Regenlieder von Shani ================================================================================ Kapitel 7: Kann Hilfe denn etwas schlechtes sein? ------------------------------------------------- Kapitel 7: Kann Hilfe denn etwas schlechtes sein? Er starrte sie an. Kein Zweifel. Sie hatte sich schon mindestens hundert Mal umgedreht, doch sein Blick klebte weiterhin an ihr als wären seine Augen an sie gekettet. Tenten schaute sie fragend an. „Shikamaru guckt so komisch.“, flüsterte Sakura gerade so laut, dass ihre Sitznachbarin es hören konnte. Sie wollte sich keinen Ärger mit der Biolehrerin einhandeln. Die mochte es überhaupt nicht, wenn man auch nur zwei Sätze sprach, die ein „Privatgespräch“ bildeten. Und der Sitzplatz in der ersten Reihe war da nicht besonders hilfreich. Tenten erschauderte, als sie sich wieder nach vorn drehte. „Du hast recht. Sieht seltsam aus.“ Sakura nickte. Es war beinahe unheimlich, wie Shikamaru sich auf sie fixierte. Sie fühlte seinen Blick auf sich, bei jeder noch so kleinen Bewegung, jedem Zucken, jedem Atemzug. Und sie wünschte sich gerade nichts sehnlicher, als dass er sie aus seiner Beobachtung entlassen würde. Er schien allerdings nicht viel von diesem Plan zu halten. „Denkt daran, dass wir in zwei Wochen den Zehnstundentest schreiben.“, sagte die Lehrerin in gerade dem Moment, in dem es klingelte. Lautes Stühlerücken und Geschnatter übertönte ihre weiteren Worte. „Ich weiß gar nicht, wie andere Leute sich so einen Schrott merken können!“ Sakura seufzte und ließ den Kopf hängen. „Ich auch nicht, Tenten.“, meinte sie leise. „Vielleicht kann mein allwissender Freund euch ja ein bisschen Nachhilfe geben!“, rief Ino begeistert, doch Shikamarus Gesichtsausdruck wirkte eher abweisend. Er hatte besseres zu tun, als die Noten anderer nach oben zu verschieben. Er hatte echt genug andere Dinge im Kopf, die Zuwendung brauchten. Hm, Zuwendung. Ino zog einen Schmollmund und stapfte weiter, ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Kämpfte sich durch den Dschungel von jüngeren Schülern, die in den Gängen herumwuselten wie kleine Mäuse. Oder große Mäuse. Viele waren sie auf jeden Fall. Da hatte Shikamaru es doch relativ schwer seiner Freundin hinterherzukommen. Tenten sah dem Paar ein, zwei Augenblicke nach, dann deutete sie den anderen stehen zu bleiben. „Was hast du? Wir kommen noch zu spät zu Mathe.“ „Lasst die beiden kurz allein.“ „Tenten, das ist nicht unser Problem.“, mischte sich neben Sakura nun auch Neji ein. „Die werden das schon klären.“ „Ist sowieso idiotisch.“ Sasuke lief geradewegs an seinen Freunden vorbei. „Ich hab keine Lust bei Inos Wutausbruch dabei zu sein, Uchiha. Du etwa?“ Tenten klang ein wenig ärgerlich. Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, als Sasuke sie mit einem eiskalten Blick bedachte - und innehielt. „Sie wird nicht ausflippen.“, meinte Sakura jetzt. Es klang traurig. Als würde sie es bedauern, dass Inos Temperament sich in Grenzen hielt. Tenten stimmte ihr nun doch im Stillen zu. Momentan glich Ino wohl eher einem brodelnden Vulkan, dessen Zorn mit jeder kleinen Unstimmigkeit anstieg. Und die Mädchen waren die Bewohner von Pompeji. „Ähm, Sakura-chan, ich will ja nicht sagen, dass du komplett bescheuert bist, aber wir kennen Ino schon etwas länger. Glaub mir, die macht Shikamaru eine Szene wie im Film.“, Naruto schaute Sakura entschuldigend an, griff nach Hinatas Hand, wie um sich Mut zu machen. Doch wozu bräuchte Naruto Uzumaki Mut? „Hm.“, gab Sakura zur Antwort von sich. Sie wusste, dass Tenten, Hinata und sie in diesem Moment dasselbe dachten. Ino wird sich zurückhalten. So wie sie es schon die ganze Zeit tut. Ob Shikamaru seinen Freunden erzählt hatte, was Ino alles tat, um die Beziehung zu retten? Ob er es überhaupt bemerkte? Unwillig schüttelte Sakura den Kopf. Der Gedanke, Shikamaru auch nur eine dieser Fragen zu stellen, verursachte ihr eine kribbelnde Gänsehaut, die sich gar nicht gut anfühlte. Nein. Sie war dafür garantiert nicht die Richtige. Der Gong ertönte und mit einem Mal wurde es auf den Gängen noch voller. Man wusste gar nicht, woher all die lärmenden Schüler und Schülerinnen kamen. Sasuke funkelte seine Freunde wütend an, als das erste Mädchen seinen Namen kreischte und beeilte sich, so schnell es eben ging, einen Weg durch die Menge zu finden. Neji, Naruto und Hinata folgten ihm, immer nur zwei Schritte hinter ihm, um den Platz zu nutzen, den er schuf. Einen Moment standen Tenten und Sakura noch zusammen, lächelten sich aufmunternd zu und versuchten dann ebenfalls, nicht zu spät zur nächsten Unterrichtsstunde zu kommen. Der Nachmittag lächelte ihnen freundlich entgegen, die Sonne goss ihre Strahlen über das Schulgelände und brachte das Gras zum Leuchten. Die Mädchen saßen auf einer großen roten Picknickdecke nahe dem Sportplatz und schauten dem Leichtathletikteam der Schule beim Training zu. Hinata erinnerte sie immer wieder daran, dass sie eigentlich drinnen sitzen sollten, um endlich (endlich!) für die bevorstehenden Klausuren zu lernen. Anstatt hier draußen die Sonne und die leichte Brise zu genießen. Anstatt gerade der schnellsten Sprinterin des Internats dabei zu zu sehen, wie sie einen neuen Rekord aufstellte. Anstatt ausgelassen darüber zu lachen, dass ein Frosch es sich auf Tentens Sandale bequem gemacht hatte. Und doch saßen sie hier und hörten nicht auf herumzualbern. „Ich will ihm einen Namen geben.“, meinte Tenten grinsend. „Erinnert er euch nicht ein wenig an Naruto?“ „Sakura! Das stimmt doch überhaupt nicht!“ „Sei doch nicht so empfindlich, Hinata! Guck mal genauer hin!“ „Oh - du hast recht.“ Während Sakura und Tenten bei Hinatas verblüfftem Gesicht um die Wette kicherten, warf Ino einen besorgten Blick zu den Wolken hinauf. Wie kleine, kuschelige Schäfchen zogen sie wattig und weiß am Himmel entlang. Es war so ein schöner Tag, wahrscheinlich einer der letzten im September, wieso war sie nicht gut gelaunt? „Ino, schau doch mal hin! Hao gibt sich so viel Mühe und du beachtest ihn einfach gar nicht.“, Hinata klang wirklich empört. „Ein wenig übertrieben, Hinata-chan. Das war zu offensichtlich“, dachte Sakura schmunzelnd. Doch trotzdem sagte Hinata die Wahrheit. Hao war ein Stabhochspringer, er war sogar richtig gut, und dass er sich für Ino interessierte, war kaum zu übersehen. Jedes Mal, wenn er eine Aufwärmübung beendet hatte, jedes Mal, wenn er seinen Stab in die Hände nahm und auch nach jedem Sprung, warf er einen Blick zu ihr hinüber, ob sie auch sah, was er tat. Der arme Junge. Da strengte er sich so sehr an, Schweiß glitzerte schon auf seiner Haut und es brachte rein gar nichts. Ino bemerkte nur, dass sie schon seit fast zehn Minuten mit Shikamaru bei Lola sitzen sollte. Eilig stand sie auf und zog ihre Schuhe an. „Warte, Ino. Ich komme mit, ich wollte noch zu Naruto.“ „Da waren‘s nur noch zwei.“, gab Tenten ein wenig enttäuscht von sich, als Hinata und Ino über das Gras hinweghasteten. „Sieht so aus.“, stimmte Sakura ihr zu. Dann grinste sie. „Wenn du es wagst, dir in näherer Zeit einen Freund anzuschaffen und mich alleine mit meinem Singleleben zu lassen, bring ich dich um.“ „Ach, verdammt. Dann muss ich das Date mit Sasuke doch absagen.“, antwortete Tenten feixend. „Dabei bettelt er doch schon seit Wochen darum.“ „Tzja, da hat er wohl Pech gehabt. Lieber eine Tenten ohne Date, als eine tote Tenten.“ „Bei der hat er nämlich wirklich keine Chancen mehr.“ „Anscheinend kann er nicht gewinnen. Er kriegt dich so oder so nicht.“ „Da muss ich wohl bei dir bleiben.“ Ihr zwischenzeitliches Prusten artete jetzt in einen mittelschweren Lachanfall aus. Die Leute vom Sportplatz warfen ihnen schon seltsame Blicke zu. Tenten hielt sich den Bauch vor Lachen und versuchte tief ein- und auszuatmen. Sakura schloss sich ihren Versuchen gerne an, was jedoch nur in einem erneuten, hellen Lachen unterging. Als sie sich endlich wieder beruhigt hatten, saßen sie schweigend nebeneinander. „Willst du auch was trinken?“, fragte Tenten schließlich. „Oh ja, bitte!“ Sakura merkte erst jetzt, wie durstig sie eigentlich war. Insgesamt saßen sie bestimmt schon drei Stunden in der Sonne, doch durch den leichten Wind war ihr die Hitze gar nicht aufgefallen. Tenten reichte ihr eine kleine Flasche mit Wasser. Dankend nahm Sakura sie an und trank gieriger, als sie es beabsichtigt hatte. „Du Säuferin, mach langsam!“ „Ich weiß, es ist schlimm mit mir.“ Tenten lächelte. „Warst du eigentlich schon mal betrunken?“ Sakura schaute sie an, ihr Gesicht bekam einen verlegenen Ausdruck, dann sagte sie: „Nein. Ich hab Angst davor.“ „Verständlich.“ Ein Grinsen schlich sich auf Sakuras Lippen. „Ich weiß nicht, ich finde die Vorstellung, kotzend in einer Ecke zu liegen und mich am nächsten Morgen an nichts zu erinnern, nicht besonders prickelnd.“ Tenten nickte. „Ich hab die Erfahrung gemacht. War ganz schön peinlich.“ Eine zarte Röte breitete sich auf Tentens Wangen aus. „Wieso? Was hast du gemacht?“ Sakuras Neugier war geweckt. Bittend schaute sie ihre Freundin an, setzte den besten Hundeblick auf, den sie gerade hinbekam und schob ihre Unterlippe nach vorne. „Für Inos Schmollmund sind deine Lippen zu schmal.“, bemerkte Tenten kichernd. „Findest du?“, meinte Sakura und versuchte skeptisch ihren Mund zu sehen. Dann gab sie auf. Blöde, menschliche Anatomie. „Du bist echt leicht abzulenken, Sakura.“ Überrascht sah Sakura Tenten an. „Vielleicht, aber irgendwann komme ich immer wieder zum Thema zurück. Glaub ja nicht, ich hätte meine Frage vergessen. Was hast du angestellt, Schätzchen?“, zuckersüß kamen Sakura diese Worte über die Lippen. Wie ein Lufthauch umwehten sie Tenten und lockten sie, doch zu antworten. „Wenn die anderen mich nicht angelogen haben“, sie machte eine Pause, um den Moment noch ein wenig hinauszuzögern, „dann bin ich Naruto den ganzen Abend hinterher gerannt und hab ihm erzählt, wie sehr ich ihn doch liebe. Und dass er mein Traumprinz ist.“ Als Sakura loslachte, senkte Tenten resignierend den Blick. Das war so peinlich! Naruto hatte am nächsten Tag vor einem Nervenzusammenbruch gestanden und war fast panisch vor ihr geflüchtet. Bis die anderen sie aufgeklärt hatten, waren volle drei Tage vergangen. Tenten hatte sich in Grund und Boden geschämt. „Also wird die liebe Tenten zur Verführerin und spannt ihren Freundinnen den Liebhaber aus. Nanana, das gehört sich aber nicht.“, mahnend hob Sakura ihren Finger, ein fieses Grinsen zierte ihr Gesicht. „Wenn das bloß alles gewesen wäre. Angeblich hab ich an dem Abend für irgendeinen Zwölftklässler einen Lapdance gemacht und danach Yoko geküsst. Weißt du, wen ich meine?“ Sakura schüttelte den Kopf. „Sitzt bei uns in Geschichte. Hellbraune Haare, ganz kurz geschnitten, die so auf Neji steht.“ So langsam dämmerte es bei Sakura. Auch wenn ihr der Name immer noch nichts sagte. „Warum denn die?“ „Keine Ahnung. Ich weiß ja noch nicht mal, ob es stimmt.“ „Stand sie damals auch schon auf Neji?“ „Ich glaub schon.“ „Vielleicht hat sie gedacht, du wärst lesbisch und sie könnte über dich an ihn rankommen.“ Tenten schaute sie gespielt empört an. „Das war aber gemein von ihr! Sie wollte mich ausnutzen!“ „Hm. Der einzige gute Junge an unserer Schule ist vergeben und die Mädchen sind auch nix. Tenten, wir müssen asexuell werden.“ „Der einzige gute Junge?“ Verwundert zog Tenten die Augenbrauen zusammen. Hatte sie da etwas nicht mitbekommen? „Na, Naruto.“ Tenten war sich gerade nicht sicher, ob das ein Scherz war oder ernst gemeint. Allerdings klärte Sakura die Sache sofort auf: „Ich meine, sieh ihn dir doch an. Er sieht gut aus und er trägt Hinata auf Händen. Zugegeben, er nervt manchmal, aber wenn ich ihn mit Hinata sehe, könnte ich platzen vor Neid.“ „Hm… Hinata hat schon echt Glück mit ihm.“ „Ich will auch einen Naruto, Tenten.“ Es lag so viel Bedauern, so viel kindlicher Trotz in Sakuras Stimme. Die beiden Mädchen sahen sich an und lachten. „Aber ernsthaft, Sakura. Hinata ist die einzige, die es mit Naruto aushält. Ich hätte ihn schon wie oft erschlagen.“ „Naja, beim Küssen kann er ja nicht so viel Schwachsinn reden.“ Tenten verzog bei dieser Aussage das Gesicht. „Ich will Naruto aber nicht küssen.“ Entsetzt starrte Sakura sie an. „Schande über dich!“, schrie sie, sprang auf und zeigte mit dem Finger auf Tenten. Mal wieder galt die Aufmerksamkeit der Sportler den beiden Mädchen. Nicht zum letzten Mal an diesem Nachmittag. Als Sakura und Tenten erschöpft vom Nichtstun in die Wohnung kamen, fanden sie alles leer vor. Also waren Hinata und Ino noch mit ihren Jungs beschäftigt. Und die anderen beiden? Die wussten nichts mit sich anzufangen. Sakura warf sich auf die Couch und schaltete zwischen Musikvideos und einer Zeichentrickserie hin und her, während Tenten die Picknickdecke auf den Küchentisch legte und sich umzog. „Sakura?“, rief sie plötzlich vom Schlafzimmer aus. Ihre Stimme klang gedämpft, als würde sie durch eine dicke Wand sprechen, obwohl sogar die Tür offen stand. „Dein Handy klingelt!“ Langsam stand Sakura auf, streckte sich, als hätte sie die Nacht auf dem Sofa verbracht und schlurfte ins Schlafzimmer, wo ihr Handy gerade „Wonderland“ vor sich hinspielte. Die Nummer auf dem Display kannte sie nicht. „Ja?“, fragte sie in den Hörer hinein. Eine weibliche Stimme antwortete ihr. Im ersten Moment konnte sie sie nicht zuordnen, dann erinnerte sie sich. Es war Temari. „Temari, woher hast du meine Nummer?“ „Shikamaru hat sie mir gegeben. Er meinte, du hättest Probleme den Stoff in Biologie nachzuholen?“ „Äh…ja. Wieso hat er dir davon erzählt?“ Tenten schaute sie fragend an. „Wir haben das alles schon gemacht und ich dachte, ich könnte dir vielleicht helfen.“ „Oh.“, verblüfft stand Sakura ein paar Sekunden wie versteinert da. Sie nickte, bis ihr einfiel, dass Temari das ja nicht sehen konnte. „Das wäre echt toll!“ „Kein Problem. Wann hast du denn Zeit?“ „Nächste Woche Montag? So um vier bei dir?“ „Alles klar. Vielleicht hast du Glück und Kiriko macht Waffeln.“ Sakura grinste, dann hatte sie eine Idee. „Du, Temari? Kann Tenten auch mitkommen?“ „Aber sicher.“ „Dankeschön, bis dann!“ „Jap, bis dann.“ Das Grinsen auf Sakuras Gesicht wurde noch eine Spur größer. „Was wollte Temari denn von dir?“ „Sie hat angeboten, uns bei Bio zu helfen.“ „Echt? Wieso denn das?“ „Shikamaru hat ihr wohl … von unserem Gejammer erzählt.“ Fast im gleichen Augenblick seufzten Tenten und Sakura. Es war nicht gerade Shikamarus beste Idee, Probleme mit Ino durch Temari zu lösen. Als Sakura und Tenten am folgenden Montag vor Temaris Tür standen, hatten sie beide ein furchtbar schlechtes Gewissen. Vor Ino hatten sie behauptet, sie würden zusammen in die Bibliothek gehen, um zu lernen. Ino hatte ihnen mit einem ironischen Lächeln einen angenehmen Nachmittag gewünscht und sich dann wieder der neuesten Ausgabe der Vogue zugewandt. Aber was Ino nicht wusste, darüber konnte sie sich auch nicht aufregen. Und es war schließlich nichts böses dabei, bei Temari Nachhilfe zu holen. Trotzdem fühlten die beiden sich wie Verräterinnen. „Sakura? Ich glaube, mein Gewissen frisst mich gleich auf.“, meinte Tenten unbehaglich. „Mich auch.“, sagte Sakura leise. Sie ließ den Kopf hängen. „Vielleicht“, Tenten kaute auf ihrer Unterlippe. „Vielleicht sollten wir ihr es einfach später sagen.“ „Aber dann wird sie sauer, weil wir sie angelogen haben. Dann wird sie erst recht denken, dass wir-“, Sakura wusste nicht, wie sie den Satz beenden sollte. Ja, was würde Ino eigentlich denken, wenn sie wüsste, dass zwei ihrer besten Freundinnen mit ihrer Konkurrentin lernten? „Wir müssen ihr ja nicht sagen, dass wir das so geplant hatten. Wir, wir sagen, wir haben Temari in der Bibliothek getroffen und da hat sie uns gefragt, ob sie uns helfen kann.“ Tenten überlegte noch weiter. „Und irgendwann, nächstes Jahr oder so, erzählen wir ihr dann, wie es wirklich war.“ „Alles klar.“ Sakura und Tenten nickten sich zu. Es war beschlossene Sache. Dann klopfte Tenten an die Tür. Temari öffnete, ein Lächeln zog sich über ihr Gesicht, als sie die beiden erkannte. „Hallo, ihr zwei!“, begrüßte sie die beiden und bat sie herein. „Ihr könnt schon mal ins Wohnzimmer gehen, ich sag Kiriko nur schnell bescheid, dass ihr da seid.“, meinte Temari und war verschwunden. Sakura und Tenten gingen in die Wohnung hinein und sagten in der Küche kurz Hallo. Im Flur hingen Fotos an den Wänden, die ihre Bewohner in den unterschiedlichsten Situationen zeigten. In einer Disco, am Weihnachtsball, in ihrer Küche, wo Temari gerade Kerzen auf einem Kuchen auspustete, bei einem Konzert, in einem Einkaufszentrum. Sakura hätte die Bilder, die Momente aus dem Leben der Mädchen, wohl noch ewig anschauen können, hätte ihr Lachen studieren oder aus der Müdigkeit in ihren Augen die Uhrzeit schließen können, doch Tenten zog sie weiter. Neben dem Durchgang zum Wohnzimmer lag ein Berg von Schuhen, ganz durcheinander, High Heels, Sportschuhe, Flipflops. Tenten warf dem seltsamen Gebilde einen amüsierten Blick zu, dann ging sie zum Sofa und setzte sich. Auf dem Tisch lagen bereits ein Biologiebuch und ein dicker Ordner, in dem sich wohl Temaris Notizen befinden mussten. Sakura gab bei dem Anblick einen verzweifelten Seufzer von sich. „Tenten, das hier war keine gute Idee.“ „Sakura, wenn wir beide in Bio nicht besser werden, nimmt die Alte uns auseinander!“, Tentens Stimme klang ernst. „Ich überlebe das hier nicht. Ich werde sterben. Einfach so. Und zwar jetzt.“ „Da ist aber jemand melodramatisch, was?“, gab Temari kichernd von sich. Sie trug ein Tablett vor sich her, auf dem drei Teller gestapelt waren und ein vierter, voller dampfender Waffeln. „Unsere Nervennahrung“, meinte sie und stellte alles ab. „Mit einem herzlichen Dank an Kiriko, eine meiner Mitbewohnerinnen.“ Sakura und Tenten starrten begierig zu den Waffeln, sie dufteten aber auch zu köstlich. „Na gut. Dann stärken wir uns eben erst einmal für die Nachhilfe, okay?“ Temari holte noch Puderzucker, eine Flasche Orangensaft und Gläser. Als die Mädchen satt waren, erkundigte Temari sich, wo die Defizite der beiden waren und schlug dann Seite 214 in ihrem Biologiebuch auf. Drei Stunden später, die Sonne war schon fast hinter den Bäumen verschwunden, klappte Temari das Buch wieder zu und ließ sich erschöpft in die Couch sinken. Ein Knacken kam von ihrem Nacken, als sie den Kopf drehte. „Oh Mann“, stöhnte Tenten und massierte sich die Schläfen. „Wenn man das nicht als Lernsession bezeichnen kann, weiß ich auch nicht.“ Sakura nickte nur, sie glaubte, dass sie zu müde war, um überhaupt sprechen zu können. In ihrem Hirn wimmelte es nur so von chemischen Prozessen innerhalb des menschlichen Körpers. Unschöne Bilder mischten sich zu den Schemata, die sie auswendig gelernt hatte, und sie erschauderte. „Ich bin so tot, wenn ich jetzt einschlafe, wach ich nicht mehr auf.“, meinte Temari. Ihr Pferdeschwanz war hinten aufgegangen und die blonden Haare fielen ihr bis auf die Schultern. Während die drei Mädchen in einträchtigem Schweigen auf dem Sofa saßen und versuchten, die Augen offen zu halten, kam Kiriko herein und betrachtete sie schmunzelnd. „Wollt ihr noch mitessen?“, fragte sie mit ihrer ruhigen Stimme, die wohl wunderbar vorlesen konnte. Die drei schreckten fast zeitgleich hoch. „Ähm“, Sakura zögerte, warf Tenten einen fragenden Blick zu, doch die nickte nur. „Gern“, sagte sie dann und schenkte Kiriko ein Lächeln. Kiriko verschwand mit ein paar großen Schritten. „Wow, ich glaube, wir sollten euch dann auch mal zum Essen einladen.“, meinte Tenten an Temari gewandt. „Ich kann aber nicht versprechen, dass man es dann auch gefahrlos essen kann.“ Sie grinste und Sakura begann zu kichern. „Das kommt darauf an, wer von uns kocht.“ Temari lachte leise, ihr raues, schönes Lachen, das bestimmt so manchem Jungen eine Gänsehaut verpasste und streckte sich dann ausgiebig. „Das kann ich ja dann als Honorar nehmen.“ Sie sah die beiden Mädchen freundlich an. Die schauten sie erschrocken an. „An eine Bezahlung hab ich noch gar nicht gedacht!“, rief Sakura und schlug sich die Hand an die Stirn. „Ich auch nicht.“, seufzte Tenten. „Tut uns leid.“ „Ach, was! Ihr müsst mir nichts dafür geben. Ich hatte heute sowieso nichts vor und in Biologie bin ich ziemlich gut.“, antwortete Temari. Verlegen legte sie die Hand in den Nacken. „Merkt man.“, antwortete Sakura lächelnd. „Danke. Ohne dich wären Tenten und ich beim nächsten Test aufgeschmissen.“ Tenten nickte zustimmend. So energisch, dass die beiden Dutts an ihrem Kopf auf und ab wippten. Damit brachte sie Temari wieder zum Lachen. Die Mädchen redeten über Gott und die Welt, über ihre Kurse und Lehrer, über ihre Hobbies, über Temaris Mitbewohnerinnen. Kiriko und Li waren beide bereits in der Abschlussklasse und würden nach den Osterferien mit der Schule fertig sein, Kino war wohl ein Jahr jünger als Temari und durch ihren neuen Freund sehr selten in der Wohnung anzutreffen. „Er ist ihr erster, deshalb kann man es ihr verzeihen.“, erzählte Temari und ihr Gesichtsausdruck war dabei so gutmütig, dass sie die anderen an eine Mutter erinnerte. „Ihr wohnte mit Hinata zusammen, oder? Und mit Shikamarus Freundin.“, meinte sie dann. Erstaunt sahen Tenten und Sakura sie einen Moment lang an, dann fragte Tenten neugierig: „Ja, mit Ino, hat Shikamaru dir davon erzählt?“ „Ja, wieso?“, erwiderte Temari irritiert. Sie zog die Augenbrauen zusammen, war verwirrt über die seltsame Anspannung ihrer Besucher. „Nur so. Die beiden haben etwas Krach.“ „Ich weiß. Shikamaru ist ganz fertig deswegen.“, Temari sah besorgt aus. „Er kann einem richtig leid tun. Er sagt, alles ist irgendwie anders in ihrer Beziehung, aber er weiß nicht warum oder wie er das ändern soll. Aber er liebt sie zu sehr, um sie zu verlassen.“ „Er liebt sie?“, platzte es aus Sakura heraus. Eigentlich hatte sie sich diese Frage verkneifen wollen, doch es war einfach unmöglich gewesen. „Ja.“ War da etwas wie Bedauern in Temaris Stimme? „Er wünscht sich, dass sie ihm endlich wieder vertraut und ehrlich zu ihm ist. Es macht ihn ganz wahnsinnig, wenn sie so guckt, als würde sie gleich losheulen und wenn er fragt, was sie hat, sagt sie „Nichts“ oder antwortet ihm nicht. Woher soll er denn wissen, was er falsch macht, wenn sie entweder an allem rumnörgelt oder gar nichts mehr sagt?“, Temaris Hände ballten sich zu Fäusten. Eine kleine Flamme Wut loderte in ihren Augen auf und flackerte auf ihren Zügen. „Er will ja gar nicht genervt von ihr sein. Aber sie tut ja auch nichts, um es zu ändern!“ Vorwurfsvoll schaute Temari die beiden Mädchen auf dem Sofa an, die einander sprachlos Blicke zuwarfen und sich dann wieder ihr zuwandten. „Ino sagt nur nichts, weil sie Angst hat, ihm noch mehr auf die Nerven zu gehen. Sie hat ihre Eifersucht nicht im Griff, aber immer wenn sie ihm davon erzählt hat, hat er sie angeschnauzt. Sie hat einfach nur furchtbare Angst, ihn zu verlieren. Sie liebt ihn abgöttisch.“, ergriff Tenten das Wort. Sakura saß nur schweigend zwischen den beiden. Sie war sich sicher, dass Temari etwas für Shikamaru fühlte, das weit über Freundschaft hinaus ging. Und nach ihrer Aussage war sie sich auch sicher, dass Shikamaru Ino nicht aufgeben wollte. Er betrog sie nicht. Er brauchte nur jemanden, mit dem er über seine Probleme reden konnte. Arme Temari. Armer Shikamaru. Arme Ino. Sakura wusste gar nicht, wohin mit all ihrem Mitleid. „Aber“, meinte Tenten nach einer peinlichen Stille. „das ist eine Sache zwischen den beiden.“ Temari nickte, die Anspannung schien ihre Muskeln wieder zu verlassen. „Du hast Recht. Sie müssen das zwischen sich ausmachen. Wollen wir in die Küche gehen? Kiriko ist bestimmt gleich mit dem Abendessen fertig.“, antwortete Temari. Ihr Themawechsel war offensichtlich, doch Sakura und Tenten war es nur recht. Sie mussten endlich mal an etwas anderes denken, als an Ino und Shikamaru. Aber manchmal war es schwer, sich nicht einzumischen. Als Tenten und Sakura sich leise in ihre Wohnung schlichen, war es längst dunkel und Hinata und Ino schliefen bereits. Sasuke und Naruto waren noch wach. Sie saßen in Narutos Zimmer und spielten ein Videospiel. Das taten sie jetzt schon seit Stunden, doch das bedeutete nicht, dass es ihnen langweilig geworden wäre. Naruto beschimpfte seine Gegner im Spiel ständig, dann beschimpfte er Sasuke, dann wieder die Aliens. Hin und wieder waren seine Beleidigungen so kreativ, dass es Sasuke ein Lachen oder zumindest ein Schmunzeln entlockte. Wenn Naruto den Anführer der Aliens einen „mit Eiter bespritzten Homokönig mit Peniskopf“ nannte oder den Wachposten, der ihn fast tot gebissen hatte, ein „gigantisches Stück Feigheit mit Ohrfeigensoße“. Ein paar Flaschen Bier standen vor den beiden auf dem Boden, sie saßen auf dem Bett, gegenüber dem Fernseher und waren in ihrer eigenen Welt. Als Neji reinschaute, um ihnen zu sagen, dass die Pizza fertig wäre, sagte Sasuke nur „Herbringen“ und Neji ging stöhnend wieder hinaus. Eine Stunde später brachte Shikamaru den beiden vier Stücke kalte Salamipizza, sah ihnen eine Weile bei ihrem Spiel zu, kritisierte ihre nicht vorhandene Strategie und ging dann schlafen. Go, Sasuke! Go, Sasuke! „Halt die Klappe.“, knurrte Sasuke. Naruto warf ihm einen flüchtigen, verwirrten Blick zu, entschied dann aber wohl, dass Sasuke genau wie er mit dem Spiel redete. Die Aliens konnten zwar nicht sprechen, aber vielleicht ging da Sasukes Phantasie mit ihm durch. Yeah, Sasuke! Genau so! Knall die hässlichen Dinger ab! Ich knall dich gleich ab, Idiot. Sasuke, mein Schätzchen. Suizid ist keine Lösung. Nicht bevor du mit der süßen Sakura aus warst. Sasuke verzog das Gesicht zu einer wütenden, verbissenen Fratze, von der er hoffte, dass Naruto sie nicht bemerkte. Zu seinem Pech blickte Naruto genau in diesem Moment zu ihm herüber. „Alter, ich wusste gar nicht, dass du das Spiel so ernst nimmst.“, lachte er und drehte den Kopf wieder nach vorne. Beruhigt entspannte Sasuke sich wieder. Naruto allerdings biss sich auf die Lippe. Irgendwas beschäftigte Sasuke und er würde schon rausfinden, was es war. Er war schließlich sein bester Freund! Innerlich streckte Naruto die Faust in die Luft und schwor sich, herauszufinden, was da los war. Sie spielten bis vier Uhr morgens. Sasuke verpasste Naruto eine Kopfnuss dafür, dass er jetzt nur noch zwei Stunden schlafen konnte. Es wurden weniger als zwei Stunden, weil die dumme Stimme in seinem Kopf keine Ruhe gab. Am nächsten Morgen blieb Sakura so lange in ihrem Bett, wie möglich. Sie hatte Angst, Ino vom gestrigen Nachmittag zu erzählen. Wenn sie trotzdem wütend würde? Enttäuscht wäre? Sakura wollte es sich gar nicht vorstellen. Sie konnte genau spüren, wo die Risse in ihrem Herzen sein würden, wenn Ino sie nicht mehr als Freundin haben wollte, wie diese Risse brennen und lodern würden, als würde heiße Lava in ihnen fließen. Auch Tenten blieb ungewöhnlich lange liegen. Während Hinata sich umzog stand Sakura dann doch auf, stieß sich den Kopf an der Schranktür, als sie ihre Kleider zusammen suchte und fluchte leise. „Alles in Ordnung?“, fragte Hinata und warf ihr einen besorgten Blick zu. Hinata wusste, wo ihre beiden Freundinnen gestern gewesen waren, sie hatte sie sogar ermutigt hinzugehen. Man wisse ja nie, welche Freundschaften sich ergeben könnten und Temari sei sicher ein sehr nettes Mädchen. „Wir wollen es Ino sagen.“, kam es unter Tentens Bettdecke hervor. Zwischen unzähligen Kissen lag sie und hatte sich die pinkfarbene Decke übers Gesicht gezogen. Hinata nickte, Bedauern lag in ihrem Blick. „Sie wird böse sein.“ „Ja.“, stimmte Sakura ihr zu, während sie sich ihren Pullover über den Kopf zog. Schwarz und eng war er, mit einer weißen Stickerei am V-Ausschnitt. Sie fühlte sich sehr, sehr unbehaglich. In diesem Moment kam Ino in das Schlafzimmer, fertig angezogen und geschminkt und mit einer Fröhlichkeit, die so gar nicht zu dem trüben Morgen passte, der durchs Fenster schaute. „Glaubst du nicht, es ist etwas kalt dafür, Ino-chan?“, fragte Hinata und beäugte Inos Outfit. Sie trug ein lila Top, darüber eine kaum nennenswerte lila Weste und einen schwarzen Minirock. Darunter eine Feinstrumpfhose und schwarze Absatzschuhe. „Das reicht doch. Wir haben noch nicht mal richtig Herbst.“ „Es sind gerade einmal 12 Grad draußen, Ino.“, meinte Hinata und sah in den grauen Himmel hinaus. Sie selbst hatte eine dunkle Jeans angezogen, flache Stiefel und einen weißen Pullover. Im Flur hing ihre Jacke. Ino zog selten eine Jacke an. „Ich friere nicht so leicht wie du, Hinata-chan.“, sagte Ino lächelnd. „Übrigens, Tenten. Du bist diese Woche mit dem Frühstück dran. Willst du nicht langsam mal aufstehen?“ Tenten verkroch sich zur Antwort noch weiter in ihrer Decke. „Hey. Geht‘s dir nicht gut?“, fragte Ino und setzte sich zu Tenten. „Ich mach das Frühstück, okay? Und Kakashi sagen wir, dass du nicht wohl fühlst.“ Tenten lugte unter ihrer Decke hervor und nickte. Sakura warf ihr einen Blick zu, der sich nicht entscheiden konnte, ob er vorwurfs- oder verständnisvoll sein wollte. Ein Schauer lief Tenten über den Rücken. In Gedanken schimpfte sie sich selbst für ihre Feigheit aus. Ino ging aus dem Raum und ließ Tenten mit den anderen beiden allein. „Sag mal, was soll das?“, zischte Sakura gereizt. „Soll ich das jetzt alleine machen, oder wie?“ Hinata legte ihr eine Hand auf die Schulter und redete beruhigend auf Sakura ein. Sie entspannte sich, kaum dass das Wispern begonnen hatte. Dann setzte sich Hinata dorthin, wo eben noch Ino gesessen hatte. „Komm einfach zur zweiten Stunde, in Ordnung?“ Tenten nickte gehorsam. Mit großen Augen sah sie Sakura an, die noch immer mit verschränkten Armen da stand. Zumindest schaute sie nicht mehr so wütend aus. „Sakura, wir machen das zusammen.“, flüsterte Tenten bestimmt. „Aber erst nach dem Unterricht. Mit einem großen Drama kann sich sonst keiner konzentrieren.“ „Vielleicht gibt es ja auch gar kein Drama.“, meinte Hinata. „Vielleicht ist leider ein ziemlich unbefriedigendes Wort, Hinata-chan.“, sagte Sakura. Dann tönte Inos Stimme zu ihnen, die verkündete, dass das Frühstück so weit war. Der Schultag raste nur so an Sakura und Tenten vorbei. Die Zeiger der Uhr schienen von unsichtbaren Fäden unaufhörlich weiter gezogen zu werden, nur leider in die falsche Richtung. Im Unterricht meldete sich keine von ihnen, in den Pausen waren sie ungewöhnlich schweigsam. Zum Glück liefen sie Temari nicht über den Weg. Das wäre dann wohl der Anfang vom Ende gewesen. Aber der kam auch so. Nämlich als Ino beim Mittagessen bei Lola fragte, wie ihre Lernerei in der Bibliothek verlaufen sei. Hinata hielt die Luft an, während Sakura nervös begann mit einer Haarsträhne zu spielen und Tenten unbehaglich von links nach rechts blickte. Die Reaktionen ihrer Freundinnen blieben Ino natürlich nicht verborgen, misstrauisch hob sie eine Augenbraue und fixierte Sakura, wie ein Polizist einen Tatverdächtigen. Und ja, Ino war ein böser Cop. Sakura war diejenige, die ihrem Blick wohl am wenigsten standhalten könnte. „Sakura-chan,“, ihre Stimme war sanft und viel zu freundlich, um normal zu klingen. „Ist etwas passiert, meine Liebe?“ Sakura fühlte sich wie festgenagelt von Inos Augen. Das Blau war so stechend, so klar, als würde es jede noch so kleine Lüge herausfiltern können. Ein Lügendetektor in den Augen. Sowas brauchte sie auch dringend. Mit einem unsicheren Lächeln schaute Sakura Ino an, die Gabel, mit der sie in ihrem Reis herumgestochert hatte, zitterte. „Wir haben auf‘s Joggen verzichtet und sind gleich zur Bibliothek. Innerer Schweinehund, weißt du?“, sie gab ein nervöses Kichern von sich. Dann bemerkte sie, wie albern sie sich benahm. Sie konnte nichts daran ändern. „Auf jeden Fall haben wir gelernt, aber es hat nichts gebracht. Wir sind fast verzweifelt und ständig kam diese blöde Bibliothekarin und meinte, wir sollen gefälligst leiser vor uns hinfluchen.“, erzählte sie dann weiter. Okay. So weit, so gut. „Und dann, Tenten und ich hatten gerade den nächsten Stapel Bücher zu dem Tisch getragen, da ist“, zum Ende hin wurde Sakura immer leiser. „Temari aufgetaucht.“ Den Namen nuschelte sie vor sich hin. Ino schien sie zu analysieren. Jedes Wort, jede Geste, jedes noch so kleine Zucken. „Weißt du, Ino, es ist sehr unangenehm, wenn du einen so anstarrst. Ich meine, was ist denn dabei?“, meldete Tenten sich nun auch zu Wort. Doch selbst sie klang unsicher und so klein, wie sie sich fühlte. Gut, dass die Jungs nicht da waren. Nach der kurzen Nacht war Naruto erst gar nicht zum Unterricht erschienen Sasuke war den ganzen Tag so schlecht gelaunt gewesen, dass sie sich alle von ihm fern gehalten hatten. Neji war mit Shikamaru in die Stadt gegangen, um ein neues Schachbrett zu kaufen. Nachdem Naruto das alte in einen Serviettenständer umfunktioniert hatten. Shikamaru hatte wutschnaubend davon erzählt, wie er Naruto dafür wie ein Geisteskranker durch die Wohnung gejagt hatte. „Aber was wollte Temari denn von euch?“, fragte Ino jetzt unbeirrt. Sie spuckte den Namen des Mädchens aus, als wäre er etwas giftiges, das nur durch sein Aussprechen töten könnte. „Sie hat uns angeboten, mit uns zu lernen, okay?!“, rief Tenten gereizt. Mit einer Hand schlug sie dabei auf den Tisch. Ihre Cola schwappte hin und her, wie ein Meer bei Sturm, die Zitrone ein einsames kleines Fischerboot. „Aha.“, sagte Ino nur. „Ja. Und dann sind wir mit ihr in ihre Wohnung und haben Bio gelernt. Dann haben wir bei ihr zu Abend gegessen. Das ist alles.“, Tenten schien entrüstet, doch Sakura war sich nicht sicher, ob Tenten nur versuchte, ihre eigene Unsicherheit zu überspielen. „Aha.“, meinte Ino wieder. „Und weil sie ja so ein nettes, unschuldiges Mädchen ist, seid ihr einfach mal mitgegangen?“ Mit jedem Wort wurde sie ein wenig lauter, ein wenig wütender, aber auch ein wenig verletzter. „Ino, sie hat uns doch nur geholfen.“, begann Sakura mit ruhiger Stimme. „Nur geholfen. Klar. Gibt es eigentlich einen bestimmten Grund, warum sie ausgerechnet mein Leben haben will?“, gab Ino wirklich aufgebracht von sich. Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust und warf Sakura einen lodernden Blick zu, der von Vorwürfen überquoll. Genau diesen Blick bekam auch Tenten zu spüren. „Ihr seid echt die Höhe! Ihr wisst genau, dass sie mir meinen Freund ausspannen will und trotzdem gebt ihr euch mit ihr ab. Und du“, sie zeigte auf Hinata. „Du weißt davon und sagst natürlich keinen Ton! Nein, der dummen Ino muss man ja nichts sagen, die merkt das ja nicht. Womit hab ich solche Freunde verdient?“ Damit sprang Ino von ihrem Stuhl auf, ließ ihren Gemüsereis stehen und rauschte aus der Tür, wie eine Lokomotive auf Hochtouren. Dass sie dabei zwei kleinen Mädchen fast die Tür gegen den Kopf schlug, bemerkt sie noch nicht einmal. Tenten, Sakura und Hinata saßen da und rührten sich nicht. Minutenlang. Sie fühlte sich elend, wie eine Bande Verräter, wie Mitglieder einer Piratencrew, die Meuterei beging. Es war kein angenehmes Gefühl. Der Hunger war Sakura vergangen und auch Tenten sah ihr Essen an, als müsse sie sich gleich übergeben. Hinata war die erste, die sich wieder bewegte. Sie begann, ihre Nudeln in sich hineinzuschaufeln. Wirklich zu schaufeln, das zarte Mädchen hatte in diesem Moment viel Ähnlichkeit mit einem Bagger. Rasend schnell stopfte sie sich immer neue Gabeln voll in den Mund. „Hinata, wenn du so schnell isst, wird dir schlecht.“ „Mir egal.“, murmelte Hinata undeutlich und mit vollem Mund. Wo ihre Manieren geblieben waren, wusste sie gerade selbst nicht so genau. Vielleicht in einem Urlaub ohne Wiederkehr in der Antarktis oder doch auf einem Trip zum Mars. Es war ihr herzlich egal. Sie musste nur diesen Stress irgendwie verarbeiten und das am besten, ohne zu weinen. Beinahe entsetzt beobachteten Sakura und Tenten, wie Hinata ihren Teller in kürzester Zeit leer gegessen hatte und sich nun über Sakuras Portion hermachte. Als auch Tentens Mittagessen zehn Minuten später in ihrem Bauch verschwunden war, bestellte sie frustriert einen Schokoladeneisbecher. Mit extra viel Sahne. „Äh, Hinata-chan?“, vorsichtig berührte Tenten Hinata an der Schulter. „Nimm dir das ganze nicht so zu Herzen.“ Doch Hinata warf ihr nur einen traurigen Blick zu und schaute dann wieder ungeduldig zur Theke. Während Hinata ihr Eis löffelte und Sakura sich überlegte, welche Prozesse das in ihrem Körper verursachen würde (ja, die Nachhilfe mit Temari hatte etwas gebracht!), ließ Naruto sich neben Sakura und damit seiner Freundin gegenüber fallen. Er hatte sich bereits ein großes Wasser bestellt und dieses auch bekommen, als Hinata ihn endlich bemerkte. Sie starrte ihn an, erst wie einen Fremden, der so frech gewesen war, sich einfach an ihren Tisch zu setzen, dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und wurde unendlich traurig. „Naruto“, schniefte sie, stand auf und ließ sich auf seinem Schoß nieder. Instinktiv nahm er sie in den Arm und wiegte sie tröstend hin und her. „Aber, aber.“, sagte er leise. „Was ist denn passiert?“ Doch Hinata war viel zu aufgewühlt, als dass sie es ihm hätte erzählen können. Stattdessen fasste Tenten kurz zusammen, was sich abgespielt hatte. Sie sah unglücklich dabei aus. Das ganze nagte an ihr, wie eine übergroße Ratte, aber sie wollte es nicht zugeben. Schon gar nicht zeigen. Wollte stark sein. „Ach, so ist das.“, meinte Naruto am Ende ihres Berichts. Danach saß er eine Weile grübelnd da, hielt seine Freundin fest und war in Gedanken doch ganz weit weg. „Das ist natürlich verzwickt.“, sagte er dann. „Echt jetzt?“, gaben Sakura und Tenten synchron von sich. Sakura ließ zusätzlich ihren Kopf auf die Tischplatte fallen. Ein schönes „Plong!“ wurde dadurch verursachte und der Schmerz, der hinter ihrer Stirn losbrach, lenkte sie ein wenig ab. Tenten seufzte. „Das gibt sich bestimmt wieder.“, bemerkte Naruto noch leise. Dafür sah Tenten ihn so böse an, als wollte sie ihm am liebsten den Kopf abreißen. Naruto schrumpfte ein wenig unter ihrem Blick. Das war ja fast so schlimm wie „Die Zeit heilt alle Wunden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)