Katz und Maus von Lyessa ================================================================================ Kapitel 4: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben ----------------------------------------------------- Seit sie ihren Weg fortgesetzt hatten, hatten sie kein Wort mehr gewechselt. Doch so sehr Varis sich auch über die Stille freute – sie weckte doch ein klein wenig Besorgnis in ihm. Er hatte Alana für ein sehr gesprächiges Geschöpf gehalten und hätte nicht gedacht, dass ein Überfall sie derart aus der Bahn werfen könnte. Vielleicht hatte sie auch nur noch nie jemanden sterben gesehen. Nun, einmal war immer das erste Mal. Er warf einen kurzen Blick zur Seite. In dem immer schwächer werdenden Licht wirkte sie eher nachdenklich als verstört und das beunruhigte Varis fast noch mehr. Während des Überfalls hatte sie sich erstaunlich ruhig verhalten – der Schock, wie er eigentlich angenommen hatte. Aber dieser Ausdruck auf ihrem Gesicht... Als hätte sie Varis' Blick wahrgenommen, drehte Alana den Kopf und sah ihn aus großen Augen an. „Du hast mir das Leben gerettet.“, hauchte sie. Varis brummte kurz und kickte im Gehen ein kleines Steinchen vor sich her. Ihn beschlich das unbestimmte Gefühl, dass sie ihn gewaltig zum Narren hielt. So, wie sie plötzlich aus den Tiefen ihrer Gedanken aufgetaucht war und mit einem Mal das erschrockene, kleine Mäuschen gab – er nahm ihr das einfach nicht ab. „Diese Männer, wie du mit ihnen fertig geworden bist -“, sie brach ab und ihre Augen schienen immer größer zu werden. Spielte sie ihm das wirklich nur vor? Es fehlte bloß noch, dass sie sich furchtsam an seinem Arm festhielt und über die Dunkelheit jammerte, die sich mit der hereingebrochenen Nacht immer weiter über sie legte. Aber gut, in zwei Stunden sollten sie in Ekmar ankommen und dann war er sie endlich los. „Wo hast du das gelernt?“, setzte Alana schließlich hinterher, als Varis weiterhin schwieg. Doch nun horchte er unwillkürlich auf. Ahnte sie etwas? Wusste sie etwas? „Man lernt das ein oder andere, wenn man unterwegs ist.“, antwortete er vorsichtig. „Was arbeitest du eigentlich?“ „Dies und das.“ War ihr Interesse wirklich so beiläufig, wie ihr Tonfall es klingen ließ? „Zum Beispiel?“ „Nichts bestimmtes. Was sich eben so ergibt.“ „Arkas meinte, du kämst viel herum.“ „So?“ War das noch normale Neugier und er war einfach zu vorsichtig? „Ich stelle mir das furchtbar romantisch vor.“ Fast wäre Varis über seine eigenen Füße gestolpert. Romantisch? Er warf einen erneuten Blick zur Seite. Meinte sie das ernst? „So auf Wanderschaft, hier und dort etwas arbeiten um sich sein Brot leisten zu können und dann fortziehen, sobald man eines Ortes überdrüssig geworden ist.“ Soweit Varis das noch erkennen konnte, zeigte ihr Gesicht einen seltsam verklärten Ausdruck, die Augen waren in den Himmel gerichtet. „Nach der Freiheit greifen, nur die Richtungen einzuschlagen, die man möchte...“ Sie seufzte leise, während Varis die Augen verdrehte. Alana hatte keine Ahnung, was es wirklich hieß, ständig unterwegs zu sein, von einem Auftrag zum nächsten zu reisen, einen Menschen nach dem anderen umzubringen. „Fühlt man sich dabei nicht schrecklich einsam?“, fragte Alana plötzlich. Varis' Kopf fuhr herum. „Wie kommst du darauf?“ „Naja, du bist nun mal alleine unterwegs. Ohne Gesellschaft und so...“ „Na und?“ Er war oft genug in Gesellschaft. Seine Auftraggeber, seine Opfer, die ganzen Menschen, mit denen er bei der Ausführung in Kontakt kommen musste – er war jedes Mal froh, wenn er sich wieder alleine auf der Straße befand, auf dem Weg zu seinem nächsten Auftrag. „Und da fühlst du dich nicht manchmal einsam?“ „Nein.“ Varis genoss die Momente der Ruhe, wenn er für sich alleine war. Sie ließen ihm genug Raum, die Gedanken schweifen zu lassen. Kurze Stille schloss sich an. „Wirklich?“ Was wollte dieses Mädchen denn hören? Dass er sich im Grunde seines Herzens nach einem Weggefährten sehnte? Varis' Wege waren zu gefährlich, um sie mit einer zweiten Person beschreiten zu können. Er kam alleine am besten zurecht. Darauf war er getrimmt worden und daran gab es nichts zu rütteln. Vielleicht änderte sich das, wenn er an seinem Ziel angekommen war, aber den Weg dorthin musste er alleine gehen. „Ich glaube dir das einfach nicht.“ Varis zuckte nur noch mit den Schultern und hüllte sich in Schweigen. Er hatte keine Lust, ihr ständig zu widersprechen oder überhaupt über solche Dinge mit ihr zu reden. Ob sie nun die demonstrative Stille richtig deutete oder nicht – sie sagte nichts weiter und lief stumm neben Varis her. Immer dichter wurde die Dunkelheit um sie herum und ließ die Schatten der Bäume immer näher rücken. Nur ganz wenig Licht drang von den Sternen durchs Geäst und so mussten sich Varis und Alana auf diesem unebenen Weg auf jeden Schritt konzentrieren. „Was willst du nun eigentlich in Ekmar?“, fragte Alana nach einer Weile in die Stille, die allein vom Rauschen des Waldes und dem Knirschen ihrer Schuhsohlen erfüllt gewesen war. „Ist nur eine Station auf der Durchreise.“ „Ah, verstehe. Und wohin geht es danach?“ „Mal sehen.“ „Wo bleibst du diese Nacht eigentlich?“ „Mal sehen.“ „Ach, Mensch, nun sei doch nicht immer so einsilbig!“ Sie hielt kurz inne. „Wenn du nicht weißt, wo du heute Nacht in Ekmar eine Bleibe finden sollst, kannst du bei uns im Gasthaus unterkommen. Mein Vater wird dir sicher ein Zimmer überlassen und was zu Essen kriegst du auch. Immerhin hast du mich vor den Räubern gerettet. Und wenn du -“ „Ein einfaches Bett genügt“, unterbrach Varis sie schnell. Es würde schwer werden, so spät noch eine Unterkunft zu finden. Auch wenn er ungern auf das Angebot einging, so schien es doch die einfachste Alternative. „Oh, du kriegst bestimmt das beste, das wir haben! Es gibt da ein richtiges Luxuszimmer, mit extra breitem Bett und -“ „Danke. Ich bevorzuge ein ganz schlichtes und einfaches Bett.“ „Aber es ist wirklich -“ „Nein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)