Fake Freak's Kiss von Schnullerkai ================================================================================ Kapitel 4: Konkurrenz in Sicht ------------------------------ Have fun, 5 Kapitel hab ich noch übrig, bevor es etwas länger dauern könnte. :p Tobias liebte Prügelspiele. Besonders, wenn er Ben besiegte. Während die Anlage Good Charlotte abspielte, schlug Tobias Ben zum bestimmt zehnten Mal in Folge. Ben konnte trotzdem immer noch lächeln. Tobias wusste allerdings, dass Ben in Gedanken die Hände fest um seinen Hals legte und ihn ganz liebevoll erwürgte. So lang er das nur in Gedanken machte, störte sich Tobias allerdings nicht daran. "Das Spiel ist gut", grinste er, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden. "Klar, für den Prügelmeister", schnaubte Ben belustigt. "Auch Koalas können Talente haben", meinte Tobias selbstgefällig, blockte einen Schlag von Ben und verpasste ihm den letzten Hieb. Bens Muskelprotz fiel mit einem grollenden Todesschrei zu Boden und blieb liegen, während sich Tobias' Charakter im Posen übte. "Reicht's dann bald?", fragte Ben mit einem doch etwas gequälten Lächeln und legte seinen Controller beiseite. "Schon genug?", entgegnete Tobias großspurig. "Kann ich verstehen, ich bin eben unschlagbar." Ben knuffte ihn grinsend in die Seite. Sie beide fingen an zu lachen. Um eben diese Nachmittage hatte Tobias gebangt, als Ben ihm so Knall auf Fall seine Liebe gestanden hatte. Die Freiheit, mit Ben herumzualbern, ihn zu ärgern und trotzdem zu wissen, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war. "Was war eigentlich mit dem Mädel, das dir fast die Augen aus dem Kopf gezogen hat?", riss Ben Tobias aus seinen Gedanken. Tobias sah ihn verwirrt an. "Du hast das mitbekommen?", murmelte er verlegen. "Das hätte jeder mitbekommen, Koala", schmunzelte Ben. "Also, was war mit ihr? Biste an ihr interessiert?" Tobias errötete. "Naja, sie nicht zu bemerken ist schwer bei den – ich nenn's mal Klamotten", fing er an. "Und sie ist offenbar an Manga interessiert. Ich kenn ja kaum Mangafreunde in meiner näheren Umgebung und da dachte ich, ich könnte sie vielleicht kennenlernen." "Und warum hast du's nicht einfach gemacht?", wollte Ben verwirrt wissen. "Weil du dabei warst", erklärte Tobias. Das war für ihn selbstverständlich. "Das wäre doch scheiße von mir gewesen, dich stehen zu lassen." Ben seufzte leise, lächelte dann aber sanft. "Danke, Koala", meinte er. "Aber ich hätte dich gehen lassen, wenn du was gesagt hättest." Tobias seufzte schwer. "Wenn du so was sagst, fühl ich mich nur noch blöder dabei, dass ich sie nicht angesprochen hab", stellte er fest und betrachtete seinen noch immer herum posenden Charakter auf dem Bildschirm. Kopfschüttelnd drückte er auf seinem Controller herum und das Bild erlosch. Kurz darauf erschien der Startbildschirm. Ben stand auf und schaltete die Konsole aus. Der Bildschirm präsentierte sich nun in einem penetranten Blau, doch auch das verschwand, als Ben den Powerschalter des Fernsehers drückte. "Ich denke, du solltest sie ansprechen, wenn du sie noch mal siehst", meinte er. Tobias lag die Frage auf der Zunge, ob Ben das nicht störte – schließlich war dieser in ihn verliebt – doch er schluckte sie wieder hinunter. Je seltener das Thema auf den Tisch kam, desto besser. Vielleicht würde Ben seine Gefühle wieder loswerden und sie konnten wieder ganz normale Freunde sein, so wie sie es gerade vorgaben zu sein. Tobias hoffte wirklich darauf, dass er nur lang genug warten musste. "Lass uns Hausaufgaben machen", schlug Ben vor. Tobias hob eine Augenbraue, nickte dann aber. Er hatte keine Lust auf Hausaufgaben, allerdings hatte er die nie. Darauf zu warten hatte also wenig Sinn. Er griff also nach seinem Rucksack neben dem Bett, kramte seine Schulsachen heraus und suchte nach seinen Notizen, was die Hausaufgaben anging. Ben setzte sich neben ihn und tat es ihm gleich. "Na, was gibt’s in Englisch?", fragte Ben interessiert. Tobias schnaubte. "Ich soll so 'nen beknackten Text lesen und zusammenfassen. Du machst das nicht für mich, oder?", fügte er mit einem gekonnten Dackelblick hinzu. Ben schmunzelte. "I'm afraid I can't", sprang er wie gewohnt aus seiner Muttersprache und holte ein Buch aus seinem Rucksack. "Musste schon wieder ein Kapitel zusammenfassen?", brummte Tobias. "Yeah, I think so", nickte Ben. "And I won't write two different summaries. You know I'm lazy by nature." Tobias schüttelte leicht den Kopf und schnappte sich seinen Block sowie seinen Text. Englisch war wirklich nicht sein Ding. Irgendwann fragte er Ben nach einer Formulierung. Ben legte sein Buch beiseite und beugte sich zu Tobias hinüber. "Bloody hell, your English hurts", stieß er hervor und wandte theatralisch den Blick ab. Tobias boxte ihm in die Seite und Ben wandte sich ihm wieder zu. "Na gut, lass mal sehen. Wenn ich jetzt Englisch rede, kapierst du gar nix mehr." Ben verbrachte also die nächsten fünf Minuten damit, Tobias ein wenig Englisch einzuflößen. Er rückte dabei ziemlich nah an Tobias heran, was dieser billigend in Kauf nahm. Er störte sich nicht an Bens Nähe. "Und das ist eigentlich alles, was du wissen musst, Koala. Deine Grammatik ist zum sterben, also mach was dran." "Was willst du? Der Förderkurs knutscht mit unseren Sportstunden", brummte Tobias, obwohl er ohnehin bezweifelte, dass er im Förderkurs etwas gelernt hätte. Sprachen waren Gefühlssache, die Aufnahmefähigkeit dafür war angeboren. Zumindest, wenn man Ben Glauben schenken durfte. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie für Englisch gelernt, keine Vokabeln aufgelistet. Er sprach Englisch einfach, spielte englische Spiele, genoss den Umgang mit der Sprache. Der schulische Aspekt der Sprache interessierte ihn nicht einmal und auf die vielen Einsen in seinen Arbeiten aus der Mittelstufe gab er nichts. Ben liebte Englisch und das war der einzige Grund für sein grandioses Verständnis dieser Sprache. Tobias beneidete ihn nicht darum. Er fand es nur schade, dass er selbst kein Fachgebiet hatte, das er auf die Schule anwenden konnte. Seine Steckenpferde waren Manga und Segeln, damit gewann man im Unterricht keinen Blumentopf. Entsprechend durchschnittlich waren seine Leistungen, aber immerhin kam er zurecht. Und wenn er Probleme hatte, gab es immer noch Ben. Tobias blieb noch zum Abendessen bei Ben. Bens Eltern waren ein tierisch nettes Paar, obwohl Ben sich manchmal für sie zu genieren schien. Als Ben Tobias das erste Mal zu sich nach Hause eingeladen hatte, hatte er ihn im Vertrauen vor seinen Eltern gewarnt: "Gäste sind bei uns so was wie Mastschweine in einer Quizshow. Meine Eltern füttern dich bis zum Platzen und fragen dich nebenher aus, also sei vorsichtig." Tobias störten die neugierigen Fragen von Bens Mutter nicht. Sie fragte ihn nach seinen Schultagen, nach seinen Hausaufgaben, nach seinem Befinden und nach seiner Freizeit. Das waren Fragen, die Tobias gern von seiner eigenen Mutter gehört hätte. Da diese ihn allerdings nie fragte, freute Tobias sich sogar über Bens Mutter. Und weil Bens Vater bis vor zwei Jahren als Chefkoch in einem 3-Sterne-Restaurant gearbeitet hatte, war das Essen sowieso immer erste Sahne. Da spielte Tobias gern Mastschwein. Heute war auch Bens Schwester Anna anwesend. Sie wohnte eigentlich praktisch bei ihrem Freund, mit dem sie schon seit vier Jahren zusammen war, deshalb fand man sie nur selten am familiären Esstisch vor. Tobias hatte aufgrund ihrer gemeinsamen Liebe zu Prügelspielen einen guten Draht zu Anna. Manchmal fühlte er sich in Bens Wohnung mehr zu Hause als in seiner eigenen. Er unterstellte seinen Eltern nicht, ihn nicht zu lieben, aber Bens Eltern ließen ihn ihre Zuneigung eher spüren. "Und? Seid ihr fertig mit den Hausaufgaben?", kam die bekannte Frage schon nach den ersten Bissen der selbstgemachten Lasagne. Bei Ben gab es das eigentliche Mittagessen immer abends. Tobias nickte, da sein Mund zu voll war, um auf diesem Wege zu antworten. "Und was hattet ihr so auf?" Tobias musste erst einmal fertig kauen, aber da sprang auch schon Ben für ihn ein. "Zusammenfassungen in Englisch, ein paar Rechnungen in Mathematik und ein paar Definitionen von biologischen Fachbegriffen", leierte er elanlos hinunter. Tobias nickte leicht und konnte endlich schlucken. "Ich kam mit Englisch mal wieder gar nicht klar, da musste Ben mir helfen", grinste er. Ben schnaubte. "Und wie ich der Null helfen musste", bemerkte er trocken und machte sich mit seinem Essen mundtot. Seine Mutter wirkte leicht verwirrt. Anna wechselte das Thema, indem sie Tobias fragte, was er von dem Spiel hielt. Tobias grinste erneut. "Ziemlich cool. Danke, dass du's Ben angedreht hast." Anna lachte leise. "Gern geschehen", erwiderte sie. "Ich nehme nicht an, dass du auch nur einmal verloren hast?" Ben stand plötzlich auf, verkündete, keinen Hunger mehr zu haben, und verzog sich in sein Zimmer. Tobias sah ihm verwirrt hinterher. "Was'n nun los?", fragte er besorgt. Anna winkte ab. "Der hat nur mal wieder seine Tage", grinste sie. Tobias' Sorgen regelte sie damit nicht herunter. Er stand ebenfalls auf, bat Bens Familie um Entschuldigung und folgte Ben. Ben lag auf seinem Bett, die Beine angewinkelt und leise vor sich hin summend. Tobias kannte die Melodie. "Pieces" von Sum41. Es war einer von Bens Lieblingstiteln und es kam nicht allzu selten vor, dass er ihn vor sich hin summte, wenn ihn etwas beschäftigte. "Was ist denn los, Ben?", wollte Tobias wissen und setzte sich neben Bens Füße. Ben verstummte und sah Tobias für einen Moment still an, dann sagte er: "Sorry, Koala, ich fühl mich grad 'n bisschen gallig. Hat nichts mit dir zu tun. Ich würd dich jetzt bitten, nach Hause zu gehen, okay?" Tobias nickte, stand auf und ging zur Tür. "Wenn du nicht klar kommst, kannste gern zu mir kommen, Ben", bot er noch an. Ben nickte mit einem matten Schmunzeln, dann verließ Tobias das Zimmer und ging sich noch von Bens Familie verabschieden, bevor er die Wohnung verließ. Es nieselte. Tobias befreite seufzend sein Fahrrad aus dem Fahrradständer vor der Eingangstür des Hauses und wischte mit dem Saum seines T-Shirts über den Sattel. Einen nassen Hintern würde er wohl trotzdem bekommen. Kopfschüttelnd machte Tobias seinen Dynamo klar, obwohl es noch relativ hell war, schwang sich aufs Rad und fuhr los. Zwei Straßen vor seiner eigenen musste er allerdings spontan in die Bremsen steigen. Ein großer Umzugswagen versperrte die Straße, aber das war gar nicht Tobias' Problem. Neben dem Wagen stand, mit einem großen Karton im Arm, das Mädchen aus der Buchhandlung. Sie lief jetzt in sehr viel normaleren Kleidern herum, nämlich Jeans und langem Pullover, aber es war definitiv dieses Mädchen. Tobias sprang vom Rad, stellte es kurzerhand auf dem gegenüberliegenden Gehweg ab und lief zu dem Mädchen hinüber. Sie unterhielt sich gerade mit einem Kerl in Latzhosen und gammeligem Pullover, schien aber in dem Moment, in dem Tobias ankam, ihr Gespräch zu beenden und wandte sich ab, um zu einem Haus mit offener Tür zu gehen. "Hey, warte mal!", rief Tobias gedämpft aus. Sie drehte sich mit fragendem Blick wieder um. "Was gibt’s? Haste was verloren?", fragte sie und klang dabei erstaunlich ernst. Tobias lachte und schüttelte den Kopf. "Nein, nein, ich hab dich heute im Buchladen gesehen, du standst grad in der Mangaabteilung." "Ach, da", schmunzelte sie. "Das nennste 'ne Abteilung? Das war grad mal 'ne Regalzeile. Dabei sind Manga doch die einzig waren Bücher." Sie schüttelte den Kopf. Ihr braunes Haar flog hin und her. "Und wo warst du?", wollte sie wissen. "Ich hab dich nämlich nicht gesehen." "Ja, ich stand am McDonald's. Ich hätte dich ja gleich angesprochen, aber mein Kumpel hatte es eilig." Sie lächelte sachte, dann setzte sie ihren Karton ab und reichte ihm die Hand. "Monami", stellte sie sich vor. Tobias hob die Brauen, ergriff die Hand und erwiderte: "Tobias. Monami ist kein deutscher Name, oder?" Monami lachte. "Entschuldige bitte, mein Name ist Lena, aber seid ich Manga lese, nenne ich mich Fremden gegenüber ganz automatisch Monami. Der Manga, aus dem ich den Namen hab, spielt in Korea, aber ich weiß nicht, ob der Name auch von da kommt." "Dann nenne ich dich auch Monami", beschloss Tobias achselzuckend. Monami lächelte. Für einen Moment herrschte Schweigen, dann fragte Tobias: "Ziehst du hier grad ein?" Monami lächelte ironisch. "Nee, ich wollte hier nur meine Möbel abstellen, weißte?", erwiderte sie, dann lachte sie. "Natürlich ziehe ich hier ein, meine Eltern sind grad mit dem zweiten Möbelwagen auf dem Weg hierher." Tobias mochte Monamis Lachen. Es war nicht so schrill wie das vieler Mädchen, die er kennen gelernt hatte. Aus einem plötzlich Anflug von Hilfsbereitschaft heraus bot er Monami an, ihr beim Schleppen zu helfen, doch sie lehnte zu seiner Enttäuschung ab. "Hör mal, Tobias, ich find das echt nett von dir, aber meine Eltern killen mich, wenn ich jemanden in die Wohnung lasse. Sorry." "Ach, schon in Ordnung", meinte Tobias achselzuckend. "Krieg ich dafür deine Handynummer?" Monami schmunzelte. "Interessante Anmache, mein Lieber. One moment." Sie griff in ihre hintere Hosentasche und zog einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber heraus. Zwanzig Sekunden später hatte Tobias ihre Handynummer und schob sie sich grinsend in die Hosentasche. Monami war tatsächlich das erste Mädchen, dass er nach seiner Handynummer gefragt hatte. "Hey, krieg ich deine nicht?", lächelte sie unvermittelt. Tobias schüttelte amüsiert den Kopf. "Ich möchte doch, dass du auf meinen Anruf wartest", meinte er im besten Pseudoflirttonfall, den er hinbekam. Monami verzog das Gesicht, als müsse sie ein Lachen unterdrücken. Tobias setzte noch einen drauf und legte ein total miserables Verführerlächeln auf, das Monami den Rest gab. Sie fing an zu prusten und boxte ihm kichernd gegen die Schulter. Tobias lachte. "Du bist total behämmert", stellte Monami atemlos fest. "Ich glaub, ich mag dich." Tobias stockte für einen Moment, dann lächelte er sachte. "Dito", meinte er. "Hast du Lust auf 'n Treffen demnächst? Ich würd gern wissen, was du so für Manga liest." "Na klar!", zeigte Monami sich begeistert. "Wie wär's mit gleich morgen? Ich werd wohl bis halb eins Schule haben, wenn ich richtig zugehört hab." "Alles klar, ich hab um viertel nach eins Schluss", meinte Tobias. "Soll ich dann um zwei herkommen oder treffen wir uns wo anders?" Monami zuckte die Achseln. "Wenn du meine Manga sehen willst, solltest du vielleicht herkommen", überlegte sie und schob die Hände in die Hosentaschen. Die Art, wie sie dabei die Schultern zurück zog, betonte ihre ziemlich ausgeprägte Oberweite, die Tobias bisher noch gar nicht wirklich aufgefallen war, was ihn selbst verwunderte. Rasch fixierte er mit seinem Blick wieder ihr Gesicht. "Okay, dann morgen um zwei hier. Wo muss ich klingeln?" Monami verzog das Gesicht. "Bierke", brummte sie, als wäre ihr Nachname etwas schlimmes. Tobias nickte. "Alles klar", sagte er, atmete einmal tief durch und hob Monamis Karton auf, um ihn ihr hinzuhalten. "Hast ja mächtig was zu schleppen, Monami", stellte er fest. Monami lächelte. "Ja, eine Leidenschaft wiegt schwer", sagte sie geheimnisvoll. "Ich muss das jetzt hochbringen", eröffnete sie dann. "Bis morgen, Tobias. Ich freu mich." "Ich mich auch", erwiderte Tobias ehrlich. "Tschüss." Damit wandte er sich um, schnappte sich sein Fahrrad und fuhr den kurzen Restweg nach Hause. "Geht’s dir heute besser?" Tobias blickte frustriert nach draußen. Es regnete in Strömen, weshalb er und Ben auf der Bank vor dem 50er-Trakt saßen. "Ja, es geht", meinte Ben, klang aber nicht sonderlich gut gelaunt. "Ganz sicher?", hakte Tobias sicherheitshalber noch mal nach. Ben seufzte schwer. "Koala, ich kämpfe derzeitig 'n bisschen mit meinem Herzen", meinte er. "Den Grund dafür kennst du ja. Ich will dich damit nicht belasten. Außerdem würde es mir nicht helfen, ausgerechnet dich damit zuzutexten." Das war einleuchtend. Tobias nickte bedrückt und seufzte leise. Er wollte Ben von Monami erzählen, aber er hatte Angst, seinen besten Freund damit zu belasten. Es war durchaus denkbar, dass Ben in Monami eine potenzielle Konkurrentin sehen würde. Bei dem Gedanken ging es Tobias gar nicht um Liebe, sondern um Freundschaft. Monami war ein Mangafan, was Ben nicht von sich behaupten konnte. Und aufgrund von Bens Gefühlen für Tobias hatte sich eine kleine aber spürbare Distanz zwischen ihnen gebildet. Tobias befürchtete, Ben könne Angst bekommen, ihn an Monami zu verlieren. "Hey, Koala", meinte Ben plötzlich leise und stupste Tobias an. "Du denkst doch über was nach, oder?" Tobias stockte. "So mehr oder minder", spielte er seine Gedanken herunter. Ben schnaubte belustigt. "Komm, erzähl. Ich war auch ehrlich." Tobias seufzte schwer. "Egal, was ich dir erzähle, du bleibst mein bester Freund, alles klar?", wollte er klarstellen und Ben nickte mit verwundertem Blick. "Ich hab das Mädchen aus dem Einkaufszentrum getroffen", erzählte Tobias zögerlich. "Wir treffen uns heute Nachmittag und... Naja..." Ben hob eine Augenbraue. "Sie gefällt dir", vermutete er. "So in etwa", gab Tobias zu und kratzte sich im Nacken, während er seine Zungenspitze zwischen die beiden Piercings an seiner Unterlippe schob. Eine Nachdenkermarotte von ihm. Betreten blickte er zu Boden, erwartete fast schon, dass Ben aufstand und ging, als eben dessen Hand plötzlich auf seiner Schulter lag. "Wäre ich 'n Mädchen, würd ich ja um dich kämpfen", meinte Ben vermeintlich amüsiert. "Aber da du nicht auf Männer stehst, solltest du sie dir nicht durch die Lappen gehen lassen." Tobias nahm Ben sein unbekümmertes Lächeln nicht ab. Er selbst war noch nie wissentlich verliebt gewesen, doch Bens Verhalten war unlogisch. Wer übergab denn seinen Schwarm freiwillig an eine andere Person? Das kam selbst einem liebestechnischen Außenseiter wie Tobias Spanisch vor. Tobias verschwieg Ben seine Überlegungen. Es hätte wahrscheinlich eh nichts gebracht, ihn damit zu konfrontieren. Zumindest nichts, das keine Probleme bedeutet hätte. Tobias schwieg also, während seine Gedanken sich allmählich wieder um Monami zu drehen begannen. Es verwirrte ihn selbst ein wenig, dass er sich so viele Gedanken um sie machte. Plötzlich interessierten ihn Banalitäten, die sie betrafen. Und dann war da auf einmal diese seltsame Frage, was sie wohl von ihm halten mochte, obwohl die nach diesem kurzen Gespräch vom Vorabend ziemlich übereilt war. Nichtsdestotrotz hielt sie sich hartnäckig in seinem Kopf. Als Tobias an diesem Nachmittag zu Monami radelte, nieselte es schon wieder. Mit entsprechend feuchten Haaren und Klamotten stand er schließlich vor ihrem Haus, vor dem sich sogar ein kleiner Fahrradständer fand. Tobias schloss sein Fahrrad ab und suchte zwischen den vielen Klingelschildern den Namen Bierke. Monami begrüßte ihn in ihren übertrieben knappen Kleidern im vierten Stock. Ihre grünen Augen funkelten freudig, als sie ihn herein winkte. Wohlerzogen wie er war, zog Tobias seine Schuhe unaufgefordert aus, hängte seine Jacke in die Garderobe neben der Tür und folgte dann Monami in ihr Zimmer. Sie hatte noch nicht allzu viel eingeräumt. An einer Wand standen noch ein paar volle Kisten herum. Monami grinste verlegen, als Tobias sich umsah. "Jaha, ich hab erst mal die wichtigsten Sachen ausgepackt", rechtfertigte sie sich unnötigerweise. "PC, Musik, PS2 und Manga. Naja, und mein Plüsch-Gatomon." Tobias schmunzelte unwillkürlich, als er besagtes Plüschtier auf dem Bett sitzen sah. "Magst du Digimon?", fragte er neugierig. Monami zuckte die Achseln. "Den Anime fand ich ganz lustig, jedenfalls die erste Staffel. Den Manga hab ich nirgends gefunden. Gato hab ich auf'm Freimarkt gewonnen, ich wollte kein Werder-Kissen." Tobias hob das katzenartige Digimon hoch und betrachtete es schmunzelnd. Der Schwanz war offenbar schon einmal abgerissen und wieder angenäht worden, denn die Nähte zwischen Schwanz und Körper waren ziemlich schlampig und mit einem Garn der falschen Farbe gemacht. "Armes Gatomon", scherzte er. "Hast ihm glatt den Schwanz abgerissen." Monami lachte verlegen, nahm Tobias das Plüschmonster aus der Hand und setzte es zurück aufs Bett. "Ich hab dieses Vieh schon seit 'n paar Jährchen, so was passiert schon mal." Monami besaß defenitiv mehr Manga als Tobias. Mindestens 200 Manga reihten sich in mehreren Regalreiehen aneinander, gewissenhaft sortiert nach Mangaka und Serie. Während Tobias einige Bände stichprobenartig aus dem Regal zog und flüchtig durchblätterte, fiel ihm auf, dass Monami typische Mädchenmanga las, obwohl auch die komplette Dragonball-Reihe im Regal stand. "Wah, das sind ja Männer!", rief Tobias irgendwann irgendwo zwischen Entsetzen und einem Anflug von Ekel aus. Sein Blick haftete auf der homoerotischen Sexszene des Mangas, den er gerade in der Hand hielt. Bis auf die gerade einmal angedeuteten Genitalien war die ganze Szenerie sehr explizit dargestellt. Monami trat lachend neben Tobias. "Klar sind das Männer, sonst wäre das ja kein Yaoi, oder?" "Yao-was?", fragte Tobias, noch immer entsetzt. Monami nahm ihm gnädig den Manga ab und stellte ihn zurück ins Regal. Der Rücken sagte Tobias, dass dieser eigenartige Manga von einer Hinako Takanaga war. "Yaoi", wiederholte Monami und es klang, als genieße sie dieses Wort. Tobias verstand weiterhin nur Bahnhof, daher zog er ein möglichst verwirrtes Gesicht. "Schwulenmanga, wenn du's profan haben willst", seufzte Monami kopfschüttelnd. "Mein Lieblingsgenre", fuhr sie dann grinsend fort. "Das Problem ist nur, dass man mit so 'nem Spleen ziemlich schwer an Männer rankommt, weil die mit so was nicht klarkommen. Seit ich Manga lese bin ich single, ist das ein schlechtes Omen?" Sie lachte. Tobias konnte nur trocken lächeln. Er musste schon wieder an Ben denken. Immer, wenn er das Wort "schwul" hörte, musste er an Ben denken und das kotzte ihn allmählich an. "Lassen wir das Thema", bat er. "Ich bin nicht schwulenfeindlich oder so, aber das Thema deprimiert mich aufgrund von Privatsachen." Monami hob für einen Moment neugierig die Augenbrauen, doch sie fragte nicht nach. Tobias hätte ihr ohnehin nichts von Ben erzählt. So sympathisch sie ihm auch war, ging sie Bens Homosexualität überhaupt nichts an. Nach einer kurzen Pause bot Monami Tobias etwas zu trinken an,was er dankend annahm. Mit einem Glas Cola bewaffnet erkundete Tobias wieder Monamis Mangaregal, während er Monami von seinen eigenen Manga erzählte. Sie zeigte sich interessiert, bat sogar darum, sich den ein oder anderen Manga ausleihen zu dürfen, was Tobias ein seltsames Gefühl von Bestätigung gab. Tobias fühlte sich wohl, während er mit Monami sprach. Sie wusste offenbar um einiges mehr über Manga als er, aber sie gab nicht damit an. Nichtsdestotrotz erzählte sie ihm gern, was sie wusste. Sie kicherte nicht zu viel, doch sie war leicht zum lachen zu bringen und ihr Lachen war das, was Tobias am ehesten mit "süß" beschreiben konnte. Er konnte es schlecht leugnen: Sie gefiel ihm wirklich, trotz des seltsamen Schwulenspleens, wenngleich ihn selbiger ein wenig verstörte. Im Laufe des Nachmittags untersuchte Tobias unbekümmert Monamis Zimmer, während sie es weiter einräumte. Ihre CD-Sammlung enthielt viele Gruppen, die Tobias überhaupt nicht kannte. Es fanden sich vorrangig weibliche Interpreten, allerdings keine Sängerinnen wie Rihanna oder Beyoncé. "Hat keinen Wiedererkennungswert", kommentierte Monami, als Tobias sie danach fragte. "Klingen alle gleich. Auch diese komischen Pussycat Dolls, total langweilig. Aber die besten CDs hab ich ja noch gar nicht ausgepackt." Geheimnisvoll öffnete Monami den inzwischen letzten Karton und entnahm ihm gerade einmal zwei CDs. "Mehr hab ich nie gefunden. Und irgendwie ist mein Hirn zu korrekt, als dass ich mir was aus'm Netz ziehen könnte, obwohl ich weiß, wie ich an die entsprechenden Programme ran komme." Monami drückte Tobias die CDs in die Hand. Das Cover der einen war total düster und wirkte fast depressiv. Das andere war ein Albtraum aus Rosa und Pink. "Und was ist das?", fragte Tobias verwirrt. "GazettE und AnCafe", erwiderte Monami und Tobias war genau so schlau wie vorher. "Häh?", machte er also. Monami grinste. "Das, mein Lieber, ist J-Rock", erklärte sie. "Japanischer Rock. Ich versteh kein Wort und die Übersetzungen im Netz sind irgendwie alle unterschiedlich, aber die Japaner verstehen was von Musik. Lust, mal reinzuhören?" Tobias zuckte die Achseln und nickte dann. Es gab ja nichts zu verlieren, weshalb hätte er also ablehnen sollen? Einige Lieder später war Tobias klar, dass er bei Europäischer und Amerikanischer Musik bleiben würde. Ganz davon abgesehen, dass er kein Wort Japanisch sprach, gefiel ihm der fremdartige Stil der beiden Gruppen nicht sonderlich. Monami schien ein klein wenig enttäuscht, redete ihm aber nicht rein. Sie konnte ja schlecht seinen Musikgeschmack verändern. Als Tobias sich allmählich mit dem Gedanken anfreundete nach Hause zu fahren, schlug Monami vor, in den nächsten Tagen zu ihm zu kommen. Tobias gab ihr gern seine Adresse, obwohl ihm der Gedanke, aufräumen zu müssen, so gar nicht behagte. Er freute sich darauf, ihr zu zeigen, was er so an Manga zu bieten hatte, obwohl seine 32 Manga starke Sammlung neben ihrer verblasste. Monami stand still neben ihm, während er seine Jacke und Schuhe anzog. Danach bot sie ihm noch an, ihn nach unten zu begleiten, doch er lehnte dankend ab. Bevor er allerdings ging, fiel ihm noch eine Frage ein. "Sag mal, Monami...", fing er an und strich seine Jacke unnötigerweise ein wenig glatt. Monami sah ihn fragend an. "Was gibt’s?" "Nimm mir die Frage nicht übel, aber wieso rennst du eigentlich in diesen tierisch knappen Sachen rum?" Monami stockte für einen Augenblick, dann lächelte sie. "Naja", meinte sie und klopfte imaginären Staub von ihrem Rock, "es gefällt mir einfach. Und ich schwitze sehr leicht, während ich kaum friere, deswegen kann ich keine allzu großflächigen Sachen anziehen. Aber sei ehrlich: Hässlich sehe ich darin nicht aus, oder?" Sie schmunzelte hinterlistig. "Nein, nein, keineswegs, steht dir gut", erwiderte Tobias rasch. "Ich war nur neugierig." Monami lächelte, dann packte sie Tobias bei den Schultern und schob ihn zur Tür. "So, deine Neugier ist dann wohl befriedigt", meinte sie. "Ich muss noch 'n bisschen Sachen einräumen und meine Eltern kommen auch bald nach Hause. Wenn die von dir erfahren, wollen die dich gleich mit mir verheiraten und danach steht mir der Sinn nicht so wirklich vor dem Gesichtspunkt, dass ich dich gestern erst kennen gelernt hab, also insofern..." Tobias lächelte amüsiert. Sie sprach so schnell, als wolle sie ihn unbedingt loswerden, aber es hatte nichts verletzendes. "Schon in Ordnung, Monami. Bis demnächst." "Bis demnächst. Ruf mich an, wenn du Zeit hast", erwiderte Monami gut gelaunt und schob Tobias zur Tür hinaus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)