Rückradlos von Ashela92 ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war am letzten Samstagabend, bevor die Sommerferien begannen, dass sie beschloss, einen Spaziergang zu machen. Als sie das Gartentor hinter sich schloss und hinaus auf die Straße trat, war die Luft angenehm mild und die Sonne gerade im Begriff, unterzugehen. Ihr erster Einfall war es zum See außerhalb des Dorfes zu gehen, doch etwas, von dem sie sich recht sicher war, dass es Faulheit in Anbetracht der langen Strecke, die es zurückzulegen galt, war, hielt sie davon und sie entschloss sich stattdessen, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen. Zur anderen Seite hin waren es nur etwa dreihundert Meter, bis zu dem Schild, das den Ortsausgang kennzeichnete. (Wie ihr später auffiel) nicht im Geringsten auf, auf dem Weg liegende, Kieselsteinchen achtend, setzte sie einen Fuß vor den anderen. Sie hatte es eilig gehabt, das Haus zu verlassen, weshalb sie darauf verzichtet hatte, Schuhe anzuziehen. Es dauerte nicht lange, bis sie den Höhepunkt des Hügels erreicht hatte, an dem sich das Schild befand. Zuerst überlegte sie, sich nur ins Gras zu setzen und sich dagegen zu lehnen aber dann überlegte sie es sich anders und ging stattdessen noch einige Meter weiter, um in einen kleinen Feldweg einzubiegen. Ihr fielen auf, wie viele Schnecken über die Steinplatten des Weges krochen und sie versuchte sich zu merken, sich zu merken, wo genau diese sich befanden, um später nicht draufzutreten. Sie mochte Schnecken. Schon immer hatte sie sie als etwas Niedliches betrachtet und sie fand es unfair, dass die Menschen tagtäglich dutzende von ihnen mutwillige auf grausamste Art und Weise ums Leben brachten, während sie einem einzigen überfahrenen Welpen jahrelang nachtrauern konnten. Sie blieb schließlich stehen und suchte nach einem Platz um sich hinzusetzen, den sie kurz darauf auf einem verrosteten Eisentor, dass eine unbenutzte Weide verschloss, fand. Sobald sie sich daraufgesetzt hatte lehnte sie sich nach hinten und atmete tief ein. Von hier aus konnte sie genau den Sonnenuntergang beobachten. Sie wandte den Blick zur Straße und dem danebenliegenden Fahrradweg, der zu der Stadt führte, in der ihre Schule lag. Ihre Augen wanderten wieder ihrem Ausgangspunkt, dem Sonnenuntergang. Genau auf dem Punkt, über dem die Sonne jetzt stand. Da war sie. Irgeondwo zu ihrer Linken bellte ein Hund, was sie dazu brachte, noch einmal in die Richtung zu blicken. Wie sie erwartet hatte, war nichts von Interesse zu sehen und sie drehte sich wieder zum Sonnenuntergang, was das Tor leicht zu Schaukeln brachte. Zum Teil das, und zum anderen die Tatsache, dass ein Teil von ihr sich zwar noch nicht vollständig zu langweilen begann, aber kurz davor war, brachte sie sie dazu, von der Pforte hinunter und in das hohe Gras zu springen. Sie hatte ein bisschen Angst, auf etwas zu treten und deshalb machte sie große Schritte, um wieder auf den Steinboden zukommen und als sie wieder fest stand, war sie sich sicher, auf etwas getreten zu sein, wurde aber abgelenkt, als sie zwei Schnecken sah, die von der einen Seite des Weges auf die andere krochen. Sie blieb stehen und beobachtete, wie eine der beiden mit ihrem Kopf an dem Hinterteil der anderen hing. Hatten Schnecken so Sex? Nein, eine von den beiden versuchte, die andere zu fressen. Nein, sie hatten Sex. Das Mädchen ging in die Hocke und lehnte sich so weit über die Tiere, wie es ging. Auf dem Weg waren so viele Schnecken, warum hatten sich wohl gerade die beiden zusammengetan? Weil sie sich am ehesten getroffen hatten, wahrscheinlich. Wieso war das so, dass die vordere Schnecke noch immer vorwärts kroch? Warum war denn überhaupt gerade sie die vordere Schnecke? Immerhin waren Schnecken ja Zwitter. Also wieso waren die beiden Tiere jetzt in diesem Moment genau in der Situation, in der sie genau in diesem Moment waren? Wussten die Schnecken selber das jetzt überhaupt noch? Spielte das eine Rolle für die beiden? Wie lange mochte das Erinnerungsvermögen von Weichtieren wohl reichen? Wenn das Mädchen die hintere Schnecke wäre, dachte sie, und sich überhaupt nicht mehr daran erinnern konnte, was und warum sie das da gerade tat - dann würde sie doch wohl kaum einfach weiter machen. Die Stirn runzelnd, richtete das Mädchen sich auf. Was wäre, wenn eine der beiden jetzt auf einmal weg wäre? Würde die andere sich dann in ein paar Sekunden noch an sie erinnern? Und wenn beide jetzt auf einmal weg wären? Wäre dann das letzte, an was sie sich jemals erinnerten, die jeweils andere? Das Stirnrunzeln war vom Gesicht des Mädchens verschwunden und stattdessen hatten ihre Augenlider sich gesenkt. Langsam schob sie ihren rechten Fuß nach vorn und hob ihn dabei leicht an, bis er schließlich über der vorderen der Schnecken schwebte. Wenn sie ihn jetzt fallen ließ, würde die hintere dann bemerken, dass sie tot war? Würde es sie interessieren? Langsam ließ das Mädchen ihren Fuß hinab sinken. Nur etwa fünf Zentimeter waren es, zwischen ihrer Fußsohle und dem Steinboden durch nicht getrennt außer dem Körper dieses schleimigen, winzigen, widerli- Der Fuß des erschrockenen Mädchens zuckte zurück, in dem Moment, als er die Schnecke berührte und fand ein Stück weit von dem wirbellosen Pärchen seinen Rückweg auf den Boden. Sie blickte auf und vor ihr lagen die Wiesen und am Horizont der dem Sonnenuntergang gegenüberlag, streckte der Bruchteil eines Regenbogens sich empor. Ein kleines Kichern schlich sich zwischen ihren Lippen hervor. Dämliche Regenbogen… Sie sehen so wunderschön aus und locken einen mit ihren Farben, aber wenn man dann schließlich nachgibt und zu ihnen laufen will, dann verstecken sie sich vor einem. Sadistische Bastarde… Einen letzten Blick warf sie noch auf die Schnecken, dann machte sie sich auf den Heimweg, nur zufällig über das zweite Endstück des Regenbogens stolpernd, als sie sich zur Straße wandte. Im Nachhinein war sie sich nicht mehr sicher, ob sie die Worte „Bis morgen“ tatsächlich geflüstert, oder nur gedacht hatte, aber spielte das für die Schnecken eine Rolle? Es waren wohl noch zwei Meter bis zur Straße, als ihr zwei Fahrradfahrer entgegenkamen. Zuerst eine Frau, hinter ihr ein Mann. Das Mädchen lächelte und grüßte freundlich, die Frau blickte sie abwertend an, der Mann grüßte leise zurück. Nachdem sie an ihr vorbei waren, drehte sie sich um und versuchte in Gedanken nachzuvollziehen, wie viele Schnecken die beiden gerade überfahren hatten. Hosted by Animexx e.V. 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