You confuse me in a way I've never known von Jilienemily ================================================================================ Kapitel 1: Carcrash ------------------- Teil 1 Bastian Eigentlich wollte er doch nur über die Straße gehen und jetzt lag er klatschnass, mit zerrissener Jeans und aufgekratztem Knie mitten auf der Straße und wurde wütend angehupt. Was sollte er denn bitte machen? Einfach weg fliegen? So ein Arsch, wenn der Typ Augen im Kopf gehabt hätte, wäre gar nichts passiert. Aber nein Zebrastreifen existierten ja nicht für Mercedesfahrer. Gerade als Bastian sich mühsam hoch stemmen wollte und dabei fest stellte, das er sich auch die Handfläche auf geschabt hatte, griffen zwei starke Hände unter seine Arme und zogen ihn mühelos hoch. Verdattert ließ er sich von seinem Helfer über die Straße bugsieren, wobei er eher stolperte und halb getragen wurde. Der Mercedes rauschte davon und schon fand er sich auf einer Bank sitzend. „Hast du dich verletzt?“ fragte eine Stimme von der er weiche Knie bekam und als dann auch noch das dazu gehörige Gesicht auftauchte, war es mit seiner Selbstbeherrschung ganz vorbei. „Ich .. das.. nein .. nur.. nur mein Knie.“ Stammelte er und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, in der Uni konnte er stundenlang Reden schwingen aber wenn es drauf ankam schien das für sein Sprachzentrum verantwortliche Gen gerade Mittagspause zu machen. Vorsichtig legten sich die Hände, die ihn eben so mühelos hoch gehoben hatten auf sein Bein und hoben es leicht an, streckten es und knickten es wieder. „Nichts ernstes, du bist ganz schön hart aufgekommen.“ hörte er die Stimme sagen und erst da wurde ihm bewusst, das es gar nicht daran lag das sein Gen Mittagspause machte sondern viel mehr daran, das die Welt irgendwie immer dunkler wurde. Verwirrt blinzelte er dagegen an, konnte aber die Konturen seines Retters nicht mehr klar erkennen. Oh bitte nicht.. flehte er innerlich doch zuspät. Er war ziemlich hart mit dem Kopf aufgeschlagen und das rächte sich jetzt. Ihm wurde furchtbar schlecht, dann kam die Dunkelheit, das Rauschen und Blubb war die Welt weg. Irgendwas kaltes, nasses lief ihm über die Wange und tropfte ganz ekelhaft in sein Ohr. Irritiert blinzelte er und musste die Augen wieder zu kneifen, weil er direkt in eine Lampe sah. „Na, wieder wach?“ hörte er dicht neben sich eine amüsierte Stimme, die kannte er doch. Je wacher er wurde, desto realer wurde auch der Schmerz. Sein Kopf pochte ganz widerlich, mal ganz zu schweigen vom Brennen das sein rechtes Knie und beide Handflächen überzog. Wenigstens nahm jemand das nasse etwas von seiner Stirn, das sich bei näherem betrachten als Waschlappen entpuppte. Ruckartig setzte er sich auf. Oh oh.. böser Fehler. „Auu...hmmm...“ stöhnend kippte er zurück und griff sich an die pochende Stirn. „Kannst du dich ein wenig aufrichten? Aber nicht so schnell wie eben, dann kannst du die Aspirin besser trinken.“ das Grinsen war deutlich heraus zu hören und endlich konnte er den Mann neben sich in Augenschein nehmen. Ihm wurde ein Kissen in den Nacken geschoben und dann ein Glas in die Hand gedrückt. Wer auch immer er war, er sah umwerfend gut aus. Fast wie eines dieser Parfummodels, die man sonst nur in Hochglanzmagazinen betrachten und anschmachten konnte. Tief schwarze, schimmernde Locken umrahmten ein klassisches Gesicht, fast als wäre er eine lebendig gewordene Marmorfigur Michel Angelos oder Rodins. Was nicht ganz ins Bild passen wollte waren seine Augen, hell blaue Augen mit dunklen Sprenkeln die schelmisch leuchteten. Hatten Menschen mit dunklen Haaren nicht auch dunkle Augen? „Wer sind sie?“ fragte Bastian schließlich und stellte das geleerte Glas weg. „Ich bin Kai, ich habe zufällig mit angesehen wie du beinahe über den Haufen gefahren wurdest und war so frei dich zu verarzten.“ lächelnd deutete Kai auf das mit einem großen Pflaster versehene Knie. „Und du bist..?“ seine leuchtenden Augen bohrten sich in Bastians und dem fehlten schon wieder die Worte. Das war doch nicht zum aushalten! „Bastian.. also eigentlich Sebastian aber.. ich mag Bastian lieber..“ brachte er mühsam hervor, fasziniert von den Grübchen, die sich bildeten wenn Kai lächelte. „Na dann, freut mich Bastian. Soll ich deine Eltern anrufen damit sie dich abholen?“ fragend hob Kai eine Augenbraue und stand auf um sein Telefon zu holen. Das Bastians Gesichtszüge diesem völlig entglitten sah er deshalb nicht. Seine Eltern?! War das zu fassen? Also so jung sah er ja nun auch wieder nicht aus! „Nein, ich wohne allein.“ Schnappte er grimmig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Oh. Ehm.. soll ich dich dann nach hause bringen?“ Das schien Kai gar nicht sonderlich zu interessieren, der schien ihn nur so schnell wie möglich wieder los werden zu wollen. Fein das konnte er haben. „Nein danke, ich laufe.“ Die Lippen zu einem Schmollmund verzogen, eine Angewohnheit aus Kindertagen die er einfach nicht mehr los wurde, versuchte Bastian auf zu stehen, scheiterte aber kläglich. Gerade als er einen wütenden, zweiten Versuch starten wollte legte sich eine Hand sanft aber bestimmend auf seine Schulter. „Ich bringe dich nach hause.“ Wie auch immer Kai das machte, aber Bastians Glieder schienen urplötzlich aus Knete zu sein und gaben einfach nach. Stumm nickte er, was sollte er auch sonst tun. Da war etwas in Kais Stimme, das keine Widerrede zuließ. Langsam wurde er wirklich neugierig, wer ihn da aufgegabelt hatte. Bastian ließ seinen Blick durch das helle Wohnzimmer in dem er sich befand schweifen. Er saß auf einer hellen, sehr bequemen Couch, mit dazu gehörigem Sessel, dahinter standen dunkle alte Holzregale mit schön geschwungenen Verzierungen, dazwischen ein Sekretär über dem in barockem Rahmen ein Waterhouse Print hing. Definitiv eine Altbauwohnung, unverkennbar mit leicht schiefem Parkettboden, sehr hohen Stuck verzierten Decken und in weißes Holz gefassten Fenstern. Die Wohnung musste ein vermögen kosten, schoss es ihm durch den Kopf. Angestrengt durch forstete er sein Hirn nach einem Film oder einer Serie in der er Kai vielleicht schon mal gesehen hatte. Denn soviel stand fest, jemand der so aussah und in einer solchen Wohnung hauste musste berühmt sein. Ein Schauspieler vielleicht oder wirklich ein Model? War da nicht vor kurzem bei H&M ein Plakat .. aber der Kerl hatte grüne Augen. An solche Augen wie Kai sie hatte würde er sich erinnern, ganz bestimmt. Endlich kam Kai wieder, in einem schwarzen Dufflecoat, der saß als hätte man ihn ihm auf den Leib geschneidert. Sofort waren die Komplexe wieder da, seine Mutter wollte ihm mal so einen Mantel andrehen, an ihm hatte er ausgehen wie an einer Strohpuppe, dabei war es schon ein S Mantel. Was konnte er denn dafür das die Modeindustrie nur bei Frauenmode Minigrößen führte?! Sein Blick verfinsterte sich und Kai runzelte fragend die Stirn. „Ist es in Ordnung wenn ich dir wieder helfe?“ fragte er vorsorglich und reichte Bastian seine Jacke und den Rucksack. Klar war es okay, wer träumte nicht davon das Prince Charming persönlich seinen Retter spielte. Sein Sprachzentrum schien noch immer lahmgelegt und so konnte er wieder nur nicken. Etwas umständlich kämpfte er sich in seine Jacke, schließlich brannten seine Hände ganz ekelhaft, dann griff ihm Kai wieder unter die Arme und stellte ihn auf die Füße, als wöge er nicht mehr als eine Feder. Jetzt wo er ihm so nahe war, nahm Bastian zum ersten mal wahr wie gut Kai roch. Das Leben war wirklich unfair. Sicher würde gleich eine blonde Barbie die einer Highfashion Show entstiegen war rein kommen und wieder mal bestätigen, das solche Männer eben doch dem Klischee treu blieben und nur Traumfrauen nahmen. Gleich und Gleich gesellte sich eben gern, nicht wahr? Gefrustet und ganz benebelt von Kais köstlichem Duft ließ er sich von diesem durch die Wohnung und den Hausflur helfen. Beinahe hätte er sarkastisch aufgelacht als Kai einen BMW ansteuerte, war ja klar. Doch das Piepen gehörte nicht zum BMW sondern zu einem schönen silberfarbenen Ford Mondeo Kombi. Ein Familienauto. Bitte lass keinen Kindersitz drin sein, bitte! Flehte Bastian und atmete erleichtert durch. Nichts, weder auf Forder- noch Rücksitz deutete auf ein Kind hin. „Alles okay? Du gibst so seltsame Geräusche von dir.“ Fragte Kai besorgt, ehe er Bastian auf den Beifahrersitz half. „Nee, alles gut echt.. mein Knie tut nur weh.“ Beteuerte er nicht sehr glaubwürdig und erntete wieder diesen weiche Knie verursachenden, besorgten Blick der eine kleine Falten zwischen die fein geschwungenen Augenbrauen zauberte. Den Moment den Kai brauchte um ums Auto herum zu gehen nutzte Bastian zum umsehen. Alles war ordentlich und roch nach Kai. Auf dem Rücksitz stapelten sich Bücher, aber es war zu dunkel um die Titel zu erkennen. Vielleicht Drehbücher oder Romane zu Drehbüchern die er zur Inspiration las, überlegte Bastian, sah dann aber wieder brav nach vorne als Kai einstieg. Kaum das der Motor startete, ging auch die Musik los. Entgeistert starrte Bastian die Anlage an, die war echt vom feinsten. Aber anstatt Klassik oder die typischen Rockbands wie Nirvana oder The Doors zu spielen, röhrten die Four Non Blondes durchs Auto. Damit hatte er ja gar nicht gerechnet und es entlockte ihm ein kleines Grinsen. „Wow, ich fasse es nicht. Du kannst Lächeln?“ grinste nun auch Kai neben ihm, drehte die Anlage leiser und die Heizung hoch. „Ja.. soll vorkommen.“ nuschelte Bastian und seine Wangen begannen zu glühen, zum ersten mal war er froh das es im Winter schon um fünf dunkel wurde und Kai es so nicht sehen konnte. „Lotst du mich?“ bat Kai nach einer Weile, sie waren noch immer in der Innenstadt und fuhren in die richtige Richtung, irgendwie hatte Bastian angenommen Kai wüsste wo er wohnt. Er fühlte sich bei ihm eindeutig zu wohl, aber wie sollte man das nicht mit einem so schönen Mann in einem herrlich riechenden und inzwischen auch kuschelig warmen Auto? „Oh, klar ehm.. da vorne bei der zweiten Ampel musst du rechts. Am besten du folgst den Schildern zur Uni.“ Schlug er vor und kniff die Augen zusammen um zu erkennen ob die Uni hier bereits ausgeschildert war. Er sollte sich echt angewöhnen seine Brille zu tragen. Aber das Ding nervte so und juckte und verursachte ihm Kopfschmerzen. „Na sag das doch.“ Lachte Kai plözlich neben ihm und bog viel zu früh ab. „Was? Hier doch noch nicht!“ rief Bastian erschrocken und sah zu Kai der aber völlig gelassen wirkte. „Du wohnst doch bestimmt in einem der Wohnheime oder?“ grinste der und warf Bastian einen kurzen Seitenblick zu, der diesem Schmetterlinge in den Bauch jagte. „Ja.. tue ich.. in dem.. am Kurt-Schuhmacher-Damm...“ stammelte er hilflos, noch roter als vorher. „Habe ich mir gedacht. Ich lasse dich an der Rückseite raus, schaffst du es bis zur Haustür oder soll ich dir helfen?“ Da war er schon wieder, dieser Blick.. Bastian schmolz dahin und tropfte vom Sitz. Er musste wohl einen so duseligen Gesichtsausdruck gemacht haben, das Kai hell auflachte und ihm durch die nasse schwarze Emomatte wuschelte. „Ich helfe dir.“ Noch immer lachend lenkte Kai den Wagen auf den Parkplatz hinterm Wohnheim, den Bastian nie benutzte, da er immer das Fahrrad oder die Bahn nahm. Wie schon zuvor half ihm Kai beim aussteigen, stütze ihn ein wenig und so humpelten sie gemeinsam bis vor seine Haustür. Sag was! Lade ihn ein! Frag ihn nach seiner Nummer! Aber tue was!! schrie es in Bastians Kopf aber irgendwie wollte seine Zunge sich nicht bewegen und seine Lippen blieben geschlossen. „Pass besser auf dich auf Bastian.“ Lächelte Kai zum Abschied und dann war er weg. Mit rasendem Herzen stand Bastian fest gewurzelt vor seiner Wohnheimtür, hörte wie die Schritte sich entfernten, die Autotür auf und wieder zu ging, der Motor aufschnurrte und der Wagen knirschend über den Schneematsch davon fuhr. „FUCK!“ schrie er wütend und schlug seinen Kopf gegen die Glastür. Ganz blöde Idee. Schon pochte der Kopfschmerz wieder auf. Murrend fischte er seinen Schlüssel aus der Hosentasche und humpelte nach oben in seine Wohnung. Es war alles dunkel, war ja zu erwarten, schließlich war Freitag, warum sollte sein Mitbewohner auch da sein, wenn er einfach übers Wochenende nach hause fahren konnte. Wieder mal zog es ganz unangenehm in seiner Magengegend, er würde seine Familie frühestens in vier Wochen wieder sehen. Alles andere war zu teuer. Seufzend schubste er die Tür zu und tappste in sein chaotisches Zimmer, wo er sich aus seinen Klamotten schälte und sie achtlos auf den Boden fallen ließ. Erst als er die Gardinen zu gezogen hatte machte er das Licht an und musterte sich im Spiegel seines Schrankes. Immer noch mager, käsig und alles andere als anziehend befand er wie jedesmal. Frustriert zupfte er am Bund seiner Boxershorts herum, schob sie weiter runter und drehte sich etwas seitlich, so dass sein Hüftknochen sich vor schob und die weiße Haut spannte. Wenn er sich leicht nach hinten lehnte sah das fast gut aus. Aber irgendwie hatte seine Haut einen Gelbstich, er war nicht braun, wurde er nie aber eben auch nicht edel blass. Eine Schnute ziehend trommelte er mit den Fingerspitzen auf seinem Bauch herum, biss sich auf die Unterlippe und fragte sich ob er überhaupt jemandem gefallen würde, wenn er sich selbst schon abstoßend fand was dachten dann erst andere über ihn? Was dachte wohl Kai über ihn? Immerhin hatte er ihm durchs Haar gestrichen, was man ja nicht einfach tat. Aber wenn er doch hetero war und in ihm nur einen Jungen in Not sah ? Hilflos lehnte er den Kopf gegen das kühle Spiegelglas. Mit geschlossenen Augen strich er sacht mit den Fingerspitzen über seinen flachen Bauch, die Hüftknochen und entlang seines Hosenbundes, ehe er seine Boxershorts ganz auszog. Doch anstatt sich weiter zu berühren verschränkte er die Arme vor der Brust und musterte sein Spiegelbild mit kritisch gerunzelter Stirn. Das gleiche Ergebnis wie sonst auch. Absolut unsexy. Seufzend drehte er sich vom Spiegel weg und ließ sich aufs Bett fallen. Er tastete neben sich nach der Fernbedienung für die Anlage und stellte sie an. Ein wenig schmunzelnd stellte er fest das er noch immer die CD seines besten Freundes Tobias im Player hatte. Laut dröhnte das Lied „I touch myself“ von Divinyls durch sein Zimmer. Leise lachend sang er mit. „I want you to love me, when I'm feelin' down I want you above me, I search myself, I want you to find me I forget myself I want you to remind me I don't want anybody else When I think about you I touch myself I don't want anybody else Oh no, oh no, oh no..“ langsam wich das Lächeln von seinen Lippen und er begann nachdenklich über seine Brust zu streicheln und tiefer, bis er die Hand um sein Glied legte und es leicht zu reiben begann. Mit geschlossenen Augen rief er sich Kai ins Gedächtnis. Diese perfekten Lippen, die atemberaubenden Augen, den Körper den er nur kurz im engen schwarzen Pulli und der Jeans gesehen hatte bevor er unter dem Mantel verschwunden war. Wie es sich wohl anfühlte wenn jemand wie Kai einen berührte? Wenn die seidige Haut sich an der eigenen rieb, er einen streichelte und schließlich.. Bastian keuchte auf und bewegte seine Hand schneller. Sein Kopf tat noch immer weh, aber wenigstens lenkte ihn das Pochen in seinen Lenden ein wenig ab. Keuchend nahm er seine zweite Hand zu Hilfe, schob gleich zwei Finger in sich und stöhnte auf. In seinem Kopf waren es nicht seine Finger, es war Kai der ihn vorbereitete um ihn ans Bett zu nageln. Sich lüstern über die Lippen leckend bog er den Kopf leicht nach hinten. Nicht vorhandene Lippen küsste seinen Hals entlang, leckten über seine Brust, Hände streichelten seine Taille abwerts, teilten seine Beine. Es dauerte nicht lange, ehe er in seine Hand kam und sich zusammen rollte. Gott war das erbärmlich. Er zog die Knie bis ans Kinn und legte die Arme darum. Ein schwuler Junge der noch nie richtigen Sex hatte und jetzt auch noch von einem Model träumte, das er nie wieder sehen würde. Schniefend vergrub er das Gesicht im Kissen. Jetzt heulte er auch noch, aber sein Knie tat weh, er hatte Kopfschmerzen und er musste zugeben das er sich ein wenig in Kai verknallt hatte. So wie man sich eben in Leute auf Bildern oder aus Filmen verknallt von denen man weiß das man sie eh nie bekommen kann. Schluchzend zog er sich die Bettdecke bis ans Kinn und weinte sich in den Schlaf. Denn wenn er etwas konnte dann war es im Selbstmitleid suhlen. Kapitel 2: Accident ------------------- Teil 1 Kai Eigentlich wollte er sich ja nur eben einen Kaffee holen, natürlich nicht irgendeinen, er konnte es sich schließlich leisten sich einen riesigen Starbucks Kaffee zu kaufen. Auch wenn er ihn gar nicht mochte, zu viel Milch und viel zu süß aber es war eben Starbucks und er fand das ihm die weiß grünen Becher standen, damit wirkte er so seriös. Über seine eigenen Worte lachend schlenderte er die Shoppingmeile entlang und schmunzelte über die Blicke die ihm diverse Frauen und auch Männer zu warfen. Zugegeben, man hätte es als Arroganz abstempeln können, aber es gefiel ihm einfach diese Blicke zu ernten. Gerade als er einer jungen Frau ein Zwinkern schenkte fing das Bild eines Jungen der sich neben ihm im Schaufenster Spiegelte seinen Blick. Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. Mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze ging da der Traum seiner schlaflosen Nächte. Beinahe wäre ihm der Kaffee aus der Hand gefallen. Langsam ging er weiter, auf ihn zu nur um dann doch stehen zu bleiben. Er konnte nicht anders, er starrte ihn an. Irgendwie wirkte es, als bewege sich der junge Mann frei und völlig unberührt von seinem Umfeld, unter der Kapuze lugten ein paar dunkle Haarsträhnen hervor und die weißeste Haut die er je gesehen hatte. Fasziniert ging er weiter, ohne dabei den Blick von der schmalen Taille und den langen, schlanken Beinen zu wenden. Sein Gang hatte was von einem Tänzer fand Kai und biss sich auf die Unterlippe. Er musste es irgendwie schaffen ihn von vorne zu sehen ! Kai beschleunigte seine Schritte und gerade als er fast aufgeschlossen hatte ging der andere einfach weiter, über den Zebrastreifen zwar aber der Mercedes der da angebrettert kam sah nicht so aus als wolle er bremsen. „HEY!“ schrie er und streckte die Hand aus um die Kapuze des jungen Mannes zu fassen zu kriegen. Vergeblich, der stolperte weiter, wurde vom heran nahenden Wagen erwischt, der zwar gebremst hatte aber eben nicht früh genug. Wie in Zeitlupe verfolgte er mit wie der schlanke Körper strauchelte, auf den Knien landete und sich abrollte, dabei jedoch mit dem Kopf aufschlug. Wow, das waren doch mal Reflexe, dachte er, ließ seinen teuren Kaffee achtlos fallen und rannte die paar Meter zu der Stelle an der sich der andere gerade aufzurichten versuchte. Der bescheuerte Mercedes Hupte und erntete einen Hass erfüllten Blick, als Kai unter die Arme des jungen Mannes griff und ihn hoch zog. Es war fast erschreckend wie leicht er war. Vorsichtig bugsierte er ihn zur Parkbank auf der anderen Straßenseite. „Hast du dich verletzt?“ fragte er besorgt und war versucht seine Hände unter das Kinn des anderen zu legen damit der ihn endlich ansah. Der Blick der ihn traf, als der Kerl endlich den Kopf hob hatte die Intensität eines Blitzes der ihn mit voller Wucht aus der Bahn warf. „Ich .. das.. nein .. nur.. nur mein Knie.“ stammelte sein Gegenüber und klang dabei so schüchtern und unsicher, das er ihm am liebsten gleich umarmt hätte. Ihm war also nichts ernsteres passiert. Mit gerunzelter Stirn begann er das Knie zu untersuchen, es schien einfach nur aufgeschlagen zu sein aber man konnte nie wissen. „Nichts ernstes, du bist ganz schön hart aufgekommen.“ sagte er erleichtert und lächelte ein wenig, doch als er den Blick hob schwand seine Zuversicht. Der Kleine war ganz schön blass um die Nase und lief ein klein wenig grünlich an. Gerade rechtzeitig konnte er ihn zur Seite drehen ehe er sich erbrach und ohnmächtig wurde. „Scheiße..“ fluchte er und legte den armen Kleinen erst mal auf die Bank, winkelte die Knie an und hoffte das er wieder zu sich kam. Als dem nach drei Minuten immer noch nicht so war, nahm er ihn einfach hoch. Er legte die Arme des Jungen um seinen Hals und lehnte den Kopf so an seine Schulter, das er genug Luft bekam. Dann griff er unter seine Beine und hob ihn hoch. Vermutlich wirkte er gerade wie ein Vater der seinen eingeschlafenen Sohn nach hause trug. Himmel so Alt war er doch gar nicht! Andererseits, wie alt war wohl der Süße in seinen Armen? Vielleicht 18 oder 19? Auf keinen Fall älter und er war so schrecklich leicht! Das konnte nicht gesund sein, gut er war nun auch nicht sonderlich breit gebaut aber der Kleine war doch fast so groß wie er und wog bestimmt gerade mal die Hälfte! Seufzend hob er ihn wieder ein wenig an, da er etwas abgerutscht war. Das Gewicht war angenehm und was noch angenehmer war, war die Wärme die ihm entströmte. Glücklicherweise bot eine seiner Nachbarinnen ihm an, die Haustür auf zu halten und seine Wohnung auf zu schließen, so dass er den Kleinen erst wieder absetzten musste als er ihn behutsam auf sein Sofa legte. Nachdem er sich artig bei der Frau, die seit ewigen Zeiten einen Blick auf ihn geworfen hatte und hartnäckiger als die anderen war, bedankt hatte eilte er zurück. Vorsichtig schälte er ihn aus seiner Jacke und stellte den Rucksack weg. Einen Moment zögerte er ob er vielleicht in den Rucksack sehen sollte um seinen Namen zu erfahren, doch das wurde ihm von einem Schild auf der Innenseite des Rucksackträgers abgenommen. Bastian Wagner, stand dort in filigranen Buchstaben. Ganz sicher die Schrift seiner Mutter. „Bastian..“ flüsterte er und musste lächeln ehe sich dann endlich wieder auf die Versorgung von eben diesem konzentrierte. Das Knie sah wirklich nicht gut aus und so holte er aus der Küche Pflaster, eine Schale Wasser samt Lappen und etwas Desinfizierenden Puder, der brannte nicht so wie es Jod getan hätte. Behutsam schob er das Hosenbein hoch und ertappte sich dabei wie er über die helle Haut streichelte. Reiß dich zusammen! Knurrte eine ärgerliche Stimme in seinem Kopf. Er konnte ja nicht erwarten, das ihm ein Engel vor die Füße fiel und der dann auch noch das eigene Geschlecht mochte. Nachdem das Knie versorgt und er auch die Handflächen gereinigt hatte widmete er sich etwas eingehender der Betrachtung seines Gastes. Ohne die Kapuze lagen die feinen, seidig schwarzen Haare in Strähnen über seinem schmalen Gesicht. Grinsend kniete sich Kai hin und musterte Bastians Gesicht, seine Nase war fast gerade, machte aber an der Spitze einen Knick nach oben. Eindeutig eine Stubsnase. Bastians Lippen waren leicht geöffnet und verstärkten so die ungewöhnliche form. Anders als bei den meisten Lippen machte die Oberlippe nicht etwa in der Mitte einen leichten Schwung nach unten sonder war fast durchgehend weich und rund, dafür machte sie links und rechts einen extremen Schwung nach innen. Die Lippen hatten eindeutig was von Uruhas nur etwas weicher und noch fast kindlich. Lippen die zum küssen gemacht waren.. Schnell wand er den Blick ab und wrang den Waschlappen aus, um ihn auf Bastians Stirn zu legen. Es sah aus als schliefe er, vermutlich stimmte das sogar. Nachdenklich zog er die Knie an, schlang die Arme darum und stützte das Kinn darauf. Mit leicht schief gelegtem Kopf betrachtete er Bastian und wartete darauf dass dieser aufwachte. Es dauerte einige Minuten bis Bastian sich zu Regen begann. Der Kleine blinzelte und schnell nahm ihm Kai den Waschlappen von der Stirn. „Na, wieder wach?“ fragte er und hoffte Bastian wenigstens ein paar Worte entlocken zu können. Doch anstatt zu antworten setzte dieser sich viel zu Ruckartig auf. Das konnte ja nur schief gehen. Das Stöhnen klang gar nicht gut und wieder trat ein sehr besorgter Ausdruck auf sein Gesicht. Sicher hatte sein Invalide Schmerzen. Dennoch irgendwie sah er niedlich aus, wie er die Nase so kraus zog und die Augen zu kniff. Ein wenig musste Kai sogar grinsen bei diesem Anblick. „Kannst du dich ein wenig aufrichten? Aber nicht so schnell wie eben, dann kannst du die Aspirin besser trinken.“ Vorsichtig hob er Bastians Kopf an und schob ihm ein Kissen in den Nacken, damit er sich nicht verschluckte beim Trinken. Er wartete bis der andere sich aufgrichtet hatte und reichte ihm dann das Glas. Eigentlich würde er ihm eine seiner Ibuprophen geben.. aber er wusste nicht ob Bastian vielleicht allergisch war. Mit Aspirin lag man schließlich meistens richtig. Ruhig sah er ihm beim vorsichtigen Trinken zu, wie er das Glas immer wieder an die Lippen setzte. Wie sich die weichen Lippen dabei öffneten und er seine Augen schloss. Augen von tiefstem Grün, umrahmt von dichten, schwarzen Wimpern. Und dann sah er ihn direkt an und Kais Magen zog sich zusammen. Wie er schon vermutet hatte, sprühten diese Augen regelrecht Funken. „Wer sind sie?“ wollte der Kleine wissen und klang dabei fast ein wenig trotzig. Einen kurzen Moment überlegte er was er ihm sagen sollte. „ Ich bin Kai, ich habe zufällig mit angesehen wie du beinahe über den Haufen gefahren wurdest und war so frei dich zu verarzten.“ erklärte er schließlich und deutete lächelnd auf das mit einem großen Pflaster versehene Knie. Dann siegte seine Neugierde. „Und du bist..?“ er konnte nicht umhin ihm wieder direkt in die Augen zu sehen. „Bastian.. also eigentlich Sebastian aber.. ich mag Bastian lieber..“ Sebastian Wagner... ein Name der weich klang, genau wie seine Stimme. Nach kurzem Zögern entschied er, es sei das beste Bastian irgendwie nach hause zu bekommen. Sonst kam er womöglich wirklich noch auf dumme Gedanken. „Na dann, freut mich Bastian. Soll ich deine Eltern anrufen damit sie dich abholen?“ fragend hob er eine Augenbraue und stand auf um sein Telefon zu holen. Er hoffte inständig nur Sebastians Mutter ans Telefon zu kriegen. Väter reagierten gelegentlich etwas über wenn ihre Söhne von Männern aufgegabelt wurden. Erstaunt runzelte sich seine Stirn als er Bastians eingeschnappten Gesichts ausdruck sah. „Nein, ich wohne allein.“ „Oh.“ er hielt in der Bewegung inne, also kein Telefon. Gut damit hatte er zwar nicht gerechnet, aber es machte ihn gleich neugieriger auf Bastian. „Ehm.. soll ich dich dann nach hause bringen?“ vielleicht würde er so wenigstens ein paar mehr Dinge erfahren. Die Antwort die er bekam ließ ihn leise lachen, stur war er also auch. „Nein danke, ich laufe.“ Langsam ging er auf ihn zu, wobei er es vermied seine Lippen zu betrachten, die zu diesem einladenden Schmollmund verzogen waren. Das Bastian gleich einen zweiten Versuch starten wollte gefiel ihm gar nicht, nachher tat er sich wirklich noch ernstlich weh. Sanft legte er eine Hand auf die schmale Schulter, viel zu dünn, soviel stand fest, auch wenn es Sebastian stand so dünn zu sein. „Ich bringe dich nach hause.“ sagte er sanft aber bestimmt und verließ dann schnell den Raum. Im Flur lehnte er sich kurz an die Wand und schloss die Augen. Tiefdurchatmen half nicht sonderlich und so nahm er einfach in Kauf das er drauf und dran war sich Hals über Kopf in diesen Jungen zu verlieben. Das musste der Poet in ihm sein der fernab jedes rationalen Denkens die tragische Klassik dieser Szene witterte und tat was sonst nur seine Romanfiguren taten. Ergeben zog er seinen Dufflecoat über, es war schließlich eiskalt draußen und holte Bastians Jacke von der Heizung, auf die er sie gelegt hatte um sie etwas zu trocknen. Als er mit der Jacke wieder kam, saß klein Bastian bereits und musterte eingehend sein Wohnzimmer. Der Blick den Kai sich fing als er sich näherte, ließ ihn überrascht sie Stirn runzeln. Was war denn jetzt? „ Ist es in Ordnung wenn ich dir wieder helfe?“ Um nicht gleich von Sebastian angefallen zu werden, fragte er lieber ob er ihm helfen durfte, ehe er ihm die Jacke und dann den Rucksack reichte. Sacht legte er die Arme um Bastian und zog ihn hoch, er wog wirklich nicht viel. Wieso machte er sich jetzt schon um so etwas Gedanken? Vermutlich würde er ihn eh nicht wiedersehen. So würde er aber wenigstens die paar Minuten die ihm noch blieben nutzen. Er hielt ihn ein wenig zu nah an sich gezogen, als er ihm die Treppe runter half. Aber welch Armer Poet, dem die vermeintlich wahre Liebe in den Schoß gefallen war hätte anders gehandelt? Nur das leise Wimmern und Stöhnen das Bastian von sich gab beunruhite ihn. "Alles okay? Du gibst so seltsame Geräusche von dir.“ „Nee, alles gut echt.. mein Knie tut nur weh.“ also half die Aspirin nicht? Wäre Ibu vielleicht doch besser gewesen? Besorgt musterte er Bastian erneut, ehe er resigniert die Tür seines Wagens für ihn öffnete. Er ließ sich Zeit damit seinen Wagen zu umrunden, zudem war die Straße vom Schnee und Eismatsch ganz rutschig. Richtig, Marie war ja mit seinem Wagen gefahren und hatte ihre CD im Spieler gelassen. Er wollte die Musik gerade leiser drehen als ein Seitenblick auf Bastian ihm verriet das dieser Lächelte. Jetzt sah er wie gemalt aus, die blasse Haut, das dunkle Haar, die schönen Lippen zu einem Lächeln verzogen, es tat schon fast weh ihn zu betrachten. „Wow, ich fasse es nicht. Du kannst Lächeln?“ schmunzelte er und drehte dann doch die Musik leiser, schließlich wollte er sich auch mit ihm unterhalten können. „Ja.. soll vorkommen.“ nuschelte der Kleine und fast glaubte er zu sehen wie sich dessen Wangen leicht rot färbten. Nach ein paar Minuten Stille, in denen Kai einfach nicht wusste was er sagen sollte und das mir als Schriftsteller! dachte er frustriert, da fiel ihm auf das sie schon fast aus der Innenstadt heraus waren. „Lotst du mich?“ bat er deshalb und sah kurz zu Bastian. „Oh, klar ehm.. da vorne bei der zweiten Ampel musst du rechts. Am besten du folgst den Schildern zur Uni.“ Zur Uni? Er musste lachen und schüttelte leicht den Kopf. Das hätte er sich auch denken können. Marie wohnte auch in einem der Wohnheime und deshalb fuhr er die Strecke ständig. „Na sag das doch.“ lachte er und bog ab. Er kannte die Schleichwege, auf denen man nicht alle zehn Meter vor einer Ampel stand. „Was? Hier doch noch nicht!“ rief Bastian erschrocken. Oh je, den Weg kannte er wohl nicht. „Du wohnst doch bestimmt in einem der Wohnheime oder?“ fragte er amüsiert und warf ihm einen Seitenblick zu. „Ja.. tue ich.. in dem.. am Kurt-Schuhmacher-Damm...“ Kurt-Schuhmacher-Damm.. das war nur eine Straße vor der, in der Maries Wohnheim lag. „Habe ich mir gedacht. Ich lasse dich an der Rückseite raus, schaffst du es bis zur Haustür oder soll ich dir helfen?“ Beinahe hoffte erneut diese Schnute zu sehen und den trotzigen Ausdruck, aber der Kleine schien inzwischen doch ein wenig von der Rolle. Er sah geradezu niedlich hilflos aus, wie er da saß, die Lippen leicht vorgeschoben mit unschlüssigem Blick. Kai konnte nicht widerstehen und streichelte ihm kurz durch die samtweichen Haaren. „Ich helfe dir.“ lächelte er und lenkte den Wagen auf den Parkplatz. Sein Herz klopfte schmerzhaft, bald schon war das alles vorbei. Dann wäre Bastian nur einer von vielen Menschen die seinen Weg schon gekreuzt und ihn allein zurück gelassen hatten. Er half ihm beim Aussteigen und stützte ihn wieder, bis sie vor der Haustür standen. Nun war er da der Moment des Abschieds. Zwei Fremde, an einem seltsamen Winterabend. Das war hervorragender Stoff für eine Kurzgeschichte schoss es ihm durch den Kopf. „Pass besser auf dich auf Bastian.“ lächelte er ein wenig wehmütig und wand sich dann zum gehen. Ein kleiner Teil in ihm hoffte Bastian würde etwas sagen, ein anderer schrie ihn an ER solle gefälligst etwas sagen. Aber das war absurd, der ganze Abend war absurd. Seine Schritte beschleunigten und er rammte fast einen vorbeifahrenden Wagen als er aus parkte und zu schnell davon fuhr. Gut eine Stunde fuhr er zielllos durch die Innenstadt, bis ihn seine lose treibenden Gedanken intuitiv zu Ben’s Irishpub lotsten. Er parkte wie jedesmal hinter der Bar und nahm, ganz unbewusst gleich Notizbuch und Stift mit. Beim betreten der angenehm warmen, sehr gemütlichen Bar nickte er Ben kurz zu ehe er sich in einer Ecke niederließ und ziellos den Stift über dem leeren Papier schweben ließ. „Wo bist du denn schon wieder mit deinen Gedanken?“ riss ihn die warme, tiefe Stimme seines Freundes aus den Gedanken. Eine dampfende Tasse Irishcoffee wurde ihm vor die Nase geschoben und Ben setzte sich ihm gegenüber. „Ich weiß es nicht...“ murmelte Kai mit abwesendem Blick. Kapitel 3: together again ------------------------- Bastian Teil 2 Nach diesem jämmerlich endenden Abend war der nächste morgen erstaunlich ruhig. Bastian konnte nur den Kopf über sich selbst schütteln, das er sich so kindisch verhalten hatte. Man begegnete schließlich oft gutaussehenden Typen, meisten täglich auf der Leinwand oder dem Bildschirm. Er würde Kai einfach vergessen, als eine nette Erinnerung abtun. Da er mit seinem lädierten Knie nicht mit dem Fahrrad zur Uni fahren konnten, war er darauf angewiesen das Minou, seine beste Freundin ihn mit nahm. Minouise Clairemont war die Tochter einer französischen Dolmetscherin, die mit Bastian zusammen Philosophie und Anglistik studierte. Sie war winzig verglichen mit Bastian, eine zierliche, kleine, junge Frau mit langen schwarzen Haaren und changierenden, braunen Augen. Bastian und Tobias waren sich sicher, das Minou die Reinkarnation einer Katze war, weil sie ähnlich wie diese schrecklich verschmust war, den Gang einer Ballettänzerin hatte und man eigentlich erwartete, das jeden Moment ihr grauer Schwanz unter den kurzen schwarzen Röcken hervor lugte. „Mina, kannst du mich mit nehmen?“ bettelte Bastian also mal wieder am Handy und versuchte dabei so jämmerlich und leidend zu klingen wie möglich. Was ihm an diesem Tag erstaunlich leicht fiel. „Klar Schatz, was hast du denn?“ fragte Minou, sofort besorgt und fürsorglich wie eh und je. „Ich bin lediglich fast überfahren worden.“ witzelte Bastian und versuchte Minou gleichzeitig mit zu teilen das es nicht ganz sooo schlimm war wie es sich anhörte. „Du bist was?! Geht es dir gut? Willst du nicht lieber zuhause bleiben? Sind noch alle Gliedmaßen dran?“ Natürlich reagierte sie wieder über, es war so typisch.„Ja Mina es ist alles noch dran. Ich hab mir nur blöd das Knie aufgeschlagen und kann nicht mit dem Fahrrad fahren.“ Er hörte es rascheln und nahm mal an das Minou nickte. „Ich bin dann in zehn Minuten da.“ Sagte sie noch und klang fast ein bisschen vorwurfsvoll. Seufzend legte er sein Handy weg und streckte sich auf dem Bett aus. Egal was er sich in Erinnerung rief, sobald er die Augen schloss sah er strahlend blaue Augen und dunkle Locken. Das war zum verrückt werden! Stöhnend drehte er sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht im Kissen. Erst als es an der Tür klingelte hob Bastian wieder den Kopf und machte Minou auf, die natürlich nicht die von ihr vorhergesagten zehn Minuten gebraucht hatte sondern schon nach fünf da war. „Also, was ist passiert?“ fragte sie, stellte sich in ihren Samtpumps auf die Zehenspitzen und war doch über einen Kopf kleiner als Bastian. „Ich sehe doch das du geweint hast und du ziehst ein Gesicht als wärst du lieber ganz überfahren worden.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte Bastian. Minou kannte ihn einfach schon zu lange und zu gut. Resigniert ließ er sich auf einen Küchenstuhl fallen. „Mir hat jemand geholfen. Als ich da lag.. und dann Ohnmächtig geworden bin. Bevor du wieder hysterisch wirst lass mich ausreden ja? Mir ist nichts weiter passiert, das siehst du ja.“ Warnte er vorweg als er sah das Minou schon Luft holte. „Er hat mich mit zu sich genommen bis ich wieder bei Bewusstsein war und hat mich dann nach hause gefahren... und.. Gott Minou.. ich weiß das klingt kitschig.. aber ich glaube ich habe meinen Traummann gefunden.“ schniefte er und legte er niedergeschlagen den Kopf auf den Tisch. Mitfühlend schlang Minou die Arme um ihn und schmiegte ihre Wange an seine. „Ach Basti.. du liest die falschen Bücher und als wäre das nicht genug schaffst du es auch noch deinen Romanhelden zu begegnen.“ Seufzte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Wenn er dein Traummann ist wird sich das auch irgendwie ergeben.“ Lächelnd nahm sie seine Hände und zog ihn auf die Füße. „Und jetzt komm, wir müssen los sonst kommen wir zuspät.“ Die folgende Woche blies Bastian Trübsal. Zwar versuchten Tobias und Minou ihn entweder aufzumuntern oder eben abzulenken, doch das war eher erfolglos. Nach ihrer letzten Vorlesung hakte sich Minou bei Bastian unter und zog ihn gegen jeden Protest mit sich. „Wir gehen jetzt deinen Frust vernichten.“ erklärte sie in Befehlston. „Ich guck mir keine Minute länger mit an wie du vor dich hin leidest, Liebeskummer hin oder her. Wenn er sich für dich interessieren würde hätte er sich doch gemeldet, er weiß schließlich wo du wohnst. Also tun wir jetzt das was man immer tut wenn Liebeskummer zu bekämpfen ist. Wir gehen Schoppen und dann Kuchen essen.“ Stundenlang schleppte Minou Bastian von einem Geschäft zum nächsten und tatsächlich, es half. Sie war so albern und unbeschwert, das er bald mit lachte und Scherzte. Als sie dann auch noch in einem Café ein riesiges Stück Schokoladencremetorte verspeist und heiße Schokolade getrunken hatten war sein Frust jedenfalls für den Moment vergessen. „Komm schnell den kriegen wir noch!“ rief Minou, nahm Bastians Hand und die beiden rannten lachend zum Bus. Gerade so erreichten sie ihn noch und ließen sich lachend auf einem Doppelsitz nieder. „Oh Mann.. nach soviel Zucker rennen ist gar nicht gut.“ Schnaufte Minou und ließ sich theatralisch gegen Bastian sinken. Der Schmunzelte und sah aus dem Fenster. Sofort gefror seine Miene und er starrte die Person im dunklen Dufflecoat an. Hilflos legte er die Hand an die Scheibe, als wolle er nach ihm greifen. Doch da fuhr der Bus auch schon an. Irritiert sah Minou auf.„Was ist denn?“ „Kai.. da... da war Kai.“ stammelte Bastian und sah sich gehetzt um. „Lass mich raus Minou, wenn ich die nächste aussteige und zurück renne erwische ich ihn vielleicht.“ Flehte er und sofort stand Minou auf um ihn raus zu lassen. „Ruf mich an wenn du nachher noch lebst ja?“ bat sie und drückte ihn kurz. Dann stieg Bastian an der nächsten Haltestelle aus und begann zu rennen. Er schlug Haken und nahm eine vermeintliche Abkürzung. Atemlos rannte er auf die Fußgängerzone zu. Der Platz vor den Bushaltestellen war wie leer gefegt. Mit wild pochendem Herzen sah er sich um, drehte sich um sich selbst und raufte sich die Haare. „SCHEIßE!“ schrie er wütend und trat fest mit dem rechten Fuß auf. Ratlos ging er langsam und hinkend die breite Fußgängerzone entlang. Wo konnte Kai hingegangen sein? In eines der Geschäfte? In eines der Cafés? War er nach hause gegangen? Fluchend beschleunigte er seine Schritte wieder. Sah im vorbeigehen durch jedes Fenster, in jede Gasse, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Gefrusteter als vorher machte er sich auf den Weg nach hause. Das durfte doch einfach nicht wahr sein. Zu dem Frust gesellte sich Wut. Unglücklicherweise Wut auf Minou, weil sie so gerannt war und er deshalb in den Bus gestiegen war. Andererseits war das unfair, woher sollte sie das schon wissen und außerdem, wer sagte ihm das er Kai überhaupt bemerkt hätte wenn er nicht eingestiegen wäre? Nach der vierten SMS und dem dritten Anrufversuch Minous schaltete er sein Handy aus und verkroch sich mit seiner neuesten Oscar Wilde Errungenschaft in sein Bett. Gegen 23 Uhr nachts hämmerten dann wie erwartet zwei kleine Fäuste an seine Wohnungstür. Er hatte keine Lust sich mit ihr zu unterhalten, geschweige denn sich mit ihr zu streiten und auf eines von beidem lief es ganz sicher hinaus wenn er sie rein ließ. Andererseits, wenn er sie draußen stehen ließ würde Minou stumpf die Polizei rufen und dann ginge das große Erklären erst recht los. „Ich komme.“ rief er wenig begeistert und schlappte zur Tür um diese demonstrativ lustlos aufzuziehen. Seine beste Freundin sah aus wie ein begossener Pudel und guckte ihn aus ähnlich ängstlichen Augen an. „Geht’s dir gut?“ fragte er irritiert und schon sprang sie ihn regelrecht an. „Ich hab mir sorgen gemacht! Du solltest mich doch nur kurz anrufen!“ jammerte sie und schlang ihre schlanken Arme um seinen Hals. „Schhh Minou ich.. tut mir leid ich war nur..“ Er sagte ihr lieber nicht das er auf sie sauer war, wie konnte er auch bei diesem Anblick. „Bist du her geschwommen?“ scherzte er halbherzig und zupfte an seinem dank ihr nun auch klatschnassen T-Shirt. „Ha ha, nein ich bin nicht geschwommen. Auch wenn nicht mehr viel gefehlt hätte.“ schmollend verschwand Minou in Bastians Badezimmer, wo sie sich an seinem Schrank bediente, ihre Haare in eines seiner Handtücher wickelte und sich in seinen viel zu großen Bademantel wickelte. In der Zeit hatte sich Bastian auch was trockenes angezogen und streckte nur den Arm aus um Minous nasse Sachen in den Trockner zu stopfen. Dann kuschelten sich beide schweigend in Bastians Bett und lasen. Das war eine mehr als typische Situation und nicht das erste mal das sie beim jeweils anderen übernachteten. In den nächsten Tagen vermieden Tobias und Minou das Thema Kai und versuchte auch Bastians Gemaule zu ignorieren. In einem Anfall völlig irrationaler Hoffnungslosigkeit hatte Bastian sogar begonnen das Telefonbuch nach Kais abzusuchen. Was völlig unsinnig war, schließlich stand kaum jemand mit vollem Namen in einem Telefonbuch. Selbst als er bestimmt zwanzig Kais zusammen hatte traute er sich nicht bei einem anzurufen. Es war aussichtslos und dann auch noch dieses Wetter! Als wolle der Himmel ihn bei seinem Unglück auch noch verhöhnen. Klatschnass und durchweicht bis auf die Haut stapfte er nach einem Gespräch bei seinem Studienberater, er plante einen weiteren Studienzweig mit zu nehmen wusste aber nicht ob das machbar war, durch den Regen zu seinem Fahrrad. Einen Moment überlegte er ob er sich in dem Aldi vor dem er sein Fahrrad abgestellt hatte noch irgendwas Essbares besorgen sollte. Dann fiel ihm jedoch ein, dass ja noch Pizzen im Gefrierfach lagen und da er sowieso knapp bei Kasse war strich er den Einkaufsbummel. Um erst gar nicht in Versuchung zu kommen sah er nicht einmal auf als er sein Fahrrad los schloss und sich auf den Heimweg machte. Sein Herz machte einen kleinen Hüpfer als er auf dem Parkplatz an einem silbernen Ford Mondeo vorbei kam. Aber es gab schließlich viele Mondeos in einer so großen Stadt. Kurz vor der Ampel an einer der größten Kreuzungen gab es plötzlich ein widerlich knackendes Geräusch und er trat ins Leere. Stolpernd und schlingernd bremste er sein Fahrrad und schob es an den Rand. „Verdammter Mist..“ fluchte er und ging in die Hocke um den Schaden zu begutachten. Nur die Kette war abgesprungen, mehr nicht. Erleichtert atmete er durch, wenn jetzt auch noch was an seinem Fahrrad kaputt ging war er aufgeschmissen. Immerhin war ein Auto zu teuer und Minou würde ihn sicher nicht jeden Morgen mit nehmen. Und mit dem Bus fahren.. nein danke. Er hasste es morgens in einem völlig überfüllten Bus zu stehen, umgeben von Leuten die entweder nicht wussten was Deo war oder eben in welchen Mengen man es für gewöhnlich benutzte. Mühsam zog er seine Kette wieder über das Zahnrad, schob und zerrte, bis sie wieder richtig saß. Das Resultat waren rabenschwarze Hände. Seufzend friemelte er ein Taschentuch hervor und tauchte es in die nächste Pfütze. Gerade als er sich wieder aufrichtete schaltete die Ampel auf grün und die nächste Autowelle rauschte an ihm vorbei. Mitten unter den eintönig grauen Wagen die im Regen alle ihre Farbe verloren glänzte ein silberner Mondeo hinter dessen Steuer, mit konzentrierter Miene, Kai saß. Bastian fiel das Taschentuch aus der Hand. „KAI!“ Schrie er und hüpfte wild mit den Armen fuchtelnd auf und ab. Doch schon war der Wagen vorbei, rauschte weiter und verlor sich im Verkehr. „SCHEIßE!! NEIN! NEIN! NEIN!“ Wütend trat Bastian gegen sein Fahrrad, wodurch die Kette erneut absprang. Das war wirklich nicht sein Tag. Vor Kälte etwas zitternd machte er sich mit schon tauben Fingern daran die Kette erneut auf zu ziehen. Man begegnete sich doch immer.. wie oft im Leben? Dreimal? Dann war das gerade wohl seine letzte Chance. Bestimmt war es sogar Kais Mondeo den er vorm Aldi gesehen hatte. Das Schicksal war so gnädig und schickte ihm eindeutige Hinweise und er war zu dämlich diese auch wahrzunehmen. „Das ist nicht fair.“ Maulte er und warf dem von tief grauen, Wolken verhangenen Himmel einen bösen Blick zu. „Ich verlange eine neue Chance.“ damit trat er in die Pedale und fuhr durch immer heftiger werdenden Wind nach hause. Als er endlich ankam stürmte es und das sein Fahrrad nicht kaputt war brachte ihm nun auch nichts mehr. Die nächsten Tage war ans Fahrrad fahren nicht zu denken. Seine Laune sank kontinuierlich dem Nullpunkt entgegen, erst recht als er dann auch noch eine wichtige Klausur in den Sand setzte und der Nachprüfungstermin genau in die Woche nach Silvester fiel. Die Woche in der er eigentlich noch zu hause sein wollte. Selbst der sonst so pragmatische Tobias zweifelte inzwischen daran das Fortuna fair spielte. „Sieh es mal so Sebastian, du weißt doch im Grunde nichts über ihn und er hat sich auch nicht bei dir gemeldet. Obwohl er das hätte tun können. Außerdem wissen wir A nicht ob er schwul ist, B ob er sich überhaupt für dich interessiert. Du solltest dich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren.“ Damit meinte Tobias diverse Klausuren die anstanden, sowie Protokolle die geschrieben werden mussten und Theoriearbeiten, die nur halb fertig waren. Sicher, irgendwie hatte Tobias ja recht, es gab genug das er tun könnte. Aber irgendwie konnte er einfach nicht. Seine Gedanken kreisten unentwegt um Kai. Mit trotziger Miene kuschelte sich Bastian an Minou, die mal wieder in irgendeinem ihrer unzähligen Bücher versunken war. „Nounou.. das Leben ist ätzend.“ „Mhm..“ „Ich vermisse ihn. Das ist doch .. eigentlich paradox oder? Wie kann man jemanden vermissen den man gar nicht kennt?“ „Hmm..“ war alles was Minou von sich gab. So lieb sie ihren kleinen Bastian auch hatte, langsam konnte sie sein Trübsal geblase nicht mehr hören. Also tätschelte sie ihm nur die schwarze wuschelmähne und las weiter. Nachdenklich zupfte er an Minous endlosem Wollschal herum, der wenn sie stand fast den Boden berührte. „Du ich glaube ich fahre in die Stadt. Vielleicht finde ich ja noch ein paar Weihnachtsgeschenke.“ Wieder nickte Minou nur und strich ihm kurz über die Wange. „Mach das Basti..“ Nachdem er sich vergewissert hatte das es nur geschneit hatte und nichts gefroren war, stieg er auf sein Fahrrad und fuhr in die Innenstadt. Er wusste das er an dieser einen Ecke aufpassen musste. Vier Straßen kreuzten sich und es war schrecklich unübersichtlich. An der Ecke war er schon mal mit einem Mountainbiker zusammen gestoßen. Seinem Fahrrad und ihm war nichts passiert, nur der arme Kerl war mit einem Salto über den Lenker gestiegen. Noch während er fuhr begann es erneut zu schneien. Das fehlte gerade noch, dachte er sarkastisch und schüttelte den Kopf. Wenn er jetzt bremste würde er sich definitiv hinlegen. Da war sie auch schon, die gefürchtete Ecke und er hatte ganz schön Tempo drauf. Es sah alles leer aus doch gerade als er aus der Straße um die Ecke schoss erhaschte er im Augenwinkel eine dunkle Gestalt und erschrak zu Tode. „HEY!“ hörte er hinter sich, hoffentlich hatte er ihn nicht erwischt, schnell drehte er den Kopf und stutzte. „BASTIAN!“ rief Kai und im selben Moment entwich ihm ein freudiges „KAI!“ Mit voller Wucht stieg er in die Bremsen und natürlich entzog sich ihm der Boden unter den Rädern, er schlingerte und sah sich in Zeitlupe fallen. Na wenn das nicht Filmreif war.. dachte er und begann zu lachen. Das Schicksal schenkte ihm eine vierte Chance und verlangte dafür nur ein erneut angeschlagenes Knie, aufgeschürfte Hände und ein lädiertes Fahrrad. Das war ein Preis den er gern bezahlte. Sein Herz pochte so wild in seiner Brust das er kaum Luft bekam vor Freude. Endlich, endlich war Kai bei ihm, kniete neben ihm und strich sanft eine Strähne aus seiner Stirn. „Bastian? Hast du dir weh getan?“ fragte Kai und Bastians innerstes schmolz dahin beim Klang seiner Stimme. Er war so unendlich froh ihn wieder gefunden zu haben, das er seine schmerzenden Hände und alles andere ignorierte und Kai um den Hals fiel. Die ganze Zeit über lag er richtig, Kai hatte ihn nicht vergessen und das er ihn auch umarmte war doch schon mal ein sehr gutes Zeichen. „Nein mir ist nichts passiert. Mir geht’s gut.“ lachend vergrub er das Gesicht an Kais Halsbeuge. Kapitel 4: Reunited ------------------- Kai Teil 2 In den folgenden Tagen dachte Kai des öfteren über den schüchternen, schmalen Jungen den er da gefunden hatte nach. Er geisterte in seinen Gedanken herum und hin und wieder tauchte er aus diesen auf, wenn er am Profil seiner neuesten Romanfigur arbeitete, wenn er über Begegnungsszenen nachdachte..oder einfach wenn er durch die Innenstadt schlenderte auf der Suche nach Ideen und an jenem Zebrastreifen vorbei kam. Er vermachte ihm sogar eine Nebenrolle. Sebastian, doch als was? Als den leichenblassen, ewig jungen Toten? Gefroren für immer in seiner Jugend und Schönheit? Nachdenklich stützte Kai das Kinn auf die Hände und trommelte mit den Fingern der linken Hand auf seinem rechten Handrücken im Takt der leise im Hintergrund laufenden Beethoven „Für Elise“ CD.„Sebastian..“ murmelte er und seine Brillengläser spiegelten sich auf dem Bildschirm im Kerzenlicht. Seit gut acht Stunden saß er nun schon vor seinem Sekretär und tippte, ließ immer wieder den Blick schweifen, aus dem Fenster, durch den Raum. Die Rotweinflasche neben ihm war fast leer und die Kerzen beinahe herunter gebrannt. Sich räkelnd und streckend erhob er sich, das Rotweinglas in der Hand und ging auf seinen warmen Wollsocken zur Balkontür und sah in den Schnee hinaus. Endlich ein wirklich schöner Winter. Es schneite sanft und leise ohne drückend zu wirken. Es war ein wunderschöner Abend. Eigentlich viel zu schön um ihn vorm Laptop zu verbringen. Er leerte den Rest seines Rotweins und tappste in den Flur, wo er sich dick einpackte, mit Schal, warmen Lederstiefeln, seinem Dufflecoat und schwarzen, mit Cashmere gefütterten Handschuhen. So verpackt schob er sich nur noch das Notizbuch in die Tasche und verließ das Haus. Überall kamen ihm Paare entgegen, Arm in Arm oder Händchen halten. Lächelnd beobachtete er sie, wie sie lachten und sich verliebte Blicke zuwarfen. Das war es was er am liebsten tat und worauf all seine Romane basierten. Dem was er an solchen Abenden sah und in sich aufnahm. Die Hände in den Taschen vergraben schlenderte er durch die Einkaufsmeile und bummelte die Schaufenster ab. Weihnachten stand kurz bevor und alles war so festlich, gerade die Zeit um Weihnachten war eine von Kais lieblings Zeiten. Es schien einem immer als falle zu dieser Zeit all den Menschen wieder ein wie schön es war einander zu haben und zu lieben. Aber nicht auf die kitschige Valentinstagsart, sondern auf eine reinere, unschuldigere. Traurig seufzte Kai und lehnte sich mit dem Rücken an ein besonders festlich überladendes Schaufenster und sah den Autos dabei zu wie sie in einiger Entfernung vorbei fuhren. Er beobachtete, wie ein hell erleuchteter Bus an der nahen Haltestelle hielt, Menschen ausstiegen und Menschen einstiegen. Doch da, urplötzlich fing einer dieser Menschen seine Aufmerksamkeit. Ein großer, blasser Junge der lachend mit einem schwarzhaarigen Mädchen in den Bus stieg. Die Kapuze diesmal locker auf den Schultern, den schäbigen grauen Rucksack noch immer leicht schief auf dem Rücken.„Bastian..“ im ersten Moment wollte er zum Bus rennen, einsteigen, doch dann..was sollte er da? Jetzt wo sie sich setzten, schmiegte sich das Mädchen vertrauensvoll an Bastian und nahm seine Hand. Unwillkürlich zog sich Kais Magen ein wenig zusammen. Dabei war er doch gar nicht verliebt, er kannte ihn ja nicht mal. Ohne es wirklich beabsichtigt zu haben, hatte er sich von der Scheibe abgestoßen und war ein paar Schritte auf die Bushaltestelle zu gegangen. Selbst wenn Bastian sich umdrehen und aus dem Fenster sehen.. Erschrocken hielt er inne, denn genau das tat Bastian in genau diesem Moment. Schwarz umrahmte, strahlend grüne Augen sahen ihn direkt an und für einen Augenblick setzte sein Herz aus. Da fuhr der Bus auch schon an und Bastian legte nur mit undeutbarer Miene seine Hand an das kalte Glas, dann verschwand der Bus im Verkehr. Eine ganze Weile stand Kai nachdenklich und unbeweglich in der Fußgängerzone und ließ sich zu schneien. Inzwischen waren seine schwarzen Locken schon ganz grau weil sie so vom Schnee bedeckt waren. Irgendwann, fing er einfach an zu lachen. Es war das Lachen eines Mannes der sich in einer seiner eigenen Geschichten wiederfand. Über sich selbst schmunzelnd steuerte er das nächste, einladend beleuchtete Café an um sich auf zu tauen. Drinnen war es schön warm und nur dämmrig beleuchtet, einfach passend für so eine Nacht. Auf jedem der kleinen Tische brannte eine Kerze und Lichterketten schlängelten sich wie Efeu um die Säulen des Cafés. Kai setzte sich in eine der roten, runden Bänke die kleine intimere Nischen bildeten und zückte sein Notizbuch. Fast ärgerte er sich nicht doch gleich den Laptop mit genommen zu haben. Aber der würde wiederum mit seinem grellen Licht die Atmosphäre des kuscheligen Cafés zerstören. Also schrieb er wie schon Generationen von Schriftstellern und Dichtern vor ihm von Hand, bestellte sich eine mit Sahne beladene, heiße Schokolade und ein Stück Stollen. Echten Dresdner Stollen, der beste wie er mal wieder befand. Wie schon so viele Male saß Kai bis kurz vor Ladenschluss im Café und schrieb. Danach war er durch fast 20cm hohen Schnee nach hause gestiefelt und verbrachte nun die restliche Nacht damit seine Notizen abzutippen. Der nächste morgen kam wie so viele mit Rückenschmerzen und einer Zermatschtheit im Kopf die ihn einfach lahm legte. Woran der Rotwein und die Schokolade nicht ganz unbeteiligt waren. So verbrachte er die nächsten anderthalb Wochen. Zurückgezogen in seiner Wohnung, mit Dreitagebart, in bequemen Schlafanzug und warmen Norwegerpulli. Das war seine Welt, wenn er ganz in seinen Geschichten versank und die Wirklichkeit vergaß. Erst als wirklich alles was er an Vorräten hatte aufgebraucht war und er nicht einmal mehr Wein hatte, geschweige denn Kaffe, beschloss er das es an der Zeit war einkaufen zu gehen. Das Wetter war wie so oft erneut umgeschlagen. Es goss in Strömen und nur noch grau schwarze Häufchen und pappiger Matsch erinnerten an die vergangene Schneepracht. Für gewöhnlich deprimierte ihn dieses Wetter, doch im Moment kam es ihm gelegen. Es zerstörte ein wenig die Romantik des Ganzen und so würde es ihm leichter fallen den Mord in seinem neuesten Werk zu verstricken und neu zu entheddern. Seltsamer Weise war die Stimmung im Buch extrem vom Wetter abhängig. Schien die Sonne scherzte sein Pathologe ohne Punkt und Komma, war sein Komissar gut aufgelegt und der Fall löste sich wie von selbst. Meistens musste er dann auf die nächsten Regentage warten um das ganze mit Spannung und Inhalt zu füllen. Über neue Verstrickungen nachsinnend stieg er in seinen Mondeo und fuhr zum nächst gelegenen Aldi. Wie er immer wieder feststellte, hieß dieser nicht umsonst Feinkost Aldi. Er war gerade dabei die fünfte Rotweinflasche einzupacken, er kaufte gerne auf Vorrat, als er für einen Moment zusammen zuckte. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der Regalreihe stand ein hochgewachsener Junge mit schwarzen Haaren. Aber es war nicht Bastian. Nur ein Junge, der ihm ähnlich sah. Frustriert packte er gleich zwei Flaschen mehr ein und steuerte resigniert die Obstauslage an. Nichts lud ihn ein es genauer zu betrachten. Nur das übliche, ein paar Kiwi, eine Ananas..die Ausbeute war mager. Nachdem er sich mit allem Lebensnotwendigen versorgt hatte, vornehmlich Schokolade und Kaffee, stellte er sich an und wartete. Als er jedoch diesmal aus dem breiten Fenster sah und einen Jungen in Kapuzenpulli und mit schwarzen Haaren sah wusste er das es Bastian war. Schon schlug sein Herz schneller. Aber was tat der da? Anstatt den Laden zu betreten schloss Bastian lediglich sein Fahrrad los und setzte sich ohne sich umzusehen drauf. Kai saß fest, vor ihm eine sehr breite Dame, hinter ihm ein Pärchen, er kam hier nicht raus. Fast war er versucht die Ananas ans Fenster zu werfen. Und dann war Bastian weg, verschwunden in all dem grauen Regen. Wieso fuhr er eigentlich nicht einfach zu ihm? Er wusste doch wo er wohnte. Darüber grübelnd ob er zu ihm fahren sollte oder nicht bemerkte er gar nicht das er bereits an der Reihe war. „Aber es wäre unsinnig zu ihm zu fahren..er hat eine Freundin.“ Sagte Kai zu sich selbst und erntete entgeisterte Blicke seiner Umgebung. Schnell packte er alles ein und fuhr nach hause. Ihm war die Muse abhanden gekommen, vermutlich gefiel ihr der Regen auch nicht. Auf seinem Sofa liegend ging Kai alles was er mit Bastian verband durch. Wie lange war ihre erste Begegnung jetzt her? Zweieinhalb Wochen. Das war noch nicht wirklich lang und doch eine Ewigkeit. Es wurmte ihn das Bastian ihn nicht gesehen hatte. Bestimmt hätte er gewartet, sie wären ins Gespräch gekommen und... Kopfschüttelnd setzte er sich auf und stützte das Kinn auf die angezogenen Knie. Das war doch alles zum verrückt werden. Ganze fünf Tage hielt er es noch durch sich einzureden Bastian interessiere ihn nicht und es sei sowieso aussichtslos weil er ja eine Freundin habe. Doch um genau 13:45 Uhr an einem erneut verschneiten Freitag gingen ihm die Argumente aus und er warf sich in Schale um ziellos durch die Innenstadt zu marschieren und auf ein Wunder zu hoffen. Die Möglichkeit zu ihm zu fahren schloss er als Eingriff ins Schicksal aus. Wenn diese universelle Macht sie zusammenführen wollte, würde ihr das auch gelingen. Davon war er fest überzeugt. Mit dieser Hoffnung gewapnet schlenderte er durch die Fußgängerzone und versuchte nicht all zu offensichtlich zu suchen. Das war schon absurd was er da tat, aber Schriftsteller taten nun mal seltsame Dinge. Gewissermaßen gab ihm sein Beruf Narrenfreiheit, kreative Geister taten Dinge eben gern anders als es..normale Menschen taten. Mit jedem Schritt den er tat wurde er ungeduldiger, das Schicksal war aber auch wieder besonders unberechenbar. Nach einem dreistündigen Marsch durch die Eiseskälte, entschied er, dass nichts gegen eine warme Tasse Kakao einzuwenden war. Leicht zitternd und durchfroren steuerte er ein Café an, als ein Fahrradfahrer direkt vor ihm aus einer Seitengasse kam und ihn fast umriss. „HEY!“ schrie er erschrocken und starrte dem Fahrer hinterher. Der drehte sich um und drei Dinge geschahen auf einmal. Erst schrie Kai „BASTIAN!“ dann schrie Bastian „KAI!“ und dann trat Bastian in die Bremsen. Eine wirklich dumme Idee da das schwarze Kopfsteinpflaster von Schneematsch bedeckt war und Bastian samt Fahrrad eine Filmreife Bruchlandung hinlegte. Sofort rannte Kai zu ihm und kniete sich neben ihn. „Bastian? Hast du dir weh getan?“ fragte er besorgt und strich ihm vorsichtig die Strähnen aus der Stirn. Anstatt einer Antwort brach Bastian in helles Lachen aus, fuhr hoch und umarmte Kai stürmisch. „Nein mir ist nichts passiert. Mir geht’s gut.“ Lachte er und Kais Herz schlug immer wilder. Sanft umarmte auch er Bastian und drückte ihn an sich. Es war ein herrliches Gefühl ihn so im Arm zu halten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)