The Devil Went Down On George von Ashela92 ================================================================================ Prolog: -------- Sprachlos vor Ungläubigkeit starrte das Schwarzhaarige Mädchen ihrem Gegenüber in die Augen. „Wendy…“ Verzweifelt nach den richtigen Worten suchend, sah er auf seine Schuhe. „Wendy, es… es tut mir “ „DAS KANN UNMÖGLICH DEIN ERNST SEIN!!“ Stanley zuckte beim Klang ihrer Stimme zusammen. Noch immer ihrem Blick ausweichend stammelte er weiter: „B- Bitte versteh das nicht falsch. Es... es ist nur…“ Resignierend massierte er sich den Nasenrücken. „Mach das doch bitte nicht so kompliziert.“ „ICH SOLL ES NICHT SO KOMPLIZIERT MACHEN?!!“ Zur Hälfte hilfesuchend und zur anderen Hälfte innerlich darum bettelnd, dass niemand sie gehört haben mochte, ließ Stan den Blick über den von Pfützen und den üblichen Schneehäufchen bedeckten Schulhof schweifen. Jesus, dieses Mädchen konnte laut sein…! Mit gespaltenen Gefühlen stellte er fest, dass sie noch immer allein waren. Zu seiner enormen Erleichterung verstummte Wendys Stimme unterdessen und erst nach einigen Sekunden begriff er, dass sie ihn wütend anstarrte und darauf zu warten schien, dass er etwas sagte. „WARUM VERTEIDIGST DU DICH NICHT, DU GOTTVERDAMMTES WEICHEI?!!“, brach es schließlich ungeduldig mit schriller Stimme aus ihr hervor. „WAS GLAUBST DU EIGENTLICH, WER DU BIST? WAS, GLAUBST DU, GIBT DIR DAS RECHT DAZU…“ Mit jedem weiteren Wort wurde ihre Stimme noch lauter, bis sie irgendwann zu einem penetranten, tinitusartigem Pfeifen in seinen Ohren manifestierte. Jesus, dieses Mädchenkonnte nervtötend sein…! „…UND DANN RENNST DU WIEDER ZU DIESEN GRUFTIEKINDERN UND HEULST DIR DIE AUGEN AUS! DU WIRST SCHON NOCH SEHEN, WAS…“ „Weißt Du was, Wendy?!“ Stan konnte sehen, wie sie ihn erschrocken anblickte und instinktiv einen Schritt zurückwich. Nun musste er selbst wohl lauter gesprochen haben, als er gedacht hatte. Und tatsächlich, als er fortfuhr, bemerkte er, dass seine eigene Stimme ebenfalls einem Schreien gleichkam. „Vielleicht hast du Recht! Vielleicht BIN ich ein Wrack ohne Dich! Und vielleicht renn ich tatsächlich wieder zu den Gothkids, sobald diese Unterhaltung hier zu Ende ist. Ich weiß es nicht! Aber eines weiß ich auf jeden Fall Wendy. Nämlich, dass ich was Besseres verdient hab, als eine besitzergreifende, BESSERWISSERISCHE SCHLAMPE WIE DICH!!“ Als er ihr endlich ins Gesicht sah, hatte er einen Moment lang die Sorge, ihr Unterkiefer könnte abfallen, so weit war ihr Mund aufgerissen. Erst jetzt realisierend, was er dem Mädchen soeben entgegen gebrüllt hatte, glotzte er ungläubig zurück. Maßlos erschrocken und seinen eigenen Mund langsam öffnend und wieder schließend, wirkte er ein wenig wie ein trockengelegter Karpfen. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, in der sie nur dort standen und sich gegenseitig anstarrten. Dann, ehe er es sich versah, bemerkte er nur noch, wie seine Füße ihn über den Betonplatz und hinunter vom Schulgelände trugen, auf seinen Lippen ein breites Grinsen. Allein stand das dunkelhaarige Mädchen auf dem Schulhof und starrte, ohne ein Blinzeln, auf jene Stelle, an der soeben noch ihr Freund gestanden hatte. „Niemand…“, sprach sie schließlich in die nun einkehrte Stille, als sie sich wieder rühren konnte, „Niemand macht Schluss mit Wendy Testaburger…!“ Kapitel 1: "Anaconda" war ein Tiefpunkt der Filmgeschichte! ----------------------------------------------------------- „Du hast WAS?!“ Schwer atmend und strahlend, als hätten die Broncos soeben den Championship gewonnen, stand er vor mir und nickte eifrig. Wahrscheinlich, dachte ich mir, weil er zu sehr außer Atem war, um die Geschichte noch einmal zu wiederholen. Er hatte mir erzählt, dass er den gesamten Weg von der Schule bis zu mir nach Hause gerannt war. „Wow, Dude…!“, war das einzige, das ich unterdessen hervorbringen konnte. ‚Besitzergreifende, besserwisserische Schlampe‘ war nichts, dass man einfach so zu Wendy sagte (es sei denn, man hieß zufällig Eric Cartman). „Du hättest ihr Gesicht sehen sollen!“, lachte der schwarzhaarige Junge, als er endlich ins Haus eintrat und sich die Schuhe abputzte. Er war so aufgeregt gewesen, dass er sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hatte, hereinzukommen und mir das Geschehene stattdessen noch im Türrahmen geschildert hatte. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Armbanduhr, die ich zu Weihnachten von meinem Vater bekommen hatte. Es war viertel vor drei an einem Samstag. Meine Eltern waren schon früh zur Testamentsverlesung einer Tante meines Vaters gefahren, von der ich noch nie zuvor etwas gehört hatte, geschweige denn, sie jemals getroffen zu haben. Auf jeden Fall aber hatten sie mir erzählt, dass besagte Verlesung recht weit weg stattfinden sollte, und sie daher erst heute Abend wieder zurückkommen würden. Ike war, seit gestern Abend bei einem Jungen namens Fillmore und würde, soweit ich wusste, auch den Rest des Wochenendes dort verbringen. Als Stan mir am Tag zuvor erzählt hatte, dass er keine Zeit haben würde, da er eine Verabredung mit Wendy hätte, hatte ich mich bereits auf einen langweiligen Tag vor dem Fernseher eingestellt. Cartman war übers Wochenende irgendwo hingefahren, wo es 'viel zu geil für dreckigen Juden-Daywalker, wie du es einer bist, Kaahl!' war und Kenny war momentan tot und es war wahrscheinlich, dass er es auch bis mindestens Morgen noch bleiben würde. Ich war also froh, als der beste meiner Freunde schließlich doch noch vor meiner Haustür stand. Und noch um einiges glücklicher, als ich erfuhr, warum. Hinter mir hörte ich ein leises 'thud' und als ich mich umdrehte, konnte ich sehen, dass ebenjener sich mittlerweile aufs Sofa hatte fallen lassen. Er grinste noch immer. „Dude!“, lachte er, augenscheinlich in einer so guten Laune, wie ich ihn seit einer Ewigkeit nicht mehr erlebt hatte. „Ich bin so froh, dass ich das endlich hinter mich gebracht hab! Ich war’s ja sowas von leid, von dieser Schlampe rumkommandiert zu werden!“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ich schloss zuerst die Tür und dann mich ihm an, indem ich zu ihm hinüber ging und mich neben ihm auf die Couch fallen ließ, was dazu führte, dass er ein kleines Stück zu mir hinüber rutschte. Stan entfernte seine Arme aus derer vorheriger Position und stütze sich stattdessen mit den Händen aufs Sitzkissen, um wieder ein Stück wegzurücken, bevor er sie wieder in ihre vorherige Position zurückbewegte. Ich zog die Beine an und legte die Arme um meine Knie. Eigentlich durfte ich das nicht, denn meine Mum sagte immer, ich würde mit meinen schmutzigen Socken die Polster dreckig machen. Aber jetzt war sie ja nicht hier, um es mir zu verbieten… „Ich hoffe, dass wir jetzt mal wieder mehr miteinander unternehmen können.“, begann ich, und versuchte dabei, nicht allzu zaghaft zu klingen. „Ich hab‘s echt satt, alleine mit Cartman rumzuhängen. Und außerdem glaub ich, dass der Fettarsch auch ganz glücklich darüber wär, wenn Du mal wieder mit dabei wärst. Ich glaube nämlich, dass ihm langsam die Judenwitze ausgehen.“ Stan lachte ein bisschen und ich nutzte die Gelegenheit um das Thema anzusprechen, auf das ich eigentlich hinauswollte. „Ääähm…“ Stan schien an der Tonlage meiner Stimme bemerkt zu haben, dass ich etwas auf dem Herzen hatte, und sah mich mit einer seltsamen Mischung aus böser Vorahnung und besorgtem Misstrauen an. Ich biss mir auf die Unterlippe. „Du bist Dir aber schon sicher, dass Du…“ „Dass ich was...?“ Seine Stimme klang so, wie sein Blick aussah: Misstrauisch und besorgt. Und als würde er ahnen, dass ich jeden Moment etwas sagen würde, dass bei jedem, der nicht sein bester Freund war, ungemein verletzend geklungen hätte. Dieser Blick war es, der es mir schwer machte, weiter zu sprechen und ich musste mir einen Moment lang auf die Zunge beißen, bevor ich es doch tun konnte. „Du bist Dir sicher, dass Du diesmal…“ Ich seufzte resignierend und machte eine abwinkende Handbewegung. „Du willst wissen, ob ich’s diesmal auch ernst meine und nicht wieder bei der nächsten Gelegenheit zu Wendy zurückgekrochen komme.“ Er sagte das wie eine Feststellung und gerade das bereitete mir ein schlechtes Gewissen. „Um ehrlich zu sein…“, brachte ich heraus, „…nun… Ja.“ Stanley lächelte, selbst wenn es ein wenig so schien, als müsse er sich selbst dazu zwingen. „Hey“, er schlug mir auf die Schulter, als sei ich derjenige, den er trösten müsse, „Diesmal mein ich’s ernst! Die ist für mich gestorben!“ Er grinste optimistisch. Einen Moment lang schwiegen wir, doch im letzten Augenblick, bevor die Stille unangenehm wurde, sprang er auf. „Und? Wie feiern wir mein neu gewonnenes Leben jetzt?“ Ich zuckte mit den Schultern. Aus irgendeinem Grund ungemein erleichtert, stellte ich fest, dass auch meine Haltung sich entspannt hatte. „Wie wär’s mit ‘nem Sandwich?“ Er nickte enthusiastisch und machte sich auf den Weg in die Küche. Ich erhob mich vom Sofa und folgte ihm. „Thunfisch oder Erdnussbutter?“, fragte ich ihn, während ich den nicht mehr allzu sehr gefüllten Kühlschrank durchforstete. „Erdnussbutter klingt gut.“, hörte ich ihn hinter mir sagen und dann das Geräusch des sich öffnenden Brotkastens. Ich nahm das Glas mit dem Aufstrich heraus, schloss den Kühlschrank und stellte es auf die blankgeputzte Platte unseres Küchentisches. „Sag mal, weißt Du eigentlich, wo Cartman heute ist?“, fragte ich, allein aus dem Grund, dass ich keine Lust mehr hatte, mich über Wendy zu unterhalten und mir sonst kein anderes Thema einfiel. „Er sagte irgendetwas davon, dass er mit seiner Oma zu ‘ner Flugschau fahren würde.“, sagte der Junge, biss von seinem soeben geschmierten Brot ab und kaute einen Moment lang daran, bevor er es schließlich hinunterschluckte und fortfuhr. „Er hat gestern sogar gefragt, ob ich mitkommen will…“, sprach er und puhlte sich ein Stückchen Erdnuss zwischen den Zähnen hervor. „Und Du hast abgesagt?“, plätscherte die Unterhaltung dahin und ich begann mein eigenes Stück Brot zu beschmieren. „Ja, ich wollte das mit Wendy einfach nicht länger hinauszögern.“ Eine Sekunde fürchtete ich, das Gespräch würde wieder auf seine (nun) Ex-Freundin hinauslaufen, doch zu meiner Erleichterung sollte dem nicht so sein. „Außerdem hätte das bestimmt wieder in einer seiner bescheuerten Verarschen geendet und, weißt Du, ich hänge doch zu sehr an meinen Eltern, um sie in einem Chili wiederzufinden!“ Ich lachte und biss dann in mein Brot. Als er dann einige Zeit lang nichts mehr sagte, sah ich verwundert auf und bemerkte, dass Stans Blick nachdenklich aus dem Fenster geschweift war. „Was ist?“, fragte ich und sah, wie er ein wenig zusammenzuckte. „Ach, nichts…“, antwortete er eine Spur zu hastig. Seine Augen wanderten auf meinen nunmehr von nichts als ein paar Brotkrumen übersäten Teller. „Hey, hast Du Lust, Jennifer Lopez in Starks Pond zu versenken?“ Seine Stimme klang jetzt wieder normal, also dachte ich mir nichts weiter. „Ja, klar.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hol sie!“ Als ich gemeinsam mit der lädierten Plastikpuppe wieder nach unten kam, hatte Stan den Tisch abgeräumt, und wartete bereits an der Treppe auf mich. „Wir müssen uns beeilen, sonst ist es dunkel, ehe wir da sind.“ Ich nickte und kurz darauf hatte ich meine Schuhe angezogen, und machte mich gemeinsam mit Stan, Jennifer Lopez und einem seltsamen Gefühl im Bauch, auf den Weg zu dem kleinen See, der mehr wie ein großer Teich war. Wir verbrachten den Rest des Nachmittags mit dem Traktieren des Abbilds des südländischen pseudo-Multitalentes und erst, als besagte Dame ihr endgültiges Grab im schmutzigen Wasser gefunden hatte, machten wir beide uns wieder auf den jeweiligen Heimweg. Es war, wie gesagt, ein Samstag und normalerweise hätte das eine Übernachtung bedeutet, doch diesmal war es anders. Stan hatte mir nun mal erzählt, dass er heute keine Zeit haben würde, und ich hatte keine große Lust, mich mit meiner Mutter, der ich erzählt hatte, er würde nicht kommen, zu streiten, wenn sie am Abend wiederkam und er dennoch anwesend war. Sowieso war es mir ein Rätsel, warum mein bester Freund gleich für den gesamten Tag abgesagt hatte. Ich hatte zwar noch keine Erfahrung mit solchen Dingen, aber wie lange konnte so eine Schlussmachaktion denn normalerweise schon dauern? Ich bemerkte, wie ich intuitiv die Augenbrauen hochzog, obwohl niemand anwesend war, der es hätte sehen können. Es war bereits ziemlich dunkel und die Straßen waren leer. Nicht, dass jemals allzu viele Menschen auf South Parks Straßen unterwegs waren und erst recht nicht in Nähe unseres Hauses. Als ich an besagtem Gebäude ankam, stand noch immer kein Auto davor und auch das Licht war ausgeschaltet, ich konnte also davon ausgehen, dass meine Eltern noch immer fort waren. Wie spät es wohl war…? Zum wiederholten Mal heute ging ich der Frage nach, indem ich einen Blick auf meine Armbanduhr warf. Halb neun. Wahrscheinlich standen sie irgendwo im Stau… Aufgrund dessen beschloss ich, mir die Tiefkühlpizza, von der ich wusste, dass sie noch im Gefrierfach lag, warm zu machen. Jennifer Lopez vom Schauspielern abzuhalten machte hungriger, als man meinen sollte. Ich hoffte nur, dass meine Mutter nicht zuhause sein würde, ehe ich mich mit meinem Abendessen aufs Zimmer verzogen hatte. Sie wollte nicht, dass ich so spät abends noch etwas aß. Sie meinte, dass sei ungesund. Als die Pizza im Backofen vor sich hin schmorte, hatte ich nichts Besseres zu tun, als durch das Fenster hindurch auf die, nun dunkle, Straße zu starren. Obwohl es mir den gesamten Nachmittag über gelungen war, nicht an Wendy zu denken, konnte ich nun nicht länger umhin. Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Es war wie eine böse Vorahnung… Ich hoffte nur, dass Stan wirklich so gut damit klarkam, wie er tat. Bisher war er noch jedesmal zu ihr zurückgekrochen und ich war mir nicht sicher, warum es diesmal anders sein sollte. Und wie war es überhaupt mit Wendy? Nicht, dass ich mir Gedanken um ihre Gefühle machte… Es war vielmehr, dass ich ein wenig Angst um Stan hatte. Immerhin war ein Mädchen wie Wendy es nicht gerade gewohnt, dass jemand sie abservierte. Ich erinnerte mich noch daran, was sie damals mit der lesbierischen Aushilfslehrerin gemacht hatte, als sie dachte, sie wollte ihr Stan ausspannen. Bebe hatte mir während der kurzen Phase, in der sie dachte, wir wären zusammen, einmal davon erzählt. Es hatte mich ein wenig erschrocken, dass jemand außer Cartman zu so etwas fähig war, doch wirklich wundern tat es jemanden, der den Großteil seines Lebens in dieser Stadt verbracht hatte, nicht. Der Punkt war jedoch, dass, wenn Wendy eine fünfzehn Jahre ältere Frau von abendländischen Antiterrorkämpfern zum Mond schießen lassen konnte, weil sie dachte, dass diese ihr ihren neunjährigen Freund wegnehmen wolle, was würde sie dann mit ebendiesem Jungen tun, wenn er ihr einen Korb verpasste…? Ich schüttelte sachte den Kopf und verdrängte die Gedanken wieder, versuchend, mich selbst davon zu überzeugen, dass meine Sorgen unbegründet waren. Draußen auf der Straße konnte ich hören, wie ein Auto vorbeifuhr und ich erinnerte mich wieder daran, dass ich mich besser beeilen sollte. Die Pizza war bereits ein wenig zu dunkel, als ich sie aus dem Ofen nahm, aber noch nicht zu sehr, als dass man sie nicht mehr hätte essen können. Ich verbrannte mir die Finger, weil ich den Küchenhandschuh nicht finden konnte und mit einem Handtuch improvisieren musste. Leise fluchend und kurz bevor ich hören konnte, wie unten die Haustür ins Schloss fiel, betrat ich schließlich mein Schlafzimmer und ließ mich gemeinsam mit der Pizza aufs Bett fallen. Ich zog noch meine Schuhe aus und warf sie in eine Ecke, dann lehnte ich mich zurück und begann zu essen. Das ungute Gefühl war noch immer nicht ganz verschwunden, ließ sich jedoch für den Moment recht gut ignorieren. Wahrscheinlich war ich ohnehin nur paranoid. Spätestens Montag würde die ganze Sache vergessen sein und alles wäre wieder normal. Ganz bestimmt… Kapitel 2: Philippe Dauman sieht dir beim Schlafen zu ----------------------------------------------------- Wie gewohnt erwachte der Junge auf dem unbequemen Steinboden. Lustlos blinzelnd richtete er sich auf und ließ den Blick durch die vertraute Gegend schweifen. Nachdem er zu seiner Erleichterung festgestellt hatte, dass seine Augäpfel sich wieder an ihrem rechtmäßigen Platz befanden, strich er sich eine schmutzige Haarsträhne aus dem Gesicht, die seine wiedererlangte Sehkraft behindert hatte. Er stand auf und klopfte den Staub von dem orangefarbenen Stoff, aus dem seine Kleidung gemacht war. Dann zog sich die Kapuze vom Kopf. Es war schließlich warm genug hier unten. Dennoch wollte er seine Jacke nicht ganz ausziehen. Wie so häufig trug er nichts unter seinem Parker und es war wahrscheinlich nicht gerade ratsam für einen Jungen seines Alters an einem Ort, den so reizende Menschen wie Marc Dutroux ihre Heimat nannten, halbnackt durch die Gegend zu laufen… Langsam durch die Gegend schlendernd, überlegte er, wie er sich diesmal die Zeit vertreiben sollte, bis er wieder nach oben geschickt wurde. Flüchtig grüßte er einige Bekannte, die ihm über den Weg liefen, bis schließlich etwas seine Aufmerksamkeit auf sich zog. „Damien!“, rief er dem anderen Jungen fröhlich zu. Dieser sah kurz zu ihm hinüber, dann aber schnell wieder weg und ging, vortäuschend er hätte nichts gehört, rasch wieder seiner ursprünglichen Beschäftigung nach, die darin bestand, zum Klang schmerzerfüllter Schreie eine Streckbank zu bedienen. Kenny ließ sich vom offensichtlichen Unwillen des Dämons allerdings nicht weiter beirren und rannte dennoch auf ihn zu. „Damien.“, wiederholte er, als er schließlich bei dem Angesprochenen angekommen war und eine Hand auf seine Schulter legte, woraufhin dieser leicht zusammenzuckte, sich dann aber umdrehte. „Oh… Hi Kenneth!“, begrüßte er den anderen schließlich mit der eunuchenhaften Stimme, die so charakteristisch für ihn war, und wirkte dabei eine Spur zu überrascht. „Was machst Du denn hier…?“ Der temporär verstorbene warf ihm einen ‚Was-werd-ich-wohl-hier-machen‘-Blick zu, ging allerdings nicht weiter auf die Dummheit des Satzes ein. „Du sollst mich nicht Kenneth nennen.“, sagte der Junge stattdessen, obwohl er wusste, dass der andere sich ohnehin nicht daran halten würde. „Oh, ääh… Ja, natürlich.“, antwortete Damien in einem gehetzt wirkenden Tonfall, der Kenny das Gefühl vermittelte, dass er ihm nicht wirklich zugehört hatte. „Hör… Hör zu, Kenneth, ich hab gerade ziemlich viel zu tun, also-“ „Ach, komm schon!“ Kenny konnte nicht umhin, zu bemerken, dass Damien sich die ganze Zeit über nervös umzusehen schien. „Ich dachte, wir könnten mal wieder was zusammen unternehmen. Ich hab Dich so lange nicht mehr gesehen!“ Er wies mit einer Kopfbewegung auf die arme Seele auf der Streckbank hin, von der ihm jetzt auffiel, dass es ein noch recht junges, stark übergewichtiges Mädchen war, dass beängstigend starke Ähnlichkeit mit einem Mopps zu haben schien. „Die da wird schon nicht weglaufen.“ Der Blondschopf kicherte ein wenig über seinen eigenen Witz, während von dem Folterinstrument ein genervtes „Ha, ha, sehr witzig…“ zu vernehmen war. Damien biss sich auf die Unterlippe. „Ich… ich glaube nicht, dass…“, stotterte er. Kenny seufzte. „Jetzt sag schon, was los ist. Du gehst mir schon seit Tagen aus dem Weg!“ Sein Gegenüber blickte beschämt zu Boden. „Mein… Mein Dad will nicht, dass ich mit Dir rede…“ Das fette Mädchen auf der Streckbank konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, woraufhin Damien mit einem wütenden Blick ihre Haare in Brand steckte. „AAAH!!“ Doch auch Kenny hatte Probleme, sich das Lachen zu verkneifen, denn immerhin hatte es schon etwas bemitleidenswert-komisches, dass gerade der Antichrist höchstpersönlich dermaßen unter dem Scheffel seines Vaters stand. „Warum das?“, fragte der Junge und hoffte, dabei nicht allzu belustigt zu klingen. „Er sagt“, begann der Andere wieder und musste dabei lauter sprechen um die Schreie des noch immer in Flammen stehenden Opfers zu übertönen, „er sagt, Du würdest mir schlimme Worte beibringen. Wie…“ , er senkte die Stimme wieder, diesmal soweit, dass sie über das Heulen der Gequälten gerade mehr als nur ein Flüstern war „…‚Fuck‘ oder ‚Vaginalherpes‘…“ Kenny zuckte verständnislos mit den Schultern. „Das sind doch keine schlimmen Wörter. Meine Eltern sagen sowas andauernd.“ „Vielleicht ist die Einstellung ja der Grund dafür, dass du andauernd hier landest, statt weiter oben!“, bemerkte Damien, der, ob der Anzweiflung der Autorität seines Vaters, selbst ein wenig verletzt zu sein schien. „Ist ja gut!“, entgegnete Kenny mit einer verteidigenden Handbewegung, „Da drüber wollte ich sowieso mit deinem Dad sprechen. Bringst Du mich wenigstens zu ihm?“ Der Dämon zögerte einen Moment lang unentschlossen, antwortete dann aber. „Ich glaube, das geht in Ordnung…“ Kenny lächelte dankbar und wartete, bis Damien die Handschuhe, die er zur Vorbeugung von Schwielen an den Händen trug, ausgezogen hatte und sie sich auf den Weg machen konnten. „Hey! Und was ist mit mir?!“, ertönte es hinter ihnen, als sie gerade losgehen wollten. „Ach ja, die hätte ich ja fast vergessen…“, murmelte Damien und drehte sich noch einmal um, augenscheinlich nach jemandem suchend, der für ihn einspringen konnte. Schnell wurde er fündig. „Hey, Philippe!“, rief er einen, sich gerade in der Nähe aufhaltenden, Herrn herbei. Seine Haare bildeten einen nahezu perfekten Halbkreis, der seinen Glatzkopf einbettete wie ein Vogelnest ein übergroßes, stark poliertes, Ei. „Könntest Du Dich wohl bitte um sie hier kümmern.“, bat Damien den Mann mit respektvollem, jedoch vertrautem Ton. „Sicherlich.“, antwortete dieser und machte sich sogleich an die Arbeit. „Das meinte ich nicht!“, schrie das Mädchen den Jungen hinterher, als sie sich von ihr abwandten, bevor ihr Meckern in schmerzerfüllte Schreie überging, die sehr viel lauter waren als zuvor, als es noch Damien es gewesen war, der sie folterte. „Wer war das denn?“, fragte Kenny, als sie sich ein Stück entfernt hatten. „Ach, das…“ Damien schien zu überlegen. „Das ist der Mann, der Hitler, als der noch ein Kind war, sein Dreirad geklaut und die Schuld dann auf den jüdischen Nachbarsjungen geschoben hat. Eine gute Arbeitskraft.“ „Oh…“ Es dauerte nicht lange, bis sie die kleine Eigentumssiedlung am Rande des Styx erreichten, in welcher der Teufel auch jetzt noch lebte. „Da sind wir.“, sagte Damien, als sie vor einem der Häuser anhielten, die sich alle dermaßen ähnlich sahen, dass es Kenny beinahe wunderte, dass der andere Junge sie überhaupt auseinanderhalten konnte. „Nett…“, bemerkte Kenny und ließ den Blick über die mit Blumentöpfen und Spitzenvorhängen verzierten Fenster schweifen. Er hatte Satan noch nicht häufig besucht. Eigentlich hatte er lange schon keinen Anlass mehr dazu gehabt und außerdem war der Fürst der Finsternis eine sehr beschäftigte Person. Damien drückte auf die Klingel und eine dieser nervtötenden und nicht enden wollenden Melodien, wie man sie für so ein Haus nicht anders erwartet hätte, ertönte. Erst nach gefühlten Stunden verhallte das Geräusch und, als hätte er die ganze Zeit über hinter der Tür gestanden und auf das Verklingen gewartet, öffnete Damiens Vater die Tür. „Guten Abend, ääh… Mr. Satan.“, begrüßte Kenny ihn, ein wenig unsicher, wie er den massigen Herrn ansprechen sollte. „Ah, hallo Kenneth!“, entgegnete dieser freundlich, „Schön Dich mal wiederzusehen!“ Er stockte, als er seinen Sohn sah, der ein Stück hinter dem Jungen stand. „Damien! Hatte ich Dir nicht eigentlich verboten-“, begann der Teufel mit semi-autoritärer Stimme, bevor ihm wieder bewusst wurde, dass Kenny in diesem Augenblick anwesend war. „Ich weiß, Dad… Tut mir leid.“, entschuldigte der Schwarzhaarige sich demütig. „Es ist nicht, als hätte ich etwas gegen Dich, Kenneth…“, wandte Satan sich an den Jungen, als er erkannte, dass dieser bereits wusste, worum es ging. „Es ist nur, dass ich eine solche Fäkalsprache bei meinem Sohn nicht dulden kann. Wir sind ein ehrenwertes Haus!“ „Schatz, wer ist da?“ Alle drei Anwesenden drehten sich nach der Stimme um, deren Ursprung im Inneren des Hauses lag. Bevor Satan ihr antworten konnte, stand ihr Besitzer, ein Mann mittleren Alters, jedoch schon neben ihm. Das Haar auf seinem Kopf war bereits ein wenig licht, seine Ohren schienen für den Rest seines Gesichts etwas zu groß zu sein und insgesamt konnte Kenny nicht umhin, sich an einen Schimpansen erinnert zu fühlen. Der Blick des Mannes glich allerdings eher dem eines Welpen, was ihm etwas nahezu verstörend Niedliches verlieh. „George W. Bush?!“, rutschte es Kenneth heraus, bevor er sich selbst aufhalten konnte. Angesprochener blinzelte ein wenig verwirrt, als hätte er noch nicht ganz begriffen, was los war, bevor er antwortete. „Ja, das bin ich!“, kam es schließlich aus ihm heraus, während er dem Jungen vor sich einen neugierigen Blick schenkte. „Und wer bist du?“ „Oh!“, mischte Satan sich mit der Manier eines überforderten Gastgebers ein, „Ich habe Euch ja noch gar nicht vorgestellt… Kenneth-George. George-Kenneth. “ Er beugte sich ein wenig hinunter und wandte sich mit einer etwas leiseren Stimme an Kenny, als würde er höflichkeitshalber nicht wollen, dass der Ex-Präsident ihn hörte. „George und ich sind jetzt ein Paar…“, flüsterte er, wie es schien ein wenig lauter, als es seine Absicht gewesen war. „Aha…“, war alles, was Kenny im Gegenzug hervorbringen konnte. Damien schnaubte verächtlich, doch Satan schien es nicht zu bemerken. „Ääähm… Ich wusste gar nicht, dass Sie tot sind, Mr. Bush.“, bemerkte Kenny, dem die Situation ein wenig unangenehm war. „Was? Oh… Schon länger, als die meisten Leute glauben…“, entgegnete er mit übertrieben mysteriöser Stimme. „Ah ja… Schon klar…“, Kenny hob skeptisch eine Augenbraue, ging jedoch nicht weiter auf Mr. Bushs Äußerung ein. Ihm lag nicht sonderlich viel an Verschwörungstheorien. Wahrscheinich, weil es, jedesmal, wenn er versuchte eine aufzudecken, mit einem besonders schmerzhaften Ableben für ihn endete. Dieser Gedanke war es, der den Jungen der Unterschicht wieder auf den eigentlichen Grund brachte, weshalb er dem Fürsten der Finsternis einen Besuch abstattete. Unschlüssig suchte er nach den richtigen Worten, um dem Teufel seine Bitte vorzutragen, was, wie er feststellte, gar nicht so einfach war. Er wollte ja auch nicht unhöflich wirken. Gerade wollte er den Mund öffnen, um etwas zu sagen, da kam Satan ihm erneut zuvor. „Was stehen wir hier eigentlich im Türrahmen herum? Wollt ihr nicht reinkommen?“ Kenny nickte langsam und kurz darauf fand er sich gemeinsam mit Damien, seinem Vater und dessen Lebensgefährten in einer roséfarbenen Sitzecke wieder, in seinen Händen eine Porzellantasse mit Jasmintee. „Also“, begann Beelzebub, nachdem er einen kleinen Schluck aus seiner eigenen Tasse genommen hatte, „was ist denn nun der Grund für Euren Besuch?“ Aus den Augenwinkeln konnte Kenny sehen, wie Damien, in einer Geste, die ihm das Wort erteilte, auf ihn deutete. Dann ließ der Dämon seinen Blick gelangweilte zu den Hummelfiguren schweifte, welche ihren Platz auf der anderen Seite des Raumes in einem großen Glasschrank hatten. „Nun…“, begann Kenny noch ein wenig zögerlich, obwohl er sich bereits recht genau überlegt hatte, was er sagen würde, „Ich weiß, das ist jetzt ziemlich spontan, aber…“ Für eine Sekunde lenkte ihn die Tatsache ab, dass Satans Hand auf George Bushs Oberschenkel gewandert war, doch dann schüttelte er leicht den Kopf und sprach weiter. „Also… Ich wollte fragen… Wäre es vielleicht möglich, dass ich nicht mehr andauernd sterben muss?“ „Du willst… Oh…“ Satan hatte jetzt einen seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht und wirkte beinahe ein wenig desillusioniert. Seine Hand war vom Bein seines unbeteiligt wirkenden Liebhabers verschwunden, welcher mit aufmerksamen Blick den Flug einer Fliege beobachtete, und griff stattdessen nach der Teekanne um seine noch halbvolle Tasse nachzufüllen. „Gefällt es Dir hier denn nicht mehr?“, fragte er schließlich geradeheraus und enthüllte somit den Grund für seine Enttäuschung. „Magst Du nicht mehr kommen?“ „A… Aber nicht doch! Es ist echt toll hier! Es ist nur, es… nervt ein bisschen. Also, nicht, dass es mich nerven würde, hierher zu kommen. Vielmehr…“ Er seufzte. Das war schwerer, als er gedacht hatte. „Ich möchte Sie ja nicht irgendwie beleidigen, oder so, Mr. Satan. Aber, um ehrlich zu sein, habe ich nie die Bibel gelesen und deshalb weiß ich auch nicht, ob Sie Erfahrung damit haben, aber sterben ist nicht gerade angenehm. Sie können ja Ihren Freund fragen.“ Er wies mit einer Kopfbewegung auf Bush, der es jedoch nicht bemerkt zu haben schien und noch immer, mit mittlerweile leicht offenstehendem Mund, der Fliege hinterher starrte, die nun auf dem Rand seiner eigenen Teetasse herumkrabbelte, deren Inhalt er zuvor großzügig mit einer goldbraunen Flüssigkeit aus seinem Flachmann aufgefüllt hatte . „Außerdem wird es einem nicht gerade leicht gemacht, eine heiße Braut flach zu legen, wenn sich einem jedes Mal, wenn man versucht, sie zu küssen, wie aus dem Nichts ein Abflussrohr in den Schädel bohrt…“, setzte er leise murmelnd hinzu, obwohl er hoffte, dass sein Gegenüber diesen Teil nicht gehört hatte. Nun war der Teufel an der Reihe, einen unbehaglichen Seufzer vernehmen zu lassen. „Ach, Kenneth.“, setzte er an und seine Teetasse zum wiederholten Male ab, „Ich verstehe, was Du meinst.“ Der Junge bezweifelte das, sagte jedoch nichts. „Aber ich kann Dir leider nicht weiterhelfen. Allein bürokratisch schon… Dieser Job ist mit mehr Papierkram verbunden, als man meinen sollte!“ Kenny blickte enttäusch zu Boden. Also war er doch auf ewig dazu verdammt, jeden Morgen mit der Gewissheit aufzuwachen, dass er den Abend mit großer Sicherheit nicht mehr erleben würde - was nicht gerade das höchste aller Gefühl war, wie man sich denken konnte – und außerdem, was wahrscheinlich noch schlimmer war: Er würde niemals dazu kommen ‚mit einer heißen Schnecke am Kaminfeuer Liebe zu machen‘, wie Chefkoch - Gott hab ihn selig - zu sagen gepflegt hatte. Sich auf die Lippe beißend, blickte der Junge, im verzweifelten Versuch, den Herrn der Hölle doch noch umzustimmen, noch einmal auf. „Bitte…?“ Erneut ließ Satan einen Seufzer ertönen. „Nun ja…“, resignierte er schließlich, „Eine Möglichkeit gäbe es da vielleicht doch noch…“ Kapitel 3: Heterosexuelle Beziehungen sind was für Schwuchteln! --------------------------------------------------------------- „…Wie kann er mir das nur antun? Denkt er wirklich, er kann so mit mir umspringen?!“ Das ging jetzt schon den ganzen Tag lang so. Bereits, als wir uns heute Morgen auf dem Vorplatz der Kirche getroffen hatten, hatte es angefangen. In einer Mischung aus vollkommener Perplexität und ungeheurer Wut erzählte sie mir in einer solchen Geschwindigkeit und Ausdauer von den Ereignissen des Vortages, dass ich schon begonnen hatte, mich zu fragen, wann sie beginnen würde, blau anzulaufen. Auch im Gottesdienst hatte sie nicht aufgehört. Erst als sie zum dritten Mal von Pfarrer Maxi ermahnt wurde, senkte sich ihre Stimme ein wenig. Als sie dann schließlich später mit zu mir nach Hause kam, hatten wir das gemacht, was ansonsten eigentlich immer half, um sie zu beruhigen: Eine Beauty-Session. Wendy Testaburger war vielleicht ein Mädchen, das beteuerte, sich nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen und womöglich war das auch ihre tatsächliche Überzeugung. Dennoch änderte das nichts daran, dass eine Maniküre und ein wenig Makeup für gewöhnlich Wunder bei ihr bewirkten. Doch diesmal hatte es nicht geholfen. Es war bereits Nachmittag, ihre Fingernägel lackiert und ihre Haare gelockt und trotzdem hatte sie noch immer schlechte Laune. Gerade in diesem Moment saßen wir zu zweit auf meinem Bett und sahen uns meine DVD der zweiten Staffel von ‚Sex and the City‘ an. „Ich meine, was habe ich denn bitte falsch gemacht?!“, fragte sie recht unbeeindruckt von der Tatsache, dass Miranda gerade mit Charlottes Freund anbandelte. Ich konnte nicht anders, als die Augen zu verdrehen. Zum Glück schien sie allerdings nichts bemerkt zu haben, da sie noch immer wütend auf den Fernsehbildschirm starrte. „Wir gehören zusammen, das weiß ich einfach! Wir sind ein Paar, das kann er doch nicht von einem Tag auf den nächsten einfach so wegwerfen!“ „Wendy…“, stöhnte ich, „Ist Dir schon mal in den Sinn gekommen, dass Du vielleicht ein bisschen… obsessiv sein könntest?“ Sie wandte sich vom Bildschirm ab und warf mir stattdessen einen bösen Blick zu. „Obsessiv? Sei nicht albern, Bebe!“ Ich hob eine Augenbraue. „Wie oft hast Du jetzt schon mit Stan Schluss gemacht?“ Sie sah mich forschend an, als würde sie nicht ganz verstehen, worauf ich hinauswollte, schien dann aber im Geiste zu zählen zu beginnen. Als sie nach einigen Sekunden nicht antwortete, sprach ich weiter. „Seit der dritten Klasse waren es sieben Mal, Wendy!“ „Und was willst Du damit sagen?“, fragte sie, obwohl in ihrer Stimme jetzt ein Hauch von Schuldbewusstsein zu hören war und ich ihr ansehen konnte, dass sie die Antwort bereits wusste. Ich verzog das Gesicht. „Nur weil er jetzt ein einziges Mal mit Dir Schluss macht, drehst Du gleich durch!“ Sie hätte es wahrscheinlich beinahe eingesehen, hätte ich wiederstehen können, etwas zu tun, von dem ich damals noch nicht wusste, was für Kreise es später noch einmal ziehen würde. „Also stell Dich nicht so an, Wendy…!“, fügte ich hinzu. Für einen Augenblick hatte ich beinahe die Angst, ich könnte zu Eis erstarren, so kalt war der Blick, den sie mir in diesem Moment zuwarf. „Was soll das heißen, ‚stell Dich nicht so an‘?!“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Ich habe ein Recht darauf, mich anzustellen! Wenn Stanley glaubt, er könnte mich einfach wegwerfen wie eine alte Puppe, dann hat er sich aber geschnitten!“ „Nach ein paar Tagen kommt er doch sowieso wieder zu Dir zurückgekrochen! Das war bisher immer so…“, versuchte ich sie wieder zu beruhigen. „Das mag ja sein“, ihre Stimme schien beim Gedanken daran einen befriedigten Klang anzunehmen, „Aber bisher war es ja auch noch nie er der Schluss gemacht hat!“ Die Unterhaltung drehte sich im Kreis und so seufzte ich genervt. Doch da kam mir plötzlich ein Einfall. „Na schön“, meinte ich schließlich, nachdem ich kurz überlegt hatte, „wenn Du Dich unbedingt an ihm rächen willst, dann tu’s!“ Sie sah mich verblüfft an. Wahrscheinlich weil sie überrascht war, wie schnell ich meine Meinung über die ganze Sache geändert hatte. „Wie meinst Du das…?“, fragte sie nach einem Moment ein wenig skeptisch. „Naja, wenn Du nicht willst, dass ein Kind etwas tut, bestrafst Du es wenn es die Sache getan hat, nicht wahr?“ Sie nickte langsam. „Mach’s mit Stan einfach genauso! Erteil ihm eine Lektion und ihm wird klar werden, was er an Dir hat!“ Ich bemerkte, dass meine Worte nicht viel Sinn machten, Wendy schien von der Idee allerdings trotzdem begeistert zu sein. „Und wie soll ich das machen?“, fragte sie und lehnte sich auf dem Bett erwartungsvoll nach vorne. Wieder überlegte ich kurz. Das könnte noch wirklich lustig werden… „Also!“, schoss es, als ich schließlich eine Idee hatte, so laut aus mir heraus, dass sie vor Schreck leicht zusammenzuckte. „Alles, was Du tun musst, ist, ihn eifersüchtig zu machen! Dann wird er schon merken, wie sehr Du ihm fehlst. Das klappt bei Jungs immer!“ „Ja, aber wie mach ich das?“ Diese Frage überraschte mich aus dem Munde eines Mädchens - besonders, wenn dieses Mädchen Wendy Testaburger war! „Nun“, begann ich langsam, „wen aus unserer Schule hasst Stan am aller meisten?“ „Äääähm….“ Sie dachte nach. „ Mr. Garisson…?“ „Neeeiin!“, stöhnte ich, „Welchen Jungen?“ „Achso… Eric Cartman.“ Ich nickte elanvoll. „Und wie genau soll mir das jetzt-“ Wendy brach ab und starrte mich entsetzt an. „Nein…“, sagte sie mit einer Stimme, die beinahe einem Flüstern glich. „Das kann unmöglich Dein Ernst sein!“ Sie schien jetzt aufgebracht. Ich blinzelte zweimal. „Willst Du, dass Stan Dir für immer und ewig auf der Nase rumtanzt?“, fragte ich und klang dabei vielleicht eine Spur zu kokett. „Nein, aber- Cartman ist außerdem der Junge, den ICH am meisten hasse!! Und außerdem… Das… Das hatten wir schon mal! Und schon damals hat’s nicht funktioniert!!“ „Naja… Wenn du meinst.“ Desinteresse heuchelnd, streckte ich mich bäuchlings übers Bett aus und begann lustlos eine Modezeitschrift durchzublättern. Sie rührte sich nicht. „Du kannst ja auch einfach aufgeben…!“, meinte ich und tat, als würde ich einen Artikel über die Saisonfarbe von Gipsbeinen überfliegen. Einen Moment lang herrschte noch Stille, nur unterbrochen vom regelmäßigen Geräusch umgeblätterter Seiten. „Verdammt!“, hörte ich sie schließlich fluchen und merkte dann, wie sie vom Bett aufstand. Auf meinem Gesicht breitete sich ein triumphierendes Lächeln aus. „Na geht doch…“, murmelte ich leise und beobachtete, wie sie ihr violettes Barett, das sie zum Haare waschen abgenommen hatte, aufsetzte und sich die Jacke überzog. „Wo willst Du denn hin…?“, fragte ich mit übertriebener Unwissenheit, wobei ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte. Sie schenkte mir zur Antwort einen bösen Blick und ich legte die Zeitschrift beiseite und erhob mich nun auch langsam von der Matratze. Meine eigene Jacke überziehend, musste ich mich ein wenig beeilen, um sie noch einzuholen, ehe sie die Treppe hinuntergelaufen war. Bereits kurze Zeit später befanden wir uns auf dem Weg durch das mittägliche South Park, die Hände in den Taschen und mein Blick siegesreich auf das schwarzhaarige Mädchen neben mir gerichtet, welches, ein wenig beschämt, zu Boden sah. Es dauerte nicht lange, bis wir das Haus erreicht hatten. In einer so kleinen Stadt wie dieser lag nichts allzu weit voneinander entfernt. Wir standen jetzt unten an der Straße, direkt neben dem Briefkasten der Cartmans und ich konnte sehen, wie meine Freundin unentschlossen zu der olivgrünen Hausfassade aufsah. Ihre Hände sich in den Taschen windend, richtete sie ihren Blick schließlich flehend auf mich. Ich zog stumm eine Augenbraue hoch und versetzte ihr mit dem Ellbogen einen leichten Stoß. Ihre Stirn in Falten legend, sah sie mich noch ein letztes Mal an, bevor sie in einer Geste überzogen wirkender Eleganz ihre Haare zurückwarf und sich widerwillig auf den Weg zur Haustür machte. Nicht sicher, ob ich besser unten warten, oder ihr folgen sollte, zögerte ich noch einen Moment, bevor ich mich für letzteres entschied und ihr schnellen Schrittes nachkam. Als ich neben ihr an der Haustür stand, schwebte Wendys Zeigefinger noch immer unentschlossen über der Türklingel. Warum stellte sie sich nur so an?! Als sich nach einem Moment noch immer nichts an ihrer Position verändert hatte, stieß ich sie sanft zur Seite und drückte selbst auf den Knopf zu Betätigung der Türklingel. „Muuu~m!! Da ist jemand an der Tüüü~r!!“, war es fast augenblicklich von drinnen zu vernehmen. Danach herrschte einen Augenblick lang Stille und ein „Verdammter Mist!!“ und ein sofort darauf folgendes Knarren der Couch. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Wendy erneut die Stirn runzelte. Endlich öffnete sich die Tür und ein noch immer leise fluchender Eric Cartman stand uns gegenüber, in einer Hand eine Fernbedienung haltend. „Was wollt ihr Schlampen denn hier?!“, fragte er überrascht, als er erkannte, wer vor ihm stand. Nun, da die Tür geöffnet war, konnte man von drinnen eine seltsame Mischung aus gekochtem Mittagessen und etwas, das an süßlichen Zigarettenrauch erinnerte, riechen. Ich sah zu Wendy hinüber und als die keine Anstalten machte, zu antworten, tat ich es stattdessen. „Wendy hier“, wieder versetzte ich ihr einen kleinen Stoß, wenn auch diesmal, um sie zum sprechen zu bewegen, „wollte dir einen Vorschlag machen…!“ Ich ließ die letzten Worte drängend verklingen, woraufhin sie schließlich kleinbeigab und begann, dem übergewichtigen Jungen ihren Plan (der eigentlich ja meiner war) zu schildern. „Hör zu, Cartman, du kannst Stan doch nicht leiden, nicht wahr?“, fragte sie mit einer Stimme, die noch ein wenig höher klang, als gewöhnlich. Er nickte, leicht mit den Schultern zuckend, und schien jetzt seltsam interessiert, denn er fiel ihr nicht, wie ich es eigentlich erwartet hätte, sofort ins Wort. „Weißt du, er… er hat gestern mit mir Schluss gemacht…“ Ihre Stimme klang jetzt wieder niedergeschlagener und ihr Blick wanderte langsam auf den Boden. Für eine Sekunde hatte ich den spontanen Drang, sie in den Arm zu nehmen, so traurig sah sie aus. Stattdessen tat ich das Nächstbeste, was mir einfiel. Nämlich, für sie einzuspringen und statt ihrer weiterzusprechen. „Naja“, meinte ich, in einem Versuch, den vor mir stehenden Jungen zu begeistern, etwas lauter, als es notwendig gewesen wäre, „ihr habt jetzt einen gemeinsamen Feind…“ Gleich darauf bereute ich es, das Wort ‚Feind‘ verwendet zu haben. Die ganze Sache schien Wendy wirklich näher zu gehen, als sie es sich selbst eingestehen wollte. Sie mochte sich zwar die meiste Zeit über wie eine egoistische Ziege verhalten, aber ich, als ihre beste Freundin, wusste, dass sie nicht wirklich so war. „Cartman, wir wollen dir einen Vorschlag machen.“ Er sah mich undurchsichtig an. „Du weißt doch, wie sehr Stan an Wendy hängt, nicht wahr?“, sagte ich, um das Mädchen aufzuheitern. „Jaaah…“ Cartman verdrehte die Augen, „Dieser Junge ist so eine Pussy!“ „Äh, ja, sicher… Auf jeden Fall aber: Was hältst du davon, wenn du uns hilfst, Stan eins auszuwischen?“ Er lehnte sich gegen den Türrahmen und biss von einem Schokoriegel (Gott weiß, wo er den plötzlich herhatte…) ab. „Und wie genau habt ihr das vor?“ „Du musst nur mit Wendy zusammenkommen!“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Auf der Stelle brach der brünette Junge in lautes Gelächter aus. „Ich soll WAS?!!“ Wendy war in einer Mischung aus Verlegenheit und Wut rot angelaufen. „Du sollst nur so tun als ob!“, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und warf mir einen bösen Blick zu. Er lachte noch immer. „M-Moment…!“, schnappte Cartman, der ernsthafte Probleme zu haben schien, sich wieder unter Kontrolle zu bringen, „Du bittest mich darum, so zu tun, als würde ich mich auf so eine schwule kleine Romanze mit dir einlassen?!“ „Nun…“, sie schien sich nicht sicher zu sein, wo sie hinsehen sollte, „Ja…!“ Wieder brach er in Gelächter aus. „Bist du fertig?!“, fragte sie nach einigen Sekunden und war augenscheinlich kurz davor, die Geduld zu verlieren. „Und was hab ich davon, mich mit ‘ner Ökotussi wie dir sehen zu lassen?“, sagte er schließlich, noch immer recht atemlos. „Ich hab einen Ruf zu verlieren!“ Auf seinen Lippen spielte ein überhebliches Grinsen. Sie wirkte betont unbeeindruckt. „Zwanzig Dollar.“ Ich starrte sie erschrocken an. Sie würde tatsächlich ihr Taschengeld für einen Monat dafür geben, damit Eric Cartman so tat, als wären die beiden ein Paar?! „Vierzig.“ Er ließ sich die Zahl regelrecht auf der Zunge zergehen. Der Junge schien die Situation immens zu genießen. „Dreißig.“ Es war schon eine groteske Szene, wie die beiden neben mir da um den Preis einer gemeinsamen Beziehung feilschten. Cartman hob eine Augenbraue und sah mit leicht angehobenem Kopf von oben auf Wendy hinab, das berechnende Grinsen noch immer auf seinem Gesicht. „Willst du dich an deinem kleinen Freund rächen, oder nicht?“ Sie starrte ihn kurz und ohne zu blinzeln an. Langsam begann ich, mich wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen. „Na schön. Vierzig. Aber keine miesen Tricks!“ Sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter und er biss selbstzufrieden ein weiteres Stück seines Schokoriegels ab und kaute eine Weile darauf herum, bis er es schließlich hinunterschluckte. „Abgemacht.“, sagte er und strich sich eine kastanienbraune Haarsträhne aus dem Gesicht. „Dann sind wirt ab sofort ein Paar…!“ Kapitel 4: To Kill A Fucking Fatass ----------------------------------- Als er wieder zurück war, graute bereits der Morgen. Wieder brauchte der Junge einen Augenblick, bis er wusste, wo er war. Diese Momente waren es, die er am Sterben und dem damit verbundenem Wiederauferstehen am wenigsten leiden konnte. Es war zu vergleichen mit der Situation, die man erlebte, wenn man die Nacht auf einer Party verbracht hatte und am nächsten Morgen, ohne jegliches Erinnerungsvermögen, neben einem beinamputierten Cheerleader aufwachte. Nicht, dass Kenny jemals Erfahrungen mit so etwas gemacht hätte… Der Junge rieb sich den Kopf und richtete sich auf. Noch immer ein wenig benebelt sah er die Straße hinunter, erleichtert feststellend, dass er sich nur einige hundert Meter von seinem Haus entfernt befand. Fröstelnd zog er sich die Kapuze wieder über den Kopf. An diesen Temperaturwechsel würde er sich wohl niemals gewöhnen. Doch wenn er Glück hatte, würde er sich dieses Problems in nicht allzu ferner Zukunft entledigt haben…. Gemächlich machte der Blondschopf sich auf den Weg zu dem kleinen, verfallenen Gebäude im schlechteren Viertel der Kleinstadt, das er sein Zuhause nannte. Schließlich angekommen stellte er fest, dass die Haustür wie gewöhnlich nicht verschlossen war. Kaum eingetreten, überwältigte ihn das vertraute Duftgemisch aus Zigarettenrauch, Whisky und feuchtem Holz. Kenny ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und wollte sich eigentlich gerade nach oben in sein Zimmer begeben, um sich bis zum Schulbeginn noch irgendwie die Zeit zu vertreiben, da stutzte er, als er ein Geräusch aus dem Wohnzimmer vernahm. Die Stirn runzelnd sah er um die Ecke durch die Stubentür, um seinen Vater vorzufinden, der, beinahe vollkommen von einem Stapel Bierdosen verdeckt, beide Arme über die Lehne und den Kopf in den Nacken gelegt auf der Couch saß. Der Sohn des Mannes wandte, noch immer im Türrahmen stehend, seinen Kopf und fand den Ursprung der Geräusche im immer noch laufenden Fernseher, der gerade einen offensichtlich nicht ganz zeitgemäßen Film mit Bud Spencer zeigte. Kenny rollte mit den Augen und drehte sich auf dem Absatz, um einen Moment später durch ein lautes Knurren seines Magens darauf aufmerksam gemacht zu werden, was für einen Hunger er eigentlich hatte. Schulterzuckend beschloss er, sein Glück am Kühlschrank zu versuchen. In der Küche angekommen musste er jedoch erwartungsgemäß feststellen, dass das Gefriergerät nur noch spärlich gefüllt war – und das mit einer einzelnen Tomate. Leise seufzend griff er nach dem Obst und verließ den Raum wieder, um nach oben zu gehen. In seinem Zimmer ließ der Junge sich auf die zerschlissene Matratze fallen, die sein Bett darstellte und spürte, wie die Federn in ihrem Inneren sich unangenehm gegen seine Wirbelsäule pressten. Schmatzend biss er in die mitgebrachte Tomate und starrte stumm an die rissige Zimmerdecke. Nur langsam begann er, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass er jetzt wohl oder übel ein wenig nachdenken musste. Sich auf die Lippe beißend, blickte der Junge im verzweifelten Versuch, den Herrn der Hölle doch noch umzustimmen, noch einmal auf. „Bitte…?“ Erneut ließ Satan einen Seufzer ertönen. „Nun ja…“, resignierte er schließlich, „Eine Möglichkeit gäbe es da vielleicht doch noch…“ „Echt jetzt?!“ Hoffnungsvoll wandte der blonde Junge seinen Blick wieder vom Boden ab. Satan nickte langsam und biss sich mit spitzen Zähnen auf seine scharlachrote Unterlippe, ganz so, als wollte er nicht gleich mit der Sprache herausrücken. Gespannt starrte Kenny zu dem Teufel auf und wartete darauf, dass dieser endlich weitersprach. „UND…?!“, fragte er nach einigen Sekunden ohne ein gesprochenes Wort ungeduldig. „Weißt Du…“ Der Dämon räusperte sich. „Es… es gibt da jemanden, der ist mir schon seit langer Zeit ein Dorn im Auge ist.“ Kennys Mund öffnete sich für einen Moment, so als wolle er etwas sagen, schloss sich jedoch gleich darauf wieder, als er sich dagegen entschied. Satan wirkte aufgewühlt. Mit unsicherer Stimme sprach er weiter: „Es ist einer Deiner Freunde, Kenneth.“ Man konnte es Intuition nennen, oder schichtweg gesunden Menschenverstand, doch in dem Moment, in dem die Worte den Mund des purpurfarbenen Herrn verlassen hatten, wusste der Junge, um wen es sich handeln musste. „Cartman…!“, schoss es aus ihm heraus. „J-Ja… Genau.“ Satan wirkte überrascht. „Weißt Du, der Junge macht meinen Job einfach besser als ICH…!“ Er klang ein wenig beschämt bei Erwähnung dieser Tatsache und lächelte nervös, um es zu überspielen, dem Blick des Jungen ausweichend. „Ich meine, Hitler und Osama waren mir zu ihren Glanzzeiten schon Dorn im Auge genug.“, fuhr er nach einem kurzen Moment fort, mit etwas in seiner Stimme, das beinahe ein wenig wie Eifersucht klang. "Noch einen Diktator kann ich im Moment wirklich nicht gebrauchen!“ Kenny unterdrückte den Drang, etwas auf die Bemerkung zu erwidern. Sie hatte etwas seltsam Ironisches an sich, wenn sie aus dem Munde von jemandem kam, dessen Liebhaber George Bush war... „Und…“, versuchte der Junge wieder auf das ursprüngliche Thema zurückzuzukommen, „w-Was genau soll ich jetzt tun…?“ „Kenneth“, Satans Stimme klang jetzt dermaßen ernst, dass es beinahe schon wieder lächerlich wirkte, „ich weiß, es ist viel verlangt von einem Kind“ Kenny runzelte die Stirn. „Aber wenn Du diesen Fluch wirklich loswerden willst…“ Wieder machte der Dämon eine Pause und Kenny hatte jetzt ernsthafte Probleme, sich zurückzuhalten, um ihm nicht die Worte ‚Jetzt sag schon endlich!!‘, ins Gesicht zu schreien. Endlich sprach Satan weiter. „… dann musst Du Eric Cartman töten.“ Kenny seufzte. Er mochte Cartman nicht sonderlich - und da war er auch nicht der Einzige. Doch genau da lag der Punkt. Eric Cartman mochte zwar ein rassistisches, manipulatives und sadistisches Arschloch sein, doch trotzdem änderte das nichts daran, dass er dem blonden Jungen irgendwie leid tat. Und wollte er wirklich verantwortlich für den (endgültigen) Tod eines Jungen sein, den er trotz allem seinen besten Freund nannte? Noch immer an die Decke starrend, biss er ein weiteres Mal von der Tomate ab. Auf der anderen Seite hatte Satan allerdings Recht: Das unpraktische an Soziopaten war, dass sie es in der Tat an sich hatten, Diktaturen aufzubauen, was zumeist den Tod etlicher zufolge hatte. Mmmh~, angestrengt wog der Junge das Szenario ab. Er konnte also entweder sich selbst seinen Traum erfüllen, es mit einem unter Rückenbeschwerden leidendem, naturblonden Playbunny vor einem Kamin in Hugh Hefners Villa zu treiben und (sozusagen als Bonus) einen Haufen Unschuldiger retten - oder einen verwöhnten, fetten, gewissenlosen Jungen, was zweifelsohne früher oder später zu einem dritten Weltkrieg führen würde. Wenn man es von dieser Seite aus betrachtete, erschien ihm die Entscheidung plötzlich gar nicht mehr so schwer… Ein jähes, ihm ohrenbetäubend laut erscheinendes, Geräusch ließ Kenny zusammenzucken und es brauchte mehrere Sekunden, bis er begriff, dass es das Klingeln des Weckers war, welcher direkt neben seinem Kopf auf dem Boden stand. Eine Hand genervt gegen sein nun schmerzendes Ohr pressend, zögerte der Junge nicht, das unliebsame Haushaltsgerät gegen die nächstgelegene Wand zu schmettern, woraufhin dieses sich mit einem traurigen Laut der Zurückweisung ins Nirwana begab. Nachdem nun endlich wieder Stille herrschte, streckte Kenny sich nochmals kurz auf dem Bett aus und gähnte, bevor er sich endgültig von seinem Schlafplatz erhob um sich auf den Weg aus dem Zimmer zu machen, den abgenagten Rest der Tomate auf seinem Weg nach draußen achtlos auf den Boden fallen lassend. Er trat aus der Haustür und musste unverzüglich seine Kapuze enger zusammen ziehen, als ihm ein kalter Windhauch entgegenwehte. Seine Hände in den Taschen seines Parkas verschwinden lassend, machte er sich ohne allzu große Eile auf den Weg zur Schule. Er hatte noch recht viel Zeit bis die erste Stunde begann und so schlenderte er gemächlich den Bürgersteig entlang, seine Gedanken zu der Frage gleiten lassend, die ihn nunmehr beschäftigte, wie „Mortos Der Soulstealer“ ein xenophiles Fangirl, oder schlechte Insiderwitze die Autorinnen von Slashfictions. Und diese Frage lautete: Wie tötete man Eric Cartman? Kenny musste es so anstellen, dass niemand erfuhr, dass er es gewesen war. Immerhin hatte er keine Lust darauf, sein kontinuierliches Leben dauerhaft im Gefängnis zu verbringen. Er könnte ihn erschießen. Er war ein prä-pubertärer Junge in Colorado – es würde also nicht allzu schwer sein, an eine Waffe zu kommen. Vielleicht, wenn Stans Onkel Jimb- Die Gedankengänge des Jungen wurden unterbrochen, als ein leises Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Zunächst dachte er, er hätte es sich nur eingebildet, doch als er seine Kapuze ein wenig zurückzog, bemerkte er, dass dem nicht so war. Nun, wo der dicke Stoff und seine schalldämpfende Wirkung nicht mehr vorhanden waren, konnte Kenny ganz deutlich Stimmen vernehmen, die ihren Ursprung seines Erachtens nach hinter einer Hauswand auf der anderen Seite der Straße hatten. Aus reiner Neugier, wer sich so früh morgens tuschelnd in einem Vorgarten aufhielt und außerdem aufgrund der Gewissheit, dass er noch immer um einiges zu früh war, beschloss er, die Straße zu überqueren und nachzusehen, was vor sich ging. So unauffällig wie es ihm nur möglich war, lehnte der Junge sich, sobald er an dem Haus angekommen war, um die Ecke, um Zeuge einer Szene zu werden, die ihn dazu brachte, sich an seinem nächsten Atemzug zu verschlucken, was ihn dazu zwang die Luft anzuhalten, um nicht laut los zu husten. Eine Hand auf seinen Mund gepresst beobachtete er mit, in Unglauben, gerunzelter Stirn, was er da sah. „EY! Was machst du da?!“, hörte er Cartman in einem überraschtem Tonfall sagen, als Wendy sich nach vorne beugte um… ihm die Jacke aufzuknöpfen…! Nicht länger in der Lage, die Luft anzuhalten und seinen Husten zu unterdrücken, machte Kenny zunächst einige vorsichtige Schritte rückwärts. „Halt still! Wenn ich mich mit dir sehen lasse, solltest du wenigstens einigermaßen- Oh nein!“ Kenny, der vor lauter Irritation die Laute vergessen hatte, die schnelles Laufen auf Asphalt verursachte, war, unfähig, klar zu denken, die Straße hinuntergerannt, wobei das Hallen seiner Schritte durch die morgendliche Stille die Aufmerksamkeit des vermeintlichen Pärchens auf sich gezogen hatte. „Oh Gott!“, keuchte Wendy, deren Interesse an der Verbesserung von Cartmans Äußerem sich verflüchtigt zu haben schien. „Er… er hat uns gesehen!“ Cartman, der sich inzwischen mit einem lustlosen Gesichtsausdruck gegen die Hauswand gelehnt hatte, zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Was ist dein Problem, Hippie?“ Der Junge zog eine Augenbraue hoch und sah Wendy von der Hausmauer aus an. „Weißt du noch, dass wir ohnehin vorhatten, vor den anderen einen auf Pärchen zu machen? Wenn Kenny losrennt um es den andren zu erzählen, dann macht er’s uns doch nur leichter.“ Nur langsam wandte das Mädchen den Kopf um den Blick zu erwidern und blinzelte zweimal etwas irritiert, bevor sie – ganz offensichtlich, ohne sich dessen bewusst zu sein– leicht mit dem Kopf schüttelte. „Ja… Natürlich weiß ich das!“ Cartman verdrehte die Augen, machte jedoch keine weitere Bemerkung und entfernte sich stattdessen von der Hauswand, um über den Rasen des Vorgartens hinweg zurück auf den Bürgersteig zu gelangen, wo er stehen blieb und sich, als er hinter sich keine Bewegung wahrnahm, nochmals umwandte. „Jetzt komm schon! Wir müssen zusammen in der Schule ankommen, wenn’s echt aussehen soll.“ Wendy strich sich eine aufgrund der Beautysession des Vortages noch immer leicht gelockte Haarsträhne aus dem Gesicht und begab sich dann zu dem an der Straße wartenden Jungen hinauf. Auf Stans Gesicht spiegelte sich purer Unglaube. Ohne eine Regung und vollkommen stumm starrte er seinem blonden Gegenüber in die Augen. Nach einem Augenblick des vergeblichen Wartens auf eine Reaktion seines paralysiert erscheinenden Freundes hob Kenny schließlich eine Hand, um sie, in einem Versuch, den anderen Jungen in die reale Welt zurückzuholen, vor dessen Gesicht hin und her zu wedeln. „Mmhn…?“, sprach er durch den Stoff seiner Kapuze den Namen des anderen aus, der daraufhin endlich reagierte. „D-Du verarscht mich doch, oder…?“, fragte er schließlich mit einer seltsam ernsten Stimme, die irgendwie nicht wie die seine und mehr wie die eines erwachsenen Mannes klang. Nochmals wiederholend, was genau er auf seinem Weg zur Schule gesehen hatte, sah Kenny sich während er sprach möglichst unauffällig um, ob sich ihnen jemand näherte. Ganz bewusst hatte er, nachdem er das Schulgebäude erreicht hatte, auf eine Gelegenheit gewartet, allein mit Stan zu sprechen. Diese hatte er erst gehabt, als dessen bester Freund ihn für kurze Zeit alleingelassen hatte, um die Toiletten aufzusuchen. Nicht, dass Kenny irgendetwas gegen den jüdischen Jungen gehabt hätte! Es war lediglich so, dass er sich ziemlich sicher war, seine Bemerkung zu der Tatsache, dass Wendy Stan hatte fallen lassen, um ausgerechnet mit Cartman anzubandeln, wäre nicht gerade die taktvollste gewesen. Mit Erleichterung feststellend, dass sie ( bis auf einige jüngere Schüler) noch immer allein auf dem Gang waren, richtete Kenny seine volle Aufmerksamkeit wieder auf seinen Gesprächspartner. Dieser schien jetzt zu überlegen. „Weißt du…“, begann er ein wenig zögerlich ohne den anderen anzusehen, „Dann soll sie doch!“ Ein wenig verwirrt legte der Junge der Unterschicht den Kopf schief und öffnete seinen, dem anderen nicht sichtbaren, Mund, um ihn zu fragen, was er damit meinte. Dieser jedoch kam ihm zuvor, als er mit einem nervösen Lächeln zu ihm aufblickte. „Ich hab Samstagnachmittag mit ihr Schluss gemacht. Sie kann rummachen mit wem sie will…!“ Kennys Kopf schoss in seine gerade Position zurück. „Mh nnmgh?!“ „Jap. Ich find’s zwar selbst für sie ein bisschen früh – schon zwei Tage danach, meine ich, aber…“ Stan ließ sich rücklings gegen die eierschalenweiße Wand hinter sich fallen. „Sie will den Fettsack? Sie kann ihn haben! Ich werd sie nicht aufhalten, mir egal, was sie macht…“ Stan verzog für einen Moment das Gesicht, und ganz kurz fiel sein Blick wieder auf den Boden, dann jedoch traf er wieder auf die hellblauen Augen seines Gegenüber und das mittlerweile fast schon wieder gefrorene Lächeln auf seinen Lippen erneuerte sich. „Sie ist ‘ne Fotze!“ Die Worte waren ein wenig zu überlegt ausgesprochen, um so zu klingen, als würde er es wirklich ernst meinen. Kenny hatte den Drang, etwas zu erwidern, doch in dem Moment, als er den Mund öffnete um zu sprechen, hörte er hinter sich eine vertraute Stimme und noch bevor er sich umdrehen konnte, sah er, wie Stans Gesichtsausdruck sich aufhellte und seine Ahnung über die Identität des hinter ihm Stehenden bestätigte sich. „Hey Kyle!“ Kenny wandte sich um und konnte sehen, wie der Rotschopf Stan zur Antwort ein Grinsen schenkte. Gerade setzte Stan zum Sprechen an (wie Kenny ihn kannte, um seinem Freund von den soeben erfahrenen Neuigkeiten zu berichten), brach jedoch ab, als das mühsam aufgebaute Lächeln wieder von seinem Gesicht fiel und Kenny beobachten konnte, wie sein Blick an Kyle vorbei und auf die Eingangstür fiel. Stan schluckte und seine Augen weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde, kehrten jedoch gleich darauf, in einem offensichtlichen Versuc, unbetroffen zu wirken, wieder zu ihrer normalen Größe zurück. Kyle, dem, wie Kenny bemerkt hatte, die Gefühlsveränderung seines besten Freundes sofort aufgefallen zu sein schien, sah ebenfalls zur Tür. Beinahe sofort weiteten Kyles eigene Augen sich auf das etwa Doppelte der Größe, welche die seines Freundes zuvor angenommen hatte. Soeben hereingetreten waren ein desinteressiert erscheinender Eric Cartman und eine knallrot angelaufene Wendy Testaburger. Händchenhaltend. Kyle starrte erst die beiden an, für, wie ihm schien, eine Ewigkeit unfähig, den Blick von ihnen losreißen. Dann, ganz langsam, wanderten seine Augen von dem grotesken Pärchen weg und zu Stan, dessen eigener Blick in kläglich geheuchelter Teilnahmslosigkeit einem Erstklässler gespannt dabei zusah, wie dieser gerade genüsslich in der Nase bohrte, und dann zu Kenny, welcher – daran gewohnt, die meiste Zeit über von den anderen ignoriert zu werden – ein wenig überrascht war, dann aber mit den Schultern zuckte. Als Kyle wieder von ihm weg, und zu Cartman und Wendy hinsah, tat Kenny es ihm gleich und beobachtet, wie der übergewichtige Junge seine neue Freundin unsanft mit dem Ellbogen anstieß und etwas zu ihr sagte, worauf sie mit einer abwehrenden Handbewegung reagierte und noch roter wurde. Aus den Augenwinkeln konnte Kenny sehen, dass mittlerweile auch Stan es aufgegeben hatte, so auszusehen, als wäre ihm egal, was da vor sich ging und mit eben so wachsamen Blick wie Kenny und Kyle das Geschehen verfolgte. Einen Moment lang noch schienen die ungleichen zwei über etwas zu diskutieren, dann sah man Cartman mit den Augen rollen und gleich darauf ein Stück weit von Wendy weg, in die Eingangshalle hinein, treten. Sich räuspernd warf er seinen Kopf ein Stück weit in den Nacken und begann mit lauter Stimme, die unweigerlich an die eines Politikers bei einer Wahlkampfrede, erinnerte, zu sprechen. „Liebe Mitschüler, ich halte es für meine Pflicht und meine Verantwortung, euch alle in Kenntnis zu setzten…“ Selbst die übertriebene Dramatik, wie man sie von Eric Cartman in gewissen Abständen gewohnt war, konnte vom gelangweilten Tonfall seiner Stimme nicht vollends ablenken, was ihr einen seltsam maschinell wirkenden Unterton verlieh. „…dass Wendy hier“, er machte eine auf genanntes Mädchen deutende Handbewegung und sie schien, als wüsste sie nicht recht, wo sie hinsehen sollte, „und ich jetzt ein Paar sind.“ Etwa zwei Drittel der sich auf dem Gang aufhaltenden Schüler blieben stehen um sich zu Carman umzudrehen, der Rest (hauptsächlich Erstklässler) ging unbeirrt seinen morgendlichen Tätigkeiten nach. Kenny unterdessen fühlte eine gewisse Neugierde in sich hochsteigen, wie die anderen Schüler ihrer Klasse auf die Neuigkeit reagieren würden und so ließ er den Blick über die auf dem Gang stehengebliebene Gruppe schweifen. Die Gesichtsausdrücke der einzelnen Kinder brachten Kenny dazu, sich ein Grinsen hinter der Kapuze seines Parkas nicht länger verkneifen zu können, obgleich er auch beinahe ein schlechtes Gewissen davon bekam, dass eine Situation, die einem seiner besten Freunde derartig zusetzte, es verstand, ich so ungemein zu unterhalten. Aber wie gesagt: beinahe. Sein Blick wanderte über das Potpourri aus offenstehenden Mündern und ungläubig aufgerissenen Augen und trotz des Bewusstseins, dass Stan, der nur wenige Schritt von ihm entfernt stand, sich in diesem Moment wahrscheinlich furchtbar fühlte, konnte er nicht anders, als ein leises Kichern von sich zu geben. Er konnte die Reaktionen der anderen Schüler gut nachvollziehen. Er selbst hatte zwar stets den Verdacht gehegt, dass Cartman seit dem Vorfall bei dem Streit um die South Park-Flagge insgeheim eine Vorliebe für die schwarzhaarige „Hippie-Schlampe“ gehabt hatte, aber dass diese sich tatsächlich auf eine feste Beziehung mit dem übergewichtigen Jungen einlassen würde, erschien ihm dennoch mehr als überraschend. Halb gefesselt von dem Gedanken an die Frage, weshalb Wendy sich ausgerechnet jetzt, so kurz nachdem die Beziehung mit ihrem Freund zum ersten Mal seinerseits beendet worden war, ausgerechnet auf Cartman einließ, bemerkte er auf einem der Gesichter, die er dort überflog einen Unterschied zu den der anderen – und zwar in Bebe Stevens‘ Schienen die anderen Beobachter eine Gefühlspalette von verdutzt bis zu leicht angewidert darzustellen, trug Bebe ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das beinahe dem der Mona Lisa glich und sowohl wissend, als auch fast ein wenig stolz wirkte. Gerade, als seine Stirn im Begriff war, sich in misstrauische Falten zu legen, zuckte er stattdessen nur leicht zusammen, als er die Schulglocke über sich ertönen hörte und eine Sekunde darauf von einer Masse von Schülern in den Klassenraum gedrängt wurde, waren alle Gedanken an das blondgelockte Mädchen vergessen. Kapitel 5: Hiermit möchte ich, die Autorin, mich für den ungemein einfallslosenen (wenngleich auch in gewisser Weise obligatorischen) Titel des letzten Kapitels entschuldigen ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ „...und genau aus diesem Grund sollte Jennifer Aniston sich zukünftig von Trojanern fernhalten.“ *RIIIINNNG* Ein erleichtertes Aufatmen ging unüberhörbar durch die Klasse, welcher die soeben vergangene Schulstunde wie eine Ewigkeit vorgekommen war. Dessen ungeachtet wirkte der Lehrer überrascht. „Nanu? Ist die Stunde denn schon um?“, fragte er fast ungläubig, musste, als er den Blick zur Uhr richtete, jedoch feststellen, dass dem in der Tat so war. „Na schön, ihr dürft gehen.“, fuhr er mit seiner nasalen Stimme fort, während er sich wieder den Schülern zuwandte, die bereits eilig ihre Sachen zusammenpackten. Und er klang dabei fast ein wenig betrübt ob der Tatsache, dass er seine Anekdote wohl oder übel für die Pause unterbrechen musste. Zur Überraschung der anderen Jungen, verließ Cartman nicht etwa gemeinsam mit Wendy, sondern, wie gewohnt, mit Kenny, Stan und Kyle den Klassenraum. Stan machte einen geradezu erleichterten Eindruck, auch wenn er alles tat, um sich ebendiesen Gemütszustand nicht anmerken zu lassen. Und dennoch – alle oberflächliche Normalität konnte nicht über das hinwegtäuschen, was tatsächlich in dem schwarzhaarigen Jungen vor sich ging. Cartmans Mund verzog zu einem kaum sichtbaren Grinsen. Das könnte noch wirklich lustig werden… „Oh Gott!“, stöhnte Stan, als die vier Jungen gemeinsam den Flur hinunterschlenderten. Wie gewöhnlich das Wort an Kyle richtend. „Irre ich mich oder werden die Stunden mit Mr. Garisson tatsächlich jeden Tag noch langweiliger?“ Sein Tonfall machte es offensichtlich, dass er sich größte Mühe gab, so zu tun, als sei an diesem Morgen noch nichts außergewöhnliches geschehen – woran er natürlich kläglich scheiterte. Doch sein Freund spielte ihm zu liebe mit. „Nee Dude, das ist wirklich so.“, erwiderte der rothaarige Junge und ignorierte damit Kenny, der ein Stück hinter den beiden, somit neben Cartman, lief und gerade einen geschmacklosen Kommentar über Jennifer Anistons Hintern machte. „Eww~! Das ist ja eklig, Kenny!“, sprach der übergewichtige Junge neben ihm ihn angewidert an. „Bringen Deine asozialen Eltern Dir so ‘nen kranken Scheiß bei?“ Kenny warf ihm einen bösen Blick zu, kam jedoch nicht mehr dazu, etwas zu sagen, da sie die Cafeteria erreicht hatten und Cartman ihn unterbrach. „Ich frag mich, was es wohl zu essen gibt…“, fragte er in die Runde, ohne jemand spezielles anzusprechen, „Ich hab vielleicht ’nen Kohldampf.“ „Denkst du eigentlich immer nur ans Essen, Fettarsch?“, äußerte Kyle, mit gewohnt heller Stimme, während er sich zu dem anderen Jungen umdrehte. Stan zwang sich zu einem Kichern und Kenny grinste schadenfroh in seine Kapuze. „AY! Ich bin nicht fett, ich bin-“ Er brach ab, als er spürte wie sich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte und sich überrascht nach ihrem Ursprung umdrehte. Es war Butters. Wo kam der nur plötzlich her? Jetzt, wo der Junge vor ihm stand, wurde Cartman klar, dass er ihn heute noch überhaupt nicht gesehen hatte. Weder während seiner Ansprache in der Eingangshalle, noch in den ersten beiden Stunden im Klassenraum. „He- Hey Eric!“, sprach der Blonde schließlich, als er sicher war, die volle Aufmerksamkeit des anderen zu haben. „Was willst du, Butters?“ Cartman bemerkte, wie die Hand des Jungen, die soeben noch auf seiner Schulter gelegen hatte, nun mit dem Ende des Ärmels seines türkisfarbenen Pullovers spielte, während die andere hinter seinem Rücken verschwand. Der Angesprochene schien ein wenig verletzt aufgrund der rüden Begrüßung, sprach jedoch weiter, als er den neugierigen Blick sah, mit welchem Cartman nach der Hand suchte, die Butters hinter seinem Rücken versteckt hielt. „Was hast du da?“ Butters lächelte ein wenig schüchtern. „I- Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Lust hättest, am Freitag zu meiner Geburtstagsparty zu kommen…“ Sein Lächeln wurde breiter, wenn auch eine Spur nervöser, während er eine babyblaue Einladungskarte hervorzog und sie Cartman in die Hand drückte. Ohne einen weiteren Blick darauf zu werfen, ließ dieser sie in seiner Hosentasche verschwinden, nicht allzu sehr darauf achtend, ob sie zerknickte. „Und…? Kannst du kommen…?“ Butters kaute auf seiner Unterlippe, während er auf eine Antwort wartete, hoffnungsvoll zu seinem Gegenüber aufsehend. Dieser hob eine Augenbraue. „Sicher, warum nicht…“, antwortete er schließlich, leicht mit den Schultern zuckend. „Oh spitze!” Butters grinste, als hätte er soeben ein Meet and Greet mit ‚Hello Kitty’ gewonnen, sprach jedoch gleich darauf schnell weiter, seine Stimme nicht weit davon entfernt, sich zu überschlagen. „Ich geh’ die anderen Einladungen verteilen!“, sagte der Junge, noch immer lächelnd, bevor er den Flur hinunter eilte. Er drehte sich nach einigen Metern nochmals um, um Cartman zu winken, bevor er schließlich um eine Ecke bog. Der Brünette sah ihm genervt hinterher, bis er außer Sicht war, bevor er die Karte wieder aus seiner Tasche zog. Tatsächlich war die Pappe, aus welcher sie gemacht war, in der Mitte geknickt und Cartman musste sie glatt streichen, bevor er lesen konnte, was darauf stand. Lieber Eric, ich würde mich sehr freuen, wennn du am nächsten freitag um sechs uhr Abends zu meiner Geburtststagsparty komen würdest. Bitte bring einen Schlafsack mit. Dein Butters. Es war beinahe schwer, die Zeilen zu lesen, mit soviel überflüssigem Zierrat wie Kritzeleien, Stickern und ähnlichem war die Einladung übersät. „So eine Pussy…“, murmelte Cartman, während er die Karte wieder in seiner Tasche verschwinden ließ. Butters hatte zuvor nichts von einer Übernachtung gesagt. Aber was sollte es… Cartman hatte am Freitagabend ohnehin nichts Besonderes geplant, also würde er wohl hingehen. Immer noch besser, als den Abend auf der Couch zu verbringen und sich mit der Lautstärke des Fernsehers das Gehirn rauszupusten, beim Versuch, die Geräusche zu übertönen, die aus dem Zimmer seiner Mutter kamen. Obwohl er selbst nicht genau wusste, warum, stellte der Junge fest, dass er den Gedanken als unangenehm empfand und verbannte ihn schnellstmöglich wieder aus seinem Kopf. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen als er stattdessen überlegte, dass er seine Kamera mitbringen könnte um, gegebenenfalls, seinem Fotoalbum eine Seite hinzuzufügen. „Was grinst du denn so dämlich?“ Er drehte sich um, als er Kenny hinter sich nuscheln hörte, der gerade mit den anderen Jungs aus der Kantine gekommen war. Er musste länger dort auf dem Gang gestanden haben, als er gedacht hatte. Bevor er etwas zurückfauchen konnte, begann Kyle zu sprechen. „Oh mein Gott, Cartman!“, sagte er und hielt sich, in einer Geste übertriebener Besorgnis, beide Hände vor dem Mund, „Du hast ja gar nichts gegessen! Hast du Fieber?!“ In einer fließenden Bewegung verließ die rechte Hand des jüdischen Jungen seinen Mund, um Platz auf Cartmans Stirn zu finden. Unter der Berührung zusammenzuckend schlug dieser die Hand fort. Wohl härter als er beabsichtigt hatte, wie er an Kyle erkennen konnte, der für eine Sekunde tatsächlich schmerzhaft das Gesicht verzog, während er spürte, wie sein eigenes an Farbe verlor. „Ähm… Cartman? Bist du okay…?“, hörte er Stan neben sich, wie aus weiter Entfernung. Er brauchte noch etwa eine Sekunde, bevor er antworten konnte. „Ja!“, fuhr er ihn schließlich an, „Und zu Eurer Information kann ich sehr wohl mehr als zwei Stunden ohne etwas zu Essen auskommen!“ Er betete zu Gott, dass sein Magen jetzt nicht anfing zu knurren. Glücklicherweise ergriff Kenny in diesem Moment das Wort. „Mmmph mmmnphn Mphmm?“, fragte er. „Ja. Woher weißt du-“ Cartman brach ab, als der Junge im orangefarbenen Parka auf seine Hosentasche deutete, aus der eine Ecke der Karte hervorlugte. „Ach so… Ja, hat er. Wieso? Euch auch?“ Mehr auf die Erleichterung fokussiert, die sich in seinem Inneren ausbreitete, als er realisierte, wie sein Gesicht wieder zu seinem gewohnten Teint zurückkehrte, beobachtete er, wie seine drei Freunde zur Antwort ihre eigenen Einladungen hochhielten. Jede von ihnen im selben Babyblau gehalten, wenngleich auch, sofern es ihn nicht täuschte, mit nicht ganz soviel Verzierungen gespickt, wie die seine. „Und, geht ihr hin?“, fragte er, während er Kennys Karte genauer musterte und ihm auffiel, dass sie exakt dieselben Rechtschreibfehler aufwies, wie die, die er erhalten hatte. „Ja.“, antworteten die Jungen beinahe synchron und es war offensichtlich, dass sie sich schon zuvor darüber unterhalten hatten. „Wen er wohl noch eingeladen hat?“, fragte Stan, und erschien dabei, ähnlich wie Kenny kurz zuvor, ein wenig zu erpicht darauf, das Gespräch voranzutreiben. Wahrscheinlich, dachte Cartman, weil er nicht wollte, dass die Szene wieder einmal in einer Auseinandersetzung zwischen ihm und Kyle endete. Er fragte sich, ob dieser den Zwang der Unterhaltung nicht bemerkt hatte, oder schlichtweg mitspielte, um Kenny und Stan einen Gefallen zu tun, auf jeden Fall aber, ging er umgehend auf die Frage ein. „Mmmh~. Gute Frage eigentlich… So viele enge Freunde hat er ja nicht.“ Cartman glaubte, einen Hauch von Mitleid in der Stimme des Jungen bemerkt zu haben, aber vielleicht hatte er sich das auch nur eingebildet. Aber ob dem nun so war, oder nicht, eines konnte man nicht leugnen: Der Jude hatte Recht. Nicht gerade viele Jungen schienen etwas mit den femininen Interessen des Blondschopfes anfangen zu können und für eine engere platonische Beziehung mit einem Mädchen waren sie noch ein wenig zu jung. Für einen Moment fragte Cartman sich, ob er selbst Butters tatsächlich mochte. Immerhin schien der Junge ihn ja sehr gern zu haben. Zweifelsohne war dies allerdings ein trauriges Resultat seiner ungesund ausgeprägten Naivität. Denn - das konnte man nicht leugnen - man musste wirklich sehr naiv sein, um Eric Cartman sein gesamtes Leben lang zu kennen, ohne sich bewusst zu werden, dass er ein skrupelloser, manipulativer Bastard war. Nicht ohne zu zögern entschied Cartman sich also für nein. Obwohl eine Freundschaft mit dem Jungen in der Tat recht praktisch war. Cartman hatte eine Schwäche dafür andere für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen und mit Butters war das fast zu einfach! „… mit Clyde ja ganz gut auszukommen.“, hörte besagte Ausgeburt des Bösen gerade Stan seinen Satz beenden und ihm wurde klar, wie viel er von dem Gespräch verpasst hatte. „Ja, kann schon sein… Seid er herausgefunden hat, dass die Liste der Mädchen eine Fälschung war und er nicht mehr nur mit seinen Freundinnen rumhängt, scheinen sie sich doch eigentlich ganz gut miteinander angefreundet zu haben. Sicher wird Butters ihn einladen.“, sagte Kyle und fügte mit einem Schulterzucken hinzu: „Vielleicht bringt er ja Craig mit.“ „Mmnh...“, murmelte Cartman, der aus irgendeinem Grund plötzlich den Drang hatte, etwas zu sagen, „Vielleicht.“ Der Rest des Schultages verging ohne nennenswerte Vorfälle (was in der Tat eine überaus nennenswerter Vorfall war, wenn man bedachte, welche Stadt es war, die die vier Jungen ihre Heimat nannten). Nach einigen weiteren Stunden, die sie damit verbracht hatten, ihrer sexuell verwirrten Lehrkraft beim Zitieren von Klatschzeitschriften zuzuhören und die ihnen wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, standen sie nun, zu ihrer enormen Erleichterung, an der Bushaltestelle vor der Schule und warteten darauf, ihren Heimweg antreten zu können. „Da fällt mir ein“, unterbrach Kyle gerade ihre Unterhaltung, in der es, sofern Cartman sich im Nachhinein recht entsann, um die neueste Folge der Terrence und Phillip Serie gegangen war, „wir müssen Butters ja noch ein Geschenk kaufen…“ Kenny seufzte leise und die anderen Jungen ignorierten es. „Kaaahl~“, queste Cartman, „Wie schwul bist du eigentlich? Warum lässt du das nicht deine Mutter machen? Ach ja, hab ich ganz vergessen: Wahrscheinlich ist sie zu geizig!“ „Cartman!“, ermahnte Kyle ihn, wobei sich seine Stimme überschlug, wie sie es häufig tat, wenn er wütend wurde. "Was?!“, fragte Cartman, plötzlich Lust bekommend, einen Streit vom Zaun zu brechen. „Ich kann ja nichts dafür, dass deine Mutter 'ne dämliche Judenschlampe ist!“ „CARTMAN!!“, der Sohn besagter ‚Judenschlampe’ hatte die Hände zu Fäusten geballt und sein Gesicht war rot angelaufen. Wie sehr Eric es genoss, dass Kyle so verdammt leicht überreagierte. Hier ein kleines Triezen, da eine unauffällige Bemerkung und schon konnte er sich damit rühmen, den andere Jungen fuchsteufelswild gemacht zu haben. Ob er nun seinen besten Freund in Schutz nehmen wollte, oder schlichtweg Angst davor hatte, Cartman würde wieder anfangen zu singen - auf jeden Fall war dies aber der Moment, in dem Stan zwischen die beiden trat. „Kannst du nicht einmal die Klappe halten, Fettarsch?!“, wandte er sich mit zornigem Blick an den übergewichtigen Jungen. „Nein, kann ich niiicht! Und ich bin nicht fett! Ich bin… fluffig!!“ „Fluffig…?“ Stan hob eine Augenbraue, doch kam nicht mehr dazu etwas Weiteres zu sagen, da in diesem Moment der Bus vorfuhr. Etwa hundert Meter weiter saß in einem Klassenraum der Schule ein sehr aufgewühltes Mitglied des Lehrstabes, den Kopf auf eine Hand gestemmt, am Pult und unterhielt sich intensiv mit einer Handpuppe. „Ach, Mr. Zylinder, ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll… Dieser Job füllt mich einfach nicht mehr aus! Manchmal kommt es mir beinahe so vor, als würden die Kinder mir überhaupt nicht mehr zuhören.“ „Aber das ist doch Unsinn, Mr. Garisson. Die Kinder lieben Dich!“ Angesprochene Person seufzte. „Hach, das sagst Du doch nur, um mich aufzuheitern.“ „Oh nein, das meine ich ernst, aber wenn Du Dich nicht wohl fühlst, könntest du ja mit dem Schulpsychologen darüber sprechen… Diesem Quacksalber!“ „Na, na, Mr. Zylinder! Ich weiß, du stehst auf nicht gerade gutem Fuß mit Mr. Mackey - seid diesem Vorfall, auf der Fahrt zum Flötenkonzert damals - aber ich dulde keine Beleidigungen!“ Er bewegte seine Hand in der Puppe, so dass es so aussah, als ließe diese den Kopf hängen. „Aber vielleicht hast Du Recht…“, sinnierte er, „Vielleicht sollte ich mich tatsächlich einmal mit ihm unterhalten. Vielen Dank, Mr. Zylinder, Du hast mir mal wieder sehr geholfen.“ „Gern geschehen, Mr. Garisson.“ Mit einem Lächeln erhob der, beinahe kahlköpfige, Pädagoge sich von seinem Platz und verließ den Klassenraum. Kapitel 6: Die Autorin sollte sich außerdem schämen, sich in einem einzigen Kapitel dermaßen über wehrlose, imaginär-verstorbene Pop Idole und deren Familienmitglieder lustig zu machen! ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Jeder von ihnen einen Teller mit einem Sandwich darauf (bis auf Kenny, der seines bereits wenige Sekunden, nachdem er es erhalten hatte, vollständig aufgegessen hatte) saßen die vier Jungen in Cartmans Wohnzimmer und sahen fern. Kenny, Kyle und Eric auf dem Sofa und Stan, dagegen gelehnt, auf dem Boden sitzend. Der Bewohner des Hauses zappte träge durch die Kanäle, hier und da innehaltend und sporadisch von seinem Brot abbeißend. ‚Was ist das, „Mary Sue“…?’, ertönte es aus dem Munde irgendeines blonden Mädchens aus dem Fernseher. „Mmmmph. Mph, mmmmh!“, Kenny gestikulierte wild mit den Händen, als der Bildschirm eine - auffällig unauffällig - eingefügte Kamerafahrt zeigte, bei dem man der weiblichen Hauptrolle unter den Rock gucken konnte. Den Blick nur vom Fernseher abwendend, um dann und wann einen begierigen Blick auf Stans Teller zu werfen, dessen Mahlzeit noch unberührt war, gab er ein lüsternes Kichern von sich. „Soll das dein Ernst sein?!“, fragte Cartman mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und übertriebenem Ekel, „Die sieht doch aus, wie ’ne billige Hippiehure!“ „Du solltest nicht so über sie reden!“, sagte Stan mit einer Spur von Mitleid in seiner Stimme. „Ja“, pflichtete sein bester Freund ihm bei, „erst haben unsere Eltern ihre Schwester ermordet und jetzt hat sie auch noch eine Fehlgeburt bekommen. Außerdem gibt es Gerüchte, dass im Internet Fäkalpornos von ihr aufgetaucht sind...“ „Ergh…“ Stans Gesicht hatte eine grünliche Farbe angenommen. Es war allgemein bekannt, dass er einen nicht gerade starken Magen hatte. Cartman hingegen wirkte irritiert. „Woher, zum Henker, weißt du das alles, Jude?!“ Kyle zuckte mit den Schultern. „Passt du im Unterricht denn niemals auf?“ Cartman warf dem Rothaarigen einen sonderbaren Blick zu, bevor er sich wieder dem Bildschirm zuwandte. Jedoch nicht für lange, da es kurz darauf an der Tür klingelte. „MUUU~M!!“, brüllte der übergewichtige Junge nach seiner Mutter und brachte dabei seine drei Freunde, neben ihm, zum zusammenzucken, „DA IST JEMAND AN DER TÜR!“ „Ich weiß, Poopsiekins“, ertönte Lianes mütterliche Stimme, „das bin i~iiich!“ „Oh… Kyle, mach die Tür auf!“ „Fick dich, Fettarsch! Mach’s doch selber!“ „Kenny?“, fragte Cartman, was nach einer seltsamen Mischung aus Befehlston und hoffnungsvollem Betteln klang. Angesprochener verneinte jedoch ebenfalls, indem er ihm mit einem energischen „Mmmph!!“ den Mittelfinger zeigte, den Blick niemals vom Fernsehbildschirm abwendend, was Stan ihm sogleich nachtat. Mit der Erkenntnis die Tür selbst öffnen zu müssen, gab der Junge einen genervten Grunzlaut von sich und erhob sich schwerfällig von seinem Platz, um seine Mutter ins Haus zu lassen. „Hallo mein Schnurzelchen!“, begrüßte diese ihren Sohn, als sie schließlich, mit einer großen Einkaufstüte bepackt, ins Haus trat. „Muuu~m!“, maulte Cartman, den der Kosename zum Erröten gebracht hatte. „Du sollst mich vor den andren nicht so nennen…! „Oh, entschuldige, Schnurzelchen!“ „MUU~M!!“ Sie ignorierte das erneute Genörgel ihres Sohnes und wandte sich stattdessen seinen Freunden zu, welche sie zuvor nicht bemerkt zu haben schien. „Hallo Jungs, wie geht es euch?“, frage sie mit einem Lächeln, die Einkaufstüte noch immer im Arm haltend. „Gut, Mrs. Cartman.“, antworteten Stan und Kyle monoton. „Mmmmph? Mmnm…“, wandte Kenny sich an die Frau mittleren Alters, als sie auf ihrem Weg in die Küche an der Couch vorbeikam, auf welcher die Jungen noch immer saßen. „Oh“, antwortete Liane mit einem kleinen Kichern, „Das ist aber nett von Dir, Kenneth. Komm doch mit in die Küche. Du kannst mir helfen, die Einkäufe wegzuräumen.“ Stan und Kyle warfen sich angewiderte Blicke zu, als der blonde Junge mit Cartmans Mutter durch die Tür in den Nebenraum verschwand. „Dude…!“, bemerkten beide zugleich, und sahen dabei Cartman an, der gerade auf dem Weg von der Haustür zurück zu ihnen war. „Was?!“, fragte dieser verwirrt. Kyle hob eine Augenbraue, ähnlich, wie Stan es einige Stunden zuvor an der Bushaltestelle getan hatte. „Dude!!“, wiederholte er und Cartman runzelte die Stirn. „Ich frag mich, was deine Mutter grade da drinnen mit Kenny anstellt…“, bemerkte Kyle schleißlich in vielsagendem Ton und mit einem Seitenblick auf die Küchentür. Cartmans Augen weiteten sich, als er endlich begriff worauf Kyle hinauswollte. „Halt’s Maul, Daywalker!!“ Cartman war rot angelaufen und hatte, in einem Versuch, den anderen Jungen zu schlagen, diesen stattdessen von dem Sofa hinunter geschubst, woraufhin der rothaarige Junge auf seinem erschrockenen besten Freund landete. „AHAHAHA!!“ Sofort brach der Verursacher des Sturzes in Gelächter aus, wenngleich dies auch ein wenig gekünstelt klang. „Ihr Juden habt nicht nur kein Rhythmusgefühl“, prustete der Junge begeistert, „Gleichgewichtssinn habt ihr auch nicht!“ Er stockte kurz, als er die Position sah, in welcher Kyle sich nun im Schoß eines, mit der Situation augenscheinlich mehr als überforderten, Stan befand. Er blinzelte kurz, bevor er wieder zu lachen begann, ein wenig lauter noch, als zuvor. „Whoa, Kyle! Du bist jüdisch, ein Daywalker UND ‘ne Schwuchtel! Gott muss Dich wirklich hassen!!“ „Ha ha, sehr komisch…“ Leicht errötend und sich den Staub von der Jacke klopfend, hatte der andere Junge sich wieder erhoben. „Wenigstens verkleide ich mich nicht als Britney Spears und stell mir vor, ich wär die Schlampe von Justin Timerblake!!“ Cartmans Augen weiteten sich. „Das war nur ein Mal!“, verteidigte er sich gereizt. „Du sahst ihr richtig ähnlich, mit dem Bikini Top und der blonden Perücke. Du solltest dir die Haare vielleicht wirklich so färbe-“ „AY! ICH bekomme wenigstens keinen Ständer, jedesmal, wenn mein bester Freund vorbeläuft und bin zu feige, um es ihm zu sagen!“, versuchte der Junge vom Thema abzulenken und stemmte im Sitzen die Hände in die Hüften, was bei seiner plumpen Figur einen unfreiwillig komischen Eindruck machte. Entrüstet tat der Jude es ihm gleich, wirkte dabei jedoch wesentlich eleganter. „Ich bin nicht feige! Und auch nicht schwul für Stan, Fettarsch!“ „Ach nein?! Ich wette, du träumst in Wahrheit davon, ihm die Zunge in den Hals zu stecken und traust Dich nur nicht, Schwanzlutscher!“ Kyle zog die Augenbrauen zusammen und öffnete den Mund, als wollte er wieder zu schreien beginnen, doch im letzten Moment schien er es sich anders überlegt zu haben und stattdessen breitete sich ein undurchsichtiges Grinsen auf seinen Lippen aus. „Schön… Und dann färbst du dir die Haare blond!“ Verwirrt ob der scheinbar unsinnigen Äußerung, starrten Cartman und der (sich ein wenig von der Unterhaltung ausgeschlossen fühlende) Stan ihn fragend an. Und ehe dieser begreifen konnte, was der andere Junge meinte, hatte Kyle sich plötzlich zu ihm hinunter gebeugt und die Lippen auf seine gepresst. Es dauerte einen Augenblick, bis Stan begriffen hatte, was soeben geschehen war. Sein bester Freund hatte ihn geküsst! Es war nur ein kurzer Kuss gewesen und eigentlich hatten ihre Lippen sich kaum berührt, aber trotzdem: Sein bester Freund… war eine Schwuchtel! Das nächste, was ihm in den Sinn kam, war Cartman. In der Gewissheit, jetzt in ein Grinsen zu blicken, das derart triumphierend war, dass es sich jeder Umschreibung widersetzte, wandte er sich dem übergewichtigen Jungen zu. Doch ganz im Gegensatz zu Stans Erwartungen grinste dieser nicht. Er lächelte noch nicht einmal. Stattdessen stand er kreidebleich da und starrte den jüdischen Jungen aus ungläubigen Augen und mit halb offenstehendem Mund an. Erst, als Stan daran dachte, wie bescheuert er dabei aussah, bemerkte er, dass er in ungefähr denselben Ausdruck auf dem Gesicht trug und schloss seinen eigenen Mund in der Gewissheit, dass ihm ohnehin nichts eingefallen wäre, was er jetzt hätte sagen können. Aus irgendeinem Grund nicht in der Lage Kyle anzusehen, wartete er stattdessen auf eine Reaktion des übergewichtigen Jungen, zu dem er, aufgrund seiner Position auf dem Boden noch immer aufsehen musste. Es kam ihm beinahe wie eine Ewigkeit vor, bis dieser sich endlich rührte. „Raus hier!“, sprach er schließlich in einer Stimme, die klang, als wüsste er selbst nicht genau, was er in diesem Moment ausdrücken wollte. Der Ton war wie eine unbeschreibliche Mischung aus einem Kichern, einem wutentbranntem Ausruf und dem Quengeln eines Kindes und machte Stan in diesem Moment fast ein wenig Angst. „Cartman.“, hörte der Schwarzhaarige Kyle sagen, zu dem er sich noch immer nicht umsah und ihm fiel auf, dass seine Stimme belustigt klang. „ICH HAB GESAGT, DU UND DEIN HIPPIE-LOVER SOLLT WO ANDERS RUMMACHEN GEHEN!!“ Cartman schrie jetzt und es wunderte Stan, dass seine Mutter noch nicht in die Stube gekommen war, um nachzusehen, was los war. Sich noch immer ein wenig übergangen fühlend, erhob er sich nun langsam vom Boden und stellte dabei fest, dass er sich Mühe gab, die Aufmerksamkeit der zwei anderen nicht auf sich zu ziehen. Zuerst war er sich nicht sicher, was er nun tun sollte, doch nach einigen Sekunden spürte er, wie seine Füße ihn zur Haustür trugen. Hinter sich die Laute Cartmans und Kyles, von denen er allerdings nicht verstand, was sie sagten, da sie von dieser kleinen Stimme in seinem Hinterkopf übertönt wurden, die seit dem Moment, in dem Kyles Lippen sich auf seine gepresst hatte, nicht verstummen wollte. Mein bester Freund – der Junge, mit dem ich seit ich fünf Jahre alt war, so gut wie jedes Wochenende im selben Bett geschlafen hab – hat mich geküsst!! Stan hatte kaum bemerkt, wie weit er bereits gelaufen war, doch als er Kyles Schritte hinter sich vernahm, hatte er sich bereits ein ganzes Stück von Cartmans Haus entfernt. „Dude!“, ein wenig außer Atem stand der rothaarige Junge jetzt genau neben ihm. Stan blieb stehen und sah ihn aus großen blauen Augen heraus hilflos an. „Weißt Du Kyle, ich…“ „Das war großartig! Hast Du Cartmans Gesicht gesehen?! Damit hat der Fettarsch nicht gerechnet!“ Sein Lachen wurde lauter. Stan blinzelte verunsichert. „Heißt das… der Kuss war nur wegen der Wette…?“ Kyles Lachen stockte und er verschluckte sich, woraufhin er für einige Sekunden zu husten begann. „Aber natürlich! Du dachtest doch nicht…“ Stan sah seinen Freund mit noch immer weit geöffneten Augen an und dann ein wenig beschämt weg. „Was?! Oh… oh Jesus, nein! Das hab ich nur gemacht, weil ich die Reaktion vom Nazifettkeks sehen wollte!“ Stan fiel ein Stein vom Herzen und er gab ein erleichtertes Seufzen von sich. „So ein Glück, ich dachte schon, das würde jetzt in einem dieser peinlichen ‚Weißt-Du-ich-mag-Dich-aber-nur-als-Freund-Gespräche‘ enden…“ Kyle legte in der männlichsten Geste, zu der er fähig war, einen Arm um Stans Schulter und die beiden Jungen begannen, ihren Weg die Straße hinunter fortzusetzen. „Du weißt aber schon, dass die Sache uns jetzt verfolgen wird, bis wir vom College abgehen, oder?“, fragte Stan mit einem unsicheren Gesichtsausdruck. „Jop.“, antwortete Kyle und besann sich nochmals den weit aufgerissenen Augen seines geschockten semi-Freundes, in welche er einige Sekunden zuvor geblickt hatte, „Aber dafür hat’s sich gelohnt!“ Kapitel 7: Night of the Raging Manatees --------------------------------------- Kenny fragte sich, was während seiner Abwesenheit bei den anderen Jungen vorgefallen war, als er durch die Küchentür ins Wohnzimmer zurückkehrte und dieses verlassen vorfand. Schon als er gemeinsam mit Cartmans Mutter in der Küche gesessen und deren Sohn von draußen schreien gehört hatte, hatte er eigentlich nachsehen wollen. Liane jedoch hatte ihn zurückgehalten mit den Worten, die anderen Jungen würden nur spielen. Zwar war der blonde Junge da anderer Meinung gewesen, doch waren die Informationen, die er sich aus der Unterhaltung mit besagter Frau in diesem Moment versprochen hatte, ihm wichtiger gewesen, als einem weiteren Streit zwischen Cartman und Kyle beizuwohnen. Nun allein in der Stube des Hauses stehend, überlegte Kenny zunächst noch, ob er nachsehen sollte, ob seine Freunde nach oben in das Zimmer von Fettarsch gegangen waren, überlegte es sich dann jedoch anders. Draußen hatte bereits die Dämmerung eingesetzt und so beschloss der Junge, dass er sich auch ebenso gut auf den Heimweg machen konnte. Ein wenig Schlaf würde er noch gut gebrauchen können, bevor die Nacht endgültig hereinbrach – denn Kenny hatte einen Plan. Auf das gedämpfte Summen lauschend, dass nun aus der Küche drang, schloss Kenny die Haustür hinter sich und ging in seinem Kopf nochmals durch, was er soeben in Erfahrung gebracht hatte. Nachdem er Liane beim Einräumen ihrer Einkäufe geholfen hatte, hatte er sie so unauffällig, wie es ihm nur möglich war (und das war für einen Neunjährigen nicht gerade sonderlich) gefragt, ob ihr Sohn wohl irgendwelche Medikamente nähme, ohne die er einen schnellen und vollkommen ohne jede nachweisbare Fremdeinwirkung herbeigeführten Tod sterben würde. Zunächst hatte der Hermaphrodit etwas irritiert gewirkt, doch dann hatte Kenny schnell hinzugefügt, dass er das für ein Schulprojekt wissen müsse und sie hatte hilfsbereit gelächelt und dem Jungen bereitwillig erklärt, dass ihr armer Eric nur noch eine Niere hätte, weshalb er jeden Tag bestimmte Tabletten schlucken musste. „Du weißt schon, diese kleinen, weißen…“, hatte Liane in einem Tonfall erklärt, der Kenny verriet, dass sie der Meinung war, er wüsste augenblicklich von welchen „kleinen, weißen“ Tabletten sie sprach, und auf einen der Hängeschränke über der Theke gewiesen. Und so machte Kenny sich nun, an einem kühlen Montagabend auf zum nächstgelegenen Supermarkt, um eine Packung kleiner weißer Pfefferminz zu kaufen… Es war wohl etwa halb eins am Morgen, als der Junge sich auf Zehenspitzen an der offenstehenden Stubentür vorbeischlich. Wie so häufig war sein Vater vor dem Fernseher eingeschlafen. Und obwohl die Ansammlung diverser Flaschen und Dosen auf dem Couchtisch Kenny eigentlich die Gewissheit geben sollte, dass der Mann nicht so schnell wieder aufwachen würde, hatte er dennoch beschlossen, auf Nummer sicher zu gehen und nicht allzu viel Lärm zu verursachen. Ein Hauch von Erleichterung breitete sich in dem Blondschopf aus, als er es schließlich nach draußen geschafft hatte und die Haustür hinter sich schloss. Den ersten Teil hatte er also hinter sich. Jetzt konnte er nur noch beten, dass er den kleinen Spaziergang, der nun vor ihm lag, auch überleben würde. Sich mit den Schneidezähnen zaghaft auf die Unterlippe beißend, ließ Kenny seine rechte Hand in eine der Taschen seines Parkas wandern und tastete nach der Verpackung mit dem Pfefferminz darin. Den kleinen, weißen. Er hatte extra die teuren gekauft, weil die so bitter waren. Alles Geld, das er dabei gehabt hatte, hatte er dafür ausgegeben. Kenny hatte keine Ahnung, wie die Tabletten schmeckten, die Cartman nahm, und ob die Bonbons, die er gekauft hatte, ihnen auch nur ähnlich sahen, aber alle Tabletten, die Kenny bisher in seinem viel zu kurzem Leben bekommen hatte, hatten scheußlich bitter geschmeckt. Als er das schlechtere Viertel der Kleinstadt verließ (schnellen Schrittes, aber nicht rennend, und stets im schummrigen Licht der mitgebrachten Taschenlampe nach potentiellen Gefahren Ausschau haltend) war ihm bewusst, dass es vielleicht nicht der durchdachteste Plan war, sich nachts ins Haus seines Opfers zu schleichen und dessen lebenswichtige Tabletten gegen überteuerte Bonbons auszutauschen – aber hey, immerhin war es besser, als überhaupt kein Plan. Und was hatte Kenny denn auch schon zu verlieren? Dies war ein Vorhaben, das im Hintergrund ablief. Ein Plan B. Während Cartman sein unausweichlichem Schicksal Tag für Tag ein wenig näher rücken würde, könnte Kenny weiterhin Ausschau nach einer Gelegenheit oder Methode halten, die das ganze etwas schneller erledigte. Der Mund des Jungen verzog sich zu einem Lächeln, doch gleich darauf wurde ihm bewusst, dass er, sofern er auch den Rest seines nächtlichen Spazierganges unbeschadet überstehen wollte, besser aufmerksam bleiben sollte und so nahm sein Gesicht schnell wieder einen konzentrierteren Ausdruck an. Er musste jetzt gefasst bleiben. Endlich hatte er eine Gelegenheit erhalten, sein Leben von Grund auf zu ändern. Sein Leben zu behalten! So lange er sich zurückerinnern konnte, war das sein größter Wunsch gewesen. Wie oft hatte er sich doch gewünscht, nur ein einziges Mal die Schlussklingel des Sportunterrichts zu hören. Oder einmal den Silvesterabend in einem einzigen Stück abzuschließen. Oder einmal… Seine Gedanken fanden ein Ende, als er aufsah und feststellte, dass er am Haus der Cartmans angekommen war. Er spürte, wie sein Herz ein wenig schneller zu schlagen begann und ging um das Haus herum, bis er hinten im Garten stand. Er wusste, dass sich in der Hintertür eine Klappe befand, durch welche Cartmans Hängebauchschwein hindurch passte, die also auch groß genug sein sollte, dass ein magerer Junge wie Kenny sich hindurchquetschen konnte. Sich ein letztes Mal nach allen Seiten umsehend, ob sich in seiner Nähe nicht doch jemand befand, der ihn beobachten und/oder gewaltsam aus dem Leben reißen könnte, kniete er sich schließlich, nachdem er sich vom Gegenteil überzeugt hatte, in den schmutzigen Schnee und steckte zunächst vorsichtig seinen Kopf durch die Luke. Zu seiner Erleichterung war der Flur drinnen leer und so begann er seinen Körper Stück für Stück durch die Öffnung zu schieben, bis er sich schließlich vollständig im Inneren des Hauses befand. Auf Zehenspitzen bewegte er sich in der Dunkelheit mit quälender Langsamkeit nach vorn. Bei jedem Schritt betend, nicht in eine unerklärlicherweise inmitten eines Einfamilienhauses aufgestellte Bärenfalle zu treten. (Nicht, dass es das erste Mal gewesen wäre, dass ihm etwas derartige passierte…) Beinahe entwich ihm ein freudiger Seufzer, als er kurz vor sich die leicht offenstehende Küchentür erkannte. Hindurch und auf den Flurboden fiel ein kalter Lichtstrahl, der ihm, wie er hoffte, den Weg in eine besseren Zukunft leuchtete, wie Rob Reiner ein radioaktiv verstrahlten Nikotinmuffin. Die Seekuhwitze aus seinem Hinterkopf verbannend, um sich wieder vollkommen auf sein Tun konzentrieren zu können, betrat er den vor ihm liegenden Raum. Kenny atmete einmal kurz tief ein und blickte noch einmal um sich, um sicherzugehen, dass er noch immer allein war. Er lehnte die Küchentür hinter sich wieder und ließ seinen Blick durch den dämmrigen Raum schweifen, bis dieser schließlich an dem Hängeschrak klebenblieb auf welchen Cartmans Mutter einige Stunden zuvor verwiesen hatte. Nicht ohne zu zögern begann Kenny langsam, darauf zuzugehen und als er ihn schließlich erreicht hatte und einen Arm ausstreckte, um an die Tür des Schränkchens heranzukommen, bemerkte er, dass seine Finger zitterten. Das alles lief viel zu gut! Er wäre wirklich beruhigter gewesen, hätte zu diesem Zeitpunkt bereits der städtische Tankwart versucht, ihn gemeinsam mit einer talentlosen Pornodarstellerin in einem unterirdischen Tunnelsystem einzusperren um ihn dort (warum auch immer) zu Tode zu quälen… oder zumindest so etwas in der Art. Doch dies war nicht der geeignete Moment, schlechte Anspielungen auf noch schlechtere Filme zu machen – er musste sich konzentrieren. Kenny schaffte es, sich zusammenzureißen und öffnete die Tür des Schränkchens (was, aufgrund seiner eingeschränkten Größe zumindest den Ansatz einer Schwierigkeit darstellte) und ließ seine Augen, die sich mittlerweile vollständig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, den Inhalt des Schrankes durchsuchen. Es befand sich nicht viel darin. Lediglich eine Flasche Hustensaft von einer Sorte, von der er eigentlich angenommen hatte, dass sie bereits seid geraumer Zeit nicht mehr hergestellt wurde, da sie besinnungserweiternde Stoffe enthielt, wie er und seine Freunde vor einer Weile herausgefunden hatten. Daneben lag ein wenig uninteressanter Kleinkram verstreut, wie Streichhölzer, eine Anleitung zur Erziehung von Schäferhunden und etwa ein halbes Dutzend Kondome. Und daneben stand – in all ihrer strahlenden Herrlichkeit – eine kleine, weiße Tablettendose. Während Kennys rechte Hand in die Tasche seines Parkas wanderte, um dort nach den mitgebrachten Pfefferminzbonbons zu tasten, ergriff seine linke den Behälter mit dem Medikament darin. Nun, da er die Pillendose in seiner Hand hielt, schüttete er den Inhalt in die leere Tasche seines Parkas. Anschließend füllte er sie wieder mit den mitgebrachten Bonbons auf. Das alles schaffte er in einer solchen Windeseile, es wunderte ihn, dass nicht alles zu Boden fiel. Gerade, als wieder der Gedanke daran seinen Geist kreuzte, dass das bisherige Fehlen jedweder Mordversuche auf seine Person eigentlich ein gewisses Misstrauen in ihm auslösen sollte - Genau in diesem Moment, da lenkte ihn etwas ab. Dort, wo vor weniger als einer Sekunde noch das gestanden hatte, das für ihn das Sinnbild für den Aufbruch in eine neue Zukunft darstellen sollte, dort lag nun ein blauer Briefumschlag auf dem Boden des Schrankinneren. Einen, wie in die Schule versandt. Selbst in diesem Halbdunkel hatte Kenny keinerlei Schwierigkeiten, dies zu erkennen. Seine eigenen Eltern hatten schon häufig Post von der Schule erhalten. Zumeist weil sie die Gebühren nicht bezahlt hatten. Ihm fielen augenblicklich dutzende von Gründen ein, die die Schule dazu veranlasst haben könnte, einen solchen Brief an die Mutter von Cartman zu senden – und in diesem Moment wollte er nichts mehr wissen, als welchen davon sie gewählt hatte. Wie gebannt stand Kenny in der dunklen Küche, den Kopf in die Höhe gereckt, um in der Lage zu sein, in den Schrank zu sehen und versuchte sich selbst verzweifelt daran zu erinnern, dass dies nicht der richtige Moment war, um sich ablenken zu lassen. Sowohl seine linke als auch seine rechte Hand klammerten sich um die jeweiligen Objekte, die sie hielten, bevor er mit einem leisen Seufzen endgültig nachgab, die Pfefferminzbonbondose wieder in seine Tasche zurückfallen ließ und stattdessen den Briefumschlag an sich nahm. Nur ein ganz kurzer Blick würde sicher nicht schaden…! Er stellte die Tablettendose mit den Bonbons darin zurück an ihren Platz und hielt den Briefumschlag nun in beiden Händen. ‚An: Liane Cartman. Streng vertraulich‘ stand darauf. Darunter war der Stempel der Schule abgebildet. Doch kaum hatte Kenny sich den Briefumschlag näher angesehen, musste er zu seiner großen Enttäuschung feststellen, dass dieser noch ungeöffnet war. Die Stirn des Jungen legte sich leicht in Falten. Wahrscheinlich war es ohnehin besser so. Einem Außenstehenden wäre es wohl schwergefallen, zu verstehen, weshalb er ein solch großes Aufheben über das Umfüllen von Hustenbonbons in ein Tablettendöschen machte, doch für Kenny selbst bedeutete dieser unscheinbare Akt sehr viel mehr als nur dies. Er wusste, dass die Idee, die er im Begriff war auszuführen, im Grunde dumm war. Er wusste auch, dass die Chance, dass sie tatsächlich funktionieren würde, geringer war, als die, dass er jemals wieder das Bild der romantischen Interaktion zwischen George Bush und Satan aus seinem Kopf verbannen könnte. Aber er wusste auch – und das aus eigener Erfahrung – dass jemand, der sein ganzes Leben lang unter etwas gelitten hatte, nach jedem Strohhalm greifen würde, um das Gefühl zu haben, dass sich doch noch alles zum Guten wenden könnte. Und wenn dieser Strohhalm daraus bestand, einen emotional verkrüppelten Jungen zu einem schleichend langsamen, durch scheußlich schmeckende Pfefferminzbonbons herbeigeführten, Nierenversagen zu verhelfen, dann… Nun ja, dann war das eben so! Plötzlich schrak Kenny hoch. Etwas im Raum hatte sich verändert, er konnte nur nicht genau sagen, was es war. Es brauchte etwa drei Sekunden, bis er realisierte, dass besagtes Etwas sich auf die Lichtverhältnisse bezog. Denn dort, wo den Küchenboden zuvor von nichts außer dem kalten Licht des Mondes berührt wurde, fiel jetzt ein warmer Lichtstrahl durch den Spalt der leicht offenstehenden Tür. „Oh fuck…“, entfuhr es Kenny versehentlich leise und er presste sich gleich darauf mit einer Hand den Stoff seiner Kapuze auf den Mund. Auf dem Flur konnte er schwere Schritte näher kommen hören. Er spürte Panik in sich aufsteigen. So schnell und so leise, wie es ihm nur möglich war, schloss er die Tür des Hängeschränkchens und begann, sich hektisch nach einer Möglichkeit umzusehen, den Raum zu verlassen. Sein Blick blieb schließlich am Fenster über der Küchentheke hängen. Augenblicklich huschte er zu dieser hinüber und kletterte auf selbige hinauf, um besagtes Fenster zu öffnen. Genau in dem Moment, in dem die Tür sich öffnete und der Sohn des Hauses den gleich daraufhin hell erleuchteten Raum betrat, hatte Kenny auch die letzte seiner Gliedmaßen nach draußen gezogen. Mit pochendem Herzen saß der Junge nun, gegen die Hauswand gelehnt, im Schnee unter der Fensterbank. Unfähig, den Rest seines Körpers zu rühren, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er hatte es geschafft! Er war draußen! Und er lebte noch!! „Wer zum Henker hat das Scheißfenster aufgelassen?!“, hörte er plötzlich Cartman von drinnen lauthals fluchen und seine Augen weiteten sich erschrocken. Schnell rutschte er soweit vom Fenster weg, dass es ihm möglich war aufzustehen, ohne vom Inneren der Küche aus gesehen zu werden, und sprang dann auf, um eilends in der Dunkelheit zu verschwinden. Kapitel 8: Garisson/Kevorkian OTP --------------------------------- „Guten Morgen Kinder!“ Als Mr. Garisson an jenem Morgen das Klassenzimmer betrat, trug er ein Lächeln auf den Lippen und in dem Moment, als die Schüler der vierten Klasse der South Park Grundschule dies zu Gesicht bekamen, war ihnen klar, dass das nichts guten heißen konnte… „Heute nehmen wir die ersten drei Jahre von Orlando Blooms Schauspielkarriere durch, doch zuerst möchte habe ich noch eine Mitteilung zu machen!“ Die Lehrkraft strahlte übers ganze Gesicht und ihre Stimme klang so beschwingt, wie die Kinder sie schon lange nicht mehr gehört hatten. Stan und Kyle tauschten stumm besorgte Blicke aus. „Wisst ihr, ich mache gerade eine schwierige Phase durch…“ Es war überraschend, dass es an dieser Stelle keine Zwischenrufe gab, denn (und da waren alle Schüler sich einig) Mr. Garrisons Leben war eine einzige schwierige Phase… „…und nachdem ich gestern ein interessantes Gespräch mit Mr. Mackey geführt habe, habe ich festgestallt, dass mir etwas in meinem Leben fehlt. Ich möchte Menschen helfen! Und deshalb…“ Mit überkreuzten Beinen ließ der Lehrer sich aufs Pult nieder. „…werde ich eine Euthanasieorganisation gründen!“ Die wenigen, die tatsächlich zugehört hatten, sahen die Lehrkraft fragend an, nur Wendy hob eine Hand und begann noch zu sprechen, bevor sie die Erlaubnis dazu erhalten hatte. „Aber Mr. Garisson, ist Sterbehilfe in diesem Staat nicht verboten?“ „Oh doch, Wendy, das ist sie. Und deshalb werde ich zunächst eine Aktion zu ihrer Legalisierung ins Leben rufen. Also Kinder: Wenn ihr heute nach Hause kommt, fragt alle eure Eltern, ob sie mir nicht helfen wollen, diese wunderbare Sache zu unterstützen! …Außer dir, Kyle!“ „Hey!“, rief der Angesprochene wütend aus, wurde jedoch ignoriert, da Mr. Garisson bereits elanvoll mit dem begann, was er selbst als Unterricht bezeichnete. Wie sie es gewohnt waren, erstreckte die Stunde sich ins Unendliche und als die Schüler erst den erlösenden Klang der Pausenglocke hörten, verließen sie den Klassenraum in einer solchen Eile, dass es Mr. Garisson noch nicht einmal mehr möglich war, seinen Satz zu beenden. Zu dritt gingen Stan, Kyle und Kenny den Gang hinunter zur Cafeteria. Zu Stans Unwohlsein war Cartman heute noch nicht zur Schule gekommen und wenn der Junge die Ereignisse des vorherigen Tages betrachtete, gefiel ihm das ganz und gar nicht. Er kannte den übergewichtigen Jungen schon so lange er sich erinnern konnte und das reichte ihm mehr als genug, um nun das Gefühl zu haben, dieser führte etwas im Schilde. „Ich frag mich, was der Fettarsch treibt…“, sagte Kyle in diesem Moment als hätte er seine Gedanken gelesen und in einem so übertrieben banalen Tonfall, dass es kein Genie brauchte, um zu erkennen, dass er sich dieselbe Sorge zu machen schien, wie sein Freund. „Wahrscheinlich gibt er gerade mal wieder ‘ne Teeparty.“, sprach Stan entgegen seiner eigentlichen Vermutung und Kyle kicherte, obwohl der Schwarzhaarige sich nicht des Gefühls erwehren konnte, dass es seltsam mechanisch klang. Bis sie in der Kantine angekommen waren, sprachen sie nicht mehr. Erst, als sie mit ihren Tabletts an einem Fenstertisch saßen und schon eine ganze Weile in etwas herumgestochert hatten, das große Ähnlichkeit mit dem hatte, was sich Mung nannte, begannen sie wieder, sich zu unterhalten. „Oh man, wenn Mr. Garisson wirklich vorhat, dieses Euterdingens durchzuziehen, dann können wir uns ja auf was gefasst machen…“, brach Kyle die ungewohnte Stille, seine Stimme nur so von böser Vorahnung triefend. Stan nickte. „Kann schon sein, aber wie wir ihn kennen-“ Der Junge brach mitten im Satz ab, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zog: Wendy. Während er gesprochen hatte, waren seine Augen ziellos durch die Cafeteria gewandert und schließlich an seiner Ex-Freundin hängengeblieben. „Stan? Hey, Stan!!“ Stirnrunzelnd hatte Kyle sich zu seinem besten Freund hinübergelehnt und versuchte nun, dessen Aufmerksamkeit wiederzuerlangen. Doch da dies nicht zu funktionieren schien, folgte der Jude stattdessen seinem Blick, um selbigen am Mädchentisch wiederzufinden. Kyle seufzte. „Wendy, stimmt‘s?“, fragte er, wandte seine Augen jedoch noch nicht wieder ab. „Sei nicht albern, Kyle…!“, hörte er Stan sprechen. Seine Stimme klang abwehrend, nahezu ärgerlich, doch irgendetwas sagte Kyle, dass er das Mädchen selbst in diesem Moment noch anstarrte. „Ich hab Dir doch gesagt, die Schlampe ist-“ Und genau dies war der Moment, in dem Eric Cartman die Cafeteria betrat, zu Wendy hinüber schritt, sie erst unsanft von ihrem Platz, dann an sich zog und ihr dann einen Kuss auf die Lippen drückte, der mindestens eine Erstklässlerin, die die Szene zufällig mit angesehen hatte, zum Weinen veranlasste. „Was zum-?!“, zischte Wendy dem übergewichtigen Jungen zu, der sie noch immer in seinen Armen hielt, gerade so leise, dass niemand außer demselben sie hören konnte. „Du wolltest doch, dass es echt aussieht.“, antwortete dieser ebenso leise und noch ehe sie dazu kam etwas weiteres zu sagen, hatte Cartman sie bereits wieder auf ihren Platz zurückfallen lassen und war ohne ein weiteres Wort zu dem Tisch hinübergegangen, an dem Kenny, Stan und Kyle saßen. Dort angekommen, ließ er nun seinen eigenen massigen Körper auf den freien Platz neben Kenny fallen, lehnte sich mit verschränkten Armen nach hinten und sah die beiden, ihm gegenübersitzenden, Jungen erwartungsvoll an, nur um die absehbarste aller möglicher Reaktionen zu erhalten. „Dude! Was zum Henker war DAS?! “, schoss es aus Kyles Mund, bevor er sich selbst zurückhalten konnte (was, wie irgendetwas in ihm sagte, die bessere Entscheidung gewesen wäre). Einen Moment noch musterte Cartman den Gesichtsausdruck des anderen Jungen. Die Augen hatte dieser ebenso weit aufgerissen, wie sein Freund, trug jedoch einen anderen Ausdruck in ihnen. Seine Lippen waren so fest aufeinander gepresst, dass das umliegende Fleisch beinahe gänzlich weiß geworden war. Mit mäßiger Überraschung stellte Cartman fest, dass es genau dieser Ausdruck in Stans Gesicht war, der ihn mit einer nahezu perversen Zufriedenheit erfüllte. Schließlich wandte er sich wieder Kyle zu. Sich aus seiner vorherigen Position wieder leicht nach vorne lehnend antwortete er: „Was soll’s schon gewesen sein? Ich hab nur meine Freundin geküsst…“ Er machte eine lächerlich theatralisch wirkende Pause „Gerade Du solltest das nachvollziehen können, Kahl!“, setzte er hinzu, in seiner Stimme diesen schleimigen Ton tragend, den Kyle so sehr hasste. „Also, wo warst Du in den ersten Stunden?“, fragte Stan mit etwas, dass wie ein Seufzen klang unternahm damit wieder einmal den Versuch, einen Streit zu verhindern. Er sah jetzt zwar noch ein wenig blass, ansonsten aber gefasst aus. Cartman wandte sich mit einem Stirnrunzeln zu ihm um. „Mir war nicht gut.“, sagte er und gab sich dabei noch nicht einmal Mühe, die Tatsache zu verstecken, dass das eine Lüge war. „Also hattest Du keine Lust.“, sprach Kyle, woraufhin Cartman unbeeindruckt mit den Schultern zuckte und seine Aufmerksamkeit stattdessen auf das Tablett des anderen Jungen gerichtet hatte. „Hol dir was eigenes, Fettarsch!“, ermahnte Kyle ihn, als dieser den Blick bemerkte, mit dem sein Gegenüber das Essen vor ihm betrachtete. „Aber die Theke ist so weit weeeg…“, jammerte er und versuchte mit den Fingern nach einem Stück Brot zu angeln, was ihm eine Plastikgabel in seiner Handaußenseite bescherte. „AY! Hör auf so geizig zu sein, Du scheiß Jude! Ich-“ Er, kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu vollenden, da er vom Klingeln der Schulglocke unterbrochen wurde. „Aww, schau was Du angerichtet hast Kyle, jetzt bekomm ich gar nichts mehr zu essen!“, bemerkte er auf dem Weg nach draußen wütend. „Als wenn dir das so sehr schaden würde!“, erwiderte Kyle mit einem Augenrollen und schritt durch die Tür, die nach draußen auf den Gang führte. Mit den Beleidigungen fortsetzend, machten Cartman, Stan und Kyle sich auf den Weg zurück zum Klassenraum, ohne zu bemerken, dass Kenny ein Stück zurückgeblieben war. Lustlos schleifte dieser hinterher, der festen Absicht des Klassenraumes so lange wie nur möglich fern zu bleiben. Die Hände in die Taschen seines Parkas schiebend, betrat schließlich auch er den Gang – stockte jedoch augenblicklich, als er etwas seine behandschuhten Finger streifte. Überrascht zog er den Gegenstand heraus. Es war ein blauer Umschlag. Es dauerte einen Moment, bis ihm einfiel, wie er dorthin gekommen war. Der Brief, den er in Cartmans Küchenschrank gefunden hatte – er musste in der Hast vergessen haben, ihn wieder zurückzulegen. Seine Augen weiteten sich und blitzschnell steckte er ihn wieder zurück in seine Tasche. Wenn jemand sah, dass Kenny einen an Cartmans Mutter adressierten Brief bei sich hatte, könnte das Probleme für ihn bedeuten. Doch noch bevor er den Gedanken weiter ausschmücken konnte, würde die Angst in seinem Inneren durch ein neues Gefühl ersetzt: Neugierde. Er war neun Jahre alt und es befand sich ein privater, an die Mutter eines seiner Freunde adressierter Brief in seiner Tasche. Er musste wissen, was darin stand. Ihn nicht zu lesen wäre, als würde er eine Art ungeschriebenes Gesetz übertreten. Und ohnehin - wer sollte denn jemals herausfinden, dass er es gewesen war, der den Brief von seinem Platz entwendet hatte? (Sofern sein Fehlen überhaupt jemandem auffiel - immerhin war es noch immer Liane Cartman um die es da ging…) Es dauerte also nicht lange, bis er sich entschieden hatte, was er als nächstes tun würde. Die Flure waren jetzt beinahe vollkommen leer, die Schüler saßen bereits in den Klassen, während die Lehrer sich wie gewöhnlich erst mit kurzer Verspätung auf ihren Weg in die Unterricht begeben würden. Kenny warf noch einen flüchtigen Blick den Gang hinunter, konnte aber niemanden mehr sehen und drückte sich dann durch die Toilettentür. Schnell ging er sicher, dass auch hier niemand war und machte sich nicht erst die Mühe, sich in eine der Kabinen einzuschließen, bevor er den Umschlag wieder hervorzog. So früh nach Stundenbeginn würde bestimmt niemand hereinkommen. Er sollte beim Öffnen besser vorsichtig sein. Im Fernsehen benutzten sie dazu Dampf, aber den hatte er hier nicht. Er überlegte einen Moment lang, dann ging er hinüber zum Handtrockner neben den Waschbecken. Mit einem leichten Schulterzucken stellte er das Gerät an und hielt den Umschlag darunter. Heiße Luft war heiße Luft, warum sollte es also nicht funktionieren? Zu Kennys Enttäuschung (wenngleich auch nur sehr milden Überraschung) tat es das nicht. Aber aufgeben wollte er nicht, und mit der Überzeugung, dass der den Brief ohnehin nicht wieder zurücklegen würde, riss er das Papier ganz einfach auf. Beim ersten Überfliegen fiel ihm auf, dass der Text zwar kurz, jedoch sehr viel komplizierter formuliert war, als es nötig gewesen wäre. Aber immerhin war es ein Schulbrief, also hatte er eigentlich nichts anderes erwartet. Seine Eltern konnten sich stundenlang darüber streiten, was so eine Mittteilung ihnen denn jetzt eigentlich sagen wollte. (Natürlich konnten seine Eltern auch über eine Diskussion um gefrorene Waffeln die Polizei wegen häuslicher Gewalt auf den Plan rufen. Aber dennoch…) Er las den Brief ein zweites Mal durch, diesmal etwas sorgfältiger und es gelang ihm, die eigentliche Aussage zu verstehen. „Aufgrund des andauernden Fehlbetragens Ihres Sohnes in der Schule bitte ich Sie, mit mir in naher Zukunft zu einem persönlichen Gespräch zusammenzutreffen.“ Die darunter stehende Unterschrift war die Mr. Mackeys. Cartmans Mutter sollte sich also mit ihm treffen. Keine große Überraschung. Aber das Fehlen von Originalität würde Kenny nicht davon abhalten, sich diese Informationen zunutze zu machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)