Ödipus von abgemeldet (Eine Interpretation von "Sugar Pain") ================================================================================ Kapitel Eins ------------ Hey. :) Ich mag "Sugar Pain". Auch wegen dem hübschen Stöhnen am Ende und so. ^^ Das Lied ist super. Mittlerweile weiß ich, dass Ruki über Sex mit der seiner Mutter singt, und das nimmt dem Stöhnen irgendwie den Reiz. <.<° Aber ich war trotzdem inspiriert und hier ist das Resultat. Man möge es bitte nicht zu ernst nehmen, ich weiß nichts über Psychologie und möchte auch niemandem irgendetwas unterstellen. Trotzdem hat mich die Idee gereizt. Ich hoffe, ich bin da nicht die einzige. Viel Spaß beim Lesen! 1. Kapitel Ungeduldig trat Ruki von einem Fuß auf den anderen. Es war kalt, der Wind blies ihm unbarmherzig um die Ohren und noch höher konnte er seinen Mantelkragen nicht aufstellen. Seinen Schal hatte er in seiner Eile bei sich zu Hause vergessen. Im Auto war ihm nicht kalt gewesen, doch nun schien es eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis er endlich eingelassen wurde. Doch seine Ungeduld rührte nicht bloß vom Wetter her. Heute war der große Tag. Er würde seinem schärfsten Kritiker den neuen Text präsentieren, über dem er die ganze letzte Zeit gebrütet hatte, und er war mehr als gespannt auf das Urteil, das er alsbald zu hören bekommen würde. „Ja?“, ertönte endlich Uruhas Stimme aus der Gegensprechanlage. Seine Lieblingsstimme. „Ich bin’s“, entgegnete er mit klappernden Zähnen. Wie immer erwiderte sein Freund und Gitarrist nichts mehr, sondern betätigte den Summer, um Ruki die Tür zu öffnen. Während er die Treppen in den neunten Stock herauf hastete, erinnerte er sich daran, wie er Uruha vor langer Zeit einmal mehr oder weniger unauffällig gesteckt hatte, dass er von allen Backgroundstimmen, die „the GazettE“ zu bieten hatte, seine am schönsten fand. Er hatte sogar überlegt, ob es nicht vielleicht eine Möglichkeit gab, den Gitarristen in die Gesangparts mehr mit einzubeziehen, doch dann war ihm eingefallen, dass Uruha zusätzlich mit einem Instrument umgehen konnte. Er hatte nichts als seine Stimme. Und er hatte den Gedanken wieder verworfen. Oben angekommen stand sein Freund bereits in seiner Wohnungstür und lächelte ihn warm an. „Hey“, meinte er bloß zur Begrüßung und sie umarmten sich kurz. Ruki sagte zunächst nichts und trat ein. Er war noch ganz außer Atem. Uruha bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick, während er sich umständlich die Schuhe von den Füßen zog: „Sie haben den Aufzug gestern repariert, du hättest gar nicht die Treppen nehmen müssen.“ Er lachte, als er den entgeisterten Blick des Sängers sah, und fügte versöhnlich hinzu: „Wenn’s dich tröstet, ich bin gestern Abend auch noch unnötig die Treppen raufgerannt.“ Ruki konnte sich letztendlich doch zu einem Grinsen durchringen und folgte Uruha ins Esszimmer, wo er sich auf die auffordernde Geste seines Freundes hin auf das elegante Ledersofa setzte, welches sie alle für ihren Gitarristen mit vereinten Kräften mühevoll die Treppen heraufgeschleppt hatten. Er sah das Bild noch genau vor sich: er hatte rückwärts laufen müssen, weil Aoi auf die bescheuerte Idee gekommen war, dass es aufgrund seiner Körpergröße vorteilhafter für ihn wäre, wenn er voranging. Er war gestolpert, hart auf seine vier Buchstaben gefallen und obendrein unterm Sofa begraben worden. Aoi und Reita, die das hintere Ende des Möbelstücks schließlich festhalten mussten, damit es nicht mit seinem gesamten Gewicht Ruki zerquetschen konnte, hatten lautstark nach Uruha und Kai geschrien, die bereits hoch in die Wohnung gegangen waren, um Platz für den Neuankömmling zu schaffen. Rukis Steißbein war geprellt gewesen und Kai hatte ihn beim Gehen stützen müssen. Sein Hintern hatte ihm selten so wehgetan wie nach diesem Sturz. Ihr Leader hatte ihn in Uruhas Schlafzimmer versorgt, während die anderen drei weiter fleißig Möbelpacker gespielt hatten. Diesen Tag würde er nie vergessen. Er hatte sich daraufhin von der Wurzel allen Übels, sprich Uruha, zu einem ausgiebigen Entschädigungsessen einladen lassen. Seitdem jedenfalls genoss er es ausgiebig, wenn er sich auf diesem verfluchten Sofa herumwälzen konnte. Dadurch drehte er den Spieß um und konnte ungehindert seinen kindischen Rachegedanken nachgehen, dass es nun sein Gewicht war, unter dem das Sofa ächzen durfte, als Vergeltung für die gefühlten hundert Tonnen, die damals auf ihm gelegen hatten. Dass unter seinem Gewicht im Grunde genommen nicht mal ein zehnjähriges Kind ächzen würde, war ihm dabei genauso klar wie die Tatsache, dass es dem Sofa lang wie breit sein musste, wer und ob überhaupt sich jemand auf es legte. Aber Ruki war stur und in diesem Fall ging es, wie so oft, eindeutig ums Prinzip. „Was würdest du von einem Pinot Noir halten?“ Ruki lächelte den Größeren von ihnen beiden dankbar an: „Eine ganze Menge sogar.“ Uruha nickte zufrieden, als habe er genau diese Antwort hören wollen, und verschwand in der angrenzenden Küche. Das Esszimmer war eigentlich ebenso Wohn- wie Arbeitsraum. Die Wohnung hatte nur zwei Zimmer, Küche, Bad, und da Uruha bedacht war, alles, das nichts mit Schlafen oder Sex zu tun hatte, aus seinem Schlafzimmer rauszuhalten, musste der zweite Raum eben alle weiteren wichtigen Funktionen übernehmen. Uruha kam wieder und stellte vorsichtig ein Tablett auf den Couchtisch. Er hatte eine Flasche Spätburgunder gebracht, zwei große, bauchige Rotweingläser und einen Teller mit salzigem Gebäck. Still in sich hinein lächelnd beobachtete Ruki, wie sein Freund beinahe liebevoll die Flasche entkorkte, die Nase über den Hals hielt und genüsslich das Aroma einsog. Der Gitarrist legte eine Vorliebe für Weine aller Art an den Tag und bei ganz besonderen Anlässen ließ er es sich nicht nehmen, eine ganz besondere Flasche zu öffnen. Und dieser war definitiv ein ganz besonderer Anlass. Während Uruha die beiden Gläser füllte, kramte Ruki nach dem akkurat gefalteten Zettel in seiner Hosentasche. Er brauchte länger als sein Freund, der lächelnd beide Gläser in den Händen hielt und beobachtete, wie ungeschickt der Sänger sich anstellte. „Wir tauschen“, witzelte er, „Du kriegst den Wein erst, wenn ich den Text hab.“ „Es kann sich nur noch um Stunden handeln“, feixte Ruki zurück und fragte sich gequält, warum er sich an diesem Morgen für eine dermaßen enge Hose entschieden hatte, dass der Zugriff auf die Hosentaschen beinahe unmöglich wurde. Schließlich gab er auf, erhob sich, zog das Blatt hervor und ließ sich wieder fallen, in stiller Freude darüber, den Federn des Sofas erneut eins reingewürgt zu haben. Mit einer feierlichen Geste überreichte er seinem Freund den Text: „Tadaaa!“ Uruha lachte und Ruki grummelte unzufrieden, als er sah, dass der Gitarrist noch beide Hände voll hatte. Er bekam eines der beiden Gläser in die Hand gedrückt und wurde endlich seinen Songtext los. Gespannt lehnte er sich zurück, schwenkte das Glas in seiner Hand und beobachtete seinen Freund aufmerksam, wie er seinen Wein abstellte, den Zettel auffaltete und zu lesen begann. Uruhas Urteil war ihm wichtig. Uruha sah seine neuen Texte immer zuerst, und wenn dieser fand, dass es einer letzten Überarbeitung bedurfte, war er durchaus bereit, den Gedanken zumindest in Betracht zu ziehen. Uruha war auch der einzige, der massive Kritik üben durfte, ohne dass sich Ruki gleich angegriffen fühlte. Denn nach wie vor waren seine Songtexte sehr persönlich und solange sie die Worte noch nicht in Musik umgewandelt hatten und noch nicht geschlossen als Band hinter ihrem Lied standen, war er über eine solche Textrohform sehr, sehr angreifbar. Weshalb ausgerechnet Uruha ihm als einziger das Gefühl gab, ihn nicht angreifen zu wollen, nicht an seinem Können zu zweifeln und auch sonst nicht auf ihn als Person abzuzielen, war ihm nur bedingt bewusst. Ruki, Reita und Uruha kannten sich am längsten. Sie waren gemeinsam auf dieselbe Mittelschule gegangen, und als die Oberschule begonnen hatte, waren Reita und Uruha erstmals so mutig gewesen, sich für ein Bandprojekt zu interessieren. Ruki hatte sich nicht getraut mit seiner Gitarre, wo er mit seinem Können nicht ansatzweise an seinen größeren Freund heranreichte, und hatte fieberhaft nach einem Ausweg gesucht. Bis ihn sein Musiklehrer vor versammelter Mannschaft blamiert hatte mit seinem Tipp, es doch einmal im katholischen Kirchenchor der ortsansässigen Gemeinde zu versuchen; es handele sich um einen anspruchsvollen Verein, der ständig flexible, wandelbare Stimmen suche. Uruha hatte ihn nach dieser Aktion beruhigen müssen, ihm gut zugeredet, der Musiklehrer habe es schließlich nur gut gemeint, und er habe absolut Recht, wenn er sagte, Ruki habe eine vielseitige Stimme. Ab da hatte er begonnen, sich Gedanken über seine Fähigkeiten zu machen, hatte die Gitarre nach und nach aus den Augen verloren und stattdessen angefangen, mit seiner Stimme zu experimentieren. Und da war ihm bald klar geworden, was er wirklich konnte – und wollte. Ruki suchte erfolglos nach einer Regung auf Uruhas Gesicht, einem kleinen Lächeln, einer gehobenen Augenbraue, irgendetwas. Uruha blieb stoisch ruhig, faltete den Zettel nach einigen Minuten wieder und gab ihn Ruki zurück. Um nicht ungeduldig wie ein kleines Kind loszufragen, was Uruha über den Text dachte, trank er zwei kleine Schluck Wein und war einen kurzen Moment lang überrascht, wie kräftig das Getränk auf seiner Zunge schmeckte. Uruha tat es ihm gleich und lächelte versonnen: „Schmeckt gut, oder?“ „Toll“, erwiderte er trocken, in der Hoffnung, sein Freund würde sich nicht alles aus der Nase ziehen lassen. „Hmmh“, machte jener nur und trank weiter. Ruki glaubte, vor Ungeduld auf der Stelle zerbersten zu müssen. „Uruha, jetzt sag schon!“, platzte es aus ihm heraus und auch das Funkeln in seinen Augen vermochte er kaum zu unterdrücken. Uruha indes lächelte wieder sein typisches Lächeln, mit dem er Denkpausen stets überbrückte, lehnte sich zurück und seufzte leicht. „Willst du das wirklich singen?“ Etwas überrumpelt stockte Ruki. Wenn er ehrlich war, handelte es sich bei Zweifeln selbstredend nicht um das, das er hören wollte. Er bedachte den Größeren mit einem entrüsteten Blick: „Natürlich!“ „Hmmh.“ Schweigen. „Wo ist das Problem?“, hakte er nach, schon etwas forscher, ungehalten darüber, dass sein Freund nicht mit der Sprache rausrückte. Uruha rückte sich die Brille auf der Nase zurecht und blickte Ruki sanft an: „Du weißt hoffentlich, dass der ganze Text ein bisschen...“ „Was?“ Es würde nicht mehr lange dauern und Rukis Geduldsfaden wäre gerissen. Kritik von Uruha pflegte eigentlich anders auszusehen. Normalerweise zeigte er dem Sänger die Stelle, mit der er nicht einverstanden war, und erklärte ihm, was genau ihn störte. Seine Seriosität allerdings hatte er noch nie in Frage gestellt. Dem Gitarristen entfuhr ein weiterer, etwas schwerer Seufzer, als ob er Rukis Unmut erahnte: „...ein bisschen persönlich ist.“ Ungläubig starrte der Sänger seinen Freund an: „Glaubst du im Ernst, dass ich wirklich mit meiner Mutter schlafe?!“ „Natürlich nicht!“ Uruha streifte Ruki mit einem leicht tadelnden Blick und wollte wohl fortfahren, doch jetzt war Ruki erst warmgelaufen: „Seit wann bist du außerdem so prüde? Ich singe noch über ganz andere Sachen, wenn du dich recht erinnerst, Inzest passt prima in die Reihe!“ 'Wenn du dich recht erinnerst.' Natürlich erinnerte sich Uruha, er war schließlich jedes einzelne Mal dabei. „Ich meinte auch eher den ödipalen Aspekt der Sache“, entgegnete der Größere der beiden ungerührt. Ruki konnte sich nicht helfen. In seinem Bauch staute sich Wut an, über derer Herkunft er sich nicht einmal wirklich sicher war. Doch sie war da und musste raus. „Wenn du jetzt wieder anfängst, klugzuscheißen, bin ich weg“, sagte er laut, viel lauter, als es nötig gewesen wäre. Uruha konterte trocken: „Wer ist denn gekommen und wollte meine Meinung hören?“ Darauf fiel ihm nichts Schlagfertiges ein, also blieb er zähneknirschend still. Ruki hasste das. Wenn er sich stritt, hatte sein Freund diese unangenehme Eigenart, mitten im Streit plötzlich so zu tun, als ginge ihn das ganze gar nichts an. Und meistens sagte er dabei Dinge, die zutrafen und deshalb wehtaten. Im Nachhinein entschuldigte er sich oft dafür, aber es machte keinen Unterschied, weil Ruki wusste, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Dann mochte es Uruha zwar leid tun, doch es änderte nichts daran, dass er auf sehr gemeine Art und Weise ehrlich gewesen war. Uruha hatte oft einen besseren Blick für die Dinge, wie sie wirklich waren, und in solchen Situationen rutschte ihm dann und wann seine distanzierte Sichtweise heraus. Aber all das zu wissen, half ihm auch nicht weiter. Es änderte nichts daran, dass es ihn unglaublich zornig machte. „Ich meine damit nur, dass ich keine Lust hätte, vor der ganzen Welt meinen Ödipuskomplex auszubreiten.“ Uruhas sachlichen Ton fand Ruki zum Kotzen. „Was heißt denn hier bitte Ödipuskomplex?!“, fauchte er ihn an, den Aufhänger, den er für eine Erwiderung gefunden hatte, sofort ausnutzend, „Ich erzähle nichts von Ödipus, es geht einfach nur um Inzest und da ich mit dem Thema nichts zu tun habe, sehe ich nicht, weshalb ich ein Problem damit haben sollte, darüber zu singen!“ Uruha atmete langsam und beherrscht aus. Ruki, ganz zittrig vor Wut und der Tatsache, dass er gerade tatsächlich seine Lieblingsstimme Uruha dumm angemacht hatte, wartete aufgebracht auf einen weiteren Schlag dorthin, wo’s richtig wehtat, aber es kam nichts. Der Gitarrist schwieg. Aber das war fast genauso schlimm wie seine Unart, richtig auszuteilen. Und solche waren genau die Momente, in denen er zickig wurde. „Schön“, patzte er und verschränkte wie ein bockiges Kind die Arme vor der Brust, „War’s das jetzt?“ „Wenn du willst, ja“, entgegnete Uruha bloß. „Dann danke ich für den Wein.“ „Gern geschehen.“ Es waren herzliche Worte, und doch könnten sie frostiger nicht klingen. Ruki stand auf, gab sich Mühe, entschlossen zu wirken, und spazierte mit forschen Schritten in den Flur. Uruha folgte ihm und hielt ihm die Tür auf, weil er sich für einen guten Gastgeber hielt und sich ein guter Gastgeber auch Gästen annahm, mit denen er eine Meinungsverschiedenheiten hatte. „Tschüss“, sagte Uruha trocken. „Tschüss.“ Der Größere sah seinem Freund nach, wie er die Treppen hinunterpolterte. Für den Aufzug war er zu stolz, natürlich. Als er die Tür hinter sich schloss, merkte er, wie anstrengend er ausgerechnet diesen Streit fand. Dankbar, dass die Flasche Pinot Noir bereits geöffnet war und nur darauf wartete, genossen und geleert zu werden, ging er zurück ins Wohnzimmer, ließ sich kraftlos auf sein Sofa fallen und machte sich daran, nachzudenken. 1. Kapitel - ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)