Nicht an morgen denken. von Nachtwandler (Oder so.) ================================================================================ Mittagsdämmern. --------------- Er kam mir entgegen und er trug ein dünnes Lächeln auf seinem bleichen Gesicht. Das Haar fiel ihm schwarz ins Gesicht und verdeckte seine Augen, den Kopf hatte er gesenkt. Sein staubiger Mantel, der wohl irgendwann einmal richtig schwarz gewesen war, wehte armselig hinter ihm im Wind, trockener, heller Staub wirbelte unter unseren Schritten auf, als wir uns einander näherten. Über uns das Singen in den Telefondrähten und das Heulen des Windes über dem strohig gelbbraunen Grasland, über uns der der ewig blaue Himmel, unter uns dieser Weg, an manchen Stellen ragte dunkelgrauer Asphalt aus der feinkörnigen Erde, dieser Weg, den wir beide gingen, die Pfähle, die alle zehn Meter entlang des Weges schwarz und drohend aufragten und das einzige waren, das in irgendeiner Weise Schatten warf. Abgesehen von unseren Schatten. Wir waren kaum mehr zwei Meter voneinander entfernt. Jetzt hob er den Kopf, sodass ich sein Gesicht vollends sehen konnte. Sein Anblick verwirrte mich, denn es war mir vertraut, ein Funken des Wiedererkennens durchzuckte mich - und erlosch. Ein Meter. Ich blieb stehen und er tat es mir gleich. Und plötzlich fiel es mir wieder ein. Ich hatte sein Gesicht schon einmal gesehen, damals, kurz bevor ich einschlief und als ich nach einem schweren Schlaf wieder aufwachte, hatte es sich wie ein Nachbild in meine Netzhaut gebrannt, es hatte noch einmal aufgeleuchtet und war dann erloschen. Bis jetzt. Ich wollte zurückweichen, aber eine Kraft, wie zwischen zwei gleichpoligen Magnetenden drückte mich fort, weiter nach vorne, er war mir jetzt nah, eigentlich viel zu nah. "Verwechsle nicht den Botschafter mit seiner Nachricht", sagte er und seine Lippen bewegten sich nicht, als er sprach. Seine Stimme hatte die angenehme Farbe von trocknenden Tannnadeln und Kiefernharz. Es sollte wohl eine Beruhigung sein, aber er erreichte damit nur das Gegenteil bei mir. Vielleicht lag es an dem leisen Lachen, dass in seinen Worten lag. Er wusste es genau. "Das habe ich noch nie", erwiderte ich, verärgert über meine eigene Faszination. "So?" Das fragende Zucken einer linken Augenbraue. "Was willst du überhaupt, du kennst mich ...", hielt ich ihm anklagend vor. "Das stimmt." Mehr sagte er nicht und wir verharrten eine Weile schweigend, jeder bei seinen Gedanken und ich unfähig auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen, bevor er nicht an mir vorbeigegangen war. "Lass mich gehen", sagte ich und verfluchte den bittenden Tonfall, der sich in meine Stimme geschlichen hatte, der ihm offenlegte, wie ich mich fühlte. "Du weißt, dass du nicht vor mir fliehen kannst", er lächelte immer noch, fein, wie mit Sand abgeschliffen. "Nein", entgegnete ich, wohl wissend, dass er mehr als Recht hatte. Seine schwarzen Augen nahmen mich für einen Augenblick in den Fokus und ich fiel vornüber in einen schier endlosen Abgrund, der so tief war wie das Universum, aber gerade als ich glaubte, an der matten Stummheit und Leere ersticken zu müssen, gab er mich wieder frei. Er trat einen Schritt zurück. Ich keuchte. "Du bist sehr stark", sagte er, "aber das ist nicht alles, das wird dir nicht helfen. Am Ende wird dir kein Ausweg bleiben, so wie allen anderen vor dir auch." "Ich weiß", entgegnete ich nur. Und schauderte. "Nein, das weißt du nicht. Du weißt ja manchmal nicht einmal, wer du bist." Seine Stimme war frei von jedem Vorwurf. "Vielen Dank", schnappte ich zurück. "Nichts zu danken. Aber gerade darin liegt auch deine Stärke. Du denkst nicht an dich und was passieren könnte, du bist bereit, alles aufzugeben für den Moment. Vergiss das nie." "Ich werde es nicht vergessen." Und dich auch nicht, wollte ich noch sagen, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Er musste sie trotzdem gehört haben, denn für einen Augenblick lang glaubte ich, auch seine Augen lächeln zu sehen, ein trauriges Lächeln, aber voller Wärme. "Dann leb wohl." Er klopfte mir auf die Schulter, und ging an mir vorbei. Ich drehte mich um und sah ihm noch einige Augenblicke nach, vermutlich auf eine plötzliches Dematerialisierung hoffend, aber als das nicht geschah - ich glaubte, ihn lachen zu hören - wandte ich mich leicht enttäuscht ab und wanderte weiter den aufgegebenen Highway entlang. Wieder allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)