Tanaras von Ubeka ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Tag neigt sich bereits dem Abend, als ich zum Fenster hinausblicke. Langsam geht die Sonne am Horizont unter und taucht den wolkenlosen Himmel in ein grelles Orange. Bereits eine Stunde warten Draban und ich nun schon. Draban ist mein Lehrmeister in unserem Kloster, ein groß gewachsener, älterer Mensch mit kantigem, Gesicht, einer hohen Stirn und strengem Blick. Sein kurzes Haar ist aschgrau und ordentlich gekämmt im Gegensatz zu meinen schwarzen 'Stacheln', wie sie manche der Priester nennen. Über seinem langen braunen Gewand, das an den Seiten mit mehreren roten Stickereien verziert ist - die eigenartigen Motive sollen für Schutzgeister und die Gottheiten stehen - trägt er einen langen, grauen Mantel, auf dem weiter unten zwei rote Streifen entlanglaufen. "Hm... das dauert aber...", brummt Draban. Er hat recht, das Warten wird langweilig, ich hatte mir etwas mehr von einem Ausflug auf das Schloss im Ardnas-Gebirge versprochen. Endlich öffnet sich die große Flügeltür im Gang. Ein einfacher Wachmann in prunkloser Rüstung und mit einem Speer bittet uns hinein. Das Gewölbe am Ende der Treppe riecht modrig, an manchen Stellen wächst bereits das Moos aus den Wänden. Der Wachmann führt uns vorbei an vielen Zellen, nur wenige sind leer. Meistens wende ich mich sofort ab, wenn ich einen dieser Verbrecher sehe. Alles üble Gestalten, aber auch kein Wunder, wenn man sie extra hierher bringt ins Schloss, damit der König selbst sie verurteilt. Während Draban und der Wachmann weitergehen, bleibe ich stehen, als ich einen Gefangenen sehe, der irgendwie anders wirkt als der Rest. Langsam streicht der Mann, welcher in ein paar lausige Lumpen gekleidet ist und einen Dreitagebart hat, sich eine Strähne seiner dreckigen, braunen Haare aus dem Gesicht und sieht mich fragend mit müden Augen an, bevor er fragt "Was starrst du mich so an, Junge?" Gute Frage, das weiß ich selbst nicht einmal so genau. Vom Äußeren wirkt er nicht viel netter als all die anderen, die hier unten sitzen und beginnen, mich schief anzugucken. "Wie heißt du?", will er wissen. "Justus...", antworte ich zaghaft. "U- und ihr?", füge ich schnell an. "Zefix Tanaras..." Ich erstarre, von diesem Tanaras habe ich gehört! "Ihr seid der Verbrecher, der landesweit gesucht wurde?!", keuche ich, doch Zefix verzieht keine Miene. "Ja, der bin ich... und mittlerweile bereue ich es, dass ich es bin..." "Weil ihr hingerichtet werdet, oder?" Ich habe gehört, dass er eine ganze Menge auf dem Kerbholz haben soll, Draban hat ihn mehrere Male im Unterricht als schlechtes Beispiel genannt. Der Verbrecher schüttelt den Kopf, während er auf einer knirschenden Pritsche sitzt. "Das ginge ja noch... ich bereue meine Verbrechen wegen der Dämonen..." Dämonen... bei diesem Wort packe ich sofort ein dickeres Buch aus, das 'Dämonenlexikon des Brendan Hadewan' steht in dunklen Lettern auf dem ledernen Einband. Allgemeines: Unter Dämon versteht man Wesen, die übermenschliche Kräfte besitzen und auf Zerstörung oder Macht hinaus zielen. Ihr Aussehen variiert von Exemplar zu Exemplar und kann die unterschiedlichsten Formen annehmen wegen ihres großen Artenreichtums. Man unterscheidet zwischen zwei Sorten, die da lauten: -Reine Dämonen -Halbdämonen "Was genau meint ihr?", frage ich ihn, als ich den Eintrag gelesen habe. Er schließt kurz die Augen. "Weißt du, was ein Sündedämon ist?" Ich kann mich nur noch vage daran erinnern, schnell blättere ich durch das Buch, es war bei den Halbdämonen, wenn ich mich nicht irre. Ah, hier ist der Eintrag! Sündedämonen Ein Sündedämon ist ein Dämon, der unter bestimmten Umständen aus den schlechten Taten, manchmal auch Wünschen von Menschen, Elfen, Zwergen und ähnlichen Rassen (wie zum Beispiel Nymphen) geboren wird. Ein Dämon ist immer eine Konzentration mehrerer sich ähnelnder Sünden, deshalb manifestieren sich verschiedene Vergehen in unterschiedlichen Dämonen. Ein Sündedämon sieht von außen immer wie ein Mitglied der Rasse aus, der auch der Sünder angehört, die einzige optische Eigenheit ist das Fehlen eines Bauchnabels. Sündedämonen entstehen allerdings nur, wenn ein Sünder keinen Läuterungsgegenstand mit sich führt. Außerdem ist auch bekannt, dass der Glaube an die Gottheiten oder die Reue wegen einer Tat die Dämonengeburt beeinflussen können, auch wenn sich kein Maßstab legen lässt. Ich verstehe noch immer nicht ganz, was er meint. Er bemerkt mit einem Blick, dass ich fertig gelesen habe und hält vier Finger hoch. "Vier Stück hatte ich von denen... und weißt du, was alle vier getan haben?" Ich zögere etwas, anschließend verneine ich. "Sie haben sich alle aus dem Staub gemacht und mich mir selbst überlassen... die waren der einzige Grund, dass ich solange diesen ganzen Soldaten, Kopfgeldjägern und Exorzisten entkommen bin. Sie haben sich um diese Kerle gekümmert!" Ich sehe ihm an der Nasenspitze an, dass nicht viel von den Jägern übrig geblieben ist. Als ich kurz noch mal auf das Buch schau, fällt mir auf, dass der Eintrag auf der nächsten Seite weitergeht, hups! Da ein Sündedämon durch eine Person erschaffen wird, fühlt er sich leicht zu seinem Schöpfer hingezogen und begleitet ihn stetig. Zwischen dem Dämon und dem Sünder besteht daher ein leichtes Freundschaftsverhältnis, weswegen der Sünder dem Sündedämon Befehle erteilen kann, die seiner Natur entsprechen. Doch der Dämon stellt auch für den Sünder eine Gefahr dar, da er versuchen wird, seinen Schöpfer von der Nichtigkeit seiner Tat zu überzeugen, um auch die letzte Reue im Sünder zu vernichten. Daraus beziehen Sündedämonen ihre Kraft und wenn sie lange genug am Leben bleiben, können sie ihre Bindung lösen. Sogar soweit, dass sie den Schöpfer verletzen oder töten können. "Sie haben euch ausgenutzt, verstehe ich das richtig?" Zefix prustet. "Wenn du meine Reue meinst, so lass dir sagen, dass ich es ihnen leicht gemacht habe... aber ich hab nicht gedacht, dass sie mich wirklich abservieren würden... aber weißt du was, Justus?" Abermals ein unwissendes Kopfschütteln. Er wirkt zwar nett für einen Verbrecher, aber trotzdem stellen sich mir die Nackenhaare auf in seiner Gesellschaft, besonders bei seinem Grinsen, das er jetzt aufsetzt. "Ich werde sie..." "Justus!", ruft da plötzlich die Stimme meines Lehrmeisters. Oh nein, den hab ich ja ganz vergessen! Jetzt hab ich wahrscheinlich die Läuterung verpasst! Blitzschnell nähert sich Draban und packt mich am Arm. "Wirst du wohl von diesem Abschaum weichen?! Lass meinen Schüler in Ruhe, Elender!", keift Draban, doch Zefix zeigt sich davon unbeeindruckt, im Gegenteil, er grinst wieder. "Lass dich von mir nicht aufhalten, verbrenn lieber ein paar Bürger und erzähl den Bauern irgendwelchen Stuss über..." "Schweig still, du Unwürdiger! Wage es nicht, so zu reden, oder möchtest du unbedingt ins Fegefeuer zu deinesgleichen?!" Zefix lacht auf, er verkneift sich aber eine Antwort, wie ich ihm am Gesicht ansehe. Draban zieht mich flugs weg. Im Gehen sagt er noch mit bebender Stimme "Jener Mann hat es gewiss verdient, zu sterben, glaub mir, Justus. Lass dich bloß nicht von seinen Lügen einspannen." Ich nicke nur perplex und lasse mich von ihm weiter durch den Gang ziehen. Eine Woche später sind wir schon seit mehreren Tagen wieder zurück im Kloster. Es ist ein ganz besonderes Kloster in unserem Land: Obwohl es so aussieht, als stünde es nur auf einem großen Berg, liegt der Hauptteil dieser gut geschützten Glaubensbastion in dem Berg selbst. Ich sitze gerade in der großen Bibliothek mit ihren Tausenden von Schriften und Büchern, die in den Regalen gestapelt sind, und lerne die alten Schriften auswendig, die man mir vorgelegt hat und nun vor mir auf einem großen Holztisch liegen. An den anderen Tischen sitzen weitere Auszubildende, alle genauso stur am Büffeln wie ich. Nur wenige der Priester und Lehrmeister sind hier, die Bücher, mit denen diese sich befassen liegen in einem separaten Raum, weiter unten im Berg. Je nach Rang darf man umso tiefer in das hohle Massiv. Wir Auszubildenden dürfen maximal ins dritte Untergeschoss, kommt ganz auf unseren Fortschritt an. Zum Glück habe ich das bereits Reinheitsjahr abgelegt. Man darf ein Jahr lang nichts Böses tun und muss zeigen, dass man dem Teufel und den Dämonen keine Chance gibt, sich betrüben zu lassen. Am Ende dieses Jahres wird einem ein Läuterungsgegenstand verliehen. Es sind meistens Armbänder oder Gürtel, welche gesegnet wurden, um das Böses abzuhalten. Ich blättere gerade um, als Draban eintritt. Neben ihm läuft ein Elf mit schneeweißen Haaren, die ihm bis zu den Schultern hängen. Sein Blick ist ähnlich streng wie der von Draban, nur kommt er mir noch kühler vor, wie er sich so umsieht. Er trägt eine schwarze Rüstung und darunter ein violettes Gewand mit goldenen Rändern. Ach du meine liebe Güte, ein waschechter Exorzist... und sicher kein schlechter, wenn ich die zwei goldenen Punkte mit dem Strich darunter auf seiner Rüstung sehe, genauso wie die zwei überkreuzten Langschwerter auf dem Rücken und das Jagdmesser und mehrere Fesslungspapiere an seinem Gürtel. "Vier Stück sind es, allesamt Sündedämonen. Ich habe eine genauere Beschreibung in meinem Arbeitszimmer. Folgt mir bitte.", bittet Draban den Elf, welcher stumm nickt und mit seinen tiefgrünen Augen den Saal mustert. Er betrachtet auch kurz die Empore weiter oben, wo noch mehr Bücherregale stehen. Als sein Blick mich streift, starre ich schnell wieder auf das Buch vor mir. Wer weiß, was er täte, würde er merken, wie ich ihn anglotze. Nachdem er alles kurz angesehen hat, verlassen Draban und der Exorzist die Bibliothek wieder. Einen Augenblick später tuscheln viele der Auszubildenden schon untereinander. Die sind also genauso durcheinander wie ich. Aber ich muss weiterlernen, sonst gibt es morgen Ärger, darauf kann ich gut verzichten! Eine halbe Stunde später und ich habe gerade mal einen Bruchteil von dem geschafft, was ich auf morgen lernen muss. Ich seufze und starre auf das vergilbte Papier. Bis ich das alles in den Kopf kriege, vergehen noch Jahre! Ich gönne mir lieber eine Pause. Nachdem ich die Bücher wieder in die Regale geordnet und mich versichert habe, dass sie noch in Ordnung sind, verschwinde ich. Es ist immer atemberaubend, die riesige Kuppel über dem runden Raum mit seinen Höhlenwänden, die sich weit in die Höhe erstrecken, und im Kontrast dazu dem spiegelglatten Marmorboden zu sehen. Rundherum sind neben Fackeln in der Wand Türen verteilt, eine ist etwas größer, nämlich die zur Treppe, um zurück nach oben oder weiter nach unten zu gehen. Nur ein paar wenige Priester und Auszubildende stehen vereinzelt in der Halle und unterhalten sich. Langsamen Schrittes gehe ich zur Treppe, da kommt mir Fresarus mit einem breiten Grinsen auf den Lippen entgegen. Er ist im selben Ausbildungsjahr wie ich und legt dieselben Prüfungen ab, aber er lernt nicht bei Draban. Mit dem längeren, silbernen Haar, das in dicken Strähnen an seinem Kopf herunterhängt und auch wenig von seinen langen Elfenohren übrig lässt, ist es immer leicht, ihn von weitem zu erkennen. "Na, Justus?" "Was ist, Fresarus? Du strahlst ja förmlich.", erwidere ich und fange selber an zu grinsen. Er grinst nur noch breiter bei seiner Antwort. "Mutter und Vater haben mir wieder geschrieben. Du wirst es nicht glauben, aber ich bekomme ein Geschwisterlein! Und wenn ich die Prüfungen alle bestehe, werde ich es selber taufen dürfen!" "Das sind ja großartige Neuigkeiten!", gratuliere ich, jedoch muss ich dabei nur an meine eigenen Eltern denken, von denen ich schon seit Ewigkeiten nichts gehört habe, seit sie mich hierher gebracht haben. Manchmal glaube ich, sie wollten mich nur loswerden und das war der einfachste Weg. Aber um Fresarus' gute Laune nicht zu trüben, lächle ich weiter. "Und? Schon für die Prüfung morgen gelernt? Ich werde mich jetzt gleich darauf stürzen, ich bin motivierter denn je!" "Ich hab gerade erst versucht, mir das ganze einzuprägen... es sitzt noch nicht so gut.", muss ich zugeben. Fresarus legt mir eine Hand auf die Schulter und lacht "Das schaffst du schon! Wir sehen uns spätestens bei der Abendmesse, bis dann!" Und schon läuft er zur Bibliothek, während seine langen Haare wehen. Manchmal macht mir seine ständige gute Laune fast schon Angst, obwohl auch er - nach wie vor selten - seine schlechten Tage hat. Aber jetzt gehe ich erstmal auf mein Zimmer, bevor ich später wieder lerne. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)