Sed de Sangre von Nievaris (Blutdurst) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Es war ein prüfender Blick, den Commodore James Norrington über den Hafen von Port Royal gleiten ließ. Auch wenn es nichts gab, das ungewöhnlich oder verdächtig erschien, wollte er für sich sicher sein, dass alles so war, wie es gehörte. Seitdem dieser Jack Sparrow in der Karibik nicht länger sein Unwesen trieb – und nur Gott alleine vermochte zu wissen, wie lange diese Ruhe und diese Abwesenheit noch andauern würde – war nichts Aufregendes mehr passiert. Zumindest nichts, was in den Rahmen bezüglich dessen passen würde, was das letzte Mal passiert war, als der Pirat seine Stiefel auf britischen Grund gesetzt hatte. Er war seit einigen Monaten verschwunden. Nicht, dass Norrington eine bestimmte Zahl einfach so aus dem Stegreif sagen konnte, aber es war ihm aufgefallen, dass es seit einem gewissen Zeitraum keine Meldungen mehr bezüglich dieser schwarzen Bestie von Schiff bei ihm im Büro gelandet waren – was auch gleich Tonnen weniger Schreibarbeit bedeutete. Natürlich jagte er immer noch Piraten nach. Doch diese waren bei Weitem leichter zu fangen, hinter Gitter zu bringen und an den Schafott zu führen. Es waren immer wieder Männer dabei, die versuchten, zu entkommen oder sich rauszureden. Doch keiner von ihnen kam auch nur annähernd an das heran, was Sparrow das letzte Mal abgezogen hatte. Natürlich war seine spektakuläre Flucht nur gelungen, weil ein gewisser Schmied dachte, Partei für einen vermeintlichen Freund zu ergreifen und sich auch die damalige Ms. Swann verpflichtet fühlte, dem jungen Master Turner beizustehen und Sparrow vor der Wiederverhaftung zu bewahren. Im Nachhinein betrachtet eine eher lachhafte Szene, für Norrington war es damals allerdings sehr nahe an so etwas wie seiner persönliche Hölle gewesen. Er hatte binnen eines Wimpernschlags seine Verlobte verloren, seinen Gefangenen und wohl auch so etwas, wie der Respekt der Umstehenden, auch wenn diese es niemals so formulieren würden. Es wäre eine Lüge gewesen, hätte er gesagt, er war so blind und hätte nicht bemerkt, was zwischen dem Schmied Turner und der Tochter des Gouverneurs lief. Oder zumindest hätte er es verleugnen müssen, ein bisschen menschliches Taktgefühl zu besitzen. Vielleicht war es auch gut, dass Elizabeth seinen Antrag im letzten Moment nicht angenommen hatte, denn in dieser Ehe wären sie beide nur unglücklich geworden. Elizabeth, weil sie ihn nicht liebte und sich Turner vielleicht als heimlichen Geliebten zugelegt hätte und Norrington wäre seines Lebens nicht froh gewesen, weil er wusste, dass er die junge Frau in einen goldenen Käfig gesperrt hätte. Dennoch hatte er gehofft, beim erneuten Nachfragen bezüglich Elizabeths Antwort auf seinen Antrag, ein wenig mehr Ehrlichkeit zu bekommen. Es wäre wohl für alle Beteiligten weniger schlimm gewesen, wenn die damalige Miss Swann schon zu diesem Zeitpunkt ihre Worte zurückgenommen hätte, anstatt in aller Öffentlichkeit dem Weg ihres Herzens zu folgen… Salzige Meeresluft wehte ihm entgegen. Das Bürofenster hatte er geöffnet, sodass er sich mit den Händen an der Brüstung abstützen und einen ungehinderten Blick auf das offene Meer haben konnte. Selbst wenn sich nichts veränderte, wenn das Meer jeden Tag aufs Neue gleich aussah, war es niemals langweilig für ihn. Aus einem unbestimmten Grund konnte er sogar recht gut nachdenken, wenn er auf die beinahe endlosen Wellen starrte. Eigentlich hatte er den einsamen Pfad freiwillig gewählt. Immerhin gab es in Port Royal mehr als nur eine junge Frau, die sich nur zu gerne an seiner Seite sehen würde. Und nicht nur die jungen Frauen, sondern auch deren Mütter, die es bestimmt gut heißen würden, vor ihren Freundinnen ihren neuen Schwiegersohn vorzustellen – den Commodore persönlich. Frisch herausgeputzt in marineblauer Uniform und gepuderter Perücke, Abzeichen und Medaille am rechten Platz. Es wäre wohl ein einfaches Leben – zumindest in privater Hinsicht. Er würde hier zu einer Teeparty gehen und dort bei einem Ball oder ähnlichem eingeladen sein, mit seiner Frau tanzen und sie beide wären das Vorzeigepaar schlechthin. Nur zu gerne hätte er Elizabeth in dieser Position gewusst, immerhin war sie nicht nur zu einer wunderschönen Frau herangewachsen, sondern besaß auch eine große Portion Humor, sowie eine andere menschliche Seite, die man einer Frau ihres Standes womöglich nicht zutrauen würde. Sie war keiner jener Damen, die sich nur für’s Sticken oder Oberflächlichkeiten interessierten, sondern auch für das, was hinter der Fassade eines Menschen steckte. Doch vermutlich hatte sie sich aus diesem Grund für den jungen Schmied entschieden. Aus diesem Grund sah sie in Jack Sparrow ebenfalls einen guten Mann, der es nicht verdient hatte, einfach so am Ende eines Stricks zu sterben. Und was war mit James selbst? Der junge Brite hatte die Augenbrauen brütend zusammengezogen, während er die Arme hinter seinem Rücken verschränkt hielt. Eine Pose, die er nur allzu oft unbeabsichtigt einnahm. Hielt er Jack Sparrow für einen guten Mann? Zumindest hielt er ihn – und dabei blieb er seiner Meinung treu – für den schlechtesten Piraten, der sich in diesen Gewässern herumtrieb. Vermutlich war er der schlechteste Pirat der sieben Weltmeere, doch auf der anderen Seite musste er Mann zugestehen, anders als seine ‚Berufsvetter’ ein gewisses Gespür für Fairness zu haben. Wenn man bei einem Piraten denn von solcher sprechen kann. Im Gegensatz zu jedem Piraten, den er bisher gehängt hatte, stand auf Sparrows Liste von Verbrechen weder Vergewaltigung noch Mord. Mindestens eines der beiden Dinge war auf jedem sonstigen Piratensteckbrief vermerkt, doch bei Sparrow fehlten sie. Das bedeutete allerdings nicht, dass es seine sonstigen Taten in irgendeiner Weise rechtfertigte, noch erklärte und Norrington war sich sicher, dass es einen triftigen Grund gegeben haben musste, weswegen Sparrow als Pirat gebrandmarkt wurde. Doch sich nun darüber den Kopf zu zerbrechen war vergebliche Mühe. Außerdem interessierte es ihn nicht sonderlich und sollte er sich wirklich einmal den Kopf darüber zerbrechen, so würde er bestimmt irgendwo irgendeine Akte finden, in der stand, weswegen dieser Mann nun sein leben als Seeräuber fristete. Im Moment war dies allerdings eine andere See und nicht die Karibische, weswegen er nicht in Norringtons Zuständigkeit fiel. Sollte dieser Mann doch tun und lassen, was er wollte, wo immer er sich gerade auch aufhielt. Außerdem brauchte er auch nicht zurückkommen, obwohl Norrington daran dachte, dass dies Wunschdenken wäre, sollte Sparrow nicht gestorben sein. Das brachte seine Gedanken zurück an jenen Tag, an dem er eigentlich hätte sterben sollen. Was wiederum von einem Schmied und seiner jetzigen Ex-Verlobten vereitelt wurde. So betrachtet hätte dies eigentlich gar keine sonderlich verheerenden Auswirkungen haben können, immerhin waren genug Soldaten anwesend, um Sparrow erneut gefangen zu nehmen und kurzerhand zurück zum Schafott zu führen. Selbst wenn er, so wie damals am Fort, alle mit seiner Rede ablenkte, nur um dann schlussendlich ins Meer zu fallen, hätten sie ihn wieder zurückbringen können. Wieso sie es nicht getan hatten? Weil Norrington selbst seine gütigen fünf Minuten hatte, überwältigt von den Ereignissen, die sich binnen weniger Minuten vor seinen Augen abgespielt hatten. Verlorener Gefangener, verlorene verlobte…da konnte man dem verlorenen und entlaufenen Gefangenen doch einen Tag Vorsprung einräumen, oder etwa nicht? Leider war aus einem Tag eine Woche geworden, aus der Woche war ein Monat geworden und da die Interceptor auf dem Grund der See ruhte und sich nicht mehr aktiv in seinem Besitz befand, hatten sie kein Schiff, dass es mit der Black Pearl aufnehmen konnte, was die Geschwindigkeit anbelangte. Nicht, dass er das nicht schon vorher gewusst hatte. Immerhin war dieses schwarze Schiff zuvor im Besitz eines anderen, wesentlich brutaleren Captain gewesen. Jetzt allerdings in Richtung Horizont zu starren und sich über die Vergangenheit den Kopf zu zerbrechen, war aus beruflicher Hinsicht gesehen nicht gerade konstruktiv, weswegen der junge Offizier den Blick schwer abwandte und zurück zu seinem Schreibtisch ging. Es war ein großer Schreibtisch, die Platte war am Rand mit einigen schnörkeligen Linien verziert worden und glänzte im einfallenden Licht der Nachmittagssonne. Sein Büro war so ausgelegt, dass die Sonne zu beinahe jeder Stunde reinscheinen konnte. Auf der einen Seite war es recht praktisch, da er so nur selten eine andere Beleuchtung brauchte. Auf der anderen Seite konnte dies dazu führen, dass es in seinem Büro selbst für karibische Verhältnisse sehr warm wurde. Auch das Zuziehen der Vorhänge half dann nur wenig und es gab mehr Momente, als er zählen konnte, in denen er sich die Perücke am liebsten abgenommen und seine Krawatte etwas gelockert hätte. Wer auch immer diese Uniform entworfen hatte, hatte dabei nicht bedacht, dass so viel Brokat in der Karibik mehr als unangenehm zu tragen war. ~*~*~ Weitere Wochen zogen ins Land und noch immer gab es weder eine Spur von dem schwarzen Piratenschiff, noch von ihrem Captain. Die See rund um Port Royal war ruhig, so wie auch der Rest der karibischen See. Immer wieder gab es einige kleine Meldungen über Überfälle und jedes Mal ging es Norrington gegen den Strich, die Dauntless deswegen auslaufen zu lassen. Sie war ein großes Schiff und für jeden Krieg mehr als gut geeignet. Er wusste auch, dass die Piraten, die sich in diesen Gewässern herumtrieben, mehr als nur Respekt vor dem Schiff hatten, dass der Royal Navy unterstand. Auf der anderen Seite: wenn sie die Interceptor noch hätten, wäre es wesentlich praktischer mit ihr auf Piratenjagd zu gehen. Immerhin war dieses Schiff kleiner, wendiger und vor allen Dingen schneller gewesen. Das Schreiben, das der Commodore nach England geschickt hatte, war in der Zwischenzeit schon angekommen und war auch schon die Rede davon, dass sie ein Schiff geschickt bekommen würden, dass der Interceptor vom Bau her sehr ähnlich war. Nicht, dass sie genauso gut sein würde, aber es war besser als nichts. Das Sparrow sich damals dieses Schiff unter den Nagel gerissen hatte, war für Norrington schon ein schwerer Schlag gewesen, aber als es dann auch noch in die Luft gejagt wurde und nun am Grund des Meeres ruhte, ging ihm noch mehr gegen den Strich. Er selbst hatte damals von seinen Männern verlangt gehabt, die Interceptor mit den Kanonen der Dauntless abzuschießen und sie zu versenken. Das war ein Gedanke gewesen, mit dem er sich hätte anfreunden können. Eventuell. Aber das Schiff war von Piraten benutzt und versenkt worden. Um sich auf andere Gedanken zu bringen langte Norrington nach einem weiteren Stück Papier, tunkte den Federkiel erneut in das kleine Tintenfass und begann damit, einen weiteren Bericht zu schreiben. Er verbrachte viel Zeit in seinem Büro und viel zu wenig Zeit auf dem Meer, leider. Aber dessen war er sich bewusst und je höher er im Rang aufsteigen würde, desto weniger Zeit hätte er wohl, auch nur einen Blick auf die See zu werfen. Ein Gedanke, der ihm wenig bis gar nicht gefiel. Er war schon recht früh zum Commodore befördert worden. Ein Posten, auf den nicht nur er sehr stolz war und dennoch gab es einiges, worum er andere beneidete… Nein, Berichte schreiben brachte ihn nicht wirklich auf andere Gedanken. Vielleicht sollte er dem Rat einiger seiner Bekannte – er konnte sie nicht wirklich als Freunde bezeichnen, oder? – folgen und früher Feierabend machen. Anstatt Berichte zu schreiben und zu viel über Vergangenes zu brüten einfach einen Spaziergang machen. Jamaika bot mehr als nur diese Hafenstadt. Und je mehr er an diese Idee dachte, desto einladender schien sie ihm. So kam es, dass er diesen Abend nicht hinter dicken Mauern verbrachte und seit Tagen – vielleicht waren es auch schon Wochen – die rote Sonne sehen konnte und wie sie sich ständig dem Horizont näherte. Anders als sonst hatte er Perücke und Uniform in seinem Haus gelassen. Die Bezeichnung ‚zu Hause’ verdiente das Gebäude nicht wirklich. Immerhin beinhaltete dies, dass man sich geborgen, sicher und wohl fühlte. Er fühlte sich dort zwar sicher, aber wirklich heimelig war es nicht. Er wohnte dort, lebte dort aber nicht. Viel zu viel Zeit verbrachte er in seinem Büro, bei gesellschaftlichen Einsätzen oder aber auf der Dauntless. Was schon selten genug vorkam. Gedankenverloren blieb er unweit des Hafens am Strand stehen, beobachtete die Gischt und das Wogen der Wellen, bevor ihm etwas aus den Augenwinkeln auffiel. Es war nur ein kleiner, dunkler Fleck am Horizont, doch Norrington war sich sicher, dass dieser dunkle Fleck ein Schiff war. Was sonst sollte mit einem Mal dort aufgetaucht sein? Ein deprimiertes Seufzen entkam seinen Lippen und doch rauschte mit einem Mal Adrenalin durch seine Adern. Auch wenn die Lichtverhältnisse ihm womöglich einen Streit spielten, es bestand die Chance, dass dieses Schiff so dunkel bleiben würde. Mit schnellen Schritten machte sich Norrington auf den Weg zum Fort. Dass er keine Uniform trug sollte im Moment egal sein, die könnte er sich zur Not noch holen. Zuerst musste er seinen Männern seine Befehle zukommen lassen. Auch wenn er sich bewusst war, dass sowohl Captain Gillette als auch Leutnant Groves gute Arbeit leisteten und er ihnen diesbezüglich freie Hand lassen konnte – wenn man wollte, dass etwas gut erledigt wird, sollte man es selbst machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)