Regenlieder von Shani ================================================================================ Kapitel 10: 180 Grad - Drehung ------------------------------ Es war der Morgen des letzten Ferientags, als ein seltsam brummender, leiser Song Sakura aus ihren Träumen lockte. “Oh if you could see me now”, der Gesang schwebte vorsichtig und leidend durch das Zimmer, kitzelte Sakuras Ohren, bis sie die Augen aufschlug und sich widerwillig streckte. Die Sonne blinzelte bereits durch die Vorhänge und die Betten von Hinata und Tenten waren leer. Mit einem Gähnen schwang Sakura die Beine über die Bettkante und machte sich schwankend auf den Weg in die Küche. Bei ihr bekam ‘schlaftrunken’ eine ganze andere Bedeutung! “Morgen”, es war nur ein Nuscheln, was ihren Mund verließ und die offensichtlich gute Laune der anderen beiden ließ sie daneben nur noch verschlafener wirken. “Guten Morgen, Sakura-Mäuschen!”, Tentens Stimme verirrte sich in ungeahnte Tönhöhen und Sakura hätte ihr am liebsten ein großes Kissen aufs Gesicht gepresst. Tenten erriet ihren Gedanken nicht, stattdessen verfrachtete sie Sakura auf einen der Küchenstühle und schaufelte Rührei auf ihren Teller. Wenn sie nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, die Augen offen zu halten, hätte Sakura sich sicher für den ungewöhnlichen Service bedankt. “Ino-chan wollte gegen 12 Uhr da sein”, meinte Hinata, als sie sich Sakura gegenüber setzte und an ihrem Tee nippte. Er verbreitete einen wundervollen, leicht säuerlichen Geruch nach Apfel in der Küche und weckte Sakura zumindest im Ansatz auf. “Und wie viel Uhr haben wir?”, Sakura vergaß den Mund zu öffnen, um die Gabel hineinschieben zu können. Ein Teil des Rühreis lief ihr das Kinn hinab, der Rest landete wieder auf dem Teller und schien sich zum Rest ihres Frühstücks zu gesellen. “Was zum-”, sie seufzte nur und wischte sich mit einer Serviette das Kinn ab. “Es ist fast halb 12, du Schlafmütze!”, Tenten war so viel lauter als Hinata. Und rücksichtsloser. “Also hätte ich noch eine halbe Stunde schlafen können, bis wir Ino in Empfang nehmen müssen.” Tenten und Hinata schauten sie fast entgeistert an. “Sakura, Ino bringt dich um, wenn du sie im Schlafanzug begrüßt!”, die Warnung kam unisono von den beiden. “Aber-” “Nichts aber.”, schnitt Tenten ihr das Wort ab. War vielleicht auch besser so, denn Sakura hatte eigentlich keine Ahnung was sie hatte erwidern wollen. In ihrem Kopf herrschte gähnende Leere und da sie gerade an gähnen dachte, musste sie es auch schon wieder tun. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, dann schaufelte sie den Rest ihres Rühreis in sich hinein, einem Bagger nicht gerade unähnlich. Hinatas Blick war fast ein bisschen angewidert. Wenn Hinata jemals ein menschliches Wesen angewidert ansehen würde jedenfalls. “Also muss ich mich schminken?”, es war fast weinerlich, wie Sakura diese Worte aussprach. “Wäre bei deinen Augenringen nicht schlecht.”, antwortete Tenten streng und schob ihre Freundin aus der Küche hinaus bis ins Bad. “Sie ist wirklich ein Morgenmuffel.”, sagte sie zu Hinata, als sie wieder zurückkam, um beim Abwasch zu helfen. “Ja. Aber ich denke, sie muss eben erst wieder von Ferien auf Schulzeit umschalten.”, Hinatas Lippen wurden von einem sanftmütigen, schönen Lächeln erobert, das sich selbst dann dort hielt, als Sakura noch immer müde und schlecht gelaunt in die Küche getrottet kam. Diesmal aber mit gekämmten Haaren, Puder im Gesicht und einem roten Pullover, auf den ein süßes, kleines Entchen gestickt war. Ino würde bei diesem Mode-Fauxpas sicherlich in Ohnmacht fallen. Hinata lächelte nur milde. Die Mädchen machten sich wenige Minuten später gemeinsam auf den Weg in den Hof, wo sie Ino in Empfang nehmen wollten. Schließlich hatten sie einander zwei Wochen lang nicht gesehen und Ino hatte davon gesprochen, sich in diesem Spa-Hotel von der ganzen Welt abkapseln zu wollen. Was sie augenscheinlich auch getan hatte, denn selbst auf sämtlichen Social Networks hatte man von Ino nicht einen einzigen Eintrag finden können. Gerade unterhielten sie sich über Sakuras Jetlag, da sie ja aus Europa angereist war und zwei Tage bei weitem nicht genug wahren, um sich davon zu erholen, als ein silbern glänzender Mercedes auf den Schulhof fuhr und ein Mann, der das gleiche blonde Haar hatte wie Ino und denselben schelmischen Zug um den Mund ausstieg. Er öffnete den Kofferraum und hievte Inos großen, knallroten Trolley heraus, während Ino selbst aus der Hintertür stieg. Sie trug eine schwarze Röhrenjeans und einen rotweißkarierten Rollkragenpullover, der wunderbar zu ihren roten Stiefelletten passte. Ino verabschiedete sich mit einem Kuss und einer Umarmung von ihrem Vater und eilte dann auf ihre Freundinnen zu. „Hallooohooo!“, quietschte sie schon aus fünfzehn Metern Entfernung und lachte über ihr ganzes, braungebranntes Gesicht. „Habt ihr mich vermisst?“ Hinata, Tenten und auch Sakura warteten strahlend, bis Ino vor ihnen zum Stehen kam und dann umarmten sie sie nacheinander. Sie lachten und redeten durcheinander, ohne zu verstehen, was irgendeine von ihnen sagte und darüber mussten sie dann nur noch lauter lachen. Zum Glück waren außer ihnen nur wenige andere Schüler unterwegs, die sie dumm anschauen konnten. Die meisten waren bereits vormittags angereist und saßen jetzt beim Essen, der Rest würde wohl erst gegen Nachmittag folgen. Sie standen eine Weile lang schwatzend zusammen, der Satz „Ino, wieso bist du so braun?“ fiel circa zwanzig Mal, ohne ein Antwort zu bekommen. „Ich will auf unsere Couch!“, brüllte Ino irgendwann laut und grinsend wie ein Honigkuchenpferd. Fast wie eine Entschuldigung dafür, dass sie den anderen beinahe das Trommelfell zerfetzt hätte. Während sie also Inos Trolley und ihre schwarze Handtasche zu ihrer Wohnung beförderten, informierte Tenten auch Ino über das Aula-Projekt und die Todesangst, die sie durchgestanden hatte. „Na, da geht es mit Neji wohl endlich voran!“, meinte Ino nur, als Tenten geendet hatte und hob vielsagend die Augenbrauen. Tenten schnappte empört nach Luft, Feuer peitschte aus ihren Augen und färbte ihre Wangen rot. „Ich hätte sterben können und du interessierst dich nur dafür, wie viel Körperkontakt ich mit Neji hatte!“, aufgebracht hallten ihre Worte in dem leeren Gang wieder. „Und woran beißt Sakura sich fest? Wer meine Unterwäsche gesehen hätte, wenn ich einen Rock getragen hätte! Echt, ich hab Freunde!“ Obwohl Tenten die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben stand und ihre Schultern unter ihren hastigen Atemzügen bebten, konnte Sakura nicht anders als zu kichern. „Ach, Tenten-chan.“, sie streichelte ihrer Freundin federleicht über das weiche Haar, das wieder zu den gewohnten zwei Dutts hochgesteckt war. „Wir fixieren uns auf Nebensächliches, um uns davon abzulenken, dass du jetzt tot sein könntest.“ Zwar sollte es ein Scherz sein, doch Sakura konnte nicht verhindern, dass ein Hauch Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme mitschwang. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was Tenten alles hätte passieren können. „Genau“, stimmte Ino zu. „Außerdem ist ja nichts passiert. Da ist dein Körperkontakt mit Neji doch viel präsenter.“ Bei ‚Körperkontakt‘ wackelte Ino mit den Augenbrauen und versank im Anschluss in einen Lachanfall, der auch noch anhielt, als die Mädchen endlich gemeinsam auf ihrer Couch saßen und sich eine Schüssel Chips teilten. Nachdem Ino sich beruhigt hatte, begann sie ihren Freundinnen haarklein zu berichten, wie sie ihre Ferien verbracht hatte. Mit Sauna-Besuchen, Gurkenmasken, Massagen und so viel verschiedenen Fruchtcocktails, dass die anderen sich weinerliche Blicke zuwarfen. „Und diese unwiderstehliche Bräune hab ich von der Sonnenbank.“, erklärte Ino grinsend, während sie demonstrativ den Ärmel ihres Pullovers hochschob und ihren neuen Teint offenbarte. Neidisch funkelten Sakuras Augen, als sie die Haut auf ihrem Handrücken anstarrte. Nicht unfassbar blass, aber von braun konnte auch keine Rede sein. „Wieso bist du eigentlich nicht fast schwarz?“, fragte Tenten sie und blickte sie neugierig an. „Du warst schließlich in Europa.“ „Ja.“, Sakura seufzte tief und lang. „Aber in England. Es hat die ganze Zeit geregnet. Und bei Solarien hab ich Angst, dass ich krebsrot werde.“ Die anderen nickten verständnisvoll und Ino fügte hinzu: „Sonnenbrand würde sich auch furchtbar mit deinen Haaren beißen.“ Sakura sah sie überrascht an. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht, doch jetzt wo Ino es sagte, klang es unfassbar logisch. Gott sei Dank, hatte sie Sonnenbänke bisher immer gemieden. Sie wollte schließlich nicht wie die Farbcollage eines Farbenblinden aussehen. „Konntest du zumindest mit einem süßen Engländer dein Englisch verbessern?“, Ino zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Momentan bist du schließlich die einzige von uns, die überhaupt noch richtig flirten darf.“ Sakura schwieg perplex und guckte ein wenig wie ein verschrecktes Kaninchen, aber Tenten begann zu brodeln. „Und wieso sollte ich deiner Meinung nach nicht flirten dürfen, Ino?“ Wie schnippisch sie klang. Als ob sie keinen Nachtisch kriegen würde. „Du, meine liebe Tenten, bandelst mit Hinatas Cousin an. Damit hast du dein Recht verspielt, heiße Ausländer kennenzulernen.“, gegen Ende schüttelte Ino sich fast vor Lachen und kringelte sich auf dem Sofa zusammen. Sakura und Hinata verkniffen sich das Lachen noch, ihre Grenzen waren jedoch erreicht, als Tenten Ino mit offenem Mund anstarrte und absolut nicht wusste, was sie antworten sollte. „Ich bandele mit Neji an?“, ihre Stimme überschlug sich fast. „Ich? Wir sind Freunde, verdammt! Geht das nicht in eure Köpfe rein?“ Tenten war wirklich aufgebracht und die Sache war ihr ernst. Trotzdem konnte sie beim Anblick ihrer lachenden Freundinnen nicht halb so forsch klingen wie sie wollte und stimmte dann doch in das Gelächter ein. Später schalteten sie den Fernseher an und schauten sich eine furchtbare Talkshow an, in der sich ein Pärchen gegenseitig des Betrugs beschuldigte. Lächerlich bis zum geht nicht mehr. „Es ist ja wohl glasklar, dass er sie betrogen hat!“, rief Ino und warf eine handvoll Chips gegen den Fernsehbildschirm, als gerade der Mann ins Bild kam. „Sie hat benutzte Kondome gefunden und einen BH, der ihr zwei Nummern zu klein ist!“ „Aber sie ist auch nicht von schlechten Eltern, Ino.“, erwiderte Tenten fast tadelnd. „Sie hat mit seinem besten Freund geschlafen, nachdem die zwei sich gestritten haben.“ „Sagt er.“, meinte Ino abfällig. „Und sein bester Freund.“, Tenten straffte ihre Schultern. Hinata sah verwirrt zwischen ihren Freundinnen hin und her. Sie hatte schon das Streitgespräch in der Show nicht so recht verstanden und dass es sich jetzt in ihr Wohnzimmer übertrug fand sie äußerst kurios. „Am Ende sind sie eh Geschwister.“, brummte Sakura dazwischen und löste damit erneutes Gelächter aus. Die beiden waren am Ende keine Geschwister, sondern vertrugen sich unter Applaus des Publikums wieder, mit dem Versprechen, einander in Zukunft zu vertrauen und dass sie sich doch liebten. „Von Treusein war jetzt aber keine Rede, oder?“, fragte Ino irritiert, während eine Werbung für Anti-Aging-Creme über den Bildschirm flackerte. „Nö. Wozu denn auch? Sie betrügen sich weiterhin, aber sie werfen es dem anderen eben nicht mehr vor.“, Tenten kaute krachend auf ein paar Chips herum. „Sowas nenn ich inoffizielle, offene Beziehung.“, Hinata zog ihre Knie an sich heran und schlang die Arme darum. „Ist euch auch so kalt?“ Sakura stand auf und drehte die Heizung auf. „In spätestens drei Jahren ist es wärmer.“ Sie grinste. Ino erhob sich ebenfalls, ihr Handy in der Hand. „Mädels, ich geh rüber zu Shikamaru.“, sagte sie abwesend. Die anderen nahmen es schweigend zur Kenntnis, tauschten nur genervte Blicke. „Ihr müsst nicht für mich mitkochen. Sicher gehen wir zu Lola, haben uns schließlich zwei Wochen nicht gesehen oder gesprochen.“, Ino hatte in Windeseile ihre Schuhe angezogen und war zur Tür hinaus. „Noch nicht einmal mit Shikamaru hat sie telefoniert?“, Tenten hob ernsthaft erstaunt die Augenbrauen. „Hätte ich nicht von ihr gedacht.“ „Ich auch nicht.“, sagte Sakura leise. „Aber wer weiß, ob er überhaupt versucht hat, sie zu erreichen.“ Hinata sog scharf die Luft ein. „Sei nicht so negativ, Sakura. Schließlich muss er sie entführen, kaum, dass wir sie wiederhaben.“ Der Optimismus in Hinatas Stimme war nicht ganz so überzeugend, nicht ganz so deutlich, wie er es vor vielleicht einem Monat gewesen war. Und Sakura war normalerweise auch nicht gerade eine Pessimistin. Trotzdem hing ihr aller Zweifel, was Shikamarus Gefühle für Ino anging, in der Luft wie ein unangenehmer Geruch. Wie faule Eier. Sakura nickte entschieden. Zweifel roch nach faulen Eiern und Schwefel. Und er schmeckte so bitter wie Hustensaft, den man als kleines Kind schlucken musste. „Sakura, ich versteh das immer noch nicht.“, Hinata vergrub ihr Gesicht in den Händen, während Tenten Sakura immer wieder am Ärmel zupfte und ihre Stimme immer wehleidiger zu werden schien. Sakura versuchte tief durchzuatmen. Tenten war furchtbar! Sie quengelte und jammerte, dass es kaum zum Aushalten war und Sakura hätte ihr nur zu gern einfach das Mathebuch so lange auf den Kopf geschlagen, bis die Formeln wie von selbst in Tentens Kopf rieselten. „Tenten, wir sind das jetzt schon vier Mal durchgegangen. Was genau verstehst du nicht?“, Sakuras Stimme wechselte eine Oktave nach oben und klang nur gewaltsam beherrscht. Fast ein wenig hysterisch. Fast. Sakura ermahnte sich innerlich, ruhig zu bleiben. „Ich versteh nicht, warum ich nicht durch die ganze Formel teilen darf! Dann hab ich den Teil aus der Gleichung raus.“, Tenten runzelte die Stirn und versetzte ihrer Rechnung einen Hieb mit ihrem Zeigefinger. „Weil wir wissen“, Sakura angelte das Mathebuch vom Küchentisch und hielt es Tenten unter die Nase. „Dass die gegebene Formel immer Null ergibt.“ „Ja und?“ „Tenten! Man darf nicht durch Null teilen!“ „Ich teile aber durch die Formel!“, Tenten wurde pampig und verschränkte störrisch die Arme vor der Brust. „Die Formel ergibt aber Null!“ „Ja und?“ „Wenn du durch die Formel teilst, teilst du durch Null!“ „Was passiert denn, wenn ich durch Null teile?“ „Dann zeigt der Taschenrechner ‚Error‘“, sagte Hinata leise, doch Sakura übertönte sie mit aufgerissenen, wütenden Augen: „Dann explodiert der ganze Planet! Was denkst du denn, was dann passiert?“ Für einen Augenblick sah Tenten so aus, als würde sie Sakura wirklich glauben, dann sackte sie mit einem frustrierten Stöhnen zusammen. „Als ob die Welt untergeht, nur weil ich durch Null teile.“, es war kaum mehr als ein Murren, was aus ihrem Mund kam. Doch Sakura war kurz vorm Ausrasten und schnaubte ärgerlich wie ein Stier. „Tenten!“, sie spie den Namen aus, als wäre es ein schlimmes Schimpfwort. „Ja, lass gut sein. Ich tu‘s nie wieder.“, murmelte Tenten ohne sich um Sakuras gefletschte Zähne zu kümmern. Erschöpft strich sie sich eine Haarsträhne zurück, die sich aus dem rechten Dutt gelöst hatte und ging in die Küche, um ihre verkritzelten Schmierblätter wegzuwerfen. Als sie zurückkam, sah sie ganz abgekämpft aus, Sakura hatte den Kopf auf die Rückenlehne des Sofas gelegt und starrte die Decke an. Als ob dort irgendwelche Wahrsagungen stünden. „Was essen wir denn heute Abend?“, Tenten ließ ihren Blick von einer Freundin zur anderen wandern. Sakura überhörte sie absichtlich und schloss die müden, gerade tannengrün schimmernden Augen. Sie hatte mit Tenten und Hinata nur noch einmal das durchgehen wollen, was sie vor den Ferien in Mathematik durchgenommen hatten. Eine kleine Katastrophe, wie Sakura feststellen musste. So lieb sie die zwei auch hatte, vor allem Tenten raubte ihr den letzten Nerv. „Sakura?“, Hinatas Stimme war ein feiner Singsang, der sich klammheimlich in ihre Gedanken schlich. „Ist Milchsuppe in Ordnung?“ „Milchsuppe? Was soll das sein?“, Sakura wandte Hinata das Gesicht zu. „Im Prinzip sind das Nudeln, die in Milch gekocht werden. Etwas Zucker dazu und fertig.“, Hinatas Lippen zierte ein liebes Lächeln, bei dem Sakura ganz warm ums Herz wurde. Hinata hätte ihr das Blaue vom Himmel vorlügen können, mit diesem Lächeln hätte Sakura ihr alles geglaubt. Selbst, dass Sasukes liebstes Hobby Ballettröckchen zeichnen war. Sakura grinste leicht und sah dann zu Tenten hinüber. „Na, das klingt doch ganz annehmbar.“ „Süß wie wir. Also die meisten von uns. Nichts für ungut, Sakura.“, Tenten lachte gackernd und verschwand wieder in der Küche, Sakura warf ein Kissen nach ihr, das sie leider nicht mehr erwischte. „Ich hab dich auch lieb, du Salami!“, rief Sakura Tenten hinterher. Das Lachen in der Küche wurde noch lauter, das Grinsen auf Sakuras Lippen breiter und unverschämter. Der Schalk funkelte als silberne Punkte in ihren Augen. Hinata schüttelte kichernd den Kopf. „Salami. Schlagfertig, Sakura-chan.“ „Ja, dich nenn ich ab sofort Brokkoli.“, meinte Sakura, Hinata schickte ihr nur einen Luftkuss. „Und jetzt könntest du etwas Musik anmachen, Brokkoli. Die Königin beliebt zu tanzen.“ Hinata erhob sich, vollführte eine spöttische Verbeugung und machte sich an der Musikanlage zu schaffen. Eine Weile schaltete sie herum, bis sie keinen Radiosprecher, sondern Musik hörte. „Und nun, euer Hoheit, waltet eures Amtes!“, Hinata wies kichernd auf den freien Platz im Wohnzimmer. Sakura schritt so erhaben wie möglich am Wohnzimmertisch vorbei und reckte dabei Nase und Kinn in die Höhe. Auf „You never gonna bring me down, down, down“ begann sie sich zu wiegen, viel zu langsam für den flotten Takt von Unbreakable, was ihr durchaus bewusst war. Doch welche Königin hüpfte und sprang beim Tanzen groß durch die Gegend. Ihr imaginäres, sperriges Ballkeid rauschte und Sakura streckte Hinata die Zunge raus. „You‘ll never change me, I‘m standing on a higher ground. ‘Cause I‘m unbreakable! You never gonna bring me down, down, down!“, sangen die beiden Mädchen den Schluss mit, aus voller Kehle und Tenten fing in der Küche schon wieder an zu lachen. Das nächste Lied war I knew you were trouble von Taylor Swift und Sakura summte begeistert bereits die Anfangstöne mit. Sie griff nach Hinatas Händen und zog sie zu sich und begann mit ihr zu tanzen, während sie mitsang und die Musik aus den Lautsprechern übertönte. Der Vorwurf tanzte mit ihr, tanzte in ihrer Stimme, obwohl ihre Züge lachten und ihre Augen fröhlich blitzten. Unbekümmerter als Sakura konnte man wohl in diesem Moment nicht aussehen. „Once upon a time A few mistakes ago I was in you sights You got me alone You found me You found me You found me-e-e-e-e. I guess you didn‘t care And I guess I liked that And when I fell hard You took a step back-“ Gleichzeitig wichen Sakura und Hinata einen Schritt voneinander zurück und schauten sich in die Augen, während sie weitersangen und im Kreis umeinander herumrannten. „Without me Without me Without me-e-e-e.“ Ein paar Takte lang standen sie sich schwer atmend gegenüber, mit wirrem Haar, das bei der nächsten Drehung wehte und wirbelte. „‘cause I knew you were trouble when you walked in So shame on me no-ow Flew me to places I‘ve never been Til you put me down, oh.“ Sie wiederholten den Teil, tanzten gemeinsam in die Küche, wo Tenten vor dem Herd stand und die Lippen bewegte. Lautlos, doch stetig, eine Litanei, die ihnen das Radio vorsagte. „Now I‘m lying on the cold hard ground. Oh! Oh!“ Sakura und Hinata sackten mit geballten Fäusten nacheinander zusammen, jede mit einem „Oh!“, das sie wie einen Todesschrei ausstießen. „Trouble, trouble, trouble.“, Tenten schwang den Holzlöffel, mit dem sie in der Milch gerührt hatte im Takt hin und her. Die Herd- und Arbeitsplatten waren weißgesprenkelt und obwohl das gar nicht so lustig war, begannen die drei Mädchen wieder zu lachen und vergaßen Taylor Swift, die im Hintergrund weiter über einen Jungen sang, der ihr nichts als Ärger gebracht hatte. Sakura beobachtete Tenten genau dabei, wie sie die Nudeln in die Milch gab, wie alles zusammen brodelte und fragte sich unweigerlich, wie das schmecken konnte. Wer war denn bitte auf die Idee gekommen, Nudeln und Milch zusammen zu panschen? Ihre grasgrünen Augen wurden mit jeder Minute größer und glänzender, sie hatte sich auf die Arbeitsplatte gesetzt, die Milchspritzer ignorierend. Ihre arme Jeans würde sicher ein paar kleine Fleckchen davontragen. „Und das schmeckt wirklich?“ „Es schmeckt süß, Sakura.“, Tenten zwinkerte ihr zu. „Und du wirst davon essen. Egal, ob es dir schmeckt oder nicht. Denn ich hab es mit sehr viel Liebe und Zeit gemacht!“ Dabei hob sie drohend und spielerisch zugleich den Löffel und zeigte damit auf Sakura. Die fiepte kurz und sprang von der Anrichte. „Eine Viertelstunde deines Lebens hast du für mich geopfert! Und da spricht die von Liebe!“, Sakura kramte drei Schüsseln und drei Löffel heraus und stellte sie neben die Herdplatte. Kleine, blaue Bärchen bildeten einen Kreis um den Rand der ersten Schüssel, auf der zweiten waren sie grün, auf der dritten gelb. Sakura lächelte und fuhr die winzigen Zeichnungen mit dem Finger nach, fühlte kleine Rillen und Unebenheiten. „So. Wie viel möchtest du denn?“, fragte Tenten, dabei streckte sie sich nach rechts und klaubte eine Schöpfkelle von der Arbeitsplatte. Sakura legte den Kopf schief, während Tenten die Schüssel mit den blauen Bären an sich nahm. „Nicht so viel. Ich will ja erstmal probieren.“ „Alles klar.“, Tenten tat drei gut gefüllte Löffel in Sakuras Schüssel und reichte sie ihr. Fast hätte Sakura sie fallen lassen, weil sie so heiß war und ihre Fingerspitzen heftigst protestierten. Mit verbissenem Gesichtsausdruck trug Sakura ihr Abendessen ins Wohnzimmer, wo sie die dampfende Schüssel auf dem Tischchen abstellte und sich selbst neben Hinata aufs Sofa fallen ließ. „Au, au, au.“, Sakura pustete auf ihre Finger, die rötlich verfärbt waren. Ihr Atem war nicht wirklich kühlend, eher genauso warm und Sakura verfluchte die Körpertemperatur. Eine Schande, die menschliche Anatomie. Der menschliche Körper. Alles war unpraktisch. „Tenten, bringst du die Löffel mit?“ „Und meine Schüssel?“, Hinatas Rufen brauchte kein ‚bitte‘ um eine Bitte zu sein. Eine freundliche Bitte, zu der niemand nein sagen konnte. Sakura überlegte, was sie alles anstellen könnte, wenn sie Hinatas Lächeln und ihre weiche, liebliche Stimme hätte. Alles würde sie bekommen und alles würde man ihr glauben, ohne eine einzige Frage, ohne das geringste aber! Ein klitzekleines bisschen Eifersucht war in Sakuras zusammengekniffenen Augen zu sehen, als sie Hinatas Profil fixierte. Verwundert schaute Hinata zu ihr auf und runzelte die Stirn. „Was hast du denn, Sakura?“ Sakura seufzte nur und wandte den Blick ab. „Ich wäre zu gern du, Hinata-chan.“ „Wie bitte?“ Wie bitte! Sakura wusste nur zu gut, dass sie an Hinatas Stelle Hää? gefragt hätte. Es war traurig, wie viel vornehmer Hinata war. Elfengleich und tadellos und… Sakura fühlte sich ein klein wenig wie eine Seekuh neben einer Fee. „Nicht so wichtig.“, winkte sie ab. Denn Tenten kam mit einem Tablett herein, auf dem Hinatas und ihre eigene Schüssel waren, außerdem drei Löffel und eine Schale mit Zucker. Sakuras anfängliche Zweifel verflogen schnell. Mit genug Zucker schmeckte ihr die Milchsuppe so gut, dass sie es bei ihrer zweiten Schüssel kaum erwarten konnte und sich prompt die Zunge und die Lippen verbrannte. Unglücklich verzog sie das Gesicht und wimmerte kurz, aß dann aber sogleich weiter und ignorierte die Hitze in ihrem Mund so gut es ging. Drei Minuten zu warten erschien ihr wie ein Ding der Unmöglichkeit und auch Tentens und Hinatas argwöhnische Blicke konnten sie nicht vom Gegenteil überzeugen. „Sakura, wenn du noch einmal Au sagst, nehme ich dir die Suppe weg!“, donnerte Tenten gerade, als die Tür mit einem Knall aufflog und Ino in den Raum stürmte. Die Absätze ihrer Stiefelletten klackerten laut auf dem Boden, irgendetwas Glitzerndes pfefferte sie mit aller Wucht in die Ecke des Zimmers. Wie vom Donner gerührt saßen die drei Mädchen auf der Couch und starrten Ino an, die ihnen den Rücken zuwandte. Keine traute sich, ein Wort zu sagen. Aber Hinata war die erste, die aufstand, weil sie bemerkte, dass Inos Schultern bebten und zitterten wie Espenlaub und dass die Knöchel ihrer Hand weiß hervortraten. Ino hatte die Hände zu Fäusten geballt und rührte sich nicht vom Fleck. Sie stand mitten im Raum, es war kaum zu hören, wie sie atmete. Sakura und Tenten hielten den Atem an, Hinata näherte sich Ino vorsichtig und langsam. Bei ihr angekommen legte sie ihr behutsam eine Hand auf die Schulter. „Ino“, es war nicht mehr als ein Flüstern. „Was ist denn passiert?“ Ino riss sich abrupt von Hinata los und wirbelte herum. Als sie sich mit ruckartigen Bewegungen die Haare aus dem Gesicht strich, konnte Sakura erkennen, dass sie weinte. Schwarze Mascaraspuren zierten ihre Wangen, ihre Augen waren stark gerötet und die Tränen wollten nicht aufhören, über ihre Wangen zu laufen. Unglaublich schnell waren auch Sakura und Tenten an Inos Seite und verfrachteten sie aufs Sofa, ohne dass Ino wüsste, wie sie dort hingekommen war. Tenten räumte das Geschirr - auch wenn sie noch nicht fertig gegessen hatten - zusammen, sodass der Tisch frei war und setzte sich auf diesen. Genau vor Ino, während Hinata und Sakura neben Ino Platz nahmen. Ino schniefte und schniefte, weinte und weinte, Sakura wusste kaum, wohin mit ihren Gedanken, wohin mit ihren Fragen. Sie konnte nichts tun, nur federleicht über Inos Arm streicheln, mit der anderen Hand ihren Rücken, und besorgt und fragend dreinschauen. Es half nicht. Ino weinte weiter, lautlos, sie schluchzte nicht einmal. Ihr Make-Up verlief immer mehr, von dem braunen Lidschatten waren nur noch verwischte Schatten übrig, Kajal und Wimperntusche hatten sich zu Rinnsalen über ihr gesamtes Gesicht entwickelt und auch der rote Lippenstift war abgekaut. Die Tränen flossen unaufhörlich. Sakura wagte auch jetzt kaum zu atmen, fühlte sich so hilflos wie schon lange nicht mehr und konnte in Hinatas und Tentens Gesichtern lesen, dass es ihnen nicht anders erging. Sie alle versuchten Inos Blick zu fangen, doch sie starrte ins Leere, als wäre sie in eine andere Welt verschwunden und nur ihr Körper säße noch in dieser auf dem Sofa. „Ino.“, Hinata sprach sanft und liebevoll, wie mit einem Kind, begleitet von Geduld und Sorge. „Ino, was hast du denn? Warum weinst du?“ Ino reagierte nicht, sondern schien nur noch apathischer ins Nichts zu schauen. Wenn das überhaupt möglich war. Sakura biss sich kräftig auf die Unterlippe, um nicht mit ihrem Gedanken herauszuplatzen. Ob es etwas mit Shikamaru zu tun hatte. Sie war nicht die Richtige, um das zu fragen. Sie war… nicht gut darin, etwas derartiges zu fragen. Wenn dort der wunde Punkt, war, wollte nicht sie diejenige sein, die Ino ausgerechnet dort mit Salz bewarf. Dass sie Angst hatte, war Sakura klar. So viel Angst. Fast überwog sie die Sorge, die sich bei Inos Anblick unweigerlich in ihr ausgebreitet hatte. Unpassenderweise begann nun die Melodie Du aus dem Radio zu dudeln und Tenten sprang vom Tisch auf, um es auszuschalten. Ino weinte, wenn möglich, noch mehr. „ Baby, glaub mir, das beste bist du. Ey, vergiss mal den Rest und hör-“, Tenten hatte den Ausschaltknopf erreicht und würgte Cro ab. Inos Schultern wurden von einem fürchterlichen Beben erschüttert und Sakura fuhr erschrocken zu ihr herum, die Sorge zeichnete ihr ganzes Gesicht. „Ich mach uns mal einen Tee.“, sagte sie leise zu niemand bestimmtem. In der Küche kochte sie also Pfefferminztee und fügte reichlich Honig und Zitrone hinzu. In den Büchern, die sie in den Ferien gelesen hatte, war das so was wie ein Allheilmittel gegen alle mögliche Krankheiten. Und Liebeskummer. Sie stapelte vier Tassen ineinander und trug sie zusammen mit der vollen Teekanne zu den anderen. Sie saßen noch genauso da, wie vorher. Wie ein Gemälde, in dem sich natürlich nichts bewegen oder verändern konnte. Ein sehr trauriges Gemälde der Sorte, bei denen Sakura immer ganz mulmig wurde. Leise platzierte sie die Tassen neben Tenten und begann eine nach der anderen zu füllen. Hinata griff als erstes nach einer, nippte daran und schenkte Sakura ein schwaches Lächeln. Es verblasste in derselben Sekunde, in der es erschienen war. Tenten sah Sakura an, in den braunen Augen schwebten die selben Fragen, die die ganze Zeit in Sakuras Kopf umherschwirrten. Keiner von ihnen brachte es fertig, auch nur eine davon zu stellen. Doch die Hoffnung darauf, dass Ino von sich aus sprechen würde, schrumpfte mit jeder stummen Minute dahin. Bis nichts mehr davon übrig war, aus dem Wort an sich und der Ahnung, was sie einmal damit hatten anfangen wollen. Tenten holte tief Luft, bevor sie Inos Hände fest in ihre nahm und sie etwas drückte. „Ino“, sagte sie. „Sag uns bitte, was los ist.“ Ino antwortete nicht. Sie schaute Tenten nur an, als würde sie durch sie hindurch sehen, dann senkte sie den Blick wieder. Hinata reichte ihr ein Papiertaschentuch. Ino putzte sich geräuschvoll die Nase, bedankte sich aber nicht. „Ino, was ist-“ „Shikamaru hat mit mir Schluss gemacht.“ Inos Stimme war unendlich leise und fast schien es, als würde sie ihr jeden Moment wegbleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)