Das Auge des Ra (J&S) von moonlily ("Wüstensand") ================================================================================ Kapitel 7: Gefährliches Spiel ----------------------------- Vielen Dank an littledivana, Roset-te, Yisa, Asch und Rani für eure Kommentare. *verbeug* Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=3qtkHdJPIqo Prince of Persia – Warrior within Kapitel 7 Gefährliches Spiel Jono ließ sich frustriert auf einen Hocker fallen und streifte die Sandalen von seinen Füßen. Zidanta hatte ihm aufgetragen, nach dem Abendessen ein Schriftstück zu studieren, in dem Anweisungen für das Verhalten von Diplomaten verzeichnet waren, doch er konnte sich nicht auf das Lesen konzentrieren. Immer wieder glitten seine Gedanken zu dem Blauäugigen ab, der sich seit neuestem auch in seinen Träumen breit machte. Gestern Nacht hatte er ihn gar in einen heißen Kuss verwickelt und Jono hatte beim Aufwachen das zweifelhafte Vergnügen gehabt, der davon sehr begeisterten Reaktion seines Körpers ansichtig zu werden. In der Realität sah die Angelegenheit ein klein wenig anders aus. Zwei Tage waren seit dem denkwürdigen Vorfall auf dem Nil vergangen und noch immer war Seths Rettung durch den Hethiterprinzen im Palast das Gesprächsthema Nummer eins. Die Damenwelt lag ihm bereits, ohne dass er etwas dafür tun musste, zu Füßen. Seth aber ging ihm aus dem Weg, wann immer er konnte. Nicht mal ein „Danke“ oder gar ein „Vielen Dank“ hatte er von ihm zu hören bekommen, im Gegenteil. Wenn ein Treffen zwischen ihnen unvermeidlich war, behandelte ihn der Priester noch kühler und herablassender als bisher. Sie sahen sich nur noch bei den Konferenzen, die langsam die ersten Fortschritte zu verzeichnen hatten. „Wie wäre es mit einem Spaziergang, Euer Hoheit?“, schlug Marik vor, dem die Niedergeschlagenheit Jonos nicht entgangen war. „Die Gärten des Palastes sind sehr schön.“ „Das weiß ich, denn ich habe inzwischen wahrscheinlich jeden Winkel von ihnen durchwandert. Nein, ich brauche ... Ich möchte in die Stadt. Seit unserer Ankunft habe ich mich fast nur im Palast aufgehalten. Aber ich würde gern etwas von Men-nefer sehen, wenn ich schon mal hier bin.“ „Unsere Wachen dürfen die Anlage nicht verlassen, soweit ich informiert bin. Ich weiß nicht, ob –“ „Du hast Recht, womöglich lassen mich die Wachen auch nicht hinaus. Meine Kleidung ist ohnehin zu auffällig, daran würde man mich sofort erkennen. Marik, versuch für mich etwas ägyptische Kleidung aufzutreiben. Nichts Aufwändiges, nur so, dass ich nicht gleich als Prinz Kail erkannt werde.“ Bald darauf machte sich Jono, in ein etwas schlichteres Gewand aus weißem und rot gefärbtem Leinen und einen Umhang gekleidet und mit Armreifen, deren Verzierungen nicht gleich auf ihre nördliche Herkunft schließen ließen, auf den Weg in die Stadt. Obwohl Marik ihm mehrfach angeboten hatte, ihn zu begleiten, hatte er dies abgelehnt. Immer stand er unter Beobachtung, wenigstens für ein paar Minuten wollte er heute seine Ruhe haben. Ohne größere Schwierigkeiten ließen ihn die Wächter am Tor, das den Palastbereich von der Stadt trennte, passieren. Die Straßen waren, der frühen Abendstunde zum Trotz, noch gut mit Menschen gefüllt, die sich an den unzähligen Ständen der Händler entlang schoben, welche mit lauter Stimme ihre Waren feilboten. Die verschiedensten Gerüche nach gebratenem Fleisch, noch ofenwarmem Brot, frischem Obst, Gewürzen, Salben und Ölen mischten sich mit den Ausdünstungen tausender Menschen. Zusammen ergaben sie den ganz eigenen Duft, den eine Großstadt wie Men-nefer verströmte. Jono ließ sich von dem Menschenstrom erfassen und ohne ein bestimmtes Ziel durch die Straßen treiben. Hin und wieder hielt er kurz an einem Stand, um die ausgelegten Waren zu begutachten. Als sich sein Magen meldete, erstand er bei einer Frau, deren Gesicht tiefe Runzeln trug, obwohl sie kaum die Dreißig überschritten haben konnte, zwei Spieße mit gebratenen Hammelstücken. Vor einem Schmuckhändler blieb er, während er von seinem Fleisch abbiss, etwas länger stehen und unterzog einige Stücke einer eingehenderen Musterung. Ein Pektoral aus bunten Halbedelsteinperlen, das in einem aus Lapislazuli geschnittenen geflügelten Skarabäus mündete, gefiel ihm besonders. Der Händler redete mit samtener Stimme auf seinen potenziellen Kunden ein, schwärmte von der überaus guten Verarbeitung der Materialien und wie hervorragend es dem jungen Herrn stehen würde. Schließlich ließ sich Jono überzeugen und griff nach dem Geldbeutel, den er mitgenommen hatte. Sein früheres Vorhaben, kein Geld der Hethiter auszugeben, da er den Prinzen schließlich nur spielte, hatte sich – zumindest heute – längst in den Hintergrund geschoben und der Schmuck lockte ihn zu sehr, als dass er ihn bei dem Händler lassen wollte. Man lebte ja nur einmal und wer wusste zu sagen, wie schnell es ein Ende finden konnte. Er zählte dem Mann geduldig die verlangten Münzen in die Hand und ließ sich das Pektoral, das von einem goldenen Gegengewicht, welches am Verschluss befestigt war, an seinem Platz gehalten wurde, umlegen. Er ahnte nicht, dass er dabei von jemandem beobachtet wurde, der sich in den Schatten der Häuser verbarg. Hapi hielt das kleine brennende Holzstück vorsichtig an den Docht der Öllampe und entzündete ihn. Zwei weitere Lampen brachte er so zum Leuchten, dann blies er den Anzünder rasch aus, ehe er sich an ihm die Finger verbrannte. Eine Lampe stellte er neben Seth ab, der an seinem Arbeitstisch saß und an einem Bericht schrieb. Oder besser gesagt, er versuchte einen Bericht zu schreiben. In der letzten halben Stunde hatte sich der Binsenstängel kaum von der Stelle gerührt und hing still über dem erst zur Hälfte beschriebenen Papyrus. Körperlich mochte Seth anwesend sein, seine Gedanken jedoch weilten an einem ganz anderen Ort. In einer kleinen Bucht, eingerahmt von Papyrusstauden, die unter einer leichten Brise zitterten. Er sah ihn vor sich, leicht über ihn gebeugt, das Wasser tropfte aus einer nassen Flut von Gold, die sein Haar bildete. Die muskulöse Brust hob und senkte sich in raschen Atemzügen, während sich die vollen Lippen des jungen Prinzen seinen näherten. Wieder machte Seths Herzschlag, was er wollte und erhöhte die Frequenz, mit der er das Blut durch den Körper des Priesters beförderte. „Wie soll ein Mensch so arbeiten“, seufzte er und tauchte das Schreibgerät in die Tusche. Der Bericht musste fertig werden, der Tempel wartete darauf. Seth schrieb zwei weitere Sätze in den heiligen Zeichen nieder, dann verharrte er erneut. Ein Tropfen Tusche löste sich und fiel auf den Papyrus. Fluchend sprang Seth auf und warf den Binsenstängel auf den Tisch. Da passte er einen Moment – Zeit ist bekanntlich relativ – nicht auf und schon war der ganze Papyrus verdorben. Ein schmutziges Dokument konnte er unmöglich abliefern. Das passte nicht zu dem korrekten Hohepriester, der seine Untergebenen auch bei kleinen Vergehen nicht ohne ein mahnendes Wort davonkommen ließ. Es passte nicht zu dem kühlen Verhalten, mit dem er sich umgab. Ebenso wenig wie die merkwürdige Hitze, die ihn überflutete, wenn sich seine Gedanken den Weg zu Kail suchten. „Hapi, sattle Chons, ich reite aus.“ „Jetzt noch, Herr? Es wird schon dunkel.“ „Hinterfrage meine Befehle nicht und tu, was ich dir sage. Ich brauche frische Luft“, sagte Seth ungehalten. Er ging unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab, bis Hapi zurückkam und ihm meldete, dass sein Pferd fertig gesattelt im Hof auf ihn warte. Mit harschen Worten befahl er die Wachen, die ihn als Leibwache begleiten sollten, zurück auf ihre Posten. Er konnte, wollte jetzt niemanden um sich haben. Seth schwang sich auf Chons’ weißen Rücken und ritt durch das Tor, hinaus auf die Straßen. Das Tageslicht wurde mit jedem Schritt, den Jono ging, schwächer. Er befand sich, nachdem er sich mehrmals nach der Richtung zum Palast hatte erkundigen müssen, auf dem Heimweg. Wenn man einmal wie er von der großen, ständig belebten Hauptstraße abgewichen war, wurde es ohne Ortskenntnisse schwierig, den richtigen Weg zu finden. Dann wurden die vielen kleinen Gassen schnell zu einem Labyrinth. Er war sich inzwischen nicht einmal mehr sicher, ob er sich überhaupt noch auf einer der Geschäftsstraßen befand. Die Häuser sahen alle gleich aus und das schwindende Licht machte es nicht besser. „Immer geradeaus, bis zu der Bäckerei und dann links“ hatte der letzte Mann gesagt, den er nach dem Weg gefragt hatte. Aber wie lange war das her? Er hätte längst da sein müssen. Jono sah sich um, wen er noch nach dem Weg fragen konnte, doch die Straße war leer. Er drehte sich seufzend um, um seinen Weg fortzusetzen und zuckte zusammen. Direkt vor ihm stand ein Mann, zwei, allerhöchstens drei Jahre älter als er. Seine Haare waren weiß – für jemanden seines Alters eine sehr ungewöhnliche Farbe; seine Augen schimmerten in einem Rehbraun, doch sie hatten keine Wärme in sich. Stattdessen strahlten sie Kühle und Berechnung aus. Der Fremde war in einen weiten, roten, mit weißen Streifen versehenen Beduinenmantel gehüllt, unter dem er einen hellen ägyptischen Rock trug. „So spät noch allein unterwegs, junger Herr?“, fragte er und deutete eine Verbeugung an. Das Lächeln, das dabei auf seine Lippen trat, gefiel Jono nicht. Er machte einen Schritt nach links, um an seinem Gegenüber vorbeizugehen, doch dieser folgte ihm. Dasselbe geschah, als Jono nach rechts trat. „Würdet Ihr mich bitte vorbeilassen“, sagte Jono und bemühte sich, seine Stimme so selbstbewusst klingen zu lassen, als stehe hinter ihm die ganze Armee Kemets, als sei er nicht allein mit diesem Unbekannten auf einer dunklen, verlassenen Straße. „Und weshalb sollte ich das tun?“, überlegte der Weißhaarige. „Weil ... Widersprecht mir nicht!“ Jono atmete tief durch und dachte an Zidantas Worte. Ein Prinz von Hatti sollte sich von niemandem einschüchtern lassen. „Ich wünsche, dass Ihr den Weg freigebt, unverzüglich.“ „Unverzüglich ... So, so. Da scheine ich ja heute an einen ganz feinen Herrn geraten zu sein. Amun scheint mir einen Glückstag zu bescheren.“ Das Lächeln verwandelte sich in ein böses Grinsen, das dem falschen Prinzen einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Er packte Jono und stieß ihn gegen die Mauer des Hauses, neben dem sie standen. „Genug gespielt. Gebt mir Euren Schmuck und Euer Gold, dann lasse ich Euch ziehen. Junger Herr.“ Dieser Straßenräuber hat mir jetzt gerade noch gefehlt. Jono riskierte einen kurzen Blick an sich herunter. An seinem Gürtel hing der Dolch, dank dem er von Zidanta als „Kail“ erkannt worden war. Wenn er ihn ergreifen konnte ... Seine Hand wanderte langsam auf seine Taille zu. Ein kurzes metallisches Klirren ertönte. Jono hielt den Atem an. An seiner Kehle saß ein Dolch und es war nicht seiner. „Wenn ich Ihr wäre, würde ich das lassen“, sagte der Dieb. „Glaubt mir, es ist besser für Eure Gesundheit, wenn Ihr mir einfach gebt, wonach ich verlange.“ Jono konnte gar nicht so schnell reagieren, wie seine Handgelenke gepackt, nach oben über seinen Kopf gezogen und gegen die Wand gepresst wurden. Der Dolch blitzte zwischen den Zähnen des Diebes auf. Er umfasste Jonos Gelenke mit einer Hand und nahm mit der so freigewordenen den Dolch aus dem Mund. Seine Zunge strich über die Klinge, liebkosend, als wäre sie seine Geliebte, während er sein Opfer mit böse funkelnden Augen betrachtete. Hatte Jono die Angst bisher noch halbwegs verbergen können, stand sie ihm jetzt deutlich ins Gesicht geschrieben. „Da fällt mir ein, es ist unhöflich von mir, mich nicht vorzustellen“, sagte der Dieb. „Ihr solltet wenigstens wissen, wem Ihr Euer Geschmeide hinterlasst.“ Jono spürte das kalte Metall der Klinge an seiner Wange und begann zu zittern. Er hätte sich nicht auf ein Wortduell mit dem Kerl einlassen und ihm die Sachen gleich übergeben sollen. Dieser deutete eine weitere Verbeugung an. „Ihr habt die Ehre von Kura, dem Herrn der Diebe von Men-nefer, ausgeraubt zu werden.“ „Da kann ich mich wohl sehr geehrt fühlen“, knirschte Jono. Er hätte sich ohrfeigen können. Hätte er das Amulett nur im Palast gelassen. Wozu hatte er die ganze Zeit darauf aufgepasst, wenn es jetzt von diesem kleinen Straßenräuber gestohlen wurde? Er überlegte fieberhaft, wie er dem Mann entkommen konnte. Seth preschte auf seinem Pferd wie ein Wahnsinniger durch die stillen Straßen von Men-nefer. Das war der Vorteil an einem abendlichen Ausritt, man hatte die Wege für sich. Tagsüber waren die Straßen von den Menschen oft so verstopft, dass kaum ein Durchkommen war. An einen schnellen Ritt war da erst recht nicht zu denken. Umso mehr genoss er es, Chons anzutreiben und sie beide bis an ihre Grenzen zu bringen. Die Gedanken an Kail flogen davon, fortgerissen von ihrer Geschwindigkeit. Der Gegenwind wehte ihm beinahe den Hut vom Kopf. Genau das war es, was er gebraucht hatte. Unter sich fühlte er die geschmeidigen Bewegungen von Chons. Auch dem Tier hatten ihre gemeinsamen Ausflüge gefehlt. Die wenigen Menschen, die sich auf der Straße aufhielten, beeilten sich, an die Seite zu kommen, um nicht von den Pferdehufen erwischt zu werden. Die einfache Bevölkerung war daran gewöhnt, dass Rücksichtnahme für den Adel ein Fremdwort darstellte. Die Älteren wussten noch Geschichten aus der Zeit zu erzählen, als Atemus Vater Akunamkanon und sein Bruder Akunadin Kinder gewesen waren und mit ihren Streitwagen Rennen durch die Stadt veranstaltet hatten. Seth verlangsamte seinen Ritt nach einer Weile und ließ Chons im Schritt weitergehen. Tier und Reiter waren erhitzt, aber zufrieden. Der Gedanke an den jungen Prinzen war aus dem Kopf des Priesters verschwunden. Er war sich sicher, dieses Mal keine Konzentrationsstörungen zu bekommen, wenn er sich an die Arbeit zurücksetzte. „Und nun her mit den Sachen!“ „Ich gebe sie Euch ja, aber nehmt den Dolch runter und lasst mich los.“ Der Hohepriester zog die Zügel abrupt an und brachte Chons zum Stehen. Hatte er sich gerade verhört? Die Stimme kam ihm so bekannt vor. Er richtete sich auf und lauschte. „Damit Ihr mir entwischen könnt? Ich bin nicht dumm, werter Herr.“ „Und ich kann Euch so nicht meinen Schmuck geben.“ Das war Kail, eindeutig. Und es klang, als wäre er in Schwierigkeiten. Seth stieg leise von Chons’ Rücken, beugte sich zu dem Tier und flüsterte ihm zu, sich ruhig zu verhalten. Er zog das Kopesh, das Sichelschwert, das er immer mit sich führte, wenn er allein, ohne Wache, den Palast verließ, griff mit der anderen Hand die Zügel fester und näherte sich vorsichtig der Straße, von der die Stimmen kamen. An der Stelle, wo sich die Straße, auf der er sich befand, mit der anderen kreuzte, blieb er stehen und spähte um die Ecke eines Hauses. Was er sah, ließ ihn erbleichen. Da stand der stolze Prinz, der ihm in den vergangenen Tagen so oft Kontra geboten hatte, zitternd und mit vor Angst geweiteten Augen an die Wand gedrückt da, die Hände von der Linken eines ihm unbekannten Weißhaarigen gefesselt. Über seine Wange zog sich ein feiner Schnitt, aus dem Blut tropfte. Die andere Hand des Mannes fuhr gerade über Kails Brust, verharrte kurz an dem prachtvollen Pektoral, das er trug. Seths Griff um das Schwert wurde fester. Seine Zähne schlugen knirschend aufeinander, die Augen verengten sich und wurden zu schmalen Schlitzen. Niemand, absolut niemand hatte das Recht, seinen Prinzen so unsittlich zu berühren! Moment mal! Etwas stimmte hier nicht. Hatte er in Gedanken eben ernsthaft seinen Prinzen gesagt? Ich brauche dringend mehr Schlaf, diese dauernden Überstunden tun mir eindeutig nicht gut. Jetzt denke ich schon unsinnige Dinge. Doch dafür hatte er jetzt keine Zeit. Kail war in Gefahr. Jono brach der kalte Schweiß aus, als Kuras Finger über seine Brust glitten. Anscheinend interessierte sich dieser Dieb nicht nur für seinen Schmuck. Wenn er mit seinem Leben davonkam, konnte er den Verlust seines neuen Halsschmucks ja noch verkraften, aber ihm stand nicht im Geringsten der Sinn danach, auch für die Befriedigung von Gelüsten ganz anderer Natur herzuhalten. Kuras Augen kamen ihm dunkler vor als eben noch ... Und dieses Glitzern in ihnen – das war alles andere als gut! Aber er konnte sich keinen Millimeter rühren. Er stand da, wie zu einer Statue erstarrt. Sein Mut und sein Selbstbewusstsein hatten sich mit unbekanntem Aufenthaltsort verabschiedet, doch wem ging es anders, wenn er mit einem Dolch bedroht wurde. „Hört zu, ich lasse jetzt Eure eine Hand los, mit der werdet Ihr Euer Gold abnehmen und es mir geben.“ Jono nickte mechanisch. Seine linke Hand wurde losgelassen, er fuhr zu dem Verschluss seines Pektorals und begann an ihm zu nesteln. Kura grinste zufrieden. Nach der Flaute des heutigen Tages war es mehr als ein Glücksgriff, dass ihm dieser reiche Bengel über den Weg gelaufen war. Seit einer Weile galten in Men-nefer scharfe Sicherheitsregeln und machten es den zahlreichen Straßenräubern und Taschendieben schwer, ihr Handwerk ordentlich auszuüben. Dabei wollte Kura doch auch nur leben. Jono zog an dem Riegel des Verschlusses, er wollte sich einfach nicht bewegen lassen. Er musste sich verklemmt haben. Wenn er das Pektoral nicht selbst abnahm, würde Kura sicher nicht zögern, es ihm mit Gewalt vom Hals zu reißen. Verzweifelt verdrehte Jono die Augen – und gewahrte in den Schatten eine Bewegung. „Waffe runter!“, sagte jemand hinter Kuras Rücken mit einer gefährlich eiskalten Stimme. Diese Stimme ... es waren nur zwei Worte, doch Jono war sich sicher, dass diese Stimme selbst mit einem Wort einen ganzen Saal mühelos zum Schweigen bringen konnte. War sie in den letzten Tagen auch wiederholt dazu gebraucht worden, ihm Beleidigungen an den Kopf zu werfen, kam sie ihm in diesem Augenblick vor wie der Gesang der Götter. Kura wandte den Kopf und sah sich dem groß gewachsenen, blauäugigen Hohepriester des Gottes Amun-Ra gegenüber, heute allerdings statt seines Stabes eher unpriesterhaft mit einem Kopesh ausgerüstet, das er auf den Dieb gerichtet hatte. „Ich sagte: Waffe runter“, wiederholte Seth. Obwohl sich Kuras Dolch noch an seinem Hals befand, durchfuhr Jono eine Welle der Erleichterung. Seth war gekommen, um ihm zu helfen. Und seine Worte wirkten offensichtlich, denn Kura senkte seine Waffe. „Und jetzt wirf deinen Dolch weg und streck die Hände nach oben“, forderte Seth weiter. Ein unerwarteter, heftiger Ruck riss Jono von seinem Platz und vor Kura, dessen Dolch sich an seinem Hals sehr wohl zu fühlen schien. „Verzeiht mir, großer Priester, aber falls Ihr es nicht bemerkt habt, stört Ihr mich gerade bei der Arbeit. Ich komme doch auch nicht in Euren Tempel und störe Euch, während Ihr im Gebet versunken seid.“ „Du lässt ihn sofort los“, knurrte Seth mit gefletschten Zähnen. Die Mundwinkel des Diebes verzogen sich zu einem boshaften Grinsen. „Ich verstehe. Das ist wohl Euer Geliebter, den ich da gefangen habe. Na, wenn das so ist ... Da habt Ihr ihn!“ Er gab Jono einen kräftigen Stoß in den Rücken. Dieser stolperte, als er gegen Seths Brust geschleudert wurde, und klammerte sich an dem Gewand des Priesters fest, um nicht zu fallen. Seth legte, eher unbewusst, schützend den Arm um ihn. Kura ergriff die Gelegenheit beim Schopf und machte sich aus dem Staub. „Bleib sofort stehen, du Dieb!“, rief Seth Kura nach, doch dieser dachte natürlich nicht im Traum daran, auf ihn zu hören. Die Dunkelheit verschluckte ihn und ließ die beiden jungen Männer allein auf der Straße zurück. Seth brummte, unzufrieden, weil der Dieb ihm entwischt war, und ließ das Schwert sinken. Dann wandte sich sein Blick Jono zu, dessen Finger sich in seinem Oberteil verkrallt hatten. Stirnrunzelnd bemerkte er eine feuchte Spur auf dem Stoff und legte den Kopf schief, um sein Gesicht besser in Augenschein nehmen zu können. Jonos Wangen waren leicht gerötet und aus seinen Augen lösten sich einzelne Tränen. Pure Erleichterung durchströmte ihn. Kura war fort. Doch was er gesagt hatte ... ‚Das ist wohl Euer Geliebter’ ... Wie kann Kura so etwas denken?, überlegte Jono. Gerade Seth soll mich lieben, der mich ohne Unterbrechung beleidigt und zu demütigen versucht? Der Seth, dessen Augen mich immer so kalt und herablassend – Er sah auf und blinzelte ungläubig. Das musste eine Illusion sein. Das konnte nicht der Realität entsprechen. Unmöglich. Seth erwiderte seinen Blick ruhig, doch in seinen Augen lag nicht eine Spur der Arroganz oder der Kälte, mit der er ihn sonst zu betrachten pflegte. In diesem Moment strahlten die Augen nicht mit der Kühle des Eises. In seinem Blick lag so etwas wie Wärme und wenn Jono es nicht besser gewusst hätte ... Besorgnis? Er schluckte, wischte sich hastig die Tränenspuren aus den Augen und richtete sich gerade auf. Konnte Kura doch Recht haben? Seth hatte auf seine Aussage nichts erwidert, sie weder bestätigt noch dementiert. Blaue und braune Augen versanken ineinander, vergaßen alles um sich herum, wer sie waren, wo sie waren, ja die Zeit selbst. In Jonos Bauch breitete sich ein Schwarm Schmetterlinge aus. Ob er es wagen sollte? Er reckte sich, Seth war etwas größer als er, und strich kurz mit seinen Lippen über die des Priesters. Ein seltsames, ihm unbekanntes Gefühl zog sich bei der zarten Berührung durch Seths Körper. Ein Gefühl, das nach mehr verlangte, ein angenehmes Kribbeln. „M-mit Euch hat man auch nichts ... als Ärger, Falke“, brachte er mit einer in seinen Ohren merkwürdig kratzig klingenden Stimme hervor. „Wie habt Ihr mich gerade genannt?“, fragte Jono. Nicht mehr Hund? „Falke ... Nach Eurer Beharrlichkeit und ... und Euren Augen, sie gleichen denen eines Falken.“ Lächelnd legte Jono seine schlanken Finger um das Kinn des Hohepriesters und zog dessen Gesicht näher zu sich. Zum zweiten Mal streiften seine Lippen die seines Gegenübers, den Blick fragend auf ihn gerichtet, bevor er an Seths Unterlippe zu knabbern begann. Ein Schaudern durchlief den jungen Hohepriester, als er vorsichtig anfing, Jonos Liebkosungen zu erwidern. Das Schwert entglitt seinen Fingern und landete auf der Straße. Die Hand fand ihren Platz an Jonos Rücken. Davon ermutigt, ließ Jono nun seinerseits seine Hände über Seths Brust herabwandern, bis sie seine Taille erreichten, und intensivierte ihren Kuss. Seth zog ihn näher an sich, fuhr mit der Hand durch das blonde Haar. In seinen Ohren rauschte es. Jono öffnete den Mund ein wenig und glitt mit der Zunge über die Lippen seines Geliebten. Ja, er liebte ihn. Wie sonst konnte er sich dieses warme Gefühl erklären, das ihn durchströmte, wenn es nicht Liebe war, was er für Seth empfand? Es klang ihm selbst komisch in den Ohren, den zu lieben, der ihm die ganze Zeit so verhasst gewesen war und umgekehrt. Dennoch war es so und dass es Seth auch so ergehen musste, bestätigten ihm dessen fahrigen Berührungen an seinem Rücken, in seinem Haar, die sich öffnenden Lippen ... Jono folgte seiner Einladung und nahm den warmen Mund in Besitz. Von Seth kam ein leises Seufzen. Wie konnte es sein, dass er einen Mann, noch dazu einen Hethiter, seinen Feind, küsste und es sich trotzdem so gut, so ... richtig anfühlte, was er tat? Er wusste keine Antwort darauf und sein Verstand versagte ihm mehr und mehr den Dienst und gab sich den sinnlichen Freuden hin, welche die sich windende Zunge Jonos verhieß. Hufgeklapper wurde laut. „Eure Hoheit? Prinz Kail, wo seid Ihr? Antwortet bitte!“ Es brauchte einige Sekunden, bis die Worte die beiden erreichten, sie dann aber mit einem Schlag in die Realität zurückrissen. Die Reiter waren in seine Richtung unterwegs. Schwer atmend lösten sie sich voneinander, Seth stolperte ein paar Schritte zurück und lehnte sich an die nächste Hausmauer. Die Klänge der Hufe, die auf die Straße donnerten, wurden lauter. Schon bog ein Trupp Reiter um die Ecke. Im Licht der Fackeln, die sie mit sich trugen, erkannten Jono und Seth in ihnen die Palastwache. Knapp vor den beiden hielten die Männer. „Was hat dieser nächtliche Aufruhr zu bedeuten?“, fragte Seth, kühl und beherrscht wie immer. Auch in seinen Augen war nichts mehr vor dem, was Jono noch vor wenigen Sekunden darin gesehen hatte. „Fürst Zidanta wünschte Seine Königliche Hoheit Prinz Kail zu sprechen. Dessen Diener aber gab zu, dass sein Herr spurlos verschwunden sei“, gab Djoser, der Hauptmann der Wache, Auskunft. „Eure Hoheit, in der ganzen Stadt sucht man nach Euch.“ „Ohh ...“ „Meister Seth, Ihr habt Seine Hoheit also gefunden.“ „Eigentlich war es so, dass –“, begann Jono. „Wir uns zufällig in der Stadt getroffen haben“, vollendete Seth den Satz. Jono sah ihn überrascht an. Erst der Kuss und jetzt nahm er ihn sogar in Schutz. „Aber nun sollten wir uns zum Palast zurückbegeben, Euer Hoheit, es ist spät geworden. Wie hätte ich auch ahnen sollen, dass in Euch ein solch eitler Pfau steckt, der Stunden bei den Juwelieren zubringt? Hätte ich das gewusst, hätte ich sicher nicht zugestimmt, Euch auf Eurem Weg zum Markt zu begleiten. Ich habe genug anderes zu tun.“ Da war er wieder, der alte Seth mitsamt seinen Sticheleien. „Entschuldigt bitte, wenn ich mich irre, aber wart Ihr nicht derjenige von uns beiden, der sich so lange bei dem Amuletthändler aufgehalten hat?“, fiel Jono ein. Den eitlen Pfau wollte er nicht auf sich sitzen lassen. „Das war nicht für mich, sondern für den Tempel“, wies Seth ihn zurecht. „Wie auch immer, ich möchte jedenfalls nun zum Palast zurück.“ Djoser winkte einem seiner Männer, der ein zweites Pferd am Zügel führte, Jonos Rotauge. Seth pfiff kurz auf zwei Fingern und Chons kam um die Ecke. Er und Jono maßen sich noch kurz mit abschätzigen Blicken, dann bestiegen sie ihre Pferde. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie sich eben noch geküsst hatten. Die Wachen, die vor und hinter ihnen ritten, machten jedes weitere Wort, sofern es private Dinge betraf, zwischen den beiden unmöglich. Schweigend ritten sie durch die nächtlichen Straßen von Men-nefer. Im Palasthof kamen ihnen Zidanta und Marik entgegengeeilt, Hapi im Schlepptau, der sich ebenfalls Sorgen um seinen Herrn gemacht hatte. Es war nicht Seths Art, so lange auszubleiben, wenn er alleine den Palast verließ. „Euer Hoheit, wir waren alle in großer Sorge um Euch“, sagte Zidanta. „Wo wart Ihr nur?“ „Auf dem Markt. Ich muss wohl die Zeit vergessen haben. Entschuldigt.“ „So, so. Prinz Kail, ich würde gern mit Euch über die morgigen Verhandlungen sprechen“, fuhr Zidanta fort. „Würdet Ihr mir noch einen Moment Eurer kostbaren Zeit schenken oder wünscht Ihr Euch zu Bett zu begeben?“ „Nein, ich bin noch nicht müde.“ Schon halb auf dem Weg, drehte sich Jono noch einmal um. „Seth, vielen Dank für ... Eure Begleitung heute.“ Er bekam ein kurzes Nicken als Antwort. „Gehen wir, Fürst Zidanta. Worüber möchtet Ihr denn mit mir sprechen?“ „Es geht um die geplanten Grenzbefestigungen.“ Jono nickte höflich. Dann würde es noch eine ganze Weile dauern, bis er sein Bett zu Gesicht bekommen würde. „Euer Hoheit, es ist Zeit aufzustehen“, sagte Marik und betrat das Schlafzimmer. „Das Frühstück steht bereit und Ihr ... Euer Hoheit?“ Der junge Sklave blickte einigermaßen fassungslos auf das verwaiste Bett. Die Decke war zurückgeschlagen, die hellen, durchsichtigen Vorhänge zur Seite gezogen. Marik kratzte sich verwirrt am Kopf. Das war ja noch nie vorgekommen, dass Jono freiwillig aufstand. Suchend blickte er sich um, bis er ihn auf dem Balkon entdeckte. Er stand am Geländer, nur mit dem Rock bekleidet, in dem er schlief, und betrachtete die rötlich glühende Sonne. Die Ufer des Nil wirkten unter ihrem Schein, als ständen sie in Flammen. „Guten Morgen, Euer Hoheit“, sagte Marik mit einer Verbeugung. „Ich hatte nicht erwartet, Euch bereits wach anzutreffen.“ Jono drehte sich, ein breites Lächeln im Gesicht, zu ihm um. „Warum sollte ich denn nicht auf sein? Heute ist doch so ein wunderschöner Tag!“, sagte er und umarmte den verdatterten Jungen. Dann ging er mit tänzelnden Schritten, eine fröhliche Melodie pfeifend, in sein Schlafzimmer. „Seid ... seid Ihr sicher, dass mit Euch alles in Ordnung ist und Ihr nicht ... krank werdet oder so etwas in der Art?“ „Krank?“, Jono wandte ihm überrascht den Kopf zu. „Warum sollte ich krank sein? ... Was hattest du gesagt, wo das Frühstück steht?“ „Im Wohnzimmer, Euer Hoheit.“ Als Marik ihm nachkam, saß Jono schon am Tisch und biss herzhaft in das frische Brot. Was er auch hatte, sein Appetit hatte jedenfalls nicht darunter gelitten. Bevor er eingeschlafen war, hatte er noch einige Zeit den Mond angesehen, der durch sein Fenster schien, und über Seths abweisendes Verhalten in Anwesenheit der Wachen nachgedacht. Jono war davon überzeugt, dass er nur so gehandelt hatte, um ihrer beider Gesicht zu wahren. Er hatte gespürt, dass Seth ebenso empfinden musste wie er. Sein Kuss, seine Berührungen ... sie sprachen eine zu deutliche Sprache, als dass er sie falsch interpretieren konnte. Seth ... er glich dem kühlen, blassen Mond, der sein fahles Licht auf die Erde warf. So kalt und abweisend er auf den ersten Blick auch wirkte – in seinem Inneren sah es gänzlich anders aus. Marik wusste nicht, was er von Jono halten sollte. Selbst als ihn das kalte Wasser traf, protestierte er heute nicht. Als er dabei war, ihm den Rücken zu schrubben, kam ihm die Erkenntnis. „Ah, jetzt weiß ich, was mit Euch los ist. Ist es am Ende also doch einer der Schönen von Men-nefer gelungen, Euer Herz in Flammen zu setzen?“ „Oh ja, schön ist er“, seufzte Jono. „Und mein Herz brennt lichterloh.“ „Er?“, erkundigte sich Marik zur Sicherheit. Heißt das, er ist in einen Mann verliebt? Moment mal ... ist Jono etwa ... „Hm? Ach, vergiss, was ich gesagt habe.“ In allerbester Stimmung machte sich Jono heute auf den Weg zum Konferenzzimmer. „Ihr scheint gut geschlafen zu haben, Prinz Kail“, begrüßte Atemu ihn. „Oh ja, bestens, Euer Majestät“, sagte Jono und schickte Seth, der gerade eintrat, ein strahlendes Lächeln entgegen. Der kalte Blick, der ihn als Antwort darauf traf, prallte an ihm ab. Richtig, sie befanden sich ja gerade in der Öffentlichkeit. Da verstand Jono es natürlich, wenn Seth keine Intimitäten wünschte. Besonders nicht unter den Augen des Pharao. Nach der üblichen morgendlichen Begrüßung wurde die Konferenz wieder aufgenommen und verlief während des Vormittags ohne größere Zwischenfälle. Am frühen Nachmittag aber, kurz nach der Mittagspause, entschlossen sich Lubarna und Akunadin dazu, ihren Disput vom Vortag fortzusetzen. Der Fürst hatte den Vorschlag gemacht, Hatti könnte Kemet seine Ansprüche an das syrische Gebiet eventuell für eine entsprechende Summe abtreten. Akunadin aber riet dem jungen Pharao strikt davon ab, auf dieses Angebot, das nebenbei bemerkt völlig überhöht war, einzugehen. Die Hethiter könnten keine Tributzahlungen für etwas verlangen, das von Rechts wegen ohnehin dem Reich Kemet gehörte. Ein gleichfalls beliebter Streitpunkt in der Runde war die Frage, was mit den Dörfern geschehen sollte, die in hethitische Hand gefallen und von ihren Soldaten besetzt waren. Besonders Anitta war sehr daran interessiert, sie in der Hand seines Reiches zu belassen, da Großkönig Muwatalli der Zweite ihm einen Teil von ihnen als Auszeichnung für seine Dienste überlassen hatte. Die Abgaben aus den Dörfern, in denen viele begabte Handwerker lebten, waren nicht gerade gering und Anitta immer willkommen, um die Kasse seines etwas maroden Haushalts aufzubessern. Ein seinem Stand angemessener Lebensstil kostete nun einmal. Shimon und Zidanta bemühten sich mit Atemus Hilfe darum, schlichtend einzugreifen, damit der Streit nicht eskalierte. Jono war mit seinen Gedanken währenddessen nur halb bei der Diskussion. Ihm gab das Verhalten seines Liebsten mehr als genug zu denken. Seth war ungewöhnlich schweigsam. Nicht nur, dass er kaum etwas zu der Verhandlung beitrug, selbst auf Jonos Bemerkungen, der ihn etwas aus der Reserve locken wollte, ging er nicht ein. „Meint Ihr das wirklich ernst, Fürst Lubarna?“, rief Akunadin und fuhr von seinem Stuhl auf. „Diese Bedingungen sind unannehmbar! Eure Forderungen sind ein einziger Witz!“ „Ein Witz? Wollt Ihr mich beleidigen?“, kam Lubarnas geschriene Antwort. „Meine Herren, ich bitte Euch“, sagte Shimon. „Wir sollten uns jetzt alle beruhigen, uns wieder hinsetzen und –“ „Ich lasse mir nichts von jemandem sagen, der ohne seinen Hut aufrecht unter dem Tisch durchpasst!“, wetterte der Hethiter. „Also, das ist doch –“ „SCHLUSS JETZT!“ Schlagartig wurde es ruhig. Die Aufmerksamkeit wandte sich Atemu zu. Dieser senkte mit einem Seufzen den Kopf und massierte mit den Fingern seine Nasenwurzel und die Schläfen. „Euer kindisches Gezänk bereitet mir Kopfschmerzen. Ich werde mich für eine Weile zurückziehen und Ihr solltet ebenfalls eine Pause machen. Wie wäre es mit einem Bad im Nil? Das dürfte Eure erhitzten Gemüter kühlen.“ „Aber mein Pharao“, begann Karim. Atemu hob abwehrend die Hand. „Wir setzen die Verhandlungen in einer Stunde fort.“ Damit erhob sich der Herrscher Kemets und verließ den Raum. Ein Teil seiner Priester sowie die drei Fürsten folgten ihm und verstreuten sich draußen auf dem Gang in verschiedene Richtungen. Isis nahm sich vor, dem Rat Atemus zu folgen und ein Bad zu nehmen. Sie war die dauernden Streitereien auch leid. Die Männer erinnerten sie an kleine Kinder, die sich um ein Spielzeug stritten, das nur einmal da war, aber von allen benutzt werden wollte. Nur dass dieses Spielzeug mehrere hundert Jata [1] groß war, wie ein riesiger Sandkasten. Seth legte den Binsenstängel, mit dem er sich Notizen gemacht hatte, auf der Schreibpalette neben dem Behälter für die Tinte ab und stand auf, um sich in sein Arbeitszimmer zu begeben. Er war fast an der Tür, da wurde sie ihm vor der Nase zugeschlagen. „Nicht so schnell, Seth.“ Jono stützte sich mit der Hand am Türrahmen ab und musterte ihn. „Du hast mich den ganzen Tag überhaupt nicht beachtet.“ Der Hohepriester wandte sich von ihm ab und marschierte auf die zweite Tür zu, die aus dem Raum führte, doch wieder war Jono schneller als er. Schlitternd bremste er vor ihm ab. „Was ist mit dir los? Oder ist sich der Herr Oberpriester jetzt zu fein für eine Antwort?“ Kalte Saphire trafen auf fragend blickende Topase. „Ich kann mich nicht daran erinnern, Euch die Erlaubnis gegeben zu haben, mich zu duzen, Euer Hoheit“, sagte Seth. „Aber unser Kuss gestern ...“ „Das“, Seths Stimme wurde noch eine Spur kälter, „war nur ein dummer Ausrutscher.“ [1] Altägyptisches Flächenmaß Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)