Coming Home von Siberianchan ================================================================================ Kapitel 15: Kapitel 11 - Nähe ----------------------------- Coming Home Kapitel 11 – Nähe Er ging langsam auf Edwards Bett zu, als Al den Raum verlassen hatte, setzte sich auf eine Stelle des Bettes, die noch eingedrückt war, Knitter aufwies und die noch warm war. Al. Edward lächelte ihn zaghaft an. Sie hörten die Tür ins Schloss fallen. „Hallo…“, sagte Edward und dann wurde er auch schon in Roys Arme gezogen, roch die vertraute Mischung aus Schweiß, Rasierwasser und Havocs Zigarettenqualm. Es trieb ihm beinahe die Tränen in die Augen. Er ließ sich gegen den größeren Körper sinken, ihm entfuhr ein langer, zitternder Atemzug. „Idiot…“, murmelte Roy. „Hattest du etwa auch vor, mich anzuschreien und mir eine reinzuhauen?“, murmelte Edward leise. „Ich glaub, ich sollt ne Liste anfangen… wenn ich da an Winry denke… die will mich garantiert wegen dem Automail verprügeln…“ „Hm…“ „Und wenn ich dann noch an Al denke…“ „Darf ich mitmachen?“ „Auf welcher Seite?“ „Auf der, die auf dich einprügelt.“ Ed lachte leise und es klang sehr nass. „Bleib dieses Mal…“, murmelte Roy gegen die blonden Strähnen, die im Moment sein ganzes Sichtfeld einnahmen. „Bleib länger als für ein paar gemeine Sprüche…“ „Du und Al… ihr würdet mich eher umbringen, als das Gegenteil zuzulassen, nicht?“ Jetzt hörte man das Nasse in Edwards Stimme sogar noch deutlicher. „Ich… ich gehe nicht mehr. Ich will nicht weg… ich bin…“ Roy verstärkte seinen Griff um Edwards Schultern; er fühlte ihn zittern. „Roy?“ Die Stimme war kaum mehr als ein leises Fiepen. „Hm?“ „Ich… ich hab dich vermisst…“, murmelte Edward und die Ehrlichkeit in seinen Worten ließ ihn wieder leise schniefen. Ein Paar Lippen legten sich kurz auf seine, dann auf die Augenlider, auf die Nasenspitze und schließlich wieder auf seine Lippen; eine Hand glitt von Edwards Schulter, suchte die Seine, verhakte sich mit den schmalen Fingern. Ihre Lippen bewegten sich leicht gegeneinander, vorsichtig, abwartend, fast schon schüchtern. Fast wie ein erstes Mal, dachte Roy, doch der Gedanke ging so schnell wie er kam. Er schob Edward in eine liegende Haltung, doch dabei wurde der Kuss nicht stärker oder drängender; nach einer Weile löste Roy sich sogar von Edwards Lippen und vergrub das Gesicht in seiner Schulterbeuge. Edward legte den Arm um ihn. „Roy… bist du in Ordnung?“ „Hm…“ Roy schloss die Augen und Edward fühlte seine Nase ganz sanft, weich, wärmend und vertraut in seiner Halsbeuge. „Lass mich einfach eine Weile genießen, dass ich hier bin… bei dir… bitte…“ Er schaffte es, dass seine Stimme nicht so elend klang, wie er sich fühlte. Edward würde ihm wohl verzeihen, dass er mit anderen Männern geschlafen hatte(tatsächlich waren das vor Al nicht einmal wenige gewesen). Darüber musste er sich wahrscheinlich keine Sorgen machen, Edward war genauso nur ein Mann wie er und würde das als nicht zu tragisch einstufen. Er würde ihn jedoch umbringen, wenn er hörte, dass er mit Al… schon der Gedanke verursachte ihm eine unangenehme Gänsehaut. Beinahe hätte er sich deswegen schon nicht mehr hergetraut. Ich muss dringend mit Al darüber reden… „Roy?“ „Hm?“ „Du hast dich um Al gekümmert, oder?“ „Hm… ja…“ „Danke…“ „Ich…“ Roy zögerte. „Hm?“ „Ich hatte ne Zeitlang wirklich Angst um ihn… er war drauf wie ein Selbstmörder.“ Edward schluckte. „Was meinst du, was mir Sorgen gemacht hat?“ Roy schaffte ein Lachen. „Ach, aber um mich muss man keine Angst haben, oder?“ Edward hob lächelnd eine Hand und strich über Roys Augenklappe. „Ich weiß nicht… kann man dich überhaupt umbringen?“ „Man hat es nur noch nicht ernsthaft genug versucht, um es zu schaffen“, witzelte Roy. „Ach was, gib’s zu, du hast eine Möglichkeit zur Unsterblichkeit gefunden.“ „Bloß nicht…“, murmelte Roy ehrlich schockiert. „Irgendwann ist Schluss und man will abtreten dürfen.“ „Wehe, du redest über deine nähere Zukunft“, sagte Edward. „Tu ich nicht. Und ich hoffe sehr, dass ich nicht über deine nähere Zukunft gesprochen habe.“ „Bloß nicht…“, murmelte Edward träge. Eine ganze Weile lag er nur so da, den Arm um Roys Schultern gelegt, genoss das Gefühl von Wärme, von Nähe, die weichen, schwarzen Haare, die seine Wange streiften. So war es eben. Er hatte da wirklich etwas durcheinander gebracht… er liebte sie beide einfach… „Ich sollte mal nachsehen, was Al so treibt… ich hab was von einem Rollstuhl verstanden?“ „Ja… wir wollten uns im Park in Ruhe die Köpfe über etwas zerbrechen… dort geht das um einiges besser, als in einem Krankenzimmer.“ „Wehe es ist irgendwas, was außer euch keinen was angeht“, meinte Roy grummelig. „Warum?“ „Weil das nie was Gutes zu bedeuten hatte. Jedes Mal hat es euch fast umgebracht.“ „Und das wäre genau?“, fragte Ed amüsiert. „Die Transmutation eurer Mutter – das hat euch ja noch Jahre später Ärger gemacht. Oder wo wir grad dabei sind… der Stein der Weisen.“ „Hast du dafür irgendwelche Zeugen?“ „Mich. Winry. Meine ganze Truppe… würde sie noch leben, eure Lehrerin…“ Edward seufzte. „Ich geb mich geschlagen… nein, es ist nichts, was nur uns was angeht…“ „Gut, ich würde nämlich lauschen.“ „Dich wollte ich eh beim Köpfezerbrechen dabei haben“, erklärte Ed. „Du hattest dich doch mal mit dem Tor beschäftigt, wenn ich mich nicht irre?“ „Nur theoretisch“, räumte Roy ein. „Eine meiner Evaluationsarbeiten hat das Thema gestreift, aber das ist Jahre her… ach ja und ich hab mir einige der Bücher angetan, die Al gewälzt hat in den letzten Jahren.“ Er verzog das Gesicht. „Dein Bruder ist gruselig.“ „Ja. Er hat mir damals nen ziemlichen Schrecken eingejagt, als er die Texte unseres Vaters ohne große Probleme zusammengefasst und erklärt hat. Ich hab sie entschlüsselt, aber kapiert hab ich sie nicht. Und der…“ Edward schüttelte den Kopf. „Musste sich das Zeug, das ich entschlüsselt hab, nur einmal durchlesen und konnte es erklären, dass sogar ich Depp es kapiert hab.“ Er grinste schief. „Und danach sind diverse Theorien auf unserem gemeinsamen Mist gewachsen.“ Er tippte sich gegen den leeren rechten Ärmel seines Krankenhausnachthemdes. „Das ist unnormal“, sagte Roy. „So viel Intelligenz ist nicht normal. Ich fühl mich jetzt schlecht, weil meine Untergeben mehr Grips haben als ich. Und gleich zwei davon… hört auf, schlauer als ich zu sein!“ Edward zuckte die Achseln. „Du bist auch nicht allzu dumm. Du kannst Leute darauf einschätzen, wie du sie am besten dazu bringst, das zu machen, was du willst – ohne, dass sie es merken. Dazu ist auch ein bisschen Grips nötig.“ Roy lachte. „Ed…“ „Hm?“ „Du bist süß.“ „Ich bin nicht süß“, knurrte Edward. „Echt nicht? Schade… ich mag Süßigkeiten.“ Er stand auf. „Ich glaub, ich schau wirklich mal nach Al.“ „Hm…“ Edward ließ sich in sein Bett zurücksinken. „Weißt du, dass das in Verbindung mit den Süßigkeiten arg zweideutig klingt?“ Roy lachte und ging nach draußen, folgte seinem Instinkt zu Als Zimmer. Himmel, Ed hat keine Ahnung, welchen Schreck er mir damit eingejagt hat… das ist wohl das einzig Gute an der Sache. Sein Instinkt trog ihn nicht; Alphonse saß in seinem Zimmer am Fenster und sah nachdenklich nach draußen. „He…“ Er drehte sich ruckartig um, und Roy bemerkte, dass sein Gesicht hektische rote Flecken aufwies. Allerdings waren seine Augen nicht getrübt oder verquollen, obwohl Roy sich fragte, warum er das erwartet hatte. „Alles in Ordnung?“ Al nickte. „Hm… ja.“ „Wolltest du nicht einen Rollstuhl besorgen?“ „Oh… ja, stimmt…“ Al fuhr sich ein wenig nervös durch die Haare. Roy trat zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Sicher, dass alles in Ordnung ist?“ Merkwürdigerweise verspürte Al wieder diesen Stich, der gleiche, den er gefühlt hatte, als er aus Eds Zimmer geflüchtet war. Es war jetzt nur ein wenig schwächer. Er nickte. „Ja, sehr sicher.“ Roy seufzte wieder leise. „Du hast nur nicht darüber nachgedacht, wie es aussieht, wenn er wirklich wieder da ist, nicht wahr?“ „Es gab nix, worüber ich hätte nachdenken müssen“, sagte Al und nun sah er Roy an. „Oder hältst du mich für so dumm?“ „Aha.“ Al seufzte. „Ich hab mich ein bisschen ausgeschlossen gefühlt“, gab er dann zu. „Mehr nicht.“ Es stimmte sogar, auch, wenn er sich dadurch nicht diesen hässlichen Stich erklären konnte, den Roys Anblick ihm verursachte. Roy seufzte. „Dann bin ich ja beruhigt… aber eine Frage…“ „Ja?“ „Du hast nicht rein zufällig Absichten, meine Lebensspanne drastisch zu verkürzen?“ Al hob die Augenbrauen. „Nein, eigentlich nicht… warum?“ „Ah… gut…“ Roy überlegte. „Dann…“ Er brach ab, sah zur Seite. „Falls er etwas erfährt, dann garantiert nicht von mir“, sagte Al. „Du bist einfach zu gut für diese Welt“, seufzte Roy. „Ich weiß, deshalb magst du mich ja.“ Al lächelte. „Aber du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass Nii-san…“ „Doch. Ich glaube, er würde mich umbringen.“ „Er wird sicher…“ „Al, ich kenne Ed. Dass ich nicht gelebt hab wie ein Asket – gut und schön, damit kann man leben. Aber dass ich seinen lieben Bruder angefasst hab… nun ja… er würde mich aufs Rad flechten und dann ins Wasser werfen. Und er würde es genießen.“ „Du wirst melodramatisch.“ „Und du kannst ihn nicht einschätzen“, sagte Roy, immer noch schaudernd. „Also… was war noch mit dem Rollstuhl?“ „Ach ja… stimmt…“ Edward sah mit einem schiefen Grinsen auf den Rollstuhl, den Roy eben ins Zimmer schob. „Wenn es mir nicht schon durch das widerliche Essen bewusst geworden wäre – jetzt weiß ich, dass ich im Krankenhaus bin.“ Roy lachte. „Willst du dich etwa beschweren?“ Ed lachte zurück. Al trat zu ihm. „So, Nii-san… hopp…“ Er hob ihn hoch, trug ihn die zwei Schritte zum Stuhl und setzte ihn hinein. „So, und jetzt raus hier. Schnell, ja?! Ich brauch frische Luft…“ „Ja, bitte…“, fiel Edward heftig in den Klagegesang ein. Roy musste wieder lachen. „Ihr seid furchtbar, einer wie der andere.“ „Was?!“, kam es doppelt; die Brüder sahen ihn an, dann sahen sie sich an und schlussendlich grinsten sie breit. Roy schob den Fahrstuhl auf den Flur, auf den Rollbahnen an den Treppen nach unten und dann aus dem Gebäude heraus in den Park. Edward hörte Vögel zwitschern, fühlte Sonne auf seiner Haut und in seinen Haaren, roch Sommerluft. „Al, Roy…“ „Hm?“, machte Al. „Sollte ich wider Erwarten gestorben sein – lasst mich jetzt tot, ja?“ „Du bist quicklebendig, Nii-san“, sagte Al. „Und ich werd dafür sorgen, dass das so bleibt.“ „Ich sagte wider Erwarten“, bemerkte Ed. „Dass ich lebe, weiß ich spätestens, seit du mir eine gescheuert hast“, fuhr er mit leidender Stimme fort, doch als er Al ansah, lächelten seine Augen. Roy wich mit dem Rollstuhl vom Weg ab, hinter ein paar Bäume und Büsche. „So, ihr beiden“, sagte er, „abgelegen genug?“ „Ja…“ Edwards Blick wanderte umher. „Ja, das ist in Ordnung.“ Er ließ sich von Roy herausheben und wieder fühlte Al diesen heftigen Stich. „Also“, sagte Roy, setzte Edward auf den Boden. Al setzte sich neben seinen Bruder und jetzt ließ Roy sich vor ihnen ins Gras sinken. „Worum geht’s?“ Edward seufzte. „Roy… nur noch einmal, damit ich sicher bin – wie viele Jahre sind vergangen, seit ich mich über deine Augenklappe beschwert habe?“ „Zwei… Ed, das weißt du, du wirst zwanzig… nein, halt, du bist letzten Winter zwanzig geworden.“ Roy seufzte. „Ich werde alt…“ „Das erstaunt nicht, wenn man weiß, wie alt du schon bist“, bemerkte Al lächelnd. Roy grollte. „Gut… also dann… was meinst du, wie lang es für mich war?“ Roy zuckte die Achseln. „Zehn… zehn Jahre…“ Roys schmale Augen wurden weit. „Was…“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Edward…“ „Es waren zehn Jahre“, beharrte Ed mit mattem Lächeln. „Roy, schau nicht so, ich bin nicht durchgedreht. Noch nicht jedenfalls.“ „Sagt ja keiner…“, meinte Roy. „Gut…“ Edward machte mit dem linken Arm eine Geste, als ob er die Hände verschränken wollte, doch er griff ins Leere. „Verdammt… hoffentlich ist Winry bald fertig.“ „Sei nicht so ungeduldig“, mahnte Roy. „Wenn ich Hawkeyes schlechte Laune richtig deute, arbeitet Winry Tag und Nacht und ignoriert jeden, der sie sprechen will.“ Er beobachtete lauernd Edwards Mienenspiel. Als das nicht einmal die kleinsten Anstalten machte, zu entgleisen, sah er zu Al: „Du hast es ihm schon erzählt?“ „Ja.“ „Ich wollte sein dummes Gesicht sehen!“ Dann seufzte er. „Gut. Zehn Jahre… also das Fünffache von hier. Und? Was willst du von mir wissen?“ „Naja…“ Edward seufzte. „Wir wissen ja, dass sich eine deiner Forschungen mit alchemistischer Zeit beschäftigt." „Ja, stimmt“, gab Roy zu. „Aber da man da schlecht forschen kann…“ „Da stellt sich mir als jemand, der da ein bisschen unwissend ist, die Frage, warum“, sagte Al. „Aus dem gleichen Grund, warum es kaum praktisch basierende Berichte über das Tor gibt“, sagte Roy. „Es gibt ein paar Leute zu wenig, die Gelegenheit hatten, die Ergebnisse ihrer Selbstversuche weiterzugeben. Deswegen hab ich auch schlussendlich die Finger davon gelassen und mich lieber mit weniger abstrakter Alchemie beschäftigt.“ „Zum Beispiel deine Streichholzfunktion?“, fragte Ed spitz und schon im nächsten Moment rief er: „Al! Hilfe! Bruderherz, rette mich!“, als Roy aufsprang, ihn an der Kehle packte und scherzhaft würgte. Al lachte, doch er verstummte augenblicklich, als die sehr ungleiche Rangelei sich zu einer Schmuserunde entwickelte. Allerdings gab er keinen Ton von sich, wartete einfach still ab und seine Einschätzung wurde nicht enttäuscht – nach relativ kurzer Zeit machte Edward sich bereits wieder von Roy los. Er war seltsamerweise nie jemand gewesen, der körperliche Nähe wirklich gebraucht oder Wert darauf gelegt hätte und eigentlich war es ihm meistens sogar sehr unangenehm, wenn man ihn umarmte oder ihm wildfremde Menschen zu nahe kamen. Al war eine Ausnahme, genau wie Winry… tatsächlich hatte er gerade jetzt das merkwürdige Bedürfnis danach, von ihr geknuddelt zu werden, in den Genuss ihrer fröhlich-forschen, ungefährlichen Nähe zu kommen – je nach dem, wie man ungefährlich definierte. Roy seufzte leise, doch augenscheinlich konnte er damit umgehen, dass Edwards Bedarf an Nähe wohl erst einmal gedeckt war. „Gut, werden wir jetzt also wieder ernst.“ „Sehr gern“, sagte Al. „Erstens“, sagte Roy, „Habt ihr schon irgendwelche Denkansätze? Zweitens: Edward, du siehst mir nicht aus wie neunundzwanzig… oder wie alt auch immer du dort warst. Ich hätte dazu auch gern eine Theorie.“ „Und?“, fragte Al. „Was, und?“, fragte Roy zurück. „Du hast dich so intensiv mit dem Thema beschäftigt“, sagte Al. „Ich hab mir die Arbeit mal durchgelesen. Du hast noch lange darüber nachgegrübelt, als du es aufgegeben hast, daran zu arbeiten, gib’s zu.“ „Korrekt… um genau zu sein fand ich den Gedanken reizvoll, die Zeit zurückdrehen zu können… aber lassen wir das.“ „Also gibst du uns keinen Tipp?“, fragte Al. „Ihr könnt auch ruhig mal ganz alleine und nur für euch denken“, knurrte Roy. „Wozu habt ihr eure Köpfe, Alchemisten?“ In Edwards Kopf klingelte etwas. Alchemisten, Alchemisten… Was war da nur… Kleines Alchemistenkind… „Alchemistenkind…“, murmelte Al neben ihm. „Kind der Alchemie…“ „Ed, weißt du, was dein Bruder da sagt?“, fragte Roy und schreckte ihn so auf. „Was…“ „Ich wollte wissen, was du da sagst“, wiederholte Roy sich. „Ach… nix weiter…“ Sein Blick suchte Edwards, fand ihn; die goldgelben Augen nickten mit einem Ausdruck, der Später sagte und richteten sich dann wieder mit dieser Mischung aus menschlicher Zuneigung und alchemistischen Interesse auf Roy; es dauerte nur einen Moment, dann war nur noch das Interesse da, der Alchemist hatte für diesen Moment den Menschen in den Hintergrund gedrängt. „Gut“, sagte Ed. „Wie wir inzwischen festgestellt haben, ist das Ding ungefähr so leicht kaputt zu machen wie die Vorstellung, dass der Himmel blau ist. Oder besser gesagt, das Prinzip hinter diesem verdammten Ding ist unkaputtbar.“ „Vorstellung, dass der Himmel blau ist…“, murmelte Al. „Nii-san, deine Bildsprache wird auch immer kranker.“ Roy zog eine Augenbraue hoch. „Begründung bitte sehr.“ Edward seufzte. „Da merkt man, wer immer die Evaluationsberichte durchsieht…“ „Und wer immer gnädig genug war, dich nicht mit Pauken und Trompeten durchrasseln zu lassen“, konterte Roy. „Also?“ „Du bist ein Alptraum“, seufzte Ed. „Ich weiß. Also? Ich warte.“ Edward wedelte mit der Hand. „Ist ja gut, ist ja gut… wir wissen immerhin schon alle, dass das Tor in einem Raum existiert, in dem Materie keine Rolle spielt. Sie ist zwar da, aber sie ist nicht so relevant, dass sie sich nicht dem Prinzip unterordnet.“ „Anders gesagt, die Form ändert sich, aber nicht die Wirklichkeit, die dahinter steht“, ergänzte Al. „Ich bevorzuge den Ausdruck Prinzip, aber so stimmt es natürlich auch“, räumte Ed ein. „Der Haken ist, dass Prinzipien absolut sind. Feststehend. Nicht zerstörbar.“ „Beispiel“, forderte Roy. „Du mit deinen Beispielen…“, seufzte Ed. „Also gut. Nehmen wir mal… hm… das Prinzip Al.“ „Was?“, machte Al. „Du bietest dich am besten an“, bemerkte Ed. „Also, Roy. Al ist ein Mensch, wie wir alle wissen und als solcher verändert er sich. Er wächst, sein Aussehen verändert sich – und wenn er Pech hat und einen idiotischen Bruder landet seine Seele in einer Rüstung.“ Al rollte die Augen. „Du hast Al als Rüstung und als Mensch kennen gelernt“, fuhr Ed fort. „Hattest du jemals das Gefühl, dass das zwei unterschiedliche Personen sein könnten?“ Roy schüttelte den Kopf. „Nein, den Eindruck hatte ich nicht.“ „Siehst du… er verändert sich zwar optisch und er wird sich auch charakterlich weiterentwickelt haben – ich kann mich nicht erinnern, dass er früher so frech war – aber im Kern bleibt er, was er immer war“, meinte Ed. „Das Prinzip Alphonse Elric wird sich nicht ändern. Maximal die äußere Erscheinung. Oder wie Menschen Al sehen oder welche Beziehung sie zu ihm haben.“ „Seltsames Bespiel“, sagte Roy. „Aber schlüssig…“ Er grinste Al an. „Und du bietest dich wirklich zu solchen Vergleichen an, Al.“ „Ja, ja…“, murmelte Al. „Ich erinnere mich, das Bild von dieser Tür zerstört zu haben, damals. Du auch?“ „Ja – nur das Tor ist nicht zerstört, was man schon daran erkennt dass wir noch da sind“, erklärte Ed. „Roy, du hast hoffentlich in deiner Ausbildung das gleiche gelernt, wie wir, nämlich, dass Prinzipien aufeinander aufbauen.“ „Ja und deswegen werde ich dich jetzt auch damit verschonen, Beispiele zu fordern“, sagte Roy. „Halleluja“, meinte Ed. „Dann verstehst du auch, dass es zwei Varianten gibt, wenn man ein Prinzip zerstören will – entweder es klappt nicht – oder es klappt und alles, was auf dem Prinzip basiert, geht genauso flöten.“ Er gestikulierte vage. „Als ob man ein Haus vom Fundament einreißt. Das Dach bricht zusammen, die Ziegel sind hinüber – bumm. Aus war’s mit der Welt.“ „Daraus hast du also geschlossen, dass das Tor nicht zerstört wurde?“, fragte Roy. „Ja.“ Ed grinste. „Lass mich raten, das ist jetzt vielleicht… hm… fünf, sechs Tage her, dass dir die Erleuchtung gekommen ist?“ „Keine Ahnung…“ „Und natürlich bist du sofort losgeprescht, um das in die Tat umzusetzen…“ Er seufzte. „Gottverdammte, nicht vorhandene Elric-Geduld…“ „He!“, rief Al beleidigt. „Ich kann sehr geduldig sein. Vor allem mit deinem nicht vorhandenen Sinn für Ordnung!“ „Ja, aber auch nur damit“, murmelte Roy. Al brummte etwas, das ein wenig beleidigt klang. „Gut, Ed, interessante Theorie – aber das ist keine Erklärung, warum du immer noch so kl…“ Ed starrte ihn an. „Warum du so jung geblieben bist.“ Eds Blick beruhigte sich – und selbiges tat Roys Blutdruck. „Darüber hab ich auch ne ganze Weile gegrübelt, als ich gemerkt hab, dass ich mich nicht verändere“, sagte Ed. „Aber frag nicht, wie lange der Geistesblitz hat auf sich warten lassen.“ „Ich vermute, lange.“ „Sehr lange“, erklärte Ed. „Na ja, es hat eine Weile gebraucht, dann ist mir eingefallen, was Sensei uns eingeprügelt hat…“ „Wenn er sagt, eingeprügelt, meint er es so“, bemerkte Al noch. Roy hatte Izumi ein Mal kurz leibhaftig erlebt und hatte nicht im Mindesten vor, Als Aussage anzuzweifeln. „Zeit ist ein Strom, der immer nur in eine Richtung fließt. Wie alles im Leben“, sagte Ed. „Ja… übliches Bild und ich kann nichts dagegen sagen, obwohl ich Wasser hasse“, meinte Roy. Ed kicherte. „Was passiert, wenn man einen Strom trennt?“ Er sah auffordernd zu seinem Bruder. „Na?“ „Die Aufgabelungen fließen unterschiedlich schnell, abhängig davon, wie schmal oder breit sie sind“, antwortete Al. „Was man so als Kind beim Rummatschen mit Wasser lernt…“ Ed grinste. „Aha“, machte Roy langsam und skeptisch. Edward zog die Augenbrauen hoch. „Hast du als Kind nie am Fluss gespielt?“ „Nein.“ „Nie an einem Abhang Bachläufe gebuddelt und Wasser durchlaufen lassen?“ „Nein.“ Die Brüder bedachten ihn mit einem zutiefst mitleidigen Blick. „Was denn, ich bin nun mal in der Stadt aufgewachsen. Ich bin eben nicht so ein Landei wie ihr.“ Sie schüttelten noch mehr den Kopf und ihr Seufzen klang halb bedauernd, halb verachtend. „Aber gut…“, machte Ed. „Wir können Roy später noch wegen seiner verkorksten Jugend bedauern und belästern.“ „Oder auch gar nicht!“, zischte Roy. Ed ignorierte die Bemerkung geflissentlich. „Die Zeit hier läuft sehr viel langsamer als dort, aber natürlich fällt das einem nicht auf, wenn man in einer der Welten ist. Dort… dort drüben habe ich eine Sekunde als genauso lang empfunden, wie eine Sekunde hier.“ Er verschwieg, wie lang ihm eine Sekunde dort vorgekommen war, wie quälend eine Minute, wie endlos eine Stunde und wie leer die Jahre gewesen waren. Das war eine subjektive Wahrnehmung, die hier nichts zu suchen hatte. Er sah zu Roy. Der zuckte die Schultern und brummte: „Wann hast du meine Forschungsarbeit gelesen?“ „Ich… gar nicht…“, meinte Ed. „Warum?“ „Es war nur ein ganz kurzes Kapitel, aber ich hab mich darin mit den Zeitströmen beschäftigt. Bin erst auf ein paar Theorien eingegangen, ehe ich meine eigene erläutert hab“, sagte Roy. „Rat mal, was ich gesagt hab…“ Er sah zum jüngeren der Brüder. „Al?“ „So weit hab ich nicht gelesen“, erklärte Al. „Nach drei Kapiteln hab ich aufgegeben, zu trocken geschrieben – du schläfst ja fast ein.“ „Entschuldige mal, ich bin Wissenschaftler und Offizier in der Armee und kein Schriftsteller.“ „Man kann sich trotzdem ein bisschen mehr um einen guten Stil bemühen“, bemerkte Al trocken. „Ach ja und Nii-san, wie denken ganz offensichtlich zu ähnlich.“ „Das ist mir schon klar, Al.“ „Du hast mir meine Theorie geklaut.“ „Oh… ups.“ Ed blinzelte gespielt schuldbewusst. Al grinste. „Und? Das erklärt trotzdem nicht, warum du immer noch so aussiehst, wie du aussiehst.“ „Erstens: wir haben das Tor damals nicht zerstört, aber es war… nun ja, sehr fest zu“, sagte Ed. „Vorher waren die Zeitströme aneinander angeglichen, danach haben sie sich unterschiedlich entwickelt.“ „Die Aufgabelung im Strom, hm?“, fragte Roy. „Genau. So viel dazu, warum ich älter geworden bin, bis… naja.“ „Bis wir uns kurz gesehen haben und du der Meinung warst, auf einmal wieder verschwinden zu müssen, sprich es ruhig aus“, sagte Al. Edward warf ihm einen besorgten Blick zu, um sich zu vergewissern, dass er ihn nicht wieder wütend gemacht hatte; doch Als Gesicht verriet keinerlei derartige Regung. „Ja. Genau“, sagte er also. „Ich war danach immer noch dort… aber Fakt ist eben, dass ich hierher gehöre. In diese Welt, zu den Menschen hier und in diesen Zweig des Stromes. Und Al, was hat Sensei da noch gesagt… ich weiß es nur noch sinngemäß… alle Menschen schwimmen in der Strömung…“ „Aber Alchemisten werden ein Teil von ihr“, fuhr Al fort. „Und dann können sie nicht mehr in einer anderen Strömung mitschwimmen, selbst, wenn sie von ihr umgeben werden.“ Seine Augen wurden schmaler, sein Gesicht sehr ernst. „Ja, genau das… he, du hast sogar ihren Gesichtsausdruck drauf“, bemerkte Ed. „Sprich, ich würde dort… naja, dort noch eine ganze Weile so jung und attraktiv bleiben wie ich jetzt bin?“, fragte Roy. „Hm…“, machte Ed. „Wenn du das Tor hinter dir wieder sehr fest verschließt, sicher.“ Er runzelte die Stirn. „Denk nicht mal dran.“ „War ein Witz, Ed.“ „Hm… aber mehr hast du dazu auch nicht zu sagen, oder?“ „Nein, im Moment nicht… wenn mir was einfällt, sage ich es“, antwortete Roy. „Aber es klingt interessant. Überdenk das, formulier es aus und reich es mal zu einer Evaluation ein – und danach lass mich bei einer meiner Arbeiten darauf zurückgreifen.“ „Dein Interesse ist wieder da?“, fragte Ed. „Was heißt wieder… es war nie weg.“ „Schön und gut, aber zur Diskussion ist das kein Beitrag.“ „Tut mir leid, ich fürchte nicht.“ Edward schnaufte und ließ sich nach hinten fallen, so dass sein Gesicht nahe an Als Hand war. „Um jetzt wieder zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zurück zu kehren – gibt es sonst noch etwas, was ich in meiner Abwesenheit hier verpasst hab… von der Tatsache abgesehen, dass mein Bruder übermäßig frech geworden ist… wer war für deine Erziehung zuständig, Al?“ Al lachte. „Winry, Sensei… Roy…“ „Kann ja nix gutes bei rauskommen, tödliche Kombination. Vor allem Roy.“ Ed schloss die Augen. „He!“ „Du bringst jungen Leuten nur schlechte Sachen bei.“ Zum Glück sah er nicht, wie Roy und Al einen scheelen Blick tauschten. „Jedenfalls ist nichts weiter passiert, was dich allzu sehr aus der Bahn werfen dürfte“, sagte Al schließlich mit einem leisen Lachen. „Hoffe ich doch…“ Seine langen, blonden Haare fanden einen Weg zwischen Als Finger und seine linke Hand suchte nach Roys. Die Wärme auf seinem Gesicht tat gut… der Geruch des Sommers… er war so leicht… Alchemistenkind… Alchemistenkind… Brr… nein, jetzt wurde es kälter… Alchemistenkind… Er musste mal mit Al darüber reden… ja, wenn er auf dem Zimmer war, würde er mit Al darüber reden, aber jetzt… hm, sich zu bewegen, nein… Er wurde hochgehoben, in den Rollstuhl gesetzt; seine Nase nahm einen vertrauten, ganz eigenen Geruch war… Er blinzelte in rotes Sonnenlicht, es war wohl schon spät… Roy war weg… „Du bist eingeschlafen, Nii-san“, sagte Al, als er den Stuhl wieder auf den Weg schob. „Hast nicht mal gemerkt, dass Roy weggejagt wurde.“ „Hm…“, machte Ed schläfrig und lehnte den Kopf an Als Bauch. Hm… schön warm… Die Hand in seinen Haaren weckte ihn langsam wieder. „Er wollte partout nicht gehen, als die Besuchszeit vorbei war… die Schwester hat einen Tobsuchtsanfall bekommen… und dann war sie noch sauer, weil du dich erdreistet hast, auf der Wiese zu liegen und auch noch zu schlafen…“ Ed lächelte. „Was man im Schlaf so verpasst…“ „Ja, schon sehr lustig…“ Al lachte kurz. „Weißt du, wir haben darüber nachgedacht, was du jetzt machen willst…“ „Hm…“, machte Edward. „Wenn man bedenkt, dass die Alternative wäre, irgendwo herumzusitzen und zu versauern…“ „Nii-san…“ Edward schwieg eine ganze Weile und erst, als Al ihn in sein Zimmer schob und die Tür hinter sich schloss, sagte er: „Da drüben hab ich den Sekretär für einen Professor gemimt… aber… weißt du, da bin ich fast eingegangen…“ Al hob ihn aus dem Rollstuhl, setzte ihn aufs Bett. „Ich bleib bei der Armee… wüsst’ sonst nichts mit mir anzufangen… und außerdem…“ Er brach ab und auf seine Wangen legte sich ein leichter Rotschimmer. Al stellte fest, dass diese Gesichtsfärbung eine erstaunliche Wirkung hatte; sein Bruder sah mit einem Schlag sehr viel gesünder aus, nicht so schwach, wie er im Moment eigentlich war. Er setzte sich zu ihm. „Wegen Roy?“ „Hm…“ Al verspürte wieder diesen Stich, doch er zwang sich, weiterzufragen: „Liebst du ihn?“ Edward sah ihn an; in seinen Augen lag ein merkwürdig melancholischer Ausdruck, ein Zucken umspielte seine Mundwinkel. „Definiere Liebe… dann kann ich dir vielleicht antworten.“ Der Pfleger vom Mittag kam mit seinem Wagen hereingerollt; sein Blick fiel auf Al und er stellte mit einem Augenrollen zwei Tabletts ab, ehe er wieder davon schlurfte. Sie grinsten sich an, als sie die Schüsseln abdeckten, in denen sich leicht angegrauter Salat befand. „Wahrscheinlich noch vom Mittag übrig“, mutmaßte Ed und schob sich eines der labberigen Blätter mit Todesverachtung in den Mund. Von der zähen Konsistenz und der viel zu starken Salznote abgesehen, schmeckte es jedoch einigermaßen gut. Eigentlich sogar erstaunlich gut, wenn Ed bedachte, dass sie in einem Krankenhaus waren. „Du hast übrigens im Schlaf geredet“, bemerkte Al. „Etwas von einem Alchemistenkind…“ „Hm… ah… ja…“ Edward überlegte. „Als ich vor dem Tor stand… wurde ich so bezeichnet.“ „Ah…“ „Und…“ Jetzt wurde sein Gesicht plötzlich sehr sanft, sehr weich. „Ich hab Dinge gesehen. Mein Leben… sogar Dinge, an die ich mich nicht erinnern kann, weil ich damals zu klein war…“ Mir egal… aber das da ist meins! „Du auch…“, murmelte Al nachdenklich. „Du hast das Alchemistenkind übrigens auch erwähnt“, bemerkte Ed. „Ich weiß.“ Einen Moment lang schwiegen sie, sahen sich an. „Das Tor ist mir sehr suspekt“, sagte Ed dann. „Mir auch.“ „Gruselig.“ „Sehr gruselig“, stimmte Al zu. „Lass uns hoffen, dass wir nix mehr mit ihm zu tun bekommen.“ Ed konnte nur nicken. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Träumerei“ – Robert Schuhmann „Mondscheinsonate“ – Ludwig van Beethoven „In mir klingt ein Lied“ – Frederic Chopin Ihr erinnert euch, das Klavierstück, was in der letzten Folge im Hintergrund lief, als Ed und Envy vor dem Tor waren? ;) Einfach wunderschön… ich liebe Musik aus der Romantik. So, Exkurs in die Philosophie beendet. (Und ja - gemessen an dem, was ich sonst so ausbrüte, war das harmlos. Merke - Uni regt zum Denken an.) Hosted by Animexx e.V. 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