fin. von CrackpotCity (der anfang vom ende) ================================================================================ Kapitel 3: berieselung ---------------------- Es ist ganz angenehm, wenn man einen Besucher hat, der eine Menge über sich und seine Tagesabläufe erzählt, wenn man selbst nicht viel von sich geben kann. Stell dir nur vor, ich habe heute ganze drei oder vier Stunden darüber nachgedacht, wieso es Libellen gibt auf dieser Welt. Ist das nicht aufregend? Von daher ist Frankie wie ein Fernsehgerät. Unterhaltung pur, mit einem zusätzlichen Plus an leiser Interaktion. Wenn er von seinen Bandkollegen erzählt, kann man nachfragen, wenn man denn Lust hat. Und mittlerweile kennt er die Mitglieder sogar recht gut, ob er nun will, oder nicht. Unter normalen Umständen hätte er sich wohl eher die Finger an einer heißen Herdplatte verbrannt, als sich diesen Fast-schon-Tratsch anzuhören, aber wenn man mal ganz ehrlich und völlig objektiv sein möchte: Man ist froh um jede Unterhaltung. Und wenn es über Gott und die Welt ist. Oder nicht über Gott. Letzte Woche hatten sie eine längere Diskussion über Religion gehabt, hatten sich gemeinsam über diesen ausgearteten Wahn ereifert, bis Frankie hatte gehen müssen. Für den Moment reicht es aber schon, ihm nur zuzuhören. Es ist unglaublich beruhigend, eine fremde Stimme zu hören, nicht nur immer die eigene, wie sie im Kopf herumgeistert. Und wieder erzählt er von Anekdoten dieser Woche. Obwohl es so viel Wichtigeres gäbe zu besprechen, diese Dinge, über die er sich eine ganze Woche lange Gedanken hatte machen müssen. Pascal ließ sich darauf ein und sie argumentierten über die Notwendigkeit von Glutamat im Essen, für eine gewisse Zeit hatte er fast vergessen, wo er war und warum. Er beobachtete Frankie, wie er den Kopf eine Winzigkeit nach links kippte, als er darüber nachdachte, ob er sich ein Leben ohne Fritten vorstellen könne, seien die ökologisch angebaut und gedämpften Kartoffelschnitze mit Bio-Quark noch so gesund. Ein unsichtbares Schmunzeln formte sich in seinen Gedanken, als Frankie schließlich verneinte, gleichzeitig aber mit zungenbrecherischen Inhaltsstoffen um sich warf, die absolut unzumutbar wären und das Kinn auf den Armen ablegte. Jetzt sitzt er da, wie immer. Wie dieses Bild, die ganze Woche über. Diese im Raum hängende Halluzination, die manchmal blinzelt, den Mund bewegt oder den Kopf auf die Seite kippt, wenn man etwas fragt, das Nachdenken verlangt. Da sitzt er nun und ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich da ist, oder die Besuchszeit schon wieder vorbei ist und ich es mir nur einbilde, er wäre noch hier. Die weißblonden Strähnen sind heute fast schon lieblos ungekämmt und hängen wie wirre, splissige Lianen vom Kopf. Vielleicht war es hektisch. Vielleicht hat er keine Zeit gehabt. Oder es ist Absicht, das weiß man bei ihm ja nie. Seine Augen sind hellwach und sehen ein bisschen nach zuviel Kaffee aus. Grüner Schiefer im Kaffeesaft. Was für eine groteske Vorstellung. Pascal nickte auf eine Frage hin und blätterte unkonzentriert im Bildband, hochglänzende, glitschige Seiten wurden mit seinen Fingern bestrichen. Er hatte sich vorgenommen, sich nicht zu fragen, wieviel Uhr es war. Aber er konnte dieses Vorhaben nie einhalten. Die Stunde musste schon fast um sein und greifbare Nervosität verstopfte die Luft. Sie unterhielten sich weiter scheinbar ungezwungen, lachten, wenn der eine oder andere eine passende Bemerkung von sich gegeben hatte, aber beiden vermieden es krampfhaft, dem kommenden Abschied Aufmerksamkeit zu schenken. Wie bei jedem Mal. Frankie kratzte sich hinterm Ohr und reckte den Kopf, erzählte irgendwas von der Toilette seiner neuen Wohnung, wenn man genau hinsah, erkannte man ein deutliches Pochen am Hals. Pascal sah genau hin, er wollte sich das Bild einprägen. Für die Woche. Mit jeder neuen Woche und mit jedem neuen Besuch summierten sich die Details, die er aufschnappte. Ganz automatisch, er tat es ja nichtmal absichtlich. Das Mosaik wurde immer feiner, nicht nur äußerlich. Seine Aufmerksamkeit war so empfindlich eingestellt in dieser Stunde, dass er jede Bewegung registrierte, jede Mimik. Frankie hatte eine ganze Menge davon, was das Bild von Woche zu Woche lebendiger machte. Um so schlimmer, weil er wieder nicht sagen konnte, ob Frankie nun hier war, oder doch nicht. Er hatte schon lange und sehr analytisch überlegt, ob sich tatsächlich eine Psychose in ihm entwickeln würde, wenn er noch länger in dieser Isolation gehalten werden musste. Was er auch nicht wirklich verstand, sie hatten es mit einem schlichten "Es geht nicht anders, es gibt in dieser Haftanstalt eben keine Gemeinschaftszellen.", weil sie nicht für Untersuchungshäftlinge wie ihn ausgelegt war. Sein Pech. Und ihr Pech, wenn er hier drinnen noch verrückt würde. Dann könnte er sie wenigstens noch daraufhin verklagen. Wieder klebte sich sein Blick auf dem fremden Kopf, der unablässig Worte ausspuckte, um keine Stille aufkommen zu lassen. Die unangenehm sein könnte. Nur nicht an das Ende denken, immer weiterreden, als ob es keinen Besuchsschluss gäbe. Zu dem nervösen Knoten im Magen gesellte sich eine leichte Wärme. Ob Frankie das nun aus egoistischen Gründen machte, war ihm egal. Es fühlte sich zumindest wie ein Helfen an und er war dankbar dafür. Es half nicht wirklich viel, aber machte es doch ein bisschen leichter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)