Paranoid Angel von Pudel ================================================================================ Kapitel 1: Paranoid Angel ------------------------- Paranoid Angel Mit einem Ruck öffnet er die Augen. Er schnappt nach Luft. Fast panisch. Das Geräusch seines schlagenden Herzens ist laut. Doch der Regen, der stetig gegen die Hotelfenster schlägt, ist lauter. Nur langsam lässt die Panik nach, beruhigt sich seine Atmung. Ein wenig Angst jedoch bleibt. Zur Sicherheit. Sein Blick geht zur anderen Seite des großen Ehebettes. Bela scheint mehr tot als schlafend. Ob das nun von einer gesunden Nachtruhe oder dem fast schon exzessiven Alkoholkonsum des Drummer kommt, vermag er nicht zu sagen. In diesem einen, kurzen Augenblick ist es ihm auch egal. Es gibt Wichtigeres. Ausnahmsweise. Wie ihn selbst, zum Beispiel. Geschickt wie lautlos entschlüpft er den weichen Kissen und Decken, sucht sich seinen Weg durch die Semifinsternis des Schlafzimmers. Er braucht nicht auf die Digitaluhr zu schauen, die im Sekundentakt blinkt und neonfarbene Schatten an die Wände malt. Er weiß, dass es mitten in der Nacht ist. Mal wieder. Es ist fast schon so etwas wie Gewohnheit. Aus dem tiefsten Schlaf hochzuschrecken. Schweißgebadet. Atemlos. Gehetzt. Nah am Rande der Hysterie. Manchmal sogar so stark zitternd, dass er Angst hat, Bela doch zu wecken. Und alles, wie es scheint, ohne jeden Grund. Denn Alpträume gibt es nicht, gab es nie. Auch keine Traumata, die sich überraschend melden. Oder irgendwelche seelischen Störungen. Burn Out und so. Soll es ja auch schon in ihrem Alter geben. Angeblich. Das Einzige, was ist... Ein extrem lauter Schnarcher des Drummers schickt ihm eine Gänsehaut den Rücken hinab. Vielleicht ist auch der kalte Fußboden. Egal. Er würde ohnehin nicht krank werden. Tut er nie. Eigentlich kann er ja dann auch gleich... Noch ehe er es wirklich denkt, steht er auf dem großzügig geschnittenen Balkon. Regentropfen prasseln auf ihn ein, durchnässen binnen Sekunden sein Schlafshirt und die dazugehörige Boxershorts. Ein Schauer nach dem anderen jagt über seine Haut, während der eisige Wind wütend versucht, ihn zum schwanken zu bringen. Er spürt es kaum. Eigentlich gar nicht. Eine Tatsache, die fast schon eine gewisse Ironie in sich trägt. Er lächelt. Nicht strahlend, sondern bitter. Zum Anfang hatte er es nur für eine Geschichte gehalten. Der übliche Tratsch und Klatsch auf Tour eben. „X hat sich von Y getrennt und wusstest du: P, das Miststück, hat sich danach gleich an G ran gemacht, weil der doch jetzt auch wieder solo unterwegs ist.“ Nichts von Bedeutung eben. Doch dann kamen... Details. Dinge, von denen eigentlich niemand etwas wissen konnte. Oder besser gesagt sollte. Er erwähnte es nie. Vielleicht, weil er nicht gewillt war, vielleicht, weil es zu schwer gewesen wäre. Außerdem wollte er auch nicht übertreiben. Er wusste, wie leichtlebig sein Graf sein konnte und er hätte ihn nie durch eine unsinnige Rüge verletzt. Jedoch, die Sache wurde größer. Telefonnummern, die früher noch so dahingekritzelt worden waren, fand er nur akkurat aufgeführt in einem kleinen Buch, Fan-Briefe wurden von „Privater-Bewunderer-Post“ getrennt und vor IHM weggeschlossen und die Nächte seines Drummers wurden auch immer länger. Die Gedanken waren da. Der Verdacht. Allein, er verwehrte sich selbst, es auszusprechen. Schließlich hätte es niemand verstanden, wo er es doch noch nicht einmal tat. Waren sie doch DAS perfekte Paar; Ernie und Bert, Dick und Doof, Pickeldi und Frederik. Und immerhin; es war Bela, von dem hier die Rede war. War man wirklich anderes gewöhnt? Er holte sich Bestätigung von dort, von wo er wusste, dass er sie bekommen würde. Es gab genug Leute. Falsche Freunde, ehrliche Bewunderer, die üblichen Heuchler und Neider. Eine nie enden wollende Lobshymne auf ihre wunderbare Beziehung, diese Bindung, die doch so einzigartig, so unzerstörbar war. Das einzige Problem; gehört war gehört. Und es ließ ihn nicht mehr los. Seine Paranoia bekam Futter. Bela... verschloss sich geradezu vor ihm, ließ ihn nur noch das Nötigste an seinem Leben teilhaben. Wenngleich das auch schon reichte. Schien sein Freund doch in Sphären zu schweben, die für ihn unerreichbar waren. In denen er kein Platz hatte. So zwischen Dutzenden Mädchen und einem ausgeprägten Größenwahn. Es ging so weit, dass er ganze Nächte anderswo verbringen MUSSTE, da Bela sich in ihrem Doppelzimmer eingesperrt hatte, nicht gewillt, ihn auch nur fürs Schlafen herein zu lassen. Die Hände, die ihm bis dahin Halt gaben, fesselten ihn nun. Die Bestätigung, die er so dringend gesucht hatte, wandelte sich in eine Last, die ihn an Ort und Stelle hielt. Verpflichtete. Ein Übertreiber musste er sich nennen lassen. Paranoiker. Dass er sich alles nur ausdachte. Es eine reine Kopfsache war. ER doch mal über SEIN Verhalten nachdenken sollte. Ob er den Drummer nicht einengte. Mit seinen Reden unrecht tat. Es war... bizarr. Und tat weh. Unendlich starr, als wären seine Knochen rostig und seine Sehnen aus Stahl, geht er in die Hocke, legt seine langen Arme um die eingeknickten Beine. Mathematisch besitzt die Kugel die kleinstmögliche Angriffsfläche. Er fragt sich immer, ob man selbst dann auch weniger angreifbar ist. Und ob das auch für Attacken auf die Seele gilt. Er hatte nachgedacht. Natürlich. Schließlich liebte er seinen kleinen Grafen. Und Fehler hatte er ohnehin immer zuerst bei sich gesucht. Ganze Tage und Nächte hatte er damit verbracht, sich selbst ins Kreuzfeuer zu nehmen, sein Verhalten zu analysieren und aufs Härteste zu bewerten. Allein, es brachte nur Kummer. Und alte Erinnerung. Ließ Narben hell aufleuchten, von denen er dachte, dass sie längst verblasst waren, Wunden wieder bluten, die es eigentlich nicht mehr geben durfte. Bis die Erkenntnis kam, dass ihre perfekte Beziehung vielleicht nicht so perfekt war, wie er, wie alle immer gedacht hatten. Gewiss, er hätte die Augen verschließen können, hätte weiter in dieser Trugwelt leben können, die er sich all die Jahre über aufgebaut hatte. Nichts wäre daran gewesen, alles seinen gewohnten Gang laufen, sich immer und immer wieder von Bela verletzten zu lassen, um die Risse halbwegs gut zu kitten und die Fassade aufrecht zu erhalten. Doch war es das wert? War all das, die Band, der Erfolg, das Geld, es wirklich wert, sich selbst langsam, aber sicher, zu Grunde zu richten? Seine Entscheidung war, im Gegensatz zum Rest ihrer Beziehung, relativ schnell gefallen. Mochte Bela, mochte ihre Bindung auch etwas Besonderes, geradezu Außergewöhnliches sein, es war zu spät, um etwas zu ändern. Es war genug, was er einstecken, zu viel, das er hatte schlucken müssen, es reichte, damit er in seinem Beschluss fest stand. Bela würde ihn nicht verletzten. Nicht noch einmal. Letztendlich ist es also auch nicht sein Gewissen, das ihn nicht schlafen lässt. Vielmehr wohl dieser Drang einer unerledigten Sache. Doch auch das wird sich gleich ändern. Längst hat er bemerkt, dass der Drummer aufgewacht ist und sich suchend nach ihm umsieht. Wenn der Graf sich dazu herablässt, ihn mit seiner Gegenwart zu erfreuen, hat er auch gefälligst zu bleiben. Es interessiert ihn nicht mehr. Als die Glasschiebetür sich öffnet, hebt er seinen Kopf, begegnet mürrischen Katzenaugen. „Manchmal hast du echt ne Meise, Jan. Bei dem Mistwetter auf dem Balkon zu hocken. Du holst dir noch den Tod...“ Er reagiert nicht. Nicht wirklich. Stattdessen mustert er das einst so geliebte Gesicht. Das lange zottelige Haar, vom Wind verweht, die Augen, immer noch vom Kajal umrundet, die roten Lippen, zum Schmollmund verzogen. Ein letztes Mal. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu? Rein mit dir, zackig zackig, sonst mach ich die Tür dicht und dann kannst du sehen, wo du bleibst. Mir wird nämlich schon kalt wenn ich dich nur ansehe...“ Er lächelt. Nicht bitter, sondern strahlend. „Sag mal, Dirk... was hältst du davon, wenn wir die Band auflösen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)