Alles erstunken und erlogen von abgemeldet (|> Wenn das Leben nur aus Lügen besteht) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Die Nacht war lang und stürmisch gewesen, Dirk hatte sich viele Gedanken gemacht und angestrengt über die Bedeutung dieses Traumes nachgedacht. Natürlich wusste er, dass es auf sein Leben zu übertragen war, gnadenlos. Aber wie sollte er das alles jetzt nach all den Jahren ändern? Wie konnte er nach fast 20 Jahren sagen: ‚Hey, alles war nur eine Lüge, jetzt schaut mal wie ihr das verkraftet, ich verpiss mich mal ins Ausland und lass euch verfickte Arschlöcher allein.‘ Okay, erstens würde er es nicht so sagen, zweitens war letzteres nicht fair. Wer war denn hier das Arschloch? In Gedanken mit sich selbst redend, zeigte er dementsprechend auch mit dem Finger auf sich, tippte gegen seine Brust und seufzte laut. Dann hörte er Schritte. „Dirk? Komm schon raus … du hast mir im Bett gefehlt.“ Jan lehnte sich gegen die Türe, strich mit der Hand darüber und versuchte somit die Nähe zu seinem Freund zu finden. „Das kann doch nicht ewig so weiter gehen … du musst dir helfen lassen!“ Tonlos lachte Dirk, verzog das Gesicht und seufzte ebenfalls ohne ein Geräusch zu machen. “Wenn du doch nur wüsstest …“ „Das ist so lange her, da würde mir auch so ein gottverdammter Psychiater nicht mehr helfen!“ Was sollte der Große schon dagegen sagen? „Lass uns in den Proberaum fahren, Rod wartet sicher schon.“ „Fahr schon mal ohne mich, ich komme nach.“ „Bist du dir sicher?“ „Ja!“, schnaubte Dirk der Tür entgegen und hörte dann erneut Schritte, dieses Mal aber, wie sie sich von ihm entfernten. Dann wurde die Haustüre geschlossen. Stille trat ein, die er weiterhin fürs Nachdenken nutzte. Immer wieder ging er ihre gemeinsamen Tage durch, die Jahre, die sie gemeinsam verbracht hatten. Nun, er wusste soviel von Jan, aber andersherum … Jan kannte nur die Person, die Dirk ihn kennen lassen wollte. Aber davon waren nur wenige Details wahr. Dazu gehörte die Lüge, die den Traum betraf. Wenn er Jan nur im Mindesten über die Wahrheit aufklären würde, wäre sein Traumdeutungsbuch wieder ganz oben vor und bestimmt wäre er dann Feuer und Flamme herauszufinden, was Dirk denn so traumatisierte. Stattdessen glaubte Jan, dass Dirk in frühen Kindheitstagen zusehen musste, wie seine Cousine starb – dabei hatte er nie eine besessen. Und das er eben genau dieses Erlebnis immer wieder im Traum sah. Mittlerweile war es für ihn Routine geworden – die Lügerei. Er konnte es schon so gut, dass nicht einmal Jan mehr bemerkte, dass er log, obwohl er sonst einen wahren Sensor für Lügen besaß. Aber bei ihm tappte er im völlig Dunkeln, ohne es zu wissen. Dirk war nicht das offene Buch, was alle immer glaubten zu sehen. Es steckte mehr dunkles Wesen in ihm, als alle glaubten. Außer Nopper, er war wohl der einzige Mensch, der alles über ihn wusste. Genauso war es aber auch andersherum. Jan war der festen Überzeugung, dass Dirk an einem verspäteten Trauma litt. Aber mittlerweile wusste er es besser, denn das alles, all die Zeit und die Lügen, interessierte ihn nicht mehr. Es war nur wichtig für ihn, dass sie aufrecht gehalten wurden – der Rest war nicht von Bedeutung. Aber besonders Angst machte ihm dieser Traum, da er zu Anfang auf dieselbe Art und Weise ablief, wie es in der Realität gewesen war. Damals, als er im Ballhaus Spandau diesen auffälligen, sichtlich nüchternen Blondschopf von hinten entdeckte, mit Nopper unterwegs war, der sich aber wie immer mit jemand anderem vergnügt hatte – einer Rothaarigen - besonders dieses Detail schockierte ihn. Außerdem glaubte er jedes Mal wieder dort zu sein. Nur dieses goldene Licht gab es logischerweise vor 20 Jahren nicht. War es überhaupt 20 Jahre her? Sogar noch mehr, begann Dirk zu rechnen. 1981 lernten sie sich kennen und nun schrieben sie Frühjahr 2005. 24 Jahre, wenn man mal die Pause, die sie mit ‚die ärzte‘ eingelegt hatten, außer Acht ließ. Und betrunken und zugedröhnt, wie es damals keine Seltenheit gewesen war, hatte er sich richtig an den jungen Mann rangemacht, der vorerst völlig überfordert war, es dann aber über sich ergehen ließ – als Dirk dann beherzt in seinen Schritt gegriffen hatte, war Jan auf Abstand gegangen. Letztlich nicht lange, denn Dirk schob ihm mit einem Grinsen seine Telefonnummer zu. Die Tage kam gar nichts, doch Jan meldete sich tatsächlich bei ihm, wenn auch nur, um ihn als Freund aus Spandau kennen zu lernen, da er selbst in Kreuzberg wohnte und dort der Punk noch längst nicht vertreten war. Damals kamen sie erst später auf die Idee mit der Band, hatten aber beide schon in kleineren Projekten gespielt. Aber die Details taten jetzt nichts zur Sache. Dirk wusste, dass das alles einen tieferen Grund hatte – aber an Übernatürliches glaubte er nicht, weshalb er alles seinem Unterbewusstsein zuschob. Sollte es sich doch Gedanken über seinen Lebensstil machen, ihn interessierte das nun wenig. Es wurde Zeit, sich auf den Weg zu machen. Mit seinen sogenannten Freunden spielte er bald auf ein paar Festivals, wofür sie schon fleißig probten. Und danach war eine längere Pause geplant, aber so ganz ausgereift waren ihre Ideen noch nicht. In der Zwischenzeit war Jan bei Rod im Proberaum angekommen, sah aber nicht wirklich fit aus, sodass Rod ihn besorgt betrachtete. „Der Traum?“ Ohne Worte nickte der Blonde, ließ sich laut seufzend auf der Couch nieder und wusste nicht so recht, was er tun sollte – aber ohne Bela konnten sie eh noch nicht anfangen zu proben, hätte keinen Sinn. „Ich weiß echt nicht, wie ich ihm helfen soll. Er lässt nichts und niemanden an sich heran …“ Rod nickte, setzte sich vor den Blonden in die Hocke und dachte nach. Das war alles sicherlich nicht einfach und eigentlich durfte der Chilene nichts über die Probleme Dirks wissen – er ließ ihn nicht im Geringsten an sich heran. Und besonders in den letzten 2 Jahren. Aber Jan widmete sich immer wieder seinem besten Freund, bat ihn um Rat. Und deshalb kramte er nun in seiner Ideenkiste. „Wie wäre es, wenn ich mich mal mit ihm unterhalte? Vielleicht bringt es ja was?“ Jan sah den Jüngeren an und lächelte leicht. „Vielleicht …“ Und das sah Rod als Bestätigung und stellte sich darauf ein, vor der Probe alles ins Lot zu bringen. Das konnte man sich ja nicht ewig so anschauen. So schwang sich der Schwarzhaarige in seinen schwarzen Passat und startete den Motor, ließ die Kupplung kommen und schob sich mit seinem Diesel ein ganzes Stück vor, bevor er auf das Gaspedal trat und in Richtung Innenstadt fuhr, dort, wo sich ihr Proberaum befand und seine Bandkollegen mit Sicherheit schon warteten. Gedankenverloren blickte er kurz auf seinen Ringfinger und seufzte. Vor 2 Jahren hatte Jan ihn gefragt, ob er ihn heiraten wolle. Gespielt erfreut hatte er bejaht, aber das war völliger Humbuck. Und das musste er aufhalten. Nicht noch mehr, nicht jetzt auch noch staatlich eingetragen … Vielleicht kam Jan irgendwann auf die Idee ihn zu verklagen. Nein, das war zu riskant. 2 Jahre schaffte er es nun schon, die Heirat hinaus zu schieben. Aber Jan wurde ungeduldig und mit Sicherheit auch ein wenig misstrauisch. Und wenn Dirk Misstrauen entgegen gebracht wurde, hieß das nichts Gutes. Auf einmal begann aus heiterem Himmel ein Regenschauer hinab zu prasseln und durch die plötzliche Flut bewegte sich sein Auto unkontrolliert über die Straße. Bei seiner nächsten Aktion dachte er nicht nach, versuchte das Lenkrad zu bewegen und schrie auf, als sein Auto näher an den Graben schwamm. „Verficktes Aquaplaning!“, fluchte er und hoffte, dass seine Räder bald wieder den Boden zu fassen bekamen – und da … Er spürte einen Ruck und atmete tief durch. Glück gehabt … Das Unglück schien ihn seit 2 Jahren zu verfolgen. In einer knappen halben Stunde hatte er den Proberaum erreicht, stieg aus und lief schnell ins Trockene. Überraschend kam ihm dort Rod entgegen. Mit kühlem Blick betrachtete der Schwarzhaarige den Chilenen und fragte nur: „Was willst du?“ Rod wunderte es nicht, dass Dirk ihm so entgegen trat und so blieb er vor der Türe stehen und sah durchdringend in die kühlen, giftgrünen Augen und schüttelte den Kopf. „Was ist los mit dir?“, fragte er direkt gerade aus heraus und verschränkte die Arme vor der Brust, sah den anderen fragend an. „Was soll denn los sein?“ „Der Traum?“ Laut fauchte der Schwarzhaarige: „Er hat es dir erzählt??“ Doch darauf brauchte er keine Antwort, sondern biss sich nur auf die Zunge, um nicht die wüstesten Schimpfwörter auszuspucken, die ihm in diesem Moment einfielen. So blieb er still, sah weg, wollte damit anzeigen, dass es ihm unangenehm war – ihn traurig stimmte, darüber zu reden. „Ich meine … es ist ganz natürlich und du solltest dir wirklich helfen lassen und nicht alle von dir abschieben. Selbst Jan kommt nicht mehr an dich heran, dabei hat es doch immer etwas geholfen.“ Innerlich lachte Dirk seinen ‚Freund‘ aus, lachte und lachte. Lauter und bald hysterischer, verrückter. Doch äußerlich legte sich nur ein verbittertes Lächeln auf seine Lippen. „Das sagst du so leicht, Rod, aber ich denke du weißt mit am Besten, das so ein Anblick nicht einfach mal so zu ertragen ist.“ Und damit traf er ins Schwarze, jetzt sah der Chilene weg und nickte nur. „Aber … mach Jan nicht alles noch schwerer, lass wenigstens ihn an dich ran, wenn du schon die restliche Welt abblockst.“, flüsterte er und bekam dafür nur ein forsches Nicken von Dirk, der nun in den Proberaum stürmte. Jan stand auf, als die Tür sich mit einem Mal öffnete. Mit großen, glitzernden Augen sah er zu seinem Lebensgefährten, zu seinem Verlobten, den er so gerne zu seinem Mann nehmen würde. Aber in den letzten Jahren hatte er sich immer weiter zurück gezogen, schien nachdenklicher geworden zu sein. Über was dachte er nach? Angst kroch durch den blonden, großen Körper, als er den Blick Dirks wahrnahm. Dort befand sich Enttäuschung. „Ich dachte, du könntest etwas für dich behalten, Jan, und erzählst es nicht gleich dem nächstbesten …“, meinte er leise, geknickt. „Dirk! Ich wusste mir nicht mehr zu helfen, du lässt dir nicht helfen und … ich hatte gehofft, dass Rod vielleicht an dich heran kommt.“ „Ich hab dir vertraut, verstehst du?“, schrie nun Dirk seinerseits und es war kaum zu glauben, wie echt diese Szenerie wirkte. Rod beobachtete es im Türrahmen und hatte wirklich Angst. Angst, dass diese sonst so wunderbare Beziehung zerbrechen könnte, vielleicht war sein Versuch der Ausschlag hierfür. „Dirk, bitte … Es war doch nur Rod und …“ Jan fühlte sich klein, blickte entschuldigend zu Dirk, der sich mit heftigen Bewegungen umwandte. „Nichts bitte, nichts ‚es war nur Rod‘. Nichts!!! Es ist doch alles nur scheiße … Und das hier können wir doch auch alles lassen! Es bringt doch nichts mehr.“ In seiner Rage packte er ein Glas so fest, dass es in seiner Hand zerbarst. Und, wie es das Unglück so wollte, vergrub sich eine Scherbe tief ins Fleisch. Ein starker Schmerz breitete sich aus und er spürte das warme Blut. Langsam lief er zum Sofa. Der Schock saß ihm tief in den Adern und Jan begann erschrocken aufzuschreien. „Um Gottes Willen, Schatz!!!“ Als Dirk sich niedergelassen hatte, ließ Jan sich auf die Knie nieder und machte es sich zur Aufgabe, die Scherbe zu entfernen und dann alles soweit zu versorgen. Der schwarzhaarige Spandauer bemerkte davon nichts. Vor seinen Augen drehte sich alles und er glaubte, dass etwas an ihm vorbei wischte. Rod stand immer noch im Türrahmen, starrte zur Szenerie. Sein Herz klopfte laut. Aber Dirk hörte nur sein eigenes, lautpochendes Organ. Ihm war unwohl, er fühlte sich, als würde ihn wirklich etwas verfolgen. Und als er zu den Scherben sah, bewegte sich eine ruckartig in seine Richtung. Nun war es aus. Schreiend stand der Schwarzhaarige auf. Dieses Mal war alles echt. Vor seinen Augen breitete sich ein schwarzer Schleier aus und er trat Jan von sich, der immer noch versuchte ihm einen Verband um die Hand zu machen. „Weg … weg! Raus … ich muss hier raus …“, stolpernd und unter Schmerzen schnappte er sich seinen Schuh, zog ihn grob an und wollte an Rod vorbei, der ihn an der Schulter packte und ihn streng ansah. „Was soll das jetzt?! Es ist doch alles okay, das wird schon wieder.“ „LASS MICH RAUS!“, schrie Dirk ihn laut an, Rod zuckte beiseite, als hätte man ihn geschlagen. Diese Möglichkeit nutzte der Schwarzhaarige, verschwand aus dem Proberaum und direkt in den nassen Regen. Das war kein Zufall mehr. Ihm lief es eiskalt über den Rücken und das laute Rufen seines Freundes hörte er nicht. Die Ohren zugefallen, die Panik in jeder einzelnen Faser seines Körpers. Sie ließ ihn nicht mehr los. Sollte sie ständiger Begleiter werden? Die Autotüre schlug zu und dann hatte er ein Black-out. Was war jetzt eigentlich geschehen? Wie war er wieder in den Wagen gekommen? Er spürte nur den Schmerz im Fuß, wusste, dass eine Scherbe ihn getroffen hatte. Aber … kurz sah er wieder die Szenerie, wie die Scherbe in seine Richtung gesprungen war, das Gefühl, dass ein weiteres Wesen im Raum war. Nein. Heftig schüttelte er den Kopf. Was war er für ein Dummkopf? Heftiges Klopfen an der Scheibe, dann war es weg. Dirks Kopf fuhr hoch und da sah er eine Silhouette. Angst kroch ihm erneut durch den Körper und er startete rasch den Motor, wollte diesen Dreckskerl umfahren. So legte er den ersten Gang ein und trat so sehr aufs Gas, dass die Räder durchdrehten. Erst dann bewegte sich sein Wagen und er hörte das Schreien eines Mannes, wie dieser über sein Auto flog und dann kam Dirk wieder Meter weiter zum Stehen. Sein Herz pochte laut und ihm war schlecht. Eine Blutspur zog sich über die Scheibe. „DIRK! WAS HAST DU GETAN?“, schrie Jan laut und langsam realisierte der Schwarzhaarige, was hier geschehen war. Die Lippen waren mit einem Mal staubtrocken und der Körper zitterte stark. Was war mit ihm los? Was ging hier vor sich? Der Körper bewegte sich langsam, er stieg aus und blickte auf den Chilenen, der dort am Boden lag. Neben ihm saß Jan, umarmte diesen und weinte laut. Mit einem undefinierbaren Blick sah Jan zu seinem Lebensgefährten hinauf und schrie ihn an. „Ruf doch wenigstens den Krankenwagen, du Mistkerl!“ Zwar trafen ihn die Worte nicht, aber gleichzeitig bekam er Angst, Angst vor sich selbst – vor dem, was gerade geschehen war. 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