Katz und Maus von Lyessa ================================================================================ Kapitel 2: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold ----------------------------------------------- Mit dem finstersten Blick, den Varis aufbringen konnte, stapfte er den schmalen Weg entlang. Sein wieder trockener Umhang bauschte sich dramatisch bei dem Tempo, das er vorlegte. „Nun warte doch mal!“, erklang eine keuchende Stimme hinter ihm und jemand griff nach seinem Umhang. Abrupt blieb Varis stehen und drehte sich um. Seine Augen trafen flehend blickende braune. „Ich bin nicht so schnell.“ Nach Atem ringend stützte sich das Mädchen vor ihm an einem Baum ab. „Puh, du bist... ganz schön gut... zu Fuß“, japste sie und lächelte gequält. Varis nickte nur und musterte sie stirnrunzelnd. Hübsch war sie ja, da hatte Arkas Recht gehabt. Glatte schwarze Haare fielen ihr über die Schultern und das schlichte grüne Kleid, das sie unter ihrem Umhang trug, hob ihre zierliche Gestalt hervor. Er schätzte sie auf knappe Neunzehn und konnte sich gut vorstellen, dass Arkas sich von diesem Mädchen hatte beschwatzen lassen. Varis verzog das Gesicht. Er selbst hatte sich ja auch beschwatzen lassen – allerdings von Arkas. Verdammter Erpresser! Der Idiot hatte erst dann mit dem neuen Auftrag rausrücken wollen, wenn Varis sich bereit erklärte, Alana mitzunehmen. „Könntest du ein bisschen langsamer gehen, bitte?“ Sie lächelte ihn strahlend an und ihre Augen flehten so eindringlich, dass jedes Herz dahinschmelzen musste. Varis verschränkte die Arme und hob skeptisch die Augenbrauen. „Ich habe dir gleich gesagt, dass ich nicht viel Zeit habe.“ Und er hatte es wirklich eilig. Zwar hatte er noch genügend Zeit bis zu seinem Auftrag, aber er wollte dieses lästige Anhängsel so schnell wie möglich in Ekmar abliefern. „Bitte. Ich kann bei deinem Tempo nicht mithalten.“ „Schon gut. Aber nun komm endlich weiter.“ Eine Spur langsamer setzte Varis sich wieder in Bewegung und mit dankbarem Blick ging Alana neben ihm. Schweigend wanderten sie weiter und folgten dem Weg in einen dichten Laubwald. Die Blätter hatten sich bereits verfärbt und sorgten für eine fröhlich-bunte Kulisse in der strahlenden Nachmittagssonne. „Wie lange brauchen wir wohl bis Ekmar?“, versuchte Alana einen Vorstoß. „Bei deinem Tempo?“, gab Varis unfreundlich zurück. Er hatte große Lust, sie einfach hier stehen zu lassen. Was hatte Arkas sich bloß dabei gedacht? „Was bist du eigentlich so schlecht gelaunt?“, hakte sie nach, erhielt aber nur ein unbestimmtes Brummen zur Antwort. „Bist du immer so wortkarg? Also, weißt du, mein Vater sagt immer, stille Wasser sind tief. Was lauert in deiner Tiefe?“ „Du ertrinkst noch darin, wenn du deine Neugier nicht bald zügelst.“ Varis' Tonfall war ruhig, aber es schwang eine unmissverständliche Drohung darin mit. „Ist ja gut, um Himmels Willen. Du bist mir vielleicht ein unterhaltsamer Reisebegleiter.“ Eine Weile herrschte wieder Stille, dann begann Alana von Neuem. „Arkas hat erzählt, du musst sowieso nach Ekmar. Was willst du denn dort? Das Dorf ist ein hoffnungslos ödes Kaff.“ Genervt rollte Varis mit den Augen und schwieg beharrlich. „Ich muss es ja wissen, ich bin dort schließlich aufgewachsen. Weißt du, in meiner Kindheit hatte ich nicht viel zu Lachen. Mein Vater hat mich die ganze Zeit arbeiten lassen, zum Spielen war da keine Zeit. Es wäre ohnehin nichts dagewesen, womit ich hätte spielen können.“ Sie machte eine kurze Pause, als hoffte sie, dass Varis Interesse zeigte und nachfragte. Aber der stapfte nur weiter stumm neben ihr her und wünschte sich einen Knebel. „Naja, wahrscheinlich fragst du dich, wie ich dann trotzdem so ein fröhliches Mädchen werden konnte? Ganz einfach: wegen meiner Mutter. Sie war so ein Sonnenschein, dass selbst die Nacht hell wurde.“ „Warum erzählst du mir das?“ „Ich habe nur versucht, das Eis zu brechen.“ „Ich sag's ja: Du ertrinkst nochmal.“ „Aber du holst mich dann ja aus dem Wasser.“ Mit unverändert guter Laune hakte sie sich plötzlich bei Varis unter und lächelte ihn an. „Dafür bist du schließlich hier, nicht wahr?“ Varis blickte sie erst skeptisch an und starrte dann wieder auf den Weg vor ihm. Ein Knebel alleine würde nicht reichen – ein Seil musste auch noch her. „Arkas sprach ja sehr positiv über dich. Dass ich mir mit dir an meiner Seite keinerlei Sorgen über Räuber oder Ähnliches machen muss und so.“ Seil, Knebel – und ein schweres Gewicht. „Du musst wissen, ich habe schreckliche Angst vor Räubern. Mein Vater ist bei einem solchen Überfall einmal fast ums Leben gekommen. Aber ich muss sagen, deine Anwesenheit beruhigt mich wirklich. Da wird es bestimmt kein Räuber wagen, uns aufzuhalten.“ Und dann einen Fluss. Einen tiefen Fluss. „Wie weit ist es eigentlich noch? Sind wir noch lange unterwegs?“ „Wir sind gerade erst losgegangen. Leider.“ Alana plauderte weiterhin munter drauflos und Varis' Stimmung sank immer weiter. Er verwünschte Arkas und seine Starrköpfigkeit. Wenn er ihm wieder begegnete, würde er ihm als erstes genüsslich den Hals umdrehen. Um Alana nun nicht noch weiter zu ermutigen, hüllte Varis sich in eisiges Schweigen. Allerdings deutete die junge Dame an seiner Seite die Stille als pure Schüchternheit und versuchte ständig vergeblich, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. „Mir tun langsam die Füße weh.“, klagte sie schließlich. „Können wir nicht mal eine Pause einlegen?“ „Wir sind noch keine drei Stunden unterwegs und du machst schon schlapp?“, gab Varis spitz zurück. Alanas Redefluss hatte an seinen Nerven gezehrt. „Ich bin leider kein solcher Marathonläufer wie du.“ Sie versuchte es abermals mit ihrem strahlenden Lächeln, das aber an Varis' finsterer Miene abprallte. Kurzerhand ließ sie sich einfach auf einem großen Stein nieder und streckte seufzend die Beine von sich. „Puh, bin ich geschafft!“ Varis runzelte die Stirn und lehnte sich an einen Baum, die Arme verschränkt und den Blick den Weg hinauf gerichtet. „Mach doch endlich mal ein freundlicheres Gesicht, Varis.“ Doch Varis hörte sie nicht einmal mehr. Seine Gedanken kreisten um den Weg, den sie gerade beschritten. In diesem Wald trieben tatsächlich Räuber ihr Unwesen und viele Wanderer, die ihn betreten hatten, waren nie wieder aufgetaucht. Er selbst war schon einige Male hier unterwegs gewesen und wusste, dass diese Geschichten keine Übertreibung waren. Einmal wäre er fast überfallen worden, die anderen Male hatte er sich vorsichtiger voran bewegt und war nicht einmal von ihnen entdeckt worden. Aber nun hatte er Alana auf den Fersen und dieses Mädchen schien ein großes Problem damit zu haben, ihren Mund zu halten. Wie sollten sie so unbemerkt durch den Wald kommen? Auf einen Kampf war er alles andere als scharf. „Lass uns weitergehen.“ Abrupt tauchte er aus dem Gewühl seiner Gedanken wieder auf und stieß sich vom Baum ab. „Je eher wir hier durch sind desto besser.“ „Machen dir die Räuber Sorgen?“, erkundigte sich Alana, nachdem sie erstaunlich widerspruchslos aufgestanden war und nun wieder neben Varis dem Weg folgte. „Sie würden mir weniger Sorgen machen, wenn du einfach mal still wärst.“ „Achso, du willst sie nicht auf uns aufmerksam machen?“ Varis sparte sich die Antwort und lief weiter, die Augen unruhig über die Umgebung wandernd. Würde ihnen jemand auflauern? Vielleicht hatten sie Glück und blieben unbehelligt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)