Unverhofft Tod oder Aufstieg und Fall eines Heiligen von abgemeldet (Das Scheitern eines wohlbekannten Cyborgs) ================================================================================ Von Mondfischen --------------- ×TaKa...forever.× Er schreibt einen Punkt ans Ende des Satzes. = Handlung XD „Blablabla“ = Reden Denkdenkdenkdenk = Hirnaktivität sichtbar gemacht O..o Gehört wurde durchweg Price of Freedom von Final Fantasy Crisis Core. (Durch entriegelte Pforten weht der Wind der Neuerung, wenn sich alte Türen schließen. Der schraubgehörnte Teufel Macht erlischt, schienst du des Engels gebrochene Flügel. Niemandes Verwundbarkeit ist von größerem Wert. Das ist für dich.) ******************************************************************************** Aufstieg und Fall eines Heiligen Die ebenholzfarbenen Gerippe eines kahlen Waldes strecken vielfingrige Zweige in den wolkenverhangenen Himmel. Schwer sind seine Schritte: Schnee klebt an den festen Stiefeln, bildet kleine Hauben auf ihren Spitzen, die herunterfallen bei jeder schnellen Bewegung, um sich wieder neu aufzutürmen, denn das Firn ist dick, und große, schweigende Flocken sind letzte Nacht gefallen. Die Schneeschuhe hat er in der Hast des Aufbruchs vergessen. Der Weitsicht seiner Freunde ist es zu verdanken, dass er den dicken Mantel trägt, dessen Pelzbesatz am Kragen durchflossen ist von vereinzelten Strähnen aus dem roten Wust, den er am Hinterkopf zusammengebunden trägt. Der Wind frischt auf und heult durchs schattenschwarze Dickicht, das aus nichts zu bestehen scheint als aus kreuz und quer verlaufendem, hölzernen Draht.. Das Hundegespann aus kräftigen Malamutes wirft sich ins Geschirr und zerrt den klobigen Schlitten über die nächste Anhöhe, und allzu abrupt fällt diese steil in einem zu ungünstigen Winkel ab—der Schwung bringt das mit Kufen bewehrte Gefährt in heikle Schräglage und die Hunde durcheinander. Ein Fluch, auf den nichts antwortet, nur der atemholende Sturm. Der Rothaarige schiebt den Schlitten an, auf den Lippen eine weitere Verwünschung, denn es wird bald dunkel, und sollten sich seine Befürchtungen bewahrheiten, hat er noch einen weiten Weg vor sich. Sanft und schläfrig fallen erste Schneeflocken auf die weiße Decke herab, die wie durch ein verborgenes Elfenfeuer von innen zu glimmen beginnt. Scharfkantig und dunkel dagegen die harnischglatten Stämme laubloser Bäume. Nachts wird es schnell kalt. Nächte in der Wildnis Russlands sind allgegenwärtig und sehr, sehr dunkel. Die verzauberte Essenz der Einsamkeit steigt zu Kopfe und beschwört unliebsame Erinnerungen aus dem Kliff des tiefsten Innersten herauf. Atemwolken steigen einsam gen Himmel. „Kai. Wo bist du?“ * Flashback Anfang * Groß war der Gaspardin, groß und dunkel. Und genau so weiß die Hand, riesig, die ihm sich entgegenstreckte wie die Fluke eines bleichen Wals, wie ein Mondfisch in der Dunkelheit. Er hatte nach den schartigen Fingern gegriffen in kindlichem Vertrauen, denn eine Stimme sagte: Alles wird gut. Den kleinen Roten hatten sie ihn getauft. Wochen und Monate gingen ins Land, und nie lichtete sich der finstere Vorhang, der die Gesichter seiner Eltern verschluckte wie schwarze Gewässer ein Rudel jagender Belugas. Über die Raserei des Kummers und des Zorns, verlassen worden zu sein, schob sich bald das Milchglas rührender Gleichgültigkeit. Das bildhübsche Gesichtchen ward gefroren, kaum dass das Jahr zuende ging. Getünchte Wände wichen kaltem Gestein mit Ritzen und Fugen, in die bisweilen nur ein Finger, mal die ganze Stiefelspitze passte. Die Mauersteine waren zu hart und konnten kaum mit einem Messer oder einem scharfkantigen Rheinkiesel bearbeitet werden; manchen Kindern gelang es trotzdem, und sie schrieben mit schmerzenden Handgelenken ihre Initialen an die Wand. Nichtssagende Buchstaben, nur für den Einen von Bedeutung; und auch ihm würde die Erinnerung schwinden mit der Zeit, da er jeden Tag verlebte, als sei es eine weitere verstrichene Chance auf die Aussicht, dem Gaspardin und seinem Kader schleifender Kutten eine Ehre zu erweisen. Die Abtei erwies sich für viele als besondere Gelegenheit, ihr vermeintliches Talent auf die Probe zu stellen. Mit nahezu fanatischem Eifer gedachten sie, die Aufmerksamkeit des Gaspardins auf sich zu ziehen; die Gier spreizte ihre Finger zwischen den Jungen und vergiftete jedweden Gedanken an eine mögliche Zukunft. Mit der Zeit schwand ihnen auch das, was man Erinnerungen nennt, und das Vergessen trug reiche Ernte davon. Des Nachts waberten Albträume in tödlicher Kälte. Der Rote war verhärmt geworden und brüsk; ihm lag nichts an irgendwelchen Bekanntschaften mit den Anderen; lieber verzog er sich, wann immer es ihm gestattet, und begnügte sich mit schlichter Beobachtung. Die Älteren schikanierten die Kleinen, benutzten sie bisweilen für heikle Botengänge, und wer noch in der dritten Nacht nach seiner Mutter schrie, der schrie in der vierten nimmermehr. Im Herzen Moskaus gelegen, war es dem Roten doch, als umschlösse der Taiga eiskalter Atem das alte Kloster in einer lieblosen Umarmung, trüge es weit fort von den Lichtern einer so sündigen Stadt. Bisweilen hatte es sich zugetragen, da er die Finger um das Gusseisen des Zauns schloss, der die Zone umgab, und ganz still stand, wenn die Schatten rings um ihn sanken. Lichter von den Wachtürmen hatten irreführende Reflexe auf sein Haar geworfen und die Aufmerksamkeit einiger, langbeiniger Huren auf sich gelenkt, die trunken über die einsame Straße stöckelten. Der Rote hatte zugeschaut, wie sich ein nackter Arm durch die Gitterstäbe schob, einer blinden Schlange gleich, und sich nicht gerührt, als die zarte Hand devot auf seinen Kopf niedersank. Dicke, kupferne Strähnen wurden zwischen benagellackierten Fingerspitzen gerieben, glitten hindurch und fielen ihm in die bleiche Stirn. Eine der Huren lachte und sagte, so ein schöner, kleiner Mann sei ihr noch nie begegnet. Der Junge klammerte taube Finger um die Stäbe und erlag keinem Impuls, zurückzuweichen, obschon sich nun mehrere Hände hindurchstreckten und ihn auf seine Seele abzutasten schienen, seine Nase, seine Augenlider, die Brauen, der Mund. Und überdies diese rauchigen und zwitschernden Stimmen, süße Belanglosigkeiten murmelnd, Verbotenes rollend von den Zungen samtpfotiger Katzen. Verfemter Kontakt, der Duft nahender Sünde. Der zarte Rote beobachtete ein noch sehr junges Mädchen am intensivsten und spürte bald darauf, wie sie sein Kinn in die Hände nahm. Es tat nicht so weh wie bei den anderen Dirnen, denn sie hatte die angemalten Nägel kurzgeschnitten; sie waren so klein und von so delikater Färbung wie die Schneckenhäuser in einem Dschungelfluss, und so schillernd ward ihr das Gesicht bemalt. Duftige Korallenfarben verschwammen ihm vor den Augen, sobald sie sich herabbeugte, um ihm einen langen, liebenden Kuss auf die Stirn zu drücken. Drüben stand uralt und ehern der Abtei scharfgeschnittene Silhouette, aufragend und rigide in waberndem Dampf; doch ihre Schrecken waren vergessen, und des Freudenmädchens Gnade füllte ihm die beschränkte Welt ganz und gar. Eine langstielige Rose schmiegte sich ihr exquisit an den halb entblößten Busen und drückte nun den viellippigen Kopf ihrer schweren Blüte an sein Gesicht. Er atmete Süße, atmete Frieden. Wie gern hätte er sie vor der anstehenden Gefahr gewarnt, ihr das Unheil prophezeit; doch weidete er sich eher an ihrer mädchenhaften Faszination, an ihrem naiven Unwissen…alles Leid der Straße hatte sie nicht eines Besseren belehren können, und jede Strieme auf der Seele zollte zu schwachen Tribut. Er war gepackt und heimgesucht von dem tiefen Ansinnen, einer reinen Liebe zuteil zu werden…nicht der der schnellen Vergnügung, der Bresche in eine leidenschaftliche Welt, doch der simplen, kompromißlosen Zuneigung, wie sie ein Bruder einer Schwester entgegenbringt. Sie ließ ihn kosten, ihn gewähren, ließ sich einbalsamieren in seine unverhüllte Bewunderung, und er war egoistisch, denn er schlug sie in einen Bann, der stärker war als ihre zarten Bande; und als das Ende kam, so sah sie nicht; und auch er sah es nicht, denn er ward zurückgezerrt von langen Armen, die ihn fortzerrten vom Zaun, ihm gewaltsam die klammen Finger lösten und ihn davonschleppten. Das Licht, in das sie zuvor gebadet, wich abrupter Dunkelheit, dass der Rote nicht einmal sah, woher sie gekommen; doch Gaspardins Schatten war ihm in Erinnerung geblieben, drohend und riesig. Er kam über die Prostituierten wie ein Wolf über blökende Schafe; und, Blütenblätter weinend, fiel eine zerrupfte Rose in den Schnee. ╴▁▂▃▄▅▆▇█▇▆▅▃▂▁╴ Der Vorhang fiel wieder mit seidener Schwärze, und in stetem Trott gingen die Tage ihren Gang. Frische Wunden heilten, und Eisblumen wuchsen an den vergitterten Fenstern. Keiner der Jungen durfte sich mehr der Umfriedung nähern, hieß es. Der klügere Teil der Brut verdächtigte den rothaarigen Steppke eines Gesetzesbruchs und mieden ihn mehr denn je, als sei er ein Aussätziger. Es kümmerte ihn nicht, zog in ihm Verachtung heran. Und er kämpfte wie ein Steppenwolf, und nur für sich; des Gaspardins fade Zufriedenheit wog ihm alle Knochenbrüche seines Körpers auf. Er kämpfte, als sei jeder Tag der letzte, und keiner beanspruchte diesen ernstzunehmenden und nachvollziehbaren Umstand mehr als er selbst. Mit den Jahren wuchsen die Anforderungen; mal war ihm, als könne nichts ihn stoppen, mal genügte die kleinste Provokation, dass er jeden Wall umfallen zu sehen glaubte. Die ständige Furcht vor dem Fall der Mauern, die er sich aufgetürmt hatte, Stein für Stein, hielt ihn bei der Stange und motivierte ihn zu Höchstleistungen. Er kämpfte sich bis an die Spitze und forderte wahllos seine Kontrahenten heraus, wütend, tobend, zügellos, ein ausgehungertes Raubtier im Hühnerstall. Des Gaspardins brachiale und inhumane Befehlsgewalt gipfelte in der völligen Unterwerfung seiner Kadetten. In dem Wissen, dass in den Augen des Roten nichts mehr existierte als die Aussicht auf ewigen Ruhm und Sieg, benutzte er seine Gier dazu, die schwachen Glieder in der Kette auszuschalten und drei andere Blader auf die Zügellosigkeit des roten Wolfes abzustimmen. Die Behandlung wurde von Monat zu Monat penibler und ausgefallener; wann immer ein Medikament fehlschlug, warfen heftige Krämpfe ihn nieder oder verwehrten peinigende Magenverstimmungen ihm die Nahrungsaufnahme. Die Ärzte sahen es sich an, erhielten Befehle und erhöhten die Dosis. Beim allmorgendlichen Training fehlte der Rote immer öfter, und schließlich drückte er sich für eine lange Zeit. Als er wiederkehrte, erfüllte die blauen Augen immerwährender Winter. Jede Bewegung war befallen von mechanischer Sparsamkeit. Der Gaspardin hatte bekommen, nach was er so rücksichtslos gewühlt: Der perfekte Soldat, bereit, ihm die wahrhaft großen Kriege zu schlagen. Mit größerem Gewinn stieg fortan der Einsatz. Trainiert wurde nur auf den ausgewähltesten Geräten und mit ausgezeichneter medizinischer Behandlung; nichts schien dem Manne zu teuer. Sein Roter erstarkte mit jedem Tag und verbreitete Angst und Schrecken unter den Rekruten, denen ein Duell mit dem Besten von ihnen den Untergang bedeutet hätte. Das Tor zur Abtei schloss sich nur noch selten hinter weinenden Kindern, die in ihrer Baracke nunmehr eine nackte Mauer anstelle nachlässig getünchter Gipswände anzustarren imstande waren und sich bald darauf nicht mehr entsinnen konnten, je woanders gewesen zu sein. Drohungen goss man wie heißes Blei in ihre Ohren. Der Ozean, in den sie sanken, war ohne Wiederkehr. Die wenigsten von ihnen lernten zu schwimmen. Des Roten Monopol blieb beileibe nicht unangetastet. Boris verstand sich meisterlich darauf, bei ihm ein Stadium glühenden Paranoias aufrechtzuerhalten, indem er durch die Lobhudelei anderer Kadetten die Eifersucht des Cyborgs entzündete. Um so zerstörerischer wütete er, die Konkurrenten auszuschalten, sich dessen zu versichern, was er nie befähigt, zu besitzen: Anerkennung. Bekannt als christliche und resümierte Lehranstalt wurde die Abtei. Die hohen Tugenden ihrer Führer lauteten Disziplin, Verzicht, Bescheidenheit und Treue. Nahezu niemand beschwerte sich ob der als ‚unkonventionell’ betitelten Methoden. Bisweilen sah der Gaspardin sich gezwungen, sich flachsschöpfiger Reformisten zu erwehren, denen die dort angewandte Erziehungsstrategie gegen den proper gekämmten Strich ging. Genüsslich sah er sie niedergeschrien in dem Ansturm sehnlichst erwarteter Sympathisanten, die weiter gedacht hatten als der Haufen ungemütlicher Kritiker; sie hatten sich allesamt des Namens eines renommierten Wohlhabenden entsonnen. Zarische Wurzeln nannte er ebensosehr sein Eigen wie ein Sammelsurium befremdlicher Visionen; eine davon erwähnte, so abstrus dies den Gläubigern auch unterkommen musste, das Sinnen nach Weltherrschaft. Boris Balkow hatte bis zum Auftauchen seines geschätzten Sponsors einen schweren Stand. Die einst so ruchlos in Umlauf gebrachten Gerüchte waren nicht einzudämmen, die Schulden nicht abzubezahlen. Die Institution seiner Träume fraß an den Finanzen wie die Straßenkatzen Moskaus am in eisiger Kälte dampfenden Müll. Zum ersten Mal seit der Ankunft des Roten brach des Eisbergs greller Keil durch den Mahlstrom dieses schwarzen Ozeans, und es versetzte sie alle in Angst und Schrecken. Des Gaspardins Besessenheit gipfelte in den Verwüstungen seines Büros, wenn er nicht eben in ein brütendes Schweigen verfiel, das die Kinder dazu veranlasste, ihm für die nächsten Tage sorgsam aus dem Weg zu gehen. Seine unruhigen Patrouillen hinterließen stets eine übelriechende Schneise der Furcht und die Ausdünstung von aus dem Hinterhalt angewandter Gewalt. Seine Laune übertrug sich auf die vermeintlichen „Erzieher“ der Klosterschule und hetzte eisenbeschlagene Schritte durch dunkle Gänge des Nachts, wenn es den Jungen verwehrt blieb, zu schlafen, die Überwachungen auszublenden, Ruhe zu finden. Das Schicksal vieler Rekruten stand nunmehr auf der Kippe; der Bankrott hätte die Straße, den Strich für sie alle bedeutet. Als Boris die zweite und letzte Chance winkte, war der Rote elf Jahre alt. Direkt vor der Abtei trug es sich zu. Privilegierten Gestalten wurden die Türen von eleganten Luxuskarossen geöffnet, der Pelzmantel drapiert; Obacht, nur nicht einklemmen. Staunende Augen, Finger um die Gitterstäbe; draußen wurden Hände geschüttelt. Bisschen Blitzlicht, aber die Zensur schob routiniert den Riegel vor. Kalter Wind im Schopf. Draußen – Pelzmützen um schüttere Haarkränze. Unnachgiebig drängte sich der Rote durch die stocksteifen Gaffer. Eben da entstieg ein Schrank von Mann dem Wagen, stahlgraue Mähne bis auf die breiten Schultern reichend, gehüllt in einen mitternachtsschwarzen Talar, der sich imposant über der breiten Brust spannte. Buschige Augenbrauen schliffen an einem durchdringenden Adlerblick; mit dem Besitzer einer solchen Hakennase und des grausamen Zugs um den Mund ward nicht gut Kirschen essen. Dem tapfersten Kadetten wallte das Blut im flatternden Herzen, sobald seine Statur, sich vor dem Neuschnee eines frostigen Januars scharf abzeichnend, herumwandte—denn so konnten sich die hinter den Fenstern des Speisesaals zusammengedrängten Jungen nicht des Eindruckes erwehren, dass er ihre neugierigen Blicke spürte und jeden einzelnen von ihnen missbilligte. Der Rote, noch nicht gemieden und von Medikamenten entstellt, drückte seine Nase an die Glasscheibe und wischte mit einem Ärmel den Dunst seines Atems hinfort, der das Fenster beschlug. Ein paar Bedienstete in dunkler Kleidung entnahmen dem Kofferraum einige Taschen, und der rothaarige Junge meinte zu sehen, wie einer von ihnen, ein üppiges Mädchen, bei der Betrachtung der spitzen Türme und winzigen Fenster die Schultern hochzog, als fröstelte der Gedanke, durch das finstere Portal zu treten, sie eher als des Winters lieblos streichelnde Finger. Über alldies nicht ihre Pflichten vergessend, beugte sie sich in den Wagen hinab—und dem russischen Knaben war es, als elektrisierte ihn eine plötzliche Vorahnung bis ins Mark. Das Geflüster der andereren Schüler war nicht länger von Belang, war es nie gewesen—denn da entstieg ein Kind der Limousine, hell und winzig zwischen all den düsteren Gestalten, die in Fäustlingen steckenden Hände in den Taschen seines petrolblauen Mantels, der wilde Haarschopf von der Farbe des Schnees bei Dämmerung wüst in Stirn und Nacken fallend. Der Knirps bewegte sich durch die Gruppe debattierender Erwachsener wie ein Polarfuchskind unter Wölfen, stapfte durch das Firn mit entzückend entschlossenen Schritten. Aus ihm strahlte der ganze Glanz eines den Halbstarken der Abtei unbekannten Wohls, das mit all seinen Reichtümern und Privilegien nunmehr nicht zählte, erübrigte der löwenmähnige Herr doch keinen einzigen Blick für seinen Spross—die Beobachter duckten sich instinktiv, denn da trat der Gaspardin, pompös wie ein aufziehendes Gewitter mit seiner Haube und der schleifenden Robe, ins Blickfeld. Die Gedanken der Beobachter kreisten nur um eine Sache—oh, was hätten sie dafür gegeben, den Wortwechsel der beiden Männer mitverfolgen zu können! Und gar seltsam mutete Boris’ Gebaren nun an – er lächelte, dass sich die scharfen Falten um seine kleinen Augen noch vertieften, die schmalen Lippen sich spannten; doch der Gast lächelte nicht…er winkte, als sei ihm die ganze Angelegenheit schrecklich lästig, in die Richtung seines Sprösslings, woraufhin sich die Lakaien – und als mehr sah er sie sicherlich nicht – seiner annahmen. Der Dreikäsehoch nahm folgsam die ihm dargebotene Hand und folgte der Prozession sich lebhaft unterhaltender Gestalten über den freigeschaufelten Weg und durch das Portal des Konvents. Derweil die unzähmbare Sensationsgier in den Reihen des Publikums nicht mehr auszuhalten war, stürmten die ersten Knaben wider besseren Wissens drauflos, die Kunde zu verbreiten vom Eintreffen des seltsamen Mannes mit der Statur eines mittländischen Bären, der den Gaspardin so mühelos zu umgarnen gewusst hatte. Rasant zu erhabener Glorie sprießende Gerüchte wurden verbreitet und ihren schwellbrüstigen Überbringern ein wenig Anerkennung zuteil. Mit leidenschaftslos gespannten Muskeln im Rücken stand der Rotschopf, wo ihn der Pulk zurückgelassen. Die Auffahrt zur Abtei war nun leer, und weiter unten prangte die Limousine in vornehmem Schwarz—der Chauffeur genehmigte sich, an der prächtig gewölbten Motorhaube lehnend, eine Selbstgedrehte. Des jungen Bladers Unruhe war nun dergestalt, dass es ihn danach verlangte, sich im Beydish abzureagieren, um all die Geister, die so heimtückisch beim Anblick der Gäste erwacht, heimzutreiben…wo das Heim solcher Gespenster auch immer sein mochte. Um den kantigen Beyblade ballte sich seine bleiche Hand zur Faust. Es wäre unwahr, zu glauben, das Kind nähme nun schon einen so hohen Stellenwert für Boris ein, wie es in wenigen Jahren der Fall sein würde; zweifellos standen noch Auswahlverfahren aus, die die Spreu vom Weizen trennen sollten, und erst recht, da die Abtei nun so offensichtlich einen neuen Sponsor zu verzeichnen hatte, würde die Härte der Ausbildung beträchtlich zunehmen. Nichtsdestotrotz befiel den Jungen eine heftige Aufregung, und, überdies, die silberhellste Angst, die er sich auszumalen niemals gewagt hatte. Als ob er mit irgendeiner Konkurrenz rechnen müsste! Man sehe sich dieses Kind an—der Rotschopf ging soweit zu behaupten, dass ein ernstzunehmender Gegner anders aussah..! Wiewohl sein Herz in der Brust jagte wie ein aus seinem Geschirr ausgebrochenes Brauereipferd, so versäumte er nicht, sich einzureden, es habe sich nichts geändert. Nichts. Wider seinem Unglauben und dem unleugbaren Wissen zugute irrte er sich. Zunächst ging das Leben in der Klosterschule seinen gewohnten Gang – einander heftig befehdende Steppkes übten sich in blindem Gehorsam, gefahrvoll, weil blind, und blind, weil gefahrvoll—ihr Drang nach Kräftemessen fand Befriedigung in wilden Beykämpfen, die sich über lange, spannungsgeladene Nachmittage hinzogen, in denen zu allerhand Intrigen aufgelegte Konkurrenten durch die Flure schritten, ein jeder von ihnen verblendet von Versprechungen und der verhangenen Aussicht auf Anerkennung. Nach wenigen Tagen widerlegte sich die Mutmaßung, der blaugeschopfte Zwerg sei nichts gewesen als ein zum Leidwesen der Verantwortlichen mitgeschleppter Besucher, nunmehr wiederaufgenommen im Kreis seiner Bediensteten und seiner Zukunft als umsorgter, wohlhabender Zögling. Des Roten Gedanken konzentrierten sich jedoch, mehr als zuvor, auf die Herausforderer, die der Gaspardin ihm tagtäglich servierte, und war er derweil so beschäftigt, an seinen Techniken zu feilen, dass er den Kleinen beinah vergaß. Doch der Blick glutgefüllter Augen ätzte sich eine Bresche in seine Seele hinein; ganz wusste er die Erinnerung an den adlergesichtigen Hünen auch nicht zu verbannen. Der russische Winter streckte sich genüsslich wie ein Schneeleopard durch den ganzen Januar und schlug seine nadelspitzen Krallen tief ins Hinterland hinein, von dem ein steter Wind aus den eisüberkrusteten Ebenen herüberblies und Moskau ins weiße Firn bettete. Die Großstädter sagten der Kälte mit Wildschur und gefütterten Stiefeln den Kampf an und blieben, wenn möglich, zuhause. Die Klosterschüler hüllten sich in ihre Mäntel und verfluchten den Frost, denn es bedeutete das Schaufeln des Schnees für sie. Der Gaspardin war wieder gut aufgelegt und brüllte, wenn grundlos, nur noch selten herum. Als gutes Omen wurde dies aufgenommen bei den Jungen, die den elendiglich durch die Abtei schleichenden, in Selbstmitleid suhlenden Schatten in unerfreulicher Erinnerung hatten. Der mysteriöse Junge mit dem Sturmschopf nahm an den allmorgendlichen Trainings mit erheiterndem, weil naivem Eifer teil, und während die Begleister von seiner Ankunft es ablehnten, noch einmal aufzutauchen, neigte sich der Winter seinem Ende zu. ╴▁▂▃▄▅▆▇█▇▆▅▃▂▁╴ Die Entladung ungestümer Energie erschütterte die Abtei bis in ihre Grundfesten und bestäubte die Mauern in ihrem näheren Umkreis mit dem Glas zerplatzter Fenster. Tala Ivanow riss es aus einem Zustand, der beschrieben werden konnte als schmaler Grat zwischen tiefer Ohnmacht und dem Schlafe der Gerechten. In diesen versetzt worden war er von heftiger, ihn bislang glücklicherweise erst im Zimmer befallender Erschöpfung, der ein besonders hartes Training vorausgegangen war. Umso chaotischer gestaltete sich das Erwachen—orientierungslos herumtastend fegte er seine Lampe vom Nachtisch, schwang die Beine aus dem Bett, um sie im Kabel zu verheddern, zu stolpern und polternd zu Boden zu gehen. Auf der anderen Seite der Baracke saß ein auberginenschöpfiger Knirps von nahezu liliputanischer Gestalt kerzengerade in seinem Bett. „Oh nein….jetz’ hat sich Boris doch ins All geschossen, seine Familie suchen…“ Und Ian gackerte los. „Dich hat niemand gefragt. Ich frage dich jetzt: Was war das?“ Der zwergenhafte Junge stützte den Kopf auf die kurzen Arme, Tala bei seinem Versuch, sich wie Houdini von der aufdringlichen Schnur zu befreien, beäugend. Das runde, olivenfarbene Gesicht mit den dunklen, funkelnden Augen hatte noch nicht den Schalk eines frechen Grinsens verloren. „Was? Äh. Zieh’ meine Behauptung zurück. Hatte Boris nich’ heut’ Abend sein Leibgericht mit viel Zwiebeln?“ „Ian…“ Just öffnete sich die Tür, der Lärm von aufgeregten Rufen und barfüßigem Gerenne schwoll für einen Moment an—dann blickte ein sehr großer, flachsköpfiger Junge auf den Rotschopf nieder, mit einem grobschlächtigen Gesicht, in das sich neben der offensichtlichen Müdigkeit einen Augenblick lang Verwirrung malte. Jedwede Bemerkung ob Talas langen Blickes und durch gesunden Menschenverstand im Keim erstickt, beschränkte sich der Blonde auf ein Zucken seiner mächtigen Schultern und darauf, sich ans kalte Mauerwerk zu lehnen. Etwas in seinen Augen ließ den Rothaarigen aufschauen, und keinen Atemzug später hing auch Ian an seinen Lippen. „Der Neuling hat sich in die Testarena geschlichen und den neuen Blade geschrottet.“ Das war eine Neuigkeit, die den kleinen Russen sofort von seinem Bett hochkatapultierte. In den aufgeweckten Taschenspieleraugen mischten sich Unglauben und lustvoller Neid. „Fuck! Nein? Spence, du verarschst mich? Aber Boris hat den Blade doch heut’ erst vorgestellt…“ Tala streifte sich in zielstrebiger, aber ruhiger Hast das Schlafanzughemd von den Schultern und griff nach dem neben dem Bett liegenden Trainingsoverall, dessen er sich im Halbschlaf keine drei Stunden zuvor entledigt hatte. Spencers Augen hefteten sich auf die wie beiläufig auf der blassen Haut leuchtenden Narben, erste Spuren, die den Körper eines knapp zehnjährigen Jungens zierten. Mit ungestümer Entschlossenheit zog der Kadett ein paar rote Strähnen aus dem Kragen und steuerte die Tür an. „Mitkommen. Alle beide.“ Bevor sich die Tür zum Schlafraum zum nunmehr letzten Male schloss, huschte bereits ein Junge dem andern hinterdrein; das Gemurmel ging von dem Kleinsten aus. „Und ich war mir sicher, Boris hat einen fahren lassen.“ „Klappe.“ Nun schon waren die Korridore gerammelt voll mit Grüppchen schlafanzugtragender Knaben, und an dem alten Gemäuer brach sich das Geschnatter teils verschlafen, teils hysterisch klingender Stimmen. Der Rothaarige bahnte sich seinen Weg durch den Trubel; in seinem Kielwasser schwammen die beiden Jungen, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können, der ruhige Spencer, der alle im Umkreis überragte, und der sich an seine Fersen heftende und bisweilen auf den nackten Zehenspitzen tänzelnde Ian. Es war nicht abzusehen, was geschehen würde, sollte es ein besonders leichtsinniger Knirps wagen, sich in den Weg dieses ungleichen Trios zu stellen; auch riet der grausame Zug um den Mund des Rothaarigen von einer Beschwerde ab, die das Wegstoßen durch dessen Arm eventuell heraufbeschworen hätte. Unter diesen Umständen jedoch erinnerten sich die anderen Schüler daran, dass sie an dem einen oder anderen Körperteil noch hingen, und so geschah es erst durch einen der im Kloster angestellten Wachmänner, dass die drei Jungen knapp vor dem Flur zur Testarena, die einst als Kapelle fungiert haben mochte, aufgehalten wurden. „Kein Durchgang.“ Tala betrachtete das beinah einen Meter über ihm schwebende Gesicht, das kaum unter der schweren Kapuze auszumachen war. „Ist Herr Hiwatari schon informiert?“ Ians Lippen formten lautlos das Wort „Himmel“, ohne es auszusprechen, und auch Spencer beobachtete nicht ohne Interesse, wie sich die Halsmuskeln des Mannes spannten. Mit denkbar unverbindlicher Stimme hatte Tala den jüngsten Schwachpunkt des Gaspardins ausgemacht, und gar vielleicht, ohne es zu wissen. Der Zögling des Inhabers der Biovolt Corporation verletzt, oder gar tot – der Erbe an seiner eigenen, von Boris’ Vorsicht ermutigten Neugierde zugrunde gegangen, durch nichts als die neueste Errungenschaft in der Technologie des Beybladens. Black Dranzer. Black Dranzer, ein pechschwarzer Teufel von einem Blade, der durch den Dish gespukt war wie die übernatürliche Erscheinung, die er war. Mit so hoher Drehzahl, dass selbst die giftgrünen Features nicht mehr auszumachen gewesen waren. So brutal der Rückstoß, dass einer der automatischen Starter ihn hatte abschießen müssen. Kein einziger Muskel in ihren Armen, so hatte der Gaspardin mit flammenden Worten erklärt, sei stark genug, der Gewalt, die sich bei Entfesselung dieser Macht auf ihren Körper auswirkte, etwas entgegenzusetzen… Hinterm Panzerglas hatten die Kinder mit großen Augen diesem Schauspiel beigewohnt. Die Älteren übten sich in Zurückhaltung, entlang ihrer Reihen stets die selben, versteinerten Gesichter, aus Angst, eine allzu negative Reaktion wie Furcht—die sie durchaus verspürt hatten—oder Unruhe werde es ihnen erschweren, in der Gunst Boris’ aufzusteigen. Unverhohlene Begeisterung hingegen in den Reihen der Kleineren—manche drückten sich gar die Nase an der Glasfront platt, und unter ihnen verfolgte beharrlich einer besonders die grandiosen Bewegungen des wütenden Blades. Insbesondere ein lavendelschöpfiger Junge mit buschigen Augenbrauen und markanten Gesichtszügen hatte die Hingabe des Zwergs mit spöttischem Grinsen quittiert, doch hatten Talas Augen sich abrupt verfinstert. Das blaue Haar, aufgeplustert zu einem unordentlichen Wust, durch den nie ein mütterlicher Finger gestrichen war, würde er überall wiedererkennen. Er hatte keine Freude an diesem Wissen, und er beklagte dies mit jedem Gedanken, der ihm durch den Kopf ging. Mochten sich die Wachen doch über den Winzling amüsieren! Ja, mochte sich Boris selbst beeindruckt zeigen ob dieses Einsatzes—der verging. Er verging immerzu. Die Kampfeslust, die in einem jeden Neuling zu Anfang hochkochte, versiegte in der Geschwindigkeit, in der der Geist abhärtete. Wäre dies doch Grund zur Häme, wäre dies der Grund, die potentielle Gefahr, die der Junge mit den roten Augen für seine eifersüchtig verteidigte Position darstellte, mit einem Schulterzucken abzutun! Umso niederschmetternder die ernüchternde Erkenntnis, keinen Frieden zu erlangen in dem Moment, wo er ihn am allermeisten brauchte. Mit dieser Bürde war Tala ins Bett gefallen—um jetzt seine ganzen Ängste als unbegründet vorzufinden. Der kleine Günstling des großen Investors auseinandergenommen von Boris’ neuester Schöpfung? Herrlich. Tala labte sich noch an diesem Gedanken, als der Wachmann offensichtlich zu dem Schluss kam, sich nicht auf eine Diskussion einzulassen. Ian ging hinter Spencer instinktiv in Deckung, doch der Rothaarige lehnte es ab, sich von der auf Russisch hervorgebellten Anweisung, gefälligst die Kurve zu kratzen, beeindrucken zu lassen, und blickte umso dreister dem Hünen ins Gesicht, als ob er auf eine Antwort bestünde. Bis zu Handgreiflichkeiten war es nicht mehr weit, da die zweiflügelige Tür weiter hinten im Gang aufflog und bald darauf mehrere Kutten wie die, die ihnen den Weg versperrt hatte, hinausströmten. Unter den Kapuzen war ein Gesicht ratloser als das andere. Ein unflätiges Gebrüll in der Arena hinter der Tür - die Jungen nutzten die neuerliche Verwirrung, sich durch die Grüppchen von Männern zu kämpfen - deutete auf einen außer sich geratenen Boris hin, der just in diesem Moment in den Korridor stürmte, flammende Blicke wie Gottes Rache um sich warf und von dannen rauschte. Doch Tala konnte nicht abwarten, da sich seine beiden Begleiter von ihrem Schock, nur knapp dem Zorn eines Verrückten entgangen zu sein, erholten—schnelle Schritte brachten ihn zum Rand der Arena, die in der Mitte wie von einem Blitz gespalten worden war. Ringsum grinsten die Fensteröffnungen mit Zähnen aus der Druckwelle entgangenen Scherben funkelnd im Scheinwerferlicht, das sich an niedergegangenen Gehäusen und herabhängenden Kabeln brach. Vor des Jungen entgeisterten Augen breitete sich ein Trümmerfeld aus, doch bestand kein Zweifel daran, welcher Albtraum hier ganze Arbeit geleistet hatte. Wie aber stand es um den Urheber dieser Zerstörung? Tala hatte geahnt, dass, nicht zuletzt wegen dem Tempo, mit dem der schwarze Blade die Testgegner zerfetzt hatte, dass die Unsummen, die Boris in die Entwicklung dieses Prototyps gesteckt hatte, nicht vergebens gewesen waren. Doch so etwas überstieg selbst seine kühnsten Träume. Und mehr denn je hoffte er inbrünstig, dass es dem Hiwatari-Zögling den Garaus gemacht hatte. Auf der anderen Seite der dem Erdboden gleichgemachten Arena rotteten sich kitteltragende Sanitäter und Ärzte um eine mit Reflektoren versehene Trage. Tala würde sich noch lange entsinnen können an diese seltsamen Flecke auf dem leuchtenden Orangerot, an die Fetzen blauen Stoffes auf dem staubigen Boden. Das Kind unter der wärmenden Decke war leichenblass, aber bei Bewusstsein – die roten Augen beobachteten die hin- und herhetzende Umgebung mit erstaunlicher Gelassenheit. Der entrückte Blick fiel unverwandt auf den Rotschopf, wie er sich langsam und unbemerkt durch die noch im Raum wabernden Staubschwaden näherte, die kornblumenblauen Augen auf den tiefblauen Zacken in dem kleinen Gesicht, das so um so viel älter wirkte wie durch eine absonderliche Kriegsbemalung. Fast war es, als lachten diese roten Augen über ihn. Ian, nicht weit hinter ihm, schrie noch, Warnung, Rückzug!, aber da fiel bereits dieser grässliche und nur zu vertraute Schatten auf ihn. Erneut reichte die weiße Hand herab, schnellte herab wie ein weißer Falke, als trachtete sie danach, ihm den Brustkorb zu durchdringen… Boris war in Sekundenschnelle bei ihm, über ihm, und es war, als hätte ihn die Fluke eines wütenden Wales erwischt, die ihn hinabschleuderte in atlantische Dunkelheit. Der Schlag warf ihn zu Boden und sprenkelte ihn mit Blut von seiner aufgeplatzten Lippe, bespritzte selbst den gerippten Overall. Boris tobte, doch alles, was Tala hörte, war sein eigener, pfeifender Atem, und was er spürte, das war der harte Belag unter seinen Fingern, die Glassplitter und die Asche. Seine Hand rutschte zur Seite und berührte eisiges Metall. Er schloss die Finger darum, und als der Gaspardin seinen Fehler erkannte, da saß der Rotschopf bereits aufrecht und starrte nieder auf diesen Gegenstand, den er aufgehoben hatte, und drehte ihn sachte hin und her. Finster starrte der schwarze Phönix ihm entgegen, einzelne Federn seiner stolzen Schwingen wie aus Goldfäden gewoben, die Klauen gar wie ins glimmende Metall getaucht. Das unleugbar Edle dieser Gestalt war eingefasst von einem goldenen Rand, der nur oberflächlich den Kern einer komplizierten Apparatur markierte, der Gewichtring schwer und kühl in Talas Hand. Macht, nichts als Macht ging von diesem Gegenstand aus, und scharf forderte er den Jungen heraus, dies zu bejahen. Den Umstehenden entwich angehaltener Atem, als der Rotschopf Black Dranzer fallen ließ, um sich, seine Hose abklopfend, zu erheben. Aus seinen Augen war jede Wut oder Entrüstung gewichen, hatte sie dort je Einzug gehalten, und bisherige Vermutungen diesbezüglich wurden widerrufen oder als Einbildung abgetan, obwohl dem schmalen Russen jetzt das Blut übers Kinn lief. Boris schnaubte; blass, ausgemergelt, hatte er doch von einem Ventil – Tala - mutwillig Gebrauch gemacht. Jetzt sah er sich nunmehr verpflichtet, seine Autorität zu retten, indem er zu seiner berechnenden Kälte zurückfand und dem Personal befahl, sie sollten Kai Hiwatari auf die klösterliche Krankenstation bringen. Teilnahmslos ließ sich Tala von einem wortkargen Spencer zum Gang zurückführen, doch als er sich noch einmal in der Tür umdrehte, um einen Blick auf den schwarzen Blade zu erhaschen, war dieser verschwunden, vermutlich hastig eingesteckt vom Gaspardin. Jedenfalls kehrte er zu seiner Nachtruhe zurück, so wie Black Dranzer, nahezu unversehrt, nach dieser gelungenen Kostprobe zu seinem dunklen Platz im Keller der Abtei zurückkehrte. Wunden heilten, und Erinnerungen erhoben in den Traumgespinsten ihre Stimmen. Kai Hiwatari nahm seinen Platz in den Reihen beim Training wieder ein und verbissen teil—ein wenig härter, ein wenig besser, und kaum vorsichtiger. Die Tage kauerten sich zwischen langen, sternklaren Nächten, die Eisblumen an den Fenstern wachsen ließen. Man spürte und hörte es überall – die Abtei hatte in ihrer Funktion wieder einen Plan, den es unter allen Umständen auszuführen galt. Doch warum, oh warum finanzierte eine mächtige Firma wie die Biovolt Corporation so ein vergleichsweise durchweg belangloses Experiment wie die Erziehung einiger hundert Jungen zu Bitbeast-zähmenden Robotern? Weil bislang nur Kinder genug Fantasie besaßen, einen Draht zu den mächtigen Naturgeistern herzustellen. Weil die Bitbeasts die Kraft besaßen, einmal entfesselt, ganze Arenen aus massivem Granit auseinanderzunehmen. Weil sich Voltaire Hiwatari, Gründer und Drahtzieher der Corporation, nach mehr Einfluss sehnte,den er durch den Konzern nicht bekam. Und weil er sich außerdem erhoffte, den Spross seines Sohnes, Kai Hiwatari, daran teilhaben lassen zu können. Zu diesem Zwecke entwarfen die fähigen Forscher der Biovolt Corporation Pläne zur Umsetzung eines solchen Traumes; Tala Ivanow, der Rote, war ein Teil davon. Und so waren es andere, die die Tests bestanden und sich schließlich zu den Besten des Ausleseverfahrens der Abtei zählen durften. Des weiteren waren zwei der kostbarsten Erbstücke der Hiwatari-Familie in den Besitz des Gaspardins übergegangen, zur freien Vefügung—zwei Bitbeasts, prächtige Geschöpfe, seit Jahrhunderten ihr zu Eigen und auf Wappen in den Kampf getragen…zwei Feuervögel, doch so verschieden wie Tag und Nacht: Der eine hieß Dranzer, der rote Phönix des Südens, Hüter und Symbol des Wohlstandes und Friedens. Der andere jedoch hatte – Boris’ eifrigen Forschungen in der Geschichte der Hiwataris zufolge – in Kriegszeiten seine Flügel gespreizt und war durch Blut und Verderben erstarkt, Black Dranzer, die schwarze Entsprechung des roten Feuervogels, der tosende Begleiter in Kampf und Krieg. Ausgerüstet mit diesen zwei Monstren war es Boris, als sei er fortan unbesiegbar—in Kombination mit einem fähigen Jungen und einer solchen Kraft war es unmöglich, ihm nunmehr irgendwas entgegenzusetzen! Voltaire stellte durchaus Gelder bereit für die Durchsetzung seines Traums, doch bestand er auf eine Bedingung – sein Enkel solle das erstklassige Training der Jungen in der Abtei erhalten, mit ihnen zur Schule gehen, speisen und dem ultimativen Zwecke dienen. Boris’ Zweifel ob des Durchhaltevermögens des Kleinen waren, sehr zu Talas Leidwesen, unbegründet, und deutete nichts darauf hin, dass Kai in absehbarer Zeit das Handtuch werfen würde. Im Gegenteil – aus dem schweigsamen Kind wurde ein noch stillerer Jugendlicher mit finsteren Zügen, ernsten Augen und würdevollem Gebaren. So, wie die Jungen Tala Ivanow aus dem Weg gingen, mieden sie auch ihn – seine geschichtsträchtige Abstammung und nicht zuletzt die Gerüchte um einen Vater, der sich von der Tradition der Hiwatari-Familie abgewandt hatte, bescherten ihm rasch die Position eines Außenseiters. Und nie ein Fünkchen von Reue, niemals Leid. Eines Tages sah Tala ihn gehen. Gehüllt in einen kobaltblauen Mantel; die dicke Schneedecke dämpfte jeden Schritt seiner festen Stiefel. Der lange, weiße Schal aus dünnem Stoff flatterte ihm hinterdrein wie ein Banner, an dem der Tundrawind reißt. Die gummierten Räder seines Rollkoffers blockierten auf dem gefrorenen Pflaster, und postwendend kippte der Trolli, auf einer ausgebeulten Seite gestrandet, der Reißverschluss offen; Beyblade-Ersatzteile verstreuten sich überm Weg. Kai drehte sich bereits um, doch der Rothaarige war schneller. Bald hatten die beiden sämtliche Stücke aufgelesen und in der Tasche verstaut, doch als Tala es ablehnte, diese zu schließen oder gar wiederaufzurichten, verlor der Blauschopf die Geduld. „Sonst noch was?“ Der Ältere legte den Kopf schief, blinzelte. Ein Ozean aus Schweigen dehnte sich zwischen ihnen aus und brach sich an den Felsen ihrer Gefühlskälte. Schließlich erwiderte er: „Bist du nach Plan aufgewachsen, Kai? Bist du das, was du sein solltest?“ Der Funke in den roten Augen erfreute den größeren Jungen, doch nicht für lange. Für einen Augenblick schürzte Kai die Lippen, schien sich die Frage noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen; dann sah er auf das Objekt in seiner Hand nieder, und Tala folgte seinem Blick. „Noch nicht.“ Dann gab der Rothaarige ihn frei; zum Tor ging es, das Klack-klack-klack der Kofferrollen auf den Katzenbuckeln, hinaus auf die Straße. Ein schattenschwarzes Auto wartete auf Voltaires Enkel, der das Gepäck vom Fahrer verstauen und sich selbst auf dem Beifahrersitz niederließ. Die Wolken hingen tief über der Stadt, und Tränen waren geschmolzener Schnee. Tala stand am gusseisernen Zaun wie viele, viele Jahre zuvor und beobachtete den sachte auf reifbedeckter Fahrbahn beschleunigenden Wagen, wie er im geschäftigen Nachmittagsverkehr verschwand. Jeder andere Junge mochte sich fragen: Blickte der Hiwatari-Zögling zurück? Fühlte er einen Stich des Bedauerns, diesen Hort zu verlassen oder, noch wahrscheinlicher, eine Woge der Erleichterung? Eher letzteres, dachte der Rotschopf lakonisch und lehnte die bleiche Stirn an die grünschimmernden Stäbe. Was vermochte Voltaire noch bereitzuhalten für seinen Enkel? Mehr noch, was feierte dieser nicht ob seiner wiedergewonnenen Freiheit? Noch dazu Freiheit als Besitzer eines herrlichen Bitbeasts, wie Dranzer eines war. Millionen Knaben ungeachtet ihres Alters hätten jubiliert; warum nicht Kai? Behandschuhte Fäuste ballten sich um das geschmiedete Metall. Warum war Kai unfähig, sich an dem, was er bislang erreicht hatte, zu erfreuen? „Wird nach Japan geschickt“, sagte Bryan Kuznetsow hinter ihm. „Befehl von Voltaire. Talente suchen, herausfordern. Eventuell Einschleusen in andere Teams. So n Zeug.“ „Er hat Dranzer“, erwiderte Tala, leise, ohne den Blick von der Straße zu wenden. Ein kleines Mädchen lief rufend einem winzigen Hund hinterher, den weißen Muff baumelnd an den Rockschößen. Es bemerkte die beiden, hinterm Zaun verharrenden Jungen, wurde langsamer und wechselte mit ihrem Haustier die Straßenseite. „Wieso sollte er wiederkommen? Jeder Mensch mit einem Funken Verstand würde sich aus dem Staub machen. Wieso ist der Gaspardin sich seiner Sache so sicher…?“ Bryan trat in sein peripheres Blickfeld, ein bereits gut gebauter Junge in Pelz und Nieten, und ließ seine Falkenaugen über den zugebauten Horizont gleiten. „Kai hat den verdammten Trostpreis, Ivanow. Er trainiert für Du-weißt-schon-wen, und offensichtlich entwickelt er sich hier nicht weiter. Spencer hat wirklich gute Kontakte und sicher mehr Ahnung als du oder ich. Kai ist noch nicht gut genug, also versetzen sie ihn. Dranzer ist gut, aber der arrogante kleine Schleimer trachtet nach der Spitze, und weiß alles, was da drunter ist, nicht zu schätzen – wird sich nicht mit zufrieden geben, nie. Und weißt du was? Black Dranzer wird erst kontrolliert werden können, wenn etwas Anderes, etwas Kostbares für ihn fallen gelassen worden ist—vorher wird das Biest weder rasten noch ruhen, und das ist die Legende.“ „Und du bist ein Vollidiot“, erwiderte Tala automatisch, was der helläugige Russe mit einem Grinsen quittierte. Unwirsch stieß sich der Feuerkopf vom Gatter ab und stapfte zum gefräßig klaffenden Portal der Abtei zurück, dicht gefolgt von seinem unfreiwillig erwählten Berichterstatter. „Aber eins kann ich dir sagen, Ivanow—sollte der verwöhnte, eingebildete Hundesohn sich noch einmal hier blicken lassen, werde ich es sein, der ihn nach allen Regeln der Kunst auseinandernimmt—wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann sind es hochnäsige Bastarde, die sich für etwas Besseres halten als die Gosse, aus der sie gekrochen sind.“ Der Rotschopf nahm den Schwur nicht für bare Münze, doch ließ er es bei seinem Schweigen bewenden. ╴▁▂▃▄▅▆▇█▇▆▅▃▂▁╴ Die Eisdecke schloss sich über dem arktischen Meer bis auf eine Schneise, in der das letzte Licht eingekesselt ward. Die Jahre hatten die lebhaften Wellen gefrieren lassen, und die magisch anmutenden, weißen Leiber der jagenden Wale kehrten niemals mehr in diese leeren, gähnenden Fischgründe zurück.’ Das war Talas Traum. Er träumte, in dieser Leere zu schweben, die ihn ganz und gar umschloss, seine nackten Beine, die Schultern, die Brust, ein großes, unbewegliches Embryo in nahezu unvorstellbarer Tiefe, die Tentakel der Schwärze um seine Glieder wand. Das Vertraute dieses Gefühls nahm ihm die Angst. Und als er die Augen öffnete, war es, als sei er aus der tiefsten, atlantischen Grube in einer Lichtblase emporgeschossen in die lichtdurchflutete Senke eines juwelenschimmernden Atolls. Der Schimmer jadegrünen Wassers umgab ihn, nährte ihn, und jenseits dieses Wassers verschwommene, diffuse Gesichter. Was er bislang für eine aquamarinfarbene Sonne gehalten hatte, waren grelle Deckenlichter, und sobald er blinzelte, verfärbte sich das ihn einschließende Element zu einem unappetitlichen Giftgrün. Die Wandlung kam schnell, aber nicht schnell genug, ihn in Panik geraten zu lassen. Nicht diesmal. Im selben Augenblick brach ein Sturm über seinen kleinen Ozean herein—ein Sog von unten drohte, ihn in die Tiefe zu ziehen, doch keine Sekunde später kamen seine Füße auf feinmaschigem Gitter auf. Der Schock dieser groben Berührung durchfuhr ihn ganz und gar, und sträubten sich ihm die Härchen am ganzen Leib ob der Kälte, die das ablaufende Wasser zurückließ. Es verschwand im Sockel der gläsernen Säule, die bis vor kurzem sein Heim gewesen war und nun emporglitt in das Dunkel des Gewölbes. Widerstrebend trugen die Beine sein Gewicht, und er taumelte, doch nicht für lang. Die Wissenschaftler an ihren den ganzen Raum ausfüllenden Apparaten hoben bebrillte Köpfe, unbewegt, als der tropfende Rothaarige mit einer Hand das Gehäuse seiner Atemmaske umschloss. Ihre Innenseiten beschlugen, und dann wurde sie abrupt heruntergerissen, Infusionen und Schläuche baumelten von der Decke herab. Alles hielt den Atem an, als der Rothaarige, sobald das grüne Frucht- Wasser vollkommen durch das runde Gatter verschwunden war, den Arm hob. In seiner Hand funkelte böse helles Metall in der künstlichen Sonne, ein Wolf im Schafspelz, eine Waffe durch und durch. Den Namen den dreien anderen angeglichen, barg dieser Blade den Geist eines finster bemähnten Wolfes, Wolborg—neben ihm bestand das nunmehr perfekte Team aus einer Viper, einem Wal und einem Falken, die die Macht des Sturmes, des Nordmeeres, des Erdreichs und des ewigen Eises verkörperten. In Boris’und auch Voltaires Augen das perfekte Team, bereit, anzutreten bei der ersten Prüfung, die es zu bestehen galt. Zu diesem Zeitpunkt, wenige Wochen vor der Weltmeisterschaft im Beybladen, hatte Tala geglaubt, die Demolition Boys seien komplett und soweit, mit ihm als Kapitän der Welt zu zeigen, was sie waren und wofür sie so hart gearbeitet hatten. Er erinnerte sich des Wolfs, in einer Glassäule eingeschlossen wie er, mit dem ihrer aller Seelen zu einem festen Band verschweißt worden war. Die Wildheit und Unbarmherzigkeit einer in der Tundra heimischen Kreatur hatten als Vorlage gedient, die härtesten Metalle für die Konstruktion des Blades hergehalten. Der Plan galt als narrensicher, und dasselbe hatte Tala von seiner Unersetzlichkeit, seinem unermesslichen Wert gedacht. Nicht weiter überraschend, dass er seiner Hoffnung, seinem Irrglauben zum Opfer gefallen war. ╴▁▂▃▄▅▆▇█▇▆▅▃▂▁╴ Er stand in der ersten Reihe, als Black Dranzer unter den angeblich besten Beybladern wütete. Die Arena im Herzen Moskaus war zum Bersten voll mit Zuschauern, die großäugig vor Staunen – nur wenige mit Entsetzen – das abstruse Schauspiel verfolgten. Da gab es welche, die sich kopfschüttelnd zu den Ausgängen verzogen, war der Kampf doch ungleich – Kai Hiwatari, Deserteur, Verräter, Lügner, Einer gegen alle. Aber etwas war anders, etwas, das nicht sein durfte – die Bösen gewannen, die Guten sahen tatenlos zu. Der Hiwatari hatte sein eigenes Team im Stich gelassen, und der Plan war, ihn zur Rechenschaft zu ziehen – nicht reihenweise von ihm niedergemäht zu werden. In den oberen Logen schwitzte die Spitze der jungen BBA, sah die Hoffnungen schwinden, die sie sich zu machen erdreistet hatte. Und es war fast…fair. So herzerweichend illegitim die Entscheidung Kais für Black Dranzer auch sein mochte, so blieb der Jury in ihren voll klimatisierten Rängen mit ihren Ehrenkärtchen und all dem doch nichts anderes übrig, als die natürliche Dominanz des schwarzen Phönix anzuerkennen. Schulterzuckend ergaben sie sich der Fügung; und so feierte niemand einen größeren Triumph als der, der Boris beschieden war. Außer Kai. Oh, wie badete er in dem Ruhm, den er so spielend und kaltblütig erlangt! Und wie einfach wusste er seine Gegner in Angst und Schrecken zu versetzen; er säte die Furcht unter ihnen aus und erntete die Früchte ihrer Unachtsamkeit mit der Sense von den niedersausenden Klauen des Phönix. Tala sah die so hochgelobten Bladebreakers, einer fassungsloser als der nächste. Tyson Granger, der blauhaarige Vielfraß, zitterte gar, und der bezopfte Chinese, Raymond Kon, war weiß wie eine Wand. Beinah war es nötig, dass sie einander stützten. Der Kapitän der Demolition Boys, nicht der Typ, der ob dieses Elends aufgelacht hätte, verbot sich jedwedes Grinsen, das unter Umständen durch so ein verachtenswertes Verhalten herausgefordert worden wäre; viel eher war er mit dem Überdenken und Abwägen seiner eigenen Taktik beschäftigt. Binnen eines Augenblicks war sein Traum zunichte gemacht, und das Fundament, das er sich mühsam all die Jahre hindurch aufgeschüttet hatte, begann zu wanken. Durch Hiwatari. Jahrelang war Voltaires Enkel fort gewesen, hatte nicht gesehen, und nun kehrte er zurück und maßte sich an, zu bekommen, was Tala so lange gewollt. Der Glauben, von Wert zu sein, nützlich zu sein, zunichte gemacht – durch Hiwatari. „…den Arsch aufgerissen“, hauchte Bryan neben ihm, ungläubig. Tala kam nicht umhin, dem aus vollem Herzen zuzustimmen. Hiwatari hatte den Ruhm nicht verdient. Er kehrte nach Jahren aus der Versenkung zurück und nahm sich einfach alles! In Talas Augen blitzte wohl der Abglanz seiner Absicht, denn gleich darauf schloss sich eine große, klobige Hand um seinen Unterarm. Dieser angehörig war Spencer, der kaum merklich den Kopf schüttelte, seine Augen wie pures Eis. Der Rothaarige biss die Zähne fest aufeinander, wich dem bohrenden Blick aus und zwang sich, auf seinem Platz zu verharren, bis Black Dranzers Hunger gestillt und das erschütternde Schauspiel vorüber war. Diese roten Augen, angefüllt mit Bosheit; trunken vor Macht. Doch in den Bewegungen lag keine Lebendigkeit…Kai war reduziert auf das, was viele für seinen wahren Kern gehalten haben mochten…ein skrupelloser, herzloser Egoist, der im Alleingang sich nahm, nach was es ihn dürstete. „Sieh dich an“, und Bryan zuckte zusammen, als Tala diese Worte flüsterte, „sieh dich an…sieh uns an.“ Der letzte Blade kapitulierte vor den wuchtigen Attacken des Phönix. In schläfrig anmutenden Schleifen versiegte seine Rotation. Endlich war es soweit, und die Energie vieler, schreiender Bitbeasts einte sich zu einem Mahlstrom, der hinabgesogen wurde in den schwarzen Strudel, in dessen Auge Black Dranzer rotierte und wartete. Gierig nahm er die hilflosen Geister in sich auf, verschlang sie ganz und gar und ließ nur die leeren, wertlosen Hüllen verstreut herumliegender Kreisel zurück. Die Belästigung durchs lärmende Publikum verdoppelte sich noch, da sich Kai nicht einmal mehr die Zeit nahm, den Zusammenbruch seiner Kontrahenten zu registrieren—vielmehr fing er den Siegerblade wieder ein und ging, die Haltung zum Erbrechen selbstbewusst, die Miene so verdammt selbstgefällig, dass der Cyborg darin versagte, seine überbordenden Mordfantasien länger zu zügeln. Es war nicht…fair. Boris stellte von seinem Sitzplatz aus Blickkontakt her, und die nonverbale Erlaubnis zum Rühren wurde erteilt. Als Tala sich selbst wieder ebenso wahrnahm wie seine Umgebung, befand er sich bereits in einem der Korridore, und es war wohl noch im Quartier der Demolition Boys, denn er sah Kai auf einer der Bänke sitzen in dem Raum, den er als nächstes betrat, um einen Schluck zu trinken. Bewegungen, so zerstückelt wie Talas zusammenhanglose Gedanken. Ein wie aus weiter Ferne schwadronierender Boris lobte Kais Gemetzel Sieg. Tala fühlte, dass es ihn danach verlangte, zu sprechen, und vielleicht tat er’s auch, denn der Gaspardin warnte ihn, Kai in Ruhe zu lassen, er habe auszuruhen. Die Plastikflasche in Talas Hand kam nur knapp mit dem Leben davon. Als Kai aufstand und ging und in eine vielleicht glorreiche Zukunft schritt, stand der Cyborg stockstill, unfähig, sich zu rühren, zu reagieren. Wie erleichternd, ja befreiend er sich die mit Fäusten ausgetragene Rache auch auszumalen vermochte, seine Beine rührten sich nicht von der Stelle. Es wäre das pathetische Ende seiner kurzen Karriere. Zu kurz, als dass er sie jetzt so leichtsinnig aufs Spiel setzte. Flashback Ende Die üppigen Flocken fallen jetzt dichter, setzen Katzenpfoten auf das hölzerne Geschmeide der Bäume ringsum. Sein Atem wabert in ihrem langsamen Herabsinken umher, schwindet erzitternd wie eine ausgehauchte Seele in der Kälte, die durch die Kleidung dringt, durch Haut und Fleisch bis auf die schmerzenden Knochen. Unbeugsam stapfen Hunde und Rotschopf weiter, die dampfenden, sehnigen Leiber in den Riemen vorangetrieben von einem unbeugsamen Willen. Tala blickt auf die silbrig schimmernden Rücken,über die bei jedem Schritt muskulöse Schultern ragen, und schöpft neue Kraft aus dem Bewusstsein, Bewegung sei Leben. Wenn dem so war, denkt Tala säuerlich, dann befinden sie sich jetzt im Totenreich. Um sie herum ist das einzige, was sich rührt, das stetige Fallen des lautlosen, den Ton verschluckenden Schnees. Ratsam wäre es, jetzt zurückzukehren, die Spezialisten zu informieren; aber verdammt, gewiss hat Bryan oder Ian oder Spencer das bereits getan. Bis die Schneemobile ihre eigene, in der absoluten Wildnis befindliche Basis erreichen, dürfte es für Kai bereits zu spät sein. „Leichtsinniger Irrer“, murmelt Tala halb für sich, halb in die Wolke seines Atemhauchs hinein. „Suizidgefährdeter Irrer.“ Darauf folgt ein heiseres, entgleistes Lachen, woraufhin sich die pelzigen Ohren der Hunde spitzen und einige von ihnen wölfisch anmutende Köpfe drehen, Schnurrhaare besetzt von heißem Speichel und rasch schmelzendem Schnee. Die wenigsten von ihnen lassen sich von dem Gebaren ihres Führers beeindrucken und wenden sich wieder der verschwindend geringen Aussicht zu, einem anderen Menschen auf die Fährte zu kommen. Bisweilen ragen ihnen die Schneewehen bis ans Kinn, und der große Betonhimmel fügt Schäufelchen für Schäufelchen hinzu. “Ich gehe“, hat er mit großer Bestimmtheit und fast eisigem Tonfall erklärt und ihn dabei aus brennenden, roten Linsen heraus angestarrt. Tala hat noch frohlockt, den sich in letzter Zeit äußerst rar gemachten Blickkontakt als gutes Zeichen gewertet, doch die Absicht des Blauhaarigen verstellt diesen Lichtblick. Sie haben im Flur gestanden, während Kai sich den dicken Mantel übergestreift und Tala einen letzten, langen, irgendwie irrlichternden Blick zugeworfen hat. Das ist gewesen, bevor der Cyborg den Brief mit der säuberlichen Anschrift von Hiro Granger, diesem eingebildeten Goldfisch mit seiner pazifistischen Masche, gefunden hat. „Du hast keine Ahnung“, murmelt der bleichgesichtige Russe, indes er den Schlitten um einen Baumstrunk herum bugsiert, dessen aufgesplitterter Stumpf säbelzahnig im Schnee klafft. Die meisten Leute halten sich raus, wenn sie sich auf falschem Terrain befinden, aber Hiro Granger setzt die Schaufel an und fängt an zu graben. Tyson kann das, denn er ist…Tyson. Er sprengt unerkannte Ressourcen in Menschen frei, die bislang nicht wussten, dass sie sie haben. Sicher, er ist ein aufgeblasenes, lautes, zum Kotzen fröhliches Kind, aber was er anpackt, hat meistens Erfolg. Kai weiß das, denn er steht in einer langen, langen Reihe von Menschen, die von seinem…Glanz…gestreift worden sind. Kai will mehr sein als bloß einer unter vielen, will Tyson sein Mond und seine Sterne, sein von Nacht geküsster Abendhimmel sein. Will der sein, vor dem Tyson kapituliert, und nichts anderes ist mehr von Bedeutung. Und jetzt kommt Hiro…und drängt sich dazwischen, mischt sich ein. Was hat er vor? Die Antwort liegt vor seiner Nase, und der Cyborg ist sich dessen bewusst. Hiros Verhalten, seine Motive hat er nicht begreifen können, nie; Tysons Bruder ist ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Und Kai hat nie Anstalten gemacht, diese zu brechen; in seinen Augen ist es nicht der Mühe wert. Doch kann Tala schwören, dass es das schon immer gewesen ist. Ein wichtiger Drahtzieher ist in dem ganzen Chaos ob der Zerstörung halb Tokios und des Justice Five Tuniers nur allzu glimpflich davongekommen – und er trägt den Namen des Weltmeisters. Der hochgewachsene Rothaarige spürt den nackten Zorn an seinen Eingeweiden fressen, und gerade der treibt ihn vorwärts. Mit jedem Meter, den das Hundegespann vorankriecht, wird er unerbittlicher mit Gesten und Worten. Die Zunge hängt den Tieren weit über die schwarzglänzenden Lefzen heraus, die sich spannen über den Zähnen, die weißer sind als die Verlassenheit ringsum. Mit einer Brust voller stechender Kiefernnadeln holt der Cyborg tief Luft, nur um sie gleich wieder herauszuhusten, denn die Kälte schnürt ihm die Kehle zu, und allzu schleichend ist das Gefühl von auftürmender Panik, dass er es hinter die Schlösser und Riegel seines Geistes zurückzudrängen vermag. Dort lauernd, schwappend hält es unablässig die Stellung, und die Verletzlichkeit seiner Entschlossenheit verleiht ihr eine Stimme. Nach Einbruch der Dunkelheit fällt die Temperatur weit unter den Nullpunkt, und gute Schlittenhunde sind teuer. Wenn die Sonne untergeht, fängt der Schnee an zu leuchten, als sei er von Geistern beseelt, die zuvor in den murmelnden Blättern der Bäume gespielt haben und jetzt auf der Suche sind nach ein wenig Zeitvertreib. In der Disziplin, Tala Ivanow das Fürchten zu lehren, bemühen sie sich vergeblich. Nicht um sein Wohl sorgt er sich, treibt diese Sorgen vergeblich zurück – wohl aber – und wenngleich dieser Umstand nicht seinen Stolz vom Thron stürzt, so tut es die Erkenntnis ob dieser leibhaftigen Wahrheit – um einen bestimmten phönixzähmenden Jungen mit dem wohl größten Dickkopf seit Menschengedenken. An den schwerer und schwerer wiegenden Stiefeln klebt mehr und mehr Schnee. Noch glaubt er Reserven in seinen Muskeln zu spüren, aber dieser Glaube verfliegt rasch, und mit jedem schnellen Schritt zäher wird die Bewegung, werden die Gedanken. Er ist im Begriff, den Punkt zu überschreiten, an dem er noch zurückkehren könnte, wenn er es jetzt täte. Stattdessen greifen behandschuhte Hände fast ohne sein Zutun nach der Haltestrebe und feuern die Hunde an, mit muskulösen Beinen durch den Schnee zu pflügen und nicht nachzulassen, nicht anheim zu fallen der einschläfernden Leblosigkeit. Langfüßig huscht ein Schneehase zwischen den aufstrebenden Bäumen davon, schwarze Keile, die aus der weißen Decke treiben. Beeindrucken lassen sich die stolzen Hunde davon nicht. Iditarod, seine muskulöse Gestalt nunmehr ein Schemen im diffusen Schneegestöber, beweist Dominanz, indem er das Gespann erneut und immerzu anzutreiben vermag. Des Cyborgs Neugier ist geweckt, die Hunde setzen ihre Pfoten mit längeren Intervallen und verharren schließlich ganz. Erschöpft hecheln die so besessen geführten Hunde. Ihnen schneidet das Geschirr in den dichten, groben Pelz, sobald sie sich hinfläzen und die derben Köpfe schütteln, als ob ihnen die Müdigkeit wie eine lästige Fliege umherschwirrte. Ein paar von ihnen lehnen sich in ihr Zeug, denn was den Rothaarigen in den Bann schlägt, ist auch für sie von Interesse. Viele Schneehasen drängen sich an einen Felsen, der, frei vom Firn, zwischen geschwärzten Stämmen emporragt. Ihn bedecken Spuren des Kampfes: tiefe Scharten, die in beträchtliche Tiefe einschneiden, sich kreuz und quer erstrecken. Fasziniert fährt Tala mit einem behandschuhten Finger einen solchen Spalt entlang und fühlt die Hitze, die noch immer aus dem Steinblock strahlt und den Schnee in weitem Umkreis hat schmilzen lassen. Von ihm lassen die Nager sich nicht stören, pressen sich nur fester ans Gestein, um die Energie in sich aufzusaugen, die ihnen so verschwenderisch zuteil. Tala runzelt die Stirn, denn die Hunde wahren respektvoll Abstand, selbst mit den pelzbesetzten Snacks vor ihrer Schnauze, die doch nicht zittern und nicht weichen, die schwarzen, runden Augen klar und sicheren Blickes. Und da wird dem Russen plötzlich klar, dass es verkehrt ist, anzunehmen, die Ruhe der Tiere sei ungewöhnlich; sie sind ganz sie selbst, weil sie es sein dürfen; weil ein mächtiger Frieden diesen Ort beherrscht und mit liebender Geste unerhörte Sanftheit in ihren Herzen drapiert. Es liegt eine Spur in der Luft, eine Spur von etwas wildschön Fremden, dem zu vertrauen Einer verdammt ist, hat er sich einmal geöffnet. Der Schrei ist lang und hart und trifft auf die Ohren mit Riesenfäusten, die die Stille bersten lassen wie Glas. Im Splitterregen noch rennt Tala zum Schlitten zurück, hat ihn bereits in Bewegung, da es weiter hallt aus einer nicht-menschlichen, nicht-irdischen Kehle. Die Klage schraubt sich höher und höher in den versteinerten Himmel, und es ist, als würde selbst der Schneefall für einen Augenblick aussetzen und das Element von solch einer Anmaßung irritiert. Wieder preschen die Hunde, schaukelt der Schlitten, und doch nicht lang genug, als dass Tala darauf vorbereitet gewesen sei, bei der nächsten Vollbremsung durch den Alpha Iditarod beinah über das Gefährt hinweg in das Gespann hinein zu fliegen. Die Huskies bleiben schlitternd stehen, ihr sich hochrappelnder Musher absolut unbeachtet. Sture und selbstgefällige Blicke signalisieren, was verwehrt bleibt, ausgesprochen zu werden: Bis hierher und nicht weiter. „Leck mich“, teilt der Cyborg den Vierbeinern mit und macht Anstalten, die nächste, baumbestandene Anhöhe hochzustapfen, als eine brachiale Druckwelle ihn unter heftigem Gestöber ins Firn zurückwirft. Sein Kopf trifft auf Felsen, und das ist erstaunlich, liegt der Schnee doch bisweilen meterdick in diesen Breiten. Zeit bleibt ihm nicht, sich ob dieses Umstands zu wundern, denn das Aufblitzen heftigen Schmerzes zieht Ohnmacht nach sich und, dahinter, Dunkelheit. つずく ******************************************************************************** Uneingeschränkte, monströse Liebe für alle Kommischreiber Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)