Katz und Maus von Lyessa ================================================================================ Kapitel 6: Aus die Maus ----------------------- Gerade noch rechtzeitig rollte Varis zur Seite, bis über die Bettkante. Mit einem dumpfen Geräusch landete er auf dem Boden, während vom Bett das unangenehme Ratschen, das das durch den Stoff der Kissen und der Matratze schneidende Messer verursachte, an seine Ohren drang. Leicht taumelnd zwang Varis seinen Körper in die Höhe und wich zurück, die Augen auf Alana gerichtet. Verdammt! Was war bloß los mit ihm? Sein Geist hatte durch die plötzliche Erkenntnis einen rasanten Spurt hingelegt und die Müdigkeit und jeglichen Nebel hinter sich gelassen. Und doch fühlte er sich immer noch benommen, denn sein Körper schien viel langsamer und schwerfälliger zu reagieren, als es eigentlich der Fall sein sollte. Schon im nächsten Augenblick war Alana nach vorne gesprungen, das lange Messer voraus. Varis' Reflexe reagierten, langsam und verzögert. Ein leichter Schmerz machte sich an seiner Seite bemerkbar, wo die Klinge ihn noch erwischt hatte, bevor er ausweichen konnte. Hastig machte Varis weitere Schritte zurück, innerlich fluchend und in der Hoffnung, diese letzte Benommenheit bald abstreifen zu können. Ein selbstsicheres, überlegenes Lächeln umspielte Alanas Lippen, während sie langsam auf Varis zuging, das Messer spielerisch in der Hand haltend. Ihre Augen ruhten auf Varis, voll Hass glimmend. „Na, Varis?“, begann sie, Spott aus jedem Wort triefend. „Auf einmal bist du nicht mehr der große Hecht. Was ist denn los mit dir? Fühlst du dich nicht gut?“ Sie lachte kurz und täuschte einen Angriff vor, lachte dann noch mehr, als Varis zurückzuckte. „Wohl zu viel von Vaters Met erwischt, hm? Eine Spezialmischung!“ Ein selbstgefälliges Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit, während sie langsam und bedächtig, Schritt für Schritt auf ihn zuging. „Weißt du eigentlich, wie lange ich auf diesen Tag gewartet habe? Vier Jahre! Vier verdammte Jahre!“ Irritiert starrte Varis sie an, versuchte krampfhaft, sich an irgendeine Verbindung zu Alana zu erinnern. Hatte er sie doch schon einmal getroffen? Gerade noch rechtzeitig konnte er sich zur Seite werfen, als sie sich nach vorne stieß und mit dem Messer auf seine Kehle zielte. Routiniert rollte er sich ab und kam wieder auf die Beine, ein wenig wankend, aber aufrecht. In diesem Moment war Varis wahnsinnig froh um seine antrainierten Reflexe, aber er reagierte langsam, zu langsam. Die Klinge war viel zu knapp an ihm vorbeigegangen. Varis' Augen fixierten Alana, beobachteten jede ihrer Bewegungen, wie sie sich katzengleich schleichend langsam weiter näherte. „Du erinnerst dich wohl nicht mehr“, stellte sie mit einem verächtlichen Lächeln fest. „Dafür habe ich deinen Besuch nicht vergessen.“ Abermals attackierte sie ihn, abermals schaffte er es gerade so, der scharfen Klinge zu entkommen. Halt suchend hatte er eine Hand an der Wand abgestützt und hielt seinen Blick starr auf Alana gerichtet, während seine Gedanken rasten. Ihre Bewegungen waren zu präzise, zu schnell. Sie schien genau zu wissen, wie sie ihre Waffe zu führen hatte und allmählich keimte in Varis der besorgniserregende Verdacht auf, dass sie ihn absichtlich nicht richtig traf. Sie schien großen Spaß an seinen Bemühungen zu haben, ihren Angriffen zu entkommen und amüsierte sich köstlich über seine immer noch eher ungelenken Bewegungen. „Vier Jahre“, begann sie wieder und ihre Augen funkelten zornig. „Vier Jahre! Denk mal scharf nach, Varis. Was hast du gestern vor vier Jahren getan?“ Entgeistert blinzelte Varis sie an. Was glaubte diese Irre denn, was er für ein Gedächtnis hatte? Vielleicht war er ihr auf einem seiner Aufträge begegnet? Aber dann wäre sie jetzt nicht mehr am Leben. „Ein kleiner Tipp: Es war schon nach Mitternacht.“ Immer noch schwieg Varis beharrlich und seine Augen glitten immer wieder kurz von Alana weg über die Einrichtung. Eine Waffe, er brauchte eine Waffe! Dann konnte er seine Aussichten wesentlich verbessern. Oder... Varis' Augen sprangen ein letztes Mal zurück zu seiner Gegnerin und hefteten sich wieder auf das Messer. „Ein paar Häuser die Straße runter“, fuhr Alana unbeirrt mit ihren Hinweisen fort und machte dann einen erneuten Ausfall. Wieder wich Varis aus, näherte sich dabei immer weiter dem Tisch. „Dämmert es immer noch nicht? Ist sich der werte Herr Govàh zu fein, sein Gedächtnis mit solch niederem Gewürm zu belasten?“ Während sie ihm verächtlich vor die Füße spuckte, wurde Varis immer bleicher. Hatte sie ihn vor vier Jahren tatsächlich bei der Arbeit beobachtet, ohne dass er sie bemerkt hatte? Wieso sonst sollte sie ihn mit diesem Namen ansprechen? „Wir haben dich gesucht, Caer. All diese Jahre. Und ich habe trainiert. Alles für diesen Moment! Für deinen Tod.“ Varis' Blick glitt kurz zu dem Tisch, der nun schräg hinter ihm stand und dann sofort wieder zurück zu Alana. Vier Jahre Training erklärten ihren sicheren Umgang mit dem Messer. Was sie in dieser Zeit sonst noch alles gelernt hatte, würde er wohl gleich herausfinden. Varis' Hand tastete nach der Tischkante, die nun genau neben ihm war. In einer direkten Konfrontation war er ihr unbewaffnet gerade unterlegen, das wusste er selbst und das wusste sie ebenfalls. Deswegen war sie auch so siegessicher, verschwendete Zeit an Scheinangriffe und Ratespiele. Sie war sich sicher, dass sie ihn in die Ecke gedrängt hatte. Varis' Finger glitten weiter zu seiner Tunika, die über dem Stuhl hing. Er musste sich eingestehen, dass sie damit durchaus Recht hatte. Aber er konnte sein eigenes Training, seine Berufserfahrung dazu nutzen, die Chancen ein wenig gerechter zu verteilen. Einen Moment später hatte er die Tunika gepackt und auf den Tisch geschleudert, auf die beiden Kerzen, deren Flammen sofort erloschen. Varis hatte die letzten Sekunden Licht genutzt, sich das Zimmer noch einmal einzuprägen, Abstände einzuschätzen. Als sich nun die Dunkelheit über sie legte, glitt er ein Stück zur Seite. Alana hatte zunächst erschrocken und wütend aufgeschrien, um sich dann blindlings nach vorne zu stürzen, bevor ihr Opfer ihr in der Finsternis entwischen konnte. Doch Varis hatte bereits darauf gewartet und während sie noch in die leere Luft stach, schlug er einen Haken und riss sie von hinten mit seinem Gewicht zu Boden. Ein harter Aufprall folgte, als erst Alana auf dem harten Holz landete und dann Varis ihr mit seinem Schwung die Luft aus den Lungen trieb. Auch er selbst musste einen Moment um Atem ringen, dann spürte er auch schon, wie Alana sich gegen ihn stemmte – doch sie war zu zierlich, um ihn so einfach von sich herunter zu bekommen. Im nächsten Augenblick schwang sie auch schon das Messer herum, stach damit nach Varis und streifte ihn am Arm. Als sie nachsetzen wollte, hatte Varis schon ihren Arm gepackt und drückte ihn zu Boden. Dann wollte er nach der Waffe greifen, doch Alana schlug, trat biss und kratzte wie eine Furie um sich, ohne Plan und Ziel, und das einzige, das sie am Boden hielt, war Varis' Gewicht. Er verstärkte den Druck auf ihren Oberarm, griff dann nach ihrem Handgelenk und zerrte mit einem groben Ruck. Anschließend lauschte er mit grimmiger Zufriedenheit erst dem lauten Knacken, dann dem durchdringenden Schrei und schließlich dem dumpfen Pochen und hellen Schaben, als das Messer zu Boden fiel und noch ein Stück schlitterte. Weiter, als Varis gehofft hatte. Aber er hatte das Gefühl, dass er es ohnehin nicht mehr brauchte. Der Körper unter ihm war auf einmal ruhig, wurde nur noch von einem leichten Zittern geschüttelt. Varis wartete ab, achtete auf jede kleine Veränderung und runzelte schließlich die Stirn, als er leises Wimmern vernahm. Was zum Teufel war nur in dieses Weibsbild gefahren? Erst ließ sie sich von ihm eskortieren, hetzte dabei die Räuber auf ihn – dass ihr Schrei im Wald nur ein Versehen gewesen war, bezweifelte er inzwischen stark – und schleppte ihn schließlich mit hierher, mischte ihm sonstwas in den Met und... Varis schluckte. Dann räusperte er sich und beugte sich vor. „Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten.“, begann er mit leiser, drohender Stimme. „Die eine davon ist sehr einfach.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)