Rot halbtot von somali77 ================================================================================ Kapitel 4: ----------- -- Yohji sog genießerisch an seinem Krebsstängel und ließ den Rauch Momente später durch Mund und Nase wieder ausströmen. Er war auf dem Weg zurück vom Zigaretten besorgen, die Straße hier war ruhig um die Uhrzeit. Ein paar Autos, ein paar Nachtschwärmer, er selbst schlendernd dazwischen. Das stille Licht der Straßenlaternen reihte sich Kegel an Kegel. Die Nachtluft war kühl. Yohji hob seinen Kopf und ließ sich vom sanften Wind streicheln, der aufkam und genauso plötzlich wieder abflaute. Er liebte Nächte. Alles schien viel konzentrierter als tagsüber, die Wirklichkeit schien weiter weg, wie die hässlichen Bündel von Stromleitungen oben an den Häusern, die man im Dunkeln weniger sah. Zu dumm dass Nacht oft mit Arbeit kollidierte. Unerfreulicher Arbeit. Aber irgendwann musste der Mensch ja auch schlafen. Im Moment fühlte er sich fit für einen neuen Rekord. Er war schon fast wieder über zwei geschlagene Tage auf den Beinen. Gut, vorhin in Ayas Zimmer war er irgendwann weggenickt und hatte in äußerst unbequemer Stellung mit dem Oberkörper auf dem Bett ihres hoheitsvollen Patienten ein paar Stunden geschlafen- gefährlich nahe an verfänglichen Körperpartien, wie ihm aufgefallen war, als er völlig verplant wieder aufgeschreckt war... er musste sich im Schlaf auf dem Stuhl irgendwie gedreht haben, und da Aya im oberen Bereich zu viel Platz beansprucht hatte... Er spürte immer noch ein Ziehen im Rücken, wie er mit leicht unwohl verzogenem Gesicht bemerkte. Zum Glück schlief Dornröschen in angeschlagenem Zustand weitaus tiefer und länger als gewöhnlich, nur so konnte er sich erklären, dass er, den Kopf zwischen Ayas Unterbauch und Oberschenkel gekuschelt, selbigen noch nicht glatt verloren hatte. Leider war der Gute ein wenig unbequem. Trotz seiner durchaus femininen Gesichtszüge, war er alles andere als weich wie eine Frau, sondern sehnig und drahtig, und mit überaus fiesen, spitzen Knochen. Nichts zum Anfassen für ihn, den armen Yotan, der heute die Party des Monats hatte sausen lassen, nur um den sturen Bock zu bemuttern. Ah, nicht dass er sich beschwerte. Nicht ernsthaft. Mittlerweile war er fast stolz darauf, dass er auserwählt war, Zugang zu den verbotenen Gemächern des personifizierten Verbrecherschrecks im schwarzen Mantel und mit Absatzschühchen zu haben. Nur er, und niemand anders. Und der gefährliche Aya ließ sich tatsächlich inzwischen zahm von ihm das Händchen tätscheln, wer hätte das gedacht. Er nahm einen letzten tiefen Sog von seiner Zigarette und schnippte sie in den Rinnstein, bevor er seinen Schlüssel aus der Hose zauberte und über die Schwelle des Konekos trat. Wenn Aya immer noch schlief, würde er seine Decke und ein Kopfkissen aus seinem Zimmer holen, und sich direkt daneben legen. Auf den Boden irgendwo, oder so. Am besten so, dass der Rote nicht direkt über ihn fiel und sich zu allem Übel der Länge nach hinpackte, wenn er Nachts ganz schnell irgendwo hin musste. Nicht auszudenken, der große Anführer mit Magengrippe -und- eingedellter Nase... Wobei, inzwischen hatte er Zweifel an der Magengrippe- Theorie. Vermutlich hatte er nur irgendwo in der Stadt kolossal schlechtes Sushi gegessen, und sich die Lebensmittelvergiftung aus der Hölle zugezogen. Alle Lebensmittelvergiftungen kamen direkt aus der Hölle. Er wusste das. Nie wieder Austern. Aber das war eine andere Geschichte. Er schlüpfte aus den Schuhen und bemühte sich, leise zu sein, was unbetrunken wesentlich leichter war. Ob noch jemand wach war? Er spähte in den dunklen Flur und sah Licht schimmern in der Küche. Als er dort ankam war niemand da-... aber ein friedlich vor sich hin summender Backofen, der vage Duft von knusprigen Köstlichkeiten, und Reste, die auf einen großen Mitternachtssnack schließen ließen... Oh ja, definitiv genau das was er unbedingt brauchte um seine Batterien wieder aufzuladen..! Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, und er sammelte, plötzlich wieder durchaus guter Laune, zwei Büchsen Bier aus dem Kühlschrank, um damit in Richtung Wohnzimmer zu schlendern. Auch aus dieser Tür drang Licht durch alle Ritzen, und er öffnete sie leise, um sich hineinzuschieben. Ken, mit einem Kissen auf dem Bauch und einem großen Plüschpinguin im Rücken, lag längelang ausgestreckt auf der Couch und knusperte ein paar Erdnüsse. Einige Dosen Getränke standen auf dem Tisch, fast alle davon vermutlich leer. Im Fernsehen lief irgendein alter Schwarz-Weiß-Streifen, und Ken schmunzelte dazu, auch wenn er den Ton recht leise gedreht hatte, so dass man von der Tür aus nichts verstand. “Hey”, meinte Yohji lächelnd und warf seinem Kollegen ein Bier zu. “Nachschub.” “Whoa, Danke!” “Prost.”, bemerkte er, und Kens Dose kam seiner eigenen entgegen, um sie auf halbem Weg mit leisem, metallischen Geräusch zu treffen. Ein scharfes Zischen beim Öffnen und beide versanken in andächtigem Schweigen, als sie die ersten paar Schlucke die Kehle hinunter laufen ließen. “Der Hauptfilm ist schon lange aus, ich zapp nur ein bisschen rum...”, gestand Ken, “Was willst du sehen?” “Irgendwas interessantes?” Schulterzucken. “Nach zwei Uhr kommen eh nur noch Erotikfilmchen und Gewinnspiel- Shows...” Yohji angelte nach der Fernsehzeitschrift und blätterte ein wenig darin herum, die Füße auf dem Sofa, das Gesicht Ken zugewandt, der sich ähnlich auf der anderen Seite niedergelassen hatte und versuchte sich seinen Platz zurückzuerkämpfen. “Heh, nimm mal deine langen Füße ein bisschen runter, ich hab keinen Platz mehr...” “Warum, die Stellung ist grade gemütlich... nimm deine doch bisschen mehr zur Seite...” Wenige Momente später lagen sie beide zufrieden in ähnlicher Position, die Beine einfach über- und untereinander. “Rückkehr der Raketenwürmer?”, las Yohji laut vor, und Ken zuckte akzeptierend die Schultern. Er ging nach seiner Pizza sehen, und kurze Zeit später saßen sie vor der Flimmerkiste und sahen mehr sporadisch fern, während sie italienische Teigwaren in sich hineinstopften. “Mmmh, Ken.”, erklärte Yohji und angelte Käsefäden in seinen Mund, “Du bist unter Garantie der beste Pizzabäcker außerhalb von Italien.” Der Fußballer grinste und murmelte ein Dankeschön, seufzte gleich darauf aber schwer und tragisch und meinte: “Toll, das wars dann aber auch schon wieder, mit dieser Diät...” Yohji runzelte die Stirn. “Diät? Komm schon, du bist nicht dick, Kenken. Nur weil du noch der einzige in diesem Team bist, der halbwegs gesundes Normalgewicht erreicht.” “Doch, aber wenn ich nicht aufpasse hab ich voll schnell keinen Waschbrettbauch mehr sondern einen Waschbärbauch- hier!”, er setzte das letzte Stück Pizza auf den Teller und hob sein Shirt hoch, um den Bauch zu entblößen. Yohji beugte sich kritisch näher. “Was denn, wo sind denn die Speckschwabbel?”, er piekte mit dem Finger, “Da? Oder da?” Ken jappste auf, fuhr zusammen und wehrte den Freund mit einem beherzten Tritt Richtung Schulter lachend ab. “Blödmann, du weißt genau dass ich kitzelig bin!” “Ich seh hier keinen Waschbärbauch, sondern einen leckeren knackigen Sixpack... lass mich mal die Beißprobe machen- aahh”, er kam mit seinen Zähnen Kens empfindlichen Seiten gefährlich nahe, und der griff ihn an den Schultern und warf ihn mit Händen und Füßen zurück auf seinen Platz. “Yohji! Untersteh dich arglose Leute anzugraben, pfui! Hier, nimm Pingu wenn du solchen Druck hast” Und Yohji hatte prompt das Gesicht voll weichem, wattigen Plüsch. “Aber Ken!”, klagte er, als er sich mit dem Pinguin wieder auf seine Seite der Couch zurückverzogen hatte, “Mir wäre das ja egal- aber hast du auch mal über Pingus Gefühle nachgedacht?” Tröstend plapperte er zu dem Plüschtier, “Keine Angst, Pingu, so böse bin ich nicht- hier, willst du Pizza?”, und mit piepsend hoher Stimme antwortete er sich selbst: “Au ja” Ken sah skeptisch zu wie Yohji dem glasäugigen Kuscheltier zu zufriedenen Schmatzgeräuschen Pizza fütterte, und schüttelte grinsend den Kopf. “Freak”, kommentierte er freundschaftlich. Wenig später verabschiedeten sie sich. Ken ging endlich schlafen, und Yohji meinte mit leicht schlechtem Gewissen, dass es wohl noch einmal an der Zeit sei, nach ihrem Patienten zu sehen. Er ging in den oberen Stock, machte die Tür auf und fand- nichts. Irritiert ging er nachsehen ob Aya aus dem Bett gefallen war, aber da war niemand. Das Fenster war offen, und kalte Nachtluft strömte herein, brachte metallische Kühle und Autoabgase zwischen den dumpfen Geruch von Schweiß und Krankheit. Vielleicht war er auf dem Klo. Yohji entschied, sein Bettzeug zu holen, bevor er dort nachsehen ging. -- In der Zwischenzeit wankte an anderer Stelle ein völlig übernächtigter Crawford, der gewöhnlich viel Schlaf brauchte, und ohne den nicht lange ausgeglichen und leistungsfähig blieb, während er sich links und rechts ab und zu mit der Hand an der Wand abstützte, über den Flur zurück in sein Zimmer, wo es ihn direkt zum wunderbar großen, weichen Bett zog, das förmlich schon nach ihm rief. Kaum stand er direkt davor und hatte die Nachttischlampe angeknipst, begrüßte ihn allerdings der dunkle Schopf Nagis, der doch tatsächlich unverschämterweise in sein schönes warmes Bett gekrochen und dort offensichtlich problemlos, friedlich und tief eingeschlafen war. Mit säuerlichem Gesichtsausdruck sah Brad Crawford seinem jüngsten Teammitglied und Ziehsohn einen Moment beim Schlafen zu, bevor er unterdrückt die Augen rollte, die Bettdecke zurückschlug und über den Jungen kletterte, um sich zurechtzubetten, seine Brille abzulegen, das Licht auszuknipsen und die Decke hochzuziehen. Es war warm, und er rollte sich mit dem Rücken zu Nagi, nur um einige lange Minuten später ein tiefes Aufatmen zu hören, und ein Rumoren unter der Decke, bevor sich lange, schmale Arme um seinen Bauch schoben, ein kleiner, zur Abwechslung einmal warmer Körper sich an seinen Rücken schmiegte, und der Japaner mit leisem, zufriedenen Seufzen friedlich weiterschlief. Brad blinzelte äußerst erschöpft ein wenig ins Dunkel, bevor er entschied, dass ihm heute alles egal war, wenn er nur endlich ein wenig Schlaf bekam. Er schloss die Augen und war selbst auch nicht lange darauf tatsächlich im Land der Träume... -- Im Kätzchenhaus fand Yohji ihren Rotschopf im Flur liegen, er war auf dem Weg vom Bad zurück offensichtlich dort zusammengebrochen und fauchte aufs wüsteste, als der Ex- Detektiv sich anschickte ihn zurück Richtung Zimmer und Bett zu schleifen. Rans Körper war heiß und kraftlos an seiner Brust, offensichtlich blieb ihm nicht mehr, als sein eiserner Widerwillen, denn seine Muskeln zitterten und er konnte kaum die Augen offen halten. Nachdem Yohji ihn mit viel Kampf und Diskussion und verschiedensten Drohungen dazu gebracht hatte, endlich doch das Fieberthermometer zwischen die wütend zusammengebissenen Zähne zu nehmen, und das Ergebnis jenseits von vierzig Grad lag, wurde Ran, der sich inzwischen dann doch nicht mehr allzu viel wehrte, in Yohjis flauschigen türkisgrünen Bademantel gewickelt, und der frühere Privatdetektiv schleppte unter größter Kraftanstrengung und ohne wirklich viel zu sehen, den anderen Mann die Treppe hinunter, wobei er fast über die letzte Stufe gestolpert und der Länge nach im Flur gelandet wäre. Ran, der jegliche Gegenwehr aufgegeben hatte und alle Konzentration brauchte, um nicht ohnmächtig zu werden, wurde in Yohjis alten Seven auf den Beifahrersitz geschnallt, lediglich vom Gurt aufrecht gehalten, und los ging die Fahrt über nächtliche Straßen, hin zum nächsten Krankenhaus in die Notaufnahme. An einer Ampel mussten sie halten, und Aya blinzelte schwer und mit grünlichen Nasenflügeln. Er atmete einmal tief durch, ein zweites Mal noch tiefer, dann krampfte sein Körper sehr typisch und er schlug sich die Hand vor den Mund. “Mein Seven!”, heulte Yohji außer sich auf, befreite sich blitzschnell von seinem Gurt, hechtete aus dem Auto und hatte in Windeseile die Beifahrertür geöffnet, als Aya auch schon nach vorn und zur Seite kippte und zu rauem, kehligem Würgegeräusch ein Schwall dunkle Flüssigkeit auf die Straße plätscherte. “Ewww..! Gahh! Shit!” Yohji verzog jeden einzelnen Gesichtsmuskel in Abscheu, trat vor Ekel und Rastlosigkeit von einem Fuß auf den anderen, hielt die Tür mit zwei Fingern, bog den Oberkörper zurück und den Kopf weg vom Geschehen. Die Ampel schaltete auf Blau, Autos begannen zu hupen, Aya hustete. “Ja, verdammt!”, heulte Yohji der Autoschlange hinter dem Seven zu, “Wir stehen hier weils uns solchen Spaß macht, ihr Affen!” “Steig ein”, röchelte Aya düster, und Yohji fauchte “Nein! Entweder du kotzt auf die Straße und nicht in mein Auto, oder du läufst! Kapiert?!” Aya versuchte ihm klarzumachen dass er die Tür selbst offen halten konnte, und sei es auch nur durch sein Körpergewicht, und nach Zögern und Zaudern ging es sehr vorsichtig und so schnell wie möglich weiter, bis das hell angestrahlte, große weiße Gebäude vor ihnen sichtbar wurde. Ob er zur Familie gehöre, wurde Yohji gefragt, als er den halbtoten Ran, der in seinem Bademantel noch viel bleicher als sonst aussah, zur Anmeldung schleppte, und schnappte gänzlich gegen seine sonstige Art recht energisch zurück, die einzige Familie die der Rothaarige noch hatte würde ihm nicht helfen, da sie einige Zimmer weiter im Koma lag. Sie hatten großes Glück. Die Frau an der Anmeldung war sofort gerührt von der Geschichte und dem selbstlosen Einsatz des Freundes, es wurde ein junger Arzt organisiert und eine Liege für Ran, auf die der Ärmste mit vereinten Kräften hinauf gehoben wurde, bevor es auf diesem Weg in eiligem Schritt an Leuten mit Bauchschmerzen und heftig blutenden Wunden vorbei in den Aufzug ging, und in ein kleines Behandlungszimmer abseits der eigentlichen Notaufnahme, wo es wesentlich ruhiger war. Yohji lief neben der Liege her und achtete darauf, dass der Bademantel ordentlich um Ran geschlungen blieb. Der Rothaarige schien die Tatsache überhaupt nicht toll zu finden, im selben Krankenhaus, in dem auch seine Schwester lag, von fremden Pflegern und Ärzten hilflos auf einer Liege durch die Gegend geschoben zu werden. Er wurde kurz untersucht. Yohji erklärte so gut er konnte was los war, und der Mediziner bestätigte mit verständnisvollem Lächeln eine böse Lebensmittelvergiftung. Ran bekam eine Spritze gegen das Fieber und die Übelkeit, und eine Infusionsnadel in den Arm, bevor ein Beutel Flüssigkeit angeschlossen wurde, der die Dehydrierung abwenden und seinen Kreislauf wieder etwas auf die Beine bringen sollte. Sie wurden vorübergehend in einem der Zimmer allein gelassen, bis der gute Herr Fujimiya eine, oder laut dem Arzt besser zwei, Infusionen intus haben würde. Er hatte, wie schon zu erwarten gewesen war, viel zu wenig getrunken, das Fieber war sehr hoch gewesen, und Yohji wurde von mehreren Seiten bestätigt, dass es die richtige Entscheidung gewesen sei, ihn im Krankenhaus vorbei zu bringen. Ran war in der Zwischenzeit unter eine leichte weiße Decke gepackt worden und schlotterte noch ein wenig mit leichtem Schüttelfrost vor sich hin, hielt die Augen ergeben geschlossen, als wolle er alles um sich herum einfach vergessen. Während glasklare Flüssigkeit tröpfchenweise in seinen Blutkreislauf sickerte, saß Yohji auf einem harten Krankenhaushocker neben ihm, und blinzelte mit müdem, ratlosen Blick auf den hingestreckten Körper des Schwertkämpfers. Es war kaum zu glauben dass diese schlaffen Arme irgendwann wieder ein Katana schwingen konnten. Ran sah erbärmlich aus. Nicht mehr wie “Aya”. Nicht wie Abyssinian. Bleich und krank und schmal und mit vor Erschöpfung erschütternd jungen und weichen Zügen. Wie Ran eben. Nachdem sie sich die erste halbe Stunde nur angeschwiegen hatten, während später dann die zweite Infusion durchlief und Ran langsam ein bisschen weniger tot aussah, blinzelte der Rothaarige etwas in Richtung Decke. Yohji blickte auf den Schlauch und die Nadel, und hinauf zu dem kleinen runden Sichtfenster unter dem Infusionsbeutel, in dem es in regelmäßigem Rhythmus lautlos vor sich hintropfte. Er streckte etwas linkisch die Hand aus und griff damit nach der knochigen, immer noch überdeutlich wärmeren Hand seines Teamkollegen, um sie freundschaftlich und betont beiläufig etwas zu drücken und zu tätscheln. “Na, was ist... fühlst du dich ein bisschen besser?”, meinte er. Ran blinzelte aus schmalen Augen zu ihm hinüber, ohne den Kopf zu drehen. “Mir gehts wunderbar.”, murmelte er sehr leise. “Nur ein bisschen müde...” “Tut das nicht weh?”, Yohji machte eine Kopfbewegung zu der Infusionsnadel, und Ran drehte den Kopf etwas auf dem Kissen, schüttelte ihn sachte, blinzelte unbeeindruckt. “Spürt man gar nicht.”, flüsterte er. “Du siehst schon besser aus...”, Yohjis grüne Augen fanden den Blick aus den gefährlichen schmalen langbewimperten Aya- Augen, und sie sahen sich ruhig und ohne Aggression an. Yohji lächelte zuversichtlich. “Hmnja.”, brummte Aya unwillig. “So schlecht gings mir nicht, das wäre wirklich nicht nötig gewesen” “Wenn du wieder auf eigenen Beinen stehen kannst, wenn wir hier fertig sind, wars zumindest ein bisschen hilfreich, oder?” Einen Moment lang schloss Aya die Augen, und Yohji überlegte eine kleine ungute Sekunde ob er das lieber nicht hätte sagen sollen, aber dann zuckte ein leichtes Lächeln um die dünnen, blassen Mundwinkel, und die Augen öffneten sich wieder, es war deutlich mehr Leben in ihnen, als noch vor einer Stunde. “Ja”, flüsterte Aya besiegt, und Yohji grinste. “Du warst ganz lieb und tapfer.”, meinte er scherzhaft, “Zuhause darfst du dir was wünschen” “Danke, Papa” “Hey, so alt bin ich auch noch nicht!” Aya grinste ebenfalls. Und Yohji war der Anblick so viel lieber als alles Andere, dass er sich damit zufrieden gab, und den Rest der Zeit mit an die Wand gestütztem Kopf und verschränkten Armen, schief auf dem Stuhl hängend aushielt, obwohl er das jämmerlich dringende Bedürfnis hatte, nach draußen zu gehen und sich eine Zigarette zu gönnen. Ran selbst fand in diesem Moment das ganze fürchterliche Krankenhaus immerhin halbwegs akzeptabel. Er war dankbar, dass Yohji bei ihm saß, auch wenn er sich selbst darüber ärgerte. Es war seltsam tröstend, jemand Bekannten bei sich zu haben, wenn viele fremde Menschen um einen herumwuselten und an einem herumzerrten und mit gefühlloser Routine Dinge mit einem taten, auf die man in dem geschwächten Zustand keinen Einfluss hatte. Auch wenn es ausgerechnet Yohji war. Oder gerade deshalb. Er blinzelte hinüber zu dem arroganten Lockenkopf, der müde und übernächtigt versuchte auf dem Klinikschemel ein Nickerchen zu halten, Kopf und Schulter an die Wand gestützt, und musste lächeln. Ein sehr seltenes, warmes Gefühl schlich sich in seine Brust, und er schloss wieder die Augen, drehte den Kopf zurück Richtung Decke und atmete durch. Es bestätigte ihn in der Entscheidung, wieder zu seiner Schwester zu gehen, wieder mit ihr zu sprechen, er wusste jetzt, dass es gut und richtig war, auch wenn es ihm oft hoffnungslos und schmerzhaft vorkam, und er das Gefühl hatte, sie spürte nichts davon und reagierte auf nichts, was er sagte. Er fühlte sich durch das hier noch mehr verpflichtet, ihr beizustehen. Vielleicht bekam sie doch mehr davon mit, als man dachte... vielleicht war sie ihm auch irgendwie dankbar. Auch wenn er Yohji so bissig zurückgewiesen hatte-... er selbst jedenfalls war dankbar. Dass der Andere Verantwortung übernommen, ihn hierher begleitet hatte, und hier nicht allein ließ... Wenn er irgendwann viel älter und stärker geworden war, würde er sich vielleicht bedanken können. Irgendwann. In einem anderen Leben. Für den Moment wollte er einfach nur schlafen. Und morgen wieder stark sein... -- “Heh, wer will wissen wie sich eine richtig saftige Lebensmittelvergiftung anfühlt?”, Schuldig stand in ganzer- bis auf eine neue Boxershorts in edlem Schwarz- entblößter Pracht in der Küche, wieder unter den Lebenden und stützte zu neuen Schandtaten bereit und von Ohr zu Ohr grinsend die Hände in die Hüften. “Lass stecken, Schuldig...”, murmelte Nagi etwas bleich und bemüht ihn nicht anzusehen, “Ich hab genug von dir gehört, um zu wissen, dass ich es nicht wissen will.” “Ihr verpasst was, ehrlich, es ging mir so scheiße, das ist nicht zu glauben, wenn man es nicht selbst erlebt hat”, plapperte Schuldig als hätte er keine Krankheit sondern ein Extremsporterlebnis hinter sich, “...wenn sich die ganzen Innereien so zusammenkrampfen und man schmeckt so dieses säuerliche-...” Nagi schob seine Frühstücksmisosuppe weit von sich und hielt sich mit angewidertem Gesicht die Ohren zu obwohl es ihm, nach Schuldigs sadistischem Grinsen zu schließen, nicht viel half, während Farfarello aufhörte seine Cereals mit dem Löffel zu massakrieren und interessiert von einem Comicheft aufschaute. “Innereien?”, echote der Ire, und das goldene Auge glomm. “Ja, abgefahren!”, Schuldig brüstete sich als überlebender Held einer außergewöhnlichen körperlichen Erfahrung und in Farfarellos neugierigen Blick mischte sich etwas, das man als vagen Neid interpretieren konnte. Nagi, der das bemerkte, sah den Iren entgeistert an und rückte demonstrativ ein Stück von ihm weg. Schuldig goß sich ein großes Glas Orangensaft ein, und wollte gerade ansetzen, als Crawford, der mit immer noch kleinen Augen und der Zeitung in der Hand auf dem Weg zur Kaffeequelle hereingeschlurft war, ihm mit sicherem Griff das Glas wieder abnahm und in die Spüle kippte. “Hey!”, protestierte der Deutsche, “Was zur Hölle soll das, ich wollte das trinken!” “Kein Saft für dich heute, Schuldig. Du kannst Tee haben. Ich hab keine Lust, noch eine Nacht Händchen zu halten.” “Du bist nicht mein verfluchter Erzieher, ich kann tun was ich will! Und wer sagt was von Händchen halten! Wer hat dich darum gebeten?”, zeterte der Deutsche, alle Rebellion wieder frisch erwacht. “Du.”, kommentierte Crawford ausdruckslos. Hinter seiner Tasse grünem Tee verzog Nagi den Mund zu einem spöttischen Lächeln. Schuldig rümpfte die Nase und murmelte ein paar wüste Verwünschungen, als er Tee bekam, und an seiner Tasse schnupperte, bevor er sich schwer an seiner Tischseite auf seinen Stuhl fallen ließ, die gestrige Lücke dort wieder füllte und das Quartett komplett machte. Er kratzte sich in seiner wilden, orangenen Haarmähne, die sich wieder ausladend und ungezähmt über leicht gebräunte Schultern ergoss. Crawford verfiel wie immer in weitgehende Ignoranz und löste bei einem Kaffee und einem Toast mit Jelly und Peanutbutter das heutige Zahlenrätsel in der Zeitung. Farfarello schlürfte mit großem Genuss und viel Zucker die inzwischen vollkommen zu Brei aufgelösten Cereals, Nagi trank seine algige Misosuppe. Schuldig bemerkte in die Stille hinein gewollt provokant, dass er plötzlich so unglaubliche Lust auf Weißwurst mit süßem Senf und Butterbrezeln hatte, bekam aber keine Antwort, stattdessen trockenen Toast von Crawford, an dem er etwas gedämpfterer Laune kaute, bis sich ein boshaftes Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. “Ich kanns kaum abwarten, heute raus zu gehen und die Erinnerung an jemandem auszutesten...”, schwärmte er. Crawford blickte über die Brillenränder auf und hatte Krümel am Mundwinkel, die er beiläufig wegwischte. “Scher dich bloß weit genug von der Wohnung weg. Sonst weiß ich, wer diese Woche Putzdienst macht.” „Ach komm schon, Brad, sei kein Spielverderber- das ist lustig! Gibs zu, das Internet- Video mit der Quizmoderatorin, die mitten in der Livesendung plötzlich anfängt auf Hochdruck zu reihern, fandest du auch amüsant.“ „Gibs zu, du warst der Grund dafür...“ „Nicht mal meine Telepathie reicht bis nach Holland-... und du fandest es lustig...!“ Brad schob sich ordentlich die Brille auf die Nase und bröselte an seinen Fingern klebende Krümel auf den Teller, bevor er sich hingebungsvoll seiner Tasse Kaffee widmete. „Natürlich nicht.“, bemerkte er sachlich. „Ein bisschen.“, beharrte Schuldig. „Nein“ „Ein bisschen!“ „Nein!“ „Ach, Brad..!“ Nagi blickte von seiner Misosuppe auf, um den Wortwechsel zwischen seinem Leader und Vize zu beobachten, Farf schlürfte unbeeindruckt weiter. Schuldig wechselte einen tiefen, vielsagenden Blick mit Crawford, sah kurz mit einem Seufzen hinüber zu Nagi und zuckte die Schultern, bevor er sich in seinem Stuhl zurücklümmelte und an seiner Toastbrotscheibe nagte. „Du bist so viel witziger wenn wir allein sind...“, murmelte er, hob einen Fuß und begann mit dem großen Zeh nach Crawfords Oberschenkel zu stupsen. „Wenn du angefangen hättest zu reihern, hätte ich mich jedenfalls nicht beherrschen können. Sondern mich erst mal kaputt gelacht. Und eine Menge Fotos geschossen“ „Daran hätte ich keinen Zweifel“, erwiderte Crawford. Die Welt war in Ordnung, und Schwarz war wieder vereint. -- Bei Weiß stand der unfreiwillige Patient am nächsten Morgen auch wieder, zwar noch etwas blass um die Nase und weich in den Knien, aber mit eiserner Selbstbeherrschung aufrecht. Er trank kommentarlos warmen, magenschonenden Tee in der Küche, und kam nicht einmal eine winzige Sekunde lang in Verlegenheit, als Ken ihn fragte, ob es denn schön gewesen sei, bei seinem Bekannten. Als Omi und Ken sich zur Wochenendsfrühschicht verzogen hatten, wechselten Aya und Yohji einen stummen, wissenden Blick über den Tisch hinweg und widmeten sich wieder ihrem Frühstück. Manchmal musste ein Mann eben tun, was ein Mann tun musste, und über gewisse Dinge sprach man dann hinterher auch nicht mehr. Der Ältere war nur froh, dass diese Krankheitsgeschichte vorbei war. Er wusste noch nicht, dass sie in zwei Tagen einem hohen Tier in der Nahrungsmittelindustrie auf den Hals gehetzt würden, wegen skandalöser, perverser und menschenverachtender Verwertung von Gammelfisch in der Sushi-Industrie. Er wusste ebenfalls nicht, dass sie auf Schwarz treffen würden, und er in genau dieser Nacht verdattert zusehen musste, wie Aya und der wilde Telepath sich bis aufs Blut um den Verantwortlichen- ihr eigentliches Opfer- prügeln würden, der in dem allgemeinen Chaos beinahe davonkam. Yohji wusste noch nicht, dass er es dann, unter dem bleichen Mond und in der hässlich kalten Nacht, sehr bedauern würde, verplant zu haben, dass seine Skiunterwäsche, die gut gegen Kälte half, immer noch in der Reinigung war. Zumindest die Hose. Dass er sich deshalb beinahe wortwörtlich das Hinterteil abfrohr, weil die eklige Kälte durch alle Ritzen der Kleidung seine Beine hinauf kroch. Er wusste auch noch nicht, dass er aus lauter Verwunderung einen schnellen Blick mit dem Orakel wechseln würde, wenn sie beide, von ihren Stammgegnern schmählichst versetzt, zusehen mussten, wie die sich um das Recht sadistischer, blutiger Rache an einem bösen Menschen schlugen, wie zwei Kater um ihr Revier. Dass ihm der Gedanke durch den Kopf schießen würde, es gäbe wohl Weiß und Schwarz, aber Rot war sicher ein wichtiges Herzstück von beidem, und definitiv eine Nummer für sich... Nein, Yohji hatte von alldem noch keine Ahnung. Er war schließlich auch kein Hellseher. Er hatte heute seinen freien Tag, und alles andere konnte ihm seinethalben sonstwo vorbei gehen. Irgendwie, dachte Yohji, bei diesem letzten Schluck Kaffee bevor er nach oben gehen, sich entblättern, nur noch ins Bett fallen und den ganzen freien Tag lang in seligem Schlummer verbringen würde, hatte Aya auch seine guten Seiten. Fein, er war kompliziert, wenn er krank war. Aber zum Glück war er das doch äußerst selten. Es hätte noch schlimmer sein können. Zum Glück war er nicht den Rest der Zeit noch komplizierter als ohnehin schon. Und noch aggressiver, so einmal im Monat. Ganz zu schweigen von ihrer, ohnehin nicht sehr tragfähigen, Beziehung. Zum Glück war Ran Fujimiya wenigstens keine Frau. ...Obwohl es ja fast Verschwendung war. Bei DEN Wimpern... -- --ENDE-- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)