Das Auge des Ra (J&S) von moonlily ("Wüstensand") ================================================================================ Kapitel 5: Prinz werden ist nicht schwer, Prinz sein dagegen sehr ----------------------------------------------------------------- Und schon geht es weiter. Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=MpmGJDagzLk&feature=related Nefertari’s Dream Kapitel 5 Prinz werden ist nicht schwer, Prinz sein dagegen sehr Jono und Marik fielen mit glühenden Wangen in die Laken und sahen zu, wie die weißen Federn langsam zu Boden schwebten. „Na, ist doch gar nicht so schlecht, ab und zu einfach nur mal Spaß zu haben“, sagte Jono. „Ja, Euer Hoheit, aber ich rate Euch trotzdem, nicht an jedem Tag Eures Hierseins eine Kissenschlacht zu veranstalten. Der Göttliche wird nicht erfreut sein, wenn er ständig die Kissen ersetzen lassen muss.“ „Gut, dann mache ich das nur an jedem zweiten Tag“, grinste Jono, um auf Mariks entsetzten Blick hinzuzufügen: „War doch nur ein Scherz.“ Der Sklave schüttelte den Kopf und seufzte tief. „Da hab ich mir was eingebrockt. Warum kann ich nur nie meinen Mund halten, wenn mir eine Idee kommt ... Nun gut, es wird Zeit“, sagte Marik und stand auf. „Zeit? Zeit wofür?“ „Bei Ra, der Pharao gibt heute Euch zu Ehren ein großes Festmahl, aus Anlass Eurer Ankunft. Wir müssen Euch vorbereiten.“ Mit diesen Worten verließ er das Schlafzimmer, um nach den Dienern zu rufen und von ihnen das Bad vorbereiten zu lassen. Solange sie sich im Palast aufhielten, musste sich Marik nicht um die niederen Aufgaben kümmern, die er auf Reisen für seinen Herrn erledigte. Hier wie in Hattusa stand ihm ein ganzes Heer einfacher Sklaven zur Verfügung, um Wasser zu holen oder einfache Botengänge zu besorgen. Da durfte sogar er sich, obwohl ein Sklave, zu einem gewissen Grad wie ein Herr fühlen. Jono erhob sich langsam von dem zerwühlten Lager. „Hmm ... vielleicht hab ich es ein bisschen übertrieben“, murmelte er und besah sich das Chaos, das er mit Mariks Unterstützung angerichtet hatte. Von den vielen Kissen, die zu Anfang ihrer Schlacht auf dem Bett verteilt gewesen waren, hatte kaum eines ihren Verlauf heil überstanden. Die meisten hatten deutlich an Fülle verloren und ihr Inhalt verteilte sich als weiße, flaumige Schicht über die Laken und den Boden. „Was möchtet Ihr heute Abend tragen, Herr?“ Jono drehte sich um; Marik war zurückgekehrt und eilte bereits wieder geschäftig durch den Raum, öffnete Truhen und holte Gewänder heraus, um die meisten mit einem kurzen Kopfschütteln zurückzulegen. „Nein ... nein, das auch nicht ...“, nuschelte er vor sich hin. „Na ja ... Ich weiß nicht ... Was steht denn zur Auswahl?“ „Also, da hätten wir ein kurzes blaues Gewand ... und das braune hier und das ... hmmm ...“ Marik legte verschiedene Kleider auf das Bett. Jono trat neben ihn und warf einen unentschlossenen Blick auf die Vorauswahl, die er getroffen hatte. „Argh, wie soll man sich so entscheiden ... Was hat denn Prinz Kail bei solchen Gelegenheiten getr –“ Marik hielt Jono rasch mit der Hand den Mund zu und blickte sich nach den Dienern um, die mit großen Gefäßen in das nebenan liegende Badezimmer liefen, um das Becken mit Wasser zu füllen. „Seid Ihr des Wahnsinns?“, wisperte er. „Ihr seid Prinz Kail. Ihr dürft nicht von Euch sprechen, als wärt Ihr tot!“ Jono nickte, die Augen weit aufgerissen, und begann wild mit den Händen zu gestikulieren. Er deutete auf sein immer roter werdendes Gesicht. „Was ist ... Oh!“ Jono atmete in tiefen Zügen ein. „Ich wäre beinahe erstickt“, beschwerte er sich, als er wieder zu Atem gekommen war. „Verzeiht, doch Ihr müsst wirklich darauf achten, was Ihr sagt.“ „Werde ich. Aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dir etwas weniger rabiate Methoden aussuchst, wenn du mich beim nächsten Mal erinnern willst.“ „Es darf kein nächstes Mal geben, Euer Hoheit“, zischte Marik ungehalten. „Im Palast haben die Wände Ohren. Ein falsches Wort genügt und ... Ihr versteht, denke ich.“ „Ja. Ich weiß nicht, das alles ist für mich immer noch so ... seltsam.“ „Es geht ja auch nicht spurlos an einem Menschen vorüber, wenn er zwei Tage lang durch die Wüste irrt, Euer Hoheit“, sagte Marik in normaler Lautstärke. „Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um die Nebel zu vertreiben, die Euer Gedächtnis verhüllt haben.“ Die Diener, die auf ihrem Weg zum Bad interessiert die Ohren gespitzt hatten, wandten ihre Konzentration wieder ihrer Arbeit zu. Kurz darauf meldeten sie Marik, dass alles für Prinz Kail gerichtet sei. „Gibt es irgendetwas, auf das ich beim Essen achten sollte, Marik?“, fragte Jono und prustete im nächsten Moment, als dieser ihm Wasser über den Kopf schüttete. „Oh, da gibt es eine ganze Menge“, meinte Marik, nahm etwas von der parfümierten Seife aus einem Topf und verteilte sie in Jonos Haaren. „Ich fürchte nur, die Zeit wird nicht ausreichen, um Euch das ganze Protokoll nahe zu bringen. Vorerst muss es genügen, dass ich Euch die wichtigsten Dinge erkläre. Zunächst mal müsst Ihr aufstehen, wenn der Pharao angekündigt wird und hereinkommt. Es obliegt ihm, das Zeichen zu geben, dass Ihr Euch wieder setzen dürft. Gleiches gilt für den Beginn des Essens. Es ist nur erlaubt, so lange zu essen, wie auch der Pharao speist.“ „Urgh ... Hoffentlich hat er heute einen guten Appetit, mein Magen ist leer. Ich könnte jetzt schon gut ein Nilpferd verschlingen.“ „Ich glaube nicht, dass Ihr das auf der königlichen Tafel finden werdet“, lachte Marik und machte sich daran, sein ganzes Wissen über die höfischen Gepflogenheiten vor Jono auszubreiten. In der Zwischenzeit lief Seth wie ein nervöser Löwe durch den Saal, in dem in wenigen Stunden das Festessen stattfinden sollte, und überwachte dessen Vorbereitungen. Atemu hatte eigentlich Mahaado damit beauftragt und Seth empfohlen, sich nach der anstrengenden Reise doch ein wenig in seine Gemächer zurückzuziehen und sich zu erholen, doch er konnte nicht. Er hatte Hapi, der ihm gerade den Rücken massierte, einen gewaltigen Schreck eingejagt, als er plötzlich von der Liege aufgesprungen und, seine Kleider überwerfend, hinausgehetzt war, als sei der Schlangendämon Apophis persönlich hinter ihm her. Doch er konnte nicht anders. Eine Ruhelosigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen, die er nicht zu erklären imstande war. Wann immer seinem Geist in den vergangenen Tagen ein wenig Ruhe vergönnt gewesen war, hatte er sich sofort, ohne dass Seth etwas dagegen tun konnte, einem blondhaarigen Hethiterprinz zugewandt. Aber dennoch hatte Seth den Eindruck, immer neue Rätsel an ihm zu entdecken, ohne die alten vollständig gelöst zu haben. Die Hethiter galten in Kemet als eher rau und ungehobelt. Ihre Kultur war nicht primitiv und dennoch hätte sie einem Vergleich mit der hiesigen nicht standgehalten. Sie kümmerten sich nicht um die Bedürfnisse anderer Menschen und waren stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht und wenn sie lachten, dann über ihre Feinde. Der Wächter des Millenniumsstabes hatte viel Zeit und Energie darauf verwendet, das Volk der Hethiter zu studieren, in Vorbereitung auf die Verhandlungen. Und jetzt sah er all diese sorgfältig erarbeiteten Thesen widerlegt. Widerlegt durch einen einzelnen Jungen. Das meiste Kopfzerbrechen bereitete ihm allerdings nach wie vor das, was sich bei Isis’ missglücktem Blick in die Herkunft Prinz Kails ereignet hatte. Die Millenniumsgegenstände verliehen ihren Trägern ungewöhnliche Fähigkeiten, mit denen sich auch die meisten der großen Priester nicht messen konnten. Hatten diese Kräfte sie nun unvorsichtig werden lassen, zu sehr überzeugt von ihrer eigenen Macht? Kail hatte es ihm gezeigt: Isis’ Macht und damit die Millenniumskette hatten ihre Grenzen und Seth gelang es nicht, den Grund dafür in Erfahrung zu bringen. „Mein Herr.“ Ein Diener verbeugte sich hastig vor ihm und flüsterte ihm etwas zu. Für die Bruchteile einer Sekunde legte sich ein amüsiertes Grinsen auf Seths Lippen. „Kissenschlacht? Interessant ...“, murmelte er. Also doch ein verwöhntes kleines Hündchen ... äh, Prinzchen. „Nein, das gehört dorthin!“, unterbrach er seine Gedankengänge. „Die Kohlebecken da hin und die Blumen in diese Ecke, nicht umgekehrt! Ja, muss ich denn hier alles selber machen.“ Die Diener, die mit der Dekoration beschäftigt waren, folgten seinen Anweisungen unverzüglich. Ein verärgerter Oberpriester war der Gesundheit eines Sklaven nicht unbedingt zuträglich. Ich decke dein Geheimnis schon noch auf, dachte Seth. Ich will wissen, was du hinter diesen braunen Augen verbirgst. Frisch gebadet, rasiert und parfümiert trat Jono zum zweiten Mal mit Marik vor die Auswahl an Gewändern. „Oh ihr Götter, wie soll sich ein einzelner Mensch da entscheiden? Rate du mir, was ich nehmen soll, Marik. Was passt am besten zu mir?“ „Mmm ...“ Marik umrundete und taxierte ihn. Jono fühlte sich unwillkürlich an einen Pferde- oder Sklavenmarkt erinnert. Es fehlte nur noch, dass er einen Blick auf sein Gebiss werfen wollte. „Ah, ich weiß“, sagte Marik dann. „Das dürfte sowohl Eure Augen als auch Eure Haarfarbe gut zur Geltung bringen.“ Er griff nach den Kleidungsstücken, zog mit der freien Hand Jono hinter einen mit Papyrusstauden und Vögeln bemalten Wandschirm und wickelte ihn aus dem Leinentuch, das er nach dem Bad um sich geschlungen hatte. Jono sah ihn kurz genervt an und streckte dann gehorsam die Arme zu den Seiten aus, damit Marik ihm das Untergewand anlegen konnte. Er gewöhnte sich allmählich daran, von ihm angekleidet zu werden, hätte es jedoch trotzdem vorgezogen, sich selbst darum zu kümmern – hätte er damit nicht den Dienern, die hin und her liefen, um Marik etwas zu holen, Anlass zu Spekulationen gegeben. Dem Lendenschurz folgte ein langes, cremefarbenes Obergewand, an den Säumen mit rautenförmiger Stickerei abgesetzt und an den Schultern von goldenen Spangen gehalten. Darüber kam ein großes, blutrot gefärbtes Tuch, dessen breite Säume ebenfalls Stickarbeiten aufwiesen. Marik wickelte es wie eine Toga um Jono, über die linke Schulter, den rechten Arm freilassend, und drapierte sorgfältig die feinen Falten, die sich dabei bildeten. Dann ließ er sich nacheinander die Schmuckkästen reichen und wählte mit geübtem Auge die Stücke aus, die nach seiner Meinung am besten zu seinem Herrn passten. Zu den drei kleineren Ketten aus Gold und rotem Karneol gesellte sich ein großes breites Collier aus bunten Halbedelsteinen und klimpernden Goldplättchen. Mehrere Armreife, darunter einer, der wie eine Schlange geformt war, Ohrringe, zwei Ringe und ein goldener Stirnreif komplettierten die Ausstattung. Zuletzt ließ Marik ihn in Sandalen treten, die ebenfalls mit Gold verziert waren. Sobald sich Jono bewegte, klimperte und funkelte es im Licht der tiefer sinkenden Sonne. Sie würde schon sehr bald ihren nächtlichen Weg durch die Unterwelt antreten. „Meinst du nicht, das ist ein wenig ... übertrieben, Marik?“, fragte Jono, nachdem die Diener gegangen waren. Er betrachtete sich prüfend in einem polierten Bronzespiegel. „Ich komme mir gerade vor wie eine Braut, die für ihre Hochzeit aufgeputzt wird.“ „So? Hmm, und wer wäre dann Euer Bräutigam“, sinnierte Marik mit einem leichten Grinsen. „Womöglich der hoch verehrte Hohepriester des Amun-Ra?“ Belustigt sah er, wie sich Jonos Gesichtsfarbe verdunkelte. „Red keinen Unsinn. Ausgerechnet dieser ... Er kann mich nicht leiden und ich ihn erst recht nicht, damit das klar ist. Für einen Diener bist du ziemlich frech.“ „Und gerade deshalb haben Euer Hoheit mich immer gemocht“, entgegnete er. „Ach ja?“ Marik beugte sich näher zu ihm. „Weil ich ehrlich bin und Euch nicht nach dem Mund rede, wie es die meisten Hofschranzen tun. Ein Königshof, mein junger Prinz, ist eine Schlangengrube. Zu erkennen, wem man trauen kann, ist nicht leicht. Und bei dem Sohn eines Großkönigs gilt das auch für seine Familie.“ „Nicht mal den eigenen Brüdern –“ „Ihnen gerade nicht. Die Reihenfolge Eurer Geburt bestimmt zwar zunächst die Thronfolge, aber Änderungen selbiger lassen sich auf vielfältige Art erreichen. Mord nicht ausgeschlossen, aber das sagt natürlich niemand offiziell.“ „Ohh ...“ „So, genug geplaudert“, wechselte Marik abrupt das Thema. „Wir müssen uns auf den Weg machen, sonst kommen wir zu spät zum Essen.“ „Aber wir haben doch noch lang genug Zeit“, meinte Jono mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Die Zeit werden wir auch brauchen, um zum Empfangssaal zu gelangen. Wenn Ihr auf dem Weg zu Euren Gemächern aufmerksam wart, ist Euch vielleicht aufgefallen, dass wir uns in einem Labyrinth befinden. Paläste neigen leider nicht dazu, einem einfachen Bauplan zu folgen.“ Außerhalb seiner Gemächer begriff Jono schnell, was Marik damit gemeint hatte. Ein Gang sah aus wie der andere. Sie hielten einen Diener auf und ließen sich von ihm führen. Unterwegs stießen sie auf Zidanta, der sich mithilfe einer Wache den Weg suchte. „Ah, Ihr seht großartig aus, Prinz Kail. Die Damen werden nicht den Blick von Euch lassen können. Wegen des Protokolls –“ „Vielen Dank für das Kompliment und in das Protokoll hat Marik mich bereits eingewiesen.“ Gemeinsam ging es weiter durch die Gänge. Jono begann zu überlegen, ob er sich bei Atemu über den Architekten und dessen Idee beschweren sollte, die Gästezimmer an das eine und die Festräume an das andere Ende des Palastes zu legen. Allein auf dem Weg zu den eigenen Räumen konnte man sich allzu leicht ver- und die Füße wund laufen. Die Abenddämmerung senkte sich herab und warf ihre dunklen Schleier über das Land und den Palast des Pharao. Die Diener zündeten die mit leicht duftendem Öl gefüllten Lampen an, die über den ganzen Saal verteilt waren und flackernd für angenehmes Licht sorgten. Wie der Thronsaal verfügte auch das Zimmer des Chons, wie der Speisesaal genannt wurde, über eine Empore, auf welcher der Herr der beiden Länder mit seinen hochrangigsten Gästen speiste. In diesem Fall war sie halbmondförmig angelegt, eine ungewöhnliche Form, die dem Raum seinen Namen eingetragen hatte. Dort und an den Seiten des Saales standen die kleinen, flachen Tische, jeweils ein bis zwei Personen Platz bietend, und warteten auf die Gäste. Schalen mit bunten Blumen, die zu kunstvollen Gestecken arrangiert waren, verströmten ihren betörenden Duft. Seth warf einen abschließenden Blick auf sein Werk und nickte, sehr mit sich zufrieden. „Ich danke Euch, dass Ihr heute für mich die Aufsicht übernommen habt, Seth.“ Mahaado näherte sich ihm, wobei seine Augen bewundernd durch den Raum streiften. „Ohne Eure Hilfe wäre ein Desaster daraus geworden. Urgh, ich bin einfach nicht für solche organisatorischen Aufgaben geschaffen.“ „Dafür versteht Ihr mehr als ich von den hohen Künsten der Magie.“ „Ja, und dank Euch konnte ich mich weiter um meine Schüler kümmern. Noch einmal: Vielen Dank. Aber Mana ... sie macht wieder nichts als Ärger. Eben erst, auf dem Weg hierher, musste ich zwei Diener von der Decke holen, weil sie den Spruch vergessen hatte, der den Schwebezauber aufhebt. Ahhh ... Dieses Kind wird mich noch ins Grab bringen.“ „Dabei könnte sie mit etwas mehr Ehrgeiz Eure beste Schülerin werden.“ „Euer Wort in den Ohren der Götter“, seufzte der Magier. „Momentan dürfte das leichter zu bewerkstelligen sein als diesen Jungen zu verstehen“, murmelte Seth. „Äh ... Wie bitte? Was sagtet Ihr?“ „Nichts, ich habe gar nichts gesagt“, beeilte sich Seth ihm zu versichern. „Wollen wir uns nicht setzen?“ Seth ließ sich mit einem leisen Seufzen im Schneidersitz auf den weichen Kissen nieder. Hätte er nicht nach Hut-waret gemusst, hätte er die Feier wie sonst üblich komplett selbst geplant. Ihm ging die Organisation solcher Veranstaltungen leicht von der Hand, für Mahaado hingegen stellten sie, im Gegensatz zur Zauberei, eine ziemliche Herausforderung dar. Er hatte kurzfristig noch an vielen Stellen, inklusive Sitzordnung, nachbessern müssen, auch wenn er Mahaado vor seiner Abreise einige Hilfestellungen gegeben hatte. Nach und nach füllte sich der Saal mit den adligen Gästen, die der Pharao geladen hatte. Rund um die Sichel-Empore versammelte sich die Creme de la Creme des Reiches Kemet. Der Stab des Hofmeisters traf mit einem lauten „Klong“ auf die Fliesen. „Seine Königliche Hoheit Prinz Kail aus dem fernen Reich Hatti und Seine Durchlaucht Fürst Zidanta, Herr von Neza.“ Automatisch wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit der Tür zu. Jono trat nervös von einem Fuß auf den anderen und nestelte an seiner Kleidung. Zidanta hingegen stand entspannt neben ihm und war die Ruhe selbst. „Muss ich wirklich da rein?“, fragte Jono zum wohl zehnten Mal in kurzer Zeit. Und wie jedes Mal ließ ihn das knappe und bestimmte „Ja“ kurz leise aufjaulen. Mariks Beschreibung des Königshofes als Schlangengrube machte ihm Angst. Obwohl es lediglich ein kurzer Überblick sein sollte, hatte er ihm dermaßen viele Verhaltensregeln genannt, dass Jono sich sogar sicher war, etwas zu vergessen und in eines der zahlreichen Fettnäpfchen zu treten, die ihm damit aufgestellt worden waren. Oder schlimmer noch: Dass jemand entdeckte, dass sie es gar nicht mit dem Prinzen zu tun hatten. Er erkannte sich selbst kaum wieder. Sein Mut schien sich in irgendeinen weit entfernten Winkel verabschiedet zu haben. Ihre Namen wurden aufgerufen. Jono warf Marik einen verzweifelten Blick zu, doch dieser nickte ihm nur aufmunternd zu. Die Türflügel schwangen vor ihnen auf und gaben den Blick auf den Festsaal frei. Jono stieß ein leises „Ohh!“ aus. Derjenige, der diese Feier geplant hatte, verstand sein Handwerk. Jono fühlte sich mit einem Mal sehr naiv und einfältig, wenn er daran dachte, früher geglaubt zu haben, etwas Prächtigeres als die Feste seines Vaters, die selbst den örtlichen Adel übertroffen hatten, könne es nicht geben. Hier hatte er es mit einer Prachtentfaltung ganz anderen Ausmaßes zu tun. „Euer Hoheit, Ihr müsst vorangehen“, murmelte Zidanta. Etwas widerstrebend setzte sich Jono in Bewegung. Bildete er sich das nur ein oder war die ganze Aufmerksamkeit der Anwesenden auf ihn gerichtet? Die ungewohnt schweren Sandalen und das lange Gewand erschwerten seine Schritte. Er versuchte sich an all die Dinge zu erinnern, die Marik ihm genannt hatte: Den Rücken gerade halten, nicht auf die Füße sehen, den Blick nur leicht nach unten richten, um die anderen Gäste ansehen zu können, höflich lächeln und nicken, die Hände nicht verkrampfen ... Er konnte sich nicht daran erinnern, sich je so nervös gefühlt zu haben. Sein Fuß blieb in dem Gewand hängen, er strauchelte, machte einen Ausfallschritt, um sich abzufangen. Ein Hüsteln, das wie unterdrücktes Lachen klang, sagte ihm, dass seine Aktion nicht unbemerkt geblieben war. Bei dem Urheber handelte es sich, wie Jono grimmig feststellte, um einen gewissen blauäugigen Priester, der ihn mit einem überheblichen Grinsen musterte. Dieser fiese, eingebildete Mistkerl! Aber wehe, dem passiert mal ein Missgeschick ... Er kann schließlich auch nicht die Perfektion in Person sein. Dann werde ich lachen. „Gar nicht beachten, Euer Hoheit, einfach weitergehen“, raunte Marik ihm zu. Ein Diener trat an sie heran, um sie zu ihren Plätzen zu führen. Jono bzw. Prinz Kail und Zidanta erhielten als Ehrengäste die besten Plätze links neben dem Pharao, die sonst seinen Priestern vorbehalten waren. Vom Herrn der beiden Länder selbst war noch nichts zu sehen, aber ein Herrscher kam ja bekanntlich nie zu spät – die anderen waren eben zu früh. Bei dem Versuch, sich elegant niederzusetzen, hatte Jono ein weiteres Mal mit den Lagen seiner Kleidung zu kämpfen. Doch kaum hatte er seine Beine und darüber den Stoff ordentlich untergebracht, klopfte der Hofmeister wieder auf den Boden. „Es tritt nun ein: Seine Göttliche Majestät.“ Hätte er nicht kommen können, bevor ich mich gesetzt habe, dachte Jono und erhob sich umständlich. Die Türflügel schwangen auf. „Atemu, Starker Stier, von der Maat geliebt, Triebkraft der Gesetze, der beide Länder befriedet, Vermittler zwischen Menschen und Göttern, Der die Insignien verleiht, der alle Götter aussöhnt, König von Ober- und Unterkemet, Herr der Erscheinungen des Ra, Sohn des Ra, Abbild des Atum, Herrscher von Oberkemet und Heliopolis.“ Der Hofmeister atmete tief durch, er hatte die ganze Titulatur des Pharaos in einem Atemzug genannt. Der Hofstaat war in eine einzige, tiefe Verbeugung versunken. Atemu, gekleidet in ein wallendes Gewand aus weißem und blau gefärbtem Leinen, das vielfach gefältelt war, und einen langen Umhang, schritt langsam durch den Saal, nickte hier und dort jemandem zu, bis er die Empore bestieg. Das Gold des Uräus-Diadems funkelte im Licht der Öllampen. Als er sich gesetzt hatte, machte er eine kurze Handbewegung und seine Gäste nahmen ihre Plätze wieder ein. „Ein weiteres Mal an diesem Tag habe ich das Vergnügen, Euch in Kemet willkommen zu heißen, Prinz Kail, Euch und natürlich auch Eure Begleiter, die verehrten Fürsten Zidanta, Anitta und Lubarna. Ich freue mich sehr, dass Ihr den weiten Weg auf Euch genommen habt. In den kommenden Tagen werden wir darüber beraten, wie wir den Krieg, der seit langer Zeit zwischen unseren beiden Nationen tobt und unsere Reiche in Mitleidenschaft zieht, beilegen können. Und nun übergebe ich das Wort an Meister Akunadin.“ Der Wächter des Millenniumsauges erhob sich und begann mit seiner Ansprache, in der er nochmals darauf einging, wie sehr sich alle über den Besuch der hethitischen Gesandten freuten, und seiner Hoffnung auf ein baldiges Friedensabkommen Ausdruck verlieh. Hätte man seine Rede niedergeschrieben, hätte der Papyrus gut und gerne die Länge des Saales messen können. Nach außen versuchte Jono sich nichts anmerken zu lassen, innerlich aber heulte er gequält auf. Akunadin kam ihm bald wie ein wahrer Meister der Folterkunst vor. Sein Magen war leer und er wünschte sich keine lange Rede, um seinen Kopf zu füllen, sondern etwas, um seinem Bauch zu seinem Recht zu verhelfen. „... womit ich zum Ende meiner Ausführungen komme. Mein Pharao, Prinz Kail, mögen Euer Aufenthalt hier und Eure Verhandlungen den Segen der Götter erfahren.“ Akunadin deutete eine Verbeugung vor ihnen an und setzte sich. „Ich danke Euch für diese ... interessante Rede“, sagte Atemu höflich. „Möge nun das Festmahl zu Ehren unserer Gäste beginnen!“ Sennefer, der sich mit seinen Untergebenen bisher am Rand des Saales aufgehalten hatte, klatschte laut in die Hände und ließ das Essen auftragen. Die Speisen, serviert in Schalen und auf Tellern aus Fayence und fein bemaltem Ton, wurden an den Tischen auf Gestelle gesetzt, damit sich jeder frei bedienen konnte. Gegessen wurde mit den Fingern. Jono wusste gar nicht, was er zuerst und was zuletzt kosten sollte. Auf der Tafel des Pharao versammelten sich alle Köstlichkeiten, die das Land Kemet zu bieten hatte: gebratene Wachtel, Taubenragout, Lammbraten, Rinderniere und andere Innereien, gekochter und gebratener Fisch, verschiedene feine Brotsorten, gedünsteter Lauch mit Kürbis und anderes Gemüse, Gerstenbrei und vieles mehr. Sobald eine Schüssel leer war, wurde sie sofort durch eine neue ersetzt. Während des Essens verschwanden immer wieder Leute aus dem Saal, um Blase und Darm oder gar den Magen zu entleeren und dann weiter zu essen. Jono hätte sich am liebsten den Teller bis zum Rand gefüllt, sich dann zurückgelehnt und sich genüsslich den kulinarischen Freuden hingegeben, doch Mariks Anwesenheit hinter ihm erinnerte ihn ständig daran, dass er sich an das strenge Reglement des Hofes zu halten hatte. In seinem Bemühen, seine Nahrungsaufnahme daran anzupassen, aß er sogar langsamer als nötig, bekam aber dadurch das Gefühl, sein Teller würde sich nicht leeren, das Loch in seinem Magen sich dafür ständig vergrößern. Seine Haltung war steif, als hätte er einen Stock verschluckt. Für ihn, der es gewohnt war, sich frei und ungehemmt bewegen zu können, war das Essen eine einzige Verkrampfung. „Geht es Euch nicht gut, Prinz?“, erkundigte sich Atemu auf einmal. „Ihr esst kaum etwas. Schmeckt Euch unsere Küche nicht?“ „Doch, doch, sie ist ganz vorzüglich“, entgegnete er und schob sich ein Stück Taube in den Mund. „Euer Koch ist ausgezeichnet.“ Niemand von den Gästen konnte an diesem Abend behaupten, hungrig von der Tafel aufgestanden zu sein. Den Hauptgängen folgten Käse und eine Reihe von Nachspeisen, darunter mit Honig gesüßte Kuchen, Beeren, Weintrauben, Melone und gedünstete Feigen. Das alles wurde mit vielen Litern süßem Wein heruntergespült, den sich Jono von Marik mit Wasser verdünnen ließ. Es genügte ihm, sich einmal durch zu viel Alkohol vor Seth lächerlich gemacht zu haben und er war weit davon entfernt, dies heute Abend zu wiederholen. „Seth berichtete mir, dass Ihr Euer Gedächtnis verloren hattet, als er Euch in der Wüste fand“, sagte Atemu, hob seine Finger aus der Wasserschüssel, in der er sie gewaschen hatte, und trocknete sie an einem frischen Leinentuch ab. „Ich hoffe, es geht Euch inzwischen besser.“ „Seine Hoheit macht gute Fortschritte in der Wiedererlangung seines Gedächtnisses“, erwiderte Zidanta. „Ich würde gern meinen Teil dazu beitragen, wenn Ihr gestattet“, fuhr der Pharao fort. „Wie ich hörte, seid Ihr recht bewandert in den Künsten der Jagd. Ist Euer Gedächtnis bereits so weit wiederhergestellt, um uns bei der nächsten Jagd eine Kostprobe Eures Könnens zu geben?“ „Ich weiß nicht, ob –“ „Aber natürlich, mit Freuden, Euer Majestät“, erwiderte Jono und unterbrach damit Zidantas Einwände. „Euer Hoheit, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, sagte der Fürst leise. „Es bereitet mir keine Schwierigkeiten. Wirklich nicht.“ „Wenn das so ist ... Karim“, wandte sich Atemu an den Priester mit der Millenniumswaage. „Wir wünschen in drei Tagen auf die Jagd zu gehen. Bitte kümmert Euch darum.“ „Ich werde alles in die Wege leiten.“ „Verdanken wir ihm auch dieses wundervolle Fest?“, erkundigte sich Jono bei der Gelegenheit. „Nein, dafür zeichnen Seth und Mahaado verantwortlich.“ Atemu lehnte sich zurück und sah den Dienern zu, wie sie die wenigen Reste, die die Gäste vom Nachtisch hinterlassen hatten, abräumten. Jono war erleichtert, es ihm gleichtun und sich ebenfalls in eine bequemere, halb liegende Position begeben zu können, denn wie Marik ihm erklärt hatte, war der hochoffizielle Teil des Festes damit beendet. Sein voller Magen machte ihn ein wenig träge. Von dem ungewohnt langen krampfhaften Geradehalten schmerzten ihm Rücken und Nacken. Er nahm sich vor, Marik um eine Massage zu bitten, sobald das Fest vorbei war. Seine innere Anspannung hatte sich im Verlauf des Essens immer mehr gelegt, so dass er den Abend mittlerweile sogar genoss. Er hatte Marik und Zidanta an seiner Seite, die im Notfall eingreifen konnten. Der Fürst erklärte dem Pharao, dass Prinz Kail noch etwas Zeit benötige, um sein Gedächtnis vollständig wiederzufinden, aber so weit ins Bild gesetzt sei, dass einer Aufnahme der Verhandlungen am nächsten Tag und seiner Teilnahme nichts im Wege stehe. Atemu verwickelte die beiden daraufhin in ein Gespräch über die Jagd, für die er eine große Vorliebe hegte. Jono war seinem Diener für dessen gestrige detaillierte Unterweisung in Sachen Jagd mehr als dankbar, denn die Rothirsche, die von den Hethitern besonders gern gejagt wurden, kamen in Kemet nicht vor und bis dahin hatte Jono nie von ihnen gehört. Als Marik ihm ihr Aussehen beschrieben und einen Hirsch mit Tusche auf ein Stück Papyrus gemalt hatte, hatte Jono erst geglaubt, es handele sich bei dabei um ein Fabelwesen wie den Benu, den ägyptischen Phönix. Das Geweih des Hirsches war ihm merkwürdig erschienen. Der Hofmeister kündigte „zum Vergnügen der edlen Herrschaften“ eine Gruppe Tänzerinnen an. Die sechs Mädchen wirbelten unter den Klängen einiger Musiker, die schon während des Essens im Hintergrund für die musikalische Untermalung gesorgt hatten, in den Raum. Sie ließen Becken und Arme kreisen, tanzten mal für sich und mal als Gruppe. Eine von ihnen war hübscher als die andere, sie warfen dem Pharao immer wieder Blicke zu oder tanzten besonders lange vor ihm, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Raneb, der Sohn des Fürsten von Zawtj, hatte Jono, mit dem er seit langem gut befreundet war, einmal berichtet, wie sein Vater bei solchen Gelegenheiten den Abend ausklingen ließ. Wenn es hier im Palast genauso lief, würde eines der Mädchen noch heute Nacht im Bett des Pharao landen. Abgeneigt sah Atemu jedenfalls nicht aus, im Gegenteil. Lachend fing er den hauchdünnen Schleier eines braunhaarigen Mädchens auf und sog den feinen Duft ein, der von ihm ausging. Seth bekam von der Vorführung nicht viel mit, er beobachtete Jono und versuchte aus seinen Gesten und Bewegungen etwas zu lesen, was ihm bei seiner Suche weiterhelfen konnte. „Gefällt Euch das Fest nicht, Seth?“, erkundigte sich Karim verwundert bei ihm. „Den ganzen Abend schon tragt Ihr diese missgelaunte Miene zur Schau.“ „Ich bin nur ein wenig erschöpft, das ist alles“, sagte Seth bestimmt. Sein kühler Tonfall verfehlte seine Wirkung nicht, Karim zog sich auf seinen Platz zurück und begann sich mit Shada zu unterhalten. Wenn er so sprach, war es besser, ihn nicht weiter zu belästigen. Ein Gebot, an das sich die anderen Priester meistens auch hielten. Nun, meistens, denn Isis ließ sich von seiner kühlen Art nicht abschrecken. Ohne dass er sie dazu aufgefordert hatte, setzte sie sich neben ihn. „Seid Ihr sicher, dass es nur die Erschöpfung ist, für die Ihr im Übrigen selbst die Verantwortung tragt? Ihr hättet Euch ausruhen sollen.“ „Was sollte es denn sonst sein?“ „Mir ist aufgefallen, dass Ihr Seine Hoheit den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen habt.“ „Ich weiß nicht, von wem Ihr sprecht, Isis“, sagte Seth. „Hier haben sich viele Männer hohen Geblüts versammelt.“ „Und doch beschäftigt nur einer fortwährend Eure Gedanken und das ist Prinz Kail.“ „Wie sollte er auch nicht. Ich habe Seine Majestät vor ihm gewarnt. Zu Recht, dieser junge Hethiter versucht gerade sich bei ihm einzuschmeicheln. Wer weiß, was er vorhat.“ „Euer Misstrauen in allen Ehren, Seth, aber Ihr solltet Euch mit dem Gedanken anfreunden, dass von Prinz Kail keine Gefahr ausgeht. Ich habe mich heute Nachmittag in den Tempel zurückgezogen und die Götter haben mir einige Antworten geschenkt.“ „Also wisst Ihr nun, welche Schurkereien er plant.“ „Gar keine, Seth! So hört doch, in meiner Vision erschien der Falkengott neben ihm. Kail steht unter dem Schutz des Horus. Ich glaube, die Götter wollen für unser Volk den Frieden und haben ihn geschickt, um uns dazu zu verhelfen.“ „Ausgerechnet diesen –“ „Es ist nicht an uns, die Wahl der Götter infrage zu stellen“, widersprach Isis und erhob sich. „Entschuldigt mich kurz.“ Der Falke also ... stürmisch, unbeugsam ... hmmm, dachte Seth. Die Mädchen beendeten ihre Darbietung unter dem lauten Beifallsklatschen ihrer Zuschauer. Atemu winkte seinen Diener heran und flüsterte ihm etwas zu, wobei er auf die Brünette deutete. Jono grinste leicht. Es war doch überall dasselbe. Als nächstes trat ein Jongleur auf, dann war für eine Weile Pause und die Gäste kehrten zu ihren Unterhaltungen zurück. In den Wohnhäusern der Stadt war längst Ruhe eingekehrt, als zur besonderen Überraschung des Abends Beltis, die oberste der Tänzerinnen des Hofes, eintrat. Haar und Gesicht hatte sie sorgfältig unter roten Schleiern verborgen, die einen guten Kontrast zu ihrem weiten schwarzen Rock und dem mit Silberplättchen versehenen Oberteil bildeten. Die Musik begann langsam, angepasst an ihre anmutigen Bewegungen, mit denen sie sich der Sichelempore näherte. Die Arme über dem Kopf gekreuzt, begann sie ihren Tanz, dessen Tempo sich nach kurzer Zeit beschleunigte. Männer wie Frauen fielen klatschend in den Takt ein, der sich immer mehr zu einem einzigen Wirbel steigerte, immer schneller wurde, bis er wie der Herzschlag der Tänzerin nur noch dahinraste. Plötzlich blitzte etwas in ihrer Hand auf und flog im nächsten Moment zischend durch die Luft. Das Folgende geschah so schnell, dass sich Jono später kaum noch an alle Einzelheiten erinnern konnte. Marik stürzte sich auf ihn und riss ihn von seinem Kissen fort. Tische wurden umgeworfen, Schalen, in denen kleine Süßigkeiten gereicht worden waren, krachten auf die Fliesen und zerbarsten, erschrockene Rufe erhoben sich. Jono spürte Marik über sich und hörte einen Schrei. Erst dachte er, er habe selbst geschrien, doch dann fühlte er eine warme Flüssigkeit an seinen Fingern, öffnete die Augen und sah in die weit aufgerissenen Augen seines Dieners. Eine heftig blutende Wunde zog sich über Mariks Oberarm. Dort, wo Jono eben noch gesessen hatte, steckte ein Dolch in den Kissen. „Wachen, ergreift sie!“ Seth sprang von seinem Platz auf und deutete auf Beltis. Drei Medjai, des Pharao persönliche Leibgarde, rückten an und packten die junge Frau, die wild zu lachen begonnen hatte. Die Schleier wurden ihr vom Kopf gerissen. „Aber das ist ja Hintis!“, rief Anitta. „Ihr kennt dieses Weib? Dann steckt sie mit Euch unter einer Decke“, entrüstete sich Seth. „Seid nicht zu vorschnell mit Euren Anschuldigungen“, mischte sich Shimon, der Berater und Wesir des Pharao, ein. „Fürst Anitta, woher kennt ihr sie?“ „Sie war Tänzerin im Palast Seiner Majestät, bis ... Verzeiht, Eure Hoheit, dass ich Euch so daran erinnern muss ... Prinz Kail hatte eine kurze, etwas ... unglückliche Liaison mit ihr.“ „Näheres solltet Ihr uns später in kleinerer Runde berichten“, sagte Atemu. „Führt sie ab und sperrt sie ins Verlies. Wir werden uns morgen mit ihr beschäftigen. Prinz Kail, seid Ihr verletzt?“ „Ich nicht, aber mein Diener.“ In Ermangelung von etwas anderem riss Jono trotz Mariks Protesten einen Streifen von seinem Gewand ab und wickelte ihn um seinen Arm. „Dann sollten wir das Fest nun beenden. Mahaado, nehmt Euch unserer Gäste an. Ich bitte Euch um Verzeihung, Prinz Kail, dieser Angriff hätte nicht vorkommen dürfen.“ Atemu war zutiefst schockiert. Der erste Abend und schon wurde sein Besuch angegriffen. Ein wunderbarer Auftakt für Friedensverhandlungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)