hat seine Meinung bis jetzt auch nicht geändert.“ Soso. Toshi. Toshi-chan. Da hatte sich anscheinend nicht viel verändert. Zusammen durch die guten und die schlechten Zeiten, was? Und nicht kann uns trennen oder so? Wie schön für euch beide, dachte ich bitter; beinahe konnte ich sehen, wie Toshiya hinter Shinya saß und ihm die Schultern massierte. Und hätte bei dem Gedanken beinahe seinen nächsten Satz vollkommen überhört. „...uns Sorgen um Kyo.“ „Was?!“ „Ich sagte, wir machen uns Sorgen um Kyo.“ „Und? Kyo's Fangemeinde – insbesondere die kleinen Fangirlies - macht sich Sorgen um Kyo – ihr macht euch Sorgen um Kyo – aber was hat das mit mir zu tun? Wir sind nicht länger eine Band. Er geht mich nichts mehr an. Und ihr auch nicht, genau genommen.“ Meine Worte klangen fremd aus meinem eigenen Mund, so, als wäre nicht ich es gewesen, der sie gewählt hatte. Kalt waren sie, kalt und abweisend. Ich machte mir keine Sorgen um Kyo – nein, ich nicht. Sollten das die anderen tun. Warum sollte ich? Was bildeten sie sich ein, mich wegen dieser Nichtigkeit anzurufen? Mir selbst ging es auch nicht gut. Darüber machte sich niemand Sorgen. Ich hängte mir ja auch kein Schild, auf dem stand: I want to die, I want to get to DIE. Was Kyo nie getan hätte, natürlich. Shinya reagierte jedenfalls fast hysterisch: „Was?! Bedeutet er dir denn gar nichts? Das kann nicht dein Ernst sein, oder?! Wie kannst du nur so ein gefühlskaltes A-“ Den Rest – ich konnte mir denken, was er sagen wollte und gut darauf verzichten – ging in einem Knirschen und Knacken unter. Dann ... „Wir wollen lediglich, dass du nachsiehst, wie es ihm geht. Versteh uns nicht falsch. Wir würden selber gehen, aber wir haben im Moment einfach einen ... ähm ...“, ein Flüstern aus dem Hintergrund, „ ... Riesenstress, genau. - Du bist doch in Kyoto – im Moment?“ Eine tiefere Stimme, Toshiya. Vernünftiger als Shinya, aber ein schlechter Lügner. „Japp.“ „Hör zu, wir konnten Kyo nicht auf seinem Handy erreichen, er hat es entweder nicht mehr oder hat es nur noch ausgeschaltet, ich habe ihm den Anrufbeantworter zugetextet, in seiner Stadtwohnung ist er nicht, seine Freunde wissen auch alle nicht, wo er ist – er muss in Kyoto sein, irgendwo. Ich – wir machen uns einfach Sorgen, weil, es ist Kyo, er hat schon seine Stimme verloren, und ähm - du kennst ihn und seine ... ähmm ... Vorliebe“, Obsession wäre angebrachter gewesen, „ ... für dramatische Inszenierungen ...“ „Das heißt, ich soll mal einfach anfangen nach der Stecknadel zu suchen, die wahrscheinlich gerade irgendwo ihren Selbstmord plant?“ „Ähmm. Genau.“ „Na, vielen Dank.“ „Ähhmmmm .... Bitte?“, es klang ziemlich gequält. Ich verrollte nicht nur verbal die Augen und schnaubte. „Ich versuch's, OK? Ich habe keine Ahnung, ob ich ihm helfen kann, geschweige denn, dass ich ihn fin-“ „Versprochen?“ „JA.“ „Ohhhhhh, dankedankedankedanke-“ Shinyas Dankbarkeiten verkürzte ich drastisch, indem ich schnell auflegte. Seufzend strich ich mir eine einzelne violette Strähne aus dem Auge. Was hatte ich da nur versprochen. Immerhin, zu tun haben würde ich genug. Aber was, wenn ich ihn fand? Was im Grund genommen unrealistisch war. Was, wenn es gar nicht so war, wie die beiden vermuteten? Dann musste sich niemand um ihn kümmern. Oder was, wenn es genau so war? Konnte ich dann noch helfen – Musste ich? Oder was – wenn ich zu spät kam? Interlude: closing both eyes ---------------------------- Für Kat, Kao und Kao. ;] _________________________________________________________________________________ „Meinst du, er macht es wirklich?“ Shinya lehnte vorsichtig seinen Kopf wieder gegen Toshiyas Schulter und starrte auf das Display des ausgeschalteten Handy neben ihnen. Der andere legte seinen Arm wieder um ihn und zog ihn sanft an sich. „Warum sollte er nicht?“, Toshiyas Stimme klang ungemein beruhigend, nach allem was er gerade gehört hatte. Shin schloss die Augen, wenn man bei Kaoru doch nur sicher sein könnte. Er öffnete ein Auge wieder, linste hinauf zu Toshiyas liebevollen Gesicht und bemerkte leicht skeptisch: „Es klang nicht danach.“ „Wenn Kaoru etwas verspricht, dann hält er es auch.“ Voller Vertrauen. „Aber ...“ „Shhhhht ... Du kennst ihn doch. Mach dir da mal keine Sorgen“ „Gerade deshalb mache ich mir Sorgen!“ „Er mag ja ein Egoist sein – und wenn er mit uns nichts mehr zu tun haben will, damit er damit eben kann, meinetwegen – aber im Stich gelassen hat er noch niemanden“, beruhigte ihn Toshiya und die Strähnen seines dunklen Haaren vermischten sich mit den blonden des anderen, als er ihn behutsam küsste, um ihn an jeglichem weiteren Widerspruch zu hindern. searching just another victim ----------------------------- Für Kao, Kao, Kat, hi-chaan, Uma_uma, Yo-mi und alle (noch ?) unbekannten Leser. Danke, dass ihr meine FF lest. Und mir tw. sogar Kommentare schreibt. :] _________________________________________________________________________________ Schon etwa eine Woche später sollte ich es bereuen, dass ich meinen beiden Ex-Bandkollegen dieses Versprechen gegeben hatte. Denn solange dauerte es, bis ich eine Spur von Kyo fand. Dazu redete ich mit dem Manager („Nein, ich habe nach wie vor NICHT die Absicht, bei einer Abschiedstour zu spielen!“), einigen Freunden und Freundinnen von Kyo („Wer? Natürlich Kyo. K - Y – O. Ja, unser stummer Sänger. Hast du eine Ahnung wo er sein könnte?“), den Inhabern von verschiedenen Clubs, in denen er früher verkehrt war („Nein, ich habe ihn auch nicht wieder gesehen.“), bis ich schließlich bei jemandem fand, der wusste, wo wir alle waren. Jemand, der uns nach jahrelanger Verfolgung nicht aufgegeben hatte. Doch auch er staunte nicht schlecht, als ich plötzlich in der Milchglastür seines Büros stand. „Mon Dieu! Kaoru-sama!“, rief er, ein schmaler junger Milchbart mit dunkler Intellektuellenbrille und grünen Strähnchen im pechschwarzen Haar - und unser seit Jahren mit Hingabe verachteter Paparazzo - und sprang förmlich aus seinem Bürostuhl auf. Er wollte mir die Hand reichen, aber ich hatte sie bereits demonstrativ vor dem Körper verschränkt, sodass er sie nun doch wieder recht unmotiviert sinken lassen musste. Ich erwiderte seinen Gruß nicht und starrte nur ausdruckslos auf ihn nieder – er war zwar nur einen halben Kopf kleiner, aber der Blick erzielte Wirkung, er schluckte und beschloss, das Schleimen – vorläufig - teilweise einzustellen. „Äh ... häm, welche Ehre. Was führt Sie zu mir?“ „Ich brauche Informationen. Wann hast du die letzten Bilder von uns gemacht?“ „Eh - mal sehen ...“, er verkroch sich gemächlich hinter seinen PC und klickte sich durch irgendwelche Archive von denen ich gar nichts wissen wollte, murmelte dabei Daten und Namen von Zeitschriften vor sich hin – ehe er mit einem Mal triumphierend aufsah: „Vor zwei Monaten. Allerdings ... nicht von eurem Sänger.“ Ich war kurz davor, die ersten Ansätze von Frustration zu zeigen – also war meine Suche hier zu Ende. Wenn nicht einmal dieses Schlitzohr wusste, wo Kyo war ... ich würde gewiss keinen Privatdetektiv engagieren. Das sollten dann bitte die anderen übernehmen. Aber – irgendwie wurmte es mich, dass ich dann die Hilfe von jemand anderem brauchen würde, der wahrscheinlich mit Leichtigkeit zu Wege bringen würde, was ich durch eine Woche Recherche, Telefonate, Gerenne nicht zustande gebracht hatte. Es konnte doch nicht so schwer sein in Kyoto einen berühmten, aber leider verstummten Sänger namens Kyo zu finden! Ich verzog das Gesicht und wartete auf eine neugierige Frage meines überaus neugierigen Gegenübers, aber diese kam nicht, vielmehr fuhr er, die Augen starr zum Bildschirm gewandt, fort: „Ih...ja – aber vor etwa zweieinhalb Monaten habe ich ein Bild von Kyo -“ „Du hast doch die Adressen unserer Privatwohnungen?“, im nächsten Moment bereute ich es so viel Spannung in meine Stimme gelegt zu haben. Am Ende witterte dieser Mensch noch ein Geschäft! Doch zu spät - er sah auf, argwöhnisch fragte er: „Wieso wollen Sie das wissen?“ „Auch die Adresse von Kyo?“ Irritiert zog er die Augenbrauen hoch, griff aber stumm zu einem Karteikasten und blätterte darin. Er entnahm eine Karte, hielt aber – wie befürchtet – inne: „Und was bekomme ich dafür?“, grinsend wedelte er damit. Vor meiner Nase. „Was willst du denn?“ „Einen Ersatz für die Kamera, die einer von euren liebenswerten Bodyguards mir vor einem Konzert zertrümmert hat ... und, ähm, einen kleinen Bonus.“ Ich erinnerte mich dunkel an einen unschönen Zwischenfall, bei dem ein seltsamer Irrer – das war er gewesen? - versucht hatte, sich mit der Kamera in die Künstlergarderobe zu schleichen. „Also gut.“, ich seufzte. Also doch teurer, als ich gedacht hatte. Wenn nicht ... Ich konnte dem widerlichen, weil selbstgefälligen Grinsen nicht ab, mit dem er mir die Adresse aufschrieb. Ich war fast sicher, dass es noch am Papier kleben würde, wenn ich das Büro bereits verlassen hatte. Und jetzt fing der Kerl auch noch an alte Geschichten aufzuwärmen, während er sich über den Zettel beugte. „Jaaahhh ... das war keine schöne Geschichte, und dabei wollte ich den Film doch mit Bildern von euch einweihen -“ „Sie fotografieren noch auf die altmodische Weise?“ „Zum Teil, aber in letzter Zeit nicht mehr so viel. Die meisten Magazine wollen es digital und ich will nicht Abende lang scannen. Außerdem -“, er war mit dem Schreiben fertig und unaufmerksam genug, den Zettel beim Reden nicht zu beachten. „-wird das Filmmaterial langsam teurer, also wenn Sie wirklich gute-“ „Danke!“, ich schnappte mir geistesgegenwärtig den Zettel und ließ ihn ihn verdattert hinter seinem Schreibtisch stehen, vor Schock und Überraschung sprachlos. Als ich die Tür öffnete, drehte ich mich noch einmal um und knurrte: „Schreib's mit der Kamera auf eine Rechnung und schick es unserem Manager.“ Das erweckte ihn aus seiner Starre. „HE! Das war aber nicht -“ Ich weiß, das war nicht nett, dachte ich mies grinsend. Alle weiteren Einwände gingen rettungslos hinter einer von mir hastig zugeknallten Tür unter, doch ehe er mir folgen oder sein lautstarkes Protestgeschrei weiter aufbürden konnte, war ich bereits im Treppenhaus. Das Jagdfieber hatte mich gepackt, ich wollte wissen, ob die Information richtig war und dieses lästige Treffen mit unserem Sänger hinter mich bringen, nur um Shinya und Toshiya wahrscheinlich mitteilen zu können, dass sie sich umsonst Sorgen gemacht hatten. Ein anderer Stadtteil von Kyoto. Ein anderes Treppenhaus. Vorhang auf für die nächste dramatische Szene. Ich bedauerte nur, dass der Redeanteil auf meiner Seite, nachdem ich geklingelt und der emsig summenden Sprechanlage meinen Namen genannt hatte, so groß war. „Kyo? Ich bin's.“, ich klopfte. „Machst du auf?“ Anscheinend nicht. Hinter der Tür war ein leises Tappen zu hören, wie als wenn jemand dahinter stand, auf den Zehenspitzen und versuchte ganz leise zu sein. Und dieser jemand schien zu überlegen, ob er die Tür nun aufmachen sollte – oder nicht, denn er hatte zweifelsohne meine Stimme erkannt. Ich jedenfalls würde nicht gehen, bevor ich ihn gesehen hatte oder in der Wohnung gewesen wäre – damit ich die anderen damit beruhigen konnte. Ich hoffte, dass ich das konnte. „Kyo? Ich bin' s Kaoru. Die anderen machen sich Sorgen und ... ähmm, ne, also die anderen und ich“, das war zwar nun zur Hälfte gelogen, aber vielleicht half es „wir machen uns Sorgen um dich und ... ich wollte ...“, gezwungenermaßen, „mal nach dir sehen.“ Keine Reaktion. Ich legte vorsichtig mein Ohr gegen das Türblatt und vermeinte dahinter leises Atmen von jemanden, der vorgeben wollte nicht da zu sein, aber den fatalen Fehler gemacht hatte, an der Sprechanlage zu hören, wer draußen war. „Kyo? Da ist ein Paket für dich.“ Immer noch nichts. Langsam wurde ich ärgerlich. Ich hattest es jetzt auf die normale, auf die sentimentale und auf die schiefe Tour versucht und es hatte zu keinen Erfolg geführt. Ich war nicht zu meinem Vergnügen durch halb Kyoto gefahren – mit der hoffnungslos überfüllten Straßenbahn, gehetzt von einer Horde ausländischer Visu's – und zu allem Ärger, begann ich mir jetzt auch noch selber Sorgen zu machen und das machte mich extrem ärgerlich, ich fing ja an, fast so emotional zu werden wie Shinya ... dagegen musste etwas unternommen werden! Und zwar auf der Stelle! „Mach verdammt noch mal die Tür auf, ich weiß, dass du da bist!“ ,brüllenderweise vergaß ich den letzten Rest Höflichkeit, trat mit voller Wucht gegen das darauf hin erbebende untere Türblatt und konnte regelrecht sehen, wie Kyo dahinter überrascht keuchend einen Satz nach hinten machte. Und tatsächlich, ein dumpfes 'Klong!' zeigte mir, dass er immer noch dort gestanden haben musste. Doch wieder keine Reaktion. Verdammt, was war nur mit Kyo los? Am Ende ging es ihm wirklich nicht gut. Oder ich war an der falschen Adresse. Aber das war ich bereit zu riskieren. Oder Gangster hatten ihn überfallen und hielten ihn gefangen. Ich hatte eigentlich keine Lust auf ein mehr oder weniger unrühmliches Ende durch die Kugel eines Killers durch eine geschlossene Tür hindurch. Ach, wie auch immer. Letzter Versuch. „Wenn du die Tür jetzt nicht aufmachst, dann ... dann ... trete ich sie ein! Ich zähle bis Drei!“ Ich hatte das schon öfter in amerikanischen Actionserien gesehen und obwohl ich mir keine Illusionen darüber machte, dass eher meine Schulter als die Tür nachgeben würde, trat ich ein paar Schritte zurück, um genügend Anlauf zu haben. „Eins ...“ „Zwei ...“ „Drei!“ Doch gerade, als ich die Augen zusammenkniff und losstürmen wollte, registrierte ich ein schüchternes Klicken und das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Und da stand Kyo. Gewöhnlich bin ich ja nicht schnell entsetzt - aber bei seinem Anblick zog ich doch scharf die Luft ein. Und sagte sanfter und mit weicherer Stimme, als ich ihn eigentlich hatte begrüßen wollen: „Dir geht’s wirklich nicht gut, was?“ Interlude: report of a disaster ------------------------------- Ich glaube, am schlimmsten war es, als er sah, dass die Kugel nicht ihm gelten würde. Dass sie nicht ihn treffen würde. Sondern dass auf den gezielt wurde, den er liebte. Den er wirklich liebte. Wahrscheinlich war das für ihn schlimmer, als selbst zu sterben. Ich meine, er hat den Mann unten in der Menge gesehen. Bevor es geschah. Und er wusste, was geschehen würde – und was er zu tun hatte. Er wusste, dass es keinen anderen Weg gab, ihn zu retten. Es muss ihm irgendwie klar gewesen sein, dass es keinen anderen Ausweg gab. Einer würde sterben, wieso also nicht er? In diesem Augenblick – und bei diesem Anblick – muss in ihm einfach etwas zerbrochen sein. In dem Moment hat er mehr aufgegeben als sich selbst. Ich habe ihn nur noch fliegen sehen und wie er ihn zu Boden gerissen hat, in dem Augenblick, als der Schuss fiel. Es war ein unglaublicher Sprung, quer über die halbe Bühne. Er ist regelrecht – geflogen. Trotzdem - es hätte nicht so enden sollen. [Shinya] emergency treatment ------------------- Für Kao, Kao, Kat, hi-chaan, Uma_uma und Yo-mi. ___________________________________________________________________________________ Schnell stellte ich meinen Fuß auf die Türschwelle, sollte Kyo nun auf die Idee kommen, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen, würde ihm das nicht mehr gelingen. Was ich durchaus verstanden hätte, denn schließlich hatte ich ihn regelrecht dazu genötigt mir die Tür zu öffnen. Allerdings trug schon sein Anblick - der mich vorher noch so hatte nach Luft schnappen lassen - dazu bei, dass ich solcherlei Befürchtungen mit einem verächtlichen Kopfschütteln beiseite schob. Er trug sein altes, fleckiges, schwarzes T-Shirt mit den langen Ärmeln, das ihm wie früher, als er es als Schlafanzug benutzt hatte, viel zu weit war, doch nun machte es den Eindruck als wäre es ihm noch um einige Nummern mehr zu groß. Sein Haar war noch blond, wie damals, während der letzten Tour. Doch es war strähnig, stumpf und fettig. Er hatte es bestimmt seit Tagen nicht mehr gewaschen und es hing ihm ins Gesicht wie eine Perücke, die man falsch aufgesetzt hatte. Das Schlimmste aber waren seine Augen. Sie blickten mich an, schienen aber durch mich hindurch zu sehen, in weite Ferne, wohin - ich wollte es nicht wissen. Sie waren so stumpf wie menschliche Augen es eigentlich nur sein konnten, wenn ihr Besitzer gerade gestorben war. Ich versuchte seinen Blick aufzufangen, aber es war unmöglich. Immerhin ... hatte er vielleicht wahrgenommen, dass ich da war. Aber Kyo stand nur da und rührte sich nicht. Er sagte nichts. Dann trafen sich unsere Blicke im Bruchteil eines Augenblicks mit unglaublicher Intensität. Ein stummer Schrei der Verzweiflung in meinem Kopf. Er wandte den Blick sofort ab. Dann drehte er sich um und ließ mich stehen. „Kann ich reinkommen?“, war alles, was ich über die Lippen brachte. Er drehte sich weder um zu mir, noch würdigte er mich im Weggehen irgendeiner Antwort, sondern verschwand durch eine Tür im hinteren Teil seines Appartements. Kurz darauf hörte ich das Knirschen eines sich umdrehenden Schlüssels. Offenbar war es ihm egal, ob ich wegen ihm gekommen war und ob ich blieb und ich hätte nicht übel Lust gehabt, mich nach diesem verstörenden und zugleich kalten Empfang einfach wieder umzudrehen und ihn in seinem Elend im Stich zu lassen, meine Hand lag schon auf der Klinke, da – Nein. Nein, ich konnte es nicht. So sehr ich auch wünschte, mit allem hier an dieser Tür abzuschließen, es würde mich unweigerlich wieder einholen. Wenn nicht jetzt, dann heute Nacht. Und in der Nacht darauf. Und immer so fort, bis ich an dem Punkt angekommen war, an dem Kyo stand. An dem Punkt, an dem es gefährlich war noch einen unbedachten Schritt zu tun, weil es nicht sicher war, ob man dann je wieder Boden unter die Füße bekam - Ich musste bei ihm bleiben. Zumindest für ein paar Tage. Ihn wieder halbwegs auf de Beine bringen. Wenn ich nicht blieb oder wenn mir das nicht gelang, dann würde er mich mitreißen, das spürte ich. Mein Schicksal bis auf weiteres verfluchend und auf der anderen Seite voller Sorge um unseren ehemaligen Sänger betrat ich den Raum und schloss die Tür so leise es ging, hinter mir. Diese Wohnung kannte ich nicht - ich stand in einem kleinen Wohnzimmer, kahl war es – es bestand lediglich aus einem Teppich, einer gemütlich, aber alt anmutenden Couch, einem Fernseher, einem Tisch mit ein paar Stühlen - und ein durch einen Rolleau verschlossenes Fenster ging hinaus auf einen dreckigen grauen Asphalt-Hinterhof. Die anderen Wände des Raumes wurden von Türen eingenommen. Zwei davon waren offen - Bad und Küche - die dritte, durch die Kyo gegangen war, blieb mir verschlossen, ich vermutete, dass sie ins Schlafzimmer führte. Für etwa eine Minute legte ich das Ohr an das Türblatt und hörte nichts. Schlief er? Oder saß er einfach nur da und starrte ins Leere? Kyo hätte ebenso gut nicht da sein können. Vielleicht war er das auch schon nicht mehr. So saß ich vielleicht fünf Minuten auf ebenjener grauen Couch, während mir die Stille langsam und erdrückend wie eine Bleiplatte auf den Kopf fiel. Es war eine gelangweilte, eine anonyme Stille, die sich keine Gedanken darüber machte, was sie mit den Menschen anstellte. In mir richtete sie nur insofern etwas an, dass ich mir plötzlich überlegte, dass ich mit den anderen reden musste. Soviel Verantwortung allein für Kyo, nachdem sich die Befürchtungen meiner ehemaligen Bandkollegen - Shinya mochte ja in manchen Dingen sehr emotional bis hysterisch sein, aber ich schwor mir, von nun an seiner Intuition mehr zu trauen als meiner eigenen - erfüllt hatten, konnte und wollte ich eigentlich nicht alleine tragen. Ich zog mein Handy heraus, wählte die wohlbekannte Nummer - doch keiner nahm ab. Vermeidend darüber nachzudenken, was die beiden, die am anderen Ende der Leitung hätten sein sollen - und die mich erst in diese Lage gebracht hatten, worüber ich seltsamerweise nicht mehr so ärgerlich war, wie am Anfang - in diesem Augenblick, in dem ich gewissermaßen ohnmächtig in Kyos Wohnzimmer saß, taten, dass sie nicht ans Telefon kommen konnten (ich konnte es mir bildlich vorstellen, danke - und meine Phantasien erledigte den Rest.), versenkte ich das Handy ausgeschaltet in meiner Umhängetasche. Bestimmt waren sie einfach nur essen gegangen. Wohl oder übel musste ich bis sie, ähm ... zurück kamen, mit dieser Situation selbst fertig werden. Zuerst einmal ... würde ich mich beschäftigen. Das war nicht weiter schwer. Ich fing in der Küche an. Dreckiges Geschirr stapelte sich im Spülbecken, der Müll von mindestens zwei Monaten quoll über - die nächsten fünf bis sechs Stunden war ich vollauf damit beschäftigt, in Kyos Wohnung zu putzen, zu waschen, zu spülen ... Ab und an hörte ich das leise Klacken zweier Türen, wenn Kyo vom Schlafzimmer ins Badezimmer und wieder zurück ging. Als ich schließlich hungrig wurde und den Kühlschrank inspizieren musste, fand ich außer einigen Gemüseleichen nichts essbares – anhand des Abfalls hatte ich schon ersehen, dass sich der Blonde in den letzten Wochen ausschließlich von einer gewaltigen Menge an Instant-Nahrung ernährt haben musste, aber davon war nichts mehr übrig. Mir kam zwei erschreckende Gedanken: Hatte er in den letzten Tagen überhaupt etwas gegessen? Oder ... bedeutete, dass nichts mehr da war, dass er ohnehin nicht mehr lange hatte (hier) leben wollen? Oder: Und das war das wahrscheinlichste: Er hatte nichts mehr gegessen und schaffte es auch nicht in seinem jammervollen Zustand die Wohnung zu verlassen und einkaufen zu gehen. Das erledigte ich dann in der nächsten halben Stunde in einem Supermarkt gleich zwei Ecken weiter, in dem mich glücklicherweise niemand kannte. Danach kochte ich Kyo und mir ein Abendessen – so dachte ich. Denn als der Geruch des Essens verführerisch durch die Wohnung zog, öffnete sich Kyos Tür nicht etwa automatisch. Auch nicht als ich schließlich mit einer Portion vor ihn vor der Tür stand. „Kyo, ich habe gekocht ... machst du mir auf?“ Offensichtlich nicht. Was hatte ich auch erwartet. Da ich heute Abend weder Lust hatte, weitere bettelnde Monologe zu halten, noch irgendwelche Türen einzutreten, noch den anderen eigenhändig zu füttern, stellte ich ihm das Essen kurzerhand vor die Tür und ließ mich mit meiner Portion auf der Couch nieder und schaltete den Fernseher an und versank in der Betrachtung einer Reihe von dramatischen Doramas. Es wurde langsam Abend und der Lärm der Stadt veränderte sich, wurde zu jenem steten Rauschen, dass die ganze Nacht die Stadt durchziehen würde wie ein ewiger Fluss, der nie abriss, der nie versiegte, legte ich noch einmal mein Ohr an seine Schlafzimmertür. Doch auch diesmal hörte ich nichts. Das Essen war nach wie vor nicht angetastet. Ich würde nicht nach Hause fahren. Ich würde über Nacht bleiben. Im Bad lag eine einzelne Rasierklinge. Vor dem Spiegel. Es war kein Blut an ihr, aber ich musste es nicht sehen, um zu wissen, dass es da gewesen war. Kühl und abschätzig glänzend lag sie im gelblichen Licht der Leuchtstoffröhre. Ich sah in den Spiegel und sah mich selbst, mit meinen eigenen Augenringen, die selbst von dem Make-Up, dass ich aufgelegt hatte, nicht gut überdeckt wurden. Ich war ihm ähnlicher als ich zugeben wollte. Er hatte kein Make-Up getragen und sein Anblick – nur noch viel schlimmer - hatte mich an die Zeit erinnert, in der er noch nicht mit Die zusammen gewesen war, zu dieser Zeit war er noch eine Art Zombie gewesen, wir hatten jeden Tag damit gerechnet in irgendwo in seinem Blut liegend in einer Badewanne liegend zu finden, die Pulsadern von einer Rasierklinge zertrennt - ich hatte seine Arme jetzt nicht gesehen, aber ich war mir fast sicher, dass die alten Narben von damals wieder offen waren. Verdammt. Ich wankte nach draußen, weil ich meinen eigenen Anblick und den Kyos, an den ich dachte, nicht länger ertragen konnte und schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, bis ich hektisch das Wohnzimmerfenster aufriss und gierig nach Luft schnappte. Es würde mich zu Grunde richten, wenn ich so weiter machte, ich konnte nicht - Es gab keinen anderen Weg. Die Vergangenheit hätte mich so oder so bald eingeholt, es gab kein Entkommen mehr. Es war zu spät noch mit der U-Bahn zurück zu fahren und ich würde wohl eher in einer kleinen Bar in irgendeinem Vergnügungsviertel enden, als dass ich nach Hause gehen würde, bis ich so betrunken wäre, dass ich, wenn ich nach Hause kommen würde - wenn - zu müde wäre, irgendetwas zu tun, außer zu schlafen. So streckte ich mich lange auf Kyos Couch aus. Verdammt, warum hatte ich mich von Shinya breit schlagen lassen, nach Kyo zu sehen. Nun konnte ich nicht mehr gehen, weil es mein Mitgefühl nicht zuließ. Und immer wieder war da dieser eine Augenblick, in dem er mich angesehen, mich wahrgenommen hatte, immer wieder hatte ich ihn vor Augen, seinen stummen Schrei, es schien mir so, als wollte er mir etwas sagen, als hätte er mir stumm mitgeteilt: Jetzt hast du also gesehen, wie es mir geht. Entscheide, ob du bleiben willst, bei mir und meinem Wahnsinn und meinem so verdammten Leben. Entscheide, ob du deinen Verstand vollends verlieren willst. Es machte mich unglaublich wütend. Ich hätte ihn am liebsten geschüttelt, bis er jede Erinnerung an den verdammten Vorfall verloren hätte. Aber ich wusste, dass es mir nicht gelingen würde. Es gelang mir ja selbst nicht diese Erinnerungen zu verdrängen – auf der anderen Seite, hätte ich ihn am liebsten in den Arm genommen und ihn alles vergessen lassen, was bisher geschehen war. Aber das hatte nur Die gekonnt. Und der war tot. Aber - Irgendwo in diesen düsteren Überlegungen musste ich vor Erschöpfung eingeschlafen sein, denn mitten in der Nacht schreckte ich aus traumlosem Schlaf hoch und wusste zuerst nicht, wo ich war, dann sah ich die Gestalt, die stumm neben meinem provisorischen Lager stand und schweigend auf mich hinabblickte, ohne jedwede Regung. Da fiel es mir wieder ein. Kyo an der Tür, so dünn, sein stumpfer Blick, der stumme Schrei in meinem Kopf, das Blut, das nicht da war, im Badezimmer - Ich brachte kein Wort heraus. Seine Augen schimmerten hell unter seinen dunklen Wimpern hervor im nächtlichen Licht, sein Haar reflektierte es mit mattem Glänzen. Ich streckte die Hand aus, weil ich noch immer glaubte, dass ich träumte und erwartete, dass die Traumgestalt und meinen Händen verging wie Rauch im Wind. Einen Augenblick lang schien es, als wolle Kyo zurückweichen, doch dann berührte ich mit meinen Fingern kühle, glatte Haut und erkannte, dass er mir seine Hand entgegen streckte. Erkannte, dass es kein Traum war. Ich ergriff seine Hand behutsam und hielt sie fest. Interlude: trace of doom ------------------------ Er hat nicht noch einmal geschossen. Dieser Irre wusste, dass er sein Ziel erreicht hatte und noch mehr als das. Ihm war die Zerstörung eines Lebens – oder mehrerer - gelungen und er hatte dafür nur eine einzige Person töten müssen. Ich habe ihn noch lachen sehen, dieses Monster, bevor die Security ihn mit dem Gesicht in den Dreck warf. Dann - Ich weiß nicht, was mich mehr entsetzt hat: Das ganze Blut, in dem er lag, diese unglaubliche Menge Blut. Kyos totenbleiches Gesicht, als er über ihm kniete und seinen Kopf in seinen Schoss bettete. Und dann sein Schrei, als er in seinen Armen starb, lauter als alles. Er stand nicht einmal mehr in der Nähe eines Mikrofons, aber sein Schrei übertönte und durchdrang alles und jeden. Es war der wilde Schrei eines zu Tode verwundeten Tiers. Er schrie, bis er keine Luft mehr hatte, bis man ihm eine Beruhigungsspritze gab und von Die wegzog - Seitdem hat er kein Wort mehr gesprochen, aber ich bin sicher, dass er in seinem Kopf immer noch schreit. [Toshiya] silence ------- Für Kao (♥), _Kao, Kat, hi-chaan, Jukiko, Kusaru12, nawa, Uma_uma und (last, but not least ;))Yo-mi. Eine Frage, bevor es weitergeht: Gibt es jemanden unter euch, der unbedingt ein Happy End will? Antwort (per ENS/Kommi) wäre nett, muss aber nicht sein. Viel Spaß mit dem nächsten Kapitel! ________________________________________________________________________________ Ich setzte mich endgültig auf, dehnte dabei meinen verspannten Rücken (dabei hatte diese Couch doch so gemütlich ausgesehen!), rückte ein Stück zur Seite und zog ihn dabei gleichzeitig näher zu mir. Er ließ sich willenlos neben mir nieder, ohne mich anzusehen. Die Arme hatte er auf den Oberschenkeln verschränkt, doch seine linke Hand lag noch immer in der meinen und überbrückte die Distanz von fünf Zentimetern zwischen uns. Seine Decke, in die er sich eingehüllt hatte, war heruntergerutscht und entblößte eine magere Schulter. Er war wirklich noch dünner, als ich ihn in Erinnerung hatte, die Knochen zeichneten sich deutlich unter der im Mondlich totenbleichen, bläulichen Haut ab. Aber die Überreste von mindestens drei Monaten Instantnudeln? - Oder sollte das alles gewesen sein, was er in diesen sechs Monaten insgesamt gegessen hatte? Ich konnte mich eines leichten Schauderns nicht erwehren. Kyo musste bemerkt haben, dass ich ihn anstarrte, denn abrupt ließ er meine Hand los und zog die Decke wieder enger um sich. Für einen flüchtigen Augenblick sah ich seine Augen aufglänzen im Dämmerlicht, dann sah ich wieder nur sein schwarzes, unlesbares, im Schatten liegendes Profil. Eine Weile saßen wir so nebeneinander, der eine schweigender als der andere und mir ging alles mögliche durch den Kopf. Es gab da so vieles, was ich ihn hätte fragen wollen, aber bei allem war ich mir sicher, dass ich keine Antwort erhalten würde. Ich war mir nicht sicher, ob es überhaupt richtig war, etwas zu sagen. Eigentlich hatte ich gar nicht hier zu sein. Ich war ein Eindringling, wenngleich der Schmerz den wir trugen, wahrscheinlich so unterschiedlich gar nicht war. Warum war ich eigentlich hier? Warum hatte ich mich erst in diese Lage bringen müssen, mit ihm hier auf der Couch zu sitzen, wie zwei Verlorene mit ungewissem Schicksal? Warum war ich hier? Nur wegen eines Anrufs? War das nicht auch das, was Kyo dachte? Gedankenverloren fuhr ich mir durchs Haar, ich musste mich ihm erklären, und so begann ich leise zu sprechen: "Ich wollte eigentlich nicht hierher kommen - nie." Es klang kalt, so wie ich es sagte und ich fügte rasch hinzu: "Shinya und Toshiya riefen mich an und sagten mir, dass sie sich Sorgen um dich machten, seit - nun ja und es gelang ihnen mich zu überreden." Wieder eine Pause. Ich erwartete irgendeine Reaktion, irgendeine. Aber nichts. "Erinnerst du dich an den Frosch von Osaka? Dieser Paparazzo mit den grün gefärbten Haaren, der es irgendwie geschafft hatte, sich in die Künstlergarderobe zu schmuggeln, als Shinya gerade in der Maske war? Der konnte mir dann schließlich sagen, wo du wohnst. Er war aber noch immer sauer wegen seiner Kamera, die Toshiya zertrümmert hat", ich gestattete mir ein kurzes Grinsen in der Dunkelheit. "Aber als ich dich heute Mittag wiedersah - dachte ich, dass ich ein kompletter Vollidiot gewesen bin, Shinya hatte mehr als Recht. Ich ... hatte mit einem Mal Angst", die letzten Worte waren mir herausgerutscht. Aber sie waren wahr, so wahr. Und so bitter. "Um dich - und mit einem Mal ... hat mich alles, alles - wieder eingeholt, was vor sechs Monaten war." Es hatte mich schon viel früher eingeholt. An jedem Tag, an jedem verdammten Tag von sechs verfluchten Monaten voller schlafloser Nächte. Die Angst um Kyo. Die Verzweiflung. Und die Frage nach dem Warum. Ich hatte vergessen wollen und war zu mir selbst geflohen. Nur um festzustellen, dass ich im Kreis lief. Doch nur Schweigen in Kyos Gesicht, dass unter den schimmernden Haaren im Dunkel lag. Was dachte er? "Ich wollte keinen Freund mehr verlieren, verstehst du?" Wieder Schweigen. Doch mit einem Mal erkannte ich, dass er mich ansah. Aus einem Augenwinkel rann ihm eine einsame Träne. Eine der letzten, die nach sechs Monaten übrig geblieben war. Ich hob die Hand und erkannte wohl meine Absicht, denn er ergriff sie, noch bevor ich ihm die Träne abwischen konnte, sanft, aber bestimmt und schob sie von sich. Lass mich, schien er sagen zu wollen. Nicht. Noch nicht? Und ich ließ ihn gewähren und wusste, dass es richtig war. Wir müssen vor Erschöpfung im Sitzen nebeneinander eingeschlafen sein. Am nächsten Morgen wachte ich sehr früh auf. Kyo war fort, wahrscheinlich hatte er sich wieder in seinem Zimmer eingeschlossen. Aber seine Decke hatte er da gelassen, denn als ich mich aufsetzte, fiel mir auf, dass ich zugedeckt worden war. Auch fand ich das Essen, das ich ihm am Abend zuvor hingestellt hatte, nicht mehr vor. Ich beschloss, diese Tatsache als gutes Zeichen zu nehmen. Probeweise drückte ich die Klinke zu seinem Zimmer. Abgeschlossen. Ein Schritt nach dem anderen. Heute morgen würde ich meine Sachen holen gehen, damit ich ein paar Tage bei Kyp bleiben konnte, damit - ja, warum eigentlich? Ich dachte an die letzte Nacht - und erkannte die Antwort. Als Kyo um etwa acht Uhr aufstand, fand er die Wohnung verlassen vor, auf der sorgfältig zusammengefalteten Decke lag ein weißer Zettel: Bin kurz zurück zu meiner Wohnung. Ich komme wieder und bringe Frühstück mit. Bis gleich - Kaoru. Das zaghafte Lächeln, das für den Bruchteil von einer Sekunde auf seinen Lippen spielte, war das glücklichste, was sein Gesicht seit langem gesehen hatte. Interlude: system failure ------------------------- Die Sanitäter trugen ihn hinaus. Das war das letzte, das ich sah. Danach – muss ich irgendwann das Bewusstsein verloren haben, denn ich erinnere mich an nichts mehr. Ich muss wohl einfach umgefallen sein. Ich wachte in Toshiyas Armen wieder auf, später. Er hatte geweint und schüttelte nur den Kopf, bevor ich fragen konnte. Ich weiß noch, wie wir in sein Zimmer kamen und er im Bett lag, niedergestreckt von dem Mittel, dass sie ihm gespritzt hatten. Jetzt sollte er noch ein wenig schlafen, der Schmerz würde wiederkommen, sobald er aufwachte und dagegen gab es kein Mittel. Kaoru fuhr sofort zu uns herum, als er hörte, dass jemand ins Zimmer gekommen war. Kyos Hand, die er wahrscheinlich die ganze Zeit festgehalten hatte, ließ er sofort los. In seinen blutunterlaufenen Augen lag eine solche Wildheit, dass ich erschrocken von ihm zurückprallte. Diese grauenhafte Mischung aus Verzweiflung und Entschlossenheit. Er würde nicht noch einmal zulassen, dass irgendjemand ihn verletzte. Er würde nie wieder zulassen, dass irgendjemand Kyo auch nur ein Haar krümmte. Und wenn doch, wäre diese Person so gut wie tot. Wahrscheinlich - wäre er an jenem Tag ebenso für Kyo gestorben. Wenn Die ihm nicht zuvor gekommen wäre. Doch schon am nächsten Tag war Kaoru verschwunden. [Shinya] changes ------- Für Kao (deren Geduld sehr strapaziert wurde), _Kao, Kat, hi-chaan, Jukiko, Kusaru12, -len-, nawa, Peach_Pocky, Uma_uma, Yo-mi und alle, die ich vergessen habe ... XD Danke, dass ihr solange gewartet habt. Und weiter geht's mit dem nächsten Kapitel! ________________________________________________________________________________ Warum war ich bei ihm geblieben? Und warum hatte ich vor, wieder zurückzugehen zu ihm, auch wenn ich wusste, dass ich es wahrscheinlich wieder kaum ertragen konnte, ihn stumm - und das auch noch im wahrsten Sinne des Wortes - vor sich hin leiden zu sehen. Es machte mich wütend, dieses ewige Leiden. Es machte mich traurig, weil ich ihm nicht helfen konnte, weil ich glaubte zu wissen, wie es enden würde. Es machte mich verzweifelt. Warum, das wusste ich mir selbst nicht zu erklären. Ich hätte nur aus der Bahn aussteigen müssen, und mich in einen Zug in die entgegengesetzte Richtung setzen müssen. Ich hätte mein Versprechen gebrochen und wahrscheinlich in einem Monat einen Selbstmord, den ich ohnehin nicht hätte verhindern können, verschuldet. Ich hätte ein weiteres Herz - neben meinem eigenen - zerbrochen. Verdammte Sentimentalität. Warum, fragte ich mich zweifelnd und eingequetscht wie eine Sardine in der Masse der Menschen um mich, fuhr ich also wieder zurück? Ich hatte doch gesehen, wie wenig ich ihm helfen konnte. Weder war ich ein Psychologe noch ein besonders sensibler Mensch, der genug Empathie besaß, um auch ein Schweigen zu deuten. Allerdings wollte ich mich auch nicht unbedingt als emotionalen Holzklotz bezeichnen. Warum also? Die Antwort aber war simpel: Weil Kyo jemanden brauchte. Jemand, der einfach da war und sich eine Weile lang um ihn kümmerte. Und ich war da, nicht, weil ich unbedingt jemanden brauchte, um den ich mich kümmern konnte, sondern weil ich einfach etwas tun musste, um mich abzulenken. Wäre der Anruf nicht gekommen, wäre ich nach einigen Tagen wahrscheinlich los gezogen, um mir eine Arbeit - eine neue Band wollte ich nicht, nach allem was geschehen war - zu beschaffen, damit ich aufhören konnte, zu denken und mir Vorwürfe zu machen. Also war meine Anwesenheit zu unserer beider Vorteil. Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte ich wohl Toshiya und Shinya das Ruder überlassen. Doch inzwischen war ich mir nicht einmal sicher, ob das die beste Lösung gewesen wäre. Das glückliche Paar und immer in der Gegenwart eines anderen, der nicht damit aufhören konnte, um seinen toten Geliebten zu trauern. Gruselig. Aber noch vor einer Stunde ... Ich hatte in aller Eile meine Sachen gepackt. Ein Blick in den Badezimmerspiegel zeigte mir, dass ich schon seit ungefähr einer Stunde mit einem unmöglich dümmlichen Grinsen herumlaufen musste. Ich versuchte meine Mundwinkel auf ein normales, neutrales Niveau herunter zu biegen, damit ich nicht mehr so sehr nach "Verliebtem Trottel, der für seinen Angebeteten Frühstück besorgt" aussah. Zumal es mir wirklich nur um das Frühstück ging. Trotzdem gelang es mir nicht. Ich verrollte großzügig die Augen. Ich schwang meine vollgestopfte Sporttasche über die Schulter und war gerade im Begriff, die Wohnung zu verlassen, als das Telefon klingelte. So fordernd und so energisch, dass es nur ... "Shinya?", fragte ich gereizt. "Ne, der andere, der mit den schwarzen Haaren, der mal am Bass war", kam es amüsiert von einer tieferen Stimme am anderen Ende der Leitung. "Toshiya!", rief ich aus, überrascht, dass es dem anderen gelungen sein musste, Shinya das Telefon zu entwenden. "Genau. Schön, dass du dich noch an meinen Namen erinnerst“, mittlerweile triefte seine Stimme von Sarkasmus und ich vermeinte sein schräges Grinsen noch am anderen Ende der Leitung sehen zu können. Ich ging nicht drauf ein. „Ich schätze, du rufst wegen Kyo an?“, es war eigentlich keine Frage meinerseits. „Korrekt. Wie geht es ihm?“ „Du glaubst also, ich hätte ihn schon gefunden?“ „Bei mir hat vorhin so ein komischer Kerl angerufen - er war ziemlich aufgebracht, meinte, du hättest ihn hereingelegt und ihm die Nummer eines Imbiss-Service untergeschoben. Zuerst wusste ich nicht, was er mit uns zu tun hatte -“, ich unterbrach ihn und führte die Geschichte selbst zu Ende: „- aber dann stellte sich heraus, dass es ebenjener Fotograph war, dessen Kamera du zertrümmert hast, als Shin gerade in der Maske war und der dich damals mit einem Bodyguard verwechselt hat. Der mir die Adresse von Kyo gegeben hat.“ „Richtig“, er war nicht überrascht über meine detailreiche Kenntnis der Geschichte und klang eher ein wenig resigniert und schuldbewusst. „Dass dieser Idiot auch gerade in - Also, wie geht es Kyo?“ „Ich schätze - unverändert. Er spricht nicht, er ist ein bisschen abgemagert und ich glaube -“, ich führte den Satz nicht zu Ende. Dass er sich ritzte, wusste ich nicht mit Gewissheit, denn als ich heute morgen im Bad gewesen war, lag die Klinge nicht mehr vor dem Spiegel. Und auch die letzte Nacht ... - „Ich glaube nicht, dass wir uns noch große Sorgen machen müssen. Ich war jetzt einen Tag bei ihm und irgendwie ... glaube ich, dass er nur ein wenig Gesellschaft braucht.“ „Das ist gut. Ich werde es Shinya erzählen. Du bleibst doch noch ein paar Tage bei ihm?“ „Ja.“ „Ruf mich an, wenn du es nicht mehr aushältst - oder wenn irgendetwas schief geht, ok?“ „Mach ich. Macht euch nicht so viele Sorgen.“ Ich legte auf, bevor er noch etwas erwidern konnte und verließ meine Wohnung beinahe fluchtartig. Schon wieder zu viel Vergangenheit. Bereits als ich die Tür aufschloss - (auf dem Weg hatte ich mir den Schlüssel nachmachen lassen, nur für den Fall ...) - hörte ich schon gedämpft das Rauschen der Dusche. Keine Stimme, die sang. Ich wusste nicht, ob Kyo grundsätzlich nicht unter der Dusche sang oder – ob er es einfach nicht mehr konnte. Aber immerhin ... Ich verschwand in der Küche, um den ersten Tee zu bereiten. Nach einigen Minuten, in denen das Wasser anfing zu kochen, war dann plötzlich Stille, dann gingen Schritte hinter mir zurück ins Schlafzimmer. Einen Augenblick lang - so schien es mir - blieben sie auf meiner Höhe stehen. Stand er hinter mir? Ich drehte mich nicht um und tat, als ob ich nichts bemerkt hätte. Doch meine Hand zitterte, als ich etwas aus dem Kühlschrank nahm und verriet mich. Eine Tür ging zu und blieb es für eine Weile. Gerade war ich damit fertig, den Tisch zu decken, da erschien Kyo. Er setzte sich mir gegenüber, hielt den Kopf aber gesenkt und sah mir nicht in die Augen. „Guten Morgen“, sagte ich, obwohl ich wusste, dass keine Antwort kommen würde. Er bedachte mich nicht einmal mit einem Blick. Meinetwegen, dachte ich und zuckte innerlich mit den Schultern, ich war jetzt auch schon die letzten Monate allein und wenn Kyo nicht mit mir reden wollte und sich nicht traute, mich anzusehen dann ... konnte ich ihm nicht helfen. So einfach war das. Ich begann zu essen, ohne darauf zu warten, dass er es mir gleich tat. Ab und zu sah er zu mir herüber und selbst dann schien er mich nicht wahr zu nehmen, selbst dann schien er hinter mir jemanden zu sehen, der nicht da war, doch mich sah er nicht direkt an. Ich weiß nicht, ob das der Auslöser für das war, was ich dann tat - obwohl es vollkommen unbeabsichtigt war. „Tee?“ fragte ich. Kyo sah mich an, als versuchte er eine Absicht zu ergründen, die sich hinter meinen Augen - starr mich nicht so an! - verbarg, die nicht da war. Er schob mir seinen Becher hin. „Achtung - er ist noch sehr heiß“, warnte ich ihn vor, aber da war es bereits geschehen. Ein verirrtes Schwappen des dampfenden Tees traf seine Hand und er zuckte mit so etwas wie einem sehr leisen Schrei zurück, während sich sein Gesicht vor Schmerz verzog und er mich mit großen Augen anstarrte. „Entschuldige“, begann ich, völlig überrumpelt von der Tatsache, dass er immerhin einen Laut von sich gegeben hatte „ist es schlimm?“ Ich streckte meine Hand aus, zu ihm über den Tisch - er zögerte. Ich zog die Hand zurück. „Entschuldige“, wiederholte ich, diesmal leiser und war mir nicht sicher, warum ich das überhaupt sagte. Kyo schwenkte seine Hand ein paar Mal hin und her, dann - streckte er sie mir entgegen. Es war wohl mehr ein Reflex, denn ein bewusster Gedanke, dass ich sie sofort ergriff. Wir sahen uns an. Es war gut. Einige zeitlose Augenblick lang verharrten wir so. Dann saßen wir uns wieder schweigend gegenüber, ich gedankenverloren und mit einem Mahl satt, beide Hände um die Teetasse verschränkt, Kyo einzig und allein mit Augen für seine Mahlzeit, um seine Schultern hing noch das nasse Handtuch, beide Arme waren mit weißen Verbänden umwickelt, die aus den Ärmeln seines schwarzen Sweat-Shirts herauslugten. Also doch. Dass ich da war, hatte wahrscheinlich nichts verändert. Warum auch? Was hatte ich mir erwartet? Dass er Die einfach so vergessen würde und dann weiterlebte wie zuvor? Oder dass etwa ich, Kaoru, etwas verändern konnte, ein kleiner Stein in dem Mahlwerk der Gleichgültigkeit? Und das nur dadurch, dass ich da war? Was für ein Narr ich doch war. Was für ein armer, leichtgläubiger Narr. Interlude: survivor ------------------- Was ich als erstes fühlte, als ich wieder wach wurde? Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube aber, dass es nichts war. Da war so eine unglaubliche Leere in mir, eine grauenhafte Stille, als ob ich zuvor alles hinausgeschrieen hätte. Aber daran erinnerte ich mich nicht. Mein Hals tat weh und ich war nur erstaunt, woher ... Im ersten Moment erinnerte ich mich an überhaupt nichts. Doch dann drangen die Erinnerungen wieder auf mich ein, mit aller Gewalt. Stellt euch einen Film vor, der rückwärts läuft, unaufhaltsam und nirgendwo ein Knopf um ihn abzuschalten. Und dann sah ich alles noch einmal. Und ich schrie, schrie und schrie - und stellte fest, dass ich mich zwar selbst hören konnte, aber das kein Laut meinen Mund verließ. Und keiner war bei mir. Kaoru kam mir dann auf dem Gang entgegen, einen dampfenden Plastikbecher in der Hand, er hatte Ringe unter den Augen, als hätte er eine ganze Nacht nicht geschlafen - Ich rannte auf ihn zu wie ein Irrer und klammerte mich an ihn, der Becher fiel ihm aus der Hand, mir war schwindelig, wo ist Die, wollte ich ihn fragen, formte Worte bewegte die Lippen, doch meine Stimme war tot. Tot. Wie - Ich wollte nicht, dass das was ich gesehen hatte, Wirklichkeit war. Ich wollte nicht, dass es zu Ende war. Ich wollte ihn nicht verloren haben, bevor ... Wir hatten doch zusammen fortgehen wollen. Doch ich konnte in Kaorus Augen lesen, dass er längst fort war. Ohne mich mitzunehmen. Ohne mich. Krankenpfleger kamen und zerrten mich von ihm weg. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen. Wo ist er?, wollte ich schreien und: Lasst mich zu ihm! Aber sie, sie zogen mich unerbittlich zurück zu meinem Zimmer. Mein Blick fiel zurück auf Kaoru – der mir nichts gesagt hatte. Und doch alles gesagt hatte. Ich konnte nicht sprechen, aber ich schrie, schrie irgendwo tief in mir drin, bevor sie die Tür hinter mir schlossen - Hilf mir. Er muss es gehört haben. [Kyo] wounds ------ Danke an alle, die immer noch mitlesen, vor allem an Kao - ohne dich hätte ich schon längst aufgegeben. Die nächsten Kapitel kommen jetzt schneller - hoffentlich. ^^ ________________________________________________________________________________ So vergingen die Tage. Und aus diesen Tagen wurde bald eine Woche, zwei Wochen, drei Wochen. Es hätte so weiter gehen können und nichts hätte sich verändert. Ich blieb bei Kyo und in all den Wochen schlief ich auf der Couch in seinem Wohnzimmer und hätte wahrscheinlich wie ein Hund auch auf dem Boden geschlafen, wenn ich nur bleiben konnte, denn immer, wenn ich einmal in der Woche in meine eigene kalte Wohnung zurückkehrte, fühlte ich mich nur als Besucher. Nicht mehr heimisch. Dann sah ich zu, dass ich das Notwendigste erledigte und dann raus, raus aus dieser Leere. Zurück zu Kyo. Was war aus mir geworden – nicht mehr als ein ... Wanderer zwischen den Welten, ein Streuner, der seine Heimat einfach aufgegeben hatte, ein Abhängiger, der seine Sucht sich selbst nicht zugeben konnte, aber auch nichts dagegen unternahm? Das fragte ich mich einige Male in diesen Wochen, manchmal wütend, zynisch-beißend, manchmal traurig, manchmal ohne den Unterton jeglicher Emotion. Warum war ich überhaupt noch hier? Immer öfter hatte ich daran gedacht, die anderen anzurufen, die Verantwortung zu übergeben, die ich nicht einmal hatte, um professionelle Hilfe fragen, wie wir es wohl bereits am Anfang für ihn hätten tun sollen. Abschieben. Was wollte ich eigentlich? Es war mehr ein Egoismus, als ein Kümmern. Ich hoffte, mit seiner Anwesenheit vergessen zu können, nachdem ich festgestellt hatte, dass ich es ohne ihn auch nicht schaffte. Meine Hände bewegten sich automatisch, ließen das wenige Wasser aus dem Spülbecken und ergriffen ein Handtuch – ich spülte sein Geschirr, kochte, putzte, wusch, machte alle Einkäufe – Kyo machte nie Anstalten mir zu helfen, er machte nicht den mindesten Ansatz dazu, meistens stand er nur einen Augenblick stumm im Türrahmen, sah mir kurz bei dem zu, was ich gerade tat, drehte sich dann um und verschwand dann wieder in seinem Zimmer. Schloss sich ein, schloss mich aus. Es war mir egal. Ich machte die Hausarbeit, die ich sonst auch machte. Nur für eine Person mehr, die kaum aß, kaum trank, kaum noch lebte. Immerhin besser, als wenn man ihn irgendwann tot inmitten seines eigenen Mülls gefunden hätte, allein wegen der Klatschpresse wollte ich ihm das nicht zumuten, wenn Leute wie dieser grünhaarige Frosch, der mir Kyos Adresse gegeben hatte, davon Wind bekam, dann – ich wollte mir die Folgen gar nicht ausmalen. Mit einer Hand wischte ich mir einige violette Strähnen aus dem Gesicht, die am Haaransatz schon längst wieder schwarz nachwuchsen. Ich würde mir die Haare nicht mehr färben, nicht aus Nostalgie, noch aus – aus welchen Gründen auch immer. Und wieder eines der alten Lieder – ich vermisste meine Gitarre, sie lag zu Hause, seit Monaten, im Schrank – ich brach mitten im Summen ab, als ich hinter mir ein scharfes Einatmen hörte und drehte mich um. Kyo war, länger als sonst, im Türrahmen stehen geblieben und sah mich an. Nicht wie sonst, wenn er einen ansah, dass man das Gefühl hatte, er blickte durch einen hindurch in eine andere Welt und suchte dort nach – es war anders. Er schien mich direkt anzublicken, eines der seltenen Male. „Ist noch irgendetwas?“, ich fuhr fort den nassen Teller abzutrocknen. Er schüttelte den Kopf, und seine Augen erwiderten meinen prüfenden Blick unsicherer, als ich es erwartet hätte, sein Körper schien zu schwanken zwischen einer Fluchtbewegung und einem Schritt nach vorne, dann entschied er sich für letzteres und trat auf mich zu, ergriff ein zweites Handtuch und begann, ebenfalls abzutrocknen. Schweigend. Ab und zu sah ich ihn von der Seite her an, seine Arme schienen zu zittern, sie waren so dünn geworden, obwohl er jetzt mehr aß. Als wäre etwas da, dass ihn von innen heraus auffraß, ihm die Kraft raubte, die er noch brauchte. Der Teller zerbrach mit einem heftigen Klirren auf den Fließen und mit ihm auch die dröhnende Stille, die auf uns gelastet hatte, ich sah mich nach einem Besen für die Scherben um – Kyo hatte sich natürlich schon gebückt und versuchte, mit den Händen die Scherben aufzulesen, sinnlos, er würde sich nur schneiden. Einmal mehr in die Scherben greifen. Ich ließ den Besen Besen sein und ging neben ihm in die Hocke, unsere Geichter auf gleicher Höhe in einer Distanz von weniger als einem Meter, nahm ihm die Scherben aus der Hand und als er erneut zugreifen wollte, packte ich seine Handgelenke grob und hielt sie fest. Er wehrte sich gegen meinen Griff und Panik flackerte in seinen Augen auf. „Hör auf“, fuhr ich ihn an, „du wirst dich nur selbst verletzen.“ Kyo versuchte seine Hände meinem Griff zu entwinden – was machst du da eigentlich Kaoru? Spinnst du? Lass den Idioten doch machen, was er so gerne will – und ich hielt sie weiter fest, eisern. „Hör auf!“, ja, schrie ich beinahe, er zuckte unter beiden Worten zusammen und wandte den Kopf von mir ab, aber ich dachte nicht daran, wie sehr ich ihn damit vielleicht verletzte, ihn, der seit Monaten kaum ein Wort gehört hatte, weil jetzt wieder einiges in mir hochkam „Mach doch nicht so einen Blödsinn – was willst du eigentlich? Willst du dich umbringen?! Wir alle stehen von Anfang an vor einem verdammten Scherbenhaufen und du tust seitdem nichts anderes als mit bloßen Händen hinein zu greifen, aber davon wird es nicht besser, davon wird Die - AUTSCH!“ Er hatte mich gebissen. Ungläubig starrte ich ihn an. Sein Widerstand verschwand. Ich ließ ihn sofort los und rieb mir meine schmerzende Hand. Wir starrten uns an, über weiße Porzellanscherben hinweg. Der ein schockiert, der andere – mit Tränen in den Augen. „Sag mal, spinnst du?“ Natürlich erwiderte er nichts. Dann – streckte er beide Arme aus und bevor ich es mir anders überlegen konnte, hielt ich ihn schon in den Armen, wäre fast umgefallen, er vergrub seinen Kopf in meine Schulter, Porzellan knirschte unter seinen Schuhen. Er weinte. Trockenes Schluchzen zwischen angestrengten Atemzügen, er bebte am ganzen Körper, ich gab ihm an Halt, was ich geben konnte, denn ich fühlte mich gerade, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Halt ihn fest, er braucht dich, dachte ich und seltsamerweise meldete sich keine ach-so-zynische Stimme, die das ganze als Egoismus abtat. Seine Hände tasteten über meinen Rücken und verkrallten sich in mein T-Shirt, wenn ich jetzt losließ – aber das hatte ich nicht vor. Nach einer Weile hob er den Kopf. Wir blickten einander an, mein T-Shirt war ganz nass, an der Stelle, an der sein Kopf gewesen war, seine Augen waren rot, er öffnete den Mund, langsam und - klappte ihn wieder zu. Dann wich er abrupt zurück, das letzte was ich an diesem Tag von ihm hörte war das Umdrehen des Schlüssels zu seinem Zimmer, in dem er, kaum einmal fünf Sekunden später schon wieder verschwunden war. Ich starrte auf mein T-Shirt, auf die Scherben, auf die trockenen Teller und brauchte mindestens eine Minute, bis ich überhaupt begriffen hatte, was gerade geschehen war. - Vom Verstehen einmal ganz zu schweigen. Dann machte ich mich seufzend an die Beseitigung des Schadens. Einen Augenblick lang hatte ich doch tatsächlich geglaubt, er würde etwas sagen. Interlude: guilt ---------------- Es tat so verdammt weh, ihn da liegen zu sehen. Gewiss, er hatte es überlebt, ohne einen einzigen Kratzer. Aber die Wunden, die Dies Tod in seine Seele gerissen hatten, waren tief. Vielleicht zu tief, um jemals wieder zu heilen. Und das war meine Schuld. Ich hatte ihm nicht helfen können. Ich hatte ihn nicht beschützen können. Ich hatte ihn nicht beschützen können, wie Die es getan hatte. Wäre doch nur ich an Dies Stelle gestorben – dann hätte er nicht so viel leiden müssen. Wäre doch nur ich an Dies Stelle gestorben – dann hätte er mit ihm glücklich werden können. Dann hätte sein Schrei mein Herz nicht zerrissen. Sein Schrei, den niemand hörte. Außer mir. Hilf mir. Aber ich - Ich bin geflohen, vor ihm, vor meiner Schuld, vor meinen Gefühlen. Ohne ihm zu helfen. Ich hatte gedacht, wenn ich alles vergesse, jeden Kontakt abbreche – dann ... dann könnte alles wieder so werden wie früher, dann müsste ich mir nicht länger den Kopf zerbrechen, wie ich vor ihm verbergen sollte, wie sehr ich ihn liebte. Denn er liebte ja immer noch Die. Ich war da nur der Freund, an dessen Schultern er sich ausweinen konnte. Und ich liebte ihn so sehr, dass es weh tat. Und das schon seit Jahren, aber erst in den letzten Wochen, in denen ich bei ihm lebte, hatte ich es richtig begriffen. Und was tat ich – verletzte ihn. Weil ich unfähig war zu helfen. Ich wollte ihm doch helfen. Und wenn es das einzige wäre, was ich tun könnte, um ihm meine Liebe zu beweisen, wenn Taten die einzigen Worte wären, mit denen ich ihm meine Liebe gestehen konnte. Wir Stummen, die wir beide waren. Das Leben konnte so schnell zu Ende sein, das hatte ich, das hatte er gesehen. Ich hatte zu tiefe Gefühle für ihn. Und es waren nicht nur Schuldgefühle ihm gegenüber. Und ich hatte Angst um ihn, schreckliche Angst. Das alles - ließ mich nachts nicht schlafen. [Kaoru] nonfatal accident ----------------- Für ... Mensch, so viele! ... also. Besonders natürlich für (❤, ne? ^^), dann für , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , und . Danke, dass ihr meine FF favorisiert habt, mir Kommis schreibt, etc. :) Was ich eigentlich die ganzen Wochen bei Kyo machte? In meiner freien Zeit, wenn ich nicht gerade hinter ihm herräumte, warum auch immer ich das tat, vielleicht, weil es etwas war, bei dem man nur funktionieren musste, so wie ich es die letzten Monate schon getan hatte? Manchmal ging ich dann einkaufen. Manchmal saß ich auf dem Sofa und blätterte in Zeitungen, Taschenbüchern, die ich mir am Bahnhof mitnahm, früher hatte ich nie soviel Zeit darauf verschwendet. Manchmal ging ich rauchend mit meinen Gedanken durch den kleinen Park in der Nähe. Mehr als einmal sehnte ich mich danach, meine Gitarre wieder zur Hand zu nehmen, wieder zu spielen. Wieder in einer Band zu spielen. Nicht nur in einer Band. In DER Band. Aber es gab nun einmal kein Zurück mehr. Und das war nicht nur so, weil ich keine Lust hatte mit einem anderen Gitarristen als Die auf Abschlusstournee zu gehen, einmal ganz zu schweigen von dem Sänger. Ich würde für keinen anderen als Kyo spielen. Und doch fuhr ich mehr als einmal nach Hause, zurück in die kalte, verlassene Wohnung, fühlte beim Betreten der Wohnung, wie seltsam unwirklich die Situation doch eigentlich war. Schaltete das Licht an. Holte die Gitarre aus der Ecke. Klinkte sie an den Verstärker an, drehte ihn auf und - ich konnte es nicht. Meine Hände verharrten nur Millimeter über den Saiten, unfähig, sie anzuschlagen. Und dann fragte ich mich, ob es bei Kyo genauso war, ob wir beide unsere Musik, ich meine Gitarre und er seine Stimme, verloren hatten. Aber was hatten wir da eigentlich genau verloren? Ich fragte mich, was er eigentlich machte, wenn er nicht aß, schlief oder wie ein Gespenst durch seine eigene Wohnung huschte. Schrieb er noch immer Gedichte, denn er konnte doch nicht den ganzen Tag bewegungslos in seinem Zimmer sitzen? Ob er sich nicht manchmal danach sehnte, zu singen und wenn es nur ein Klagelied wäre. Aber bei ihm saß der Schmerz tiefer. Er hatte mehr verloren als nur einen Freund. Und ich konnte ihn einfach nicht ersetzen. Oder? Was waren das gewesen, dieser eine Augenblick zwischen Nacht und Morgen, dann der zersplitterte Teller - aber das konnte nicht sein. Und es war dieses verzweifelte Wissen, dass dadurch, dass ich da war, sich nichts verändert - - gut, er war nicht weiter abgemagert, weil ich ihm das Essen regelrecht aufdrängte, er war auch nicht an sich ausbreitenden Schimmelkulturen verreckt, weil ich mich um den Haushalt kümmerte, er war nicht an Einsamkeit gestorben, weil ich da war und mit ihm redete. Das waren dann immer die Augenblicke, in denen ich dachte, es hätte sich doch etwas verändert. Denn da waren immer wieder so etwas wie Kratzer in der glatten Oberfläche seines Rückzugsortes, ein Ort, an dem er war, wenn er allein sein wollte mit sich und - seinen Gedanken an Die? Seinem Schmerz? Seiner Leere? Risse im Glas. Und manchmal meinte ich, sein Gesicht wieder lebendig zu sehen, für einige wenige Augenblicke. Aber das war dann auch schon wieder so schnell vorbei, dass ich nicht sagen konnte, ob es wirklich da gewesen war. Was auch immer war. Ich redete mit ihm, immer wenn wir zusammen waren - was eigentlich nur bei den Mahlzeiten oder dann der Fall war, wenn ich ihn durch die Wohnung gehen hörte oder wenn er schweigend hinter mir stand und mich beobachtete. Dann erzählte ich ihm von meinen 'Erlebnissen' draußen, erzählte ihm, wie das Wetter war, was und wo ich eingekauft hatte, wie voll die U-Bahn gewesen war, von dem Hund, den ich auf dem Weg zu seiner Wohnung gesehen hatte, redete, erzählte ihm all die kleinen Dinge die mir auffielen. Es war nicht so, dass ich ihn zutextete. Entweder war es irgendeine unterbewusste Einstelleung, mit der ich erreichen wollte, dass er mich eines Tages aus heiterem Himmel heraus anbrüllte, ich solle gefälligst ruhig sein oder begann zu antworten, damit ich nicht so alleine vor mich hin monologisieren musste. Als ob ich ihn dazu zwingen konnte, durch mich wieder sprechen zu lernen. Doch das tat er auch nicht nicht. Und mir kam langsam der Gedanke einfach aufzugeben. Ich wollte mich nicht mein Leben lang hier begraben. Wollte nicht dabei sein, wenn er eines Tages Die folgte und ihn nicht aufhalten können, wollte nicht, dass er mich daran erinnerte, wie sehr - Irgendwann begann ich innerlich meine Sachen zu packen, machte mir eine Liste von dem Kram, den ich zu Kyo mitgenommen hatte und den ich jetzt wieder nach Hause schleppen musste, aber wirklich gepackt habe ich nie. Und eine weitere stumme Woche verging - bis zu jener Nacht. Es war eine dieser Nächte, in denen man wachliegt, weil es zu warm ist, aber man selbst zu müde, um aufzustehen und sich irgendetwas kühles zu holen. Ich hatte das Fenster geöffnet, damit frische Luft ins Innere des Zimmers dringen konnte, wenn sie auch nur ein wenig Abkühlung bringen konnte, war ich schon froh, dafür hatte ich jetzt den Lärm der Stadt draußen, allenthalben die Sirene eines Rettungsfahrzeugs, Hupen oder einfach nur ein Lachen, dass von tief unten heraufdrang. Jetzt konnte ich erst recht nicht schlafen. Und wälzte mich eine Weile lang unruhig hin und her - wechselte dann von meinem Lager auf den Fußboden. Irgendwann - muss ich dann doch eingeschlafen sein. ... und es geschah noch einmal, ich sah noch einmal, unter meinen Haaren hervor, gerade auf einen bestimmten Griff konzentriert, einen seltsamen Strudel im Publikum, seltsamerweise waren wir wieder in Kyos Wohnzimmer, dann trat ein Mann durch die Tür, ich konnte seine Gesicht nicht erkennen, auch wenn ich es kannte, aus den Zeitungen, nach dem Prozess, den man ihm gemacht hatte, auf Kyo deutete, er hatte eine Waffe, Dai - der seine Gitarre im Stich ließ, aber langsam, viel zu langsam, ich, meine Füße waren mit einem Mal schwer, viel zu schwer, ich sah nicht nach unten, aber ich wusste, dass sie gerade im Boden versanken, wie im Treibsand, es war zu spät, in Zeitlupe sah ich, wie die Kugel Kyo traf und gegen die Wand warf, seine vor Schreck weit aufgerissenen weißen Augen, seine wirren Haare, sein T-Shirt, dass sich langsam rot färbte, ich schrie und - ... kam aus meinem Traum zurück in die Realität. Solche Albträume hatten mich in dem Monat, nachdem es passiert war, besonders oft gequält, wenn ich einmal hatte schlafen können und mir nicht die ganze Nacht mit Vorwürfen zu einer schlaflosen Hölle gemacht hatte. Warum jetzt wieder? Nahm das denn nie ein Ende? Ich versuchte, meinen zitternden Körper zu beruhigen, mein rasendes Herz dazu zu zwingen, wieder ruhig und regelmäßig zu schlagen - aber was, wenn Kyo nun wirklich in Gefahr war, was wenn der Traum ein böses Vorzeichen war, dass ewas passieren würde, dass es wieder passieren konnte, dass es passierte, während ich hier war und ihn doch beschützen wollte - Ich wollte mich aufsetzen, erstarrte und wäre im nächsten Augenblick beinahe am Schreck gestorben, denn eine kühle Hand legte sich - es sollte mich wohl beruhigen - auf meine Stirn. Erst jetzt bemerkte ich die Gestalt, die neben mir auf dem Boden kniete. Ich hatte sie einfach nicht wahrgenommen. Sah im schummrigen Restlicht, dass es Kyo war. Sah, wie er den Mund öffnete. "... ganz ruhig." Seine Stimme war - wie ein jäher Riss in der Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)