Fake Freak's Kiss von Schnullerkai ================================================================================ Kapitel 12: Zu Hause mit dem... besten Freund? ---------------------------------------------- Finally I've made it! In dieses Kapitel sind einige persönliche Erlebnisse mit eingeflossen, hoffentlich fällt das nicht i-wie negativ auf. Ich bin übrigens tierisch neidisch auf Tobias. Das Schiff, in dem er die nächsten Kapitel verbringt, war nämlich mal meines. T__T Viel Spaß beim Lesen. =) Am Montag Morgen ging ein zwei Jahre alter Traum von Tobias in Erfüllung. Gut, vielleicht war es schon Vormittag, das änderte aber nichts an Tobias Laune. Im Auto war es entsetzlich stickig, obwohl die Fenster allesamt geöffnet waren. Von draußen zog der Gestank der anderen Autos herein. Mit offenen Fenstern im Stau zu stehen war eben keine gute Idee. Tobias lief der Schweiß den Rücken hinunter, Ben schien es ähnlich zu gehen und Felix fluchte alle paar Sekunden vor sich hin. Nichtsdestotrotz fühlte Tobias sich glücklich wie schon lang nicht mehr. Er war auf dem Weg in sein persönliches Lieblingsland, auch wenn er dessen Sprache gerade einmal in Fetzen verstand und überhaupt nicht sprechen konnte, er würde zwei Wochen lang segeln können und noch dazu war Ben dabei. "Und das liebst du?", fragte Ben erschöpft und sah Tobias ungläubig an. Er atmete schwer vor Anstrengung. Die Tatsache, dass er auf der Sonnenseite des Autos saß, tat ihm nicht gerade gut. Tobias nickte begeistert. "Zugegeben, der Weg nach Warns ist scheiße, aber wenn man erst mal da ist, ist man im Himmel." "Wehe, dieser Himmel hat kein Bier für mich kalt gestellt", stöhnte Ben und fächelte sich mit einer Hand Luft zu. "Ich könnte dir kaltes Wasser anbieten", grinste Tobias. "Nämlich das aus den Duschen. Warmes Wasser kostet." Ben ließ sich in seinem Sitz zurück sinken und stöhnte ungläubig auf. "Hey, Felix, können wir noch umkehren?", fragte er hoffnungsvoll. Felix lachte leise. "Vergiss es", sagte er und schaltete das Radio ein. Das Geplapper niederländischer Radiomoderatoren kam aus den Lautsprechern. "Wir sind schon lang über die Grenze, Ben", fügte Felix hinzu. Ben heulte auf wie ein Schlosshund und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Tobias lachte und tätschelte Bens Schulter. "Wir kaufen dir 'n Sixpack, wenn wir angekommen sind", versprach er. "Bezahlst du?", fragte Felix überrascht. Tobias verzog die Lippen. "Ich versuche ihn gerade aufzuheitern, Papa", schnaubte er. "Ach so", schnaubte Ben, aber wenigstens lächelte er wieder. "Ich hatte mich gerade auf ein Bier gefreut." "Tut mir echt leid, Hasi", erwiderte Tobias und wusste selbst nicht so recht, wie ernst er das meinte. Ben jedenfalls nahm es nicht ernst, lachte leise und bastelte sich aus Tobias' Segeljacke einen Sonnenschutz, indem er sie über der Fensterscheibe befestigte. Warum über dem Fenster Haken angebracht waren, wusste nicht einmal Felix. "Siehste wohl, wie nützlich so 'ne Jacke sein kann", grinste Tobias. Ben zeigte ihm galant und mit ironischem Lächeln seinen Mittelfinger und schob sich dann die Stöpsel seines MP3-Players in die Ohren. Er hatte sich darüber lustig gemacht, dass Tobias eine wasserfeste Segeljacke im Gepäck hatte. Immerhin war das Wetter ideal für Sonnenanbeter und Solariumjunkies ohne Geld. Tobias hingegen wusste um die mitunter heftigen Wetterschwankungen auf dem Meer. Wie oft waren er und sein Vater schon bei strahlendem Sonnenschein aufs Meer gefahren und urplötzlich in einen Sturm geraten? Zumindest oft genug, um vorsichtshalber eine gute Jacke dabei zu haben. "What the fuck?!", rief Ben plötzlich aus und starrte seinen MP3-Player empört an. ""Low battery"?! Ich geb dir gleich "low battery"! Du hast gestern erst 'ne neue Batterie gekriegt!" Tobias fing lauthals an zu lachen. Nicht nur, dass Ben mit seinem MP3-Player redete, er redete mit ihm wie mit einem bockigen Kind! "Verdammt, jetzt hab ich nicht mal Batterien dabei!", jammerte Ben und wollte seinen MP3-Player schon wieder weg stecken. In einem Anflug von Mitleid nahm Tobias eine Ersatzbatterie aus seinem Rucksack und reichte sie Ben. Ben strahlte ihn dafür an wie ein kleines Kind, dass nach ewigem Gequängel doch noch Zuckerwatte bekam. Tobias schmunzelte, was ihm allerdings verging, als er merkte, was diese Ersatzbatterie mit sich brachte. Ben kapselte sich nämlich mit seinem MP3-Player ab und schickte sich an, den Rest der Fahrt schlafend zu verbringen. Felix konzentrierte sich auf den sich auflösenden Stau. Tobias hatte also niemanden zum Reden und tat es schlussendlich Ben gleich, schob sich die Ohrstöpsel seines MP3-Players in die Ohren und machte es auf seinem Sitz so bequem wie möglich. So wirklich schlafen konnte er dann doch nicht, dafür war es viel zu heiß. Stattdessen schnappte er sich seinen uralten GameBoy, den er auf Segeltour immer dabei hatte, und spielte Tetris. Abgesehen von Ben war also wirklich alles wie immer. Äußerlich hatte es zumindest den Anschein. Innerlich hatte sich etwas gravierendes verändert. Seit der Nacht von Freitag auf Samstag hatte Tobias ein Problem. Und dieses Problem schlief seelenruhig auf der anderen Seite des Autos, nur einen Zweipunktgurt von ihm entfernt. Ben war eben nicht annähernd so hitzeempfindlich wie Tobias. Er konnte unter den perversesten Bedingungen schlafen. Diese Nacht, die Tobias in Bens Armen verbracht hatte, hatte etwas mit ihm angestellt, dass er nicht in Worte fassen konnte. Nein, "konnte" war das falsche Wort. Er wollte es nicht in Worte fassen. Zumindest nicht in klare Worte. Was er sich eingestehen musste, war das eigenartige Kribbeln, dass sich in ihm ausbreitete, wenn Ben sich ihm auf deutlich weniger als fünfzig Zentimeter näherte. Ebenfalls schwer zu leugnen war sein Herzschlag, der sich unter ähnlichen Bedingungen gern in seiner Geschwindigkeit steigerte. Aber das hatte doch nicht viel zu bedeuten, oder? Tobias wusste es nicht so recht. Er versuchte, an Monami zu denken, sich die Gedanken zu machen, die er sich am letzten Schultag gemacht hatte. Er wusste, dass er sich damals positive Gedanken über sie gemacht hatte. Doch ihm fiel nur noch ein, dass er plötzlich an Ben hatte denken müssen. Was er über Monami gedacht hatte, wusste Tobias nicht mehr. Überhaupt schien sie ganz weit weg zu sein. In Level 8 angekommen versuchte Tobias immer noch, sich an seine Gedanken zu erinnern. Es wollte und wollte ihm nicht gelingen. Er gab es auf, als ihn das angestrengte Erinnern so sehr vom Spiel ablenkte, dass er es total in den Sand setzte. Seufzend schaltete Tobias seinen GameBoy aus und sah zu Ben hinüber. Ihn zu wecken, hielt Tobias für unentschuldbar. Ben sah nämlich viel zu gut aus, wenn er schlief. Er sah auch gut aus, wenn er wach war, aber im Schlaf hatte er eine besondere Attraktivität. Tobias beschloss, seinen Gedanken nachzugeben. Sie würden ihn ohnehin nicht in Ruhe lassen und so lang es bei Gedanken blieb, war es doch in Ordnung. Und Ben hatte wirklich ein sehr attraktives Profil, auch wenn Tobias von seinem Platz aus Bens Augen und Stirn nicht sehen konnte. Ben hatte sein Styling etwas versaut und zu viel Pony auf seine linke Seite gekämmt. Aber es reichte Tobias ohnehin, die elegant anmutende Rundung der Nase, die leicht geöffneten und vom vielen Lippen-Knabbern rissigen Lippen und das noch jugendlich runde Kinn zu sehen. Tobias fiel ein kleiner, eigentlich winziger roter Streifen an Bens Kinn auf und er fragte sich, warum zum Teufel ihm dieser offensichtliche Patzer mit dem Rasierer auffiel. Jeder Mensch schnitt sich mal beim Rasieren. Es war bestimmt auch nicht das erste Mal, dass Ben das passiert war, da war Tobias sich sicher. Ben regte sich im Schlaf, sein Kopf fiel auf die Seite, so dass Tobias nun einen besseren Blick auf sein Gesicht bekam. Bens leises Murren quittierte Tobias mit einem Lächeln. Eine schlecht fixierte Haarsträhne war aus dem weißblonden Pony gerutscht und hüpfte nun mit Bens Atemzügen auf und ab. Er hatte heute wirklich mit dem Styling geschlurt. Normalerweise saßen seine Haare absolut akkurat und kein Haar tanzte aus der Reihe. Dass es ausnahmsweise mal anders war, fand Tobias irgendwie niedlich. Kaum hatte er den Gedanken vollendet, spürte Tobias, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Ben war nicht niedlich. Ben war männlich. Männer waren nicht niedlich! Tobias strich das Wort "niedlich" und änderte es in "lustig", aber irgendwie war er nicht glücklich damit. Fast ein wenig frustriert brach er den Gedankengang ab und wandte den Blick von Ben ab. Tobias tat der Hintern weh und sein Nacken war verspannt, trotzdem sprang er aus dem Auto wie ein Flummiball, als Felix endlich geparkt hatte. Sofort nahm Tobias den so lang vermissten Geruch des nicht allzu sauberen Hafenwassers wahr und streckte sich genüsslich. Er fühlte sich so gut wie schon lang nicht mehr. "Da blüht mein Koala ja richtig auf", stellte Ben hinter ihm fest. Er kletterte gähnend aus dem Auto und rieb sich stöhnend den Hintern, als er neben Tobias stand. Tobias lachte. "Wie könnte ich nicht aufblühen?", strahlte er. "Ich fühl mich endlich wieder zu Hause." Ben schmunzelte, sah aber plötzlich wehleidig aus, was Tobias schlagartig ausbremste. "Stimmt was nicht?", fragte er und legte den Kopf in Schieflage. Ben seufzte, dann lachte er. "Ich frag mich grad, ob sich mein Ex morgens so gefühlt hat", grinste er. "Mein Arsch tut weh wie nichts gutes." Normalerweise hätte Tobias in diesem Augenblick "Zu viel Info" gesagt. Jetzt allerdings lachte er. "Das geht vorbei, versprochen", sagte er. "Wollt ihr Faulpelze nicht mal beim Auspacken anpacken?", rief Felix ihnen zu. "Nicht wirklich, nein", erwiderte Tobias locker. Ben fing wieder an zu lachen, bevor er Tobias freundschaftlich auf die Schulter klopfte und sich umwandte. "Nun komm schon, Koala. Lass deinen Vater nicht alles allein machen." "Pah!", stieß Tobias theatralisch hervor. "Der bringt's fertig und nimmt seine Sachen aus'm Auto und segelt allein los." "Siehste?", grinste Ben. "Genau das wollen wir ja nicht." "Hmmm... da hast du auch wieder Recht", gab Tobias sich geschlagen. Während Tobias und Ben das Gepäck in drei der großen Schubkarren luden, die innerhalb des Hafenbereichs zur freien Verfügung standen, machte Felix sich auf den Weg zum Büro des Hafenmeisters. Der kümmerte sich wohl auch um den Verleih der Schiffe. Etwa eine Viertelstunde später kam Felix zurück, übernahm eine der Schubkarren und führte Ben und Tobias zum Schiff. Tobias spürte, wie sich sein Herzschlag erheblich beschleunigte, als er den Backdecker in der Box sah. Das Schiff sah nahezu genau so aus wie seine geliebte First Try. Es war zwar um einiges sauberer und ganz offensichtlich auch besser in Stand, doch sonst stellte Tobias keine Unterschiede an Deck fest. Als er den Namen, der in blauen Lettern am Schiffsrumpf stand, las, überlegte sein Herz es sich anders. Anstatt schneller zu schlagen, blieb es einfach für ein oder zwei Takte stehen. "'Second Try'?", las Tobias aufgeregt vor. Felix lächelte. "Es gibt auch noch eine Third Try in diesem Hafen", sagte er. "Es sind drei identische Schiffe. Du sagtest, du wolltest einen Backdecker wie die First Try. Und im Verzeichnis der Firma fand ich einen Backdecker wie die First Try: dieses Schiff hier. Bist du zufrieden?" Tobias hätte fast gelacht. Was war "zufrieden" für ein Ausdruck? Er war glücklich bis zum Anschlag, was er seinem Vater erst einmal mit einer festen Umarmung klar machte. Felix lachte. Wie ein irrer hüpfte Tobias über den Steg und wusste selbst, dass er auf Unbeteiligte einen ziemlich verstörenden Eindruck machte. Aber er fühlte sich einfach zu gut, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie er beispielsweise auf das dumm guckende Pärchen wirkte, dass gerade vorbei lief und von Felix flüchtig gegrüßt wurde. Nein, Tobias achtete nicht mehr auf seine Umgebung und sprang jauchzend aufs Trittbrett am Bug des Schiffes, um über die Reling aufs Schiff zu klettern. "Ich werf alles in die Plicht und Paps nimmt Ben das Zeug hier vorne ab", verteilte er Anweisungen und positionierte sich auf der Höhe des Mastes. Von dort konnte er das Gepäck problemlos in die Plicht werfen. Felix kam ebenfalls aufs Schiff und Ben gab ihm alles aus den Schubkarren an. Es dauerte nicht lang, bis alles auf dem Schiff war. "Ich würde sagen, ihr beide bringt die Karren weg und ich bring hier schon mal Ordnung rein", schlug Felix vor und zog einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. Am Bund waren Korken befestigt, was Tobias nicht wunderte. Die Korken sollten den Schlüsselbund vor dem Absinken bewahren, falls er mal ins Wasser fiel. Die Schlüssel der First Try hatten ebenfalls Korken gehabt. "Okay, gehen wir, Ben!", rief Tobias und sprang vom Schiff. Jetzt erst fiel ihm auf, dass Ben ein wenig unglücklich aussah, was seine eigene Laune rapide absinken ließ. "Stimmt was nicht?", fragte er besorgt. Ben seufzte und betrachtete die Second Try unsicher. "Und die kann wirklich nicht sinken?", hakte er leise nach. Tobias schmunzelte unwillkürlich und legte eine Hand auf Bens Schulter. "Du bist völlig sicher, Hasi. Um so ein Schiff zu versenken müssen schon echte Vollidioten am Werk sein." Ben lächelte verschmitzt. "Ganz sicher, dass mir das keine Sorgen machen soll?" Tobias verstand und boxte Ben lachend gegen den Oberarm. "Du kannst echt ein Arsch sein", stellte er fest. "Und jetzt komm. Je eher wir wieder hier sind, desto eher besteht die Möglichkeit, dass wir heute noch raus fahren." Er schnappte sich eine Schubkarre, sah, wie Ben die beiden anderen nahm, und marschierte los. Im Endeffekt beschlossen sie doch, bis zum nächsten Morgen im Hafen zu bleiben. Felix schlug vor, Ben erst einmal die Umgebung zu zeigen, was Ben ganz offensichtlich besser gefiel als die Vorstellung, heute schon zu segeln. Sie stiegen also wieder ins Auto und fuhren zum nächsten Ort. Felix musste ohnehin noch Vorräte für die ersten paar Tage kaufen. Ben fand schnell Gefallen an den Niederlanden. So lang ihn niemand fragte, ob er ein Schiff betreten wollte, mochte er auch den Anblick des Meeres. Und als sie den Supermarkt betraten, strahlte Ben eine unheimliche Neugierde aus. Tobias belächelte ihn dabei, wie er sich die ausliegenden Waren ansah. Felix machte sich auf die Suche nach Brot und Belag, Ben und Tobias sollten nach Getränken und dem Mittagessen für heute gucken. "Ist das jetzt was zu trinken oder was zu essen?", wollte Ben wissen und nahm eine Packung aus dem Kühlregal der Milchprodukte. Sie sah aus wie eine Milchtüte, hatte aber das Bild von etwas eher puddingartigem vorne drauf. Tobias lachte. "Das ist Vla", erklärte er amüsiert. "Im Prinzip ist das 'n zu flüssig geratener Pudding. Die meisten Sorten schmecken gut, aber von einigen wird mir total schlecht. Schokolade geht aber immer." Ben betrachtete die Vlatüte nachdenklich, dann fragte er: "Können wir so 'ne Packung mitnehmen? Ich würd's gern mal ausprobieren." "Das wird kein Problem sein", meinte Tobias. "Schokolade?" Ben nickte. Tobias hielt ihm den Einkaufskorb hin und Ben legte eine Packung Schoko-Vla hinein. Für das Mittagessen legten sie Rührei mit Speck fest. Tobias wusste schon jetzt, dass es das öfter geben würde. Es war das Standartmittagessen auf seinen Segeltouren. Manchmal gab es auch Hühnerschnitzel, aber das war dann eher die Ausnahme. Nach dem Einkaufen wollten sie eigentlich gleich zurück zum Hafen, doch Tobias hatte eine Fischbude erspäht und bettelte Felix um eine Portion Backfisch an. Eigentlich aß Tobias keinen Fisch, aber in den Niederlanden gab es die so genannten Kibbelings. Und Tobias war süchtig danach. Felix wusste das, deshalb gab er wohl auch nach. Die Einkäufe wurden im Auto verstaut und Tobias bekam seine Portion Kibbeling. Als Ben fragte, ob er auch mal probieren dürfe, hätte Tobias ihn fast feindselig angeknurrt. Dann aber spießte er einen der kleinen panierten und frittierten Fischstückchen auf und hielt ihn Ben vors Gesicht. Ben biss vorsichtig ab und kaute eine Weile. Als er schluckte, sah Tobias schon, dass Felix noch ein wenig Geld würde springen lassen müssen. Also bekam auch Ben eine Portion, von der Tobias sofort den Bissen einforderte, den er Ben gelassen hatte. Ben lachte daraufhin, ließ Tobias seinen Willen aber. Tobias hätte auch nichts anderes zugelassen. "Ich würd für das Zeug sterben", gestand er kauend und lehnte sich genießend in seinem Plastikstuhl vor der Imbissbude zurück. "Es reicht doch, wenn du vor deinem Vater auf dem Boden kriechst", erwiderte Ben ironisch. Er aß um einiges langsamer als Tobias. Tobias streckte Ben die Zunge heraus. Ben erwiderte die Geste, dann fingen sie beide an zu lachen. "Ich geh schon mal zum Auto", verkündete Felix. "Ihr kommt dann nach, ja?" "Nein, wir laufen zurück", scherzte Tobias. Felix zuckte die Achseln. "Das ist natürlich auch 'ne Möglichkeit." Tobias hob die Brauen. "Bau keinen Scheiß, Paps", warnte er. Felix grinste hinterhältig und machte sich dann auf den Weg zurück zum Supermarkt, auf dessen Parkplatz das Auto stand. "Folgen wir ihm", ordnete Tobias an und stand auf. "Gegessen wird dann im Auto. Paps bringt das und lässt uns laufen!" Ben schien das nicht zu glauben, folgte Tobias aber ohne Widerworte. Felix fuhr ihnen nicht davon, ärgerte sie aber damit, dass er im verschlossenen Auto auf sie wartete und erst nach einigen unschönen Flüchen seitens Tobias die Verriegelung aufhob. Tobias setzte sich missmutig auf die Rückbank. Ben folgte ihm amüsiert. "Sei froh, dass du mein Vater bist", knurrte Tobias und schob sich einen Kibbeling in den Mund. Felix lachte daraufhin lediglich in sich hinein, startete dann den Motor und brachte sie zurück zum Hafen, wo Tobias Ben die sanitären Einrichtungen zeigte, bevor sie zum Schiff zurück gingen. "Morgen fahren wir dann gleich nach dem Frühstück los, denk ich", sagte Tobias beim Mittagessen, das eigentlich ein Abendessen war. Es war schon 17:00 Uhr. Felix schluckte seinen Bissen Rührei und erwiderte: "Das lässt sich machen. Wollt ihr morgen früh beide duschen?" "Ich auf jeden Fall" Auf diesen Satz folgte Gelächter, da er zweistimmig und völlig synchron gekommen war. "Okay", hüstelte Felix sein Lachen weg. "Macht also 'nen Euro für zwei Personen. Oder braucht einer von euch mehr als fünf Minuten zum Duschen?" Ben zog ein fragendes Gesicht. "Fünf Minuten Warmwasser kosten fünfzig Cent", erklärte Tobias rasch. Ben zuckte die Achseln. "Ich krieg das schon irgendwie hin", gab er sich zuversichtlich. Felix nickte. "Heute Abend noch 'ne Partie Skat?", wechselte er das Thema. "Wir sind endlich mal zu dritt." "Ich kann kein Skat", murmelte Ben, als wäre es ihm peinlich. Tobias legte lachend einen Arm um seine Schultern. "Kein Problem, wir bringen dir das schon bei. Und sonst spielen wir halt Schwimmen." Ben schenkte ihm ein halbherziges Lachen und Tobias spürte schon wieder das warme Kribbeln in seinem Bauch. Rasch ließ er Ben los und widmete sich wieder seinem Essen. Das Kribbeln verschwand und Tobias entspannte sich wieder. Er war froh, dass in den Achterkabinen ein halbmeterbreiter Fußraum zwischen den beiden Schlafplätzen lag, sonst würde er in der Nacht wohl durchdrehen. Und vorn bei Felix schlafen wollte er nicht. Nach dem Essen, das sie in der Plicht zu sich genommen hatten, versammelten sie sich unter Deck, wo es auch einen richtigen Tisch gab. Zum Essen hatten sie einfach eine Holzplatte auf den Sitzbänken zu beiden Seiten der Plicht abgelegt. Ben zeigte sich völlig unmotiviert, was das Lernen von Skat betraf, deshalb spielten sie Schwimmen. Tobias erfreute sich an einer Glückssträhne. Ständig fielen ihm Asse in die Hände und Ben und Felix legten ihm die dazugehörigen zehnzähligen Karten hin. Tobias bekam also ein Knack nach dem anderen und putzte seine Spielkameraden gnadenlos runter. Und das, bis es draußen dunkel wurde und sich allmählich die Müdigkeit ausbreitete. Als Ben anfing zu gähnen, legte Tobias seine Karten hin. "Ich würd sagen, Ben und ich verschwinden dann mal achtern", sagte er müde. "Achtern?", fragte Ben im Ausläufer eines Gähnens. Tobias schmunzelte. "Achtern ist hinten im Schiff", erklärte er. Ben nickte und erhob sich vorsichtig. Unter Deck war es ziemlich eng. "Gute Nacht, ihr beiden", verabschiedete Felix sie und schloss die Tür hinter ihnen. Tobias entfernte die schwarze Holzplatte, die den Zugang zur Achterkabine versperrte, und blickte hinab auf das Chaos ihres Gepäcks. "Scheiße", kommentierte er. "Wir müssen erst aufräumen." "Kann ich mit leben", meinte Ben achselzuckend und kletterte hinunter. Tobias zögerte, folgte ihm dann aber. Gemeinsam stopften sie Schwimmwesten und Reisetaschen in den Fußraum zwischen den beiden Schlafplätzen. Ben ließ die Frage fallen, was sie mit Schwimmwesten wollten. Tobias grinste daraufhin böse. "Dreißig Grad Krängung, wenn du dich erinnerst", sagte er und hielt seine Hand so wie damals auf dem Schulhof: Nicht viel schräger als waagerecht, auch wenn es eine ziemliche Übertreibung war. Ben wurde schlagartig blass. "Das war kein Witz?", fragte er entsetzt. Tobias schüttelte den Kopf. "Wie gesagt, es geht noch schlimmer, wenn der Wind günstig kommt", sagte er unbekümmert. "Und da fällt man schnell mal aus dem Schiff. Sollte man nicht ohne Schwimmweste machen. Dann kannste dich nämlich aufs Warmpaddeln konzentrieren, weil die Weste dich oben hält und du nicht schwimmen musst." Ben schnappte sich seinen Schlafsack und breitete ihn in seiner Schlafnische aus. "Mach so weiter und ich verlasse das Schiff und warte die zwei Wochen auf euch", murrte er. Tobias lachte. "Bleib cool, Hasi. Wenn dich das so fertig macht, werden wir das natürlich nach Möglichkeit vermeiden." Ben schwieg und zog sich sein T-Shirt über den Kopf. Danach entledigte er sich seiner Schuhe, der Socken und seiner Jeans. Tobias beobachtete ihn dabei eher unbeabsichtigt, das änderte aber nichts daran, dass Ben es merkte. "Sag mal, Koala, solltest du nicht eher dich selbst als mich ausziehen?", fragte er schmunzelnd. Tobias hob die Brauen. "Ich zieh dich doch gar nicht aus", wehrte er sich eher halbherzig gegen diese Anschuldigung. "Mit den Augen schon", lachte Ben. "Schwule sehen nackt nicht anders aus als Heteros, also kannst du mir nix und ich dir nix abgucken." Und mit diesen Worten kroch er in seinen Schlafsack und ließ den Kopf in sein kleines Kissen sinken. Tobias seufzte leise, packte seinen Schlafsack und sein Kissen aus und zog sich bis auf T-Shirt und Boxershorts aus. Dann schob er die schwarze Holzplatte wieder an ihren Platz am Kabineneinstieg und legte sich ebenfalls hin. Ben langte derweil nach dem Schalter der kleinen Lampe an der Rückwand der Kabine. Tobias fand keine wirklich bequeme Schlafposition. Immer wieder warf er sich herum und murrte vor sich hin. Sein Nacken schmerzte noch immer von der Autofahrt, was ihn ziemlich verwirrte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals Nackenschmerzen von der Fahrt in die Niederlande bekommen zu haben. "Seit wann ist mein Koala eigentlich so 'ne Wühlmaus?", hörte er plötzlich Bens müde Stimme und spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Zum Glück war es dunkel. "Mein Nacken ist verspannt", murmelte er verlegen. "Soll ich dich massieren?" "Häh?!" Das Licht ging an. Tobias starrte Ben ungläubig an. Ben grinste. "War doch 'ne einfache Frage. Soll ich dich massieren oder nicht?" Tobias zögerte. Das Angebot war verlockend angesichts seiner Schlafschwierigkeiten, allerdings waren seine bisherigen Erfahrungen mit Massagen sehr erotischer Natur gewesen. Dann wiederum war es bei Ben eine völlig andere Sache als zum Beispiel mit Monami. "Wenn's dich nicht stört", murmelte er schließlich. "Dann zieh mal dein Shirt aus und leg dich auf den Bauch", wies Ben ihn an. Tobias zog sich folgsam sein T-Shirt über den Kopf und legte sich hin. Ben schob Tobias' Hüfte ein wenig zur Seite, um sich neben ihn zu setzen. Sein Oberschenkel und sein Knie schmiegten sich wohl eher unbeabsichtigt gegen Tobias' Seite, das änderte allerdings nichts daran, dass Tobias ein heftiges Kribbeln befiel. Er schluckte schwer und legte seinen Kopf auf seinen Armen ab, während er sich befahl, nicht auf das Kribbeln zu achten. Das stellte sich als schwer heraus, als Ben anfing, seinen Nacken zu massieren. Tobias biss sich auf die Lippen und versuchte, seinen Atem zu kontrollieren. Sein verdammter Hals war viel zu empfindlich. Ben achtete nicht auf sein sachtes Zucken zwischendurch, wenn er es überhaupt bemerkte. "Wird’s schon besser?", fragte er. Tobias nickte. "So ganz allmählich", murmelte er. Er wollte nicht laut reden, weil er seiner Stimme im Moment keinen Nanometer über den Weg traute. Ben lachte leise. "Angenehm, hm?", vermutete er. Tobias erlaubte sich keine Antwort, die über ein Nicken hinausging. Erneut lachte Ben. Tobias war entsetzt darüber, wie sehr er die intensiven Berührungen von Bens Fingern genoss. So konnte das nicht weiter gehen, er wurde noch ganz verrückt dabei. "Ben?", stieß er leise hervor. Ben hab ein fragendes Geräusch von sich, ohne die Massage abzubrechen. "Du solltest aufhören", flüsterte Tobias. Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren fürchterlich brüchig. Ben schwieg, seine Hände verschwanden von Tobias' Rücken. Tobias blickte verlegen zu Ben hoch und sah ihn lächeln. "Schon wieder entspannt?" Tobias stemmte sich auf die Ellbogen hoch und rieb sich mit der Hand über den Nacken. "Doch, ja, das fühlt sich gut an", stellte er fest. Ben nickte zufrieden. "Dann kannste ja jetzt aufhören zu wühlen, Koala. Gute Nacht." "Schlaf gut." Ben schaltete das Licht wieder aus, nachdem er zurück in seinen Schlafsack geschlüpft war. Tobias verspürte nicht die geringste Müdigkeit. Er lag in seiner Schlafnische, hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und starrte an die niedrige Decke, obwohl er sie im Dunkeln kaum sah. Morgen würde er sich sicher wie in den vergangenen Jahren auch den Kopf stoßen, wenn er sich aufsetzte und noch nicht richtig realisiert hatte, dass er nicht in seinem eigenen Bett lag, das zwei Meter unter der Zimmerdecke stand. Und danach würde er sich wahrscheinlich wieder über seine eigene Dummheit ärgern, weil ihm das an jedem ersten Morgen auf dem Schiff passierte. "Ben? Schläfst du schon?", fragte Tobias leise. Er war einfach zu wach, um schon zu schlafen. Von Ben kam ein müdes Grummeln. "Noch nicht wirklich", erwiderte er. Tobias lächelte unwillkürlich. "Wie gefällt es dir bisher hier?", wollte er wissen. Ben schwieg eine Weile, dann sagte er: "Es ist nicht übel, auch wenn ich ohne dieses Schwanken glücklicher wäre." "Schwanken?", wiederholte Tobias verwirrt. "Dieses Boot-" "Schiff!" "Erbsenzähler", schnaubte Ben. "Dieses Schiff schwankt hin und her, merkst du das gar nicht?" "Ach, das meinst du", lachte Tobias. "Ich finde, es ist eher ein sanftes Wiegen." "Naja...", machte Ben nur abschätzend und Tobias hörte ein Rascheln. Wahrscheinlich drehte Ben sich gerade auf die Seite oder so. "Ich werd irgendwann mal hierher ziehen", sagte Tobias leise. "Wenn ich Niederländisch gelernt habe." Ben lachte leise. "Bei deinem Sprachtalent kann das ja lange dauern", stichelte er. "Mag sein", erwiderte Tobias völlig unbeeindruckt. "Aber trotzdem. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, an dem ich glücklicher sein könnte. Ich liebe dieses Land." "Nur wegen Kibbelings und deines Schiffes?", wollte Ben wissen. "Nein", meinte Tobias kopfschüttelnd. "Es ist einfach... Ich fühl mich hier zu Hause. Dass ich die letzten beiden Jahre nicht hier gewesen bin, hat mich total fertig gemacht." Ben schwieg für eine Weile, dann spürte Tobias plötzlich seine Hand auf seinem Arm. "Wenn du hierher ziehst, dann schreibst du mir doch regelmäßig, oder, Koala?", bat Ben leise. Tobias wandte ihm den Kopf zu, obgleich es zu dunkel war, um mehr als eine schwache Silhouette zu sehen, und lächelte. "Ich ruf dich an, bombadier dich mit SMSen und hau dir Briefe um die Ohren, bis du dir wünscht, ich würde doch endlich Ruhe geben!", wollte er Ben aufheitern. Der hatte nämlich ziemlich traurig geklungen. Seine Belohnung war ein herzliches Lachen. "Da musst du mir aber mehrere Briefe täglich schicken, um das zu erreichen", sagte Ben voraus. "So schnell wirst du meine Freundschaft nicht los." Tobias spürte, wie sich ihm das Herz zusammenzog, und fragte sich, warum es das tat. Während Ben ihm lachend erneut eine gute Nacht wünschte und es sich wieder auf seinem Platz bequem machte, wunderte Tobias sich, ob es das Wort "Freundschaft" gewesen war. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Ben in ihn verliebt gewesen war. Ihn jetzt nur noch von Freundschaft reden zu hören, fühlte sich seltsam an. Tobias seufzte schwer, kuschelte sich in sein Kissen und schloss die Augen, versteckte sich vor seiner wachsenden Angst und seinen seltsamen Gefühlen in der Wiege, die ihm das Schiff bot. Vielleicht wurde es so ganz langsam Zeit, sich einzugestehen, dass Ben doch etwas anderes für ihn war als ein bester Freund. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)