Neverland Sky von abgemeldet (»Wie du mir, so ich dir«) ================================================================================ Kapitel 3: Turning the Key -------------------------- Turning the Key »You make the sound of pulling heaven down« Als ich am nächsten Morgen zur Schule ging, fühlte ich mich wie gerädert. Ich war erst um drei im Bett gewesen, erst da war ich wieder müde geworden. Dementsprechend müde war ich, dementsprechend auch schlecht gelaunt, muffelig und völlig unausstehlich. Meine Mutter bekam fast wieder ihren hysterischen Wutanfall, als sie sah, dass ich die Milch aus der Packung trank. Heute Morgen war es mir aber egal, ich tat ihr wütendes Gezeter mit einem Schulterzucken ab. Immer diese gekünstelte Aufregung. Irgendwann würde sie noch umkippen. Ihr Kopf lief nämlich immer puterrot an, wenn sie wütend wurde. Auf absurde Weise fand ich das sogar lustig. Ich bekam wieder Nachsitzen aufgehalst, weil ich in Mathe eingeschlafen war. Eigentlich hätte ich Mr. Marson gerne meinen Mittelfinger gezeigt, aber ehe er mich mit Aufgaben überhäufte, die ich nicht einmal erledigen, geschweige denn schaffen würde bis ich mindestens achtzig war, verkniff ich mir diesen ersten Impuls und nickte ergeben. Doch dieses unglückselige Ereignis hinderte mich nicht daran, auch in anderen Fächern immer wieder einzunicken. Ich konnte wohl von Glück reden, dass mein Kopf nicht auf die Bank knallte, andernfalls wäre ich wohl in Aufgaben fürs Nachsitzen erstickt. An den langweiligen, konstanten und sich nie ändernden Schulalltag würde ich mich wohl nie gewöhnen. Einmal abgesehen von meinen Spielereien mit Val hatte die Schule nichts Spektakuläres. Nach dem Sportunterricht ergab sich die Gelegenheit, sich an Val zu rächen. Der Debattierunterricht war heute erstaunlich ruhig verlaufen. Ich war mir sicher, dass sogar Mrs. Randall sich darüber gewundert hatte. Aber das tat nichts zur Sache. Val half nämlich nach dem Sportunterricht dabei, das Volleyballnetz abzubauen. Ich lieh mir von einem Kumpel sein Deo — ein wirklich abartig riechendes Gemisch — und sprühte damit Vals Klamotten von oben bis unten ordentlich ein. Dass ich fast an dem Gestank krepierte, geriet bei meiner Verzückung in den Hintergrund. Ich hatte wirklich keine Ahnung, warum es so war, aber das brachte mir jedes Mal aufs Neue einen Adrenalinkick und diese Racheakte waren die Dinge, auf die ich mich immer diebisch freute. Nicht nur meine eignen, sondern auch die von Val. Das erhellte den tristen Alltag. Ich musste sogar vor mir selbst zugeben, dass es fast an Körperverletzung grenzte, ihn mit diesem Zeug zu verpesten. Aber seine angewidert verzogene Miene war einfach unbezahlbar. Unsere Blicke begegneten sich, als er sich nach mir umdrehte und ansah. Ein Funkeln lag darin, ein belustigtes, schwaches Grinsen umspielte seine Mundwinkel. Vermutlich war ich der einzige, dem bewusst war, dass Val gerade grinste. Er war wirklich erstaunlich mutig. Mit Würde und Stolz marschierter er stinkend durch die Schülerschar auf dem Parkplatz zu seinem Auto. Die meisten, an denen er vorbeiging, rümpften die Nasen, verzogen die Gesichter oder stöhnten angewidert auf. Sie drehten sich nach ihm um, fluchten und schimpften, doch Val tat so, als würde er sich nicht angesprochen fühlen. Er fuhr an mir vorbei, während ich immer noch an meinem Wagen stand. Grinsend sah ich ihm nach, bis er den Parkplatz verlassen hatte. Dann durchsuchte ich meine Hosentasche nach meinem Schlüssel. Dabei fand ich nicht nur die Schlüssel, sondern auch einen kleinen, sauber gefalteten Zettel. Darauf stand eine Uhrzeit und das Datum, das heutige. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Grinsen breiter wurde. In meinem Bauch kribbelte irgendwas, doch dem schenkte ich keine Beachtung. Ich stieg ins Auto und fuhr nach Hause. Das Grinsen wurde ich während der ganzen Fahrt nicht los. Es war beängstigend. Als ich am späten Nachmittag wieder zum Haus der Valentines hinüberging und klingelte, flog die Tür augenblicklich auf. Val sah mir entgegen, ein gequälter Ausdruck lag für wenige Momente in seinen hellen Augen, doch dann verschwand er gänzlich. Als hätte er auf mich hinter der Tür gewartet. Und als wollte er irgendetwas verbergen. Mir blieb vorerst keine Zeit, um mir weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, denn im nächsten Moment hörte ich wütendes Geschrei aus dem inneren des Hauses. Der verzerrten Stimme nach zu urteilen, war es Mrs. Valentine, die lautstark und heftig mit irgendjemandem stritt. Es fielen Worte, die ich ihr nie zugetraut hätte. Worte, die ich nur benutzte, wenn ich allein war, oder gedanklich. Val schloss schnell die Tür hinter sich, als er über die Schwelle nach draußen zu mir getreten war. Er ließ den Blick kurz über die Straße gleiten, aber es war niemand da. Für einen winzigen Augenblick huschte ein verletzter und zugleich peinlich berührter Ausdruck durch seine Augen, als er mich kurz ansah. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammen gepresst. Er verbarg tatsächlich etwas. Diese Erkenntnis war wie ein Schock für mich. Ich hatte keine Ahnung, warum. Aber wenn er Probleme in der Familie hatte, dann … Offenbar verriet mein Gesichtsausdruck meine Gedanken, denn Vals Miene verdunkelte sich ein wenig, als er mich ernst anschaute. »Mein Erzeuger am Telefon«, sagte er — und das so schnell, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Aber sein Tonfall sagte, dass es die einzige Information war, die ich bekommen würde. Ich fragte nicht weiter nach. »Komm. Wir fahren dahin, wo es ruhig ist und niemand uns stört«, meinte er dann, spielte mit dem Schlüsselbund in seiner Hand, während er in die Auffahrt ging und sich ins Auto gleiten ließ. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz. Während wir fuhren, fragte ich mich, wo er hin wollte. Wo wollte er denn einen Vortrag machen? In einem Café? Aber da war es nicht ruhig. Er navigierte den Wagen aus der Stadt und ich zerbrach mir unterdessen den Kopf weiterhin über unseren möglichen Zielort. Wir waren nicht sehr weit raus aus der Stadt und Val hielt direkt vor einer großen, alten Windmühle. Die Felder rings herum waren mit hohen Gräsern überwachsen, die wie Wellen im sanften Wind wogten. Die Mühle selbst war mit Efeu überwachsen, das sattgrün im Sonnenlicht schimmerte. Irgendwie sah das hier ein wenig wie ein Bild aus einem Märchen aus, aber mir gefiel es. Es wunderte mich nur, dass Val solche Orte kannte. Nicht, dass ich das schlimm fand, aber er besaß doch tatsächlich eine romantische Ader. Aus der Vortragsbearbeitung wurde dann doch nichts. Unsere Anfänge und Versuche scheiterten schnell kläglich aufgrund von Unlust. So kam es, dass wir nebeneinander im hohen, wogenden Gras lagen. Ich betrachtete die verschiedenen Wolkenformationen, die langsam über den makellos blauen Himmel zogen. Ich sah einen Hasen und einen Stier und noch viele andere Dinge. Erst, als ich in einer Wolke ein Herz erkannte, wandte ich den Blick vom Himmel ab. Für einen kurzen Moment spürte ich Hitze in mir aufwallen. »Sag mal, was hast du mir gestern Abend gegeben? Ich konnte erst um drei schlafen«, fragte ich Val schließlich und drehte ihm den Kopf zu. Er hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt, sein Blick war gen Himmel gerichtet. Zwischen seinen Lippen steckte ein langer Grashalm, auf dem er scheinbar gedankenverloren herumkaute. »Du verträgst kein Koffein«, stellte er dann fest. Ich blinzelte. Woher wusste er das? Ich war nicht allergisch auf Koffein, aber ich verhielt mich immer wie ein kleines Kind, das Kaffee getrunken hatte: Ich war vollkommen aufgekratzt und unruhig und ich konnte partout nicht zur Ruhe kommen. Ein andauernder Zustand. Aber es gab kaum Leute, die das wussten. Meine Überraschung und Verwunderung war demnach ziemlich groß, als ich es von Val hörte. »Du hast die Bonbons, die ich hochgebracht hab, in dich hineingestopft wie Pralinen. Die waren koffeinhaltig«, erklärte er mir dann weiter. Ich setzte mich ruckartig auf. Die Bonbons! Ich fasste mir an den Kopf. Dass ich nicht von allein darauf gekommen war. Wie dumm. Natürlich, die Bonbons. Warum war es mir auch nicht seltsam vorgekommen, dass er plötzlich Süßigkeiten gebracht hatte, wo er doch das Angebot seiner Mutter abgelehnt hatte. »Woher weißt du überhaupt, dass ich keinen Koffein vertrage?«, wollte ich wissen und schaute ihn an, während ich ein Bein anwinkelte und das Knie an mich zog, und das andere ausgestreckt ließ. Nachdenklich sah Val mich an, als würde er mich abschätzen wollen. Der Grashalm bewegte sich leicht zwischen seinen Lippen. Sein Blick war aufmerksam. »Du trinkst nie Cola oder Kaffee oder irgendwas in der Art. Als ich mal kurz auf der Geburtstagsfeier deiner Mutter war, hab ich mitbekommen, wie du auch schwarzen Tee abgelehnt hast, mit der Begründung, da sei Koffein drin. Und vor drei Jahren auf der Nachbarschaftsparty, da bist du herumgelaufen, als wäre ein Schwarm Hummeln hinter dir her. Deine Mutter hat dir eine Szene gemacht, weil du Cola getrunken hattest, mit den Worten: ›Du weißt doch, dass du herumrennst wie ein unruhiges Nashorn, wenn du irgendwas Koffeinhaltes getrunken hast!‹« Ich starrte ihn an und er blickte gelassen zu mir zurück. Daran konnte ich mich erinnern. Damals hatte ich die Cola eigentlich nur aus Jux getrunken. Aber dass Val sich noch daran erinnern konnte und sogar noch an den genauen Wortlaut meiner Mutter, das haute mich doch echt vom Hocker. Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare und schaute über die Felder. Die Straße schlängelte sich wie ein Reptil grau hindurch. Außer dem Rauschen des Winds in den Gräsern war nichts zu hören. Die langen Flügel der Mühle warfen Schatten auf das Grün der Umgebung. Irgendwie warf es mich aus der Bahn, dass Val das wusste. Nicht, dass es mein Geheimnis war, aber einfach, dass er aufmerksam genug war, um solche Dinge mitzubekommen, das erstaunte mich. Ich legte mein Kinn auf mein Knie. »Deine Schwester will unbedingt einen Hund haben, aber das geht nicht, weil du allergisch auf Hundehaare bist. Trotzdem liebst du Hunde und ärgerst sich, dass du diese Allergie hast. Du nimmst das Jucken und den Ausschlag und die zugeschwollene Nase und Augen in Kauf, um einen Hund zu streicheln. Außerdem trägst du Kontaktlinsen, deine Brille trägst du nur zu Hause, weil du der Meinung bist, dass du damit aussiehst wie ein Nerd. Das grüne Armband hast du immer um. Es ist ein Geschenk von deiner besten Freundin Jo, die vor zwei Jahren weggezogen ist. Dein zweiter Vorname ist Jonah«, zählte er auf und mit jedem neuen Fakt wurden meine Augen größer und mir klappte die Kinnlade runter. Ich stierte ihn fassungslos an. Woher wusste er das alles über mich? Okay, dass ich eigentlich eine Sehhilfe brauchte, war nichts Neues und war es kein Geheimnis. Dass ich tatsächlich eine beste Freundin namens Jo hatte, war eigentlich auch bekannt, aber vermutlich in Vergessenheit geraten. Aber dass das Armband von ihr war, das wusste kaum jemand. Meine Allergie auf Hundehaare war auch nichts Unbekanntes, aber auch nicht sehr verbreitet, zumindest nicht in der Schule. Dass ich aber einen zweiten Vornamen hatte, wusste niemand außerhalb meiner Familie. Erst recht nicht, wie der überhaupt lautete. Ich hasste meinen zweiten Namen, daher verbarg ich ihn wohl auch, so, wie Val es mit seinem vollständigen Vornamen tat. Noch bevor ich überhaupt weiter nachdenken konnte, hörte ich mir selbst zu, was ich zu sagen hatte. Und es überraschte mich nicht minder. »Okay, du Alleswisser. Dein vollständiger Vorname ist Casper, aber das war ein Cheat, den hat deine Mutter mir unfreiwillig verraten. Deine Mutter war bereits von deinem leiblichen Vater geschieden und mit George zusammen, als ihr hierher gezogen seid. Du magst klassische Musik, vor allem Vivaldi, und du fotografierst. Weiterhin hast du eine romantische Ader, was dieses Plätzchen hier beweist, und du liebst Kinder. Den Anhänger, den du immer trägst, hat deine Mutter dir zum sechzehnten Geburtstag geschenkt. Außerdem behauptest du in der Schule immer, dass du dir deine Brote immer selber machst, obwohl das gar nicht stimmt, denn das macht immer noch deine Mutter. Und du cremst dir abends vor dem Schlafengehen die Hände ein. Du trägst seit du zehn bist jedes Jahr im Herbst und Winter denselben Schal.« Ich verschnaufte. Eigentlich war das noch lange nicht alles, was ich über ihn wusste. Aber ich musste ihm auch nicht auf die Nase binden, was ich noch alles kannte. Als ich Val anschaute, sah ich die Überraschung in seinen Augen. Offensichtlich hatte er nicht gedacht, dass ich ebenso viel über ihn wusste wie er über mich. Aber er war nicht der einzige Beobachter. Oft fiel mir vieles nur durch Zufall auf, manches beobachtete ich aber immer wiederkehrend, zum Beispiel sein allabendliches Ritual sich die Hände einzucremen. Mir war aber bis jetzt nicht bewusst gewesen, dass sich da tatsächlich schon so viel angehäuft hatte und vor allem: dass ich es mir überhaupt gemerkt hatte. Aber wenn man bedachte, dass ich ihn schon seit etwa acht Jahren kannte, dann war das vielleicht gar nicht so überraschend. Dann breitete sich plötzlich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er nahm den Grashalm aus dem Mund und warf ihn weg, ehe er sich ebenfalls aufsetzte und mich funkelnd ansah. Euphorie lag in seinen hellgrünen Augen, als er das Gesicht zu mir beugte, sodass unsere Nasenspitzen sich fast berührten. Ich hielt unwillkürlich den Atem an, ohne es zu bemerken. Sein Atem kitzelte auf meiner Haut und ich konnte seinen Duft einatmen. Er stank nicht mehr nach dem abartigen Deo von vorhin. Nein, es war ein anderer Geruch, ein viel angenehmerer, dezenter. »Ich trage den Schal schon, seit ich sechs bin, aber der Rest stimmt so«, sagte er und eine Art Feuer tobten in seinen hellen Iriden. Er schien sich zu freuen, aus welchem Grund auch immer. Ich war gerade nicht in der Lage, klar zu denken. Dann lehnte er sich wieder zurück und stützte sich auf seine Fußballen, den Blick immer noch auf mich gerichtet. Das Grinsen lag immer noch auf seinen Lippen, der Wind fuhr durch seine dunklen Haare und wehte sie ihm in die Augen. »Ich habe heute Nachmittag Ewigkeiten gebraucht, dieses stinkende Deo abzuwaschen. Mindestens eine halbe Stunde hab ich in dieser verdammten Dusche verbracht, ehe ich nicht mehr danach gerochen habe, und ich hab mir bestimmt vier Mal die Haare gewaschen, bevor der Geruch raus war. Das war absolut unzumutbar. Ich sollte den Hersteller verklagen. Das ist ja Erregung öffentlichen Ärgernisses!«, meinte er dann schnaubend und mich traf es wieder, als er das Gespräch auf etwas derart Belangloses lenkte. Aber irgendwie trieb es mir trotzdem unverschämte Freude ins Blut, als ich das hörte. Jedenfalls war das die angemessene Strafe dafür, dass ich dreiviertel der Nacht nicht hatte schlafen können. »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, sagte ich schief grinsend. Val verzog kurz amüsiert das Gesicht, ehe er ein Grasbüschel aus dem Boden rupfte und mich damit bewarf. Die dünnen Halme rieselten über mein Gesicht und meinen Oberkörper. »Wenn das so wäre, dann wären wir beide schon längst blind und zahnlos«, erwiderte er und ich lachte auf. Da hatte er allerdings Recht. So lange, wie das zwischen uns schon lief. Ich riss meinerseits Gras aus dem Boden und schmiss es ihm entgegen. »Oh«, sagte er gespielt entsetzt zu mir und schüttelte mit übertriebener Theatralik den Kopf. »Du hast keine eigenen Ideen, Nightingale. So wird nichts aus dir. Lass dir was Eigenes einfallen.« Ich konnte nicht anders und brach in schallendes Gelächter aus. Diese Situation war so … unerwartet, fast sogar irgendwie surreal. Irgendwie konnte ich gerade nur schwer realisieren, dass es Val war, mit dem das hier geschah. Es war wie ein Traum, wie eine Fantasie und andererseits so real, so entspannend und erholsam; so anders, als mit meinen anderen Freunden. Val hatte keine Erwartungen oder Anforderungen an mich. Ich musste mich keinem Schema anpassen. Ich konnte mich gehen lassen, weil es für ihn keine Rolle spielte, ob ich seiner Meinung war oder nicht. Weil es ihm offensichtlich egal war, dass ich mit zweitem Vornamen Jonah hieß und wusste, dass sein vollständiger Name Casper war. »Du bist so kindisch«, sagte ich mit einer schauspielerischen Finesse erster Klasse. Diesmal war es an Val zu lachen. Er ließ sich rücklings ins Gras fallen und hielt sich den Bauch vor lachen. Es war schon eine Weile her, dass ich ihn das letzte Mal lachen gesehen und gehört habe. Aber irgendwie hatte sein Lachen bei mir immer ein angenehmes Gefühl ausgelöst — so, als wäre alles in Ordnung, wenn man nur lachen konnte. Val hatte so ein warmes, ansteckendes Lachen. Genau genommen eine recht kranke Lache auf ihre Art und Weise, aber wessen Gelächter war nicht so? Jo hatte mir damals mal gesagt, ich würde lachen wie eine Mischung aus Hyäne und Schwein. Meine Meinung war natürlich nicht so, aber ich war subjektiv. Es war schon späte Dämmerung, als wir wieder nach Hause fuhren. Im Auto merkte ich, wie müde ich war. Der Tag hatte mich ziemlich geschlaucht und in Kombination mit erheblichem Schlafmangel war das wie eine Abrissbirne. Ich fühlte mich wie ein in Wasser getränkter Sandsack, schwer und träge. Ich hatte sogar die Befürchtung, dass ich gar nicht mehr aus dem Wagen kommen würde vor lauter Schlaffheit. Die Vorstellung jetzt einfach die Augen zuzumachen und zu schlafen, war überaus verlockend, aber ich zwang mich, wach zu bleiben. Das gelang mir eher schlecht als recht, denn ich schlief halb, als wir wieder daheim ankamen. Val musste mir gegen den Oberarm boxen, um mich aus dem Halbschlaf zu holen. »Aufwachen, Dornröschen«, sagte er mit leicht spöttelndem Unterton in der Stimme. »Ich will nicht, dass Dornenranken um mein Auto wachsen, bis dein Prinz dich erwecken kommt.« Ich war zu müde, um rot zu werden. Wäre ich aber nicht so abgestumpft nach diesem Tag gewesen, wäre ich definitiv zu einer Tomate mutiert. Prinz, dachte ich matt und schnaubte gedanklich. Aber der Nachdruck ging flöten. Ich wollte einfach nur ins Bett. Als ich aus dem Auto stieg, musste ich mich an dem Türrahmen festhalten, um nicht umzufallen. Ich hatte meinen Fuß nicht weit genug gehoben und blieb irgendwo an der Karosserie hängen. Wie durch Watte hörte ich Val leise lachen. Kraftlos warf ich die Autotür hinter mir zu, winkte ihm kurz und torkelte dann verschlafen Richtung Elternhaus. Meine Mutter war überraschter als am Vortag, aber sie sah mir meine Aufnahmeunfähigkeit wohl an, daher sagte sie nichts weiter. Ich verkroch mich so schnell wie meine müden Beine es zuließen in meinem Zimmer und schälte mich aus den Klamotten. Ich zog noch das Rollo hoch, da ich es nachmittags immer runterließ, damit die Sonne nicht in mein Zimmer knallte, und sah, dass Val an seinem Zimmerfenster stand und herübersah. Vielleicht sah ich mal wieder Geister, aber mein Bauchgefühl sagte mir wieder nachdrücklich, dass er zu mir hinüberschaute. Als ich mich ins Bett legte und mich zudeckte, dachte ich lächelnd daran, dass er sich die Hände eingecremt hatte, während er zu meinem Fenster gesehen hatte. ___ tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)