I n f i z i e r t von bells-mannequin (Teil I der absolut romatschtisch-genialen Metamorphose-Trilogie //ON HIATUS//) ================================================================================ Kapitel 4: Blasphemie und Fischstäbchengutscheine ------------------------------------------------- Berlin, den 21. Dezember 2007 Ullrich-Von-Hutten-Gymnasium Große Pause, Kantine Es überrascht mich, wie sympathisch er mir immer noch ist. Ich mag ihn. Ich glaube nicht, dass ich verliebt bin, wie der Rest der Ullrich-von-Hutten-Gesellschaft (und ich hab sogar diese oberschnuckeligen Typen aus der Zwölften beim Schwärmen ertappt…). Nein, das glaube ich wirklich nicht. Aber da ist etwas, das ich vorher noch nie gespürt habe – weder bei einem Jungen, noch bei sonst wem. Aber ich glaube nicht, dass ich wirklich verliebt bin. Quatsch. Das ist ja, wie, wenn’s ein Königsfalter mit einem Regenwurm treiben würde. Und es ist bestimmt klar, wer der Regenwurm ist, oder? Genau. Er ist klug, beliebt und sehr freundlich. Ach, und nicht zu vergessen, dass er auch noch unglaublich attraktiv ist („Hast du schon seine Augen gesehen? Sie sind sooooo blau! Wie Kornblumen! Oh Gott, hast du das gesehen? Er hat in meine Richtung gesehen…“ – „Ja, und er ist ja so charmant!“ Entschuldigt mal, aber ich hab Augen, so grün wie Moos! Warum hör ich nicht, wie zig Jungs von mir schwärmen?!?!). Ein Königsfalter halt, um es wieder zu den Insekten zurückzuführen… Aber jetzt mal abgesehen von dieser Rangordnungsgeschichte - die ich persönlich eh total sch…aumbademäßig finde – bin ich nicht in ihn verliebt. Pasta. Äh. Basta. Denn wenn das, was ich fühle, wirklich Verliebtheit sein soll, dann weiß ich nicht, was alle anderen daran so toll finden. Aber vielleicht bin ich auch einfach durch meine Gefühlsaufnahmefähigkeiten zu verstumpft, um irgendetwas zu fühlen. Andererseits lief in den letzten Monaten irgendwie alles ganz anders als sonst. Ich war nicht ganz so schwankend und ich habe das Gefühl, dass sich irgendwas in mir verändert. Aber ich weiß nicht, was. Mysteriös, mysteriös. Heute ist der letzte Schultag vor den Ferien. Und – oh Wunder – ich freue mich richtig darauf, mit meiner Familie zu feiern. Spätestens jetzt solltet ihr euch Sorgen um meine geistige Gesundheit machen. Na ja, meine Eltern freuen sich, Oma Laslo (lange Geschichte…) und Opa Simon freuen sich, mein Bruder freut sich nicht, meinem Goldfisch ist es egal (weil wir seit neuestem einen „kuhlen“ Apparat haben, der sich so oft ich will und wann ich will dreht. Na ja, also, ich meine, dass er sich dreht, ist nun wirklich nichts Tolles, ich kann mich schließlich auch drehen so oft ich will, aber in diesem Behälter, der gedreht wird, ist Futter, ergo können wir den blöden Fisch zuhause lassen ohne zu befürchten, dass er stirbt), und meine Klassenkameraden halten mich eh alle für geisteskrank (was ich bedauerlicherweise nicht bestreiten kann…) Gut, ich sollte jetzt vielleicht zusammenpacken. Liebe Grüße, Evangeline (d.d.a.b.i.u.a.m.b.a.) PS: Ich hoffe, euch ist klar, ich mag nicht Marco-The-Opera-Actimel-Kiddie, sondern Phil. Also, nur so nebenbei… °°° Nachmittags fuhr Evangelines Familie in Richtung Nordseeküste, um dort mit ihrer Familie Weihnachten zu feiern. Es machte ihr nichts aus, mehr als zwei Stunden mit ihren Eltern an einem Tisch zu sitzen, und manchmal verstand sie sich sogar so weit mit ihrem Bruder, dass er mit ihr redete, während sie am menschenleeren Strand entlang schlenderten. Und sie genoss es. Aber manchmal überkam sie ein Gefühl des… Leerseins. Als wäre sie das Gefäß mit dem Fischfutter, dessen Öffnung so groß gewesen war, dass der Fisch an zu vielem Futter gestorben war und in dem Behältnis kein Fischnahrungsmittel mehr war. Es schien, als vermisse sie etwas. Und manchmal wünschte sie sich wieder eine ihrer Launen herbei – als sie diese noch gehabt hatte, waren sie für Evangeline nur nervig gewesen, aber jetzt fiel ihr auf, dass sie dadurch zumindest nie Langeweile verspürt hatte. Gut, auch hier gab es mehr als genügend zu tun, als dass sie sich über Langeweile hätte beschweren sollen, und wenn sie doch einmal schwermütig seufzte, als wäre sie eine liebeskranke Maid, die auf ihren Ritter wartete, kam Oma Laslo und zwang sie, Fische auszunehmen. Abgesehen davon, dass sie sich auch irgendwie dreimal beinahe hatte übergeben müssen und so, war es eigentlich ganz okay. Gut, der Gestank ranzte, sie hatte immer noch Angst vor diesen glasigen Augen und sie würde niemals mehr in ihrem Leben Fischstäbchen essen, weil sie wusste, aus welchen… Bestandteilen diese… bestanden – aber eine positive Sache hatte das ganze ja: Würde sie ihr Abi nicht schaffen, könnte sie zumindest noch zu NORDSEE gehen. Oder in ’ne Sushibar! Das war doch was – oder? °°° Nordsee, den 26. Dezember 2007 Strand, eiseskalt Dritter Felsen von links, auf dem man sitzen kann Hey ihr! Meine Güte, ist mir langweilig! Die Feiertage ebben langsam ab (und findet ihr es auch eklig, dass ich spüre, wie sich das ganze Fleisch und Fett und die Schokolade und die Dominosteine und die Plätzchen, die definitiv zu 64% aus Butter bestanden haben, an meinen Oberschenkeln absetzt? Würg.) und bis Silvester ist’s noch ein bisschen hin. Adam hatte dazu neulich diesen wirklich sehr genialen… äh – Geistesblitz? Adam: „Hey! Ist euch schon mal aufgefallen, dass Weihnachten am gleichen Wochentag wie Silvester ist?“ Imaginäre Eve, die gegen imaginäre Wand rennt Opa Simon: „Das kommt davon, mein Junge, dass die Erde sich in keiner kreisförmigen Bewegung… bewegt, sondern rumeiert – Einstein und Hook und Galilei haben da wirklich hervorragende Arbeit geleistet –“ Imaginäre Eve, die gegen imaginäre Wand rennt und imaginär schreit Oma Laslo: „Adam-Schatz, Silvester ist einfach sieben Tage nach Weihnachten. Also am gleichen Wochentag. Und so.“ Imaginäre Eve, die gegen imaginäre Wand gerannt ist und imaginär geschrieen hat und jetzt tot ist und leider nicht mehr imaginär ihre Oma umarmen kann. Haha. Könnt ihr euch jetzt erklären, wieso ich so bin, wie ich bin? Nun, es hat zumindest ein Positives, dieses Verschwinden meines Bedürfnisses nach Seelenkeschern: Bis jetzt hab ich mich mit meiner Familie immer eher notdürftig verstanden – Familienbündnisse, etc – aber jetzt kann ich sogar mit ihnen reden. Gruselig. Definitiv gruselig. Aber gar nicht mal so schlecht. Ich glaube, meine Eltern denken, dass ich meine schwere Phase – ich weiß nicht, woher das kommt, ich verbiete ihnen schließlich immer, die Supernanny zu gucken oder Erziehungsratgeber von Pamela Anderson (mit Illustrationen am besten, haha) zu lesen – wie sie es nennen, nun hinter mich gebracht habe. Aber ich weiß es besser. Irgendwas ist mit mir passiert und das hat bestimmt nichts mit ‚schweren Phasen’ oder ‚Pubertät’ zu tun… Hm. Es ist wirklich alles sehr surreal, aber dann doch wieder irgendwie nett. Manchmal, da fühl ich mich, als könnte ich fliegen, so gut geht’s mir, aber dann starre ich wieder stundenlang auf die Nordsee, (von der ich übrigens immer noch nicht weiß, ob sie nun ein See oder ein Meer ist, zur gehörnten Weinbergschnecke) ohne, dass ich irgendwas mache. Ich beobachte einfach den Wellengang und die Möwen und horche auf die Brandung. Mein Gott, kling ich kitschig. Das ist die Seeluft. Hoffe ich. Wenn nicht. Ich weiß nicht – ich glaube, das wär irgendwie schlecht. Ach, bevor ich’s vergesse, ich hab neulich ’ne Mail von ihm bekommen. Ihr wisst schon, von Phil: Eve, na, wie geht’s, wie steht’s? Meine Mutter und ich sind ja, wie du schon weißt, hier geblieben, es ist eigentlich ganz okay. Obwohl ich eine alte Grundschulfreundin wiedergetroffen habe (sie geht in unsre Parallelklasse), ist es, na ja, langweilig. Also, ohne dich, meine ich. Wusstest du schon, dass es ohne dich mindestens um 20 Dezibel leiser und um ca. 90% einfacher ist, nicht aufzufallen? Nicht, dass ich das wollte. Nicht auffallen, meine ich. Aber das ist mir so aufgefallen. Jacques-Heinrich, dieser Typ aus Santa Monica (in Kalifornien, USA, Westküste, Nordamerika, da, wo Buffy gedreht wurde, Erdkundegenie), hat sogar bei ALDI angefangen, kambodschanische Karnevalslieder zu singen, und niemand hat uns irgendwie beachtet. Ts. Ich wette, ich weiß, was du gerade machst. Bei deiner Großmama eingebrochen sein, nämlich. Und ich wette, deine Hände stinken nach Fischdarm. Hochachtungsvoll, Phil Anbei war da noch ein Gutschein a là 2 Packungen Fischstäbchen kaufen, 1 Packung bezahlen. Und wisst ihr was? Ich schätze, ich habe da jemanden gefunden, der genauso verrückt ist wie ich. Aber was soll ich denn davon halten? Er ist wirklich süß; das muss ich zugeben. Und in den letzten Monaten so was wie mein Freund geworden. Also, ich meine Kumpel-Freund, nicht Freund-Freund. Und alle meine Freunde sagen, dass er in mich verliebt ist und ich mir diesen wirklich schnuckeligen Typen unter den Nagel reißen sollte. Schön und gut. Aber was ist, wenn ICH nicht in IHN verknallt bin? Ich glaube nämlich, dass sich mein/e Seele/Geist/Inneres/Was-auch-immer einfach dazu entschieden hat, ihn NICHT zu lieben. Ich glaube, dass ich (oder mein/e Seele/Geist/Inneres/Was-auch-immer) beschlossen habe, dass ich einfach seine Freundin sein will. Also, nicht DIE Freundin, sondern EINE Freundin. Die beste Freundin. Die Kumpeline. Aber ich bin mir nicht so sicher, was ich dazu sagen soll. Ach, ich hab einfach keinen blassen Schimmer, was ich fühlen soll, was ich nicht fühlen soll, und ich weiß nicht mal, wann der Holocaust war. Ich weiß rein gar nichts. Und wenn ich schon mal dabei bin, ins Arbeitszimmer meiner Großmutter einzubrechen (Oma Laslo scheffelt das Geld mit Börsenspielchen, Opa Simon legt nur im Seniorenheim jedes zweite Wochenende auf. Er ist als DJ Simon bekannt, und ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll), kann ich ja auch gleich mal die Mail lesen, die ich von einem gewissen j.slaughter@denim.com bekommen hab: Hallo Evangeline, ich denke, du weißt nicht, wer ich bin, aber es könnte ja sein, dass ich es auch nicht weiß, stimmt’s? Okay, doch, ich weiß, wer ich bin. Jennifer Slaughter ist mein Name. Und komm mir nicht mit dem Slaughter. Wenn ich volljährig bin, werde ich den Namen meiner Mutter annehmen. Was soll ich in Deutschland mit ’nem englischen Schlachternamen? Ich weiß nicht, ob du mich kennst, aber ich kenne dich. Jeder kennt dich. Philipp hat viel von dir erzählt in den letzten Tagen und ich habe auch schon in der zweiten großen Wert auf seine Meinung gelegt, damals, als er mich darin bestärkt hat, meine Haare zu schneiden. Selbst. Mit einer Nagelschere. Äh. Also, noch mal von vorne: Ich bin Jennifer Slaughter, gehe in deine Parallelklasse, kenne dich, weil jeder dich kennt, und kenne Phil aus der Grundschule, wobei ich erst in den Ferien bemerkt habe, dass es mein Philipp ist. Und irgendwie glaube ich, dass ich dich mag. Es wäre also nett, wenn du mich auch magst? Haha. Nein, ich wollte nur mal anfragen, ob du vielleicht, wenn du wieder in Berlin bist, was mit mir unternehmen willst. Die alte Kumpeline von Philipp und die neue sozusagen – ich hätte auch Bilder, auf denen der gute Junge Apfelmus aus der Nase spritzt. Liebe Grüße, Jennifer Gott, bring mich um und lass mich dein Klo putzen. Evangeline (d.d.a.b.i.u.a.m.b.a.) PS: Zumindest ist das echt cool. Ich mein, ich werde mich ganz bestimmt mit ihr treffen. So geil, wie ihr Name schon ist… PPS: Dieser Jacques-Heinrich muss mir u n b e d i n g t diese kambodschanischen Lieder beibringen! PPPS: Das mit der Toilette war nicht wortwörtlich gemeint. PPPPS: Mama sagt, ich soll das Klo putzen. PPPPPS: Ich finde das nicht witzig. PPPPPPS: Urghh, ich bin so ein Mädchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)