Together we're never alone von Crimson_Butterfly (Dein Herz weiß es schon lange ...) ================================================================================ Prolog: As everything began --------------------------- Wir waren schon immer zusammen gewesen. Seit dem Augenblick, als Ryan auf seinen eigenen Beinen gestanden und damit noch recht ungeschickt seine ersten Gehversuche unternommen hatte, war ich stets an seiner Seite gewesen und hatte auf ihn aufgepasst. Im Grunde waren wir zusammen aufgewachsen, obwohl vier Jahre Altersunterschied zwischen uns lagen. Aber das hatte uns nie gestört und es gab nichts, was wir nicht gemeinsam getan hätten. Vom spielen im Sandkasten bis hin zu Disco-Besuchen als Teenager, hatten wir alles durch, ausgenommen von Dingen, die sich nur zwischen Liebenden abspielten. Bereits im Alter von dreizehn hatte er gemerkt, dass er auf sein eigenes Geschlecht stand, doch das machte mir gar nichts aus, denn mehr als Freunde waren wir nicht, auch wenn ich zugeben musste, dass ich ihn nicht unattraktiv fand. Und obwohl er viel kleiner war als ich und er mir gerade bis zum Busen reichte, nutzte ich jede Gelegenheit um ihn wie ein Plüschtier zu knuddeln und ihm auf diese Weise nahe zu sein. Aber dann hatte es plötzlich aufgehört … diese tiefe, Seelische Verbundenheit, die zwischen uns existierte. Ich weiß nicht mehr, was den stillschweigenden Streit ausgelöst hatte. War es der Augenblick, nachdem ich ihm die Hand entzogen und gemeint hatte, dass ich mit einem Kumpel ausgehen wollte oder der Moment, wo ich gemerkt hatte, dass er mehr für mich war als nur mein Sandkastenfreund? Ryan hatte schließlich nur noch das in mir gesehen, was ich war … das Dienstmädchen seiner Familie. Kapitel 1: Inseperably bond --------------------------- "Verdammt noch Mal, Ryan, steh endlich auf!", rief ich wütend und lieferte mir mit der Giftzwiebel ein Tauziehen um seine Bettdecke. "Wie lange willst du deinen Privatlehrer noch warten lassen?" Ich hörte ein unterdrücktes Knurren. Auch wenn die Söhne der Cornwells das Bildungsniveau von Hochschulabsolventen hatten, gab es noch einige Fächer, in denen speziell Ryan noch Unterricht wurde und seine Ausbildung war noch lange nicht abgeschlossen. Das wusste er genauso gut wie ich und genau deshalb sollte er sich jetzt langsam mal aus seinem Bett bequemen. Stattdessen machte er mir wieder Ärger. Wie an jedem gottverdammten Morgen, den ich in diesem Haus verbrachte, bekam ich das jüngste Mitglied der Familie Cornwell wieder einmal nicht aus dem Bett und wenn ich Pech hatte, dann stand mir ein zwei Stunden langer Kampf bevor, bis einer von uns beiden schließlich nachgab und widerstrebend die weiße Flagge hisste. "Verschwinde endlich!", schnauzte er mich ärgerlich an. "Du nervst." Eine Erwiderung hielt ich für überflüssig und bevor ich dazu kam, ihn einen Streich zu spielen, damit seine verkrampften Finger den Stoff freigaben, ließ er bereits los und ich verlor das Gleichgewicht. Ungeschickt stolperte ich zurück und prallte mit dem Rücken gegen die Wand, das mir die Tränen in die Augen schossen und der Schmerz in mein Gehirn jagte. Leise fluchend ballte ich die Fäuste und unterdrückte den Impuls, die Hand auf meinen pochenden Hinterkopf zu legen. Ich hatte das Gefühl, dass mir gleich der Schädel platzen würde. Wie konnte ein Kerl nur eine solche Zicke sein? Die Augenbrauen bedrohlich zusammen gezogen, schob ich die Decke zur Seite und wollte ihn gerade anfahren, doch mir blieben die Worte im Hals stecken und der Unterkiefer drohte mir bis zum Boden zu fallen. Grinsend hockte er von mir und starrte mir direkt in die Augen, das ich spürte, wie mir heiß wurde. "Du Perversling!", schrie ich ihn an und meine Hand hob sich automatisch, aber bevor ich dazu kam ihn eine Ohrfeige zu verpassen, tänzelte er bereits aus meiner Reichweite und lachte mich aus. "Halt doch deine dämliche Fresse!", fügte ich verärgert hinzu. Ryan zuckte abwehrend die Schultern. "Habe ich nicht gesagt, du sollst abhauen?", fragte er mit einem lasziven Unterton in der Stimme und hielt es wohl nicht für nötig, sich anzuziehen. "Oder willst du mir einen blasen, Püppchen?" Zunächst glaubte ich mich verhört zu haben und blinzelte überrascht, doch als ich sein unverschämtes Lächeln sah, platzte mir der Kragen. "Scher dich doch zum Teufel, du dreister Bastard!" "Im ersten Punkt hast du recht. Ich bin pervers. Aber nicht im zweiten: Meine Eltern sind genauso verheiratet, wie deine es waren." Wie ein tollwütiger Hund fletschte ich die Zähne und betrachtete ihn mit einem Gesichtsausdruck, der jeden unerschütterlichen Krieger in die Knie gezwungen hätte, doch wie üblich ließ er sich davon nicht beeindrucken und behielt seine arrogante Fassade bei, die mich jedes Mal zur Weißglut trieb. Gerade in diesen Moment hätte ich ihn erwürgen können. Sein Vater hatte eine 45ziger und eine Schaufel. Ich war mir sicher, dass ihn niemand vermissen würde. Murrend erhob ich mich auf die Füße, ging an ihm vorbei und riss die Türen seines Schrankes auf. In den Fächern suchte ich nach passender Kleidung und stellte dabei fest, dass er wie üblich die teuren Anzüge, in die ihn seine Eltern zu stecken versuchten, ausgeräumt und durch seine selbst gekauften Klamotten ersetzt hatte. Im Augenblick ging es mir links am Arsch vorbei, was er trug, Hauptsache er hatte überhaupt irgendetwas an, was mir jeden weiteren Anblick auf seinen nackten Körper ersparte. Ich wäre selbst mit einem Müllsack einverstanden! Seufzend nahm ich eine schwarze, tief sitzende Hose zur Hand, die etliche Riemen und Schnallen an den Seiten hatte und griff nach einem T-Shirt, in der gleichen Farbe, aber mit einem Drachen auf der Brust. Seinen Geschmack hatte er scheinbar nicht verloren. Anders als seine gute Erziehung, die er ständig vergas. Gerade wollte ich ihm die Sachen an den Kopf schmeißen, bemerkte dann allerdings, dass sich dieser Satansbraten schon wieder aus dem Staub gemacht hatte. Mein Blick schweifte durch den Raum und nachdem ich die Schwaden dichten Dampfes bemerkte, die aus dem Zimmer eigenem Bad drangen, wusste ich, dass er sich unter die Dusche verkrümelt hatte. Ebenfalls eines seiner Standard-Rituale. Aber in Gegensatz zu den meisten Dingen an ihm, die dafür sorgten, dass ich vor Zorn in mein Kissen beißen könnte und im Dreieck sprang, war ich froh darüber, dass er ein genauso hygienischer Zeitgenosse war wie der Rest seiner Brüder. Sorgfältig hängte ich seine Wäsche über die Lehne seines Schreibtischstuhls und begann damit das Bett abzuziehen. Wie üblich haftete dem Stoff der Geruch vergangener Leidenschaft an. Wann hatte sein Lover das Haus verlassen? Hatte der Kerl die Haustür benutzt oder war er wieder durch das Fenster gekrochen, wie ein schäbiger Einbrecher? Uninteressiert zuckte ich die Achseln und zog ein sauberes und gebügeltes Lacken auf. In der Sekunde, als ich mich vorbeugte, um die Knöpfe des Kissenbezuges zu schließen, erstarrte ich in meinen Bewegungen und meine Lider weiteten sich erschrocken. Das Herz schlug mir zum zerspringen in der Brust, bevor ich vorsichtig einen Blick über die Schulter warf und feststellte, dass Ryan seine Hüften an meinen Hintern schmiegte, mit der Ausrede, dass er nur seinen MP3-Player holen wollte, der noch auf dem Bett lag. Ganz ruhig, Fiona. Vergiss nicht … Ryan ist schwul. Du bist für ihn mindestens so interessant wie ein Mathebuch im Englischunterricht. "Krieg dich wieder ein", meinte er gelangweilt. "Ich falle schon nicht über dich her, obwohl ich zugeben muss, dass du einen knackigen Arsch hast." Stirnrunzelnd richtete ich mich auf und beobachtete ihn dabei, wie er sich die Kopfhörer in die Ohren schob und das Gerät einschaltete. Hatte ich irgendetwas verpasst oder woher wusste er, was ich gedacht hatte? Vor allem, wann hatte er sich angezogen? Ich verfiel in Grübeleien und hatte kurzzeitig das Gesicht meines Stiefvaters vor Augen. Dieser Anblick weckte grausame Erinnerungen, die ich lieber vergessen wollte. Ein Mann, groß und Schwer, dickleibig. Sein Atem stank nach Billigen Alkohol und seine Augen glitzerten lüstern, während ich sein Gewicht deutlich auf meinem schmalen Körper fühlte. Mit den Händen schlug ich um mich, versuchte mich zu befreien und erntete nur höhnisches Gelächter. Er zwang mich die Beine zu spreizen und dann war da nur noch ein Sinnesbetäubender Schmerz, der nicht enden wollte, bis er sich wankend erhob und seine Stieftochter wie eine beschmutzte Puppe liegen ließ. Stundenlang hatte ich unter der Dusche gesessen und Blut hatte den Marmorboden der Kabine benetzt, während ich mit leerem Blick vor mich hingestarrt hatte. Die altbekannte Panik machte sich in mir breit und ich spürte, wie mein Mageninhalt in kleinen Bröckchen meinen Hals hochstieg. "Du hast laut gesprochen", sagte er nüchtern und riss mich damit aus meinen Überlegungen. Irritiert gaffte ich ihn an und beobachtete Ryan dabei, wie er das Zimmer verließ, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und dabei die Tür hinter sich zuknallte. Reflexartig zuckte ich zusammen und biss mir auf die Unterlippe, bevor ich mich auf die Bettkante setzte und wie hypnotisiert an die Wand starrte, noch immer eine Gefangene meiner Erinnerungen. Zitternd zog ich die Beine an meine Brust und begann lautlos zu weinen. *** "ALISTER!", schrie ich und jagte hinter dem Flüchtenden her, der sich wieder einen Scherz auf meine Kosten erlaubt hatte. In meinen Gedanken existierte nur das Wort Killt. "Ich bringe dich um, ich mache Hackfleisch aus dir. Ich verarbeite dich zu Frikassee und verfütterte deine Einzelteile an die Schweine!" Dieser Vollidiot hatte es doch tatsächlich gewagt seine Vogelspinne unter seine Decke zu legen, die ich beim Betten machen gefunden hatte. Er kannte meine Phobie und hatte sich köstlich darüber amüsiert, als ich das gesamte Anwesen zusammen gebrüllt und schließlich kreischend aus dem Zimmer geflohen war. Obwohl der zweitjüngste Sohn der Familie viel schneller war, als ich es jemals sein könnte, gab ich nicht auf und würde ihn solange verfolgen, bis ich diesem Mistsack den Schädel gespalten hatte. Ein Wunder, dass mir die Puste noch nicht ausging. Dabei war ich im Sportunterricht immer diejenige gewesen, die am schlechtesten abgeschnitten hatte. Seufzend schüttelte ich den Kopf und verlangsamte meine Schritte, bis ich schließlich stehen blieb. Noch immer existierte der Spielplatz auf dem Anwesen der Cornwalls, obwohl dieser schon lange nicht mehr genutzt wurde und die Geräte schutzlos dem Zahn der Zeit ausgeliefert waren. Um diesen Teil des Gartens kümmerte sich auch der Gärtner nicht mehr. Deswegen wuchs das Gras und Unkraut, ohne von wachsamen Augen und geschickten Händen daran gehindert zu werden. Inzwischen verursachte mir dieser Anblick eine Gänsehaut und ich spürte den Schauer, der mir kalt über den Rücken jagte. Auf der verrosteten Wippe, umgeben von hohen Sträuchern, entdeckte ich Ryan, der mit abwesendem Blick auf die Mauern der riesigen, weißen Villa starrte. Seit er ein Kind gewesen war, hatte er sich stets an diesen isolierten Ort zurückgezogen, wenn er die Gesellschaft anderer nicht ertrug. Er war ein notorischer Einzelgänger und hielt jeden auf Distanz, der sich ihm bewusst nähern wollte. Aber egal wohin er ging, ich hatte ihn stets gefunden. Unsere Freundschaft starb bereits vor mehreren Jahren und doch lebte das Band, das uns über Ecken und Kanten hinweg verband. Als hätte er meine Anwesenheit gespürt, wendete er den Kopf und sah er in meine Richtung. Woher hatte er gewusst, dass ich mich in seiner unmittelbaren Reichweite aufhielt? Wegen dem Lärm, den ich bei der Jagt nach seinem Bruder veranstaltet hatte? Oder hatte er gehofft, dass ich kommen würde? Er hatte gewartet … bereits seit vielen Jahren vertraute er darauf, dass ich ihn vor der Dunkelheit beschützen würde, die in seinem einsamen Herzen unerbittlich Einzug hielt. Selbst unser Streit konnte an diesem Verhalten nichts ändern. Leon, sein ältester Bruder, hatte mir an einem verregneten Herbsttag gesagt, dass ich eine Art Mutterersatz für das jüngste Mitglied dieser Familie darstellte. Zärtlichkeit flutete mein Herz, als ich direkt vor ihm stehen blieb und Ryan seine Arme um meine Taille schlang, um mich zwischen seine geöffneten Schenkel zu ziehen. Wortlos schmiegte er sich an meinen schlanken Körper und genauso schweigend strich ich ihm mit den Fingerspitzen durch sein schwarzes Haar. Kein Geräusch durchbrach die anhaltende Stille und ich wusste, dass er sich das Weinen wieder einmal streng verbot. In meinen Augen war er noch ein Kind, das bereits in jungen Jahren dazu gezwungen wurde Erwachsen zu werden. Ich senkte die Wimpern auf meine Wangen und fühlte, dass sich mir die Brust schmerzlich enger zog. Ich hatte keine Ahnung, was ihn an diesen Tag dazu bewegt hatte, sich in seine eigene Welt zurück zu ziehen. Ich konnte nur Spekulationen darüber anstellen. Er redete nur selten über Dinge, die ihn belasteten und seit dem Moment, der ihn dazu gebracht hatte, sich weiter von mir zu entfernen, sprach er in dieser Hinsicht überhaupt nicht mehr mit mir. Verärgert knirschte ich mit den Zähnen. Sein ganzes Verhalten war voller Widersprüche. Er suchte meine Nähe und trotzdem schien es ihn zu stören, wenn ich die Grenzen überschritt, die er unsichtbar gezogen hatte. Meine Hand zuckte und ich musste den Impuls niederkämpfen eine Faust zu ballen. "Adrian ist zu Besuch gekommen", flüsterte ich tonlos und spürte, wie Ryan augenblicklich erstarrte und einer Marmorstatur glich. "Deine Mutter sucht dich bereits." Ich kannte die Abneigung gegen den Verlobten, den der kleine von seinen Eltern aufgedrängt bekommen hatte und ich selbst hasste dieses Arschloch mindestens genauso sehr, wie seine Mutter den Typen vergötterte. Alleine schon, weil mir sein geschwollenes Gefasel die Galle hochtrieb. Aber wenn ich daran dachte, dass er Ryan … meinen Ryan anfasste, dann wollte ich ihm nur noch den Kiefer brechen. Bevor ich dem unbändigen Zorn nachgab, der sich wie Flammen durch meine Adern grub, löste ich mich sanft aus seiner Umarmung. Annähernd fünf Minuten sahen wir uns Wortlos an, bevor ich mich auf dem Absatz umdrehte und ihn allein ließ, damit er die Kraft aufbrachte, in den Salon zu gehen, wo dieser heuchlerische Wichser bereits auf ihn wartete, um ihn erneut in Angst und Schrecken zu versetzen. *** Ich goss gerade den frisch aufgebrühten, schwarzen Tee in die vorgewärmten Tassen, als sich die Tür zum blauen Salon langsam öffnete und Ryan herein trat, der entgegen der Erwartung seiner Mutter, eine zerfetzte, enge Jeanshose trug so wie ein schlichtes T-Shirt, anstatt dem maßgeschneiderten Anzug, den sie ihm erst vor kurzen hatte anfertigen lassen. Was hatte er bloß für einen knackigen Arsch. Fluchend ärgerte ich mich über meine eigenen Gedanken. Die Stirn gerunzelt setzte ich meine Aufgabe fort, während der kleine auf dem Sofa platz nahm, weit entfernt von Adrian, der durch diese Geste ernsthaft in seinem Stolz gekränkt zu sein schien. Mrs. Cornwell, die einen Herzinfarkt zu erleiden drohte, sprang auf die Füße, ergriff ihren Sohn am Handgelenk und wollte ihn auf die Beine zerren, um ihn umzuziehen, doch der, ach so charmante, Verlobte, gebot ihr mit einer Handbewegung Einhalt, so dass sie kurzzeitig ernsthaft verwirrt zu sein schien, schmolz bei dem Lächeln dieses Vollidioten jedoch augenblicklich dahin. Schleimscheißer! "Bitte Mrs. Cornwell. Wenn Ryan sich so wohl fühlt, dann soll er sich so kleiden, immerhin muss er sich mir gegenüber doch nicht verstellen. Ihm schmeichelt alles, was er trägt, denn er ist ein einziger Erfolg." Boar, ich muss gleich kotzen! Ich wusste zwar nicht, warum dieser Mistkäfer, um den sich die gesamte Aufmerksamkeit drehte, wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen begann und dabei in mein Gesicht blickte, aber in der nächsten Sekunde fing ich gespielt zu niesen an, so dass sich alle Blicke auf meine Gestalt richteten und die Anwesenden überrascht die Stirn runzelten und sich Leon zu mir lehnte. "Geht es dir nicht gut?", fragte er besorgt. Abwehrend hob ich die Hand. "Nein, schon in Ordnung", meinte ich beschwichtigend. "Ich bin nur allergisch gegen geistigen Dünnschiss." Wie erwartet schnappte das weibliche Oberhaupt der Familie geschockt nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen und die Brüder kicherten leise, während Mr. Cornwell in Seelenruhe an seinem Getränkt nippte, als hätte er kein Wort gehört und wäre in den letzten Jahren taub geworden. Weil ich für ihn wie eine Tochter war, ließ er sich solche Flegelhaftigkeiten gefallen, obwohl ihm das die Wut seiner Frau einbrachte. Bevor diese auf mich losgehen konnte, um mir den Hals umzudrehen, hörte ich nur noch wie Adrian dazwischen trat, indem er wieder ein paar Worte in seiner grauenhaften Stimme formulierte, die aus den tiefsten Abgründen der Kloake hätte stammen können und ich schmeckte die Magensäure bitter auf der Zunge. "Fiona ist noch jung, ich bin sicher …" Den Rest hörte ich nicht mehr, denn jede Faser meines Körpers protestierte heftig und meine Finger juckten, in dem Wunsch, ihn den silbernen Löffel in die Kehle zu stoßen, den meine Finger umklammert hielten. Ich bin kein bockiges Kleinkind, du aufgeblasener Hurensohn! Fortsetzung folgt ... Kapitel 2: My heart belongs to you ---------------------------------- "Du bist Scheiße." Diese drei gemurmelten Worte rissen mich unvorbereitet aus meiner Versunkenheit und ich sah von dem kleinen Bildschirm meines Nintendo DS auf. Mein Blick flog in die Richtung, aus der diese spottende Stimme gekommen war und ich starrte denjenigen vernichtend an, der im Auto neben mir saß und diese grauenhafte Katzenmusik über die Kopfhörer seines MP3-Players hörte, in einer Lautstärke, das ich wütend mit den Zähnen knirschte. Wenn er eine andere Beschäftigung hatte, wieso interessierte er sich dann dafür, wie ich die Level meines Spiels absolvierte? Außerdem hätte er das freundlicher ausdrücken können, was er über meine Spielweise dachte. Die Cornwells hatten, wie jeden Sommer, kurz vor Ende der regulären Schulferien, beschlossen zu ihrem Familiensitz ans Meer zu fahren, um sich von ihrem anstrengenden Alltag zu erholen, der mir eigentlich relativ entspannt erschien. Keine zwei Tage später, nachdem die Vorbereitungen getroffen waren, wurde das Gepäck auf die Kofferräume von zwei Fahrzeugen aufgeteilt und die Familienmitglieder begannen auszuknobeln, wer bei wem mitfuhr. Zu meinem Glück oder Unglück leistete ich Leon während der Fahrt Gesellschafft, zusammen mit Alister und Ryan, wobei letzterer mit mir zusammen die Rückbank in Beschlag genommen hatte. Hätte dieser Mistkerl nicht auf dem Beifahrersitz parken können und der Scherzkeks würde sich zu mir nach hinten setzen? Wie immer schnitt ich bei diesem Gedanken eine Grimasse und ballte unbewusst die Faust. Seit annähernd eineinhalb Stunden ging mir dieser Zwerg gehörig auf den Sack und ich musste mich beherrschen, um ihn nicht den Kiefer zu brechen. Während dieser Überlegungen schoss der silberne Volvo auf den Highway hinaus. Auf der Gegenfahrbahn hatte sich bereits ein Stau gebildet, durch die Personen verursacht, die von ihrem Urlaub den Weg nach Hause antraten. Hupkonzerte und Flüche erfüllten die Luft und ich dachte kurz darüber nach, ob ich das Fenster nicht wieder schließen sollte, entschied mich jedoch dagegen, weil ich mich bereits wie ein Brathähnchen fühlte und nur der Wind eine unwesentliche Abkühlung versprach. "Können wir Ryan nicht an die Leine legen?", fragte ich düster und versuchte ihn davon abzuhalten mir die Taschenformatgroße Spielkonsole zu entreißen. Dieser Nervbolzen würde gleich meine Linke zu spüren bekommen und die roch nach Friedhof. Auf die Hilfe, die mir dieser Arsch aufdrängen wollte, konnte ich gut verzichten. Irgendwie würde ich es schon alleine schaffen durch das Level zu kommen, das mir Probleme machte und wenn ich mir dafür eine Lösung aus dem Internet ziehen müsste. Klar, besonders einfallsreich war das nicht und dann könnte ich nicht damit prallen, dass ich es allein geschafft hätte, aber es ersparte mir zumindest, dass Ryan seine Wichsgriffel an meinen Nintendo legte. Verärgert zeigte ich dem kleinen Möchtegern-Gamer meine Krallen, mit denen ich sein attraktives Gesicht verunstalten würde, wenn er mich nicht endlich in Ruhe ließ. Aber wie erwartet schien ihn das völlig kalt zu lassen, den er versuchte weiterhin mir das elektronische Gerät aus den Fingern zu reißen. "Das bringt genauso wenig, wie im Wald nach Kamele zu suchen", sagte Alister scheinbar amüsiert über meine Bemühungen, mir seinen jüngsten Bruder mit Händen und Füßen vom Hals zu halten. "Gib ihm seinen Blowjob, dann hält er garantiert die Schnauze." Mir drohten die Augen aus den Höhlen zu springen, während ich den Sprecher geschockt anglotzte. Waren alle Kerle dieser Welt nur auf ihre Schwänze fixiert? Ryan hatte mich schon vor ein paar Tagen gefragt, ob ich ihm nicht einen blasen wollte. Und eben dieser brummelte so etwas wie 'Lieber lasse ich mir von einer Klapperschlange einen klarmachen. Ihr Biss ist wenigstens erträglich'. Mindestens fünf Minuten vergingen, bevor ich meine Stimme wiedergefunden hatte, jegliche Erwiderung hinunter zwang, die sich einen Weg zwischen meine Lippen zu erschleichen versuchte und wieder ein Pokerface aufsetzte. Weitere sechzig Sekunden verstrichen, bevor mir bewusst wurde, dass mir die Musik meines Spiels an die Ohren drang und dann brauchte ich noch einen kurzen Augenblick, bis ich begriff, dass ich meine Spielkonsole nicht mehr in Händen hielt. Automatisch sah ich zu dieser elendigen Grinsebacke, die meine Fassungslosigkeit ausgenutzt hatte, um sich mein Eigentum unter den Nagel zu reißen. Ein Muskel in meiner Wange zucke. Damit hatte er dem Fass den Boden ausgeschlagen und bei mir brannte eine Sicherungen durch. Mit einem zornigen Aufschrei ging ich ihm an die Gurgel und schlug mit den Fäusten auf ihn ein. Nur mit den Armen über dem Kopf konnte er sich vor meiner Attacke halbwegs schützen und ich schleuderte ihm alle Schimpfwörter an den Schädel, die ich kannte. "Könnt ihr nicht aufhören euch zu zanken, wie zwei alte Waschweiber?", donnerte der älteste Sohn der Cornwells, der hinter dem Steuer saß. "Wenn ihr beide nicht gleich still seid, dann schmeiße ich euch raus." In meinem Bestreben, dieser Spritze puren Gifts meine gesamte Wut spüren zu lassen, überhörte ich die Anweisung und war im nächsten Moment nur noch dankbar dafür, dass mich der Sicherheitsgurt davor bewahrte wie eine Fliege an der Windschutzscheibe zu kleben oder dem Auto in naher Zukunft als Kühlerfigur zu dienen, den der Fahrer trat hart auf die Bremse und der Volvo kam ruckartig zum stehen. Hatte der ein Schwein, das hinter uns niemand war und somit keiner das Heck knutschen würde. Leon drehte sich um und starrte uns an, als wären wir bereit in die nächste Anstalt für geistig verwirrte Menschen eingeliefert zu werden, an der wir vorbei kamen. Meistens wirkte das Gesicht des ältesten Cornwells ruhig und ausgeglichen, emotionslos und entspannt, doch in diesem Augenblick, jagte es mir einen kalten Schauer des Entsetzens über den Rücken. "Ryan hat angefangen", rief ich reflexmäßig und zeigte mit dem Finger anklagend auf den Teenager neben mir, der mich vernichtend anstarrte. "Er hat mir meinen Nintendo geklaut." Den besagten Gegenstand entriss ich dem klapsmühlenreifen Spinner und streckte ihm die Zunge raus. "Du alte Petze", flüsterte Ryan, duckte sich vor der Faust, die erneut auf ihn zuhielt und schob die Hände in die Hosentaschen. "Es. Ist. Mir. Egal. Wer. Angefangen. Hat.", sagte Leon laut und deutlich, als spräche er mit begriffsstutzigen Kindern. "Ich werde es beenden." Was wohl soviel heißen sollte, wie: Um meine Ruhe zu haben, würde ich einen von euch, auch fesseln und knebeln. Beleidigt, dass ich genauso angefahren wurde wie dieser kleine Mistsack, verschränkte ich die Arme vor der Brust und ließ mich in den Sitz fallen. Die Fahrt ging weiter und zunächst blieb es still, bis ich das überhebliche Grinsen von dieser Arschgeige bemerkte, das um seine Mundwinkel huschte. Bevor ich eine Gelegenheit dazu bekam, darüber nachzudenken, was ich im Begriff war zu tun, knallte ich ihm meine tragbare Spielkonsole in sein elegantes Gesicht. Das diese dabei einen Schaden erlitten haben könnte oder seine Nase, nun … das interessierte mich in diesem Augenblick herzlich wenig. *** Flashback: Bevor Adrian gegangen war, der die überraschenden Neuigkeit hinterlassen hatte, dass er ab nächsten Monat öfter im Hause der Cornwells zugegen sein würde, um mehr Zeit mit seinem versprochenen Verlobten zu verbringen, der mir den Eindruck machte, als wenn er gleich an seinen eigenem Mageninhalt ersticken würde, zog er Ryan in einen leidenschaftlichen Zungenkuss, der den Anwesenden scheinbar demonstrieren sollte, wie viel ihm dieser Junge bedeutete. Als wenn niemand die blauen Flecke und Wunden bemerken würde, die die Haut des Teenagers zierte, wenn dieser vornehme Drecksack auf Besuch gewesen war. Während Mrs. Cornwell beschämt das Gesicht abwandte, um die beiden Liebenden wohl einen ungestörten Augenblick verbringen zu lassen, verhielt sich ihr Mann still und senkte den Blick auf die aufgeschlagene Seite seines Buches. Die Brüder jedoch schnitten allesamt eine Grimasse, die ihre Abneigung, gegen Avalon, wiederspiegelte. Zum Glück stand ich mit meiner Meinung nicht auf einem verlorenen Posten. Das jüngste Mitglied der Familie kniff die Augen zusammen, als wenn er eine, von ihm verhassten, Spritzen bekommen würde und als ich die Szene schweigend beobachtete, die ich ertragen musste, verstärkte ich den Griff um die Tasse, die ich in meinen zitternden Händen hielt. Meine Züge verfinsterten sich zunehmend. Ich hörte, wie der Tee schwappte, doch dieser unleugbaren Tatsache schenkte ich in dieser Sekunde keinerlei Beachtung. Namenloser Zorn und vor allem heiße Eifersucht pochte in meinen Schläfen und entzog meinen Gehirn jeglichen rationalen Gedanken. Adrian starb, in meinen Gedanken, mindestens tausend Tode in einem kurzen Moment. "Dich möchte ich nicht zum Feind haben", ertönte eine leise Stimme, die ich als die von Kai identifizierte. Bevor ich etwas erwidern konnte, verbrühte mir das herauslaufende Heißgetränk die Haut und das Gefäß entglitt meinen schmerzenden Fingern. Die Zähne zusammenbeißend verhinderte ich den schrei, der sich Platz verschaffen wollte und genau eine solche Ausrede benötigte Ryan, um sich von seinem Peiniger loszureißen. Er rannte zu mir, packte mich am Handgelenk und schleifte mich aus dem Salon, durch die Eingangshalle und in die Küche, um meine Hände unter das kalte Wasser aus dem Wasserhahn zu halten. Wortlos stand er neben mir und ich fragte mich schon, woran er dachte. Bevor ich etwas sagen konnte, beobachtete ich ihn dabei, wie er zum Kühlschrank ging, nach einer Saftpackung griff und sich mit der Flüssigkeit den Mund ausspülte, als hätte er sich die Zähne geputzt. Die Stirn gerunzelt schluckte ich jedes Wort, dass mir auf der Zunge lag, denn ich wusste, wieso er auf diese Weise reagierte und das gab mir die Kraft, diese ganze verdammte Lage zu ertragen, ohne durchdrehen und zum Amokläufer zu mutieren. Gott allein wusste, wie oft ich mir schon gewünscht hatte, Adrian kastrieren zu können. Ganz zu schweigen davon, dass ich ihn zum Teufel wünschte, wenn ich ihn nur sah. Ein tiefes Seufzen verließ meine Lungen. Flashback ende *** Die Sonne hatte mit dem Mond getauscht. Inzwischen saß Alister hinter dem Steuer des Volvo und lenkte den Wagen vom Highway auf eine Landstraße. Die einzige Möglichkeit, um an unser Ziel zu gelangen. Allerdings wurde er dadurch gezwungen durch ein Dorf zu fahren. Ein Umstand, der ihn scheinbar wenig freute. Er legte den zweiten Gang ein und drosselte das Tempo von Hundertzwanzig auf dreißig Km/h. Kurz senkte ich den Blick und meine Augen huschten über Ryans schlafende Gestalt. Entspannte Zufriedenheit spiegelte sich in seiner Miene wieder und dieser Anblick hatte mir schon immer gefallen. Es gab mir das beruhigende Gefühl, die Welt sei noch in Ordnung. Meine Finger flogen durch sein schwarzes Haar. Die orangefarbenen Lichter der Straßenlaternen erfüllten den Innenraum des Fahrzeugs, strichen über die Scheiben und der polierte Oberfläche des Autos. Aus dem Radio erklang leise Musik, die nur ab und zu durch Nachrichten unterbrochen wurde. Und im hintersten Winkel meiner Gedanken hörte ich die Atemzüge von Ryan, Alister und Leon. Schon seit Stunden versuchte ich herauszufinden, warum sich der jünste Sohn der Familie auf der Rückbank zusammen gerollt und seinen Kopf auf meinem Schoß gebettet hatte. Klar, er war müde, schön und gut, aber warum näherte er sich dann mir, auch wenn dahinter wohl keinerlei Absicht steckte? Er gab sich stets kalt und distanziert. Auch wenn ich es nicht mit Gewissheit sagen konnte, hatte ich trotzdem einen leisen Verdacht. Größtenteils mochte er meine Gegenwart nicht, wenn er wach war, doch wenn er pennte, klammerte er sich daran wie ein Ertrinkender an ein rettendes Seil. Seufzend studierte ich seine verzerrten Züge und runzelte verwirrt die Stirn. Hatte er etwa einen Albtraum? Ryan begann zu keuchen, schlug um sich, kämpfte wie ein besessener und versuchte sich von mir zu befreien, weil er mich wohl verwechselte, und flüsterte immer wieder, mit zitternder Stimme, dass ich ihn nicht anfassen sollte. Tränen liefen ihm über die Wangen und seine Unterlippe bebte. Ich fühlte mich hilflos angesichts der Todesangst, die er auszustehen schien. Meine Finger legten sich an sein schmales Handgelenk und ich spürte, dass sein Plus raste. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, um ihn zu trösten, wartete einfach geduldig und hoffte, dass die Erinnerungen, zumindest nahm ich an, das es welche waren, die ihn festhielten, verschwinden würden. Durch gemurmelte Worte und streichelnde Bewegungen in seinem Nacken, versuchte ich den seelischen Schmerz, der in seiner Brust Einzug hielt auf, ein erträgliches Niveau zu senken. Es brach mir das Herz, wenn ich tatenlos mit ansehen musste, wie Adrian den armen Ryan … meinen kleinen, süßen Ryan, quälte. Der Junge, der immer so fröhlich gewesen war … den ich gut kannte, hatte sich in einen zynischen und verängstigten Menschen verwandelt. "Ryan." Als hätte ich ein Stichwort ausgesprochen, wandte er sich mir ruckartig zu, rutschte noch näher an mich heran und versteckte sein Gesicht an meinen flachen Bauch, während er meinen Körper umschlang, als wäre ich etwas lebenswichtiges. Leise schluchzend klammerte er sich an mich, als wäre ich seine Mutter und er ein kleines Kind, das sich von mir Trost wünschte. Dabei konnte ich weder lindern noch heilen. Ryan atmete weiterhin schnell und unregelmäßig. Tränen quollen unter seinen geschlossenen Lidern hervor, aber langsam schien er sich zu beruhigen, murmelte immer wieder ein paar Worte, die ich jedoch nicht verstehen konnte, weil er zu undeutlich sprach und schließlich verstummte der Mensch, den ich liebte. Liebe beschreibt ein Gefühl, das niemand erzwingen kann. Es ist das größte Geschenk, das ein Mensch einem anderen machen kann und es gibt keine Begierde, die jemals größer sein könnte, als das Verlangen nach demjenigen, der einem anderen alles auf dieser Welt bedeutet und noch viel mehr. Ein sarkastisches Grinsen umspielte meine Lippen. Leon drehte sich im Beifahrersitz um und ich begegnete seinem besorgten Blick. "Geht es Ryan nicht gut?", erkundigte er sich leise und sah zu dem Teenager, der meinen Namen wisperte und plötzlich wieder in einen ruhigen Schlaf zu sinken schien, noch immer eng an mich gekuschelt. "Er hat wohl einen Albtraum", murmelte ich mit zugeschnürter Kehle und zeichnete Geistesabwesend die Konturen seines Ohres nach. "Wir sind gleich da. Am besten bleibst du bei ihm", sagte der älteste Sohn der Cornwells und wandte sich wieder ab, bevor ich protestieren konnte. "Deine Nähe scheint eine beruhigende Wirkung auf ihn zu haben." Wir saßen im Auto. Was blieb mir den anderes übrig? Im Stillen betete ich dennoch, dass Leon Recht hatte. Fortsetzung folgt ... ______________________________________________________________________________________________________ Ps: Ich weiß, dass Fiona widersprüchlich ist. Aber wärt ihr das nicht auch, wenn ihr wüsstet, dass eure Liebe keine Chance hat? Kapitel 3: Silent Scream of the Soul ------------------------------------ "Hast du es etwa schon so nötig, dass du über kleine Jungs herfällst?", erkundigte sich eine kalte Stimme, die jeglicher Emotion beraubt zu sein schien. "Kaum bist du vierundzwanzig Stunden von deinem Stecher getrennt, willst du mich vergewaltigen." Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. "Lass mich in Ruhe", murmelte ich verschlafen und rollte mich auf die Seite. "Ich bin müde." Geschockt riss ich die Augen auf, sobald mir bewusst wurde, wem diese Stimme gehörte und augenblicklich war ich hellwach. Mir saß die nackte Panik im Genick, als ich mich wieder umdrehte und direkt in diese klaren, blauen Augen starrte, die meine Gestalt fixierten; und eine Sekunde später kam ich dahinter, was er mit seiner Aussage meinte. Verdammt! Ich war nicht pädophil. Warum hatte ich bloß getan, was Leon von mir verlangt hatte? Hätte er nicht gesagt, ich soll bei Ryan bleiben, dann läge ich jetzt nicht neben diesem Trottel und müsste seine Anschuldigungen über mich ergehen lassen. Zumindest nahm ich an, dass es unbegründete Anklagen waren. Ich würde doch niemals über ihn herfallen. Oder doch? Sicher war ich mir da nicht. Was war gestern Abend noch alles geschehen, nachdem wir das Ferienhaus der Conwells erreicht hatten? Seltsamerweise fehlte ein ganzer Abschnitt, wie ich der Leere meiner Erinnerungen entnehmen konnte, als ich die Ankunft im Geiste noch einmal Revue passieren ließ. Ich wusste noch, dass Alister seinen kleinen Bruder in sein Zimmer gebracht und dass mir Kai mit den Koffern geholfen hatte, aber was danach geschehen war, das lag im Dunkeln. Wieso hatte ich überhaupt in seinem Bett geschlafen? Irritiert schüttelte ich den Kopf und durchforstete mein Gedächtnis bis in die hintersten Winkel, aber eine dominierende Schwärze überlappte meinen Verstand. Welche Drogen hatte ich bloß geschluckt? Ich fühlte mich, als hätte ich die gesamte Nacht durchgezecht, obwohl ich einen geistesgestörten Bengel im Arm gehalten hatte, der von Albträumen gequält worden war. "Was kann ich dafür, wenn du wie ein Baby noch am Daumen nuckelst?", fragte ich schulterzuckend und wuschelte ihm durch die Haare, als wäre er ein vierjähriges Kleinkind. Ein gehässiges Grinsen umspielte meine Lippen. "Achso … ich verstehe. Du möchtest dass Mrs. Cornwell bei dir ist. Sag das doch gleich." Ich fühlte, wie Ryan erstarrte und ich wusste genau, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte, der ihn wieder einmal daran erinnerte, wie sehr er seine Mutter hasste, die ihn bei seiner Geburt an liebsten zur Adoption freigegeben hätte. Vielleicht wäre das die einzig richtige Entscheidung gewesen, damit er nicht so gequält werden konnte. Aber stattdessen wurde er an ein kinderfickendes Arschloch verkauft, der den Zwerg in regelmäßigen Abständen grün und blau schlug. Bevor Ryan etwas erwidern konnte, ich wollte nicht hören wie gedankenlos diese Worte gesprochen waren, das wusste ich auch allein, schwang ich die Beine über die Bettkante und suchte auf dem Boden nach meinen Schuhen, um sie mir wieder über die Füße zu streifen. Ich war zu stolz, um mich bei ihm für meine Blödheit zu entschuldigen. Außerdem hatte ich eine Dusche dringend nötig und ich wollte meine Klamotten wechseln, denn wie ich erschreckt feststellen musste, hatte ich mein Kleid noch immer an. Fuck! Zwei Arme schlossen sich um meinen Körper, bevor ich aufspringen und verschwinden konnte. Der Kleine zog mich an seine Brust, obwohl ich ihn auch in dieser Position um einige unbedeutende Zentimeter überragte und ich fragte mich, was ihn plötzlich dazu bewog, sich mir zu nähern, obwohl wir gerade stritten. Meine Finger legten sich auf seine und ich gab ihm stillschweigend zu verstehen, dass es mir Leid tat. Ich hatte einen Witz gerissen, der weder lustig noch angebracht gewesen war. "Und du möchtest wohl lieber bei deinem Stiefvater sein", flüsterte mir Ryan fast schon unanständig leidenschaftlich ins Ohr und wie er einen kurzen Moment zuvor, versteifte ich mich und ein Schauer jagte mir kalt über den Rücken. Erbost entwand ich mich seiner Umarmung, genau wissend, dass ich kein Recht hatte, mich über seine Anspielung aufzuregen. Immerhin hatte er mir meine Gemeinheit nur mit gleicher Münze heimgezahlt. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass meine Finger danach gierten, sich um seinen Hals zu legen und zuzudrücken. Wir starrten einander an, als würde unser gegenseitiger Hass genügen, um uns zu töten. Mit jeder verstreichenden Sekunde wurde die Situation komplizierter und … anstrengender. Wir konnten weder miteinander noch ohne einander. Frustriert ließ ich die Schultern hängen und ballte in Ohnmächtigen Zorn die Fäuste. Das war das typische Stachelschwein-Dilemma. Je näher sich diese Tiere kamen, desto mehr verletzten sie einander. Das galt auch für Menschen. Ryan und ich hatten Angst vor den Seelischen Schmerzen. Ich hatte bereits herausgefunden, dass es zum Erwachsenwerden dazu gehörte, zu lernen, bei welcher Distanz man sich am wenigsten wehtat. Aber wie lange würde das bei ihm wohl dauern? Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch und sah ihn überrascht an, nachdem geflüsterte Worte an meine Ohren gedrungen waren. Hatte er tatsächlich das gesagt, was ich gehört zu haben glaubte? Erneut zerbiss ich meine Unterlippe und schmeckte das Blut, das aus den winzigen Wunden quoll. Dieser bittere, metallische Geschmack sorgte dafür, dass ich eine Grimasse schnitt. "Verschwinde", flüsterte Ryan, ohne sich zu rühren. "Hau ab." Er wurde lauter und seine melodische Stimme hallte von der hohen Decke dieses Raumes wieder. "Wag dich nie wieder in meine nähe!" Ich fühlte mich in meinen Stolz gekränkt, obwohl ich es eigentlich besser wissen sollte. Herausfordernd hob ich das Kinn, straffte würdevoll die Schultern und warf ihm einen arroganten Blick zu. Ich hatte etwas gesagt, was ich niemals hätte aussprechen dürfen. Aber auch er hatte Salz in die Wunden gestreut, die noch lange nicht verheilt waren. "Verzeiht, aber der Herr kann mich Mal kreuzweise am Arsch lecken", meinte ich höflich, fast unterwürfig und vollführte einen tiefen Knicks, bevor ich ihn Türen knallend allein ließ und mit geballten Fäusten und einer Wut im Bauch, die ich nicht beschreiben konnte, über den Flur stampfte. Was bildete sich dieser schwule Flachwichser eigentlich ein? Was glaubte er, wer er war? Hielt er sich für Gott? Dieser miese, kleine Drecksack! Glaubte er etwa, das gesamte Universum würde sich nur um ihn drehen? Einem Heulkrampf nahe blieb ich stehen und schlug die Hände vor das Gesicht. Das war ja das Schlimme! Ryan war meine ganze Welt und noch viel mehr. *** Ryan hatte heute Geburtstag. Wie konnte ich das nur vergessen? Vielleicht war der Streit daran schuld. Jedenfalls erinnerte mich der Kalender in meinem Handy an diese Information, als ich auf dem Display ein blickendes Symbol entdeckte, das mir diesen Tag wieder ins Gedächtnis rufen sollte. Seufzend öffnete ich einen meiner Koffer und wühlte in meinen Kleidern, bis ich gefunden hatte, wonach ich suchte. Gedankenverloren starrte ich auf das Packet und strich mit den Fingern nachdenklich über die rote Schleife. Ich hatte mir vorgestellt, wie ich ihm sein Geschenk geben würde und wie sich seine Miene verfinsterte, sobald er zu sehen bekommen hätte, was ich ihm gekauft hatte. Wahrscheinlich hätte er getobt und geschrien, aber ich wusste, dass er solche Dinge mochte und dass er es getragen hätte, selbst wenn er mir damit nur eine Freude hätte machen wollen. Gedankenverloren begann ich zu lächeln. Aber jetzt konnte ich es ihm nicht mehr geben. Die mahnende Stimme der Vernunft zerstörte das wenige Glück, das ich bei dem Gedanken empfunden hatte und der Schmerz zerriss mir die Brust. Mir fehlte die Luft zum atmen und mein Herz setzte einen Schlag aus. Zitternd setzte ich mich auf das Bett, zog die Knie an meine Brust und ließ mich auf die Decke fallen. Zum ersten Mal gestattete ich mir den Kummer, den ich nach jeder Auseinandersetzung fühlte und obwohl ich wusste, dass mein Schluchzen auf dem Gang zu hören sein würde, begann ich hemmungslos zu weinen. Es war mir egal. Ein Klopfen riss mich aus meinen trüben Gedanken und ich richtete mich auf den Ellenbogen auf, strich mit den Handrücken über meine nassen Wangen und blinzelte die Tränen fort, die erneut aufstiegen. Leise probte ich Worte, um sicherzugehen, dass ich Herr über meine Sprache war, wusste jedoch, dass mir jeder ansehen würde, dass ich geheult hatte. "Ja?", rief ich zögernd. Zu meiner Überraschung betrat Shion das Zimmer, schob die Hände in die Hosentaschen und sah mich ausdruckslos an. Verlegen senkte ich den Kopf und verbarg mein Gesicht hinter den Schleier meiner langen Haare. Wir schwiegen uns an und diese Stille wurde zunehmend peinlicher. Nach einer Weile, irgendwann, murmelte er schließlich: "Ich dachte, ich hätte ein verdächtiges Geräusch gehört. Ich habe mich wohl geirrt. Entschuldige die Störung." Er bietet mir einen Ausweg aus dieser unangenehmen Situation. Als ich das erkannte, war er schon wieder gegangen. Der drittgeborene Sohn der Cornwells, der viel zu zurückhaltend war, um sich anderen zu nähern, war noch nie ein sonderlich geselliger Zeitgenosse gewesen und weil er stets sein eigenes Ding durchzog und sich immer hinter seinen Computer verkroch, konnte niemand wirklich sagen, was in seinem Kopf vor sich ging und ob er homosexuell war oder nicht. Wir konnten darüber nur spekulieren. Seufzend fuhr ich mir, mit den Fingern, über die Augen, atmete einmal tief durch und stand auf. Barsch zwang ich mich dazu, mich zusammen zu reißen. Ich durfte nicht in Selbstmitleid ertrinken. Aber wie weit konnte eine Person noch gehen, wie sollte sie den Mut nicht verlieren, wenn sie nahe daran war, sich selbst zu verlieren? Nein, so durfte ich gar nicht erst denken. Für jedes Problem gab es eine Lösung. Vielleicht nicht immer einfach, aber ich war eigentlich auch niemand, der vor Herausforderungen zurückscheute. Umso komplizierter, desto besser. Ich würde diesem Hitzkopf beweisen, dass ich ihm nicht weh tun wollte, zumindest nicht auf diese Weise. Vor allem hatte er kein Recht dazu, die beleidigte Leberwurst zu spielen, wenn er selbst andere … wenn er mich mit Absicht verletzte. Verunsichert blieb ich kurz stehen, überlegte einen Augenblick und verließ den Raum schließlich Schulterzuckend. Ich würde ihm sein Geburtstagsgeschenk auf seinen Schreibtisch legen. Was er schlussendlich damit tun würde, war seine Angelegenheit und nicht meine. Ich hatte mich monatelang darauf gefreut, ihm diese Dinge zu geben und das würde ich mir nicht nehmen lassen. Auch wenn das jetzt etwas anders ausfiel, als geplant. Vorsichtig schlich ich mich auf den Flur hinaus und sah mich zu beiden Seiten um. Mein Vorhaben würde ich umsetzen. *** Liebevoll strich ich mit den schwarzen Lederhandschuhen über Lenker und Sitz des Motorrads, ehe ich meinen Trenchcoat anhob und mit einer flüssigen Bewegung auf der schwarzen Honda CBF600 aufsaß. Ich zog den Helm über meinen Kopf und schloss die Schnallen unter meinem Kinn. Meine Hände legten sich um die Gashebel. Der Motor erwachte brüllend zum Leben. Es krachte, als ich in das beginnende, tobende Unwetter hinausfuhr. Nur flüchtig blickte ich mich nach der Villa um, von der ich mich in hohem Tempo entfernte. Die oftmals schlecht ausgebaute Straße hinderte mich nicht daran, das Getriebe auf Touren zu bringen. Ich lächelte leicht. Durch die Halbautomatik ließen sich sanfte Schaltvorgänge realisieren. Ohne zu kuppeln schaltete ich einen Gang höher; das elektronisch gesteuerte Getriebe leistete zuverlässig seine Arbeit. Ich schmiegte mich an die Maschine, um den Fahrfluss voll genießen zu können. Die unebenen Strecken und die Kieselsteine auf der Fahrbahn waren eine Herausforderung an alle Motorradfahrer. In der Ferne konnte ich die rustikalen Berge und die dunklen Wälder sehen. Die schwarze Maschine jagte fast geräuschlos über den Asphalt, nachdem ich auf den Highway abbog. Die Abenddämmerung warf einen rötliches Dunststreifen auf die bergige Umgebung. Der Horizont begann sich zu zuziehen, während ich mit 180 km/h über die Straße davon jagte. Ein Blitz zuckte vom Himmel und erleuchtete mit seinem matten Licht die Landschaft, bevor der Donner über meinem Kopf explodierte. Der Wind schwoll an und der Regen verwandelte sich in reißende Sturzbäche. Noch nie hatte ich Wasser so laut rauschen gehört. Doch das war gut so – es übertönte meine harten Atemzüge und das wilde Hämmern meines Herzschlags. Die Regentropfen klatschten auf mich nieder, wie kalte Nadelstiche, die all meine schmerzlichen Gedanken durchbohrten und nichts übrig ließen bis auf das Gefühl eisiger Nässe. Das Wasser kühlte mich ab. Noch einmal drehte ich an den Gashebel meiner Maschine, trieb das Fahrzeug an den äußersten Rand der Erschöpfung. Das weiche Licht der Scheinwerfer, das weder Sicherheit noch Schutz versprach, strich über den Asphalt. Die City der nahe gelegenen Stadt, in die ich langsamer fuhr, war angefüllt von Personen, die ihrer täglichen Beschäftigung nachgingen. Kreischend wichen die Passanten dem Motorrad aus, das ich geschickt durch die Menge manövrierte. Wie sollte ich Ryan finden? Seinen Aufenthaltsort kannte ich nicht dadurch, wenn mir Mrs. Cornwell barsch auftrug, ihren Gehirnamputierten Sohn zu finden und ihn nach Hause zurück zu bringen. Suchend blickte ich mich um und folgte einfach meinem Gefühl. Mein Weg führte mich in eine kleine Gasse, der der Gestank der Großstadt anhaftete. Ich drosselte den Motor auf ein Minimum und ließ das Motorrad langsam ausrollen, nachdem ich eine Stimme gehört hatte, die nach mir rief … nicht durch meine Ohren, sondern in meinem Herzen und während ich auf dem Asphalt stand und mich mit prüfendem Blick umsah, lauschte ich auf weitere Geräusche. Schulterzuckend wendete ich die Maschine und fuhr in entgegen gesetzter Richtung davon. Auch ohne sein Gesicht zu sehen, hatte ich gewusst, wessen stummes Locken in meiner Seele widerhallte. Ryan mied meine Gesellschaft und ging mir aus dem Weg, aber das interessierte mich nicht weiter. In diesem Augenblick brauchte er mich und nur das zählte. Fortsetzung folgt ... Kapitel 4: Because I say so --------------------------- Mehrere Stunden war ich durch die Straßen der Stadt gefahren und hatte jeden Ort und jedes Gebäude abgeklappert, in dem Ryan sich vielleicht zurückgezogen hatte, aber bisher war meine Suchaktion erfolglos geblieben. Die Möglichkeit dass er sich ein Bahnticket gekauft hatte und nach Alecu zurückgefahren war, strich ich von Anfang an aus meinen Gedanken. Auch wenn er ein Arschloch war, würde er nicht einfach gegen, ohne jemandem bescheid zu geben. Seinem ältesten Bruder Leon, zum Beispiel … Frustriert und bis auf die Knochen durchgeweicht, hockte ich schließlich vor dem Tresen in einer Kneipe und schob mir die nassen Haare aus dem Gesicht, während ich betrübt in meine Cola starrte, als erhoffte ich mir eine Antwort, von dem Getränk. Ich hatte überall nach ihm gesucht und hatte schlichtweg keine Ahnung mehr, wo er sein könnte. Aber ohne ihn würde ich auch nicht nach Hause gehen. Das Verbot mir mein unerschütterlicher Stolz. Warum hatte er sich überhaupt aus dem Staub gemacht? Das ganze ergab keinen Sinn. Seufzend kniff ich die Augen zusammen und presste Daumen und Mittelfinger gegen die Nasenwurzel. Schon die ganze Zeit über musste ich mich beherrschen, um nicht lauthals zu fluchen. Genervt stieß ich die Luft aus den Lungen und ließ den Kopf hängen. Das durfte doch alles nicht war sein. Wieso hatte ich nur ein verdammt schlechtes Gefühl, wenn ich darüber nachdachte, was das jüngste Mitglied der Familie Cornwell alles ausgefressen haben könnte? Verärgert knirschte ich mit den Zähnen. Ein Muskel in meiner Wange zuckte. Er durfte jetzt auch offiziell Alkohol trinken und das beunruhigte mich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er von seinem neu erworbenen Recht keinen Gebrauch machen würde und ich hatte zudem keinen Schimmer, wieso er überhaupt abgehauen war. An Adrians unerträgliche nähe konnte es nicht liegen. Diesen vornehmen Drecksack hatten wir dort gelassen, wo er seine Wichsgriffel nicht nach dem kleinen ausstrecken konnte, obwohl Mrs. Cornwell ihn liebend gerne mitgenommen hätte. Aber diesmal war ihr Ehemann hart geblieben. Bevor ich die Gelegenheit bekam, weiteren Spekulationen nachzugehen, hörte ich, wie jemand 'Schlägerei' schrie und in der nächsten Sekunde, sprangen die Besucher der Bar von ihren Plätzen auf und drängten sich durch die Tür, auf die regenüberflutete Straße. Ich furchte die Stirn und drehte mich langsam auf dem Hocker um. Ich begriff einfach nicht, was daran interessant sein sollte, dabei zuzusehen, wie sich zwei Menschen gegenseitig die Fresse blutig schlugen. Aber es gab genug schaulustige Idioten, die auch eine Menge Geld dafür zu bezahlte bereit waren, um einem solchen Spektakel folgen zu können. Kopfschüttelnd warf ich dem Besitzer, der hinter der Theke stand und Gläser spülte, noch einen kurzen Blick zu und bezahlte meine Cola, bevor ich die Gaststube wieder verließ und beschloss, dass ich nicht aufgeben würde, bis ich Ryan gefunden hatte. Mit den Händen in den Hosentaschen ging ich zu meinem Motorrad. Gerade in dem Augenblick, als ich mir den Helm über den Kopf ziehen wollte, hörte ich wie jemand schallend meinte, dass sich ein großer Kerl doch nicht von so einem Schmachthacken fertig machen lassen würde und mit hochgezogenen Augenbrauen drehte ich mich um, konnte jedoch nichts sehen, weil sich die Menschen in einem dichten Kreis um die beiden Kämpfenden herum aufgestellt hatten. Ich hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund und das Blut gefror mir in den Adern. Im Stillen betete ich zu Gott, dass meine schlimmsten Befürchtungen nicht wahr werden würden und ich einfach nur paranoid zu werden begann. Mit rasendem Herzschlag suchte ich mir einen Weg durch die Menge und mit jedem Schritt, der mich den beiden Streithähnen näher brachte, wurde ich unruhiger und mir brach der Angstschweiß aus. Wollte ich wirklich wissen, wer sich da gerade gegenseitig an die Gurgel sprang und sich umzubringen drohte oder zumindest mit Knochenbrüchen rechnen musste, die ihn heute Nacht noch ins Krankenhaus bringen würden? Ich schluckte den Kloß, der mir die Luft abschnürte hinunter und zwang mich dazu, weiter zu gehen. Jubelschreie und Anfeuerungen durchschnitten die windstille Luft und die Zuschauer, die dem Kampf interessiert beiwohnten, standen so eng beieinander, dass ich Schwierigkeiten dabei hatte, mich in die vordersten Reihen vorzuarbeiten. Und nachdem ich endlich freie Sicht auf den Kampfplatz hatte, scheute ich davor zurück, hinzusehen und bedeckte mit den Händen mein Gesicht. Ich hatte zu viel Angst, um herauszufinden, ob meine Sorgen unbegründet waren oder nicht. Tief luftholend linste ich schließlich erst durch meine Finger, hoffend, dass ich mich irrte, aber die Grausame Wahrheit ließ sich durch meine Gebete nicht verscheuchen. Mir wich das Blut aus den Wangen. Der Sauerstoff, mit dem ich meine Lungen zu füllen versuchte, entzog sich mir und der Schrei blieb mir im Hals stecken. Plötzlich ging Ryan zu Boden. Ich konnte nur still daneben stehen, während er völlig überraschend den Asphalt knutschte. Er verdankte seinem Sturz keiner Unachtsamkeit, dass verriet der Stiefel, dessen Sohle nun gegen seinen Brustkorb gepresst wurde. Ich glaubte, seine Rippen bereits knirschen zu hören. Der Besitzer des Stiefels, ich vermutete dass es sich bei ihm um einen Mittelschüler handelte, studierte die Gesichtszüge seines, am Boden liegenden, Widersachers. Blitzschnell packte dieser den Knöchel des anderen und stieß ihn unsanft von sich. Ryan ging nun zum Gegenangriff über. Wütend rappelte er sich auf und schon traf seine Faust das Kinn des höher gewachsenen Angreifers und riss diesen von den Füßen. Der junge Cornwell stieß ein Knurren aus bevor er sich auf den gefallenen Hünen stürzte. Seine Beine grätschten über dessen Hüften, als er seinen Vorteil nutzte und rittlings auf dem Typen zum sitzen kam. Mein schlimmster Albtraum wurde in dieser Sekunde wahr und obwohl ich Ryan davon abhalten wollte, sich weiterhin zu prügeln, war ich unfähig mich zu bewegen. Ich versuchte meine spröden Lippen mit der Zunge zu befeuchten, doch meine Kehle war wie ausgetrocknet. Wie gebannt starrte ich weiterhin auf die beiden Jungen, die sich immer noch gegenseitig die Köpfe einschlugen. Der größere hatte Mühe damit, die Finger, die sich ihm näherten, von seiner Kehle fernzuhalten. Mordlust und Blutgier funkelte in Ryans Blick, während mir klar wurde, dass er seinen Gegner erdrosseln wollte. Mit verzweifelter Anstrengung packte dieser die Handgelenke des kleineren und schleuderte ihn über sich. Noch bevor jegliche Information in mein Gehirn drang und ich die Gelegenheit bekam, den Schrecken zu verdauen, kehrte Leben in meine Gliedmaßen zurück. Meine Füße setzten sich bereits in Bewegung und meine Arme legten sich um die schmale Taille des jungen Cornwells. Ryan tobte und schrie, versuchte sich aus meiner Umklammerung zu lösen und wollte sich wieder auf seinen erklärten Feind werfen. Wie das sprichwörtliche Meer begann sich die Menge hinter mir zu teilen, als ich den Jungen mit mir zerrte, der das nur Flüche ausstoßend über sich ergehen ließ. *** "Warum redest du nicht mit mir?", fragte ich verärgert, um die Sorge zu überspielen, die ich mir seinetwegen gemacht hatte. "Geht es dir nicht gut, Ryan?" Dunkle Wolken schoben sich vor den Mond und das Licht verblasste. Der Wind strich über den Asphalt und die Bäume und brachte etwas mit sich, das sich wie Tod und Gefahr anfühlte. Obwohl ich spürte, wie sich die Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete, aufgrund seines abweisenden Verhaltens, wendete ich keine Sekunde den Blick von seiner Gestalt. Ryan wirkte verwirrt und irgendwie verunsichert. Hatte ich diesen Gefühlszustand in ihm ausgelöst? Aber was hatte ich ihm getan? Irritiert furchte ich die Stirn und versuchte mir einen Reim darauf zu bilden. Ich hatte ihn mit mir gezerrt, möglichst weit weg von der Kneipe, auf deren Straße er sich mit einem Mittelschüler angelegt hatte, der das doppelte an Gewicht und Masse gehabt hatte. Aber seit dem Augenblick, in dem er begonnen hatte, freiwillig mit mir zu gehen, hatte er kein einziges Wort gesagt und es vermieden mich anzusehen. Das Plätschern von Wasser riss mich aus meiner Versunkenheit und ich beobachtete Ryan dabei, wie er vor dem Brunnen hockte und sich den Dreck von den Armen wusch. Erst jetzt bemerkte ich, dass er das Geschenk trug, das ich ihm zum Geburtstag gegeben hatte. Das lederne Hundehalsband mit den nieten schmiegte sich eng an seine Kehle. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Eins muss ich dir lassen", versuchte ich ihn erneut in ein Gespräch zu verwickeln und musterte augenscheinlich meine Fingernägel. "Du weißt, wie man einen guten Auftritt hinlegt." Meine Stimme triefte vor beißenden Sarkasmus, so dass er ihn gar nicht überhören konnte, aber er reagierte nicht darauf. Schweigend beschäftigte er sich weiterhin damit, seine Haut von dem Schmutz zu befreien, den er sich während des Kampfes zugezogen hatte. Genervt stieß ich die Luft aus den Lungen. Der Wind strich raschelnd durch das Blätterdach der Bäume und wehte mir die Haare ins Gesicht. Mit einer lässigen Bewegung strich ich sie zurück. Langsam aber sicher bekam ich eine Ahnung davon, warum er mich nicht beachtete. Meine Vermutung bestätigte sich, als er sich die Kapuze seines Pullovers über den Kopf und tief in die Stirn zog. Wollte er sein Gesicht vor mir verstecken? Hatte er schlimmere Verletzungen davon getragen, als zunächst erwartet? Die Lippen fest zusammengepresst, ging ich auf ihn zu und streckte die Hand nach ihm aus, doch bevor ich ihn berühren konnte, stieß er mich zur Seite. Ich stolperte einige Schritte zurück, bevor ich unsanft auf meinem Hinterteil landete. "Fass mich nicht an", zischte Ryan mit hasserfüllter Stimme. "Du hast für einen Tag genug Schaden angerichtet." "Willst du lieber mit Knochenbrüchen in der Notaufnahme landen?", schrie ich ihn an und rappelte mich wieder auf. Das war genug. Den ganzen Tag hatte ich mir Sorgen um ihn gemacht und hatte überall nach ihm gesucht und was machte er...? Die Wut stieg in mir hoch. "Bist du eigentlich noch ganz bei Trost, du verdammter Sturschädel?" "Lieber im Krankenhaus landen, als von dir gerettet zu werden, du dämliche Schlampe! Niemand hat um deine beschissene Hilfe gebeten." Mein Herz setzte einen Schlag aus und der Schmerz traf mich unvorbereitet … als hätte er mich geschlagen. Das Blut wich mir aus den Wangen und mir wurde plötzlich kalt. Kaum, dass er diese Worte ausgesprochen hatte und vermutlich meinen verletzten Blick bemerkte, erhob er sich, unterbrach seine Tätigkeit, die weiterhin darin bestanden hatte, seine Haut zu reinigen, und trat auf mich zu. Zögernd streckte er die Arme aus, doch entgegen des Verlangens, mich an seine Brust zu schmeißen, wich ich vor ihm zurück. "Fiona … es … es tut mir Leid … ich … ich wollte das nicht … verzeih mir." Ich wollte ihn nicht hören und schüttelte nur abwehrend den Kopf. Der kalte Wind strich durch meine Haare und zerrte an meinem Trenchcoat. Das Mondlicht fiel durch das Blätterdach und zauberte ein seltsam schönes Lichtspiel auf seine Haut. Entsetzt starrte ich ihn an, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Seine Lippen waren aufgerissen, er hatte ein blaues Auge, unzählige Schürfwunden und seine Kleidung, an der Blut haftete, war zerrissen. Wieso war mir das nicht vorher aufgefallen? Weil ich nicht darauf geachtet hatte. Vielleicht … weil ich es nicht wollte. Ich zuckte kurz zusammen und bekam ein schlechtes Gewissen. Ich hätte ihn zu einem Arzt bringen sollen und nicht in den Park. "Fiona … komm her … bitte", sagte er beinahe verzweifelt. Ein weiterer Schritt in entgegen gesetzter Richtung, trennte uns voneinander. "Du solltest nach Hause gehen, Ryan", meinte ich nüchtern, als wäre ich jeder Emotion beraubt worden und sah ihn abweisend an. "Es machen sich bestimmt alle Sorgen um dich." Ich wollte ihm nicht zeigen, welche klaffenden Wunden seine, Gedankenlos gesprochenen, Worte in meine Seele gerissen hatten. Der Kummer hatte die Überhand gewonnen und nahm mir weg, was mir alles auf dieser Welt bedeutet hatte. Die Gefühle, die ich für ihn empfand. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte ich mich auf dem Absatz um und rannte zu meinem Motorrad zurück, um auf den schnellsten Weg in die Villa zurück zu kehren. Soll ihn doch der Teufel holen! *** Den ganzen Abend schon versuchte ich das Kapitel fertig zu bekommen, das ich vor dem zu Bett gehen noch lesen wollte, doch immer wenn ich glaubte, den Sinn begriffen zu haben, musste ich verärgert feststellen, dass ich vergessen hatte, worum es überhaupt ging und ich war gezwungen zurück zu blättern und neu an zu fangen. Wie oft mir das in der letzten Stunde passiert war, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Nach zwölf Mal hatte ich aufgehört mitzuzählen. Ständig schweiften meine Gedanken ab und ich konnte mich auf nichts konzentrieren, das nicht in irgendeiner Form mit Ryan und dem Schmerz zusammenhing, der mir das Herz zerrissen hatte. Ich musste masochistisch veranlagt sein, anders konnte ich mir nicht erklären, warum ich an etwas dachte, das mir weh tat. Tief aufseufzend schob ich das Lesezeichen zwischen die Seiten und schlug das Buch zu, bevor ich es zurück in die Schublade meines Nachttisches schob. Das war vergebliche Liebesmüh, wenn ich weiterhin hartnäckig darauf bestand, meinen Geist mit sinnlosen Dingen zu füllen, um zu verdrängen, dass meine ganze Welt, alles, was mir wirklich etwas bedeutet hatte, in Scherben lag Ich rollte mich auf die Seite, presste das Kissen gegen meine Brust und zog die Knie an. Schweigend lauschte ich meinen eigenen Atemzügen. Ich musste mich beruhigen und endlich das Kapitel 'Ryan' schließen, doch entgegen jeglicher Vernunft konnte ich die Tür nicht zuknallen, das Schloss nicht versiegeln. Er war homosexuell und ein Mitglied der Familie, für die ich arbeitete. Ich war eine Angestellte, nicht mehr und deswegen war er mir verboten. Warum konnte ich ihn also nicht als das sehen, war er war und immer sein würde? Mein Verstand akzeptierte die Tatsachen, doch mein dummes Herz weigerte sich dagegen, diese Dinge kompromisslos hinzunehmen und zweifelte die Richtigkeit meiner Entscheidung, ihn zu vergessen und aus meinem Leben zu streichen, an. Unweigerlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, durch die Stimme von Leon, die gedämpft durch das Holz meiner Zimmertür drang und meine Ohren erreichte. War etwas nicht in Ordnung? Doch ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es bereits Zeit für das Abendessen war und wie aufs Stichwort, hörte ich meinen Magen knurren. Eigentlich hätte ich den Tisch decken müssen, doch nachdem mich Mr. Cornwell gesehen hatte, hatte er mich für heute von dieser Pflicht entbunden. Kopfschüttelnd rutschte ich vom Bett, zog mir rasch etwas über und verließ den Raum, den ich seit unserer Ankunft bewohnte. Die Treppe, die in das Erdgeschoss führte stieg ich unnötig langsam und vorsichtig hinab, während mein Blick durch die Eingangshalle huschte. Von Ryan war nichts zu sehen. Prüfend warf ich einen Blick über die Schulter. Er war auch nicht hinter mir. Warum reagierte ich eigentlich plötzlich so angsterfüllt darauf, wenn ich mir vorstellte, mit dem jüngsten Sohn der Cornwells in einem Raum sein zu können? Wahrscheinlich weil ich nicht masochistisch genug war, um die Schmerzen stillschweigend ertragen zu können, die mir sein Anblick verursachen würden. Vorsichtig lugte ich um die Ecke, bevor ich schließlich das Esszimmer betrat. Leon, Kai, Alister, Shion, Mr. Und Mrs. Cornwell. Erleichtert ließ ich mich auf einen freien Stuhl fallen. Von Ryan war weit und breit nichts zu sehen. Zum Glück. Aber bevor ich dazu kam, ein Stoßgebet Richtung Himmel zu schicken, kam die Person in den Raum geschlendert, die ich am aller wenigsten sehen wollte. Wütend knirschte ich mit den Zähnen und ich musste mich zusammenreißen, um nicht aufzuspringen und ihm an die Kehle zu gehen. Entgegen der sonst so lockeren Stimmung, die beim Abendessen vorherrschte, lag heute eine Totenstille über dem Zimmer. Es war so ruhig, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können und ich begann mich unbehaglich auf dem Stuhl zu winden. Dabei schlug ich, mit dem Ellenbogen, gegen das Messer, auf meinem Platz, das klappernd zu Boden fiel und die Augen aller richteten sich auf mein Gesicht. Ich lief rot an, murmelte eine Entschuldigung und sank auf den Boden, um das Besteck zu suchen. Ich konnte es nicht finden und guckte auch unter dem Tisch nach, nur um Zeuge davon zu werden, wie sich Alister scheinbar wieder einen Spaß erlaubte. Er hob das Bein, schob seinen Fuß zwischen die geöffneten Schenkel seines jüngsten Bruders und drückte diesem gegen den Schritt, so dass ich Ryan Gotteslästernd fluchen hören konnte. Fortsetzung folgt ... Kapitel 5: Separate ways ------------------------ Mr. Cornwell hatte Ryan und mich, nach dem Abendessen, in sein Arbeitszimmer gebeten und nun verlangte er, für die Geschehnisse dieses Tages, unerbittlich Antworten. Wie konnte es passieren, dass sich sein jüngster Sohn, auf der Straße vor einer Bar, geprügelt hatte und wieso war ich völlig verstört in die Villa zurückgekommen? Ich wusste genau, dass uns das männliche Oberhaupt dieser Familie nicht gehen lassen würde, bevor er eine Erklärung bekommen hatte. Nur das Problem an der Sache war: Ich hatte keine Ahnung, wie sich das alles überhaut ereignen konnte. Wie zwei Schwerverbrecher auf der Anklagebank, die auf die Verkündung des Urteils warteten, saßen wir weit voneinander entfernt auf der Couch und wie es schien, hing auch Ryan seinen Gedanke nach. Die Schultern hängen lassend, starrte ich auf meine Schuhspitzen und studierte vertieft die einzelnen Farbnuancen des Teppichs. "Als Ryan das letzte Mal von einer Schlägerei nach Hause gekommen ist, war er mehr tot als lebendig", erklang die weiche Stimme von Mr. Cornwell und ich hob überrascht den Blick. "Alister hat ihn nach Hause getragen." Irritiert furchte ich die Stirn und war mir zunächst nicht sicher, ob ich den alten Mann richtig verstanden hatte, der mit den Armen vor der Brust verschränkt, aufrecht an seinem Schreibtisch lehnte. Er hatte von uns gefordert, dass wir ihm eine vernünftige Begründung für unser Verhalten lieferten, eine, die auch nachvollziehbar war und jetzt schwelgte er in alten Erinnerungen? Davon einmal ganz abgesehen kannte ich diese Geschichte nur zu gut. Jede freie Minuten hatte ich seinerzeit im Krankenhaus verbracht, nur um Ryan Gesellschaft zu leisten, der wahrscheinlich entweder vor Langeweile gestorben wäre oder versucht hätte, aus der Klinik zu entwischen, wenn ich nicht auf ihn aufgepasst hätte. Damals waren wir noch Freunde gewesen, die über jeden Unsinn lachen konnten. Etwas, das heute nicht mehr möglich zu sein schien. Schweigend betrachtete ich das Profil des jüngsten Familienmitglieds, der einen, für mich, undefinierbaren Punkt auf dem Boden fixierte, und schnitt eine Grimasse. Wie lange würde es wohl dauern, bis die Schürfwunden verheilt waren und das blaue Auge verschwand? Ein resigniertes Seufzen entwich meinen Lungen. "Damals hast du den Teppich in der Eingangshalle mit deinem Blut besudelt", rief ich theatralisch, konnte mir den Kommentar nicht verkneifen und griff mir an die Brust, als würde mir die bloße Vorstellung das Herz brechen. "Wie konntest du nur?" Das jüngste Mitglied dieser Familie drehte langsam den Kopf in meine Richtung und betrachtete mich einen kurzen Augenblick, bevor er kalt zu lächeln begann. Ein Lächeln, das ebenmäßige, weiße Zähne entblößte. Er schob die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich auf dem Sofa zurück. Ich sah ihn misstrauisch an. Seine großen, kindlichen Augen sahen lebhaft und klar in meine. "Stimmt", brummte Ryan ironisch. "Wie gedankenlos von mir." Er schlug die Beine übereinander, hob herausfordernd das Kinn und musterte mich mit einem abschätzenden, arroganten Blick, bevor er zu seinem Vater guckte. "Dad, würdest du bitte aufhören, mir diese Ziege als Babysitter hinterher zu schicken? Ich bin sehr gut in der Lage, allein auf mich aufzu …" "Wie gut du diese Aufgabe meisterst, habe ich mit eigenen Augen gesehen", unterbrach ich ihn barsch und straffte würdevoll die Schultern. Wir knurrten uns an, wie aggressive Hunde, die sich einfach nicht vertragen konnten, als würde unser gegenseitiger Hass genüge, um unseren selbst ernannten Feind zum Schweigen zu bringen. "Mannsweib!", keifte er mich auf einmal an und ballte die Fäuste. "Du solltest mehr Melonen essen, dann bekommst vielleicht du größere Titten!" Einen kurzen Moment von seinem plötzlichen Stimmungsschwankungen überrumpelt, brauchte ich mehrere Sekunden, bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte. "Verzogener Rotzbengel!", gab ich höflich zurück und verneigte mich voller Spott. "Kommst du bereits mit sechzehn in die Wechseljahre?" Ein amüsiertes Kichern drang an meine Ohren und ich wandte Mr. Cornwell meine Aufmerksamkeit zu. Verwirrt sah ich zu dem alten Mann, der sich schlichtweg aus dem Kleinkrieg zwischen seinem Sohn und mir heraushielt und sich weiterhin in Schweigen hüllte. Scheinbar lieferten wir ihm eine interessante Vorstellung, denn ich hatte den Eindruck, dass er dem Impuls widerstehen musste, laut los zu grölen. Super! Der alte Mann würde mir auch nicht dabei helfen, gegen Ryans loses Mundwerk anzukämpfen. "Ich wollte etwas mit euch besprechen …", sagte Mr. Cornwell schließlich, umrundete seinen Sekretär und ließ sich in den lederbezogenen Schreibtischstuhl fallen. "Es geht um folgendes …" *** Leon bemerkte wohl, dass es mir in letzter Zeit nicht so gut ging und darum wurde ich eine geschlagene Woche damit genervt, dass ich mit seinen Brüdern und ihm ausgehen sollte. Damit ich auf andere Gedanken kam, wie er betonte. Eigentlich hatte ich gar keine Lust, aber schließlich ließ ich mich dazu breit schlagen und willigte ein. Was könnte es schon schaden? Viel. Denn ihre Definierung von Spaß war, das mir dröhnende Musik das Trommelfell zum Platzen bringen und ich mich durch ungelenkige Bewegungen zum Idioten machen würde. Das konnte ja heiter werden. Die Söhne der Cornwells meinten doch tatsächlich, dass ich Mal unter Menschen kommen müsste und darum fand ich mich am dem Abend, an den ich mit ihnen weg ging, in einer Diskothek wieder, bei der mir bereits von der Außenfassade schwindelig geworden war. Ich hatte noch kein Gebäude gesehen, das diesem auch nur ansatzweise glich. Ich hatte das Gefühl, wenn ich die Schwelle übertreten würde, dann wäre ich in einer anderen Welt gefangen. Von einem Tanzlokal erwartete ich mir übertriebene Leuchtreklame, an der Stirnseite des Hauses, Graffiti an den Wänden und finster dreinschauende Türwächter, aber stattdessen wurde die Fassade in düsteren, geschmackvollen Farben gehalten und wenn mir Leon nicht gesagt hätte, wohin wir gehen würden, dann hätte ich geglaubt, er führte mich in ein teures Restaurant der Oberschicht aus und nicht in eine Disco. Mit großen Augen betrat ich den luxuriösen Laden und warf einen Blick auf meine nähere Umgebung. Von der Eingangshalle aus, waren direkt fünf Hallen erreichbar, in denen sich ein jeweils anderes Universum zu befinden schien. Ein überraschter Laut entfloh meinen Lippen, als das weiche Dämmerlicht aus den stilvoll dekorierten Räumen mein schneeweißes, hautenges Top bläulich zum schimmern brachten. Ich hielt die Luft an. Anstatt der harten Beats, die ich erwartet hatte, hörte ich verschiedenen Musikrichtungen, die aus den unterschiedlichen Sälen in die Vorhalle fluteten und sich vermischten. Von Rock bis Hip-Hop und Klassik war alles dabei, was den Musikgeschmack der Anwesenden befriedigen könnte. Alister riss mich aus meinem atemlosen Erstaunen, indem er mich an den Schultern ergriff und mich durch die dicht beieinander stehende Menschenmasse dirigierte. Noch immer stand mir der Mund offen, während ich mich fasziniert umsah und dabei nicht wusste, wohin ich meinen Blick zuerst richten sollte. Selbst die Decke war ein einziges Meisterwerk. Als ich spürte, wie mir jemand in den Hintern kniff, blieb ich abrupt stehen. Erschrocken drehte ich mich um, nicht sicher, ob das vielleicht nicht nur ein versehen gewesen war, doch als ich das süffisante Lächeln eines weiteren Besuchers dieses Schuppens bemerkte, brannte bei mir eine Sicherung durch. Dieser Teenager mit dem nichts sagenden, leeren Gesicht fixierte mich beinahe unverschämt und deutete den Ausdruck in meiner zornverzerrten Miene scheinbar falsch, denn er lockte mich mit einer lasziven Handbewegung zu sich. Ich verdrängte jeden Gedanken an meinen Stiefvater und seine groben Berührungen, die mir augenblicklich durch den Kopf geschossen waren und mich kurzzeitig hatten erstarren lassen. Die Wut gewann die Oberhand und ich ging auf den Typen zu, blieb vor ihm stehen und ein hasserfüllter Lächeln umspielte meine Mundwinkel. Meine Hand schoss vor und der Typ japste verblüfft auf, bevor er sich krümmte und bestürzt zu der Stelle sah, an der meine Finger sein wertvollstes Teil langsam zu zerquetschen begannen. Er war fassungslos und starrte mit an. "Ey, du kannst …", begann er jammernd. Ich unterbrach ihn. "Was kann ich?", fragte ich aggressiv. "Du meinst, ich kann meinen Arsch an deiner schlafen Nudel vorbeischieben, ohne dass du ihn begrabscht?" "Ja, ja", versuchte es der Kerl in beschwichtigenden Ton und keuchte kurz darauf schmerzerfüllt auf. Ich zog die Augenbrauen zusammen. "Hast du es endlich geschnallt?" "Ja", rief er flennend. Hochmütig hob ich das Kinn. "Ist auch besser für dich." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ließ ich ihn los und lief wieder zu meinen Begleitern. Ihren reglosen Gesichtern war nicht anzusehen, was sie über mein Verhalten dachten oder vielleicht wollte ich es auch gar nicht wissen. Also verloren wir kein Wort darüber, als ich von ihnen zu einer Treppe gelotst wurde, die in einen separaten Bereich der Disco zu führen schien. "Seit ihr VIP?", fragte ich erstaunt, als sie mich die Stufen hochschoben und mich in ein Zimmer brachten, von dem man aus, die einzelnen Räume dieses Gebäudes überblicken konnte. "Wir sind eher so etwas wie Stammgäste", antwortete Leon ausweichend und holte mir etwas zutrinken, während ich mich auf eine Couch mit Samtbezug setzte. "Wir gehören eigentlich nicht zu den VIPs", fügte Alister hinzu und ließ sich neben mir nieder. Neugierig geworden dachte ich über den Sinn hinter diesem Satz nach, doch keiner der Brüder verlor ein weiteres Wort darüber, was mir hätte helfen können. Leon reichte mir ein Glas mit Cola, das ich dankend entgegen nahm und die Personen betrachtete, die sich auch in diesem Raum aufhielten und sich nach den Cornwell-Söhnen umdrehten, als wären sie eine wandelnde Kuriosität. Stimmt. Kaum jemand hatte Leon, Kai, Alister, Ryan und Shion jemals gesehen. Den größten Teil ihres Lebens hielten sich die Brüder hinter den Mauern der riesigen Villa auf. Eingesperrt in einen goldenen Käfig, der ihnen doch genügend Freiraum bot, so dass sie ihre Flügel gen Himmel strecken konnten. Aber trotzdem verließen sie das Anwesen nur in Ausnahmefällen. Deswegen irritierte mich die Aussage, sie seien Stammgäste. Eigentlich war jeder von ihnen ein notorischer Einzelgänger. Selbst Affären, die sie kurzzeitig geführt hatten, ließen sie schnell hinter sich. Vergessen und aus dem Gedächtnis gestrichen. Zumindest hatte ich diese Ansicht gewonnen, seit ich sie mit vier Jahren zu beobachten begonnen hatte. Bevor ich meine Überlegungen fortsetzen konnte, zerrte mich Kai überraschend auf die Beine, dass ich vorübergehend den Bodenkontakt verlor. Ich wäre gefallen, wenn er mich nicht in seinen Armen aufgefangen hätte und ich spürte die Hitze, die mir in die blassen Wangen stieg. Dieser Junge mit den sanften, grauen Augen, wirbelte mich über die Tanzfläche und hielt mich dabei fest genug, um zu verhindern, dass ich nicht über meine eigenen Füße stolperte. Mir drehte sich bereits alles vor Augen, als er plötzlich stehen blieb und ich eine leise Stimme hörte, die höflich fragte, ob er abklatschen dürfte und die ich als die von Shion identifizierte, noch bevor er mich an seine Brust zog. Er wählte eine langsamere Tanzart, die mir Zeit zum verschnaufen ließ. Obwohl aus den Boxen der Hallen ohrenbetäubender Rock donnerte, hatte er einen Walzer gewählt und ich wunderte mich darüber, dass er die Schritte beherrschte, obwohl ihn die betreffende Musik nicht leiten konnte. Vielleicht war er imstande diesen Lärm einfach ausblenden? An diesem Abend hatte ich mehr Spaß, als in den ganzen letzten Jahren. Leon hatte sein Ziel erreicht, ich vergaß alles um mich herum und nur das Jetzt zählte, nur dieser Moment. Mein Kummer, den ich wegen Ryan hatte und der mir das Herz hatte schwer werden lassen, rückte in weite Ferne und das erste Mal seit Tagen konnte ich wieder lachen. Vielleicht war es ganz gut, dass Ryan nicht mit uns gegangen war, den wenn er da gewesen wäre, hätte ich die Zeit wohl nicht genießen können, die ich in Gesellschaft seiner Brüder verbrachte und das hätte ich wahrscheinlich irgendwann bereut. Ich brauchte diese Abwechslung, das wurde mir in der Sekunde, als ich von einem Arm in den nächsten gezerrt wurde, bewusst. *** Die City von Budapest war, im Gegensatz zum prunkvollen Buda auf der anderen Seite der Donau, ein blühendes Stadtzentrum mit all den Annehmlichkeiten des modernen Lebens. Verrauchte Espressobars und Internetcafés lagen am Ferenciek Platz, benannt nach einem transsilvanischen Prinzen aus dem achtzehnten Jahrhundert. Hellgelbe Kästen standen an den Straßenecken und beherbergten modernste Computerterminals, die sowohl für Touristen, als auch für Einheimische automatisierte Informationen und Wegweiser bereithielten. Die High Tech-Führer teilten sich die Gehwege mit roten Briefkästen und streng kontrollierten Parkuhren. So hatte es mir Leon zumindest erklärt. Unauffällig warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr, bevor ich mich unter der aufgespannten Markise hervorwagte und mir die Hände über den Kopf hielt, in dem verzweifelten Versuch nicht völlig von der nächtlichen Sintflut durchnässt zu werden. Ich könnte mich dafür Ohrfeigen, dass ich mir einen Minirock angezogen und meinen Regenschirm vergessen hatte. Ein resigniertes Seufzen verließ meine Lungen und ich verfluchte die dichten, schwarzen Sturmwolken am Himmel. Scheiße. War ja klar, dass ausgerechnet heute der Sturm des Jahrhunderts aufzieht. Ich versuchte locker zu bleiben und meine beschissene Situation mit Humor zu nehmen, doch als mir ein Rinnsal kalten Regenwasser unter den Kragen meines Ledertrenchcoats floss, gewann die Wut die Kontrolle über meinen rationalen Verstand und jedes noch so unbedeutende Detail ließ mich genervt aus der Haut fahren. Wie der Haufen nasser Ungaren, die den betonierte Bodeneingang am Fuß der Treppe zur Metrostation, verstopften und mit ihren Regenschirmen herumhantierten, so dass ich gezwungen wurde, noch ein paar Minuten ungeschützt im strömenden Regen stehen zu bleiben. Nach nur zehn Sekunden glich ich einer ertrunkenen Ratte. Die Nacht ist ja schon versaut. Also kann es nur noch besser werden … hoffe ich. Ich hätte Leon fragen sollen, ob ich seinen Wagen benutzen dürfte, anstatt mir von Mr. Cornwell, den ich meinen unglückseeligen Aufenthalt in der Stadt verdankte, Geld für den Zug geben zu lassen. Ich sollte ihm ein Medikament holen. Um was es sich für welche handelte, hatte er mir nicht gesagt, aber ich wollte es auch gar nicht wissen. Er hatte in der Apotheke angerufen. Ich brauchte das Arzneimittel also nur abzuholen. Ein Muskel in meiner Wange zuckte und ich zog ein blassblaues Ticket aus meiner Tasche, das ich an der Maschine beim nächsten Dreckkreuz entwertete, nachdem sich die Schlange aus wartenden Passanten endlich wieder zu bewegen begann. Während die Schwerkraft ihr bestes tat, um mich zu trocknen, bildete sich unter mir eine Pfütze und ich rollte mit den Augen. Patschnass wischte ich mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht und nahm die Rolltreppe hinunter zum Bahnsteig, über den sich langsam die Masse der Pendler schob. Das war ein gutes Zeichen, denn das bedeutete, dass ich den nächsten Zug in den oberen Stadtteil noch nicht verpasst hatte. Obwohl sich Budapest des ersten unterirdischen Metrosystems, erbaut 1894, rühmte, war die blaue Linie M3 erst seit den 1970gern in Betrieb. Deshalb war die Haltestelle am Ferenciek Platz auch eine schicke, modern gestaltete Metrostation mit makellosen Fliesenböden und sauberen, graffitifreien Wänden. Während mein Blick teilnahmslos über die feuchten Scharen von Menschen wanderte, blieb mir plötzlich der Atem stehen. Entweder zog ich das Pech an wie ein Magnet oder dieser drei Käsehoch war mir gefolgt. Ich musste mich scheinbar korrigieren. Es konnte durchaus noch schlimmer werden. Super, zu meinem Glück fehlte mir jetzt nur noch eine dicke Grippe, dann wäre der Tag perfekt. Ich ballte die Fäuste. Was zum Teufel machte Ryan hier? Fortsetzung folgt ... ________________________________________________________________ Für eventuelle Irritation unter den Lesern. Diese Geschichte spielt in der ganzen normalen Welt. Nur Alecu, ihre Heimatstadt, habe ich mir ausgedacht Kapitel 6: What i am affraid of ------------------------------- Die Rolltreppe trug mich tiefer und somit näher zu Ryan, der an der Wand lehnte, die Hände lässig in den Hosentaschen. Ich schluckte schwer und überlegte, ob ich meinen gesamten Mut zusammennehmen und ihn ansprechen sollte. Seit dem Tag, an dem uns Mr. Cornwell mit seinem lächerlichen Vorschlag konfrontiert hatte, war kein Wort mehr zwischen uns gefallen. Entschuldige, du Satansbraten, probte ich in Gedanken, aber ich war gerade dabei, dich anzugaffen, weil ich mich frage … Gerade als die abwärts gleitenden Stufen den Boden erreichten und ich auf den Bahnsteig treten wollte, rauschte ein blank polierter, blauer Zug in die Station, begleitet von einem kalten Windstoß und ohrenbetäubendem Lärm. Das plötzliche Einfahren dieses Kolosses riss mich unvorbereitet aus meinen Überlegungen und brach den Bann, der mich Gefangen gehalten hatte. Als ich schließlich nach ihm sehen wollte, den ich kurzzeitig aus den Augen verloren hatte, musste ich enttäuscht feststellen, dass er spurlos verschwunden war. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob mich das störte, oder ob ich mich darüber freute mich nun scheinbar doch nicht mit ihm auseinandersetzen zu müssen. Die U-Bahn-Türen öffneten sich zischend und die ungeduldigen Pendler drängten sich zu dem wartenden Zug. Ich versuchte erneut, Ryan in der Menschenmasse zu finden, doch als ich ihn nicht entdeckte, wandte auch ich mich erleichtert der Linie M3 zu. Eine mechanische Stimme, die knisternd aus verborgenden Boxen drang, wies die Leute am Bahnsteig darauf hin, dass sie zur Seite treten und die eingetroffenen Fahrgäste aussteigen lassen sollten. Die Luft aus den Lungen stoßend wich ich hinter die gelbe Linie, die über den Boden verlief, zurück und wartete darauf, dass ich einsteigen und mir einen Sitzplatz suchen konnte. Mein Blick flog hin und wieder suchend über die Station, ohne dass ich mir dessen wirklich bewusst war, doch das jüngste Mitglied der Familie Cornwell blieb weiterhin unauffindbar. Verärgert fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare. Wahrscheinlich werde ich sowieso zu spät sein. Bis ich endlich dort sein würde, hatte die Apotheke sicherlich längst geschlossen. Auf den Füßen wippend, sah ich mich noch einmal um, wurde auch diesmal nicht fündig und betrat tief aufseufzend die inzwischen leere Straßenbahn. Ich wählte einen Platz direkt am Fenster, lehnte mich zurück und schlug die Beine übereinander. Geistesabwesend las ich mir erneut die Wegbeschreibung durch, die mir Mr.Cornwell, auf einem Zettel, mitgegeben hatte und hoffte, dass ich mich nicht verlaufen würde. Bei meinem Orientierungsinn lag das durchaus im Bereich des Möglichen. Ein Wunder, dass ich es überhaupt zur Metrostation geschafft hatte, ohne mich zu verirren und schließlich heulend in irgendeiner Ecke zu stehen; voller Panik nicht mehr nach Hause zu finden. Diese Verzweiflung, die sich höchstwahrscheinlich in mir aufbauen würde, war natürlich unbegründet. Ich hatte für den Fall eines Falles ein Handy mit und ich hätte jederzeit anrufen und darum bitten können, dass mich jemand abholte, aber trotzdem … Vielleicht spiegelte sich darin auch nur eine tief sitzende Angst wieder. Die Furcht vor dem Alleinsein, die mich seit meiner Kindheit quälte. Auch jetzt fühlte ich mich zwischen so vielen, fremden Menschen unwohl. Unbehaglich rutschte ich auf dem Sitz vor und zurück und liste unter dem Pony meiner Haare hervor, um herauszufinden, ob mich jemand anstarrte, was natürlich purer Schwachsinn war. Warum sollte sich jemand für mich Interessiere? Die Lider niederschlagend, zog ich die Unterlippe zwischen meine Zähne und senkte den Kopf. An der vierten Station musste ich aussteigen, laut Plan. Ich murmelte diese Anweisung vor mich hin, als wäre sie ein Zauberspruch, die mir die Panik nehmen würde, die mir im Genick saß und dafür sorgte, dass mir das Herz nicht mehr schmerzhaft gegen die Rippen schlug. Meine Finger verkrampften sich im Stoff meines Minirockes und ein Schauer jagte mir kalt über die Wirbelsäule. "Beruhig dich", hörte ich jemanden gelangweilt sagen und ich sah überrascht auf. "Und so etwas nennt sich erwachsen. Du jammerst wie ein Windelscheißer." Mir gefror das Blut in den Adern und der Kiefer fiel mir bis zum Boden. Sprachlos glotzte ich Ryan an. Er ließ sich neben mir nieder und kramte etwas aus seiner Tasche hervor, das mir verdächtig nach einem MP3-Player aussah. Er wollte doch nicht ernsthaft seine grauenhafte Katzenmusik hören, während ich mich mit der Frage herumquälte, wieso er mich verfolgte? Was ihn anging glaubte ich schon lange nicht mehr an Zufälle. "Sehe ich aus wie Freddy Krüger für Arme?", murrte er mich an und ich klimperte verdutzt mit den Augenlidern. "Du hast sie doch nicht mehr alle auf‘n Sender." Ich schüttelte den Kopf, nicht verstehend, wie er dazu kam, sich mit dieser Möchtegernhorrorfigur zu vergleichen, die mich eher dazu brachte, das ich mich auf dem Boden vor Lachen kugelte, anstatt Nachts unter meiner Bettdecke zu jammern und darauf zu hoffen, nicht einzuschlafen, damit ich im Traum nicht zerhack stückelt wurde. Selbst Freddy vs. Jason war einfach nur lächerlich. Von diesem Mörderverschnitt gab es scheinbar keinen einzigen guten Film, der auch nur ansatzweise sehenswert war. Ich riss mich von dem Gedanken los und schallte mich innerlich für meine Dummheit. Worüber dachte ich hier eigentlich nach? Neben mir hockte diese Giftzwiebel, ohne dass ich wusste, wieso er hier war, ob er etwas von mir wollte oder warum er diese Bemerkung gemacht hatte. Ich hätte schreien und lauthals fluchen können. "Was tust du hier eigentlich?", wollte ich schließlich wissen. "Hast du in der Stadt etwas zu erledigen oder warum …?" "Dad hat gesagt, ich soll auf dich aufpassen", unterbrach er mich schulterzuckend und tauschte die Batterien in dem kleinen Musikgerät aus. "Aha …", kam die geistreiche Antwort meinerseits. Ich brauchte mehrere Augenblicke, bevor ich registrierte, das Ryan plötzlich zwischen meinen Beinen saß und an den Bändern zupfte, die mein geschnürtes Höschen zusammen hielten. "Was tust du da?", schrie ich hysterisch und bemerkte zu spät, dass ich durch die Laustärke meiner Stimme unweigerlich die Aufmerksamkeit der restlichen Passagiere auf mich zog, doch sie starrten nicht mich an, wie ich einen Moment später feststellte. Sie gafften den Bengel an, der noch immer auf dem Boden hockte und damit beschäftigt war, mich von meiner Unterwäsche zu befreien. Ich drückte mich noch dichter in den kratzigen Baumwollbezug der Sitze und schlug nach seinen Armen, was mir nur ein genervtes Brummen von Ryan einbrachte. "Mach nicht so ein Theater", meinte er unbeeindruckt. "Ich will dich doch nur lecken." Leises Raunen ging in sekundenschnelle durch die Reihen der anwesenden Personen. Doch sie sprachen zu leises, als dass ich sie hätte verstehen können. Ich guckte Ryan an, als hätte er komplett den Verstand verloren und sog die Luft scharf in meine Lungen. Ich war mir nicht zu hundert Prozent sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Hatte mir gerade jemand, der homosexuell war, ernsthaft gesagt, dass er sich mir nähern wollte, als wäre es das normalste der Welt, dass ein Kerl, der ausschließlich auf Männer stand, eine Frau mit den Lippen und der Zunge zu befriedigen beabsichtigte? Beinahe wütend sprang er auf und bevor ich reagieren konnte, hatte er sich bereits meine Hand gegriffen und sie auf seinen Schritt gelegt. Von ungläubigem Entsetzen erfüllt, blieb mir die Luft weg. Deutlich konnte ich fühlen, wie sein Geschlecht anzuschwellen begann und sich unter dem Stoff seiner Hose, die dem Druck nicht gewachsen zu sein schien, eine deutliche Erhebung abzeichnete, die Zeuge seiner Erregung war. Zögernd hob ich das Gesicht und begegnete seinen Augen, die kalt und vernichtend in meine sahen. Mir trocknete der Mund aus. "Wie blöd bist du eigentlich?", keifte er mich an und ich zuckte ungewollt zusammen. "Selbst du müsstest langsam kapieren, dass ich nicht schwul bin." Heiß schoss mir das Blut in die Wangen. "Hör … Hör doch auf!", blaffte ich ihn an. "Du … du stehst gar nicht auf Frauen. Das … das ist nur ein schlechter Scherz. Du machst dich über mich lustig." Kampflustig reckte ich das Kinn und stand auf. "Du warst schon immer ein zynisches Arschloch." Ryan wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch die verzerrte Stimme einer Frau, die durch den Waggon schallte und die nächste Haltstelle ankündigte, brachte ihn zum verstummen. Ich musste hier aussteigen. Scheinbar hatte ich Mal wieder mehr Glück als Verstand. Die Bahn kam mit einen Ruck zum stehen und hätte mich fast von den Beinen gerissen, wenn ich mich nicht an eine Haltestange geklammert hätte. Kaum glitten die elektronisch gesteuerten Türen auseinander und gaben mir meine ersehnte Freiheit wieder, sah ich zu, dass ich schleunigst das Weite suchte. Ich wollte nicht, dass dieser Trottel noch einmal an mir herumfummelte und das bestimmt nicht in aller Öffentlichkeit. Bei dem war doch eine Schraube locker! Verdammt noch Mal. Warum hatte mir Mr. Cornwell seinen jüngsten Sohn auf den Hals geschickt, um auf mich aufzupassen? *** Der Vollmond warf sein Licht auf den Friedhof der Geschichte. Im Statuenpark – oder Szoborpark, wie er bei den Einheimischen hieß – lagerten all die riesigen kommunistischen Denkmäler, die in den langen Jahren der sowjetischen Unterdrückung das Bild der ungarischen Hauptstadt geprägt hatten. Nachdem die Kommunisten endlich abgesetzt worden waren, hatte man überall in der Stadt deren selbstherrliche Statuen von den Sockeln gerissen und auf diesen trostlosen Platz am Stadtrand von Budapest verbannt. Starr, aus Stein gemeißelt oder in Bronze gegossen, standen die hochragenden Figuren von Marx, Lenin, Engels und anderen Helden der Revolution eingesperrt hinter roten Bachsteinmauern und extrastarken Stromleitungen, aufgestellt in ineinander greifende Kreise, von denen sie einander wortlos anstarrten, verdammt zur Nutzlosigkeit des ewig Gestrigen. Am Tag lockte der Statuenpark als beliebtes Touristenziel Horden Neugieriger an, die die obsoleten Denkmäler begafften. Aber nachts, wenige Minuten, nachdem es zwölf geschlagen hatte, lag der Park in Finsternis getaucht völlig verlassen da. Zumindest schien es so. Ich versteckte mich hinter einem riesigen Bronzebildnis eines patriotischen Revolutionärs, zog die Knie eng an meine Brust und vergrub das Gesicht an meinen Beinen, während ich weinend das Zittern zu unterdrücken versuchte, das meinen Körper befallen hatte. Ich hatte es doch geschafft, mich zu verlaufen, obwohl mir Mr. Cornwell diese genaue Wegbeschreibung sicherheitshalber mitgegeben hatte. Dieser verfluchte Ryan! Ich war so sauer auf ihn gewesen, dass ich nicht mehr darauf geachtet hatte, wohin ich ging und nachdem mir endlich bewusst wurde, dass ich mich vom Stadtzentrum zu entfernen begann, war es bereits zu spät gewesen. Stundenlang war ich durch die Straßen geirrt und hatte einen Weg zurück gesucht, zu irgendeinem Ort, der mir bekannt vorkam, aber dann war ich hier gelandet und verkroch mich nun in den Schatten dieser Riesen. Der Regen hatte zugenommen, wenn das überhaupt noch möglich war und der eisige Wind fegte gnadenlos über mich hinweg. Ich raffte den Trenchcoat fester vor meiner Brust zusammen, um die wenige Körperwärme, die mir noch geblieben war, bei mir zu behalten. Meine Zähne schlugen klappernd aufeinander und der Kiefer tat mir inzwischen weh. "Du wirst dir noch den Tod holen, wenn du dich weiterhin schutzlos dem Sturm aussetzt." Ich blinzelte überrascht und hob den Kopf, nicht glaubend, wer mich in dieser Einöde gefunden hatte. Sein starres, gefühlloses Antlitz strahlte eine Ruhe aus, die sein Verhalten normalerweise missen ließ. Einen kurzen Augenblicklang betrachte ich Ryan nachdenklich, dann wandte ich mich von ihm ab und versuchte, trotz meiner steifen Knochen, aufzustehen. Ich wollte von hier verschwinden, um seiner unerträglichen Nähe zu entkommen, die mich stets an diesen Abend im Stadtpark erinnerte, als er mir deutlich zeigte, dass er mich nicht um sich haben wollte und mich nur ertrug, weil er musste. Bevor ich gehen konnte, hatten sich seine Finger bereits um mein Handgelenk gelegt und hinderten mich daran, vor ihm zu fliehen. Grob zerrte er mich hinter sich her, obwohl ich meine Füße gegen den Boden stemmte und ihn dazu bringen wollte, stehen zu bleiben. "Lass mich sofort los!", protestierte ich heftig und wehrte mich gegen seinen Griff. "Ich habe gesagt, du sollst mich loslassen. Bist du taub?" Das jüngste Mitglied der Familie Cornwell reagierte nicht auf meinen ärgerlichen Befehl. Wieder einmal ignorierte er mich gekonnt und zwang mir wortlos seinen Willen auf, den ich mich nicht unterordnen wollte. Ein Blitz zerriss den Himmel. Genau in dem Augenblick, bevor der Donner die Erde erschütterte. "Lass mich endlich los!", verlangte ich erneut und entriss ihm meinen Arm. "Verdammt noch Mal, sei nicht so verflucht stur." Er packte erneut meinen Ellenbogen. "Willst du schon wieder weglaufen? Du hast doch gesehen, was dir deine Schusseligkeit einbringt." Der Hieb saß. Ich zuckte zusammen, als hätte er mich geschlagen. Seine Worte hallten in meinen Gedanken wieder. Deutlich konnte ich fühlen, wie mir vor Ärger das Blut in die Wangen stieg und ich in unterdrückter Wut die Fäuste ballte. "Was spielst du dich so auf?", rief ich schroff und starrte ihn vernichtend an. "Was interessiert es dich, was aus mir wird? Das kann dir doch vollkommen egal sein." "Ich fühle mich für dich verantwortlich", herrschte er mich wütend an und erwiderte meinen ablehnenden Blick scheinbar unbeeindruckt. "Bei deiner Hohlbirne kannst du froh darüber sein, dass ich dich gefunden habe, bevor du erfroren bist." "Niemand hat dich um darum gebeten, den Ritter in der glänzenden Rüstung zu spielen", fauchte ich wie eine gereizte Katze. Seine Miene verfinsterte sich und er zog die Augenbrauen zusammen. "Dann brauchst du also niemanden, der auf dich aufpasst. Verstehe ich das richtig?" "Ich kann gut auf mich selbst aufpassen", erklärte ich arrogant und hob stolz das Kinn. "Ich brauche dazu weder dich, noch sonst jemand." In der Sekunde, als ich die Worte ausgesprochen hatte, hätte ich sie am liebsten wieder zurückgenommen. Ryans Reaktion bestand darin, dass er den Griff um meinem Arm verstärkte. In seinen klaren Augen spiegelte sich namenloser Zorn wieder. Erneut fuhr ich zusammen. Ich glaubte meine Knochen bersten zu hören und biss mir auf die Lippe, um ein Schmerzenslaut zu unterdrücken. Wie konnte diese kleine Mistkröte so stark sein? "Es gibt nur eine Sache, die mich interessiert." Er schlug seine freie Hand gegen die Bronzestatue, neben der wir standen. "Warum willst du überhaupt bei mir bleiben?" Zunächst verstand ich kein Wort und schüttelte ratlos den Kopf. Wieso sprach er plötzlich von etwas, worüber ich kein Wort verloren hatte? Ryan schnaufte abfällig und trat einen weiteren Schritt auf mich zu, überwand mühelos den geringen Abstand, der unsere Körper voneinander trennte. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und kam meinem Gesicht so nahe, dass ich seinen Atem auf meinem Mund spürte. Schmerzhaft begann mir das Herz gegen die Rippen zu schlagen. "Warum zum Beispiel macht dich diese Nähe nervös?", flüsterte er mit verführerischer Stimme lockend in mein Ohr. Ich wich erschrocken und verwirrt vor ihm zurück, soweit mir das möglich war, und betrachtete ihn vorwurfsvoll. "Weil ich nun Mal bei dir bleiben will", erwiderte ich nachdrücklich. "Eine andere Erklärung gibt es nicht." "Frauen!", brummte er abfällig. Ich versuchte ihm völlig gelassen gegenüber zu stehen, doch ich schaffte es nur mit Mühe mein Temperament zu zügeln. Wie eine angriffslustige Katze starrte ich ihn an und zwang den Wunsch gewaltsam nieder, ihm das Gesicht zu zerkratzen. Fortsetzung folgt ... Kapitel 7: Complications ------------------------ Wieder zuckte ein Blitz vom Himmel und erleuchtete mit seinem matten Licht die Umgebung, bevor der Donner über unseren Köpfen explodierte. Dem Regen ungeschützt ausgeliefert stand ich Ryan gegenüber und bemerkte das laszive Grinsen, das seine Mundwinkel umspielte. Ein Schauer jagte mir über den Rücken und ich trat einen weiteren Schritt vor ihm zurück. Kurzzeitig gab ich mich der Illusion hin, dass er mir nicht folgen würde, wenn ich ihn einfach auf dem Statuenpark stehen lassen und versuchen würde, irgendwie in die Stadt zurück zu kommen. Im selben Moment wurde mir bewusst, dass ich den Weg alleine niemals finde würde Doch kaum hatte ich diese Gedanken zu Ende gesponnen, da schnellte sein Arm bereits vor und seine schlanken Finger schlossen sich eisern um mein Handgelenk. Ein energischer Ausdruck legte sich über sein markantes Gesicht und ich sog die Luft scharf in meine Lungen. Hatte ich mich verraten, als ich vor ihm zurückgewichen war? Wusste er, welche Überlegungen mir durch den Kopf geschossen waren? Nachdenklich schürzte ich die Lippen und furchte die Stirn. Aber woher hätte er wissen sollten, worüber ich nachgedacht hatte? Verdammt! Verärgert versuchte ich mich seinem Griff zu entwinden, doch genauso gut hätte es in meinem Bestreben liegen können einer Gefängniszelle entkommen zu wollen. Ein Muskel in meiner Wange zuckte und mir entschlüpfte ein gotteslästernder Fluch. Der kalte Wind riss an den nassen Strähnen meiner Haare und hätte mich wahrscheinlich erbarmungslos umgerissen, wenn mich der jüngste Sohn der Familie Cornwell nicht festgehalten hätte. Vollkommen bewegungslos verharrte er vor mir und sah mich an; sein Blick wachsam und neugierig zugleich. Als wenn er bereits ahnen würde, dass es mich nicht interessierte, welches Risiko ich damit auf mich nahm, wenn ich vor ihm floh. Inzwischen bereute ich es, dass ich Leon nicht angerufen und ihn darum gebeten hatte mich abholen zu lassen. Aber als ich vorhin unterwegs gewesen war, hatte ich blöder Weise geglaubt, ich würde den Weg alleine finden und war zu stolz gewesen. Das hatte ich jetzt davon. Stundenlanger Regen, Kälte, Wind und Ryan. Höchstwahrscheinlich würde ich eine Grippe bekommen. Für meine Gedankenlosigkeit hätte ich mir selbst in den Arsch treten können. Wie bescheuert war ich in den letzten Monaten eigentlich geworden? Ich atmete zögernd aus, fixierte die Gestalt des Kleineren und ließ mich von seiner, jetzt lauernden Haltung, die eindeutig zeigte, dass er etwas im Schilde führte, nicht einschüchtern und reckte deshalb herausfordernd das Kinn. Als ich einen weiteren Schritt nach hinten machen wollte, riss er mich jäh zurück und mir blieb mehrere Sekunden die Luft weg. Wütend holte ich aus, um ihn zu ohrfeigen, doch gerade noch rechtzeitig riss er den Arm in die Höhe und meine Hand traf seine. Ryan sabotierte den physischen Angriff, der eigentlich dazu hätte dienen sollte, dass er mich endlich losließ und aus meiner Reichweite verschwand. Zornig knirschte ich mit den Zähnen und starrte ihn hasserfüllt an. Er kam näher, mir jeden Ausweg verweigernd, und ließ mich innerlich verzweifelten, während er mich nur belustigt anlächelte. Ryan umfasste mein Kinn und strich mit seinem Daumen zärtlich über meine Unterlippe. Ich wusste nicht mehr wie ich mich ihm entziehen sollte und war mit meinem Latein inzwischen am Ende. Jeden Versuch schien er vorherzusehen und erstickte ihn daraufhin im Keim. Das Herz schlug mir hart gegen die Rippen und ich fühlte die Panik, die mir im Genick saß. Das einzige Wort, das meine Gedanken beherrschte war Flucht. Ich war mir nicht bewusst, was ich tat, als ich den Mund öffnete und meine Eckzähne in seinen Finger rammte. Er stieß ein Zischen aus und sein Griff lockerte sich für ein paar Sekunden. Eine Gelegenheit, die ich augenblicklich nutzte. Ohne ein Wort zu verlieren, befreite ich mich von ihm und rannte in die Dunkelheit hinaus, in den Schutz, den er Wald, hinter dem Park, so verlockend bot. Bereits wenige Sekunden später bildete ich mir ein, ihn hinter mir zu spüren, seinen Atem in meinen Nacken, obwohl das vollkommen lächerlich war … oder? Immer und immer wieder sagte ich mir, dass er mich nicht verfolgte, solange, bis ich schon fast bereit war es zu glauben. Panisch hetzte ich, trotz Seitenstiche, weiter, hinein in die Schatten der Bäume, im Zick-zack über das nasse Gras. Der Saum meines Mantels schien sich irgendwo verheddert zu haben, denn ich konnte nicht weiter. Etwas zog mich zurück und zwang mich in die Knie. Ich warf mich vorwärts, kniff die Augenlider fest zusammen, um ihn nicht sehen zu müssen, sollte ich mir seine Gegenwart doch nicht eingebildet haben und hätte ohnehin im treibenden Regen und der herrschenden Finsternis nichts richtig erkennen können. Plötzlich spürte ich seine warmen Finger in meinem Nacken. Er rollte mich auf den Rücken. "Was zum Teufel machst du den bloß?", fragte er durch das Rumpeln des Donners. "Hier draußen holst du dir den Tod." "Geh weg, du verdammter Scheißkerl!", keifte ich durch das Inferno. Er schüttelte den Kopf. "Vergiss es", entgegnete er halsstarrig. "Lass mich in Ruhe!" Zornig schob ich seine Hände weg und sprang auf die Füße. "Nie lässt du mich in Ruhe, seit wir uns begegnet sind." Ein Blitz beleuchtete sein Gesicht – nur ganz kurz, doch ich konnte den gequälten Ausdruck in seinen Augen deutlich erkennen. Ich begriff, dass es nicht seine Absicht gewesen war, mich zu verärgern. Ich hatte gesehen, was ich sehen wollte – nur nicht die Wahrheit. Eine Wahrheit, die ich niemals akzeptieren würde. Warum eigentlich nicht? Es gab nichts auf der Welt, das ich mir mehr gewünscht hatte, aber gleichzeitig hatte ich Angst. Ich fürchtete mich davor, dass mir jemand wehtun könnte. Selbst wenn es der Mensch war, den ich liebte, ich musste ihn von mir fernhalten. Vielleicht war das egoistisch, aber damit bewahrte ich auch ihn davor, in Schwierigkeiten zu geraten. Hatte ich doch vor längerer Zeit ein Telefongespräch von Mrs. Cornwell belauscht, als sie mit jemanden darüber geredet hatte, dass mit ihren Söhnen die besonderen Gaben aussterben sollten, worum es sich dabei auch immer handelte. Darum war es eine Notwendigkeit gewesen, das sie allesamt homosexuell wurden. Diese Frau, die Mutter von Kai, Leon, Alister, Ryan und Shion, hatte gesagt, dass Kinder ganz klar erzogen und in eine bestimmte Richtung gelenkt werden könnten, aber der Rest sei Glückssache und ihr wäre das unmöglich gelungen. Keines ihrer Kinder würde sich einer Frau nähern und das wiederum bedeutete, dass ihre Fähigkeiten nicht weitergegeben werden würden. Was sie auch gemeint hatte, ob Fluch oder Segen sei dahingestellt, war das Grund genug, um seinen eigenen Nachwuchs aus persönlichen Motiven derart zu manipulieren? Diese Gedanken verwerfend lief ich wieder los, doch diesmal folgte er mir auf Anhieb. "Aber ich will dich nicht lassen!", brüllte Ryan durch den Wind, das Tosen des Regens und das Donnerrollen. "Verflucht – ich werde dich nie lassen können!" Meine Überlegungen stoben auseinander, als ich über einen vermoderten Holzstamm fiel und der Länge nach hinfiel. Mir stockte das Herz, als er plötzlich wieder über mir war und mir einen zarten Kuss gab. Ich war erschüttert und vollkommen verwirrt. Das unvermittelt erwachte Gefühl, war mir fremd, doch ich wollte es nicht verdrängen. Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg, hob die Hände und legte sie auf seine kräftigen Schultern. Er küsste mich sehnsüchtig, ohne jedoch mehr von mir zu fordern, als ich geben wollte. Ich wusste nicht, wie ich mich zu verhalten hatte. Sollte ich ihn zurückweisen oder ihm eine Freiheit gestatten, die ich noch niemandem vor ihm erlaubte? Ich ahnte, dass ich mich für das Falsche entschied, als ich meine Arme um seinen Nacken schlang. Doch ich fühlte das schreiende Bedürfnis, ihm nahe zu sein. Hitze. Unbezähmbares Verlangen. Die unvorstellbare Macht des Berühren und Berührt werden, auf eine derart sinnliche Weise, als begänne und endete die ganze Welt in einem Strom wundervoller Empfindungen. Sachte und unerhört sanft verstärkte er den Druck seines Mundes. Behutsam und unendlich erotisierend sog er das zarte Fleisch meiner Unterlippe zwischen seine Zähne. Mein Herz raste. Mir schwindelte unter dem Ansturm der Gefühle und ich spürte die dunkle Kraft seiner Besitzgier. Unwillkürlich stöhnte ich auf. Lieber Himmel, nie hätte ich mir vorgestellt, wie herrlich, wie wild und süß und überwältigend das sein konnte. Unwillkürlich klammerte ich mich noch fester an ihn. Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Um uns herum wurde es langsam leiser, der Sturm klang ab und der Regen verwandelte sich in ein leichtes Nieseln. Nur das Rauschen der Blätter, die sich im Wind bewegten, durchbrach die anhaltende Stille. Schlaf hatte sich über das Land gelegt und ich war mir sicher, dass sich seine Bewohner den zeitlosen Träumen ergaben, während ich noch immer mit den Emotionen zu kämpfen hatte, die mich jeglicher Logik beraubten. Er küsste mich auf so eine wundervolle Weise, dass ich für einen Moment alles um mich herum vergaß. Verschreckt rief ich mir in Erinnerung, dass nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Er war doch nicht der Mann, der eine vergessene, unterdrückte Leidenschaft weckte … oder? Es war einfach ausgeschlossen, dass ich Gefallen an Ryan fand. Er war ein widerlicher, ungezogener, gefühlskalter … Ich schüttelte den Kopf. Ich war mir nicht mehr sicher, was ich überhaupt noch glauben sollte. Hastig ließ ich ihn los und kroch verstört unter ihm hervor. Er regte sich nicht. Ich wich vor ihm zurück. "Ich werde mich nicht entschuldigen, also erwarte das gar nicht erst von mir", sagte er tonlos und stand auf, wobei er mich ebenfalls auf die Füße zog. Mit reglosem Blick sah ich ihn an. Sein rabenschwarzes, Haar stand ihm wirr vom Kopf ab und vereinzelte Strähnen fielen ihm in die Augen. Seine Klamotten waren vollkommen durchnässt und schmiegten sich wie eine zweite Haut an seinen Körper. Meine Wangen brannten und ich schloss beschämt die Lider, als mir bewusst wurde, dass das bei mir auch der Fall war. "Gehen wir zurück", verkündete Ryan trocken und nahm meine kalte Hand in seine. "Es wird Zeit. Die Sonne geht bereits auf." Ich nickte nur und folgte ihm gehorsam *** Anni. So hieß die Haushälterin, die bereits seit ihrer Kindheit zur Arbeiterklasse gehörte. Die Frau mittleren Alters, die ihr ergrautes Haar im Nacken zu einem strengen Knoten zusammengesteckt hatte, schälte die Kartoffeln, während sie mir noch mehr von sich zu erzählen begann. Angeblich standen die Mitglieder ihrer Familie bereits über Generationen hinweg im Dienst der Cornwells und die Älteren hatten, bis zum heutigen Tag, ihre Aufgaben stets an die Jüngeren weitergegeben. Zumindest behauptete sie das immer. Ein Seufzen verließ meine Lungen. Ich saß zusammen mit der Haushälterin am Küchentisch, auf der Eckbank, während diese mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt war. Eine seltsame Melancholie umgab mein Herz, dessen Ursache mir verborgen blieb. Schweigend hörte ich dem sinnlosen Geplapper der Angestellten zu, ohne auch nur einen geringen Teil der Gesprächsfetzen wiedergeben zu können. Ich hing meinen eigenen Gedanken nach. Zwischen dem ungeplanten Kuss mit Ryan und dem heutigen Tag, den ich bei Anni in der Küche verbrachte, lagen zwei Monate, in denen die Sommerferien verstrichen waren und es die Cornwells aus ihrem Ferienhaus in Budapest wieder in ihr Anwesen nach Alecu zurückgezogen hatte. Seit diesem Abend, an dem wir uns, zumindest meiner Ansicht nach, ungewollt näher gekommen waren, wahrten wir schon fast penible Distanz zueinander. Bisher hatte Ryan sich mir nicht mehr genähert, als wenn er selbst Abstand suchte. Aber weil seine Familie noch immer glaubte, dass wir uns bis aufs Blut hassten, stellten sie auch keine Fragen, die ich mit Lügen hätte beantworten müssen. Zumindest hatten sie damit aufgehört, nachdem Ryan öffentlich gezeigt hatte, das er mich nicht mehr leiden konnte. Während die freundliche Haushälterin zu den Karotten wechselte, blickte ich nachdenklich aus dem Fenster. Es hörte einfach nicht auf zu regnen. Dichte, schwarze Wolken, ergossen sich über den Horizont. Ohrenbetäubender Donner folgte. Grelle Blitze zerrissen den Himmel und der beißende Wind schüttelte die Blätter, auf den Ästen der Bäume. Gedankenverloren setzte ich die Tasse mit dem Kaffee erneut an meine Lippen. "Was ist den mit dir los, Fiona?", fragte Anni nachdenklich und lächelte gutmütig. "Beschäftigt dich irgendwas? Ryan vielleicht? Seit du aus Budapest zurückgekommen bist, bläst du Trübsal. Das kann ich mir langsam nicht mehr mit ansehen." Ich fühlte, wie mir heiß wurde und schüttelte heftig den Kopf, was die Vermutungen der alten Frau wohl noch verstärkten. Deprimiert starrte ich aus dem Fenster. Kurz bevor das Unwetter losgebrochen war, hatte ich Ryan weggehen sehen, jedoch war er kurze Zeit später völlig durchnässt wiedergekommen. Abgesehen von der Tatsache, dass wir, dank des schlechten Wetters, alle in diesem alten Gemäuern eingesperrt waren, befanden sich Mr. und Mrs. Cornwell außer Haus. Das bedeutete, dass ich mit den Brüdern und Hausangestellten völlig allein war. Jason und seine Frau übertrugen auf mich die gesamte Verantwortung, für alles was in ihrer Abwesenheit passierte. Ich wusste nicht genau, ob das eine Strafe sein sollte, oder ob die Cornwells mir als einzige vertrauten. Die Erwartung, dass ich alles richtige machen würde, lastete schwer auf meinen Schultern. Was sollte ich tun, wenn etwas passierte? Ich sah die Haushälterin an und stand vom Tisch auf. Stur steuerte ich die Hintertür an. Ich vertraute darauf, dass sich Leon darum kümmern würde, dass es in der Villa still blieb und alles mit rechten Dingen vor sich ging. Ich war vielleicht das Dienstmädchen, aber doch nicht der Babysitter für die Personen, die in diesem Haushalt lebten! "Wo willst du den hin?", erklang Annis Stimme und ich blieb stehen; die Türklinge in der Hand. "Du wirst dich nur erkälten oder von dem Wind erfasst und davon geweht. Also bleib hier." "Ich kann hier aber nicht einfach herumsitzen und Däumchen drehen." "Wartest du darauf, dass etwas passiert?" Die Augen der freundlichen Haushälterin blitzten amüsiert auf. "Bleib hier." Wie aufs Stichwort wurde die Küchentür aufgerissen und wieder zugeschlagen. Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte mich um. Ein völlig verstörter Ryan, dessen Gesicht wie der eines in die Ecke getriebenen Tiers wirkte, lehnte sich schwer atmend gegen die hölzerne Barriere und machte dabei einen recht erschöpft Eindruck, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. "Schnell, du musst mich verstecken", platzte der Kleine heraus, sah die Haushälterin flehend an und hielt mit Gewalt die Tür zu, als daran gerüttelt wurde. "Versteck mich, ich bitte dich." "Avalon ist ganz schön hartnäckig", verkündete Anni erheitert, während ich mich wieder auf die Küchenbank niederließ. Erschrocken starrte ich die Haushälterin an, die einen Topf mit Wasser auf die Cerankochfläche stellte. Der Mund blieb mir offen stehen. Seit wann war Adrian wieder zu Besuch? Gut, die Arschgeige hatte verkündet, dass er öfter hier sein würde, wenn die Cornwells aus den Ferien wieder kommen würden, aber ich hätte nicht gedacht, dass dieser geistesgestörter Anwärter für die Klapsmühle hier aufkreuzen würde, wenn die Familienoberhäupter nicht da waren. "Hartnäckig ist gar kein Ausdruck", erwiderte Ryan missmutig und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Ich hörte das Schloss einrasten. "Er ist einfach nur eifersüchtig." Überrascht blinzelnd neigte ich den Kopf zur Seite. "Und worauf?", fragte Anni, während sie über ein Kochbuch gelehnt war. Ryan murrte auf. "Darauf, dass ich Fiona …" Er stutzte, nachdem er mich bemerkte. "Was zum Teufel sollte das?" "Eigentlich nichts." Anni grinste breit. "Fiona erzählt nicht viel, weißt du." Ich schürzte die Lippen. "Ryan, ich weiß genau, dass du da drin bist", donnerte Adrian und rüttelte an der Türklinke. "Komm sofort raus." Die genannte Person seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Verdammt und zugenäht. Der klebt mir schon am Arsch, seit er hier angekommen ist", schimpfte er ärgerlich. "Versteck dich in der Vorratskammer", schlug die Haushälterin vor und nahm ihre Arbeit wieder auf. "Dort wird er nicht nach dir suchen. Dafür ist er sich zu fein.“ "Danke. Ich schulde dir was", sagte Ryan und lief in besagten Raum. Anni nickte mir kurz zu, bevor sie die Tür wieder aufschloss. Adrian betrat die Küche und sein Blick richtete sich auf die Frau, die vor ihm stand und ihn tadelt ansah, als hätte Avalon gerade die heiligsten alle Hallen mit seiner bloßen Anwesenheit beschmutzt. Ihrem offensichtlichen Missfallen schenkte er scheinbar keinerlei Beachtung, denn er lief einfach an ihr vorbei, ohne sie weiter zu beachten. "Kann ich Ihnen helfen?", fragte Anni und versperrte ihm den Weg. "Sie sehen aus, als wenn Sie etwas suchen würden." "Hast du Ryan gesehen, alte Frau?", wollte dieser Bastard unhöflich wissen. Interessierte es ihn überhaupt nicht, warum die Tür abgeschlossen gewesen war? Zornig knirschte ich mit den Zähnen und musste den Impuls niederkämpfen, aufzuspringen und diesem Drecksack die Fresse einschlagen. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und meine Miene begann sich zunehmend zu verfinstern. Bedrohlich zog ich die Augenbrauen zusammen und zitterte vor unterdrückter Wut. "Hier war er jedenfalls nicht." Die Haushälterin zuckte die Schultern. "Ist er den nicht bei Ihnen?" Ich bemerkte, wie schwer es Anni fiel, weiterhin höflich zu sein. " Wenn dem so wäre, würde ich ihn ja nicht suchen, oder?", erwiderte Adrian merklich genervt. "Hier war er nicht. Also gehen Sie." Ich hatte Mühe damit ruhig zu bleiben, schloss meine Finger fester um die Tasse und trank von meinem Kaffee. In dieser Sekunde schien er mich endlich zu bemerken, zumindest nahm ich an, dass er mich vorher nicht gesehen hatte, denn er starrte mich an. Eifersucht und namenloser Zorn spiegelte sich in seinem Gesicht wieder. "Und, freust du dich jetzt?", fuhr er mich an. "Jetzt hast du es endlich geschafft, du billiges Flittchen." Ich furchte irritiert die Stirn. Beschützend stellte sich Anni vor mich. "Lassen Sie sie in Ruhe", sagte sie kalt und gestikulierte mit den Armen in der Luft herum. "Gehen Sie oder ich schlage Ihnen die Pfanne in Ihr vornehmes Gesicht." "Lass gut sein, Anni", meldete ich mich zu Wort und erhob mich von der Eckbank. Adrian grinste. "Geruht sich die vornehme Dame dazu herabzulassen und sich unters normale Fußvolk zu mischen?", verspottete er bissig. "Ich sollte meinen Hofknicks üben." Ich wusste nicht, worauf er eigentlich hinauswollte. "Was wollen Sie überhaupt von mir?", fragte ich so emotionslos, wie mir das unter den gegebenen Umständen möglich war. Im nächsten Augenblick lag ich auf dem Boden, ohne zu begreifen, was eigentlich passiert war. Ich legte die Finger an meine brennende Wange und spürte die Tränen, die mir in die Augen schossen. Mein Kopf dröhnte, als würde er gleich explodieren und ich schmeckte Blut, auf meinen Lippen. Ein leises Stöhnen entfloh meinen Lippen und vor meinen Augen drehte sich alles "Deswegen habe ich dich immer gehasst", verkündete Adrian kalt. "Dann verlassen Sie doch dieses Haus", äußerte Anni empört. "Niemand zwingt Sie hier zu bleiben." Mühsam versuchte ich mich aufzurappeln und sah nur noch, wie dieses Arschloch majestätisches die Küche verließ. "Soll ihn doch der Teufel holen!", murmelte Anni verstimmt und wandte sich mir zu. "Tut es weh? Soll ich dir einen kühlen Umschlag holen?" "Es geht schon", meinte ich, zu stolz, um Hilfe anzunehmen. Ryan öffnete die Tür, steckte seinen Kopf aus der Vorratskammer und fragte leise: "Ist er weg?" Anni nickte und begann einen Kohlkopf klein zu schneiden. "Du kannst raus kommen." Ich sah ihn kurz an, nur um gleich darauf zu spüren, wie unaussprechliche Ärger in meinen Schläfen zu pochen begann. Ich war verwirrt und stand meinem Zorn hilflos gegenüber. Ich wollte ihn nicht noch mehr verletzen. Ich wollte nicht noch mehr hässliche Worte, zwischen uns, fallen lassen und trotzdem fühlte ich mich verraten und war … enttäuscht. Er richtete seine Kleidung und näherte sich mir. Er drehte mein Gesicht zur Seite und besah sich die zunehmende Schwellung. Ich riss mich los und wich vor ihm zurück. "Geht es dir gut, Fiona?", erkundigte er sich und seine Miene verzerrte sich vor Zorn. "Dieser verdammte Hundesohn." Ich zuckte unwillkürlich zusammen. "Es ist deine Schuld." Anni zuckte die Schultern und legte das Messer aus der Hand. "Du hättest am ehesten wissen müssen, was passieren würde." "Was hätte ich denn tun sollen?", brummelte er beleidigt. Anni wich seiner Frage anscheinend aus. "Du wusstest, dass Adrian stark zur Eifersucht neigt. Besonders wenn es sich dabei um Fiona handelt." Ich betrachtete Ryan nachdenklich, hatte keine Ahnung davon, worüber die beiden überhaupt sprachen und stellte fest, dass es mich auch gar nicht interessierte. Stattdessen fragte ich mich zum Millionsten Mal, ob ich wirklich das richtig tat. Ich war ihn einen Blick zu, der nicht vernichtender hätte sein können und ging Wortlos an ihm vorbei. "Fiona, komm zurück!", rief er mir nach. Fortsetzung folgt ... Kapitel 8: Please, don't look ----------------------------- [Anmerkung des Autors: Ein Herzliches dankeschön an Joukko, der mir bei der Szene mit Adrian zur Hand ging] Ich hatte Shion umgerannt, als ich aus der Küche geflohen war, um soviel Abstand, zwischen Ryan und mich zu bringen, wie möglich. Sein irritierter Blick war über mein Gesicht gewandert, nachdem ihm die Tränen aufgefallen waren, die mir die Sicht versperrt hatten. Obwohl ich es niemanden zeigen wollte, den Augenblick, wenn ich mich meiner Schwäche ergab, hatte er mich dabei beobachten können. Unfähig einen einzigen sinnvollen Satz zu formen, oder auch nur etwas mehr rauszubringen als ein Schluchzen, hatte ich mich schließlich in seine Arme gestürzt und dem Bedürfnis, zu weinen, nachgegeben. Wenn Ryan teilweise ein widerlicher Giftzwerg war, der sich wohl darauf versteift hatte mir das Leben zur Hölle zu machen, war Shion jemand, der mich durch seine wortkarge Art einzuschüchtern verstand. Unwillkürlich war ich zusammen gezuckt, als er die Hand erhoben hatte. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er mir durch die Strähnen meines Ponys streichen und mich dabei anlächeln würde. Ich hatte mich gefragt, ob das derselbe Junge war, den ich kannte. Der Junge, der sich stets hinter seinen Computer versteckte und nur aus seinem Zimmer kam, wenn es sein musste? Dieser Bücherwurm, der schwere Lektüre immer wieder menschlicher Gesellschaft vorzog? Ryan wäre lieber gestorben, bevor er mir seine Angst vor Adrian gezeigt hätte und Shion war plötzlich zu jemand mutiert, der die Nähe anderer ertrug? In diesem Moment hatte sich mein gesamtes Weltbild komplett auf den Kopf gestellt und ich war mir nicht sicher, ob ich meinen eigenen Erinnerungen noch trauen konnte. Und jetzt saß ich mit ihm zusammen auf den steinernen Betonstufen unter dem Vordach der Villa, eine eisgekühlte Cola in der Hand und starrte einfach nur teilnahmslos vor mich ihn. Ich hatte Shion erzählt, was in der Küche vorgefallen war, auch wenn ich bis jetzt nicht sagen konnte, was genau mich dazu gebracht hatte, mich ausgerechnet ihm anzuvertrauen. Aus dem Augenwinkel warf ich ihm einen Blick zu und beobachtete die Bewegungen seiner Lippen. Seine melodische Stimme, die so selten erklang, erreichte meine Ohren Ich brauchte einige Minuten, bevor mir bewusst wurde, dass er etwas gesagt hatte und noch einmal ein paar Sekunden, bis ich registrierte, was er gemurmelt hatte. Er wollte mit mir über Ryan reden? Ich blinzelte überrascht und dachte darüber nach, dass jegliche Konversation, die er mit mir führen würde, scheinbar nur dazu diente, dass ich das Verhalten seines kleinen Bruders besser verstand. Ein Muskel in meiner Wange zuckte. Ryan war schlimmer als jeder Stalker. "Ich denke, ich weiß, warum Ryan dir nicht geholfen hat", meine Shion und drehte die Dose Fanta in seinen Händen, während er einen Punkt in der Ferne zu fixieren schien. "Wahrscheinlich hat er sich in seinem Versteck kaum zurückhalten können, um sich nicht auf Adrian zu stürzen, aber wenn er es getan hättet, wäre der Zorn, seines Verlobten, um ein vielfaches Schlimmer gewesen, meinst du nicht?" Ein Bild dessen, worauf der blonde Junge anspielte, schob sich in meine Gedanken und das Herz wurde mir schwer. Ein Kloß, der mir im Hals saß, schnürte mir die Luftzufuhr ab und ich atmete durch den Mund, um nicht zu ersticken. Bei den Gedanken an Adrian und seine Grausamkeit lief es mir eiskalt den Rücken runter. Ich stellte mein Getränk zur Seite, zog die Knie eng an meine Brust und umschlang meine Beine mit den Armen. "Du redest von seinen Verletzungen?", fragte ich leise und brauchte keine Bestätigung, um zu wissen, dass ich mit meinem Mutmaßungen richtig lag. "Er musste abwägen, was schlimmer wäre." Shion nickte düster und wandte sich mir zu. Sein Gesicht war noch immer so furchtbar leer, als hätte ihn jemand jeglicher Emotion beraubt, doch in Wirklichkeit verbarg sich hinter dieser stoischen Fassade ein junger Mann, der seinen Bruder liebte und sich um ihn Sorgen machte, zumindest vermutete ich das. Aus einem inneren Reflex heraus, der mir unerklärbar war, riss ich meine Hand zurück, als er meine Finger mit den seinen bedecken wollte. Zuerst wirkte er verwirrt, doch dann lächelte er nachsichtig, als könnte er es verstehen, dass andere Menschen Angst vor ihm hatten. Aber ich fürchtete mich nicht vor ihm. Ich hatte keinerlei Ahnung, warum ich so heftig reagiert hatte. Als wenn ich nicht wollte, das mich jemand anfasste. Aber das war unsinnig. Seit wann scheute ich vor so einfachen Gesten zurück? "Wenn Ryan sich gegen Avalon gestellt hätte, um dich zu beschützen, dann hätte dieser Typ noch mehr Grund darin gesehen, ihn beim nächsten Mal windelweich zu schlagen", fuhr Shion ungerührt fort und nahm einen Schluck von seiner Limonade. "Und diesmal nicht nur, um seine kranken Fantasien zu befriedigen, sondern auch aus Eifersucht und purer Bosheit." "Und warum helft ihr eurem Bruder nicht?", fragte ich vorsichtig nach und drehte mich zu demjenigen, der neben mir hockte und die Dose in seiner Hand zerdrückte, als bestünde sie aus Papier. "Zusammen könnt ihr diesem Flachwichser doch bestimmt die Fresse polieren." "Das ist es ja gerade", knurrte mein Gegenüber und ich schrak erstaunt zurück. Noch nie hatte ich in seiner Stimme auch nur die Spur einer Empfindung wahrgenommen. "Wir können ihm nicht helfen, obwohl wir es, weiß Gott, schon versucht haben. Ryan lehnt jede Hilfe ab. Er ist so verdammt starrköpfig. Wir haben schon alles versucht, um ihn dazu zu überreden, dass er sich doch endlich an den Familienrat wenden sollte, aber stattdessen hält er weiterhin den Mund." Ich wickelte mir gedankenverloren eine Strähne meiner langen Haare um den Finger. "Gerade weil er das widerspruchslos akzeptiert, ist er ja ein Vollidiot", wisperte ich niedergeschlagen. Der Familienrat. Das war, soweit ich wusste, die Oberhäupter über den gesamten Clan. Ob man es glaubte oder nicht, aber die Cornwells bestanden aus mehr als zehn Gruppen mit unterschiedlich vielen Kindern, die sich aufgeteilt und über alle Herrenländer verteilt hatten. Und es gab Menschen, die allerdings im Verborgenen lebten, denen die Mitglieder, aus diesem Stammbaum, unterstanden. Ich hatte diese Anführer noch nie gesehen, aber ich hatte schon viel von ihnen gehört. Sie hatten mehr Macht und Einfluss als Jason und Rose, die Eltern der Jungs, und hatte das alleinige Sagen, wenn es, zum Beispiel, darum ging, wer wen heiraten durfte und wen nicht, was passierte und wie sich das Geschlecht dieser Familie fortsetzte. Diese Personen kümmerten sich um Streitigkeiten, stellten die Gesetze auf und schützte das Geheimnis, worum es sich dabei auch immer handelte. Nur diese Leute waren in der Lage, Ryan vor seinen Verlobten zu schützen. "Mag sein", sagte Shion verstimmt und riss mich unvorbereitet aus meinen Überlegungen. "Aber sein Stolz ist das einzige, was ihm noch geblieben ist." Ein bitteres Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Er hat Mal gesagt, dass ihm Adrian alles nehmen kann, aber nicht seinen Stolz." Wütend sprang ich auf die Füße, drehte mich um und wollte wieder in das Haus gehen, doch die nächsten Worte meines Gesprächspartners ließen mich innehalten. "Hast du dir schon Mal seinen Rücken angesehen?" Ich schüttelte den Kopf. Eine böse Vorahnung schlug über mir zusammen, wie die Wellen des Meeres, die sich an den scharfen Klippen brachen. "Dann solltest du das Mal tun." *** Neugier kann sehr gefährlich sein. Diesen Satz hatte Mr. Cornwell immer benutzt, wenn er mich vor einer Dummheit bewahren wollte und obwohl ich durch meine Neugier oft in prekäre Situationen geraten war, konnte ich nicht hören. Auch diesmal ignorierte ich die mahnende Stimme der Vernunft, die in meinem Inneren fortwährend schrie, und drückte die Türklinge nach unten. Die Tür öffnete sich langsam und ich steckte den Kopf durch den Spalt. Mrs. Cornwell hatte mir verboten das Gästezimmer zu betreten, das Avalon seit einigen Tagen bewohnte, weshalb ich mich seit heute Morgen mit meiner Neugier herumgeschlagen und die Anweisung schließlich doch wissentlich ignoriert hatte. Das Herz schlug mir in der Brust zum zerspringen, als ich Adrians Räumlichkeiten betrat. Dieses Zimmer war nicht mehr so unordentlich, wie zuvor. Es war plötzlich sehr geschmackvoll und stilgerecht möbliert. Die Aufteilung der Möbel wurde im Größenverhältnis des Raumes vorgenommen. Ein wuchtiges Himmelbett aus massiver Eiche, mit einem Baldachin, stand in der Mitte des Raumes. Neben dem Bett befand sich ein kleines Tischchen, davor eine Bank mit geschnitzten Verzierungen. Ein paar lindgrüne Polsterstühle flankierten einen kleinen Kamin, in dem ein gemütliches Feuer brannte. Auf dem Boden lag ein teurer Perserteppich. Die schneeweißen Vorhänge des Balkons bauschten sich sanft im lauen Sommerwind. Ich fühlte, wie sich meine Stirn in Falten legte und stellte verärgert fest, dass meine Erwartungen auf gröbste enttäuscht worden waren. Das war irgendwie … ernüchternd. Ich hatte mir wesentlich mehr versprochen. Das ich einen Schatz entdecken würde oder irgendein Geheimnis. Adrian Avalon war also doch ein gewöhnlicher Sterblicher und nicht das Götterbild, welches Rose in ihm sah. Die Schultern hängen lassend, guckte ich mich resigniert um. In der Ecke, neben dem Bücherregal, entdeckte ich eine lederne Truhe und augenblicklich war mein Interesse geweckt. Rasch warf ich einen Blick über die Schulter, vergewisserte mich, dass ich von keinem beobachtet wurde und huschte unbemerkt ins Zimmer. Leise schob ich die Tür ins Schloss und achtete darauf, kein Geräusch zu verursachen, als ich mich dem Objekt meiner Begierde näherte. Nervös strich ich mir mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen, bevor ich mich hinhockte und den schweren Deckel anhob. In der Truhe häuften sich allerlei Dinge an, darunter eine juwelenbesetzte Schwertscheide mit passendem Dolch. Seit Tagen kam und ging diese Missgeburt, wann immer es ihm gerade in den Kram passte, aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass er seine persönlichen Dinge ins Haus schleppen würde. Diese Überlegungen verwerfend, betrachtete ich das Stilett mit leuchtenden Augen. Die verschieden farbigen Juwelen leuchteten geheimnisvoll, im letzten Licht des Tages. In meinem gesamten Leben hatte ich noch nie etwas dergleichen gesehen. Ehrfürchtig strich ich mit dem Finger über die Klinge, als ich vor der Tür Stimmen hörte. Erschrocken ließ ich den Dolch fallen, der Geräuschvoll auf dem Boden aufschlug. Das Herz schlug mir bis zum Hals und die nackte Panik saß mir im Genick. Ein Gefühl, das ich schon immer gehasst hatte. Noch bevor ich dazu kam, darüber nachzudenken, wo ich mich verstecken sollte, wurde an der Türklinke gerüttelt und ein gotteslästernder Fluch erklang. Anstatt das Messer aufzuheben und zurück zu legen, verkroch ich mich unter das Bett. Ich kannte eine der Stimmen. Sie gehörte Ryan und ich wusste er nicht erfreut wäre, sollte er mich hier beim Schnüffeln erwischen. Ich robbte vorwärts und schaute vorsichtig unter dem Stoff der herabhängenden Bettdecke hervor. Die Flügeltüren wurden aufgestoßen und Adrian betrat das Zimmer, gefolgt von einem wütenden Ryan, der sich zu befreien versuchte. Ich schob mich noch ein minimales Stück vorwärts. Als ich sah, wie Avalon seine Lippen auf die des Jüngeren presste, wurde mir sofort klar, warum die beiden hier her gekommen waren, auch wenn es wahrscheinlich niemals einen anderen Grund geben würde. Angeekelt verzog ich das Gesicht. Der Geruch von billigen Parfüm und Whiskey stieg mir in die Nase. Nach endlosem Ringen, wobei Ryan Adrian unfairerweise in die Hand biss, stieß der Ältere den Kleineren zu Boden, der ein schmerzerfülltes Keuchen von sich gab und Avalon offensichtlich weiterhin entkommen wollte, denn er versuchte wieder aufzustehen. Allerdings wurde dieser Fluchtversuch mit einem diabolischen grinsen und einem Knie auf dem Oberkörper des Unterlegenden verhindert. Der Verursacher der Qualen, die sein Opfer an diesem Tag noch würde ertragen müssen, da war ich mir ganz sicher, legte die Hand an Ryans Wange und strich mit dem Daumen sanft über dessen Unterlippe. Avalon wurde angeknurrt und dieser drückte den Kopf seines Verlobten zur Seite, so dass dessen Halswirbel knackten und er direkt unter das Bett sah. Ryan wurde wieder hochgerissen. Er hatte mich entdeckt. Der Horror in seinen Augen bestätigte meine Vermutung. Unwillkürlich begann ich zu zittern. "Wenn du so weiter machst, hört dich noch einer, dann ist dein toller Ruf für'n Arsch", spottete Ryan in einem der ungünstigsten Momente, die ich mir vorstellen konnte. Vielleicht wäre es besser, wenn er seinen Verlobten nicht noch so reizen würde. Verschreckt über das plötzliche Gewicht über mir wollte mir ein leiser Schrei entweichen, doch ich hielt mir die Hände vor den Mund und erstickte ihn im Keim. Dieser geistesgestörte Spinner durfte nicht wissen, dass ich mich unter dem Bett versteckte, auf das er seinen Verlobten eben mit einer Ohrfeige verfrachtet hatte, und alles mit ansehen beziehungsweise hören konnte, was er mit dem kleineren anstellte. Ich konnte nicht viel sehen, immerhin war mein Sichtfeld denkbar weit eingegrenzt und der Spiegel an der Wand mir gegenüber half auch nicht unbedingt, immerhin konnte ich aus meiner derzeitigen Lage gerade mal die Matratze und das Holzgerüst des Bettes im Glas erkennen, mehr aber auch nicht. Ich erstarrte in meinen Überlegungen, als ich Ryan kurz aufkeuchen hören konnte und kurze Zeit später bemerkte, dass sich der Druck auf meinen Rücken verstärkt hatte, was wohl bedeutete, dass nun auch Adrian auf dem Bett Platz genommen hatte. Saß Avalon jetzt auf dem Kleineren? Ich wollte mir gar nicht ausmalen was ich in diesem Tag alles mit bekommen würde und was Ryan zu erdulden hatte, als diese widerliche, hasserfüllte Stimme erklang, die dem Jüngeren irgendetwas zu säuselte, was ich nicht verstehen konnte, weil mein eigener, rasender Herzschlag viel zu laut in meinen Ohren hämmerte. Womöglich wollte ich auch gar nicht wissen welch Obszönitäten diesen ekelerregenden Mund verlassen hatten. Meine Gedankengänge wurden unterbrochen, als das Gewicht auf meinem Körper nach ließ und ich automatisch nach Luft schnappte, den Kopf zur Seite drehte und bemerkte, dass Adrian scheinbar keinen Spaß mehr daran hatte den jungen Cornwell mit bloßen Händen zu traktieren, wie ich vermutete, denn er wühlte in der Truhe, runzelte die Stirn und hob schließlich den Dolch auf, den ich auf dem Boden liegen gelassen hatte. "Du hast wohl geschnüffelt... Konntest du es gar nicht mehr erwarten?" Mit schreckgeweiteten Augen musste ich mit ansehen wie er sich zu dem Kleineren herum wandte, und ich fragte mich, wieso Ryan nicht abhaut, obwohl er eine Gelegenheit dazu bekommen hatte. Adrian strich genüsslich mit einem Finger über die geschärfte Klinge des kleinen Stiletts und leckte sich bösartig grinsend über die Lippen. Ich wollte nicht herausfinden was als nächstes passieren würde und kniff instinktiv die Augenlider zusammen, auch wenn mir das höchstwahrscheinlich nicht viel bringen würde und lauschte den angriffslustigen Worten Ryans, der in seiner Situation wohl besser um Hilfe gerufen hätte, doch irgendwie vermutete ich, dass er das nicht zum ersten Mal mitmachen musste. "Ist dir schon langweilig, dass du deine Spielsachen holen musst? Du wirst mit jedem Tag erbärmlicher!" Natürlich wusste der Junge, dass ich mich unter ihm befand und vielleicht wollte er seinen Peiniger damit davon abbringen diese Szenerie noch länger fort zu führen und endlich zum Hauptteil überzugehen, damit ich nicht noch länger ertragen musste, was ich nicht miterleben wollte. Der Angesprochene hingegen grinste nur überheblich, begann die Klinge in seinen Fingern zu schwingen, begab sich auf das Bett und gepresstes, schmerzerfülltes Keuchen erreichte meine Ohren. Ryan würde sich nicht die Blöße geben und vor diesem Arschloch vor Schmerzen schreien, das wusste ich. Doch ich fragte mich, ob das wirklich so gut war, denn immerhin musste das eine unmenschliche Folter sein, die er durchzustehen hatte. Vielleicht würde dann einer seiner Brüder kommen und den kleinen helfen. Meine Hände pressten sich fester auf meinen Mund, als ich die deutlichen Bewegungen über mir wahr nehmen konnte und mit anhören musste, wie Ryan versuchte seine Stimme zu unterdrücken, mich wahrscheinlich nicht hören zu lassen, wie sehr es ihn quälte, einem anderen Menschen wehrlos ausgeliefert zu sein, ohne etwas dagegen tun zu können. Tränen der Wut stiegen mir die die Augen und kriegerische Gefühle erwachten. Ich biss mir auf die Unterlippe, rammte meine Zähne fest in das zarte Fleisch. Meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen, als ich die Fäuste ballte. Wie konnte ein Mensch nur so grausam sein? Ich zog die Augenbrauen zusammen und meine Züge verfinsterten sich zunehmend. Ich wollte aufspringen, Adrian erwürgen und Ryan helfen, aber dieses Monster war größer und zudem ein Mann. Zorn wandelte sich in Verzweiflung. Ich kroch weiter unter das Bett, legte mich auf die Seite und schluchzte auf, presste die Hände auf meine Ohren und versuchte die Geräusche aufzusperren. Ich hasste es, nichts tun zu können und diese Hilflosigkeit ließ mich den Mut verlieren. Eng zog ich die Knie an meine Brust, in der Hoffnung, dass das alles nur ein Albtraum war. Wach auf! Wach auf! schrie ich mich in Gedanken selbst an. Mit einem Tränenschleier vor den Augen und nassen Wangen starrte ich in die Dunkelheit, wiegte mich wie ein verängstigtes Kind und wollte nur endlich aus diesen Zimmer verschwinden können und vergessen, was hier passiert war. Ich hatte gewusst, das Adrian Ryan misshandelte, aber ich hätte mir niemals vorstellen können, wie schlimm es in Wirklichkeit war und wie sehr er seelisch und körperlich darunter zu leiden hatte. Kein Wunder, dass er so eine panische Angst vor Adrian hatte. Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mir irgendeinen Ort suchen, an dem mich dieses Schwein nicht finden würde, solange er sich an meinem Körper verging, einen Ort, den nur ich kannte. Zumindest in Gedanken. Genauso wie damals … bei meinem Stiefvater … Tat er das? Versuchte er alles auszublenden, was etwas mit diesem Ort, mit Adrian und diesen Qualen zu tun hatte, die er ertrug? Als ich die Tür ins Schloss fallen hören konnte, schreckte ich unwillkürlich hoch, wurde aus meinen Überlegungen gerissen und strich mir die Tränen von den Wangen. War der Adrian endlich gegangen? Ich schrie entsetzt auf, als ich eine Hand an meiner fühlen konnte, versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen, als ich sah, dass es sich um die von Ryan handelte, die er vom Bett hatte fallen lassen, um mir wohl zu zeigen, dass ich raus kommen konnte und fasste all meinen Mut zusammen, ehe ich mich unter dem Bett hervor rollte und mich schließlich aufrichtete. Kein Horrorfilm der Welt hätte mich auf diesen Anblick vorbereiten können. "Hilf mir bitte ins Badezimmer." Ryan lag da, von seinem Peiniger vergessen und liegen gelassen, als sei er weniger Wert als der Dreck unter Adrians Schuhen, überall Blut und die Decke über die Hüfte gezogen, doch ich konnte den Geruch dieses Mistkerls wahr nehmen und ich wusste was der Kleinere zu verstecken versuchte. Ich konnte die Tränenflut nicht unterdrücken, der Knoten in meinem Magen zog sich schmerzlich enger zusammen und der Kloß in meinem Hals brachte mich dazu durch den Mund zu atmen, um nicht an Luftmangel zu sterben. Fortsetzung folgt ... Kapitel 9: Pain and emotional distress -------------------------------------- Die Rosen wiegten sich in der leichten Brise und eine Wolke schob sich vor den fast vollen Mond. Das Anwesen der Familie Cornwell schien den Atem anzuhalten – zu erschauern. Leise, und doch nicht vollkommen lautlos, lagen die hohen Mauern, dessen Steine so kalt wirkten, als hätte kein Sonnenstrahl sie je berührt, in tiefem Schlaf, gefangen in einer ruhelosen Stille. Mondlicht berührte den Rand der offenen Terrassentüren und mein Schatten fiel über die Schwelle. Er ist so … wunderschön, anmutig und … Seine Haut war blass, und ähnelte feinstem Porzellan, seine Wimpern lagen fächergleich auf seinen blutleeren Wangen und sein markantes Gesicht wurde noch immer von der Erschöpfung des Tages gezeichnet. Und dieses schwarze, seidene Haar … Vollkommen geräuschlos, um diese nächtliche Stunde, trat ich näher und ließ mich vorsichtig auf der Bettkante nieder. Genau wie zuvor fühlte ich tiefe Traurigkeit und Verzweiflung, die mich wie eine düstere, schwarze Wolke einhüllten. Wieso unternahm niemand etwas? Wenn er seinen dummen Stolz aufgeben, sich an den Familienrat wenden und diesem erzählen würde, was Avalon tat, dann würde man ihm diesen vornehmen Drecksack vom Hals schaffen. Da war ich mir ganz sicher. Ahnte Ryan denn wirklich überhaupt nichts? War ihm nicht bewusst, wie wichtig er mir war und welche Qual es für mich bedeutete, zu wissen, dass ich ihm nicht helfen konnte, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte? Die schneeweißen Vorhänge am Fenster bauschten sich leicht im Wind und die die Luft duftete nach Geißblattranken und Rosen. Ein melancholisches Lächeln umspielte meine Lippen und meine schlanken Finger fuhren Ryan durch die Strähnen, die ihm im Schlaf in die Stirn gefallen waren. Behutsam hauchte ich einen kaum fühlbaren Kuss auf seinen Mund, während ich tief betroffen die dunklen Ringe unter seinen Augen betrachtete. *** Flashback Sein Blick war leer. Nachdem ich Ryan ins Badezimmer geholfen hatte, war er unter die Dusche geflohen, als wenn heißes Wasser die einzige Möglichkeit wäre, um diesen Albtraum zu vergessen. Ich hatte gehofft, dass ihm ein Augenblick der Ruhe gut tun würde. Ich dachte, es wäre besser, wenn ich ihn erst Mal allein ließ und hatte mich deshalb zwischenzeitlich damit beschäftigt, das Bett frisch zu beziehen und die Spuren menschlicher Grausamkeit zu beseitigen. Doch als ich wieder zu ihm gegangen war, hatte er noch immer reglos auf dem Boden der Duschkabine gehockt und den Sprühregen auf seine Gestalt niederprasseln lassen. Der Person, der ich jetzt ins Gesicht guckte, war nur ein Schatten des Jungen, den ich seit Kindertagen kannte. Und während ich still im Raum stand und darauf wartete, dass er zumindest auf meine Stimme reagieren würde, als ich leise seinen Namen nannte, erinnerte ich mich an die Ermahnung von Mrs. Cornwell und wünschte meine verfluchte Neugier zum Teufel. Hätte ich dieses eine Mal gehört und wäre dem Gästezimmer ferngeblieben, das Adrian bewohnte, dann … Ein Schluchzen suchte sich einen Weg durch meine geschlossenen Lippen. Ich konnte die Verzweiflung nicht unterdrücken und die Tränen nicht zurückdrängen. Ich wollte Ryan fragen, wie oft er diese Folter schon hatte ertragen müssen, behielt diese Worte jedoch für mich und verbannte sie auch aus meinen Gedanken. Mit angewinkelten Beinen lehnte er noch immer an der Wand der Marmorkabine, wobei er die Augen geschlossen hielt und den Kopf in den Nacken gelegt hatte. Er flüsterte irgendetwas unverständliches, das meine Ohren unmöglich erreichen konnte, weil seine Stimme kaum mehr als ein hauchen war. Ich wusste nicht, welche Erfahrung das größere Loch in mein Herz riss. Dass ich miterlebt hatte, wie er von Adrian gequält worden war, oder, dass ich das entsetzliche Fehlen jeglichen Gefühls mit ansehen musste, das seine gesamte Haltung ausdrückte. Mir schnürte sich die Kehle zu und ich legte die Finger an den Hals, als hätte mir jemand den Strick des Henkers bereits umgelegt. Meine eigenen Emotionen drohten mich zu überwältigen und mit zitternden Fingern öffnete ich die gläserne Duschkabine. Ich war blind, nichts hatte eine Bedeutung. Nur der Mensch, vor dem ich niederkniete und den ich an meine Brust zog. Dass meine Kleidung durchnässt wurde, getränkt von Wasser und besudelt mit seinem Blut, interessierte mich nicht. Nur das Gefühl, das er seine Arme um meine Taille legte und sich an meinen Körper schmiegte, war mir wichtig. Als wäre ich das einzige, was er wirklich wollte und brauchte. Ryan klammerte sich an mich, als wenn er mir diese Frage beantworten wollte. Ich biss mir auf die Unterlippe, streichelte ihm durch die Haare und legte die Hände an seine Wangen, um ihn sanft dazu zu bewegen, mir seine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich musste mich zur Ruhe zwingen, um mein Entsetzen nicht offen zu zeigen. Der unendlich einsame Ausdruck, der sich in seiner Miene widerspiegelte, schürte gnadenlos den Hass, den ich für Avalon empfand. Flashback Ende *** Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich Ryan zu bewegen begann. Er kämpfte sich unter der Bettdecke hervor, sah mich kurz an und drehte sich um, wobei er mit dem Kopf auf meinem Schoß lag und die Knie anzog. Zunächst war ich verunsichert und ich saß stocksteif auf der Bettkante. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Sein Pony verdeckte sein Gesicht und ich konnte nur die Mund und Kinnpartie erkennen. Er atmete ruhig, aber flach und nur das leichte zittern, das seine Muskeln befiel, legte Zeugnis darüber ab, das er noch immer in den grausamen Erinnerungen des Tages gefangen zu sein schien. Ich seufzte leise auf. Seit dem Augenblick, als er unter der Dusche gesessen und sich an mich geklammert hatte, war kein Wort zwischen uns gefallen. "Fiona", erklang seine Stimme und ich runzelte die Stirn. Ryan durchbrach schließlich das Schweigen, welches sich über uns gelegt hatte, wie ein unsichtbarer Schleier. "Liebst du mich?" Meine Finger, die über seinen Hals, die Schulter und Seite nach unten gewandert waren und sein T-Shirt höher geschoben hatten, verharrten reglos auf seiner Haut. Ich blinzelte überrascht, verstand im ersten Augenblick kein Wort und hob hilflos die Schultern. Ich brauchte mehrere Sekunden, um zu begreifen, was er mich gefragt hatte. Und als mir die Bedeutung dessen, wonach er sich erkundigt hatte, in meinen Geist vordrang, lief mir die Schamesröte heiß in die Wangen. Allerdings hatte ich keine Gelegenheit mehr, um über eine Antwort nachzudenken. Im nächsten Moment wurde ich schon in die Kissen gedrückt, meine Handgelenke neben mir auf der Matratze. Ryan beugte sich über mich und verschloss meine Lippen mit seinen. Er küsste mich, wild und ungeduldig. Diese Liebkosung war beinahe strafend in ihrer Heftigkeit und doch konnte ich den Schmerz und die Qual schmecken, die seine Seele zu Asche zu verbrennen schienen, die Sehnsucht nach meiner Nähe, als würde diese ihn beruhigen. Als ginge es ihm nur darum zu vergessen… die Folter zu beenden... Liebte ich ihn? Ja, ich liebe dich … *** "Das ist wirklich der reine Wahnsinn", flüsterte ich mit großen Augen und warf einen Blick in den Motorraum des silbernen Honda Civic Coupé EJ2. "Nicht nur, das er einen JR Performance-Luftfilter hat, er besitzt auch ein NoS fogger System, einen T04 Lader und einen AIC Controller." Kai, in einen Blaumann gekleidet, kam auf mich zu, wischte sich die ölbeschmierten Hände an einem dreckigen Tuch ab und lächelte mich an. "Und ein elektronisch kontrolliertes Brennstoffsystem", führte er meine Aufzählung weiter. "Aber ich wollte einige Teile auswechseln. Mir ist die Karre nicht mehr schnell genug." Stirnrunzelnd richtete ich mich auf und sah mein Gegenüber an, der die Brille auf seiner Nase zu Recht schob und ein Schluck aus der Bierflasche trank, die er sich mit in die Werkstatt genommen hatte. Entgegen seiner üblichen Gewohnheit, hatte er sich an diesem sonnenreichen Nachmittag nicht hinter seinem Computer verkrochen, sondern war in die Garage gegangen, um an seinem Auto zu basteln. Soweit er mir erzählt hatte, wollte er einen neuen Motor einbauen, obwohl ich den alten auch nicht schlecht fand. Aber ein Laie hatte sowieso weder Ahnung von der Autorennszene noch von den richtigen Tuningteilen, zumindest nahm ich das an. Er wollte einen aufgerüsteten TR7 mit kugelgelagerten Turbolader einbauen. Mein Gesprächspartner hatte bei der Erklärung folgende Ausdrucksweise benutzt. Er saugt den Sprit und schraubte sich so richtig auf Touren. Blieb die Frage offen, was er mir damit sagen wollte. Ich vermutete, dass er damit gemeint hatte, dass der Wagen binnen weniger Augenblicke seine Höchstleistung erreichen konnte. Vielleicht sollte ich doch noch Mal googlen gehen? In einem Forum hatte ich gelesen, dass ein Turbolader die Luft ansaugte, verdichtete und zusammen mit dem Sprit unter Hochdruck in den Motor pumpte. Peinlich, für jemanden, der selbst einen Führerschein hatte. Eigentlich sollte man doch wissen, was ein Turbolader für eine Aufgabe hatte. Karoserie-Kits, ein Heck und Dachspolier, Scheibenfolie, Vinyls und Felgen standen in einer Ecke und warteten darauf, angebracht zu werden. Kai hatte mir erzählt, dass er diesen PKW komplett neu aufgebaut hatte. Etwas eiskaltes berührte meine Haut und ich schlug intuitiv danach. Kai hatte mich aus meinen Überlegungen gerissen, indem er mir eine Dose Cola an die Wange gehalten hatte. Er lächelte mich schüchtern an und drückte mir das Getränk in die Finger. Ich blinzelte überrascht und beobachtete, wie der Ältere rot zu werden begann. Verwirrt neigte ich den Kopf zur Seite. Hatte ich ihn in Verlegenheit gebracht oder fühlte er sich in der Nähe einer Frau einfach nur unwohl? Wahrscheinlich fand er mich attraktiv, herkömmlich betrachtet, immerhin stand er auf Männer. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, setzte eine Schutzmaske auf und verschwand auf einem Rollbrett wieder unter der Karoserie seines Wagens. Im nächsten Moment hörte ich schon das Geräusch, wenn Stahl auf Stahl traf. "Das ist nicht die schlechteste Art, um zehn Tausend Dollar anzulegen", sagte ich tonlos und strich mir mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. "Wirst du dieses Jahr wieder zum Rennkrieg fahren?" Seufzend setzte mich auf einen Stapel Reifen, Marke Mashamoto ZX, und sah dabei zu, wie das zweitälteste Mitglied der Familie Cornwell den Boden abtastete. Wahrscheinlich suchte er den Schraubenschlüssel, der außerhalb seiner Reichweite lag. Grinsend sprang ich auf die Füße und gab ihm das gesuchte Werkzeug, das er mit einem gemurmelten 'Dankeschön' entgegen nahm, bevor er sich wieder seinem Fahrzeug zuwandte. "Ja, wahrscheinlich", erwiderte Kai und klang dabei sehr nachdenklich. Ich runzelte die Stirn und wusste nicht, was ich von seiner Antwort halten sollte. Die US-amerikanischen Race Wars fand alljährlich auf einem ausrangierten Flugplatz der US Air Force in der Wüste von Arizona statt und bisher hatte er immer daran teilgenommen. In Gedanken ging ich noch einmal durch, was ich darüber im Internet nachgelesen hatte. Die traditionellen Renndistanzen sind die Viertelmeile und die Achtelmeile. Die Rennen der Profiklassen sowie der oberen Amateurklassen werden mit speziell zu diesem Zweck konstruierten Dragstern bestritten, die bis zu einigen tausend PS beziehungsweise kW leisten. Die Reaktionsschnelligkeit der Fahrer sowie ihre Fähigkeit, die enorme Leistung der Dragster auf den dafür präparierten Drag Strip zu bringen, entscheiden über Sieg oder Niederlage. "Gottverdammte Scheiße!", fluchte Kai und riss mich erneut aus meinen Gedanken. Er kam unter seinem Auto hervor und holte hustend nach Luft. Ich starrte ihn an, blinzelte ein paar Mal, um sicherzugehen, ob ich auch wirklich richtig sah und mir meine Fantasie keinen Streich spielte und erlag ihm nächsten Augenblick einen Lachanfall, den ihn scheinbar dazu brachte, aufzustehen, meine Hände zu ergreifen und mich auf den schmutzigen Boden zu drücken. Er lehnte sich über mich und grinste diabolisch, bevor er, wie ein nasser Hund, den Kopf schüttelte. Er hatte wohl seinen Tank geschrotet und die ganze Suppe ins Gesicht bekommen. Ich schrie auf und versuchte den herumfliegenden Öltropfen auszuweichen, die sich unaufhaltsam auf mich zu verteilen begannen und mich dazu brachten, um Gnade zu betteln. Ich hatte bereits Seitenstiche und sog den Sauerstoff gierig in meine Lungen. Kai ließ mich los, reichte mir ein Tuch und ich strich mir mit dem Stoff über mein besudeltes Gesicht. "Wie ich sehe, ist Ryan nicht der einzige, für den du die Beine breit machst", hörte ich eine höhnische Stimme, die ich nur zu gut kannte. "Von wem lässt du dich noch ficken? Shion vielleicht und auch von Alister … vermute ich Mal." Ich drehte mich zum Garagentor und runzelte die Stirn. Adrian lehnte an der Wand, die Hände in den Hosentaschen und das Hemd bis zur Taille offen. Ich schnitt eine Grimasse und stand auf. "Leon ist Verlobt und wird sich wohl kaum mit so einem Dreckstück wie dir abgeben", fügte dieses Arschloch hinzu. Genervt massierte ich mir die Schläfen und schloss die Augen. "Ich wünschte, du würdest deine Minderwertigkeitskomplexe nicht immer an mir ausleben", sagte ich ruhig und hatte die Schnauze gestrichen voll davon, diesem Mistkerl gegenüber höflich zu sein. "Ich sag dir was", fuhr mich Avalon ungehalten an, scheinbar in seinem Stolz gekrängt und trat auf mich zu. "Immer, wenn du deinen Mund öffnest, kotzt es mich an!" Ich seufzte leise auf und blieb unbeweglich stehen, obwohl mir sein Geruch deutlich in die Nase stieg und mir dieser süßliche, aufdringliche Duft auf den Magen schlug. "Und jedes Mal, wenn du deinen öffnest, klingst du wie ein Idiot." Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schultern und ich wurde zurückgezogen. Scheinbar gerade noch rechtzeitig, denn wie es aussah, hatte mich Kai gerade beschützt. Bevor Adrian mich hätte erneut ohrfeigen können, was eindeutig seine Absicht gewesen war, hatte der Sohn der Familie Cornwell wohl seinen freien Arm in die Höhe gerissen und Avalon's Finger verfehlten somit ihr offensichtlich angesteuertes Ziel. "Sie sollten jetzt besser gehen", flüsterte Kai dem Anderen gefährlich leise zu und ich konnte eindeutig die Drohung dahinter erkennen. Adrian trat einen Schritt zurück und warf mir einen vernichtenden Blick zu, bevor er sich wortlos umdrehte und die Flucht ergriff, als wenn ihm alle Dämonen der Hölle auf den Fersen wären. Nachdenklich zog ich die Unterlippe zwischen meine Zähne, bekam allerdings keine Gelegenheit dazu, mich darüber zu wundern, warum dieser Kotzbrocken Kai angeguckt hatte, als wenn er der Teufel persönlich wäre, den sie Stimme meines Retters erhob sich erneut. "Und du solltest aufhören, andere zu provozieren", fügte er an mich gewandt hinzu. Ich wollte schon protestieren, das ich doch gar nicht angefangen hatte, doch mir blieben die Worte im Hals stecken, als ich in genau diesem Augenblick Ryan sah, der über den Hof ging und seinen Blick zufällig mit meinem kreuzte. Die Erinnerungen der vergangenen Nacht stürmten in Sekundenschnelle auf mich ein und ich fühlte, wie ich errötete. Nachdem er mich grob geküsst hatte, waren seine Lippen weicher geworden und das Herz hatte mir hart gegen die Rippen geschlagen. Ich hatte nicht anders gekonnt, als ihn in eine gefühlvolle Umarmung zu ziehen, in der Worte überflüssig gewesen waren. Wie eine liebende Mutter hatte ich ihm durch die Haare gestreichelt und stillschweigend darauf gewartet, dass er es zuließ, sich von Morpheus in die Traumwelt entführen zu lassen. Ryan war schließlich eingeschlafen, erst nach Stunde, wie es schien. Ich liebte ihn und wusste nicht, wie ich ihm das zeigen sollte. Er misstraute jedem und selbst wenn ich seine Frage beantwortet hätte, hätte er mich wahrscheinlich mit Schweigen gestraft. Seit jenem Vorfall, im Sommer vor sechs Jahren, hatte er es nie wieder gewagt, mir weh zu tun. Sei es Psychisch oder Physisch … Fortsetzung folgt ... Kapitel 10: Dreams and Memories ------------------------------- Ein tiefes Seufzen verließ meine Lungen, während ich noch immer in Kais Werkstatt stand und Erinnerungen an vergangene Geschehnisse meinen Geist füllten. Ich erinnerte mich deutlich an jenen Tag, obwohl es bereits sechs Jahre her war. Ryan war damals dreizehn gewesen und ich war sechzehn. Es war der Moment, nachdem ich Ryan die Hand entzogen und ihm gesagt hatte, dass ich mit einem Jungen aus meiner Schule ausgehen würde. In diesem Augenblick war er innerlich gestorben. Ich hatte es in seinen Augen gesehen. Doch ich hatte es nicht verstanden. Mir war nicht bewusst gewesen, dass seine Welt längst in Scherben gelegen hatte. *** Flashback: "Komm Fiona, lass uns heute Abend ins Kino gehen", drängte Ryan begeistert und zerrte mich an der Hand haltend hinter sich her. Wenn ich meinen Beinen nicht den Befehl zum laufen erteilt hätte, hätte ich wahrscheinlich schon längst den Boden geknutscht "Momentan läuft ein Film, den ich schon länger sehen wollte", fügte er hinzu. Seine Augen leuchteten und ich schnitt eine Grimasse, als Schuldgefühle in mir hochstiegen, die nicht lächerlicher sein könnten. Ich stemmte die Füße gegen den Boden und entzog mich dem Jüngeren vorsichtig, der mich nur irritiert ansah und wohl nicht zu verstehen schien, warum ich offensichtlich nicht mit ihm gehen wollte. Ich lächelte ihn entschuldigend an und wickelte mir nervös eine meiner Haarsträhnen um den Finger. Unter seinem prüfenden Blick wand ich mich unbehaglich. "Ein anderes Mal, OK?", fragte ich sanft und fühlte, wie mir die Schamesröte heiß in die Wangen schoss. "Ich bin schon verabredet." Leise seufzte ich auf. "Ich gehe mit einem Freund aus. Wir wollten essen gehen." Ich konnte mir keinen Reim darauf bilden, warum ich meinte, mich vor ihm rechtfertigen zu müssen. Ryan war weder mein fester Freund, noch hatte er einzig und allein das Patentrecht dazu, Zeit mit mir verbringen zu dürfen. Also, warum hatte ich das Gefühl, dass ich ihm eine Erklärung schuldig war? Nachdenklich runzelte ich die Stirn, verschränkte die Arme vor der Brust und stieß die Luft aus meinen Lungen. In Gedanken vertieft, beobachtete ich seine Gesichtszüge, die sich zunehmend verfinsterten und ich blinzelte irritiert. Instinktiv wich ich vor ihm zurück. Ich wollte mich schon danach erkundigen, warum sich seine Hände zu Fäusten ballten und wieso er mich so durchdringend anstarrte, doch in der Sekunde riss ich meine Augenbrauen bereits entsetzt in die Höhe und wusste nicht, ob ich mich verhört hatte oder ob er mir diese schrecklichen Worte tatsächlich entgegen geschrien hatte. "Menschen wie du sollten tot sein!", keifte er zornig und zog bedrohlich die Augenbrauen zusammen. "Du bist genau wie all die anderen." Ratlos hob ich die Schultern und schüttelte den Kopf. Er schluchzte leise und die Tränen begannen ihm in Strömen über die Wangen zu fließen. Ich furchte die Stirn. Allerdings bekam ich keine Gelegenheit mehr dazu, um über seine Worte nachzudenken, denn in der Sekunde schlug er bereits mit den Fäusten auf mich ein und nur meine Geistesgegenwart brachte mich dazu, nach seinen Handgelenken zu greifen und diese festzuhalten, auch wenn er sich wie ein Wahnsinniger gegen mich wehrte. Meine Handlung bestand aus reinem Selbstschutz. Ich hatte zumindest mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet, aber nicht, dass diese so heftig ausfallen würde. "Beruhig dich!", schrie ich ihn an, gegen seine verzweifelten Fluchtversuche ankämpfend. "Ryan! Verdammt noch Mal, sieh mich an." Er hörte mir nicht zu und in seiner rasenden Wut konnte er sich schließlich befreien und mich zu Boden stoßen. Er war über mir und saß rittlings auf meinem Schoß. Seine Finger umklammerten meine Kehle. Ryan schnürte mir die Luft ab und mir wurde bewusst, dass er die Absicht verfolgte, mich zu erwürgen. Panik machte sich in mir breit. Mordlust und Hass spiegelte sich in seiner Miene wieder. Der Hals tat mir bereits weh, es war ein Schmerz, weit ab meiner Vorstellung. Kraftlos umklammerte ich seine Arme und versuchte um Hilfe zu rufen, doch kein Ton verließ meine Lippen. Mir wurde bereits schwarz vor Augen und mein Bewusstsein glitt immer tiefer in die undurchdringliche Dunkelheit, als ich sein Gewicht plötzlich nicht mehr auf mir spürte. Meine Sicht war verschleiert und klärte sich nur mühsam. Der qualvolle Druck, der mir die Fähigkeit zu atmen genommen hatte, war verschwunden und meine Lungen sogen gierig die frische Luft ein. Erst nach mehreren Minuten hob ich mühevoll den Blick und versuchte herauszufinden, wer mich vor dem erstickungstot bewahrt hatte. Es musste Leon gewesen sein, der Ryan von mir runter gerissen hatte. Der älteste Sohn der Familie Cornwell stand hinter seinem jüngeren Bruder und hielt diesen fest, während ich spürte, wie ich von jemand hochgehoben wurde. Flashback ende *** Ein paar Tage später, als ich die Treppe hochgestiegen war, die in den ersten Stock führten, hatte ich etwas klappern gehört. Irritiert hatte ich den Kopf gehoben und eine Metalldose dabei beobachtet, wie sie auf mich zugefallen war. Das Stück Blech war vor meinen Füßen gelandet, hatte sich geöffnet und seinen Inhalt auf den Stufen verteilt. *** Flashback: "Heb es auf", erklang eine Stimme, die keinen Widerspruch duldete und ich guckte überrascht zu Ryan, der, mit den Armen vor der Brust verschränkt, auf dem Treppenabsatz stand und überheblich auf mich herabsah. "Ich sagte, du sollst es aufheben." Seufzend senkte ich den Blick auf die Utensilien, die vor meinen Füßen verstreut lagen und nickte, nicht fähig zu widersprechen. Ich ging in die Knie, um die Stifte, den Radiergummi und die Zettel aufzuheben, die in die metallene Box gehörten. Obwohl ich tagelang im Krankenhaus gelegen hatte und die Abdrücke seiner Hände noch immer die Haut an meinem Hals verunzierten, hatte ich kein Wort der Entschuldigung von ihm gehört. Er war noch immer kalt, abweisend und distanziert. Bei jeder Gelegenheit, sie sich ihm bot, behandelte er mich wie das, was ich war. Das Dienstmädchen seiner Familie. Doch hinter seinen höflichen Anweisungen verbarg sich eine Grausamkeit, die ich mit Worten nicht erklären konnte. Meine Finger zitterten, als ich den Kugelschreiber aufhob und sich meine Zähne in das zarte Fleisch meiner Unterlippe vergruben. Im nächsten Augenblick hörte ich ein Zischen und ich hob verwirrt den Kopf, um herauszufinden, woher das Geräusch kam. Meine Augen weiteten sich entsetzt, nachdem ich bemerkte, wie etwas Spitzes, Silberfarbenes auf mich zuhielt. Reflexartig sprang ich zurück und presste die Hand auf meine rechte Gesichtshälfte, als meine Nerven ein Schmerz überzog, der mich um den Verstand zu bringen drohte. Etwas Rotes trübte meine Sicht und ich musste fassungslos einsehen, dass mich dass Kattermesser getroffen hatte. Gequält sah ich auf. Das jüngste Mitglied dieser Familie drehte sich um und ging. Flashback Ende *** Vertrauen fällt schwer, wenn man das nicht gelernt hat, resümierte ich in Gedanken und guckte zu Ryan, der noch immer auf dem sonnenbeschienenen Hof stand und seinen Blick auf mich gerichtet hielt. Ich wusste bis heute nicht, ob er seine Grausamkeit seinerzeit wieder gut machen wollte, indem er mir geschworen hatte, mich zu beschützen. Nach unzähligen Monaten, die sich über drei Jahre erstreckt hatten und in denen ich unter ihm leiden musste, war er in mein Zimmer gekommen, die Händen in den Hosentaschen und einen Vorschlag, den ich nicht ablehnen konnte. Er würde auf mich aufpassen und mich nicht mehr verletzen. Vielen war es unbegreiflich, warum ich Ryan nicht hassen wollte, obwohl er mir so viele schreckliche Dinge angetan hatte, aber niemand konnte verstehen, wie zerbrechlich Menschen waren, die bereits im Kindesalter gelernt hatten, anderen zu misstrauen und niemanden zu nah an sich heran zulassen. Selbst einfache Dinge, die für uns alltäglich erschienen, würde diese Personen, die keinen Sinn in ihrem Leben sahen, tief verletzten. Er wusste bereits mit fünf Jahren, dass ihn seine Mutter nicht gewollt hatte und dass sie dazu gezwungen worden war, ihn zur Welt zu bringen. Darum stellte sich für ihn wohl auch nicht länger die Frage, warum ihn Rose stets behandelt hatte, als wäre er weniger Wert, als der Dreck unter ihren Schuhen. Leon hatte es mir gesagt. Ryan hatte jedem misstraut. Er war der Ansicht gewesen, dass es niemanden gegeben hatte, dem er sich anvertrauen konnte oder der ihn verstanden hätte; was wohl auch der Grund dafür war, dass er so verbittert wurde. Doch als er größer und älter wurde, hatte er scheinbar gemerkt, dass wir uns in vielerlei Hinsicht ähnlich waren und ohne, dass es mir bewusst gewesen wäre, wurde ich für ihn zu etwas besonderem. Ohne es zu wollen, hatte ich ihm damals wehgetan und indem er sich mir gegenüber so abweisend verhielt, konnte er mit dem Schmerz umgehen, der in seinem zerrissenem Herzen Einzug hielt. Schon erstaunlich, wie besitzergreifend er durch diese Erfahrung geworden war. Kaum hatte ich diese Gedanken zu ende gesponnen, musste ich dabei zusehen, wie Adrian wieder auftauchte, seinen Arm um die Schultern des Jungen legte, den ich liebte, und ihn mit sich zerrte, ohne auf den deutlichen Protest zu achten, der von dem Kleineren ausging. Ryan wandte den Kopf in meine Richtung, hob den Arm und streckte seine Finger nach mir aus. Der unglaublich einsame Ausdruck in seinem schönen Gesicht, schnürte mir die Kehle zu. Wut und Hass lenkten meine Bewegungen und ich schnappte mir einen Schraubenschüssel aus Kais Werkzeugkasten. Ich rannte Avalon nach, den kalten Stahl in meiner Handfläche und mit der festen Absicht, dieses Arschloch zu erschlagen, doch sobald er in Reichweite kam, schwand mein Mut und meine Entschlossenheit. Ein Schauer jagte mir über den Rücken und mir stellten sich alle Nackenhaare auf, als er sich zu mir umdrehte, als hätte ich ihn gerufen. Ein gehässiges Grinsen umspielte seine Mundwinkel und böswillige Erheiterung spiegelte sich in seinen dunklen Augen. Ein unerklärliches Zittern befiel meine Muskeln und der Schraubenschlüssel landete mit einem untrüglichen Klirren auf den Pflastersteinen. Ich zuckte zusammen. Dieses Geräusch hallte unnatürlich laut in meinen Ohren wieder und erfüllte die windstille Luft. Die Knie wurden mir weich und ich hatte das Gefühl, mich nicht länger auf den Beinen halten zu können. In der Sekunde, als ich glaubte, vor der Angst kapitulieren zu müssen, die Adrian in mir ausgelöst hatte, befreite sich Ryan von diesem Mistkerl, lief auf mich zu und fiel mir um den Hals. Durch sein Gewicht verlor ich die Balance, so dass er mich umriss und ich zu Boden stürzte. Ich hörte, wie er meinen Namen flüsterte, als würde er ein Gebet sprechen und er klammerte sich an mich; wie ein Ertrinkender an einem rettenden Seil. Fest nahm ich ihn in die Arme und atmete seinen vertrauten Geruch tief ein. Zärtlich streichelte ich ihm durch die Haare, hauchte einen Kuss auf seinen Scheitel und genoss das Gefühl, ihn wieder dicht an meinem Körper zu spüren. Ich fragte mich, ob er in der Vergangenheit, tagelang nicht aus seinem Zimmer gekommen war, weil er nicht gewollt hatte, dass jemand mitbekam, zu welch lebloser Puppe er wurde, wenn Avalon zu Besuch gewesen war. Und eben dieser zuckte jetzt die Schultern, als wenn er keine Schuld daran hätte, wie es seinem Verlobten ging. Du elender Hurensohn! Ich knirschte mit den Zähnen. Der Kerl lächelte, doch seine Züge blieben gleich bleibend emotionslos. Sein unverschämtes Grinsen erreichte seine Augen nicht und ich musste der Versuchung widerstehen, ihm eine Foltermethode zukommen zu lassen, die wesentlich schlimmer war als alles, was er sich ausdenken konnte. Im z.B. die Haut mit einem Sparschäler abziehen. Ryan holte mich aus meinen Überlegungen, als etwas Nasses meine Haut berührte und ich ignorierte es absichtlich. Ich wusste, das er es nicht mochte, wenn ich solche Dinge bemerkte. *** Adrian hatte Ryan in Ruhe gelassen, obwohl ich dieses Verhalten nicht nachvollziehen konnte. Ich hatte damit gerechnet, dass dieser miese Kerl sich wieder in seinem Stolz gekränkt fühlen und auf seinen jüngeren Verlobten losgehen würde, um ihn mit Schläge und Folter erneut zu zeigen, was Gehorsam bedeutete. Doch stattdessen hatte er nur die Schultern gezuckt, sich auf dem Absatz umgedreht und war verschwunden. Er hatte uns keines Blickes mehr gewürdigt. Mir kroch ein ungutes Gefühl über den Rücken, auch wenn ich mir einzureden versuchte, dass es keinen Grund gab, um sich Sorgen zu machen. Nachdenklich schürzte ich die Lippen. Avalon traute ich alles zu und vielleicht hatte er, heute Nachmittag, nur nichts getan, weil Kai in der Werkstatt gewesen war und alles beobachten konnte. Das hieß, wenn er nicht unter seinem Auto gelegen hatte. Zitternd atmete ich ein und versuchte meinen nervösen Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als sich eine Hand auf meine legte und ich sah Ryan an, der neben mir in den Kissen seines Bettes lag. Sein Blick versank in meinen und ein Lächeln, das mich bis in mein Innerstes erschütterte, umspielte seine Mundwinkel. Irritiert legte ich die Stirn in Falten und fragte mich für einen kurzen Augenblick, ob ich mir diesen warmen Ausdruck in seinem Gesicht nicht nur einbildete. Ich hoffte es nicht. Ich legte mich neben ihn auf die Decke und schloss die Augen, nachdem er seine Finger an meine Wange legte und mit den Daumen über meine Unterlippe strich. Ich seufzte leise, rückte näher an ihn heran und ließ es zu, dass er seine Arme um mich legte. Ich hatte die Tür verriegelt, nur für den Fall, das Adrian es sich vielleicht doch noch anders überlegen sollte. Immerhin hielt auch meine Anwesenheit diesen vornehmen Drecksack nicht davon ab, seinen wahren, hässlichen Charakter zu zeigen, der ihm irgendwann zum Verhängnis werden würde. Da war ich mir ganz sicher. Ich hob die Lider und fühlte, wie mir das Blut heiß in die Wangen schoss. Fast schüchtern schmiegte ich mich dichter an Ryan und legte das Ohr an seine Brust. Ich hörte sein Herz, das in gleichmäßigen, sanften Rhythmus gegen seine Rippen schlug und fühlte, wie er mir durch die langen Haare fuhr und die Klammern aus meinem Nackenknoten zog. Ich wusste nicht, warum ich heute Nacht bei ihm sein wollte, ich spürte nur, dass ich mich nach seiner Nähe sehnte und mich nicht länger, gegen meine Gefühle wehren wollte. Verlegen setzte ich mich auf und öffnete die Knopfleiste meiner Bluse, streifte mir den Stoff über die Schultern und rechnete bereits damit, dass er mich aufhalten und mich abweisen würde, doch Ryan blieb still und beobachtete mich stumm dabei, wie ich mich vor ihm auszog. Sein Schweigen machte mir Angst und das Blut rauschte mir Laut in den Ohren. Zitternd hockte ich nackt neben ihm und bevor er mich zu genau betrachten konnte, klammerte ich mich bereits wieder an ihn. "Bitte berühr mich", flüsterte ich mit wenig Hoffnung und kämpfte gleichzeitig die Erinnerungen an meinen Stiefvater nieder, die in mir aufstiegen und mich an meinem tun hindern wollten. "Bitte, Ryan … bitte." Mir schossen bereits die Tränen in die Augen und ich wollte mich beschämt von ihm abwenden, doch da presste er mich plötzlich fest an deine Brust, rollte sich mit mir herum und küsste mich wild und leidenschaftlich, bevor er leise murmelte: "Willst du das wirklich? Du weißt, dass ich dich dann für mich beanspruche." Benötigte es wirklich eine Antwort? Ich schlang die Beine um seine Hüften und die Arme um seinen Nacken. Er grinste und jedes weitere Wort war überflüssig. Fortsetzung folgt ... _____________________________________________________________________________________________________________________ Anmerkung des Autors: Diese Kapitel habe ich beim Hören folgender Musikstücke, von Roxette, geschrieben ... Listen to your heart http://www.youtube.com/watch?v=NgICd1zImXA It Must Have Been Love http://www.youtube.com/watch?v=fCDXwVlw7jM Kapitel 11: Would you lie with me and just forget the world? / Die Geschehnisse aus der Sicht von Ryan ------------------------------------------------------------------------------------------------------ Wie oft hatte ich mir diesen Augenblick erträumt und jetzt, schien aus diesem innigen Wunsch Realität zu werden. Die Gefühle, die ich empfand, als Fiona mir mit ihren wunderschönen, großen Augen ins Gesicht sah, bittend und verliebt zugleich, ließen sich nur schwer mit Worten beschreiben. Ich kämpfte meine Nervosität nieder und versuchte mein wild schlagendes Herz zur Ruhe zu zwingen. In meinem gesamten Leben hatte ich noch nie eine Frau berührt und ich glaubte keine Luft mehr zu bekommen, nachdem sie sich willig an mich schmiegte. Meine Hände waren verschwitzt und zitterten. Das Blut lag mir heiß in den Wangen, weshalb ich der Dunkelheit, die in meinem Zimmer dominierte, dankte. Auf diese Weise konnte sie mein zunehmendes erröten nicht beobachten. Ich zwang den Kloß nieder, der mir im Hals saß und küsste sie erneut. Mit den Fingern ertastete ich ihre warme Haut und diese intensive Nähe versetzte mich in einen Zustand tiefster Erregung. Mein Glied schwoll beinahe schmerzhaft an und drückte von innen an die Vorderseite meiner Hose. Wahrscheinlich konnte sie meine Erregung an ihrem Schoß deutlich spüren, doch sie zog sich weder vor mir zurück, noch versuchte sie auf andere Weise zu entkommen. Ein kaum erkennbares Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und in ihrem verschleierten Blick spiegelte sich die gleiche Begierde wieder, die auch in meinem Inneren tobte. Mir trocknete die Kehle aus und ich lauschte ihrem Atem, der abgehackt und schnell aus ihren Lungen entwich. Ich beugte mich erneut über sie und als ich den Mund öffnete, berührte ihre Zunge die meine. Ihre Liebkosung wurde heftiger, beinahe grob, doch dafür umso leidenschaftlicher und verlangender. Ihre Fingernägel gruben sich in meine Haut und ich keuchte schmerzerfüllt auf. Die Wunden, die mir Adrian vor ein paar Tagen, mit dem Messer, beigebracht hatte, waren noch nicht verheilt. Ich rang mir ein gequältes Grinsen an. Einerseits erschreckte mich Fionas rüdes Vorgehen, doch andererseits hatte ich schon damit gerechnet, eine schlafende Löwin zu wecken, die mir den ganzen Rücken zerkratzte. Ich stoppte in meinen Überlegungen, nachdem sie mir plötzlich das Hemd aus der Hose zog. Unsere Blicke trafen sich und ich war für einen kurzen Augenblick gefesselt. Ein Gefangener ihrer Augen, aus denen die nackte Erregung leuchtete. Die junge Frau verkrallte sich in meinen Haaren und zog mich tiefer, bis meine Lippen ihre Kehle berührten. Ich hörte wie sie leise zu seufzen begann und diese sinnliche Erwiderung spornte mich an. Vorsichtig, als bestünde sie aus zerbrechlichem Porzellan, streichelte ich über ihre kleinen Brüste, zeichnete die Konturen ihres Busens nach und rieb mit den Daumen über ihre Brustwarzen. Sie reckte sich mir entgegen und diese Reaktion sagte mir mehr als jedes Wort. Schweratmend richtete ich mich auf und hockte zwischen ihren Schenkeln, während sie schutzlos vor mir auf dem Rücken lag und mich schweigend anstarrte. Ihre Heißblütigkeit drohte mich zu versengen und brachte die Mauer zum Einsturz, die ich so sorgsam um mein Herz errichtet hatte. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Während ich sie betrachtete, ihren Körper mit meinen Blicken verzerrte, drängte sich eine Erkenntnis endgültig in mein Herz…Ich wollte sie Besitzen, sie sollte mein sein….und gleichzeitig war da diese Unsicherheit, diese Angst….die Angst ihr nicht zu genügen. Mein Körper reckte sich ihr entgegen, verlangte stumm danach, sie zu nehmen und ihr zu zeigen, wie sehr ich sie begehrte. Fiona riss mich erneut aus meinen Grübeleien, als sie leise meinen Namen flüsterte und sich auf der Bettdecke aufreizend zu rekeln begann. Ihre nackte, rasierte Scham bot sich meinem Blick dar und ein Stöhnen entwich meinen Lippen. Ihr Anblick allein reichte schon aus, um mich um den Verstand zu bringen, aber als sie meine Hand kühn zwischen ihre Beine führte und ihre süße Feuchtigkeit meine Finger benetzte, stand ich in Flammen. Ich kämpfte um Selbstbeherrschung, als ihr berauschender Duft noch zusätzlich meine Sinne streichelte und ich mich in etwas getrieben fühlte, aus dem es kein Entkommen mehr gab. Verheißungsvoll lächelnd sah sie zu mir hoch und ich beobachtete ihre Zunge, die über ihre Lippen strich, langsam und erotisch. Mein Herzschlag hämmerte mir so laut in den Ohren, dass ich bereits befürchtete, taub zu werden. Kaum eine Sekunde später nestelte sie an meiner Hose, in der meine Männlichkeit bereits protestierend nach Freiheit gierte und mir entschlüpfte ein erleichtertes Seufzen, sobald ich von diesem quälenden Druck befreit wurde. Sanft kam ich ihr zur Hilfe und zog mich aus. Meine Kleidung gesellte sich zu ihrer auf den Boden. Sie griff nach meinen Schultern und riss mich erneut auf sich herab, suchte meinen Mund und verwickelte mich in einen hungrigen Kuss. "Bitte", hörte ich sie murmeln und spürte wie sie leicht lächelte. "Lass mich fühlen, wie es zwischen uns sein könnte … heute Nacht will ich dir gehören." Ihre Stimme war nicht mehr als ein heiseres Hauchen gewesen und doch hatte ich verstanden. Ich streichelte ihre Knie, schob ihre Beine noch etwas auseinander, um mir mehr Platz zu verschaffen und nahm meine Erregung in die Hand, um mich in sie einzuführen. Ich keuchte unterdrückt, sobald ich ihre nasse, heiße Enge um mich fühlte und ich biss konzentriert die Zähne zusammen; zwang mich selbst zur Ruhe und gab ihr Zeit, damit sie sich an mich gewöhnen konnte. Ihre Stellung war unterwürfig, meine herrisch und doch gab sie mir, ohne Worte, zu verstehen, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, eine solche Erfahrung mit mir zusammen erleben zu dürfen. Mir erging es nicht anders und ich sah ihr direkt in die Augen, fuhr ihr durch die Haare und sah ihre Wangen, im schwachen Zwielicht des Mondes, welches durch die Balkontüren meines Zimmers hereinfiel, feucht glänzen. Unbewusst durchforstete ich ihre Gedanken und mich überkam die Angst, dass sie an ihren Stiefvater denken könnte, der sie so früh dazu gedrängt hatte, eine Frau zu werden, doch ihr Kopf war angefüllten mit Bildern über Momente, die wir gemeinsam geteilt hatten und die sie niemals vergessen hatte. Ich wusste, dass auch diese Nacht Teil ihrer Erinnerungen werden würde. Genauso wie ich sie in meinem Herzen für immer Festhalten würde. In dieser Sekunde hatte ich das Gefühl, die Welt wäre in Ordnung und dass es niemanden gab, der uns für das, was wir füreinander empfanden, verurteilte. Ich ahnte, dass wir keine Gelegenheit bekommen würden, um unser Verhalten zu bereuen und dass wir diese Intimität nicht einfach ignorieren könnten, als wäre nie etwas gewesen, immerhin war es das, wonach wir uns jahrelang gesehnt hatten. Aber wahrscheinlich wollten wir das auch nicht. Es gab nichts, wofür wir uns schämen müssten. Meine Erregung wurde zunehmend quälender, dennoch geduldete ich mich, bis ich mir sicher war, dass ich mit ihr schlafen konnte, ohne ihr Schmerz zuzufügen. Körperlich gesehen war sie genauso wenig Unschuld wie ich und doch war es unser erstes Mal. Diesmal hatten wir Sex mit einem Menschen, den wir liebten, mit jemand, mit dem wir es auch tun wollten. Ich schob meine Finger zwischen ihre, drückte ihre Hände auf das Laken und lehnte mich wieder über sie, bevor ich meine Hüfte, in kreisenden Bewegungen, gegen ihre zu bewegen begann. Zunächst langsam und vorsichtig, dann immer schneller. Getrieben von Verlangen steigerte ich mein Tempo und Fiona passte sich meinen Rhythmus an. Ich lächelte leicht, als ich sie stöhnen hörte und spürte, wie sich ihr Griff verstärkte, als wäre ich der einzig rettende Ast, der über den Fluten des Verlangens hinweg wuchs. Noch war sie zu unerfahren, um sie die gleichen Empfindungen erleben zu lassen, die mich dazu brachten, lusterfüllt die Augen zu schließen, doch ich schwor mir, dass auch Fiona noch herausfinden würde, wie schön Sex sein konnte. Selbst wenn ich damit die ungeschriebenen Regeln diese Haushalts brach. Ich war verlobt und durfte mich deswegen keinem anderen nähern, doch niemand hatte mich gefragt, als mir Avalon aufgedrängt worden war. Wenn ich eine Chance gehabt hätte, mir selbst jemand zu suchen, dann wäre die junge Frau, die unter mir lag, diejenige gewesen, die ich mir erwählt hätte. Ich würde mich nicht davon abbringen lassen, unser beider Verlangen zu befriedigen, selbst wenn Adrian in mein Zimmer stürmen und mich davon abzuhalten versuchen sollte. Leises Keuchen verließ meine Lippen und ich fühlte, wie ich meinem Höhepunkt näher kam, doch ich hielt mich verbissen zurück. Fiona sollte mit mir die Höhen der Lust erklimmen und darum suchte ich fieberhaft nach einem Weg, um ihr soviel Vergnügen wie möglich zu bereiten. Ich presste meinen Mund auf den ihren, lockte sie die Lippen zu öffnen und spielte mit ihrer Zunge, bevor ich mich hoch stemmte und mich nur mit einer Hand abstützte. Ich hatte mein Limit erreicht. Ich konnte nicht mehr und meine Stimme wurde lauter, aber ich riss mich weiterhin krampfhaft zusammen. Während ich sie nahm, so dass mir die Sinne schwanden, schob ich meine Finger zwischen ihre Beine und hoffte, dass ich sie richtig berührte, als ich über ihre Scham zu streicheln begann und ihre Klitoris zu finden versuchte. Ich hatte noch keine Ahnung von der weiblichen Anatomie, obwohl ich mich damit beschäftigt hatte, seit ich in die Pubertät gekommen war, doch Theorie und Praxis konnten nicht miteinander verglichen werden, wie ich jetzt feststellen musste. Ich blinzelte überrascht, als ich fühlte, wie sie sich um mich zusammenzog und sich mir entgegen drängte. Sie hatte sich in das Laken verkrallt und ihre Atmung drang nur noch stockend aus ihren Lungen. Scheinbar machte ich es richtig, obwohl es mir deutlich schwer fiel, sie gleichzeitig zu liebkosen und mich weiterhin in sie zu stoßen. Fiona schrie auf, wobei sie leise zu sein versuchte und ich mir nicht sicher war, ob ich mein Ziel erreicht hatte. In der nächsten Sekunde schlug der Orgasmus bereits über mir zusammen und ich bewegte mich im Takt meiner Lust, zeigte ihr, wie sehr sie mich um den Verstand brachte und sank schließlich ermattet auf sie nieder. Gierig sog ich die kühle Luft ein und konnte ihr Herz spüren, das hart gegen ihre Rippen hämmerte und ein Widerhall meines eigenen darstellte. Ich lächelte glücklich und schmiegte mich in ihre Arme. "Alles Gute zum Geburtstag, Fiona." *** Wann hatte es angefangen zu regnen? Murrend zog ich die Augenbrauen zusammen und drehte mich auf die andere Seite, doch er Schauer wollte nicht enden. Ich hörte Wasser rauschen und hob die Lider. Ich blinzelte ungläubig und sah Shion vor meinem Bett stehen. Er hielt ein aufgeschlagenes Magazin über Motorsport in der Hand und ich fragte mich, was er in meinem Zimmer zu suchen hatte. Normalerweise verließ er seines doch höchst selten. Ich setzte mich auf und gähnte leise, bevor mir mein nasser Traum wieder ins Gedächtnis drang. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich erschrocken auf. Mein Blick wanderte fast automatisch zum Fenster. Am strahlend blauen Himmel zeigte sich keine einzige graue Wolke und die Sonne ließ ihre wärmenden Strahlen ungehindert auf die Erde fließen. Meine durchnässte Matratze stach mir ins Auge und der nackte Horror saß mir im Genick. Ich hatte doch nicht …? Mein Herz setzte einen Schlag aus und nur zögernd überprüfte ich, ob ich mit meinen Vermutungen Recht hatte. Erleichtert stieß ich die Luft aus meinen Lungen, nachdem meine Befürchtungen keine Bestätigung fanden. Dem Himmel sei Dank. Ich fühlte den unergründlichen Blick meines Bruders auf mir ruhen und ich runzelte überrascht die Stirn. Er guckte mich über den Rand der Zeitschrift hinweg an und erst in dieser Sekunde bemerkte ich die grüne Gießkanne, die neben seinen Füßen auf dem Boden stand. Nachdenklich starrte ich den Plastikbehälter an und als mir die eigentliche Situation bewusst wurde, pochte namenloser Zorn in meinen Schläfen. Ich kämpfte gegen das Bedürfnis an, diesem Idioten den Hals umzudrehen. "Du hirnloser Penner!", fauchte ich und fletschte die Zähne. "Musst du mir so einen verdammten Schrecken einjagen? Bist du nicht mehr ganz fit?" Ich ballte die Fäuste und fixierte mein Gegenüber verärgert. Wie konnte er es nur zulassen, dass ich auch nur einen einzigen Augenblick lang ernsthaft dachte, ich hätte ins Bett gemacht? Ich setzte bereits dazu an, diesem Blödmann alle Schimpfwörter an den Kopf zu werfen, die ich kannte, doch bevor ich dazu kam, gebot er mir bereits mit einer Handbewegung einhalt und ich ballte Zähneknirschend die Fäuste. "Diese Frage sollte ich dir stellen", sagte er lakonisch und das sonst so gefühlstote Gesicht von Shion blieb auch dieses Mal leer. "Du weißt, was passiert, wenn jemand dahinter kommt. Ich werde dich nicht verraten und halte dir auch keine Predigten, weil ich weiß, wie viel sie dir bedeutet." Er schlug sein Heft zu und drehte sich auf den Absatz um. "Ich gebe dir nur den guten Rat vorsichtig zu sein." Eine Erwiderung hielt ich für überflüssig. Aber weil es Shion gerade erwähnt … Suchend sah ich mich um, konnte Fiona jedoch nicht entdecken. Nachdenklich schürzte ich die Lippen und neigte den Kopf zur Seite. Während ich meinen Bruder teilnahmslos dabei beobachtete, wie er den Raum verließ, begann ich mich zu fragen, wohin sie gegangen sein könnte und vor allem, warum sie mich alleine gelassen hatte. Dass sie die vergangene Nacht bereuen könnte, konnte ich mir nicht vorstellen. Der Gedanke, dass sie nur aus Mitleid mit mir geschlafen hatte, war so abwegig, dass ich gar nicht erst darüber nachdenken wollte. Ich stieß die Luft aus meinen Lungen, setzte mich auf die Bettkante und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. Ich hatte das Verlangen in ihrem Blick gesehen und ihre Gefühle hatten sich in ihrem hübschen Gesicht widergespiegelt. Ich brauchte nicht in ihrem Kopf zu schnüffeln, um zu wissen, dass sie mich genauso liebte und brauchte, wie ich sie. Sie war die Mutter, die ich nie gehabt hatte, die Freundin, die ich schon so lange vermissen musste und die Geliebte, die mich besser verstand, als jeder andere. Ein Grinsen umspielte meine Mundwinkel und widerstandslos ließ ich mich an den weichen Körper ziehen, den ich hinter mir fühlte. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, zwischen wessen geöffneten Schenkel ich saß und wem die Brust gehörte, die sich gegen meinen Rücken drängte. Nachdem Shion gegangen war, hatte sie diesen Raum durch das zimmereigene Bad betreten, dessen zweite Tür in den Flur mündete. Ihre Arme schlagen sich um meine Taille und ich legte den Kopf in den Nacken. Annähernd fünf Minuten vergingen, in denen wir uns nur schweigend ansahen. Ich schloss die Augen und wartete auf den Kuss, den sie mir stillschweigend versprach. Ihr Mund legte sich auf den meinen und sie schob mir die Zunge zwischen die geöffneten Lippen. Diese Liebkosung war scheu und doch leidenschaftlich und darum ein umso stärkerer Angriff auf meine Selbstbeherrschung. So viel stand zwischen uns, doch nichts davon war unser eigenes Werk. Ich hob den Arm, legte die Hand an ihre Wange, strich mit den Fingerknöcheln über ihre Haut und keuchte leise auf. Ich spürte, dass sie ebenso verzaubert war, wie ich. Gefangen in diesem Moment und was sich außerhalb der Welt abspielte, die wir um uns herum errichtet hatten, verlor an Bedeutung. Die junge Frau seufzte, und ich fing den Laut ein. Ihr Mund war weich und süß, einladend und verlockend, doch ich vertiefte ihren Kuss nicht, wahrte einen gewissen Höflichkeitsabstand, aufgrund der Befürchtung, das jemand mein Zimmer betreten könnte, der unser Geheimnis niemals erfahren durfte. Stattdessen ließ ich meine Lippen über ihre gleiten und begann mit ihr zu spielen, dass mir die Sinne zu schwinden drohten. Als dass Atem schwer wurde, weil mir meine Erregung die Knie weich werden ließ, löste ich mich von ihr und sah, wie sie mich, mit leuchtenden Augen, anguckte. Fortsetzung folgt ... Kapitel 12: Forbidden kiss -------------------------- [Anmerkung des Autors: Nach langer Pause ist es endlich soweit und ich präsentiere euch das 12te Kapitel von Together. Ich entschuldige mich bei allen Lesern dafür, dass ihr so lange warten musstest. Es tut mir Leid. Also: Lange Rede, kurzer Sinn. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen^-^] ______________________________________________________________________________________________________________________________________ Wir waren uns auf einer Ebene nahe gewesen, die wir nicht einfach ignorieren konnten. Nachdem Ryan und ich miteinander geschlafen hatten, fiel es uns deutlich schwerer unseren Alltag zu bewältigen, ohne den Rest der Familie Cornwell an unserem Geheimnis teilhaben zu lassen. Seit jenem Augenblick, wussten wir, was wir füreinander empfanden, aber keiner von uns wagte es, es auszusprechen. Wahrscheinlich aus Angst, verletzt zu werden, denn uns beiden war bewusst, dass wir nur zusammen sein konnten, solange wir weiterhin Seelische Distanz zueinander wahrten. Und dann war ich auch noch ungewollt zu Ryans Affäre geworden. Er kam zu mir, wenn sich jeder in diesem Haus zur Nachtruhe begeben hatte und ging, bevor die Sonne ihre Strahlen über den Horizont warf. Größtenteils bemerkte ich es nicht, wenn er wieder verschwand. Schließlich musste die Fassade aufrechterhalten werden, ich sei nur ein Dienstmädchen für ihn. Das mussten jedenfalls Adrian und Mrs. Cornwell weiterhin glauben. Die Konsequenzen, die unser Handeln mit sich zog, traute ich mir nicht einmal vorzustellen. Wenn sich Ryan aus meinem Zimmer schlich, lag ich schon in den Kissen und schlief tief und fest. Erschöpft aber durchaus glücklich und trotzdem konnte ich den leisen Schmerz nicht leugnen, der sich in meinem Herzen breit machte; immer wenn ich aufwachte und erneut die leere Seite meines Bettes betrachtete. Wie an diesem Morgen. Als ich die Lider hob, war ich, wie erwartet, allein. Resigniert seufzend richtete ich mich auf, blinzelte in den grellen Sonnenschein und versuchte meine Sicht zu klären, indem ich mir, mit den Handballen, über die Augen rieb. Gähnend streckte ich meine noch müden Muskeln und stolperte ungeschickt durch den Raum, nachdem ich aufgestanden war. Ich brauchte eine Dusche, um den Kopf freizubekommen. Die Erinnerungen an die vergangene Nacht hielten mich gefangen. Wie ein Schiff auf hoher See, wankte ich in mein Badezimmer und schlurfte in die Duschkanine aus Marmor, bevor ich leicht ungeschickt nach dem Wasserhahn griff und geschlagene fünf Minuten benötigte, bis ich die Temperatur eingestellt hatte. Seufzend genoss ich den belebenden Sprühregen, der auf meinen nackten Körper niederprasselte und lehnte mich dabei gegen die kalten Kacheln der Wand. Meine Knie waren weich und schienen dagegen zu protestieren, mein Gewicht weiterhin tragen zu müssen, dabei hatte der Tag gerade erst angefangen. Deprimiert ließ ich die Schultern hängen und ergab mich den Bildern, die in mir aufstiegen und mich spüren ließen, was ich in den Armen von Ryan fühlte. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich diese kalte Stimme hörte, die selbst das Rauschen des Wassers nicht übertönen konnte und mir jagte ein kalter Schauer über den Rücken. Nur zögernd drehte ich mich um und sog scharf die Luft in die Lungen, als ich Avalon direkt ins Gesicht sah und das gehässige Grinsen bemerkte, das seine Mundwinkel umspielte. Entsetzt starrte ich ihn an, unfähig den Blick abzuwenden. Was hatte dieser Mistkerl hier zu suchen? Die nackte Panik saß mir im Genick, als er die Hand nach mir ausstreckte. Ein Schrei lag mir auf den Lippen, doch da wechselten seine Finger bereits die Richtung und er drehte bloß den Wasserhahn zu. Mit jeder verstreichenden Sekunde wurde das Gefühl beklemmender, das ich in seiner unerwünschten Gegenwart empfand und das Herz schlug mir hart und schmerzhaft gegen die Rippen. Ich wollte den Kloß hinunter zwingen, der mir im Hals saß, doch meine Kehle war so ausgetrocknet, dass sie mich an die Wüste Sahara erinnerte. Ich wollte nicht mit ihm allein sein. Zumindest nicht in einer solchen Situation und schon gar nicht ohne Schlagring, um mich zu Verteidigen. Nackt kam ich mir so schutzlos, so verletzlich und angreifbar vor. Ich hatte selbst gesehen, wozu dieses Arschloch fähig war und dass er eine perverse Freude daran hatte, andere zu verletzen. Warum war Adrian hier? Was wollte er? Wieso stand er vor mir? Hatte er etwa etwas bemerkt? Wusste er was Ryan und ich hinter seinem Rücken trieben? Nein, es war noch viel zu früh. Jetzt durfte er es noch nicht rausgefunden haben. Mir war nicht bewusst, dass ich in dieser Sekunde ein Stoßgebet Richtung Himmel schickte. Das fiel mir erst auf, als mir die Wörter 'Lieber Gott' über die Zunge perlten. Bevor ich mir auch nur ansatzweise Gedanken darüber machen konnte, was jetzt zu tun war, packte er plötzlich grob meinen Ellenbogen und zerrte mich unter der Dusche hervor. Unter meinen nassen Füßen war der Boden glitschig und ich fand kaum Halt, trotzdem versuchte ich mich aus seinem Griff zu winden, doch genauso gut hätte ich versuchen können, die Eisenstange einer Gefängniszelle, mit bloßen Händen, zu verbiegen. Schmerzerfüllt zuckte ich zusammen und unterdrückte jeden Laut, der diesem Wichser gezeigt hätte, das er mir wehtat. Diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben. "Weißt du, ich überlege die ganze Zeit, was an einer kleinen Nutte, wie dir, so toll sein könnte", meinte er nüchtern. Seine Wortwahl strafte seine höfliche Stimme Lügen und mir jagte ein kalter Schauer über den Rücken. Eine dunkle Vorahnung brach über mir zusammen. "Vielleicht muss ich dich auch mal ficken, um herauszufinden, wieso mich dieser Bastard betrügen kann." Verdammt! Er war also über alles im Bilde. "Vielleicht weil ich kein perverser Sadist bin?", schlug ich mutig vor und versuchte das Zittern zu unterdrücken, das meine Muskeln befiehl. In der auffrischenden Morgenbrise, die durch das geöffnete Fenster hereinwehte, fror ich erbärmlich. Wenn ich doch nur einen Bademantel oder dergleichen hätte! "Lass mich endlich los." Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer und jetzt bebte ich nicht mehr wegen der Kälte, sondern aus Angst. Was hatte er jetzt vor und wie weit würde seine Rache gehen? Die Vorstellung, er könnte seine Drohung wahr machen, ließ mir das Herz schmerzhaft gegen die Rippen hämmern und ich wehrte mich dagegen, das Bewusstsein zu verlieren. Ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. "Das Problem ist nur, dass ich bei den Gedanken, eine Pussy zu lecken, kotzen könnte", sprach er unbeirrt weiter, ohne auf meinen Einwand einzugehen und schliff mich mit sich, in mein Zimmer. Grob stieß er mich dort aufs Bett. "Was machen wir also?" Während er mir diese Worte an den Kopf warf, blieb sein Gesicht gleichbleibend Emotionslos und Furcht wandelte sich in namenlose Wut. Rasch bedeckte ich meine Blöße, mit der Bettdecke und nachdem ich meine Rundungen verhüllen konnte, erwachte mein Kampfgeist und jegliche erniedrigende Äußerung, die seinem ekelhaften Mund verließ, trieb mir die Galle hoch. Zornig knirschte ich mit den Zähnen und beobachtete Adrian dabei, wie er auf und ab zu gehen begann. Ausgerechnet dieser Mistkerl wagte es, mich zu verteufeln und mich mit einer Hure auf eine Stufe zu stellen, die für jeden willig die Beine breit machte. Dabei trug er allein die Schuld daran, das Ryan ihn nicht lieben konnte. "Der Gedanke deinen Schwanz zu lutschen, ist auch keine geile Vorstellung", spie ich verächtlich aus und ballte die Fäuste; gegen den Wunsch ankämpfend, diesem vornehmen Drecksack sämtliche Zähne auszuschlagen. Ich zwang mich selbst zur Ruhe und beschränkte mich darauf, ihn mit Worten in seinem Stolz zu kränken. "Aber bei Ryan …", fügte ich gespielt schwärmend hinzu und seufzte tief und genüsslich auf. "Ich kann es kaum erwarten, bis er seinen harten Ständer endlich wieder in meinen Arsch rammt!" Dass meine Worte völlig bedeutungslos waren und nur dazu diente, Avalon auf die Palme zu treiben, musste dieser Typ natürlich nicht wissen. Und ich würde einen Teufel tun und ihm das sagen. So als wäre ich tief in Gedanken versunken und würde mir diesen Moment, in dem Ryan es mir, angeblich, anal besorgt hatte, noch einmal ins Gedächtnis rufen, starrte ich vor mich hin und ignorierte mit Absicht, den ungebetenen Gast in meinem Zimmer. Adrian blieb stehen, drehte sich zu mir um und hob die Augenbrauen. Sein Grinsen wurde breiter. "Sieh an, die kleine Hure wird aufmüpfig", meinte er süffisant, bevor sich, in der nächsten Sekunde, seine Miene verfinsterte und einen bedrohlichen Ausdruck annahm. "Wenn ich könnte, dann würde ich dir, den Hals umdrehen … weißt du eigentlich, wie sehr …" "Ich bin zutiefst betroffen. Was für eine vulgäre Ausdrucksweise", erklang eine Stimme, die Avalon in seinem Redeschwall unterbrach und mir unbekannt war. Verwirrt riss ich meinen Blick von dem Schwarzhaarigen los, der den Eindruck machte, als würde er sich auf mich stürzen wollen, wie ein machthungriges Tier, und sah zur Tür, die weit offen stand. Ich neigte den Kopf zur Seite und zog die Unterlippe zwischen meine Zähne. War sie nicht verschlossen gewesen? War Adrian wirklich so unvorsichtig? Wenn dieser sadistische Bastard seine Drohung tatsächlich wahr machen wollte, wäre sein Plan spätestens dadurch sabotiert worden, dass jeder meine Schreie gehört hätte. Ich wurde aus meinen Überlegungen gerissen, als ein silberhaariger Junge den Raum betrat. Er strahlte Autorität und Macht aus, obwohl er die Ärmel seines aufgeknöpften Hemdes bis über die Ellenbogen geschoben, die Krawatte lose um seinen Hals hängen und die Hände in den Hosentaschen vergraben hatte. Seine Schritte waren zielsicher und elegant. In seinen anmutigen Bewegungen war nicht das leiseste Zögern zu erkennen. Ich zog die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch und konnte nicht verhindern, dass mir das Blut heiß in die Wagen schoss, als mich dieser Fremden mit seinen hellblauen Augen zu mustern begann. Mit einem Blick, der alles zu wissen und verstehen schien, sah er mich an. Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass dieser Kerl in meinen Kopf vordrang und meine Finger verkrallten sich so fest in den Stoff, dass die Knöchel, unter meiner Haut, Weiß hervortraten. Und zu allem Überfluss kam der Kerl direkt auf mich zu! "Ich hatte mich der Annahme hingeben, dass Ihr Euch Eures adeligen Standes bewusst wärt, Mylady", sagte er vornehm und ich blinzelte irritiert. Nicht verstehend, warum er in dieser Art und Weise mit mir sprach und wieso er behauptete, das ich aus Kreisen stammte, an die ich mich nicht entsinnen konnte. "Erlaubt mir, mich vorzustellen", fügte er galant hinzu, nahm meine Hand in seine und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken. "Mein Name ist Hamied … Hamied Cornwell. Es ist mir eine Ehre Euch kennen zu lernen." Wie konnte es möglich sein, dass dieser Kerl ebenfalls Cornwell hieß? Obwohl … Jason hatte mir, vor längerer Zeit, einmal gesagt, dass jeder, der aus dem Geschlecht der Cornwells stammte, auch diesen Nachnamen trug und wer in die Familie einheiratete, übernahm den Namen ganz automatisch. Sie waren wie eine eigene Rasse. Ich schaute über die Schulter von Hamied und betrachtete die wutverzerrte Miene von Adrian, der wohl zwischen Verwirrung und Hass hin und her gerissen war. Das erste Mal, seit ich diesen Drecksack kannte, schienen wir fast die gleichen Gefühle zu haben und das war mir schon wieder so unheimlich, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken jagte. Beim nächsten Lidschlag stürmte Avalon bereits aus dem Zimmer und befreite mich endlich von seiner lästigen Anwesenheit. Warum nahm sich Hamied nicht ein Beispiel daran? Als hätte er meine Gedanken gehört, lächelte er charmant und sagte im höflichen Ton: "Wir werden und bald wieder sehen, Lady Fiona." Damit ging auch er und ich blieb ratlos und verunsichert zurück. *** Ich hatte nicht gewusst, dass Hamied mit 'wiedersehen' zwei Tage später meinte. Es war auf der Hochzeit, die ich seltsamerweise vollkommen vergessen hatte, auf der ich herausfand, wer dieser silberhaarige Junge war, dessen Sprechweise auf groteske Weise im Widerspruch zu seinem Kleidungsstil stand. Er war der Sohn des Familienrates, der aus einer Frau und einem Mann bestand. Er saß mit diesen Personen, die gleichermaßen gefürchtet wie respektiert wurden, am Kopf der Tafel und hielt seinen Blick auf das Weinglas gesenkt. Ob er mir dabei helfen könnte, seine Eltern dazu zu bringen, Ryan von diesem Scheusal zu befreien, das sich Adrian Avalon schimpfte? Ich neigte den Kopf zur Seite, zog die Unterlippe zwischen die Zähne und verwarf diesen Gedanken, bis auf unbestimmte Zeit. Wenn ich meiner Aufgabe nicht nachging, dann würde mich Mrs. Cornwell wieder tadeln, wie es ihre liebste Beschäftigung zu sein schien. Ich schnitt eine Grimasse und balancierte das Tablett weiterhin durch die Reihen der anwesenden Gäste, wobei mein Blick auf die Tanzfläche fiel und ein amüsiertes Lächeln über meine Mundwinkel huschte. Ich hatte Cain, Leons jetziger Ehemann, noch nie zuvor gesehen und wieder einmal bestätigte sich die unausgesprochene Ungerechtigkeit dieser Welt. Die süßesten Jungs waren alle schwul. Ich seufzte auf und fragte mich, ob die Mütter dieser beiden Männer, sich damit abgefunden hatten, dass sie am Tag der Hochzeit keine Frau in einem weißen, langen Kleid tanzen sehen würden. Ich schnitt eine Grimasse und rammte meine Zähne fest in meine Unterlippe. Das war schon wieder so eine unnötige Überlegung. Zumindest Mrs. Cornwell hatte das schließlich so eingefädelt, das ihre Söhne allesamt auf Männer standen. Ich ging weiter, durchstreifte die Reihen der Menschen und suchte Personen, die sich eine Erfrischung aufschwatzen lassen würden. Wenn ich alle Gläser verteilt hatte, könnte ich eine halbe Stunde Pause machen. Meine Füße taten schon weh und ich hatte Hunger. Verdammt. Wie konnte ich meine Arbeit am schnellsten beenden? Ich sah nach links und rechts und warf einen verstohlenen Blick über meine Schulter. Niemand beobachtete mich. Fast sehnsüchtig betrachtete ich das geöffnete Fenster. Ich konnte doch nicht einfach … Ich schüttelte den Kopf und traute mich nicht einmal, diese Überlegung fortzuführen. Verärgert wanderte ich weiter und ignorierte den Schmerz, der sich von meinen Schuhsohlen einen Weg durch meinen Körper bahnte und mir direkt ins Gehirn schoss. Ich hatte mir eine Blase gelaufen, die wie Feuer brannte und ich wollte einfach nur endlich aus diesen Schuhen raus. Warum mussten die Dienstmädchen, die in diesem Haus lebten, auch Plateausohlenstiefel tragen und dazu so einen Fummel mit Rüschen und Spitze? In dem Moment, in dem ich diese Klamotten zum Teufel wünschte, riss mir plötzlich jemand das Tablett aus den Händen und ich hörte Glas klirren, so dass ich erschrocken zusammen zuckte. Irritiert drehte ich mich um und stieß dabei mit jemanden zusammen. Ungeschickterweise verlor ich die Balance und drohte zu fallen, hätten sich nicht schlanke Finger um mein Handgelenk gelegt und mich festgehalten. Ich wurde wieder hochgezogen und an einen Körper gepresst, von dem ein aufregendes Parfüm ausging. Ich hob den Kopf und erstarrte, auch wenn ich bereits vorher gewusst hatte, das nicht derjenige vor mir stand, den ich zu sehen erwartet hatte. Scharf sog ich die Luft in meine Lungen. Hamied beobachtete mit seinen hellblauen Augen, jeden meiner zittrigen Atemzüge und mir trocknete die Kehle aus. Ich hätte nicht vermutet, dass er sich mir noch einmal nähern würde. Und dann auch noch an einem Ort wie diesem, an dem ihn jeder sehen konnte. Wortlos umfasste er meinen Ellenbogen. Sein griff war kraftvoll, aber keinesfalls grob. Ohne auf meinen Protest zu achten, dass ich noch meine Arbeit beenden musste, zog er mich mit sich. Fort von dem Ballsaal und der Hochzeitsgesellschaft. Mir war nicht bewusst, welche Richtung er einschlug oder wohin er ging. Diese Tatsache drang erst in meinen Verstand vor, als er mich losließ und ich überrascht feststellte, dass ich in meinem Zimmer, vor meinem Bett, stand und er keine zwei Meter von mir entfernt am Bettpfosten lehnte, über den der Baldachin gespannt war. Ich neigte den Kopf zur Seite und fragte mich, was er von mir wollte. Ich hatte ungutes Gefühl und dieses Empfinden bestärkte sich noch, als er zu sprechen begann und seine Züge dabei völlig reglos blieben. "Warum besteht Ihr darauf, in dieser sterblichen Hülle zu verweilen, obwohl ihr kein Mensch seid?", wollte er wissen und der Knoten, der schon zuvor in meinem Magen existiert hatte, zog sich enger. "Efora, versteht ihr denn nicht, wie sehr ich mich nach Euch sehne?" Entgeistert blickte ich ihn an und hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Ich begriff nicht, was er von mir wollte oder warum er mir diesen Namen gab. Das ganze ergab für mich keinen Sinn. Bevor ich noch eine Gelegenheit bekam, meine Überlegungen fortzuführen, wurde ich an den Schultern in die Kissen gedrückt; Hamied über mir. Seine Augen funkelten und er lächelte mich sanft an. Das Herz schlug mir bis zum Hals und die Röte lag heiß in meinen Wangen. Er streichelte mir durch die Haare und bevor ich ihn daran hindern konnte, legte sich sein Mund hauchzart auf meine Lippen. Seine Finger nestelten an den Knöpfen meiner Uniform, während ich meine Hände gegen seine Brust stemmte und ich ihn wegzustoßen versuchte, doch scheinbar kümmerten ihn mein Bemühen weniger als ein Mückenstich. Er ließ sich in seinem Vorhaben nicht stören und zog mir den Stoff von der Haut, ohne auf meine Gegenwehr zu achten. Küsse auf meiner Haut verteilend, fuhr er mir über den Hals und die Tränen quollen unter meinen geschlossen Wimpern hervor … Fortsetzung folgt ... Kapitel 13: Secrets are revealed -------------------------------- Er war sanft, er war zärtlich und doch … er durfte das nicht, er hatte kein Recht dazu, er sollte mich nicht anfassen! Wie ein Fisch auf dem Trockenen begann ich zu zappeln; schlug mit den Fäusten um mich und versuchte nach ihm zu treten, doch all meine Bemühungen entlockten ihm nur ein raues, spöttisches Lachen. Hamied wich meinen Angriffen geschickt aus, so dass ich mich bereits fragte, ob er vorhersehen konnte, was ich vorhatte. Aber das war lächerlich. Woher sollte er wissen, was ich tun würde? In der nächsten Sekunde wurden meine Hände bereits auf die Matratze gedrückt und ich war ihm hilflos ausgeliefert, dazu verdammt still unter ihm zu liegen. Nein. Ich würde mich nicht erneut in ein Schicksal fügen, das mein Herz und meine Seele zerstörte und darum bäumte ich mich entschlossen auf und holte tief Luft, um zu schreien. Aber bevor ich dazu kam, nach Hilfe zu rufen, verschloss er meine Lippen wieder mit seinen. Aber ich war nicht bereit so einfach aufzugeben und rammte meine Zähne fest in seine Unterlippe. Ich hörte, wie er zischend die Luft ausstieß und einen Fluch murmelte, mich jedoch nicht freigab und meine Attacke ihr Ziel somit verfehlte. Hamied war, für mich, wie all die anderen Drecksäcke, die Frauen und Kinder vergewaltigten und sich keinen Deut darum scherten, was sie ihren Opfern damit antaten. Allein diese Überlegung reichte aus, damit ich den Mut aufbrachte, den ich benötigte, um ihn zu zeigen, dass ich mich nicht von ihm berühren lassen wollte. Verbissen kämpfte ich um meine Freiheit und scheute auch nicht davor zurück, einen Cornwell zu verletzten. Auch diese Leute waren nur Menschen und keine Götter. Mir kam eine Idee, mit der ich ihn mir vielleicht vom Hals halten könnte und während er wieder versuchte mich zu küssen, zwängte ich meine Beine zwischen unser beider Körper und stützte meine Füße gegen seine Brust, nur um ihn, mit einer Kraft, die ich mir selbst niemals zugetraut hätte, von mir zu stoßen. Damit schien er nicht gerechnet zu haben, denn er verlor das Gleichgewicht und rollte von mir runter, scheinbar zu überrascht, um rechtzeitig zu reagieren und mich aufzuhalten. Ich nutzte die Chance, die sich mir bot. Ich hatte keine Gelegenheit meinen Triumph auszukosten, stattdessen sprang ich vom Bett und rannte quer durch den Raum, bis ich die rettende Tür erreichte, doch zu meinem großen Entsetzen, war diese verschlossen. Panisch rüttelte ich an der Türklinke und schrie, während ich mit den Fäusten auf die hölzerne Barriere einschlug, doch ich wusste, dass meine hysterischen Hilferufe ungehört in den leeren Fluren der Villa widerhallen würden. Jeder, der in diesen Mauern verweilte befand sich im Ballsaal, bei dem angetrunkenen Rest der Hochzeitsgesellschaft. Das Herz hämmerte mir schmerzhaft gegen die Rippen und das Blut rauschte mir laut in den Ohren, als ich seine Samststimme hörte, die amüsiert und gleichzeitig doch so erschreckend ernst, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten, von der hohen Decke meines Zimmers schallte. Mir gefror das Blut in den Adern und für wenige Minuten war ich vor Angst wie gelähmt, doch Sekunden später trieb die Furcht meine Bewegungen wieder an und ich wollte nichts sehnlicher, als der Gefahr entkommen, die von diesem Kerl ausging. "Ich hatte bereits mit einem schlecht organisierten Fluchtversuch gerechnet", meinte er spöttisch und lachte leise. Ein Schauer jagte mir kalt über den Rücken. "Deswegen nahm ich mir die Freiheit und habe die Tür verschlossen, Mylady." Ich liebe Ryan! Niemand außer ihm hat das Recht mich anzufassen. Bevor er sich mir nähern konnte, hetzte ich zum Kamin und ergriff den Schürhacken, den ich wie ein Schwert in den Händen hielt, jederzeit bereit, mich mit diesen eisernen Gegenstand zu verteidigen. Ich zitterte wie Espenlaub und die Knie wurden mir weich, aber ich weigerte mich, mich meiner aufsteigenden Verzweiflung zu ergeben. Ich hatte das Gefühl in einem Albtraum gefangen zu sein. Wo waren die Kameras? Warum sagte mir niemand, dass ich gerade ungewollt in einem schlechten Horrorfilm mitspielte? Bitte, das durfte nicht wahr sein. Gott musste mich hassen! Er konnte mich nur zutiefst verabscheuen, wenn ich solche grausamen Dinge zu erdulden hatte. War das, was ich für Ryan empfand, denn wirklich so falsch? Wurde ich dafür bestraft, dass ich mich in verliebt hatte? Ich biss mir auf die Unterlippe und spürte die heißen, salzigen Tränen, die mir aus den Augenwinkeln rannen; das Beben meines Unterkiefers, das von unterdrücktem Schluchzen zeugte. "Verzeiht mir, Lady Fiona", hörte ich Hamied sagen und jede Spur von Sarkasmus war aus seiner Tonlage gewichen. "Nachdem ich Eure tiefen, aufrichtigen Gefühle gespürt habe und Euren Gedanken lauschen durfte, werde ich Euch nicht weiter auf die Probe stellen. Ihr habt den Test bestanden und jetzt weiß ich, dass Ihr ein ehrliches, liebenswertes Geschöpft seid." Ich blinzelte verwirrt, nicht verstehend, was er mir damit sagen wollte, doch das interessierte mich auch nicht. Er sollte nur verschwinden. Ich wollte ihn nicht in meiner Reichweite haben. Hasserfüllt starrte ich ihm entgegen, beobachtete, wie er sich vom Bett erhob und erstarrte, nachdem er plötzlich, keine fünf Schritte von mir entfernt, vor mir stand. Hamied hob abwehrend die Hände und bedeutete mir, dass er keine Gefahr darstellte. Aber das hätte er sich früher überlegen müssen, denn aus einem Impuls heraus, schlug ich mit den Schürhacken kreischend um mich. Ich würde ihn auch den Schädel einschlagen, wenn es sein musste. Alles besser, als erneut das Opfer einer Vergewaltigung zu werden. Nie wieder wollte ich so etwas erleben. Auch wenn ich vier Jahre alt gewesen war, selbst wenn es sechszehn Jahre zurücklag, den Horror, den ich in jenem Moment empfunden hatte, hatte sich tief in mein Herz gebrannt. Ich konnte nichts sehen, weil ich die Augen zugekniffen hatte, doch weil ich keinen Widerstand spürte, war ich mir sicher, dass er mir auswich. Aber bevor ich zu weiteren Gedankengängen ansetzen konnte, wurde mir der Schürhacken aus der Hand gerissen und ich sackte in die Knie, bereitete mich innerlich darauf vor, geschändet und als Lügnerin hingestellt zu werden, wenn ich jemanden davon erzählte. Verzweiflung schlug über mir zusammen, wie eine gewaltige Welle. Ich wusste nicht, ob ich hysterisch lachen oder bitterlich weinen sollte. Würde sich mein Leben niemals denn ändern? "Steht auf." Ich ließ den Kopf hängen und schwieg, ignorierte seine Worte und fragte mich nur, ob er wollte, dass ich ihn auch noch dabei zusah, wenn er mich beschmutzte. Verlangte er vielleicht, dass ich ihn um Gnade anbettelte? Nein, das würde ich nicht tun. Dieses Verhalten Verbot mir der klägliche Rest Stolz, den ich noch besaß. Ein bitteres Lächeln umspielte meine Mundwinkel und ich konnte die Tränen nicht länger zurückdrängen. "Steht auf, Lady Fiona Cornwell." Gleichermaßen überrascht wie entsetzt blickte ich auf. Wieso gab Hamied mir diesen Nachnamen? Ich hieß Fiona Llewllyn. Wusste dieser Trottel das etwa nicht oder verwechselte er mich eventuell mit jemand? Obwohl sich jede Faser meines Körpers dagegen weigerte, seinen Anordnungen zu gehorchen, stand ich auf, blieb jedoch weiterhin aus seiner Reichweite. Ich traute ihm nicht und das aus gutem Grund. Warum war Ryan nicht bei mir? Weshalb hatte er nicht auf mich aufgepasst? Verdammt. Er hatte es versprochen. Er hatte es geschworen! "Scheinbar hat Euch niemand das Geheimnis um Eure Geburt verraten, wenn Ihr dermaßen erschrocken reagiert." Er zuckte die Schultern und begann auf und ab zu gehen, so dass ich bereits befürchtete, dass er eine sichtbare Laufspur in meinem Teppich hinterlassen würde. "Ehrlich gesagt, überrascht es mich nicht, dass Euch Eure Mutter Eure wahre Herkunft verschwiegen hat, immerhin hat sie gegen die Regeln unserer Familie verstoßen und es gewagt, einen Außenseiter zu Ehelichen. Sie hat uns alle verraten!" Lügen, nichts als schmutzige Lügen! Ich gehörte nicht zu dieser Familie und meine Mutter war ein wundervoller, herzensguter Mensch gewesen, der immer gelächelt hatte. Ich presste mir die Hände auf die Ohren und begann laut zu singen, um seine Stimme zu übertönen. Er sollte aufhören die Erinnerungen in den Dreck zu ziehen, die ich in meinem Herzen bewahrt hatte. Hamied sollte mich endlich in Ruhe lassen. "Sei still!", schrie ich ihn verzweifelt an. "Halt endlich den Mund." Meine Arme wurden unerbittlich nach unten gedrückt und festgehalten. "Wollt Ihr die Augen vor der Realität verschließen?", herrschte er mich an. "Seit Ihr noch immer ein Feigling und lauft davon, anstatt Euch der Wahrheit zu stellen?" Er lachte bitter und mir jagte ein kalter Angstschauer über den Rücken. "Habt Ihr Euch nie gefragt, warum ihr das seltsame Verhalten der Brüder widerspruchslos hinnehmt ohne dass Ihr Euch darüber wundert?" Er wartete keine Antwort ab, sondern fuhr ungerührt fort: "Wieso hat es Euch nie erstaunt, wenn Shion Dinge wusste, die sich erst Tage oder Monate später ereigneten? Warum glaubtet Ihr nie, dass Ihr unter Halluzinationen leidet, wenn sich Alister schneller bewegt hat, als es für Menschen möglich ist? Warum dachtet ihr nie an eine Sinnestäuschung, wenn Kai etwas angehoben hat, das unter normalen Umständen unmöglich wäre? Warum wart ihr in Leons Gegenwart stets ruhig und ausgeglichen, obwohl ihr kurz vorm Explodieren wart? Oder Ryan … findet Ihr es nicht merkwürdig, das er über Euer Leben Bescheid weiß, obwohl Ihr Euch ihm nie anvertraut habt?" Noch während Hamied seine Aufzählung weiter führte, stürmten Bilder meinen Geist, die mich zurück in die Vergangenheit schleuderten und ich hatte das untrügliche Gefühl etwas vergessen zu haben, etwas wichtiges, das kontinuierlich in meinen Inneren schrie und um Beachtung kämpfte. Ich biss mir auf die Unterlippe und senkte den Blick zu Boden, wusste ich doch nichts mit den Emotionen anzufangen, die mich dazu brachten mich auf das Bett zu setzen und zitternd nach Luft zu holen. Meine Brust war in einem geistigen Schraubstock eingespannt. Ich beugte mich vor und stützte die Ellenbogen auf meinen Oberschenkeln ab, bevor ich meine Stirn gegen meine übereinander gestützten Hände lehnte. Ich erinnerte mich. Ich erinnerte mich an den Tag, als mir Mr. Cornwell gesagt hatte, welches Geheimnis die Brüder umgab und warum es so wichtig war, dass sie sich von anderen Menschen fernhielten. Das war kurz nachdem ich hier her gekommen war, in dieses Haus. Wahrscheinlich wären die fünf in eine geschlossene Anstalt eingeliefert worden oder die Behörden hätten irgendwelche Experimente an ihnen durchgeführt. Vermutlich hatte Jason gewusst, das ich zu klein war, um mich später noch daran zu entsinnen, was er mir anvertraute hatte, aber ihm war wohl auch klar, dass diese Nachricht mein Denken intuitiv beeinflussen und ich die Familie fortan beschützen würde, indem ich schwieg und niemanden davon erzählte. "Und welche Rolle vertrittst du in diesem makaberen Szenario?", wollte ich sarkastisch wissen und fragte mich, wie mir das beweisen sollte, dass ich zu dieser Familie gehörte. Ich hatte scheinbar schon immer über die Fähigkeiten der Brüder Bescheid gewusst. Na und? Was sagte das aus? Gar nichts. Obwohl … "Ich bin derjenige, der alle Fähigkeiten ins sich vereint", erklärte er mir und meine Lider weiteten sich erschrocken. Er jedoch zuckte nur unberührt die Schultern. "Gedankenlesen, Zukunftsvisionen, Kraft, Schnelligkeit, Manipulation … ich wurde geboren, um zu sterben. Niemand, der den Fluch aller fünf Gaben in sich getragen hatte, wurde älter als sechsundzwanzig Jahre." Ich starrte ihn an, nicht begreifend, wie er so teilnahmslos davon reden konnte, dass er in zirka neun Jahren sterben würde. Der Gedanke, seit der Geburt vom Tod umringt zu sein, schnürte mir die Kehle zu. Ich begann zu zittern und schlang die Arme um meine Mitte, als würde mir diese Position halt geben. Wie ein verängstigtes Kind, wog ich mich vor und zurück und die Tränen flossen mir in Strömen über die Wangen. "Ihr braucht mich nicht bemitleiden", wertete er meine Gefühle ab und schluchzend betrachtete ich sein distanziertes Gesicht. "Um auf das eigentliche Thema zurückzukommen. Der deutlichste Beweis, das Ihr zu unserer Familie gehört, ist die Tatsache, dass Ihr von Jason aufgenommen wurdet und er Euch hier her gebracht hatte." Er grinste und trat auf mich zu. "Ein Außenseiter hat hier nichts zu suchen. Also seit dankbar dafür, dass wir Euch noch gefunden haben, obwohl Euch Eure Mutter zu verstecken versucht hatte." Er hatte Recht. In dieser Familie existierte ein System, um das Geheimnis zu hüten, wie ich jetzt wusste, und die Ausführung würde wohl allgemeinhin als 'Inzest' beschrieben werden, aber das entsprach nicht den Tatsachen. Die vielen verschiedenen Gruppen, aus denen die Cornwells bestanden und die über die gesamte Welt verteilt waren, heirateten zwar untereinander, aber niemals aus der gleichen Sippschaft. Diese Methode funktionierte schon seit fast sechshundert Jahren. Allein die Vorstellung, das Bruder und Schwester … das trieb mir die Galle hoch. Das Herz schlug mir hart gegen die Rippen und das Blut rauschte mir Laut in den Ohren, als ich Hamied weiterhin fixierte und dabei eine Frage in mir aufkam, die ich ihm nicht stellen wollte, auch wenn er meine Gedankengänge wahrscheinlich schon längst kannte. Unwillkürlich knirschte ich verärgert mit den Zähnen und meine Fingernägel gruben sich in den Stoff meines Kleides. "Keine Sorge. Ihr gehört zu den Cornwells, die in Australien leben", zerstreute er meine bedenken und ich atmete erleichtert auf. "Ihr habt nicht mit Euren Bruder geschlafen." Er zwinkerte mir amüsiert zu. "Das hätte Jason verhindert." Genau in dem Augenblick, als Hamied den Vater der Brüder erwähnte und das in dem Zusammenhang, der mir das Blut heiß in die blassen Wangen trieb, musste ich an jenen Abend in der Bibliothek zurückdenken, als uns dieser lächerlichen Vorschlag gemacht worden war, den Ryan und ich ohne jedes Zögern abgelehnt hatten. Jetzt hatte ich allerdings das Gefühl, dass ich noch einmal darüber hätte nachdenken sollen, bevor ich mich für das 'Nein' entschieden hatte. Scheiße! Verärgert biss ich auf meinen Fingernagel. "Die Gefühle, die ihr füreinander empfindet, hätten sich niemals so stark entwickelt, wenn Ihr dem Angebot zugestimmt hättet", warf Hamied ein und ich zog die Stirn kraus. "Ich bin mir sicher, dass es für alles einen Grund gibt und ich glaube daran, dass das Schicksal diesen Weg für Euch bestimmt hat, Lady Fiona Cornwell." Plötzlich bewegte er sich zu schnell, als dass ich ihn mit den Augen hätte folgen können und er kniete vor mir nieder, nahm meine Hand in seine und hauchte einen Kuss auf meine Haut. Fortsetzung folgt ... ______________________________________________________________________________________________________________ Ein Liedtext, den ich Recht passend zu 'Together we'ne never alone' finde ______________________________________________________________________________________________________________ Yui Again Japanischer Liedtext: Kono omoi wo Keshite shimau ni wa mada jinsei nagai deshou? Yarinokoshiteru koto yarinaoshite mitai kara. Yume no tsudzuki oikakete ita hazu na noni, magarikunetta hosoi michi hito ni tsumadzuki. Ano koro mitai ni tte modoritai wake ja nai no, nakushite kita sora wo sagashiteru. Wakatte kuremasu you ni, gisei ni natta you kanashii kao wa yamete yo! Tsumi no saigo wa namida ja nai yo. Zutto Kurushiku seottekunda. Deguchi nienai kanjou meiro ni, dare wa matter uno? Shiroi noge ni tsudzutta you ni, motto sunao ni hakidashitai yo. Nani kara nogaretainada? Genjitsu tte yatsu? Kanaeru tame ni ikiterunda tte, sakebitaku naru yo kikoete imasu ka? Bunan ni nante yatterarenai kara. Kaeru basho mo nai no. Yasashisa ni wa itsumo kansha shiteru. Dakara tyunyoku naritai. I’m on the way. Natsukashiku naru. Konna itami mo kangei jan. Deutsche Übersetzung: Um diese Gefühle auszulöschen, ist mein Leben noch zu lang. Ich möchte Dinge erledigen, die noch zu tun sind. Eigentlich wollten wir nur unseren Traum verfolgen, … aber auf dieser engen, sich windenden Straße stolpern die Menschen. Wir wollen ja nicht, dass alles wieder so ist, wie es einmal war, … sondern suchen nur nach unserem verlorenen Himmel. Mach nicht so ein Gesicht, … als wenn du zum Opfer geworden bist, nur damit ich verstehe! Die Last der Sünde endet nicht mit den Tränen. Diese Schmerzen trägt man immer auf dem Rücken. Auf wen wartest du in diesem Labyrinth der Gefühle, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint? Ich möchte es ehrlich herausschreien, wie, als wenn ich in ein leeres Notizbuch schreiben würde. Wovor versuchst du zu fliehen? Vor dem, was man 'Realität' nennt? Hörst du, dass ich schreien möchte, dass ich nur lebe, um es wahrzumachen? Man kann nicht alles ohne Fehler machen. Wir haben auch keinen Ort, an den wir zurückkehren können. Ich bin immer dankbar für diese Zärtlichkeit. Deswegen möchte ich stark werden. (Ich bin auf dem Weg) Ich sehne mich nach dir. Ich heiße auch diesen Schmerz Willkommen. Kapitel 14: Because that’s the way I love you --------------------------------------------- Seit ich mich erinnern konnte, war ich stets zu den Klippen gegangen, wenn ich nachdenken musste und auch jetzt hatte mich mein Weg wieder hierher geführt. Schweigend beobachtete ich die Sonne, die ihre Stahlen auf die Oberfläche des Meeres warf und das Wasser, wie mit unzähligen Spiegeln übersät, funkeln ließ. Die Seemöwen kreischten und die Wellen brachen sich an den klüftigen Felsen des Strandes. Der beißende Wind riss an den Strähnen meiner Haare und zupfte am Saum meines Kleides, während ich meine Gedanken zu sortieren versuchte. Ich sollte zu den Cornwells gehören? Ein Mitglied des Adels? Das konnte nur ein geschmackloser Scherz sein. Aber es würde zumindest vieles erklären, wie ich dennoch zugeben musste. Dinge, die mich verwirrt hatten, seit ich als Dienstmädchen eingestellt worden war. Warum besaß ich teure Kleider und Möbel? Wieso musste ich nicht rund um die Uhr arbeiten? Aus welchen Gründen ließ mir Mr. Cornwell eine kostspielige Schulausbildung angedeihen? Jetzt hatte ich zwar Antworten auf meine Fragen, aber ich hatte keine Ahnung, ob ich damit leben konnte. Ich liebte Ryan auch weiterhin, selbst wenn ich jetzt wusste, dass er mein Cousin war. Das spürte ich tief in meinen Herzen und eigentlich störte es mich auch nicht, es hatte sich nichts geändert. Und trotzdem … In meinen Augen war das System nicht schlecht, das sich die Familie aufgebaut hatte, um das Geheimnis zu schützen, doch das ich ein Teil davon war, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren und mir wurde kalt. Mit zitternden Fingern fuhr ich mir durch die Strähnen meiner Vorderhaare und zog mir die Kapuze meines Mantels über den Kopf. Meine Mutter hatte, seit ich zur Welt gekommen war, oft den Wohnsitz gewechselt. Obwohl sie immer versucht hatte, mir das Gefühl zu vermitteln zuhause zu sein, hatte mich der Glaube gequält, dass dies nicht der Ort war, an den ich gehörte. Sie hatte mich nur ständig aus meiner gewohnten Umgebung gerissen, weil ihr der Gedanke widerstrebt hatte, dass Jason und die anderen mich hätten finden können, wie ich jetzt begriff. Ich hatte ihr Vorwürfe gemacht und sie in einigen Augenblicken verflucht, nur um Jahre später herauszufinden, das sie mich damit nur hatte beschützen wollen. Es tat mir so furchtbar Leid. Aber das konnte ich ihr nicht mehr sagen. Sie war einfach gestorben und hatte mich zurückgelassen. Bei diesem versoffenen Mistkerl, der mein Stiefvater gewesen war und mir Gewalt angetan hatte. Ich seufzte resigniert auf und biss mir auf die Unterlippe. Was sollte ich jetzt tun? Warum sagte mir niemand, wie ich damit umzugehen hatte, dass auch ich gezwungen sein würde, einen Unbekannten zu heiraten, der aus einem weit entfernt lebenden Teil dieser Familie stammte? Zitternd holte ich nach Luft und zerknüllte den Saum meines Rockes in der Faust. Dass mir die Tränen über die Wangen liefen bemerkte ich zunächst nicht, erst in der Sekunde, als sich ein Schluchzen den Weg aus meinen geschlossenen Mund erkämpfte. Grob strich ich mir über die Tränennassen Wagen und zuckte Reflexartig zusammen, als ich ein Geräusch hörte. Mir stellten sich die Nackenhaare auf und nur zögernd warf ich einen Blick über meine Schulter. Dicht beieinander stehende Bäume und Büsche ließen den Wald finster und bedrohlich wirken, der sich hinter mir ersteckte und durch den ich hergekommen war. Erneut knackte etwas im Unterholz und mir jagte ein kalter Schauer über den Rücken. Obwohl mir die Angst die Kehle zuschnürte, konnte ich mich nicht bewegen. Eine innere Stimme drängte mich dazu, mich endlich zu erheben und loszulaufen, doch ich blieb wie erstarrt sitzen und hielt meine Augen auf das Blätterwerk gerichtet, das zu rascheln begann. Ich wollte schon schreien, als sich eine dunkle Gestalt aus dem Schatten erhob, doch bevor ich eine Gelegenheit dazu bekam, hörte ich seine melodische Stimme und plötzlich kam ich mir dumm und einfältig vor. "Ganz ruhig, ich bin es nur", sagte Ryan deutlich amüsiert und hob abwehrend die Hände, als er auf mich zukam. "Was tust du hier?", fügte er mit einem leicht tadelnden Ton hinzu. "Warum fragst du mich überhaupt? Du kannst meine Gedanken lesen", erwiderte ich leise und zog die Knie an meine Brust, bevor ich meine Beine mit den Armen umschlang. " du weißt es doch ohnehin, auch wenn ich es dir nicht sagen würde." Er lachte leise und ich knirschte verärgert mit den Zähnen. "Wohl wahr", gab er spöttisch zu, während er mich mit ruhiger Zufriedenheit ansah und die Hände in die Hosentaschen schob. "Ich hatte damit gerechnet, dass dir Hamied alles erzählen würde, aber wirklich darauf Vorbereitet war ich nicht." Ich blinzelte verwirrt und versuchte herauszufinden, was er mir eigentlich sagen wollte. "Und was willst du hier? Wie hast du mich gefunden?" "Ich soll dich suchen und zurückbringen", meinte er schulterzuckend und ein Stein saß mir plötzlich im Magen. Hatte ich irgendetwas angestellt? Wollte mich Mrs. Cornwell womöglich bestrafen, weil ich auf der Hochzeit meine Aufgabe nicht beendet hatte? "Allerdings muss ich zugeben, dass es nicht sonderlich unauffällig ist, wenn du Leon sagst, wohin du gehst. Damit hast du mir die Sache ziemlich einfach gemacht. Ich hatte schon befürchtet, ganz Alecu abklappern zu müssen", sagte er noch und ich neigte den Kopf zur Seite, bevor ich mich wieder abwandte und auf das Meer hinaussah. "Dann schleif mich doch zurück", forderte ich ihn auf ohne ihn dabei anzusehen. "Es wird mich schon niemand umbringen." Ryan ging neben mir in die Knie. Seine elegante Hand umfasste mein Kinn mit Daumen und Zeigefinger und er zwang mich sanft, aber unerbittlich dazu, ihm ins Gesicht zu sehen. Seine eisblauen Augen schienen mich zu durchbohren und ich versuchte seinem scharfen Blick auszuweichen, indem ich die Lider auf meine Wangen senkte. Unschlüssig, nicht sicher, wie ich sein Verhalten einschätzen sollte, saß ich stocksteif auf dem sandigen Boden. Seine Denken war, wie sein auftreten, geheimnisvoll und anziehend. Ryan wirkte genauso gefährlich, wie verführerisch. Diese Veränderung musste sich schleichend einen Weg in sein Verhalten gesucht haben, denn mir war dieser Wandel vollkommen entgangen. Plötzlich wirkte dieser sechszehn Jährige Zwerg reifer und männlicher, als noch vor ein paar Monaten. Er war nicht mehr das Kind, das ich jahrelang in ihm gesehen hatte. "Was ist zwischen dir und Hamied letzte Nacht vorgefallen?", fragte er plötzlich. Erschrocken riss ich die Lider auf und starrte ihn verwirrt an. Ich wusste nicht, worauf er hinauswollte oder warum er plötzlich das Thema wechselte, das gerade eine völlig andere Richtung einschlug. Genervt seufzte ich auf, rollte mit den Augen und wollte mich von ihm befreien, doch seine Finger schlangen sich um meinen Oberarm und hielten mich fest. "Was soll die lächerliche Frage?", zischte ich wütend, weil er mich gerade daran erinnern musste, das ich eineinhalb Stunden in Hamieds bedrückender Gesellschaft verbringen musste. "Lies doch meine Gedanken, das vereinfacht die Dinge." Er schüttelte den Kopf. "Ich will es aus deinem Mund hören." "Ich habe dir nichts zu sagen", meinte ich bockig. "Willst du mich zwingen?" "Da gibt es andere Methoden. Mal sehen … Wir wissen, was Hamied nicht mit dir getan hat. Ich kenne ihn." Seine Augen wurden schmal. Seine Lippen umspielte ein wissendes Lächeln. Belustig sah er dabei zu, wie meine Wangen rot wurden. "Und was habt ihr getrieben? Eine wunderschöne Frau und ein mieser Drecksack … in einem Zimmer, in dem ein andere dich schon hatte?" Ich verstand erst nach einem kurzen Augenblick. Verärgert hob ich herausfordernd das Kinn. Dass er wirklich glaubte, dass ich mich Hamied hätte hingeben können, traf mich wie ein Faustschlag ins Gesicht. "Überhaupt nichts …" Seine wohlklingende Stimme klang spöttisch und mir jagte ein Schauer über den Rücken. "Oh, du bist zu scheu, um die Ereignisse zu schildern. Lass mich dir helfen." Langsam strich sein Daumen über meine Wange. "Hat er dich so berührt?", fragte er in höflichen Ton. "Und so geküsst?" Ehe mir seine Absicht bewusst wurde, presste er seinen Mund auf meinen und zwang mich, die Lippen zu öffnen. Der intensive Kuss erhitzte meinen ganzen Körper. Der Stolz gebot mir, mich zu wehren. Aber Ryans Kraft besiegte den Stolz. Unerbittlich hielt er mein Kinn fest. Der Kuss war erstaunlich sanft – und ein umso stärkerer Angriff auf meine Sinne. Gemächlich erforschte seine Zunge meinen Mund und spielte mit meiner – die sich nun ebenfalls bewegte. Nur damit sie irgendwo Platz findet, redete ich mir hastig ein. Aber daran lag es nicht. Ich wollte ihn schmecken, seinen Geruch einatmen, der mir ebenso gefiel wie die Berührung seiner Hände … Es war ein beglückendes Gefühl, liebevoll begehrt zu werden, sinnlich und intim – ein immer noch unbekanntes Gefühl. Dass ich mich jemals danach sehnen würde, hatte ich, bevor wir uns näher gekommen waren, nie geahnt. Unwillkürlich fragte ich mich, wie viele Männer er wohl so aufreizend geküsst hatte und ob ich wirklich die einzige war, die er noch anfasste. Wieso verdrängte die brutale Stimme der Vernunft, nicht die betörenden Emotionen? Weil der Kuss so zärtlich und verführerisch wirkte? Als wäre Ryan von mir verzaubert und würde immer heißer nach mir verlangen? Sei nicht albern, ermahnte ich mich streng. Bekämpfe ihn! Doch ich tat es nicht. Was bedeutete dieser Wahnsinn? In diesem Moment müsste ich ihn mindestens genauso sehr hassen, wie ich den Gedanken, mit Hamied zu schlafen, verabscheute. Wehr Dich, Stoß ihn weg, gestatte Dir gerade jetzt nicht so was zu empfinden ... Dieser Hunger… So sehr ich mich auch dagegen sträubte – ich musste mir eingestehen, dass sein Kuss das Feuer in meinem Blut entfachte. Er umfasste meine schmalen Schultern und strich mit den Händen über meine Arme, bevor er mich auf den sandigen Boden niederdrückte. Sein Kuss sprach von Sehnsucht, Liebe und einem Feuer, das mich innerlich zu Asche verbrannte. Ich seufzte wohlig auf und legte meine schlanken Arme um seinen Nacken, bevor ich mich noch fester an ihn schmiegte. Ich lächelte unter seinen Lippen. Plötzlich ließ er mich los, strich mit einem Finger über meine Wange und spürte die Tränen. "Du Liebst ihn also", sagte er nüchtern und ich runzelte erschrocken die Stirn. Hamied? Allein schon der Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken. Wie konnte Ryan nur jemals annehmen, dass ich so einen Mann lieben könnte? Der wäre der allerletzte, auf der Welt, an den ich mein Herz verlieren würde. Niemand würde die bodenlose Abscheu verstehen, die ich für diesen Kerl empfand. Warum behauptete er also einen solchen Unsinn? "Du bist so dumm", flüsterte ich mit erstickter Stimme. "So furchtbar dumm." Er sah mich reglos an. "Und was ist es dann?" Das Herz schlug mir zum zerspringen in der Brust und ich wusste, dass jetzt der richtige Augenblick gekommen war. Der Moment, auf den ich so lange gewartet hatte. Ich wollte es sagen, ich wollte ihn wissen lassen, was ich für ihn empfand, doch die Worte wollten nicht aus meinem Mund dringen. Meine Finger verkrampften sich im Stoff meines Kleides und ich biss mir auf die Unterlippe. Der Knoten in meinem Magen zog sich schmerzhaft enger. Er machte das doch mit Absicht. Damit ich endlich über meinen Schatten sprang. "Du bist zwar stur, dickköpfig und ungeschickt, aber … ich liebe dich", flüsterte ich errötend und bevor er etwas erwidern konnte, schlang ich ihm die Arme um den Nacken, schob die Finger in sein schwarzes Haar und küsste ihn erneut. Alles, was sich um uns herum ereignete, verlor an Bedeutung … *** Flashback: "Ich wollte etwas mit euch besprechen …", sagte Mr. Cornwell schließlich, umrundete seinen Sekretär und ließ sich in den lederbezogenen Schreibtischstuhl fallen. "Es geht um folgendes …" Ich neigte den Kopf zur Seite und wartete darauf, dass der alte Mann fortfuhr, doch stattdessen ordnete er die Papiere auf seinem Schreibtisch zu einem fein säuberlichen Haufen und schob sie in eine Schublade. Jason wirkte ungewöhnlich ernst und das gefiel mir nicht. Ich hatte das Oberhaupt der Familie Cornwell niemals so ruhig erlebt, nur wenn es um wirklich wichtige Dinge ging. Mir schwante übles. "Ist das wirklich dein ernst?", rief Ryan sichtlich erzürnt und sprang vom Sofa auf. Wie ein Gefangener Tiger im Käfig begann er auf und ab zu gehen. "Fiona hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank!" Hatte ich irgendetwas verpasst? Jason hatte doch überhaupt nichts gesagt oder täuschte ich mich etwa? Ich blinzelte irritiert und versuchte zu verstehen, worum es eigentlich ging, doch ich kam einfach nicht dahinter, was mir entgangen sein könnte. Ratlos hob ich die Schultern und bemerkte erst jetzt den vernichtenden Blick meines erklärten Todfeindes. Herausfordernd hob ich das Kinn und betrachtete ihn arrogant. Er konnte mich nicht beleidigen, egal was er sagte. Immerhin war er nicht mehr als ein kleines, dummes Kind, das nicht ernst genommen zu werden brauchte. "Sie tut es schon wieder!", rief Ryan trotzig und zeigte anklagend mit den Finger auf mich. "Wie kannst du das ernsthaft in Erwägung ziehen?" Ich spielte mit dem Gedanken, ihm in die Hand zu beißen. "Ich denke, ihr werdet gut miteinander auskommen", wandte Jason ungewöhnlich vergnügt ein und jetzt war ich endgültig verwirrt. Würde mir endlich Mal jemand erklären, wovon die beiden überhaupt redeten? Scheinbar stand ich sprichwörtlich auf dem Schlauch. "Sieh es doch positiv. Du hättest deine Freiheit wieder", fügte sein Vater hinzu und ich glaubte jeden Moment den Verstand zu verlieren. Bemerkten die beiden nicht, dass ich mich überhaupt noch im Raum befand? Scheinbar kümmerte sie das herzlich wenig, denn sie redeten weiter, ohne mich zu beachten und was ihre Worte bedeuteten, wusste ich nicht. Ich konnte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, worüber die beiden stritten. Ich seufzte genervt auf, lehnte mich auf dem Sofa zurück und zog die Knie an meine Brust. Ein verächtliches Schnaufen verließ meine Lungen. "Ein Tausch", meinte Ryan plötzlich und riss mich aus den Grübeleien, in die ich verfallen war. "Nur ein Handel. Ich werde dieses Schwein los, das sich Adrian schimpft und sie würde den Platz einnehmen können, der ihr seit Geburt zusteht?" Jason nickte und ich hatte das Gefühl, mein Gehirn würde gleich explodieren. Mir schwirrte der Schädel und langsam aber sicher bekam ich dröhnende Kopfschmerzen. Ich mochte es nicht, wenn ich ignoriert wurde und langsam vermutete ich, dass die beiden das mit Absicht machten. Verärgert stand ich auf, die Hände zu Fäusten geballt. "Was ist hier eigentlich los?", verlangte ich zu wissen und knirschte mit den Zähnen. Mr. Cornwell legte das Kinn auf seine übereinander geschlagenen Hände. Seine Augen blitzten amüsiert und mir jagte ein Schauer über den Rücken. "Wollt ihr beiden nicht heiraten?", meinte er und mir blieb der Mund offen stehen. "Das wäre euer beider Interesse zuträglich." "Lieber würde ich sterben!", kam es von Ryan und mir wie aus der Kanone geschossen. Flashback ende *** Wenn ich darüber nachdachte, musste ich tatsächlich schon seit längerer Zeit von den Fähigkeiten der Brüder gewusst haben, sonst hätte ich mich wohl an den Tag, als Jason uns diesen Vorschlag gemacht hatte, darüber gewundert, dass Ryan Selbstgespräche führte. Ich seufzte sinnlich auf, als mir besagte Person über den Hals leckte und ich lachte leise, während er mir durch die Haare strich und mit dem Finger die Konturen meines Ohres nachzeichnete. "Wer ist eigentlich Efora?", fragte ich leise und ließ meine Hände über seine nackte, makellose Brust wandern. Wie sehr ich Ryan liebte. "Ein Mischwesen", antwortete er monoton und beschäftigte sich weiterhin damit, meine Brüste zu liebkosen. "Halb Mensch, halb Engel", fügte er hinzu und sah mir tief in die Augen. "Es wird behauptet, dass sie unter uns leben soll. Aber keiner glaubt diese alberne Geschichte. Nur Hamied ist felsenfest davon überzeugt, ihr irgendwann zu begegnen." Ich konnte nicht verhindern, dass ich zu kichern begann, als er mich an den Seiten kitzelte und ich fragte atemlos: "Können wir über etwas anderes reden?" "Zum Beispiel darüber, ob du das magst", sagte er mit einem geheimnisvoll Grinsen und beraubte mich meiner Stimme, nachdem er plötzlich zwischen meinen Beinen war. Fortsetzung folgt ... Kapitel 15: Dream like you would live forever. Live like you would die today ---------------------------------------------------------------------------- Ich hatte das Gefühl in einem Albtraum Gefangen zu sein, aus dem es kein entkommen gab. Es war einer dieser Nächte gewesen, in denen nicht einmal ein Hund vor die Tür geschickt worden wäre. Und während die Standuhr Mitternacht geschlagen hatte, musste ich erkennen, dass ich zu einer Mörderin geworden war. Wenn ich darüber nachdachte, ließ mir diese Erkenntnis noch immer das Blut in den Adern gefrieren. Grelle Blitze hatten sich über den Horizont gezogen. Der krachende Donner schien die Villa bis in ihre Grundmauern erschüttert zu haben und der tosende Wind hatte geklungen wie das Einschlagen verrosteter Nägel in einen Sargdeckel. Deutlich erinnerte ich mich daran, wie ich vor der roten Flüssigkeit zurückgewichen war, die sich über den Boden zu verteilen begonnen hatte. Zwar hatte mir Ryan immer wieder gesagt, dass es reine Notwehr gewesen wäre, doch ich war mir inzwischen sicher, dass das nicht der einzig Grund war, mit dem sich mein Handeln erklären ließ. Heftig zitternd verkrallten sich meine Finger in dem Stoff meines Rockes und mein Blick wanderte zögernd zu der Flügeltür, hinter die sich die Cornwells mit dem Familienrat verzogen hatten, um die gerechte Strafe für mein unverzeihliches Vergehen auszudiskutieren. Shion hatte mir versichert, dass es kein Grund zur Besorgnis gab und auch Kai, Leon und Alister waren dieser Ansicht gewesen, trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass ich unruhig auf meinem Stuhl hin und her rutschte und mir dabei fest auf die Unterlippe biss, so dass ich das Gefühl hatte, mir würde der Schmerz die Sinne rauben. Die Tränen standen mir in den Augen und ein Schluchzen drang mir aus dem geschlossenen Mund. Ich zitterte wie das letzte Blatt an einem sterbenden Baum und mit jeder verstreichenden Sekunde fühlte ich den Strick des Henkers deutlicher um meinen Hals. Erschrocken fuhr ich zusammen, als die Stimmen, die zuvor leise und undeutlich durch die hölzerne Barriere gedrungen waren, plötzlich lauter wurden und ich zog die Knie an meine Brust, bevor ich die Beine mit den Armen umschlang. Was würde mich erwarten? Jetzt nachdem ich einen Menschen umgebracht hatte, eine Person, die in naher Zukunft geheiratet hätte. Wieso hatte ich auf diesen Menschen eingestochen? Was war in jener Nacht überhaupt passiert, dass ich scheinbar ein rotes Tuch vor Augen gehabt hatte? Ich wusste es einfach nicht. Obwohl mich diese Fragen quälten, wollte mir niemand etwas dazu sagen. Warum nicht? Ich ließ den Kopf hängen und senkte die Wimpern auf meine Wangen. Ich konnte mich erst ab den Augenblick erinnern, als ich das blutverschmierte Messer in meiner Hand gehalten hatte, der leblose Körper von Adrian unter mir und Ryan in seinem Bett, von Wunden und blauen Flecken übersät. Hatte ich dieses Schwein in einem Anfall von Hass getötet, nachdem er seinen Verlobten wieder misshandelt hatte? Aber warum … was hatte ich für einen Grund gehabt, um mich selbst schützen zu müssen? Es waren zu wenige Informationen, um das Bild selbstständig zusammen zu setzen. Dabei hatte ich Ryan an jenem Nachmittag noch gestanden gehabt, dass ich ihn liebte und dann … Mir schnürte sich die Kehle zusammen und ich legte die Hand an mein Dekolleté. Ich glaubte, mir würde jemand die Luft zu atmen nehmen und ich sog den Sauerstoff gierig in meinen Lungen, als würde ich jeden Moment qualvoll ersticken. Mein Herzschlag hämmerte mir so laut in den Ohren, dass ich Kopfschmerzen bekam und ich blinzelte irritiert, als mir jemand ein Glas Wasser unter die Nase hielt. Überrascht sah ich auf und schnitt eine Grimasse, als ich Hamied erkannte, der sich unaufgefordert neben mich setzte und die Beine übereinander schlug. Unter dem schützenden Vorhang meiner Haare hinweg guckte ich ihn an und er grinste mich frech an, woraufhin ich mich von ihm abwandte und demonstrativ die Wand studierte. Was wollte dieser Mistkerl von mir? Verärgert zog ich die Augenbrauen zusammen und versuchte vor ihm zurück zuweichen, nachdem sich seine Arme um meine Mitte legten und er das Gesicht in meinem Nacken vergrub. Deutlich spürte ich seinen Atem auf meiner Haut und mir jagte ein Schauer über den Rücken. Ich konnte nicht verhindern, dass sich nackte Panik in mir breit machte. „Verpiss dich du Wichser!“, schrie ich ihn ungehalten an und versuchte mich vergeblich zu befreien. "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen", meinte er amüsiert und ich rollte mit den Augen. Wie oft hatte man mir das bereits versichert ? "Bleib einfach ruhig. Dir wird nichts passieren. Ryan und Shion boxen dich da raus", fügte er hinzu und ich drehte mich wieder zu dem unerwünschten Störenfried um. Natürlich. Auch er konnte Gedanken lesen und in die Zukunft sehen. Könnte er mir dann sagen, was in dem Augenblick passiert war, als ich scheinbar den Verstand verloren hatte? Ich neigte den Kopf zur Seite und beobachtete ihn dabei, wie er sich eine meiner langen Strähnen durch die Finger gleiten ließ. Er wirkte dabei geistesabwesend, als wenn er erst darüber nachdenken müsste, ob es klug wäre, mir die erhofften Antworten zu geben. Meine Stirn legte sich in Falten, als Hamied von mir abließ, aufstand und die Hände in die Hosentaschen schob. Reglos und still stand er auf dem grünen Läufer, mir den Rücken zugewandt und schließlich hörte ich ihn tief aufseufzen. Über die Schulter warf er mir einen Blick zu und die unergründlichen Seen seiner hellblauen Augen funkelten überirdischen schön, im hereinfallenden Sonnenlicht. Ein Grinsen zuckte um seine Mundwinkel. "Meinst du nicht, dass es einen plausiblen Grund für das Handeln meines Cousin gibt?", wollte er von mir wissen und mir klar, das er Ryan und dessen Schweigen mir gegenüber meinte. "Vertrau ihm. Er hat nur dein Seelenheil im Sinn." Sein Lächeln wurde breiter und ich drückte mich reflexartig gegen die Rückenlehne des Stuhls. "Nebenbei: Ich bin dir ganz dankbar dafür, das du dieses Schwein gekillt hast. Ich konnte ihn noch nie leiden." Im ersten Moment war ich zu verblüfft, um darauf etwas zu erwidern, doch dann erwachte der Zorn. "Ist das ein Grund, um einem Menschen den Tod zu wünschen?", fauchte ich ärgerlich und ballte die Fäuste. Wie konnte dieser Bastard nur so kaltherzig über andere reden? Mir schoss eine Überlegung durch den Kopf, welche in meiner derzeitigen Situation alles andere als wichtig sein sollte und doch … "Du hast mir gesagt, dass die Cornwells nur untereinander heiraten. Heißt das, dass Adrian auch …?" "Um auf deine erste Frage zu antworten: Ich liebe Ryan und wer ihm weh tut, den würde ich auch eigenhändig zu Hölle schicken, kapiert?", unterbrach er mich barsch, bevor ich meine Gedankengänge fortführen konnte. "Und um deine Neugier zu befriedigen …" Schleichend wie ein Panter auf der Jagd, näherte Hamied sich mir und ich wollte bereits aufspringen und schreien, denn in dieser Sekunde machte er mir Angst. Doch bevor ich eine Gelegenheit dazu bekam, hielt er mich am Oberarm fest und verhinderte jede mögliche Flucht. "Nicht nur deine Mutter hat sich gegen unsere Regeln gestellt. Viele haben sich an ihrer grenzenlosen Dummheit ein Beispiel genommen. So auch Adrians Erzeuger." Wütend riss ich mich los. Mit einer Kraft, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte. "Hör auf so gehässig über meine Mutter zu reden!", keifte ich wie ein tollwütiger Hund und war bereit, ihm für diese Unverschämtheit den Hals umzudrehen. Abwehrend hob er die Hände und zuckte schließlich die Schultern, als wenn ihn das ganze nichts anginge und ich erdolchte ihn mit meinen Blicken. "Reg dich ab, du Zicke", entgegnete er unbeeindruckt und schenkte mir keine weitere Aufmerksamkeit. Er wollte schon gehen, aber meine nächsten Worte, die nicht boshafter hätten sein können, ließen ihn innenhalten. "Deine Efora … das ist doch nur eine Ausgeburt deiner kranken Fantasie, du hirnloses Arschloch." Er wirbelte zu mir herum und hob die Augenbrauen. "Eine Zeitlang hatte ich mich der trügerischen Hoffnung hingegeben, dass du meine Efora bist, aber ich hatte mich eindeutig getäuscht", gab er nüchtern zurück. "Eine streitlustige Kindergartengöre kann nicht mein Engel sein." Ich wollte Hamied die passende Antwort vor den Latz knallen, aber die Flügeltüren des Blauen Salons, in den sich meine Richter, der Henker und die Geschworenen zurückgezogen hatten, öffneten sich und ich verstummte. Ich würde das Urteil widerstandslos akzeptieren und wenn ich mein Vergehen damit zurückzahlen müsste, das ich ebenfalls den Tod finden würde. Der Familienrat trat auf mich zu und ich straffte bereits würdevoll die Schultern. Zu meiner Verwunderung erntete ich nur einen Blick aus kalten grauen Augen, die dem Familienoberhaupt gehörten und wurde ansonsten von den anderen ignoriert. Ich blinzelte irritiert und versuchte zu verstehen, was dieses Verhalten zu bedeuten hatte. Scheinbar hatte ich irgendetwas verpasst. Grob wurde ich aus meinen Überlegungen gerissen, als ich auf die Füße gezerrt wurde und Ryan mich mit sich schleifte. Ich stemmte die Füße gegen den Boden und wollte mich seinem Griff entwinden. Wieso erklärte er mir nicht, was eigentlich los war? Was sollte das ganze überhaupt? Wurde ich für mein Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen? Meine Gedanken überschlugen sich und nichts schien mehr einen Sinn zu ergeben. Alles, woran ich noch vor zwei Tagen geglaubt hatte, zerfiel wie ein Kartenhaus im Wind und ich begann zu zittern. Wortlos, ohne irgendwelche Fragen laut auszusprechen, ging ich mit ihm und fügte mich in mein unausweichliches Schicksal, egal, was mich erwartete. Denn ich wusste, einem unguten Gefühl zufolge, dass dieser Tag der Anfang eines neuen Lebens sein würde. Eines, in dem ich zukünftig ohne den Menschen auskommen musste, der mir so unendlich viel bedeutete und die Tränen flossen mir unaufhörlich über die Wangen. Wie könnte ich noch lachen, wenn das bedeutete, auf ihn, Ryan, verzichten zu müssen? "Wieso gehst du gleich vom Schlimmsten aus?", verlangte er zu wissen, ohne mich dabei anzugucken oder seinen Schritt zu unterbrechen und ich brachte ein verkrampftes Lächeln zustande. Meinte er das tatsächlich Ernst? "Weil du mich nicht ansiehst", antwortete ich schluchzend und nahm die Veränderung meiner Umgebung nur am Rande meines Bewusstseins wahr. "Und weil ich pragmatisch denke. Das hast du mir selbst beigebracht." "Weil ich ein verdammter Vollidiot bin", erwiderte er emotionslos und ich strich mir mit dem Handrücken über die nassen Augen. Sein Lachen klang sarkastisch und doch so furchtbar leer. "Immer vom Schlimmsten ausgehen und auf das Beste hoffen, so kann man nicht enttäuscht werden. Vielleicht ist es genau die Art zu denken, an die du dich klammern solltest." Ein undefinierbares, leises Geräusch drang an meine Ohren und vermutete, dass er mit den Zähnen knirschte. Eine schlechte Eigenschaft von uns beiden. "Ich habe dir gesagt, dass du mir gehörst und ich dich nicht mehr gehen lasse. Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht, Fiona." Ich schüttelte den Kopf, nicht verstehend, was er mir eigentlich sagen wollte. Ich biss mir auf die Unterlippe und auf der sonnenbeschienenen Grasfläche des Spielplatzes, dessen Geräte dem Zahn der Zeit schutzlos ausgeliefert waren, ließ er mich los, entfernte sich von mir und verfiel scheinbar in seine eigenen Grübeleien. Seine Hand wanderte durch seine Haare und diese Geste wirkte strafend in ihrer Heftigkeit. Ich sackte in die Knie und setzte mich zögernd auf den Boden. Ich begann mich zu fragen, ob ich wirklich hören wollte, welche Strafe mich ereilen würde. Ich betrachtete meine Hände, spielte nervös mit meinen Fingern und zwang den Kloß nieder, der mir im Hals saß. Ein Schatten fiel auf meine Gestalt und als ich aufsah, blickte ich direkt in sein distanziertes Gesicht. Furcht schnürte mir die Kehle zu und meine Brust war in einem Schraubstock eingespannt. Die Nachricht, die er mir wohl überbringen sollte, würde mir nicht gefallen. "Du wirst verbannt", sagte er ruhig und ich merkte ihm deutlich an, wie schwer es ihm fiel, mir diese Dinge mitzuteilen. "Shion und ich konnten den Familienrat davon überzeugen, dass dich keine Schuld trifft, doch sie sind der Ansicht, dass du Adrian auch in Notwehr nicht hättest umbringen müssen." Er setzte sich neben mich und erneut stieg das Bedürfnis in mir hoch, mich meinem Kummer hinzugehen. Er zog mich an seine Brust und ich begann zu weinen. "Du hast es meinem Vater zu verdanken, dass du nur verbannt wirst und dir nichts schlimmeres widerfährt", fügte er hinzu und wog mich wie ein verängstigtes Kind, das er beruhigen wollte. "Er hat dem Rat versichert, Nein, er hat es geschworen, dass du niemanden von uns erzählst." Ich nickte langsam, war mir doch deutlich bewusst, was Jason erwarten würde, wenn ich das Vertrauen missbrauchte, das er in mich setzte. Ich löste mich von Ryan, holte noch ein paar Mal nach Luft und stand auf. Ich kaute auf meiner Unterlippe, verkrampfte die Finger im Stoff meines Kleides und betrachtete ihn reglos. Natürlich. Mir war klar, in welchem Zeitraum ich zu verschwinden hatte. Mir wurde keine Zeit gelassen. Ein sauberer Bruch, der die Wunden schneller verheilen lassen sollte, als ein tränenreicher Abschied. Keine Briefe, kein telefonischer Kontakt, kein Wiedersehen. Als hätten sie nie existiert. Das war doch purer Unsinn. "Ich darf dich nicht einmal zum Bahnhof bringen", begann er leise und auch das war mir klar gewesen. "Es tut mir Leid." Unbehaglich, die Schultern hochgezogen, scharte er mit der Schuhspitze im Erdreich und diesmal nahm ich ihn in die Arme, hielt ihn fest und sog seinen vertrauten Geruch tief in meine Lungen, bevor ich die Finger an sein Kinn legte und sein Gesicht anhob. Ein letzter bittersüßer Kuss, der mich tiefer traf als erwartet und ich gab ihn widerwillig frei. Ich wollte mich abwenden, doch bevor ich gehen konnte, hielt er mich fest und blinzelte irritiert. "Nachdem ich …" Ryan sprach leise, aber deutlich und es hatte den Anschein, als würden ihn diese Worte viel Überwindung und Konzentration abverlangen und aus tiefstem Herzen stammen. "... dir zum ersten Mal nahe sein durfte und dein wahres Ich sehen konnte …" Er machte eine kurze Pause und blickte mir direkt in die Augen, zeigte durch seinen ernsten Blick wie ehrlich er zu mir und stürzte mich in damit in grenzenlose Verwirrung. "… habe ich jeden Tag gebetet, dass …" Er zog etwas aus seiner Hosentasche, nahm meine Hände in seine, verwehrte mir allerdings zu sehen, was er vorhatte. "… du mit Adrian tauschst." Überrascht starrte ich auf den silbernen, kristallbesetzten Ring, der bis zur Hälfte auf meinem Ringfinger geschoben war und im Sonnenlicht geheimnisvoll glänzte. *** Ich hatte nicht viel Zeit gehabt, um das Haus der Familie Cornwell zu verlassen. Der Familienrat hatte mir nur eine Stunde gegeben, in der ich meine wichtigsten Habseligkeiten zusammenpacken konnte, bevor ich dazu gezwungen war zu gehen, ohne mich zu verabschieden. Mir standen die Tränen in den Augen, als ich von der Villa, in der ich sechzehn Jahre gelebt, fortgebracht wurde. Ich versuchte mich zusammen zu reißen, während ich auf dem Beifahrersitz saß und die Hand bedeckte, an der ich den Ring trug. Ich rang nur wenige Sekunden mit mir, dann kurbelte ich das Fenster runter. Ich musste einen Blick riskieren. Diesen Ort zu verlassen fiel mir schwerer, als ich erwartet hatte. Besonders weil ich den Menschen zurück ließ, der mir so verdammt wichtig geworden war. Dabei hatte ich mir geschworen, nicht zurückzusehen, doch Hamied, der mich zum Bahnhof brachte, hielt mich auch nicht davon ab, die Sehnsucht zu stillen, die ich empfand. Mir krampfte sich das Herz zusammen und ich musste meinen Hut festhalten, damit er vom Fahrwind nicht davon gerissen wurde. Leise begann ich zu schluchzen und als ich mir mit den Handrücken über die Wangen strich, glaubte ich das Ryan im Türrahmen stand, die Hand erhoben … ein letztes 'Lebe wohl' bevor sich unsere Wege trennten … Fortsetzung folgt ... Epilog: I will never forget ... ------------------------------- Nachdem ich endlich den letzten Satz meiner Geschichte abgetippt hatte, klickte ich auf das Speichersymbol und schloss das Textdokument. Zufrieden, endlich damit fertig zu sein, lehnte ich mich im Stuhl zurück und griff nach meiner Kaffeetasse, aus der kleine Schwaden heißen Dampfes aufstiegen. Gedankenverloren nippte ich an der dunklen Flüssigkeit und rückte meine silbergerahmte Lesebrille zurecht, während ich mich an jenen Tag zurück erinnerte, an dem ich mich von Ryan verabschiedet hatte. Ein melancholisches Lächeln umspielte meine Mundwinkel. Mein Blick fiel auf meinen linken Ringfinger und ich schloss die Augen. All diese Geschehnisse lagen inzwischen fünf Jahre zurück. Ein Zeitraum, in dem ich weder etwas von der Familie Cornwell gehört, noch einen von ihnen gesehen hatte. Nachdem ich Alecu verlassen hatte, musste ich feststellen, dass mir jemand, ich vermutete dass es entweder Mr. Cornwell oder Ryan gewesen war, Geld in ein Fach meines Koffers gesteckt hatte, von dem ich mir eine Wohnung mieten und alles notwendige kaufen konnte, bis ich Arbeit gefunden hatte. Neben meinem Job als Sekretärin einer Anwaltskanzlei, hatte ich meinen Wunsch, Schriftstellerin zu werden, durchgesetzt. Unwillkürlich fragte ich mich, was derjenige dazu sagen würde, auf den ich schon so lange verzichten musste. Sicherlich würde er darin nur wieder einen Grund sehen, um mich wieder zu ärgern. Bei dem Gedanken schnitt ich eine Grimasse, schob den Bürostuhl zurück und stand auf. Ich brauchte frische Luft. Fahrig strich ich mir mit der Hand durch die Haare, durchquerte das Wohnzimmer und trat auf den Balkon hinaus, auf deren Absperrung ich mich mit den Unterarmen abstützte. Ich hatte vergessen, wie sehr ich den Herbst liebte, auch wenn ich bei dem kalten Wind leicht zu frösteln begann und kurz reingehen musste, um meine Strickjacke zu holen. Ich starrte in die Ferne und streckte den Arm aus, als könnte ich auf diese Weise nach Ryan greifen. Wir hatten uns ein stillschweigendes Versprechen gegeben und ich wusste, dass er mich suchen und finden würde. Es interessierte mich nicht, wie lange ich würde warten müssen. Denn für mich … war er der wichtigste Mensch auf der Welt. "That's my Story." _________________________________________________________________________________________ Hier stand ich also: In einer Millionenmetropole, bei deren Anblick es mir eiskalt den Rücken runter ließ, umgeben von Menschen, die mir nicht fremder hätten sein können und bombardiert von einer Sprache, die ich nicht verstand. Vorsichtig griff ich nach der Hand des kleinen Mädchens, das neben mir stand und zog sie sanft mit mir, während ich zu einer Straßenkarte ging, die mir dabei helfen sollte, mich in dieser Stadt zu Recht zu finden. Oder ich mich zumindest nicht hoffnungslos verlief. Aber es war unmöglich. Ich konnte kein einziges Wort lesen und ich kämpfte den Impuls nieder, mir die Haare zu raufen. Stattdessen knirschte ich nur mit den Zähnen, zog die Augenbrauen zusammen und drehte mich um. Mein Blick wanderte über meine nähere Umgebung und ich betrachtete uninteressiert die unbekannten, nichtssagenden Gesichter, der hiesigen Einwohner. Erst als mir ein vertrautes Augenpaar auffiel, die mich mit einer Mischung aus Überraschung und Freude ansahen, umspielte ein freches Grinsen meine Mundwinkel und sie trat zögernd auf mich zu. Ungläubig, als wenn sie sich erst davon überzeugen müsste, ob ich real war oder eine Halluzination, starrte sie mich an und dann erklang ihre melodische Stimme, die ich in meinen Träumen so oft gehört und nach der ich mich gesehnt hatte. "Wir haben uns lange nicht gesehen." Mein Lächeln wurde breiter und ich neigte den Kopf leicht zur Seite. "Stimmt." ~Ende~ ______________________________________________________________________________________ An dieser Stelle schließe ich das Kapitel mit Ryan und Fiona und hoffe, dass euch die Geschichte gefallen hat. Wie immer bedanke ich mich bei meinen Kommi-Schreibern, die mir ein Feedback gegeben haben und auch die Stillen Leser^^° Danke für eure Unterstützung. Auch bei meiner Beta-Leserin möchte ich wieder dafür Danke, dass sie sich stets die Zeit genommen und die Kapitel geprüft hat, auch wenn die überarbeitete Versionen meistens erst ein paar Tage später hochgeladen wurden, nachdem die Rohfassung bereits freigeschaltet gewesen waren. Und jetzt möchte ich noch etwas Anmerkungen: Alex, vielen Dank das du mit mir das RPG geschrieben hast und du mir dabei geholfen hast eine so Tolle Story aus meinem Traum zu entwickeln. Ohne dich hätte ich das nicht geschafft. Ich habe dich sehr Lieb *Knuddel* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)