Regenlieder von Shani ================================================================================ Kapitel 6: Ich zittere ---------------------- „Nein, Ino! Du lässt das jetzt an oder ich zerre dich nackt auf die Bühne!“, Tenten war kurz vorm Ausrasten, Sakura vorm Verzweifeln und Hinata betrachtete ihre Freundinnen mit besorgter Miene. Ino riss sich grob los, rannte zu ihrem Kleiderschrank und zog ein pinkfarbenes Neckoldertop heraus. „Nicht doch lieber das?“ „Ino!“, Tenten hob drohend die rechte Faust, in ihren Augen schienen Mordlust und Wahnsinn zu leuchten und Ino übersah das mit Leichtigkeit. Prüfend hielt sie das pinke Top vor das dunkelgrüne, das sie im Moment trug. Dann schüttelte sie den Kopf und begann ihre Sachen weiter zu durchwühlen. Hinata vergrub das Gesicht in den Händen. Die Suche dauerte jetzt schon zwei Stunden und sogar ihr riss langsam der Geduldsfaden. Sakura warf ihr einen verstehenden Blick zu. Ino auf der Suche nach dem richtigen Outfit war in etwa so angenehm wie ein Bad in Eiswasser. Dass es Leute gab, die solche Eisbäder vom Arzt verordnet bekamen oder alles sogar freiwillig taten, ignorierte sie. „Ah!“, Inos triumphierender Schrei klang wie Musik in den Ohren ihrer Freundinnen. Erlöst schauten sie zu Ino hinüber, entdeckten aber zu ihrem Leidwesen kein Kleidungsstück in ihren Händen. Stattdessen stürmte Ino auf Hinata zu und zerrte an deren weißem Top herum, dass ihr bis auf die Oberschenkel fiel. Hinata war viel zu perplex um überhaupt zu reagieren. „Ino, lass das!“, zischte Tenten und machte einen drohenden Schritt auf Ino zu. Die drehte sich um und starrte Tenten mit einem so warnenden Ausdruck in den Augen an, dass Hinata augenblicklich das Blut in den Adern gefror. Auch Sakura lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, doch innerlich seufzte sie. Musste Ino denn wirklich aus allem ein Drama machen? Zudem Hinata einfach hinreißend in ihrem Outfit aussah und es ewig gedauert hatte, dass schüchterne Mädchen von dem kurzen Jeansrock zu überzeugen. Ino und Tenten hatten sich inzwischen heftig in den Haaren, warfen sich wüste Ausdrücke an den Kopf und wurden beide immer wütender. Wie zwei ausgehungerte Raubkatzen standen sie einander gegenüber, die sich um Jagdrevier und Beute stritten. Und Hinata war daneben, immer noch total durcheinander und unfähig auch nur ein winziges Wort herauszubringen. Ihrem Gesichtsausdruck nach, wäre sie gerade gerne tot umgefallen, nur um den Streit ihrer Freundinnen zu beenden. „Vielleicht würde auch ein kleiner Ohnmachtsanfall reichen.“, überlegte Sakura. Wenn Hinata just in diesem Augenblick umkippen würde, würden Ino und Tenten sich in heller Aufregung um Hinata kümmern und ihre dumme Auseinandersetzung vergessen. Aber Hinata konnte ja jetzt nicht einfach mal zufällig bewusstlos werden. „M-Mädels“, versuchte Hinata es dann doch vorsichtig. Ihre Stimme war so leise, dass alleine das wütende Schnauben Inos und Tentens es mit Leichtigkeit übertönte. Doch dann brachte es Ino auf die Spitze. „Du hässliches Miststück wirst Neji nie auffallen! Auch nicht mit dem metertiefen Ausschnitt! Deine Brüste quellen ja schon raus, widerlich ist das!“ Tenten stolperte zurück, als wären die Worte Schläge und Fußtritte gewesen, die sie nicht hatte abwehren können. Sakura wollte ihr gerade beruhigend einen Arm um die Schulter legen, als Tenten zum Gegenschlag ausholte: „Und du wunderst dich, dass Shikamaru sich in Temari verknallt, anstatt dich endlich flachzulegen?“ Ihre Stimme wurde immer schriller, immer lauter. Ino stand da wie vom Blitz getroffen, rührte sich keinen Millimeter. Mit großen Augen starrte sie zu den anderen Mädchen herüber, dann liefen ihr die ersten Tränen über die Wangen. „Das war ein Schlag unter die Gürtellinie“, dachte Sakura. „Aber von beiden Seiten.“ Hinata ging langsam auf Ino zu, strich ihr vorsichtig das Pony aus dem Gesicht und versuchte sie zu beruhigen. Sofort bereute Sakura ihre Hilflosigkeit. Wieso war sie nicht dazwischen gegangen? Ganz einfach: Weil sie nicht wusste, wie sie ihre beiden Freundinnen hätte stoppen sollen. Tenten fixierte missmutig ihre Schuhspitzen. Die schwarzen Stiefelletten ernteten alle bösen Blicke und Gedanken, die Tenten wohl auf alles und jeden hegte. „Ino und ich streiten schon immer so.“, meinte sie leise, als sie bemerkte, dass Sakura sie anschaute. „Mach dir keine Gedanken.“ Sakura konnte sehen, dass es Tenten schwer, sehr schwer fiel, zu Ino zu gehen und ihre Arme zu einer Versöhnungsumarmung auszubreiten. Es musste hart für Tenten sein, immer diejenige zu sein, die sich entschuldigte, obwohl der Ursprung des Streits selten sie selbst war. Doch Tenten tat es. Und Sakura fragte sich, was für eine seltsame Freundschaft Ino und Tenten verband. Hinata hatte die beiden Freundinnen, die sich stumm vertragen hatten, ins Bad verfrachtet, um Inos Make-up zu retten und Tentens Frisur zu richten. Die hatte nämlich auch stark gelitten. Sakura folgte den Dreien und zog Tenten mit sich hinaus, um die verstrubbelten Strähnen wieder zu bürsten und zu glätten. Denn Tentens Haar hing ein winziges Stück über ihren Schultern, offen und glatt und seidig. Es sah schön aus. „Sakura?“, fragte Tenten leise. „Ja?“ „Warum glaubt ihr alle, dass ich in Neji verliebt bin? Das bin ich nicht.“ Sakura schwieg, wusste keine Antwort. Tenten benahm sich eben, als wäre sie in Neji verliebt. Sie schaute ihn ständig an, verlor sich in Gedanken und Tagträumen, während sie ihn betrachtete, suchte immer und überall seine Nähe. Es gab noch unzählige andere Anzeichen, die Sakura in den Sinn kamen, doch nicht eines davon sprach sie aus. „Er ist ein netter Kerl, er ist nicht so laut wie Naruto und nicht so kalt wie Sasuke. Und nicht so … so Shikamaru.“ Das brachte die beiden Mädchen zum Lachen. So sehr, dass Sakura die Bürste aus der Hand fiel und sie sich auf den Boden knien musste (in diesem verdammt hübschen, dunkelblauen Kleidchen von Hinata!), um sie unter der Couch hervor zu holen. „Du glaubst mir doch, dass ich nicht in ihn verliebt bin, oder?“ „Tenten, du hast angefangen zu weinen, als du dachtest, er würde sich für mich interessieren.“ „Aber doch nicht, weil ich-“ „Warum dann?“ „Weil… ich Neji schon eine ganze Weile länger kenne und es bei uns allen wirklich ewig gedauert hat, bis wir auf diesem freundschaftlichen Niveau mit ihm waren. Und dann kommst du anspaziert und „Bumm!“, er hat dich gern.“, es klang wie ein Vorwurf aus Tentens Mund. „Er mochte mich gar nicht. Er hat mich ausgelacht, Tenten. Ausgelacht.“, Bitterkeit schwang in Sakuras Stimme mit, Entrüstung. Tenten kicherte. „Hast Recht. Er war nur höflich.“ „Sehr höflich mich auszulachen. Nur so zur Info: Ich hatte Schmerzen.“ Das Kichern wurde nur noch schlimmer. „Er hätte mir wenigstens eine Kopfschmerztablette anbieten können!“ Zu viel. Tenten lachte los, während Sakuras Gesichtsausdruck immer trotziger wurde. Verdammt noch mal, das war ihr voller Ernst! Jetzt, wo sie darüber nachdachte, waren Nejis Manieren wirklich so gut wie nicht vorhanden. „Hör auf zu schmollen. Jetzt seid ihr doch Freunde.“, Tenten stieß Sakura den Ellbogen in die Seite. Sakura grinste. „Macht es euch irgendwie Spaß mir weh zu tun?“ „Nur ein wenig.“ „Da bin ich aber erleichtert.“, meinte Sakura und ließ sich auf die Couch fallen. Nur ein paar Minuten später kam Ino mit perfektem Lidstrich und zartrosa geschminkten Lippen in den Raum und tätschelte Tenten und Sakura den Kopf. „Tut mir leid, Mädels. Wir können jetzt.“, sagte sie, als die beiden anfingen zu murren. Hinata stand schon in der Tür. „Ich möchte euch ja wirklich nicht drängen, aber wir haben nur noch sehr wenig Zeit.“, sagte sie. Ein bittender Ausdruck trat auf ihre Züge und umspielte ihre Augen. Also begaben sich die Mädchen nach draußen und Hinata schloss ab. Als sie in der Aula ankamen, die die Direktorin nach einigen Diskussionen mit Ino und Shikamaru zur Verfügung gestellt hatte, traute Sakura ihren Augen kaum. Sie fühlte sich, als wäre sie in einem typischen, amerikanischen Teenie-Film gelandet, es war relativ dunkel, bunte Scheinwerfer suchten ihren Weg durch den Raum, überall hingen und lagen Luftballons, glitzernde Girlanden und Konfetti. Sitzecken und Bänke waren aufgebaut, und ein Buffet, auf der Bühne standen Instrumente und neben der Bühne war ein Mischpult, hinter dem ein DJ den Leuten auf der Tanzfläche die Begleitmusik spendete. Sogar einen Banner entdeckte Sakura, auf dem in großen, klecksigen Buchstaben „Vorträglich happy birthday, Naruto“ stand. Sie grinste. „Cool, oder?“, fragte Tenten in ihr Ohr. Sie schrie fast, so laut war die Musik. Sakura nickte nur. Ino streckte ihren Daumen in die Höhe. „Schön die Stimme schonen“, meinte sie. Bei der Lautstärke, die sie immer an den Tag legte, fiel ihr die kleine Steigerung kein bisschen schwer. Es dauerte eine Weile, bis sie die Jungs gefunden hatten, aber spätestens, als Ino sich erleichtert in Shikamarus Arme sinken ließ, waren alle anwesend. „Wann sollen wir rauf?“, fragte Tenten Neji in einer relativ normalen Lautstärke, denn sie alle hatten sich ein gutes Stück entfernt vom ganzen Tumult zusammengefunden. Neji warf einen Blick auf seine Armbanduhr, schaute jedem einzelnen ins Gesicht, als wolle er jedes Quäntchen Aufmerksamkeit erhaschen und antwortete dann: „In zehn Minuten.“ Hinata wartete einen Moment ab, bis Naruto von Kiba in ein Gespräch verwickelt worden war, dann wandte sie sich an den Rest: „Wie machen wir das denn mit Narutos Geschenk?“ „Ist alles schon durchorganisiert, Hinata. Die Kunst-AG hat sogar einen Thron für ihn gebastelt.“ Ein wohlwollendes Lächeln legte sich auf Hinatas Lippen, ihre Augen glitzerten fröhlich und in allen Farben der Scheinwerfer, von denen sie getroffen wurden. Und Sakura war fasziniert davon. Dabei ignorierte sie wohl sehr deutlich, wie sie beinahe ehrfürchtig in Hinatas zartes Gesicht starrte und immer wieder überraschte „Oh“s und „Ah“s von sich gab. Naruto piekte sie mit seinem Finger in die Seite. „Verguck dich nicht in meine Freundin“, scherzte er und ließ dabei sein schönstes Lächeln sehen. Erst jetzt realisierte Sakura, was sie die ganze Zeit getan hatte. Oder wie verstört und besorgt Hinata aussah. „Alles in Ordnung.“, gab Sakura leise von sich. Grinste verlegen. Naruto lachte kurz, dann hauchte er Hinata einen Kuss auf die Wange und machte sich auf in Richtung Tanzfläche. Wenig später kämpften Sakura und die anderen sich zur Bühne durch, während zwei Jungen, die Sakura nur vom Sehen her kannte, einen Thron in gold und rot herein trugen. Als Naruto den Stuhl, der mit viel Pappmaché, Farbe und Samt ein erhabenes Aussehen erhalten hatte, entdeckte, starrte er ihn nur mit offenem Mund und riesigen Augen an. Er schien sich nicht entscheiden zu können, ob er nun weinen oder lachen sollte. Sakura hatte einen perfekten Ausblick auf die Szene, denn sie stand mitten auf der Bühne, am Mikrofon. Aber noch im Dunkeln, denn der einzige Scheinwerfer, der gerade auf Wanderschaft war, zeigte auf Naruto. Die beiden Träger ignorierten Narutos Bewegungsunfähigkeit und hoben ihn kurzerhand auf seinen Thron. Anschließend trugen sie ihn feierlich durch die sich teilende Menge nach vorn, genau vor die Bühne. Der Scheinwerfer folgte ihm und wanderte dann weiter zu Sakura. Hinter der Band hatte sich der Schulchor aufgestellt, den sie dringend für Narutos Geburtstagsgeschenk brauchten. Trommel- und Glockenschläge erklangen. Dann setzte der Chor leise ein. Und dann war da Sakura. „Nacht Und das Leben erwacht- Hörst du‘s?“ Narutos Gesichtsausdruck wurde erst ungläubig, dann ausdruckslos und starr. Eine leblose Statue mitten auf dem goldschimmernden Thron. „Geh! Jemand zeigt dir den Weg, Jemand der dich versteht! Er lebt.“ Der Chor wurde lauter. Die Trommeln. Sakura lächelte Naruto zu, spürte die Blicke ihrer Mitschüler. Schloss die Augen. Legte alles, was Naruto wohl fühlen musste in ihre Stimme. Sang. „Er lebt in dir! Er lebt in mir! Und er wacht über, über alle hier! So wie das Wasser, das reflektiert, Ist seine Seele. Er lebt in dir!“ Das „Hemamela!“ des Chors wiederholte sich stetig, wieder setzte Sakura ein. Er lebt in dir! Er lebt in mir! Und er wacht über, über alle hier! So wie das Wasser, das reflektiert, Ist seine Seele. Er lebt in dir! Dein Vater lebt in dir.“ Den letzten Satz sprach sie, leise und flüsternd während die Trommeln schon wie unscheinbare Regentropfen klangen. Eine Träne stahl sich in ihr Auge. Doch sie lächelte. Narutos Blick war sanft, unendlich sanft. Gerührt. Hinata, Ino und Tenten traten aus den Chorreihen hervor, die Jungen, die bei den Trommlern mitgespielt hatten, gingen ebenfalls zu Sakura. Und dann stimmte Tenten „Happy birthday“ an. Alle Schüler schienen mit einzustimmen. Sakura war sogar ein wenig froh, dass die rührselige Atmosphäre verschwand. Trotzdem war sie sicher, dass Naruto einen von ihnen darauf ansprechen würde. Er würde sich bedanken wollen und sie würden sagen, dass es nichts zu danken gäbe. Und am Ende würde sich irgendjemand mit Naruto streiten, obwohl es keinen Grund dazu gab. Jemand tippte ihr auf die Schulter. Überrascht drehte sie sich um, ihre Haare streiften Nejis wenig begeistertes Gesicht. „Bist du soweit?“ Sakura nickte. Naruto hatte sich inzwischen hinter dem Schlagzeug eingefunden, die Mädchen standen hinter ihren Mikros, Sasuke und Neji hatten ihre Instrumente in der Hand. Alles schien nur noch auf sie zu warten. Alles. Alle. Jeder. Mit einem Schlag realisierte sie, wo sie sich befand, was sie gerade getan hatte, was sie im Begriff war zu tun. Als hätte die Schwerelosigkeit sich vom Inneren ihres Körpers verabschiedet, wurde Sakura übel. Das Licht der Scheinwerfer blendete sie, brannte ihr förmlich die Augen aus. Aufregung, Adrenalin in ihrem Blut. Hundertfach. Tausendfach. Innerhalb von wenigen Sekunden. Ihr Atem wurde flach und schnell, ihr Blick huschte hin und her. Hin und her. So viele Gesichter. Sie alle verzogen sich zu grotesken Masken, scheußlichem Lachen und bitteren Schreien. Wo war dieses zufriedene, befreiende Gefühl hin, dass sie beim Singen des Liedes verspürt hatte? Ob ihre Stimme noch da war? Sakura bezweifelte es. Ihr Hals war viel zu trocken, viel zu leer. Bilder von Wüstensand kamen ihr in den Sinn, Kamel-Karawanen, die in flirrender Hitze umherwanderten. Eine Schneelandschaft blitzte auf. Verlor sich irgendwo in ihrem Unterbewusstsein. Wo war sie? „Sakura?“ Die besorgte Stimme schreckte sie aus ihren wirren Träumen. Rettete sie vor all den Bildern. Aber nicht vor den Gesichtern ihres Publikums. Wie versteinert stand Sakura da. Ein jahrtausendealter Fels, der nicht vorhatte, sich ausgerechnet in diesem Jahrtausend zu bewegen. „Sakura? Können wir anfangen?“ Sie wusste nicht, zu wem diese Stimme gehörte. So unheimlich weit weg. Plötzlich Gitarrenklänge. Ein Schlagzeug. Und da! Ihr Einsatz. We‘ve got the afternoon, you got this room for two. One thing I‘ve left to do discover me discovering you. Sie bestand aus Tönen. Nicht mehr. Kein Körper. Kein Publikum. Keine Sakura. One mile to every inch of your skin like porcelaine, One pair of candy lips and your bubblegum tongue. And if you want love, we‘ll make it. To swim in a deep sea of blankets And take your big plans and break‘em. This is bound to be a while. Die Augen schlossen sich wie von selbst. Ihre rechte Hand fand das Mikrofon, die linke strich das Haar zurück. Die Szene in ihrem Kopf: Ein junger Mann und eine junge Frau, ein Hotelzimmer mit Ausblick auf den Strand. Kerzen- vermischt mit Mondschein. “Your body is a wonderland. Your body is a wonder, I‘ll use my hands. Your body is a wonderland. Und nach Minuten, die unwirklich und neblig an Sakura vorbeizogen, war das Lied vorbei. Kurz war es still, dann ein einsames Händeklatschen. Immer mehr. Applaus. Sakura riss die Augen auf. Drehte den Kopf nach hinten und blickte in zufriedene, in lächelnde Gesichter. In Sasukes Gesicht. Sie traute sich kaum ihn anzuschauen. Dann tat sie es doch. Sein Blick war eiskalt, doch das feine Schmunzeln in seinen Mundwinkeln beruhigte sie. Ohne zu wissen warum zwinkerte sie ihm zu, wartete auf keine Reaktion, wandte sich wieder nach vorne. Die Schüler verstummten. „Danke! Ich kann‘s gar nicht glauben! Ihr seid wundervoll!“, sagte Sakura laut und deutlich ins Mikro, ein breites Grinsen auf den Lippen. „Sollen wir weitermachen?“ Ihre Frage wurde mit lautem Beifall beantwortet. Sakura nickte den Mädchen zu, dann Neji, Sasuke und zuletzt Naruto. Er zählte ein. „One, two, three, four!“ “Do you have the time To listen to me whine About nothing and everything all at once?“ Sakura konnte es selbst kaum glauben, wie frech und herausfordernd ihre Stimme klang. “I am one of those Melodramatic fools Neurotic to the bone, no doubt about it! Sometimes I give myself the creeps, Sometimes my mind plays tricks on me. It all keeps adding up, I think I‘m cracking up! Am I just paranoid? Am I just stoned?“ Sakura hatte vergessen, wie oft sie diesen Song jetzt schon gesungen hatte. Wie oft Shikamaru herumgemault hatte, wie ein verbitterter, alter Greis. Sollte er doch. Nervensäge. „I went to a shrink To analyze my dreams. She says it‘s lack of sex that‘s bringing me down.“ Ein Rotschimmer erschien auf ihren Wangen. Zum Glück sah man das wegen der Scheinwerfer nicht. „I went to a whore She said my life‘s a bore And quit my whining ‘cause it‘s bringing her down. Sometimes I give myself the creeps. Sometimes my mind plays tricks on me. It all keeps adding up, I think I‘m cracking up! Am I just paranoid?“ Wie die sie alle anstarrten. Und sie starrte zurück mit einem Funkeln in den Augen. Feuer. Vielleicht war ein Funken in diesem Feuer sogar Mut. „Grasping to control So I better hold on. Sometimes I give myself the creeps. Sometimes my mind plays tricks on me. It all keeps adding up, I think I‘m cracking up! Am I just paranoid? Am I just stoned?“ Diesmal ging Sakuras Atem schnell vor Anstrengung. Beeindruckend, wie schnell Lampenfieber verschwinden konnte. Doch als sie an das Wort dachte, war es wieder da. Wegrennen. Irgendwohin. Schnell. Sofort. Jetzt! Etwas hielt sie zurück. Eine unsichtbare Kette, direkt um ihre Mitte geschlungen, verankert im Boden. Sie konnte die anderen doch jetzt nicht im Stich lassen. Es war so heiß! Dieses grelle Licht machte sie noch wahnsinnig! Dadurch waren alle im Publikum nur noch schwarze Schemen, vor denen bunte, unförmige Punkte tanzten. Übelkeit. Sakura fasste sich an die Stirn, seufzte. Nicht ins Mikrofon. Den Kopf abgewandt. „Alles okay?“, formte Hinata mit den Lippen. Ein schwerfälliges Lächeln. Das überzeugte Hinata nicht. Gerade als sie nach vorne kommen wollte, fasste Sakura den Entschluss einen langsamen Song zu beginnen. „Another summer day has come and gone away. In Paris and Rome, but I wanna go home.“ Ein verzückter Aufschrei eines Mädchens. Paare, die sich irgendwo zu einem romantischen Tanz zusammenfanden. Musik, die ihre Stimme begleitete. „Another winter day has come and gone away In even Paris and Rome And I wanna go home. Let me go home.“ Süß, wie die beiden da am Rand einander umarmten. Sich in die Augen sahen. Schnell wandte Sakura den Blick ab. Lächelte ihrem Publikum zu. „I‘m coming back home.“ Als sie geendet hatte, dauerte es eine Weile bis jeder realisiert hatte, dass das Lied vorbei war. Es war ein schwerfälliges, schläfriges Erwachen und die Atmosphäre im Raum war so romantisch, kuschelig, dass man sich sofort jemand wünschte, der einen in den Arm nahm. „Ich würde sagen, unser Geburtstagskind darf sich jetzt noch einen Song wünschen und dann übergeben wir getrost an den DJ!“, Sakuras Stimme hallte ein wenig. Ratlos blickte Naruto sie an. Als hätte sie ihm eine unlösbare Rechenaufgabe gestellt. „Na los, Dobe. Such dir was aus.“, meinte Sakura grinsend. Naruto streckte ihr die Zunge raus, hatte die Augenbrauen nach oben gezogen und lächelte. „Schnapp dir ‘ne Gitarre und sing das Lied, das du im Dunkeln gesungen hast.“ Perplex starrte Sakura ihn an, verstand erst nach einer Weile, was er gesagt hatte. Und es gefiel ihr nicht. „Wieso?“, fragte sie. „Du hast versprochen, du singst es noch mal. Lass hören.“, ein freches Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Ließ ihn noch so viel jünger aussehen, als wäre er vielleicht sieben Jahre alt. Keck. Shikamaru kletterte auf die Bühne, eine Akustikgitarre auf den Rücken geschnallt, die er ihr sogleich übergab. Vollkommen überfordert mit der Situation stand Sakura nun da am Mikrofon, in der Hand eine schwarze Gitarre und den Scheinwerfer auf sich gerichtet. Konnte das Licht die Menschen nicht einfach in seinem gleißenden Schein verschwinden lassen? Nur für einen Moment. Bis sie nach draußen gerannt war. „Bitte, Sakura-chan.“, Narutos Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund. Er sah dabei noch jünger aus. Vier? Fünf Jahre alt? „Na gut.“, seufzte Sakura. Schloss die Augen und fühlte die Gitarrensaiten an ihren Fingern. Spielte vorsichtig den ersten Akkord an und ignorierte die gespannten Blicke, so gut es eben ging. „Komm wir stehlen uns durch die Nacht. Sie ist wie für uns gemacht Und im Schutz der Dunkelheit Nehmen wir uns das, was uns nicht reicht.“ Blöder Naruto. Blöde Idee. Blödes Lied. Wie ging es noch mal weiter? Sakura runzelte die Stirn und öffnete die Augen. Suchte den Text irgendwo zwischen den vielen, hellen Lichtstrahlen. „Nehmen wir uns das, was uns nicht reicht.“ Langsam fiel es ihr leichter, die vielen Augenpaare hinzunehmen, spürte sie diese doch nicht mehr so intensiv wie vorher. Im Publikum war es jetzt viel zu dunkel, als dass sie jemanden hätte erkennen können. „Und wir fliehen! Sind schon durch die halbe Welt gerannt. Wer soll uns kriegen? Wir sind überall und nirgendwo - unerkannt.“ Noch nicht einmal ihre Freunde konnte sie sehen, alles um sie herum war Schatten, war Dunkelheit. Unheimlich war das und doch ein schönes Gefühl. Als wäre man der letzte Lichtblick auf Erden. Licht. Ob Sasuke auch Licht sein konnte? Bestimmt. Aber nur Mondlicht. „Sie hängen unsere Bilder auf, Wir füllen jede Zeitung aus, Sie jagen uns weltweit. Doch wir sind zum äußersten bereit: Lieber tot als nicht zu zweit!“ Es stimmte schon, Sasuke interessierte sie, seine ganze Art ließ sie sich wie eine Abenteurerin fühlen, die einem großen Geheimnis auf der Spur war. Aber er war nur ein Junge. Vermutlich steckte gar nicht so viel hinter dieser Fassade. Er befürchtete wahrscheinlich, sie würde sich in ihn verlieben, wenn er nur ein wenig Nähe zuließ. Dabei war er der derjenige, mit dem sie bisher am wenigsten gesprochen hatte. Selbst die Streitereien mit Amy waren häufiger. „Und wir fliehen! Sind schon durch die halbe Welt gerannt. Wer soll uns kriegen? Wir sind überall und nirgendwo - unerkannt.“ Die halbe Welt. Europa. Ihre Eltern. Sie fehlten Sakura so sehr. Sososososo. „Wir sind viel zu schnell. Sie werden uns nicht stellen, dafür sind wir zu schnell. Uns gehört die Welt! Sie werden uns - sie werden uns nie stellen.“ Sakura holte tief Luft. Versuchte aus ihrer Stimme Licht zu machen, aber sie war sich nicht sicher, ob es funktionierte. „Denn wir fliehen! Sind schon bis ans Ende der Welt gerannt. Wer soll uns kriegen? Wir sind überall und bleiben doch - unerkannt. Unerkannt, unerkannt.“ Sie war still, schlug die Lider nieder. Beifall erfüllte die Aula, kam von überall. Hinter ihr, vor ihr, neben ihr. Narutos Arme, die sie fest umschlangen. Ein unendlich geflüstertes „Danke!“. Oh Gott, war ihr schlecht. Als sie eine halbe Stunde später gemeinsam mit Naruto und Hinata vorm Buffet stand, hatte sich ihr Magen wieder beruhigt. Gruselig war nur, dass jeder jetzt wusste, wer sie war. Als würde sie ein kugelrundes Tomatenkostüm tragen und wirklich aus der Menge herausstechen. Das war nie so gewesen und deshalb jetzt so ungewohnt für Sakura. „Ist da Alkohol drin?“, fragte sie Naruto und zeigte dabei auf eine dunkelrote Bowle. „Äh… ich glaube nicht. Die mit ist die grüne, soweit ich weiß.“ „Wie soweit du weißt?“ „Ino hat sich um die Getränke gekümmert.“ Probeweise nahm Sakura einen Schluck von der dunkelroten Flüssigkeit und verzog angeekelt das Gesicht. „Vielleicht doch die rote?“, Naruto kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Das Zeug schmeckt widerlich. Wie Hustensaft.“ Das Glas drückte Sakura dem nächstbesten Kerl in die Hand, der an ihr vorbeitorkelte. Der bedankte sich lallend und ging weiter seines Weges. In weit ausfallenden Schlangenlinien. Hinatas Gesicht verriet Sorge. „Der war aus der zwölften.“, sagte Naruto in beruhigendem Ton und zog seine Freundin noch ein wenig näher an sich heran. „Trotzdem.“, meinte Hinata abwesend. Kniff die Lippen zusammen, dass nur noch ein dünner Strich blieb. Hinata hielt nicht viel davon, sich sinnlos zu betrinken und am nächsten Tag nichts mehr von der eigentlichen Party zu wissen. Sie verabscheute es und machte sich furchtbaren Kummer, weil sie darum fürchtete, dass jemand ins Krankenhaus geschafft werden müsste. Ihr zu Liebe trank auch Naruto nicht so viel, dass er nach zwei Stunden kotzend in der Ecke lag. Nur sein glasiger Blick, sein Lachen, das noch einen Tick lauter war als sonst, verrieten, dass er am heutigen Abend überhaupt etwas intus hatte. Im Gegensatz zu Ino, die so schwankte, als würde sie über das Deck eines Segelschiffs bei Sturm gehen. „Hallo alle susammen!“, brachte sie mühsam hervor, legte einen Arm um Sakuras Schulter. Weil sie sich sonst wahrscheinlich nicht auf den Beinen hätte halten können. Mit sorgevollem Blick beobachtete Hinata ihre Freundin, konnte ihre Augen kaum von ihr nehmen. Ob Ino sich bei einem Sturz sehr weh tun würde? „Ich hol Shikamaru.“, sagte Naruto und war auch schon weg. Hinata sah ihm kurz hinterher, verlor ihn in der Menge. „Alles klar, Ino?“, fragte Sakura leise, Inos Gewicht strengte sie langsam doch sehr an. „Japsi. Mir geht’s gut!“ Sakura verkniff sich ein Seufzen, ächzte kurz unter der Last von Inos Körper und warf Hinata einen angenervten Blick zu. Endlose Minuten später kam Naruto zurück, mit Shikamaru und auch Tenten im Schlepptau. Wahrscheinlich hatte die sich auch Sorgen um Ino gemacht, als Naruto von deren Zustand erzählte. „Shikamaru!“, freute sich Ino, als sie ihren Freund erblickte. „Komm her, tanz mit mir!“ Doch Shikamaru zog sie nur mit sich fort, raus aus der Aula. Verblüfft und schweigend standen die Freunde im Kreis. Tenten stieß Sakura einen Ellbogen in die Seite, den anderen bekam Hinata zu spüren. Naruto bemerkte, dass da wohl ein Mädchengespräch beginnen sollte und verabschiedete sich eilig. „Was ist denn?“, zischte Sakura, rieb sich die schmerzende Seite. Tenten hatte wirklich spitze Ellbogen. „Shikamaru hat die ganze Zeit mit Temari geredet.“ „Na und?“ „Er hat auch mit ihr getanzt!“ Sakura klappte der Mund auf, Hinatas Reaktion sah nicht so lächerlich aus. Ihre Augen weiteten sich etwas, eine Hand hob sie erschrocken vor den Mund. Shikamaru hatte sich zu Beginn des Abends strikt geweigert mit Ino zu tanzen. Das war überhaupt der Grund dafür, dass sie sich innerhalb einer Dreiviertelstunde betrunken hatte. Überreaktion. Sakura entdeckte Neji in der Menge, der mit zwei Tequila Sunrise in den Händen auf die Mädchen zusteuerte. Elegant wandte er sich um die tanzenden Menschen. Sakura ließ ein kleines Lächeln sehen. Meinte Tenten nicht, sie würde Tequila Sunrise lieben? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)